Ein Stapel schwarzer Bücher - Ingeborg Mistlberger - E-Book

Ein Stapel schwarzer Bücher E-Book

Ingeborg Mistlberger

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Beschreibung

Im Haus der Bankiersfamilie Aschenbrenner wird die Haushälterin tot aufgefunden. Die herbeigerufenen Polizisten kommen bei ihrer Untersuchung zum Ergebnis, dass ein unglücklicher Treppensturz die Todesursache gewesen sein müsste. Routinemäßig wird die Kriminalpolizei eingeschaltet und Major Joschi Bernauer, Leiter der Salzburger Mordkommission, hegt ernste Zweifel an der Unfallversion.

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Seitenzahl: 265

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Autorin:

Ingeborg Mistlberger ist Verfassungsjuristin und begeisterte Bridgespielerin. 2016 hat sie ihren ersten Kriminalroman veröffentlicht und im selben Jahr auf der Leipziger Buchmesse erfolgreich präsentiert. Ihr Erstlingswerk Mörderischer Kontrakt war Auftakt der mittlerweile auf zehn Bände angewachsenen Krimireihe Die Fälle des Major Joschi Bernauer. Besonderen Wert legt die Autorin darauf, alle Vorgänge absolut authentisch abzuhandeln, wobei sie vorzüglich Schicksale aus ihrem reichen Erfahrungsschatz beschreibt, sodass sich die Spannung der Handlung immer aus dem echten Leben ergibt.

Alle in diesem Buch vorkommenden Personen, Schauplätze und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder Ereignissen sind rein zufällig.

Personen der Handlung:

Major Dr. Joschi Bernauer, Leiter der Mordkommission Salzburg

Hofrat Dr. Sassmann Polizeidirektor Salzburg

Dr. Iris Adler, Primaria im LKH Salzburg, Bernauers Freundin

Mag. Armin Aschenbrenner, Bankier

Eleonore Aschenbrenner-Daun, Ehefrau von Armin

Charlotte Aschenbrenner, Tochter der beiden

Martha Daun, Charlottes Tante

Waltraud, Charlottes Nurse

Anna-Maria, Charlottes beste Freundin

Hilde Maier, Haushälterin der Familie Aschenbrenner

Nikodemus von Haugsdorf, Immobilien- und Kunsthändler, Neffe von Hubert von Haugsdorf

Hubert von Haugsdorf Präsident des Bridge-Clubs

Mag. Giorgio di Angelo, Präsident des Südtiroler Verbandes

Dr. Sigmund Spiegelberg, Rechtsanwalt

Verena Spiegelberg, dessen Ehefrau

Dr. Franz Sebring, emeritierter Hochschulrektor, Schriftsteller und Literaturpreisträger

Judith Riegel, Kellnerin

Die Gesellschaft saß im Salon. Eben hatte man zu Abend gespeist, war in den eleganten Raum wechselt und hatte auf den sorgfältig arrangierten Stühlen zwischen den hübschen kleinen Beistelltischen Platz genommen.

An der Stirnwand, unter dem monströsen das eine überaus schöne Frau mit dem Blick, dessen ein Mensch fähig war, zeigte, stand ein prachtvoller

Eleonore Daun, die Gastgeberin des Abends, war an das Klavier getreten, an dem bereits die neunjährige Aschenbrenner saß.

„Verehrte Gäste“, sagte Eleonore sanft und zeigte auf das Kind, Charlottes ist es, ihrem Vater, meinem lieben Mann, zu seiner Geburtstagsfeier eine kleine musikalische Freude zu bereiten. Dürfen wir jetzt auch um Ihr wohlwollendes Gehör bitten?“

Freundlicher Beifall brandete auf. Das Mädchen dankte schüchtern mit dem Neigen seines Kopfes.

„Halte Dich gerade, zischte ihr die Mutter ins Ohr „und lächle.“

Das Kind richtete sich gehorsam auf und brachte ein ziemlich verkrampftes Lächeln zustande.

Mühsam überwand es die aufsteigende Angst und das üble Gefühl in Magen und Mund.

Doch dann rief sich augenblicklich zur Disziplin, hob die Hände an die Tastatur und sich nur mehr auf Mozart und den zweiten Satz seines Konzertes Nr. 23 in A-Dur.

Nachdem der Beifall der Gäste geendet hatte, steuerte Charlotte ganz automatisch auf den Tisch ihrer Eltern zu. Ehe sie sich setzen konnte, sagte Eleonore: „Es ist gut, Du bist müde, verabschiede Dich und geh zu Bett.“

Wortlos ging das Mädchen daraufhin zur Tür, grüßte mit einem Knicks in den Raum und verschwand.

Auf dem Flur konnte das Kind die Tränen nicht mehr zurückhalten, aber da umfingen es auch schon tröstlich die Arme Waltrauds, ihrer

„Du hast wunderbar gespielt, Ich werde Dir noch Kakao mit Schlagobers auf Dein Zimmer bringen, ist das nicht schön?“

„Gewöhnen Sie sich endlich ab, meine Tochter Lotti zu rufen, ihr Name ist Charlotte und sie hat bereits zu Abend gegessen. Außerdem ist Schlagobers schlecht für die Haut“, bemerkte Eleonore, die offensichtlich der Tochter gefolgt war „und Du wirst in Zukunft mehr nach dem Metronom üben“, wandte sie sich an das Kind, „Dein Gefühl für das exakte Halten des Takts lässt gelegentlich zu wünschen über.“

„Ich hasse Dich“, dachte Charlotte, während sie die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hinaufstieg.

