Laurins Zorn - Ingeborg Mistlberger - E-Book

Laurins Zorn E-Book

Ingeborg Mistlberger

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Beschreibung

Major Dr. Joschi Bernauers Recherchen in der Finanzwelt und im Diamantengeschäft führen ihn bis in die Upper Class Bozens. Im Schatten der Sage von "König Laurins Rosengärtchen" zeigt es sich, dass die kriminellen Verflechtungen weit über die zu erwartenden Grenzen hinausgehen.

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Seitenzahl: 195

Veröffentlichungsjahr: 2020

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Autorin:

Ingeborg Mistlberger ist Verfassungsjuristin und begeisterte Bridgespielerin. Sie studierte Rechtswissenschaft und Katholische Theologie in Linz/Donau. Bekannt wurde sie mit der Vorstellung ihres ersten Romans „Mörderischer Kontrakt, Die Fälle des Major Joschi Bernauer“ auf der Leipziger Buchmesse 2016, die das Interesse von Fernsehen und Presse nach sich zog.

Alle in diesem Buch vorkommenden Personen, Schauplätze und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen oder Ereignissen sind rein zufällig.

Personen der Handlung

Major Dr. Joschi Bernauer, Leiter der Mordkommission Salzburg

Hofrat Dr. Sassmann, Polizeipräsident Salzburg

Dr. Iris Adler, Primaria der Herzchirurgie am LKH Salzburg

Mag. Georgio di Angelo, Präsident des Südtiroler Bridge-Verbandes

Dr. Markus Zillner, Zahnarzt in Salzburg

Anna Koch, Sprechstundenhilfe Dr. Zillners

Dr. Carl Kausch-Palmer, Untersuchungshäftling

Silvio Catuzzi, Villenbesitzer am Ritten

Arturo Valzer, Sekretär Catuzzis

Dr. Solveig Gundlach, Schönheitschirurgin am Nereidenhof

Commissario Rufus Foscari, Mordkommission Bozen

Graf Siefenthal, Verwandter Dr. Gundlachs in Bozen

Julia Bereta, Verwalterin eines Weingutes in Kaltern

Violetta Bereta, Weissagerin aus Tarot-Karten in Eppan

Luis Filipe Sousa, Verwaltungsbeamter in Angola,

Sauro Bereta, Sägewerksbesitzer in Campotosto

Die Sichtklappe an der Tür zur Zelle im Untersuchungsgefängnis wurde wieder geschlossen, dann betrat ein Justizbeamter den Raum.

„Kommen Sie, Dr. Kausch, Ihr Zahnarzttermin.“

„Dr. Kausch-Palmer, wenn ich bitten darf.“

Kausch-Palmer schob dem Beamten seinen Arm entgegen und betrachtete ungerührt das Einrasten der Fessel über seinem Handgelenk.

Als der Beamte mit einem Kollegen und dem Häftling die Praxis des Zahnarztes betrat, wurden sie von einer freundlichen Sprechstundenhilfe empfangen. Sie ersuchte die drei Männer, kurz im Warteraum Platz zu nehmen und sich ein wenig zu gedulden, es könnte noch einige Minuten dauern. Die beiden Justizbeamten wechselten einverständlich den Blick, dann nickte der jüngere der Sprechstundenhilfe zu.

„Ich komme gleich wieder zurück“, sagte er und schickte sich an, die Ordination zu verlassen.

Sie lächelte und antwortete wissend mit einer Geste des Zigarettenrauchens.

Am Gang öffnete er dann das Fenster, um Asche und Rauch loszuwerden und sah dabei mit Interesse einem kleinen Hund zu, der geradezu nervig erfolglos versuchte einen riesigen weißgrauen Sennenhund zu provozieren, der friedlich neben der Parkbank lag, auf der sein Herrchen saß.

Nach einigen Minuten schloss der junge Mann das Gangfenster, um in die Ordination zurückzukehren, betätigte einige Male die Klingel, doch geöffnet wurde ihm nicht. Auch weitere Versuche, auf sich aufmerksam zu machen, blieben ohne Erfolg.

Daran änderten merkwürdigerweise auch heftigeres Klopfen und lautstarkes Rufen nichts, im Inneren der Praxis blieb alles still.

Was sollte das bedeuten und wieso reagierte auch sein Kollege nicht? Sogar wenn der Schreibtisch im Wartezimmer unbesetzt war, müsste man im Ordinationsraum sein Klopfen und Rufen gehört haben.