Natürlich war sie bestimmt noch nicht müde und vergeistigte sich daher im Bett noch einmal die vergangenen Szenen. Außerdem fürchtete sie jetzt schon, morgen vor dem Frühstück eine Reitstunde nehmen zu müssen, obwohl ihr das Sitzen auf dem hohen Rücken des Pferdes doch immer wieder diesen lähmenden Schrecken einjagte. Auch hätte sie noch gerne dabei zugesehen, wie der Tisch mit den Geburtstagsgeschenken ihres Vaters besichtigt und bewundert werden würde. Was mochte wohl in diesen geheimnisvollen Päckchen sein, die so wunderschön um die Geburtstagstorte drapiert lagen.

Als kleinen Trost empfand sie es aber, dass ihr Waltraud heimlich ein Stück Schokolade auf den Kopfpolster gelegt hatte, denn auch Schokolade zählte zu den Dingen, die nach dem Dafürhalten der Mutter schlecht für die Haut waren.

Die gute Waltraud, wie hätte Charlotte das Leben ohne sie ertragen können? Ganz im Geheimen betrachtete sie die Nurse nämlich als ihre Mutter und diese sicherlich ebenfalls verbotene Vorstellung war für sie köstlich und beruhigend zugleich.

„Lotti“, pflegte Waltraud oft zu sagen, obwohl sie die strengen Erziehungsmethoden Eleonores ebenfalls missbilligte, „Du weißt noch nicht, wie es in der Welt draußen zugeht und da kannst Du wahrhaftig froh darüber sein, dass Du alles lernen kannst, was eine junge Dame braucht, um gesellschaftlich ganz oben zu sein.“ Charlotte wusste zwar, dass Waltraud nur das Beste für sie wollte, aber es war absolut nicht ihr Wunsch so ganz oben zu sein, wenn sie dafür alle diese Mühen,Entbehrungen und Lieblosigkeiten in Kauf zu nehmen hatte.

Aber vielleicht änderte sich die Situation, wenn man endlich ganz oben war, denn jetzt verlief ihr Leben so, dass es jede Woche dem gleichen Schema unterlag, welches sie ständig und quälend unter Druck hielt. Würde sie dann endlich auch frei atmen können?

Ein kaum vorstellbarer Zustand für ein Kind, dem neben dem üblichen Schulstoff außer Reit- und Klavierunterricht auch noch Ballett- und Fechtstunden sowie Tennis und das Erlernen der französischen Sprache aufgebürdet wurden.

Auch wenn Charlotte dann unangefochten das vielbewunderte Vorzeigekind im Kreise der Gesellschaft ihrer Eltern war, hatte sie ihre schönsten Stunden, wenn sie mit Waltraud allein gelassen wurde. Gott sei Dank beschäftigten die Mutter ihre vielseitigen Interessen ohnehin die überwiegende Zeit, aber den verbleibenden Rest verbrachte sie nach Charlottes Gefühl vornehmlich damit, sie zu kritisieren.

Wurde Charlotte aber gebraucht, holte man sie aus dem Talon und Mutter schwelgte im stolzen Genuss des Erfolgs der überaus begabten, wohlerzogenen Tochter als wäre es ihr eigener.

Unvermeidlich wusste sich Charlotte daher bereits als Teenager stilsicher auf dem schwierigen, gesellschaftlich anspruchsvollen Parkett zu bewegen, begleitete die Mutter meist fachkundig auf diverse Vernissagen und Konzerte und nahm ab ihrem dreizehnten Geburtstag auf Wunsch der Mutter in deren Bridge-Club an einem Kurs für Anfänger teil.

Bridge zu spielen, erwies sich dann für Charlotte als die einzige Beschäftigung, die es ihr wert erschien, erlernt zu werden. Außerdem hatte sie in ihrer gleichaltrigen Bridgepartnerin Anna-Maria auch eine Freundin gefunden, mit der sie, unter Genehmigung der Mutter natürlich, Tennis auch zum Vergnügen spielen konnte, denn selbstverständlich war Anna-Maria die Tochter eines Staatssekretärs.

Da sich auf dem Grundstück der Eltern deren privater Tennisplatz befand, gelang es dem jungen Mädchen, während der häufigen Abwesenheit seiner Mutter, Anna-Marias Freundinnen und Freunde auf den Tennisplatz oder in den Pool einzuladen.

Überaus hilfreich erwies sich dabei auch Tante Martha, die unverheiratete Schwester der Mutter, die den hinteren Teil der riesigen Villa bewohnte und den Haushalt in Abwesenheit Eleonores führte. Zwar teilte auch sie die schroffe Art ihrer Schwester und verhielt sich gefühlsmäßig gleichförmig neutral, stand aber dabei trotzdem ganz offensichtlich auf Charlottes Seite.

Was immer in Abwesenheit der Mutter im Haus geschah, Tante Martha billigte es scheinbar und verlor nie ein Wort darüber. So hatte dann die gute Waltraud auch immer wieder Gelegenheit das Mädchen zu verwöhnen oder wenigstens die strengen Anordnungen der Mutter gefahrlos ein wenig zu mildern.

Manchmal fragte sich das Mädchen allen Ernstes, ob Tante Martha auch schweigen würde, wenn sie zur Zeugin einer, wollte man sich der Ausdrucksweise der Mutter bedienen, ganz schlimmen Tat würde, die Charlotte vielleicht beging. Was allerdings mit einer schlimmen Tat gemeint war, hatte noch nie jemand hinterfragt, möglicherweise kam auch das Verspeisen von Schokolade und Schlagobers in Massen dafür in Frage.

Jedoch auf diesen doch immerhin erträglichen Bahnen lief das Leben für Charlotte nur noch knappe drei Jahre, dann wurde Tante Martha nach einem Sturz über die Altarstufen der prächtigen, nahen Gnadenkirche bettlägerig, weigerte sich aber in der Folge überhaupt wieder aufzustehen und erst recht zu gehen. Es dauerte dann nur noch ein knappes Jahr, dann fiel sie nach einem Schlagfall anlässlich einer Thrombose im rechten Bein ins Koma und wachte nicht mehr auf.

Charlotte war untröstlich. Unter den Augen der Mutter war es auch mit den heimlich genossenen Freuden eines Teenagers vorbei, da Eleonore eine Hausdame angestellt hatte, die, allem Anschein nach, die Karriere einer Gefängniswärterin zugunsten der Stellung bei Aschenbrenners aufgegeben hatte.

Nach Tante Marthas Beerdigung fand im Hause Aschenbrenner ein exorbitanter Empfang für die zahlreich erschienenen Trauergäste statt. Eleonore hatte eine ganze Woche darauf verwandt, die Gästeliste aufzustellen, die standesgemäße Unterbringung derauswärtigen Trauergäste in den Hotels zu sichern und ein dem Status der Gäste entsprechendes Catering zu organisieren.

Die Dekoration der Räumlichkeiten hatte eine Gärtnerei übernommen, die sich dabei selbst übertroffen hatte. Ein Meer weißer Rosen war mit Tante Marthas geliebten, bunten Trollblumen gemischt worden und die gesamte Ausstattung an den Tischen fügte sich nahtlos in das überaus vornehme Dekor.

Waltraud und die Hausdame schufteten bereits ab dem frühen Morgen für den ordnungsgemäßen Ablauf der Dinge und hatten dann unter dem Diktat Eleonores beim Empfang der Gäste im Haus behilflich zu sein.

Charlotte war inzwischen, wie meistens, auf ihr Zimmer geschickt worden, um nicht zu stören.

„Geh in Dein Zimmer und bereite Dich darauf vor, den Gästen Tante Marthas Lieblingslied fehlerlos vorzutragen. Und denk daran, halte Dich gerade und zieh nicht den Kopf ein, das sieht so verwachsen aus.“

Damit war Charlotte entlassen.

Langsam stieg sie die Treppe hinauf und das war gut so. Sie wollte niemanden sehen, keinen Menschen, jedenfalls solange dies noch möglich war.

Ob Tante Martha der ganze Rummel recht gewesen wäre? Sie hatte nie Emotionen gezeigt und es war daher fraglich, ob sie für diese exaltierte Vortäuschung von Gefühlen Verständnis gehabt hätte. Fromm dürfte sie gewesen sein, vermutete das Mädchen, es gab zwar keine handfesten Beweise, aber ihre Haltung hatte sich bei Begegnungen mit dem Glauben, im Gegensatz zu der seiner Eltern, immer irgendwie echt angefühlt.

Charlotte erinnerte sich nicht, jemals im Zimmer der Tante gewesen zu sein, doch jetzt hatte sie plötzlich das unbestimmte Bedürfnis, der Verstorbenen im Tod näher zu sein, als sie es im Leben je gewesen war und da die anderen alle Hände voll zu tun hatten, durfte sie es auch wagen.

Sie ging also an ihrem eigenen Zimmer vorbei in den hinteren Teil des Hauses, öffnete das Schlafzimmer Tante Marthas und trat ein. Dieses Zimmer war sicherlich der intimste Bereich ihres Lebens gewesen und nur hier musste die Seele der Tante irgendwo geblieben sein, wie ein anmutiger kleiner Schelm, den sie zu Lebzeiten gut verborgen in ihrem Herzen getragen hatte.

Charlotte sah sich um. Alles war ordentlich und sauber, wie neu und ungebraucht und in seiner Schlichtheit einer Klosterzelle nicht unähnlich. Ein Bücherregal an der Wand über dem Bett, gefüllt mit Sachbüchern, wissenschaftlichen Werken und Reiseberichten stellte den einzigen Hinweis auf den Wunsch nach Unterhaltung dar.

Charlotte sah verständnislos darüber hinweg, doch dann hakte sich ihr Blick an einem Buch fest. Hier standen Rainer Maria Rilkes gesammelte Gedichte zwischen gleichgültigen, unpersönlichen Bänden mit ebenso gleichgültigen, unpersönlichen Inhalten.

Automatisch griff sie danach. Dies musste die Lieblingslektüre der Verstorbenen gewesen sein, in ständiger Bereitschaft und genau über dem Kopf der Liegenden platziert, nur ein Griff nach oben war notwendig gewesen.

Sie durchblätterte den Wälzer und seine Seiten flatterten wie ein Fächer durch Charlottes Finger. Kein Lesezeichen, kein Eselsohr hätten bezeugt, dass vom Inhalt des Buches je Gebrauch gemacht worden wäre. Eine leise Enttäuschung bemächtigte sich der jungen Frau und sie schickte sich an, das Buch wieder zurückzustellen. Beinahe hätte sie es übersehen, aber da es im Zimmer noch hell war, nahm sie durch die Lücke den Stapel schwarzer Bücher hinter der sauber geordneten ersten Reihe wahr. Automatisch griff sie danach. Der erste Blick ließ sie sofort erkennen, was sie gefunden hatte, die Tagebücher Tante Marthas.