Was war nun in dieser Situation zu tun? Sollte er seine Dienststelle verständigen, zur Selbsthilfe greifen oder beruhte seine Beklemmung womöglich nur auf einer Übersteigerung des Gefahrenbewusstseins? Eine äußerst schwierige Entscheidung für ihn, der er noch längst nicht gewachsen war, denn es fehlten ihm einfach Dienstjahre und Erfahrung.

Nach reiflicher Überlegung beschloss er, selbst zu handeln.

Er ging drei Schritte zurück und trat dann so heftig gegen die Tür, dass das Holz krachend aus dem Rahmen splitterte.

Das Vorzimmer der Zahnarztpraxis war leer, die Tür zur Ordination stand einen Spalt breit offen, aber es kam kein Laut aus diesem Raum.

„Leo“, fragte der junge Beamte, „Leo, bist Du da drinnen?“

Vergeblich und nervös wartete er auf Antwort und das dröhnende Rauschen des Blutdrucks in seinen Ohren steigerte die Gewissheit, es würde ihn gleich etwas ganz Schreckliches erwarten.

„Sowie man etwas wirklich genau weiß, ist es meistens zu spät“, pflegte sein Vater, der ebenfalls der Exekutive angehörte, zu sagen.

Mit der Pistole im Anschlag trat er nun derart wuchtig gegen die Tür des Behandlungsraumes, dass sie innen gegen die Wand prallte.

Die Ordination schien zwar verlassen, aber ein Blick auf den Behandlungsstuhl übertraf seine schlimmsten Befürchtungen. Dort saß zusammengesunken Kollege Leo, die Uniform rot von Blut. Vorsichtig suchte er nach einer Möglichkeit, dem Verletzten zu helfen, musste aber erkennen, dass dies ein sinnloses Unterfangen war. Der Tod dürfte ziemlich schnell durch Ersticken eingetreten sein, denn man hatte seine Kehle aufgeschlitzt.

Er sah sich um. Durch eine offene Glastür erreichte man einen schmalen Balkon, der sich über die ganze Länge des Hauses hinzog und von dem aus man über niedrige gläserne Trennscheiben bequem in die nachbarlichen Wohnungen gelangen konnte. Zunächst, dachte er, musste er jetzt den Eingang zur Praxis sichern, doch dazu war es bereits zu spät.

Durch die zersplitterte Eingangstür schob sich eine finster blickende Frau von beachtlichen Ausmaßen.

„Was ist hier los?“ fragte sie streng.

„Ich bin im Dienst der Justiz“, sagte er, „verlassen Sie bitte die Ordination.“

„Was heißt im Dienst?“ bellte sie.

„Dass Sie Schwierigkeiten mit der Polizei bekommen werden, wenn Sie meine Anordnungen nicht befolgen.“

Sie schien noch zu überlegen, zog sich aber nach eingehender Begutachtung seiner Uniform in das Stiegenhaus zurück.

Nachdem er Meldung erstattet hatte kniete er erschüttert und verzweifelt neben seinem toten Kollegen nieder und schluchzte ungehemmt wie ein Kind. Es war seine erste gegenständliche Erfahrung mit der leider allgegenwärtigen Brutalität seines Berufes.

----

Als Major Joschi Bernauer in der Praxis eintraf, hatten die Spurensicherung und der Gerichtsmediziner ihre Arbeit bereits beendet.

„Dem Mann wurde die Kehle mit einem Skalpell durchtrennt“, sagte der Gerichtsmediziner, „es lag direkt auf seinem Schoß. Der Schnitt durch die Kehle ist ihm mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einer hinter ihm stehenden Person zugefügt worden.“

„Der Handschellenteil am Arm des Häftlings wurde übrigens ordnungsgemäß geöffnet und befindet sich zusammen mit der anderen Hälfte am Arm des Toten“, sagte ein Mann der Spurensicherung.

Bernauer trat hinaus auf den Balkon.

„Wem gehören die Räumlichkeiten nebenan?“ fragte er.

„Es ist die Wohnung des Zahnarztes.“

„Und?“

„Es hält sich dort niemand auf“, war die Antwort.

„Außer einer Katze“, mischte sich die Riesin aus dem Vorhaus wieder ein. Sogar der Polizei war es bisher nicht gelungen, sie völlig außer Reichweite zu halten.

„Was ist mit der Katze?“ fragte Bernauer.

„Ich betreue sie während Dr. Zillner außer Haus ist.“

„Und Sie sind?“

„Die Hausmeisterin“, trompete sie und richtete sich auf.

„Und jetzt möchte ich wissen, was hier vor sich geht.“

„Wohnen Sie in diesem Haus?“

„Natürlich, im Parterre.“

„Gehen Sie bitte in Ihre Wohnung zurück“, sagte Bernauer, „aber halten Sie sich zu unserer Verfügung, ich brauche Sie später noch und schließen Sie die Wohnung des Arztes auf.“

Bernauer war überrascht, als er die Räume betrat.

Einer Flucht von Zimmern gegenüber befanden sich ein marmornes Badezimmer von beachtlichem Ausmaß, ein Trainingsraum, bestückt mit verschiedenen Maschinen zur Körperertüchtigung, eine elegante Sauna aus Zirbenholz und ein Schrankraum, gefüllt mit Maßkleidung. Auch die Küche entsprach gehobenen Ansprüchen.

Eine geräumige Wohnbibliothek musste allerdings den bevorzugten Aufenthaltsraum des Eigentümers darstellen, da sie das einzig benutzte Zimmer inmitten der überall herrschenden strengen Ordnung zu sein schien.

Plötzlich, und obwohl er wusste, dass sich außer ihm niemand in der Wohnung befand, befiel ihn ein lauerndes Gefühl gespannter Aufmerksamkeit. Langsam wandte er sich um und entdeckte in einem durch die Bücherwände entstandenen Erker, dass ihn aus dem Körbchen am oberen Ende eines Kratzbaumes die blauen sibyllinischen Augen einer Perserkatze verfolgten.

Welche Rolle mochte der Zahnarzt in dieser Angelegenheit spielen? Für Bernauer war seine Mitwirkung an dem Drama kaum vorstellbar.

„Wer sich diese Wohnung leisten kann, setzt doch sein luxuriöses Leben nicht durch eine offensichtliche Beteiligung an einem Verbrechen aufs Spiel“, dachte er.

Außerdem, wohin war die Sprechstundenhilfe gekommen?

Vielleicht konnte die Hausmeisterin etwas Licht in die Sache bringen.

„Ich habe schon begriffen“, stellte sie fest, „da oben liegt eine Leiche.“

Beinahe triumphierend folgte nun ihre persönliche Meinung: „Es wird absolut höchste Zeit, dass gegen das ganze Gesindel einmal richtig vorgegangen wird, sofort einsperren, sag ich immer, sofort. Obwohl“, sie nickte bekräftigend, „um einen Einbrecher ist es genau so wenig schade wie um die Vergewaltiger. Gut, dass Ihr ihn erledigt habt.“

Befriedigt hob sie die geballten Fäuste, wandte sich aber überraschend schnell wieder der Realität zu.

„Der Doktor wird schon anständig sauer sein, sogar wenn ich den Saustall wegräume, bevor er wieder ordiniert.“

„Menschlichkeit in überschaubaren Grenzen“, stellte Bernauer bei sich fest, aber ihre Haltung erwies sich im Zusammenhang mit seiner Arbeit trotzdem als weitaus angenehmer als üblich. Das Letzte, das er jetzt gebrauchen konnte, waren ein hysterischer Anfall oder ausufernde Gefühlswallungen, wie in den meisten derartigen Fällen beinahe obligatorisch.

Bereitwillig und ohne Umschweife erklärte sie ihm, dass sie sich um die Katze kümmere, wenn der Zahnarzt außer Haus sei. Zurückkommen aus dem Urlaub würde er diesmal in einer Woche und die Sprechstundenhilfe, eine sehr nette Frau übrigens, sei ebenfalls unterwegs, so weit ihr dies allerdings bekannt sei, in Reichenhall oder dort in der Nähe, aber sie hätte natürlich deren Handynummer.

„Kann ich den Theseus jetzt füttern?“ fragte sie abschließend, „der arme Kerl ist nämlich so schrecklich sensibel.“

„Wenn Sie von der Katze sprechen, die hat man mit Sicherheit nicht belästigt“, versicherte Bernauer amüsiert, „also gehen Sie ruhig hinauf, Theseus soll auf Futter und Zuspruch nicht verzichten.

Bernauer gab den Auftrag, sowohl den Zahnarzt als auch die Sprechstundenhilfe ausfindig zu machen und forderte den Akt des Untersuchungshäftlings Dr. Kausch-Palmer an.

Kausch-Palmer war im Computerfachhandel tätig und ein vermögender Mann. Seinen Sitz hatte er in einem ehemaligen Jagdschloss nahe der Fuschler Ache, wo er häufig Gäste der besten Gesellschaft empfing. Besonders Politiker, industrielle Größen und Auslandsgäste fanden sich gerne zu seinen extravaganten Jagdveranstaltungen ein.