Vielleicht war dies nun eine von Mutter als wirklich schlimme Tat bezeichnete Handlung, aber sie nahm die Bücher an sich, stellte Rilke zurück und flüchtete in ihr Zimmer.

Jetzt hieß es vorsichtig sein, doch schnell hatte sie die Lösung gefunden. Sie holte aus ihrem Schreibtisch einige Bucheinbände, stülpte sie, wie sie es sonst mit ihren Schulbüchern tat, über jedes Tagebuch und legte diese zwischen die anderen Utensilien.

Mit welchem Recht, fragte sie sich, sollten diejenigen, die an der Lebenden uninteressiert gewesen waren, jetzt in Tante Marthas geheimsten Gefühlen herumstochern, sich womöglich darüber auch noch frivol erheitern?

Nein, wenn es jemanden gab, der mit Tante Martha noch eine nähere Beziehung aufbauen durfte, so war sie, Charlotte, die einzige, der dies zustand.

Als man sie dann rief und wiederum vorführte, war es das erste Mal, dass sie weder Angst hatte, noch war ihr übel geworden.

Selbstsicher hatte Charlotte Platz genommen, vergaß Familie und Publikum, nur noch darauf konzentriert Tante Marthas letzten Wunsch zu erfüllen. Sie beide waren sich plötzlich so vollkommen nah und die Gewalt, mit der die junge Frau dem Instrument ihre Botschaft entriss, ließ den Zuhörern den Atem stocken: „Die Himmel rühmen des Ewigen Ehre!“

Es dauerte einige Sekunden bis sich die Gäste aus der Betäubung gelöst hatten, dann kam nur noch donnernder Applaus.

Charlotte hatte sich, mit Billigung der Mutter, früh zurückgezogen. Sie bereitete sich auf eine lange Nacht vor und holte rasch, da noch unbemerkt, vom Schreibtisch Tante Marthas die kostbare jüdische Menora, schloss ihre eigene Zimmertür ab und vertiefte sich im Schein des siebenarmigen Leuchters in die Tagebücher der Verstorbenen.

„Sechs Arme sollen von dem Leuchter nach beiden Seiten ausgehen“, hatte die Tante für Charlotte die alttestamentarische Anordnung zitiert, als sie die Antiquität seinerzeit erwarb, „aber vergiss nie, Kind, der Sockel ist es, der das Leben bestimmt.“

Langsam tat sich der Sinn dieser Worte für Charlotte auf.

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Weitere drei Wochen später kam eine Benachrichtigung durch ein Notariat, die das Ehepaar Aschenbrenner und Charlotte zur Testamentseröffnung nach der Erblasserin Martha Daun einlud.

Das Testament war kurz und notariell abgefasst, sodass die Verlesung und die formgerechte Abhandlung sehr kurz ausfielen. Martha Daun hatte mit wenigen Worten Charlotte als Haupterbin eingesetzt. Der halbe Teil des Hauses, den Tante Martha bewohnt hatte, und das Anteilsrecht am gemeinsamen Grund ging auf die Schwester der Erblasserin, Eleonore Aschenbrenner-Daun, über, das Vermögen der Tante fiel an Charlotte. Würde die Erblasserin sterben, bevor Charlotte achtzehn Jahre alt war, sollten dieser ab dem Tag, an dem sie das achtzehnte Lebensjahr vollendet hatte, monatlich tausendfünfhundert Euro zur freien Verfügung überwiesen werden. Sollte Charlotte aber heiraten, spätestens jedoch an ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag, bekam sie die volle Verfügungsgewalt über ihr gesamtes Erbe. Bis dahin wurde Martha Dauns Anwalt, Dr. H. Lenzenweger, zum Treuhänder des Vermögens bestellt.

Zur großen Überraschung des Mädchens handelte es sich bei der Erbschaft um ein beträchtliches Konglomerat aus Aktien, Liegenschaften und Bargeld. Martha hatte offensichtlich ihr seinerzeitiges, eigenes und nicht unbeachtliches, elterliches Erbe aus dem Verkauf einer Firma für Flugzeugbau geschickt verwaltet und es dann noch enorm vergrößert.

Hätten Charlottes Eltern möglicherweise etwas an der Teilung der Verlassenschaft mit der Tochter einzuwenden gehabt, so taten sie es jedenfalls nicht vor deren Augen.

Nun war die junge Frau zwar reich, konnte aber zurzeit nicht an das Vermögen herankommen und war weiterhin ihrer Mutter ausgeliefert. Dafür hasste sie diese noch tiefer.

Auch der Vater, herzkrank und unnahbar gegen jedermann, schien Charlotte jetzt noch etwas verhaltener zu betrachten, nur war das Mädchen ohnedies daran gewöhnt, nichts zu hinterfragen, sondern einfach zu tun, was man von ihm verlangte. Dadurch kam dann den Nuancen des väterlichen Verhaltens bei Charlotte auch keinerlei Bedeutung zu.

Da Charlotte nun schon in einem Alter war, in dem eine Nurse eigentlich überflüssig war, hätte es unter normalen Umständen ziemlich nahe gelegen, dass man Waltraud gekündigt hätte. Dass es dann doch nicht geschah, hatte sicherlich damit zu tun, dass Eleonore Charlotte nie unbeaufsichtigt lassen wollte.

Für das Mädchen selbst konnte Waltraud, außer Zuneigung zu geben, kaum etwas tun, denn die neue Hausdame kontrollierte, ebenso wie die Mutter, alles und jeden scharf und unnachsichtig.