Dass er nun in Untersuchungshaft geraten war, konnte allerdings kein Zufall gewesen sein.

Hinter vorgehaltener Hand war bereits seit einiger Zeit gemunkelt worden, Kausch hätte Beträge im mehrstelligen Millionenbereich flüssig gemacht, um damit eine politische Partei unangemessen in ihrer Wahlwerbung zu unterstützen. Dies dürfte ihm dann letztlich auch zum Verhängnis geworden sein.

Eines Tages waren nämlich der Staatsanwaltschaft und der Finanzbehörde Unterlagen zugespielt worden, in denen er der Verschleierung von Vermögen und Einkommen, sowie unerlaubter Parteienförderung bezichtigt wurde. Als Grundlage für die Schaffung illegaler Werte waren die Fälschung von Zertifikaten für Diamanten aus Minen Angolas, deren Schürfung in Zwangsarbeit durchgeführt wurde, sowie der Handel mit diesen sogenannten Blutdiamanten angegeben. Auch die diesbezüglichen Konten im Ausland hatte man offengelegt.

Erschwerend kam noch hinzu, dass diese Beweise gleichzeitig den Medien zugegangen waren, also blieb trotz bester Beziehungen für Kausch keine reale Chance, die Angelegenheit zu applanieren.

Bernauers Kenntnisse auf dem Gebiet der Finanzvergehen und dem verbotenen Handel mit Diamanten waren zwar sehr gering, aber dass sich der hochlöbliche Kausch-Palmer hier gröberen Ärger eingefangen hatte, war unbestreitbar.

So weit Bernauer wusste, sollte der Blutdiamantenhandel, mit dessen Erlös gewalttätige Konflikte in Krisengebieten finanziert wurden, nicht grundsätzlich strafbar sein, er verstieß jedoch gegen den Kimberley-Prozess, der über offizielle staatliche Herkunftszertifikate des jeweiligen Ursprungslandes versucht, diesen Diamantenschmuggel zu verhindern. Leider handelte es sich dabei lediglich um Selbstverpflichtungserklärungen der Staaten, die an sich nicht bindend sind und kaum Sanktionsmöglichkeiten bieten. Eine hochinteressante Sache, auch wenn sie strafrechtlich nicht wirklich relevant war. Wenn allerdings Kausch-Palmer dadurch ein Vermögen erwarb und es dann an der Steuer vorbeischleuste, war ihm früher oder später der Zugriff der Staatsgewalt sicher gewesen.

Jedenfalls war nun Bernauers Interesse geweckt und er versuchte, sich über den Computer in die Materie zu vertiefen. Dabei stieß er ziemlich schnell auf eine weitere Verordnung der Europäischen Union von 2002, durch welche alle Unionsstaaten verbindlich zur Einhaltung ihrer Erklärungen zum Kimberley-Prozess verpflichtet wurden.

„Das könnte sogar bei den Hintergrundermittlungen zum Mord an dem Justizbeamten in der Ordination des Zahnarztes hilfreich sein“, dachte Bernauer, denn die geschmuggelten Steine mussten ja irgendwo geschliffen werden und wenn Kausch am Erwerb und Verkauf der Diamanten beteiligt war, musste er auch dahingehend Verbindungen haben. Gingen die Steine möglicherweise nach Amsterdam oder Antwerpen, handelte es sich um Mitgliedsländer, so dass dann auch die Richtlinien der EU griffen.

Die Konsequenz derartiger Machenschaften, nämlich aus dem Diamantengeschäft offiziell ausgeschlossen zu werden, konnte für alle Beteiligten ungeheure Verluste nach sich ziehen. Von dieser Warte aus gesehen war natürlich auch für seine Partner das Abtauchen Kausch-Palmers ziemlich dringlich geworden, noch ehe sein Prozess begann und er möglicherweise einen Deal mit der Staatsanwaltschaft ausgehandelt hätte, bei dem er seine Partner oder verschiedene Einzelheiten ihrer Geschäftspraxis bekannt geben konnte, um selbst im Verfahren besser auszusteigen.

Schon aus diesem Grund musste ihn also entweder die Gruppe seiner Geschäftsamigos bei der Flucht unterstützt haben oder die internationale Szene der Diamantenmafia. Außerdem war zumindest eine Person in der Justizanstalt mit im Spiel gewesen, denn bereits der Besuch bei demjenigen Zahnarzt, den Kausch-Palmer vorher laufend privat aufgesucht hatte, stellte ein Privileg dar, ganz abgesehen vom perfekten Timing in der Ordination Dr. Zillners. Nicht gänzlich auszuschließen war natürlich, dass Dr. Kausch tatsächlich Zahnschmerzen gehabt hatte und dann nach einem ausgeklügelten Plan entführt worden war.