Tante Martha war, als Schwester der Mutter, leider die einzige Respektsperson gewesen, die ein wenig Freiheit garantieren konnte und jeden Abend las Charlotte nun immer wieder in den Tagebüchern Tante Marthas. Dabei hatte sie nur noch den Zeitpunkt ihrer Selbständigkeit vor dem geistigen Auge, konnte aber trotzdem nicht leugnen, dass eine leise Angst über ihre Seele kroch. Würde sie, die nie eine eigene Entscheidung getroffen hatte, überhaupt in der Lage sein, selbstbestimmt zu leben?

Eine Frage, mit der sich Charlotte aber nicht groß zu beschäftigen brauchte, denn offenbar hatte eine höhere Macht beschlossen, jede kleinste Bestrebung, dem familiären Joch zu entkommen, zu vereiteln.

Bereits am nächsten Samstag, dem Hochzeitstag ihrer Eltern, wartete eine böse Überraschung auf das Mädchen als es aus der Tür seines Zimmers trat, um zum Frühstück zu gehen, wobei sie mit der Haushälterin Hilde Maier, die zugleich mit ihr aus dem oberen Stockwerk kam, zusammentraf. Offenbar war dies der Beginn ihrer Überprüfungstätigkeit in Bezug auf Charlotte.

Der Gruß erfolgte kurz und frostig, dann begaben sie sich nach unten. Plötzlich stutzten beide.

Über den geschnitzten Handlauf der Stiege hinweg sahen sie hinunter in das Entree und auf das zweite ausladende Treppenpodest des großen alten Bürgerhauses.

Inmitten von Geschirr und Speisen lag eine bewegungslose weibliche Gestalt. Charlotte war zuerst unten und sah nun fassungslos, dass es sich um Waltraud handelte, die hier auf dem Boden lag.

Hilde Maier beugte sich nieder und fühlte den Puls der Verunglückten.

„Tot“, sagte sie nur.

„Waltraud“, rief Charlotte verzweifelt und sank neben der verkrümmten Gestalt zu Boden. Hier kam jede Hilfe zu spät, der geliebte Engel ihrer Kindheit war mit einem Frühstückstablett vermutlich rücklings in den Tod gestürzt.

Aber wieso war Waltraud denn überhaupt mit dem Tablett unterwegs gewesen?

Es gab auch am Morgen, wie bei allen anderen Dingen, ein festes Ritual. Die Eltern und Charlotte kamen um sieben Uhr in das Frühstückszimmer, in dem dann die notwendigen mageren Utensilien auf dem großen alten Sideboard aus Mahagoni bereitgestellt waren. Eleonore bestand auf gesunde, leichte Kost. Sie selbst nahm immer nur zart gebutterten Toast zum ungezuckerten, schwarzen Kaffee.

Charlotte sprang auf und lief in die Küche, aber das Hausmädchen war nirgendswo zu sehen.

Aber egal, hier musste sofort gehandelt werden, zum Teufel mit der Etikette. Rasch lief sie in die nächste Etage, den Flur entlang und riss die Tür zum Schlafzimmer ihrer Mutter auf. „Mutter“, stammelte sie, „Waltraud liegt tot im Flur, sie ist von der Treppe gestürzt.“ „Hast Du nicht vergessen anzuklopfen?“, kam die manierierte Stimme Eleonores vom Bett her.

Jetzt hasste Charlotte sie tödlich.

Hilde Maier übernahm es nun, die Polizei zu verständigen und zwanzig Minuten später trafen die Beamten ein. Obwohl dieser Todesfall primär auf einen Unfall schließen ließ, verständigte der erste der Polizisten die Kriminalpolizei.

Jetzt klärte sich auch, warum Waltraud mit dem Frühstückstablett nach oben gegangen war. Eleonore Aschenbrenner hatte sich am Morgen das Frühstück auf das Zimmer bestellt, da sie sich zur Feier des Hochzeitstages mehr Zeit für die Toilette nehmen wollte, während das Hausmädchen mit Armin Aschenbrenner das Geschenk für die Gattin, einen neuen Sattel und Reitstiefel nach Maß, ins Haus transportierte. Also hatte es Waltraud übernommen, das Frühstück auf Eleonores Zimmer zu bringen.

Auf einer der oberen Stufen dürfte sie dann gestolpert und rittlings hinuntergefallen sein. Da der Teppich, der die Treppenstufen bedeckte, genügend gesichert schien, wurde ermittelt, ob Waltraud aus gesundheitlichen Gründen die Balance verloren haben könnte.

Eine Obduktion hatte aber keine wie immer geartete gesundheitliche Beeinträchtigung bei ihr feststellen können, allerdings wies die Leiche auch einen Knöchelbruch am linken Fuß auf, der zusammen mit den übrigen Verletzungen untypisch für den Sturz war, und über dem Gelenk der großen und zweiten Zehe hatte sich ein Hämatom gebildet. Sie musste also irgendwo mit dem Fuß hängengeblieben sein, auch dann, wenn Waltraud gestoßen worden wäre.

Die Möglichkeit eines gewaltsamen Akts schien hier jedoch unsicher, da nicht vorauszusehen gewesen war, dass Eleonore beabsichtigte, das Frühstück an diesem Tag auf das Zimmer zu bestellen, genauso wenig wie die Tatsache, dass das Küchenmädchen eben zu diesem Zeitpunkt mit dem Gatten Eleonores das Haus verlassen würde.

Die Haushälterin und Charlotte hatten beinahe zur gleichen Zeit ihre Zimmer im zweiten bzw. ersten Stock verlassen, sodass sie zusammen die Treppe hinabgingen. Außerdem befand sich dieser Aufgang im gegenüberliegenden Teil des Hauses, also hätten beide, rein faktisch gesehen, keine Möglichkeit gehabt, ungesehen auf den gegenüberliegenden Treppenabsatz zu gelangen, Waltraud hinunterzustoßen und ungesehen wieder zurückzukommen.

Dass nun der Tod von Charlottes Lebensmenschen als Unfall qualifiziert wurde, lag dem Ermittler zwar schwer im Magen, da ihm sein Bauchgefühl deutlich sagte, dass hier jemand nachgeholfen hatte, doch gelang es ihm nicht, dies auch zu beweisen.

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Ab sofort übernahm nun die Hausdame die Aufgabe, Charlotte Tag und Nacht zu bespitzeln und noch konnte das Mädchen nichts dagegen tun, denn es fehlte noch ein Jahr bis zu seinem achtzehnten Geburtstag, dem Tag der Großjährigkeit.

Zu dem Schmerz, den Charlotte erlitt, als sie die beiden einzigen Personen verloren hatte, die ihr nahestanden, kam nun auch die Angst.

Denn auch sie hatte ein Geheimnis und ein schreckliches noch dazu. Die Tagebücher Tante Marthas hatten ihr nämlich die Augen geöffnet und Charlotte war plötzlich auf die wahre Tragödie ihres Lebens gestoßen, die ihr anscheinend erklärte, warum ihr so grausam mitgespielt wurde. Die Tante hatte alles in ihrer exakten, klaren Handschrift niedergelegt und dokumentiert.

Das Ehepaar Aschenbrenner lebte stets in besten Verhältnissen. Die vom Vater Armins ererbte Bank, als auch die Hinterlassenschaft von Eleonores Eltern sicherten den beiden ihren von Anfang an gewohnten, großbürgerlichen Lebensstil, jedoch war es Eleonore nicht vergönnt gewesen, ein eigenes Kind zu bekommen, aber die traditionsreiche Familie musste einfach weiter existent bleiben. Zudem musste Mag. Armin Aschenbrenner seiner sich steigernden Herzbeschwerden wegen laufend in Behandlung stehen, wodurch sein Bedürfnis nach dem raschen Eintreffen eines Nachwuchses noch weitaus dringlicher geworden war. Aber keine Behandlung hatte angeschlagen und die Adoption eines Kindes kam allein schon aus Repräsentationsgründen nicht in Frage, doch dann fand Eleonore unerwartete Hilfe vom Schicksal selbst.

Die knapp vierzehnjährige Tochter eines gesellschaftlich nicht unbedeutenden Ehepaares war zu einem Zeitpunkt schwanger geworden, in dem der Vater des Mädchens im Wahlkampf um ein politisches Amt stand und alles eher gebrauchen konnte als einen Skandal, denn dieser mochte schon vor dem Beginn einer öffentlichen Karriere bereits deren Ende bedeuten. Dies galt gleichzeitig auch für das Ansehen der Familie in der Gesellschaft.

Damit war nun die einmalige Chance für die beiden Aschenbrenners gekommen, ohne die peinliche Prozedur einer Adoption samt Wartezeiten und ohne Formalitäten, zur Fortführung des Namens und der Bank ein Kind zu gewinnen.

Und man arrangierte sich. Der Name der jungen Mutter und der ihrer Eltern waren der Familie Aschenbrenner unbekannt und das gleiche galt auch umgekehrt, aber leider hatte Tante Martha nicht einmal ihrem Tagebuch anvertraut, um wen es sich bei der leiblichen Mutter Charlottes gehandelt hatte.

Eleonore war überglücklich, denn nun konnte sie endlich gefahrlos eine Schwangerschaft vortäuschen und da ihre Gesundheit durch diesen Zustand als schwer angeschlagen galt, kehrte sie erst nach einigen Monaten von einem Sanatoriumsaufenthalt in der Schweiz mit ihrem neugeborenen Töchterchen nach Salzburg zurück. Die nötigen Papiere zu bekommen, bedeutete in diesen illustren Kreisen offensichtlich kein Problem und Geld spielte ebenfalls keine Rolle.

Vermittlerin der gesamten Transaktion war Eleonores Schwester Martha gewesen, die auch das einzige Verbindungsglied zwischen den beiden Familien darstellte.

Sie hatte seinerzeit durch eine ihrer Freundinnen, der Großmutter des schwangeren Mädchens, von der leidigen Sache erfahren und da Martha eine militante Gegnerin der Abtreibung war, weigerte sie sich zuzulassen, dass derartiges mit diesem noch halben Kind angestellt werden sollte, außerdem war mit der angestrebten Konstellation gleichzeitig allen Beteiligten geholfen.

Auch der Vater Charlottes wurde in Tante Marthas Tagebuch nicht genannt. Ein bedeutungsloser Bursche vermutlich, dessen Name es jedenfalls nicht wert gewesen war, in diesen Aufzeichnungen genannt zu werden.

Nun hatte zwar Martha Daun durch ihr Testament Charlotte für die Zukunft materiell ausreichend abgesichert, trotzdem war die junge Frau noch an das Haus ihrer offiziellen Eltern gekettet, zumindest bis sie achtzehn Jahre alt sein würde und die monatliche Unterstützung aus dem Erbe bekäme. Aber, wer wusste denn schon, ob sie vor dem Ende eines Studiums überhaupt in der Lage wäre, den Haushalt der Aschenbrenners zu verlassen.

Vorsorglich hatte sie den Eltern natürlich verschwiegen, dass sie jetzt im Besitz der Tagebücher Tante Marthas war und damit ihren wahren eigenen Status kannte. Sie schützte sich durch Schweigen einfach vor allem, zu dem sie sonst hätte Stellung nehmen müssen. Schließlich fehlte ihr trotz bester Bildung und erstklassiger Manieren die Kenntnis, wie man mit den Widrigkeiten des täglichen Lebens umging, und sie zitterte innerlich vor Angst und Unsicherheit, wenn sie daran dachte, plötzlich ganz allein auf sich gestellt zu sein.

Überaus beängstigend kam ihr jetzt auch zu Bewusstsein, dass sie ja nicht nur ein Vermögen geerbt hatte, sondern damit für das Ehepaar Aschenbrenner zu einer Person geworden war, die zwischen ihnen und einer Erbschaft stand, für die sich Eleonore als Schwester Marthas sicherlich als allein zuständig betrachtete. Konnte nicht jetzt auch sie selbst, die, wie sie inzwischen wusste, nicht das leibliche Kind Eleonores war, für diese zu einem überaus lästigen Übel geworden sein? Wer würde denn das Vermögen erben, wenn sie selbst ums Leben käme? Natürlich die Eltern, folgerte sie.

Welcher Weg musste also eingeschlagen werden? Vorläufig war es wichtig, entschied sie, das Ganze erst einmal reiflich zu überdenken und sich vor allem inzwischen nicht selbst zu verraten.

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Als Mag. Armin Aschenbrenner von einem kurzen Klinikaufenthalt auf der Station Dr. Iris Adlers nach Hause durfte, beschloss Eleonore eine private Bridge-Einladung in ihrem Haus zu geben und sich damit auch bei Iris für die unbezahlbare Hilfe in Armin Aschenbrenners Leben erkenntlich zu zeigen. Eigentlich war es in Wirklichkeit Iris und ihrer Fachkenntnis zu verdanken, dass Armin sich bis jetzt noch keiner Operation unterziehen musste.

Eleonore hatte bewusst die Spieler aus ihrem Bridge-Club eingeladen und war natürlich sehr stolz auf ihren Besitz, besonders jetzt, wo er sich nach dem Tod der Schwester um deren repräsentativen rechten Flügel des Hauses und den Rest des herrlichen Gartens vergrößert hatte. Natürlich würde sie alles im richtigen Licht präsentieren.

Hochmütig betrachtete sie bei jeder Gelegenheit das einst wesentlich schlichter gehaltene Elternhaus, das sie und ihre Schwester Martha zu einer so prächtigen Anlage vervollständigt hatten, nachdem Vater und Mutter im Nebel bei einem Flugunfall mit ihrer privaten Maschine, die Vater selbst pilotierte, ums Leben gekommen waren.

Sie hatte alles erreicht, was sie gewollt hatte, war an dem ihr zustehenden Platz angekommen, sagte sie sich immer wieder. Sie war reich und noch immer schön, hatte eine überaus begabte Tochter, die für sie die Krönung ihres Lebens war, die Bank lief glänzend, nur eines blieb noch zu tun. Sie musste zusehen, dass Charlotte auch die richtige Wahl traf, wenn es um die Ehe ging. Nach Eleonores Geschmack wäre da beispielsweise Nikodemus von Haugsdorf, der Neffe Huberts von Haugsdorf, dem Präsidenten ihres Bridge-Clubs, gewesen.

Nikodemus, Jurist, jedoch ohne diesbezügliche Interessen, betrieb mit Erfolg einen hochpreisigen Immobilien-, Mobilien- und Kunsthandel, der vorwiegend den Markt im Nahen Osten bediente, insbesondere den der Vereinigten Arabischen Emirate. Da nun Hubert von Haugsdorf aber stets unverheiratet und kinderlos geblieben war, würde Nikodemus später auch sein einziger Nachfolger und damit Erbe seines Vermögens sein.

Noch hatte sich, wie die sichere Nachrichtenübermittlung dieser Kreise verlautete, der Neffe nicht fest gebunden und so war es selbstredend für Eleonore höchste Zeit, das Eisen zu schmieden, solange es heiß war.

Niko, wie er in Freundeskreisen gerufen wurde, war zum Glück auch ein vorzüglicher Bridgespieler und fand sich, sofern er sich nicht irgendwo in der Weltgeschichte herumtrieb, viele Montage zum abendlichen Bridge-Turnier im Club ein. Dass er ausgerechnet einen Tag vor demjenigen, den Eleonore für die Einladung vorgesehen hatte, mit seinem Geschäftspartner Mag. Giorgio di Angelo aus Bozen zurückgekommen war und daher auf ihre Einladung hin zusagte, klang wie Sphärenmusik in ihren Ohren. Giorgio de Angelo lud sie ebenfalls gleich mit ein. Sie wäre aber auch bereit gewesen, andernfalls die Einladung terminmäßig zu verschieben.

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Die Einladung zum Bridge bei Familie Aschenbrenner war bereits vom Wetter her von Erfolg gekrönt. Sonnenschein und blauer Himmel brachten gute Laune, doch hielt sich die Temperatur in so angenehmen Grenzen, dass man sich im Garten ohne hochsommerliche Hitze aufhalten konnte und was auch immer sich im Besitz der Familie befand, wurde für diesen Besuch aufs Beste herausgeputzt.

Da der von Martha Daun hinterlassene weitläufige Garten ebenfalls über eine Terrasse verfügte, war dieser Teil der Anlage für das Bridge-Turnier gerüstet worden, aber der Empfang mit Champagner und Kaviar fand, wie gewöhnlich, auf dem mit kunstvoll bearbeiteten Granitplatten durchsetzten Rasen an der Vorderseite der Villa statt.

Hubert von Haugsdorf traf zeitgleich mit Iris und Joschi Bernauer ein, wobei der muntere Präsident des Bridge-Clubs sofort lautstark feststellte, es würde sich um ein Jahrhundertereignis handeln, dass Bernauer ohne dienstlichen Zwischenfall sogar pünktlich ankäme, und Iris, meinte er schalkhaft, dürfte es zum ersten Mal misslungen sein, Joschi vom richtigen Weg abzubringen.

Hier ging es allerdings nicht um sittliche Dinge, sondern um eine Eigenschaft, die bei der immer perfekt funktionierenden Iris nahezu unmöglich schien. Obwohl sie selbst ganz genau wusste, dass ihr Orientierungssinn jämmerlich war, versuchte sie doch ständig, Bernauer, oder wer auch immer am Steuer saß, mit Überzeugungskraft in die falsche Richtung zu lenken und dies hatte ihren ahnungslosen Opfern immerhin schon genügend vertane Zeit sowie beträchtliche Leerkilometer gekostet.

Kurz darauf trafen dann Dr. Sigmund Spiegelberg und seine bezaubernde Gattin Verena ein, dicht gefolgt von Nikodemus von Haugsdorf und Giorgio di Angelo.

Gleich darauf erhob Verena das Champagnerglas, wobei sie und Charlotte sich gegenseitig amüsiert betrachteten.

Verena, im schwarzen Seidenoverall, fasste blitzschnell nach ihrem ebenfalls schwarzen Strohhut und schleuderte ihn auf einen Stuhl.

„Jetzt sind wir perfekt, Charlotte“, grinste sie, „Du und ich beim Schaulaufen für Hugo Boss! Wo hast Du denn Deinen Jumpsuit gekauft?“

„In der Getreidegasse, und Du?“

„In Mailand, aber es ist eindeutig das gleiche Modell.“ „Du wirst es nicht glauben“, wandte sich nun Eleonore an Verena, „auch ich hatte heute bereits ein ähnliches Erlebnis. Zu diesem Kleid“, sie wies an sich hinunter, „habe ich mich erst kurzfristig entschlossen, als Charlotte herunterkam, und wie es jetzt aussieht, wären wirzu dritt kleidsam in schwarz und in einem ähnlichen Modell erschienen.“

Niko grinste maliziös.

„Tatsächlich, eine ungeheuer pikante Situation. Gibt es besseres, als einen Tag in den Armen dreier Göttinnen zu verbringen, die nicht zu unterscheiden sind. Erfreulicherweise könnte man dann auch niemals der Untreue bezichtigt werden.“

„Immer auf der Jagd, Du unverbesserlicher Casanova“, kommentierte Hubert Haugsdorf Nikos flapsigen Spruch und orakelte dann wie üblich: „Eines Tages wirst Du ein ebenso grauer Hagestolz sein wie ich. Dann ist es aus, mein Junge, Schluss mit lustig!“

Doch Prophezeiungen interessierten Niko noch weniger als unerwartete Liebeserklärungen.

„Keep cool, alter Mann! Du, ein namhafter Freund pompöser Auftritte und schöner Frauen, warum plötzlich so genügsam?“, alberte er.

„Und verflixt ungestüm seid Ihr auch geworden, Ihr jungen Leute“, schüttelte Haugsdorf bewundernd den Kopf, „und waghalsig, da könnte glatt schnell sonst was passieren.“

Liebevoll tätschelte er Charlottes Bäckchen.

„Ein Verehrer könnte beispielsweise Deinen Favoriten zum Duell herausfordern.“

Er schien kurz in der Vergangenheit zu grübeln, befühlte seine Narbe vor dem rechten Ohr und erklärte dann sichtlich angeekelt: „Dabei habe ich geschröpfte Gesichter oder abgesäbelte Ohren immer verabscheut.“

„Wie traurig“, gab Charlotte amüsiert zurück, „gerade den Erwerb abgesäbelter Ohren genieße ich immer wieder. Sie haben alle ihren eigenen Charakter.“

Diese Antwort schien Niko zu imponieren.

Er schnalzte anerkennend mit Daumen und Mittelfinger: „Charlottchen, die Killer Queen? Welch‘ ein Weib erblüht uns da?“

Aber Giorgio, weniger an Killerfragen interessiert als an der reibungslosen Getränkezulieferung, winkte ungerührt einen der Burschen mit dem vollen Tablett zu sich.

„Und was halten Sie davon, sich zu duellieren?“, zog Charlotte den bisher schweigenden Gast ins Gespräch.

Er schnitt eine hochmütige Grimasse.

„Merkwürdige Frage, es handelt sich hier schließlich um mein tägliches Brot“, näselte er.

„Tatsächlich? Was sind Sie denn dann von Beruf?“, fragte sie neugierig.

„Hauptdarsteller in Mantel- und Degenfilmen.“

Im Club hatte sie ihn gerade zwei- oder dreimal als Gast gesehen und hatte kaum ein Wort mit ihm gewechselt, aber für einen Schauspieler hatte sie ihn nicht gehalten.