Vornehmlich wichtig war es daher, zuerst die Vorzimmerkraft zu finden.

Anna Koch, die Sprechstundenhilfe Dr. Zillners, befand sich zwar auf Urlaub in Berchtesgaden, erklärte sich aber sofort bereit, am nächsten Tag in Salzburg zu erscheinen.

Frau Koch war eine schlanke, elegante Person in den Vierzigern. Abwartend saß sie ruhig vor Bernauers Schreibtisch, konnte aber trotzdem ihre Neugierde schlecht verbergen.

„Was hat sich denn da jetzt wirklich abgespielt?“ fragte sie, nachdem geklärt war, dass Dr. Zillner den Urlaub auf seinem Weingut in Kaltern verbrachte, während sie selbst sich auf Wanderurlaub in Berchtesgaden befand.

Da sie aber schon so ungefähr Bescheid wusste, war anzunehmen, dass ihr die Hausbesorgerin bereits zumindest ihre eigene Version der Angelegenheit mitgeteilt hatte.

„Wie viele Schlüssel gibt es eigentlich zur Ordination Dr.

Zillners und wer besitzt einen davon?“ fragte er.

„Der Chef selbst, ich natürlich und die Hausmeisterin. Ob noch weitere Exemplare existieren weiß ich leider nicht.“

„Und es gibt auch sonst keine Angestellten in der Praxis?“

vergewisserte sich Bernauer.

„Nein“, sagte sie, „es gab auch nie welche.“

„Aber der Schreibtisch im Wartezimmer war besetzt, eine blonde Frau im weißen Mantel empfing die beiden Justizbeamten und Dr. Kausch-Palmer, der einen Termin als Schmerzpatient hatte.“

„Das sollte allerdings unmöglich sein, die Praxis ist seit einer Woche geschlossen.“

„Ihr langjähriger Patient befand sich, wie Sie vermutlich wissen, in Haft. Einer der beiden Beamten, die ihn begleiteten, wurde etwas später mit durchtrennter Kehle auf dem Behandlungsstuhl aufgefunden. Von Dr. Kausch-Palmer sowie der Frau im Vorzimmer fehlt jede Spur. Ob es einen echten oder falschen Zahnarzt überhaupt gegeben hat, wurde bis jetzt leider nicht geklärt.“

„Und wo blieb denn dann zu der Zeit der zweite Mann aus der Justizanstalt?“

„Er hielt sich für einige Minuten am Gang des Vorhauses auf. Er war es auch, der den toten Kollegen in der Ordination gefunden hat.“

Die Sprechstundenhilfe war blass geworden.

„Nein“, sagte sie, „nein, nein, nein, das kann nicht sein.“

Plötzlich richtete sie sich auf.

„Wollen Sie damit etwa andeuten, Dr. Zillner sei ebenfalls das Opfer eines Verbrechens geworden?“

„Wenn er sich tatsächlich in Südtirol befindet, sicherlich nicht.“

Eine Überprüfung der Patientenkartei und anderer Unterlagen durch Frau Koch ergab keinerlei Unregelmäßigkeiten, die Räume der Zahnarztpraxis waren vor dem Urlaubsantritt einer gründlichen Reinigung unterzogen worden.

Dr. Zillners Anwesenheit auf seinem Weingut in Kaltern war am Amtshilfeweg von der italienischen Polizei über das Personal des Weinhofes bestätigt worden. Er traf dann zwar am nächsten Tag in Salzburg ein, konnte aber ebenfalls keine Erklärung zu dem schrecklichen Vorfall in seinen Räumlichkeiten geben.

Dr. Carl Kausch-Palmer wurde umgehend zur Fahndung ausgeschrieben und Joschi Bernauer war nun wohl oder übel auf diese Ermittlungsergebnisse angewiesen.

Auch ein Besuch in der Justizanstalt, aus der Kausch-Palmer kam, brachte nichts Neues zu Tage. Der Mann war von heftigen Zahnschmerzen geplagt worden, daher brachten ihn zwei Justizbeamte in die Praxis seines ständigen Zahnarztes.

Wie es aber zur Vereinbarung des Termins gekommen war ließ sich nachträglich nicht mehr feststellen.

Und trotzdem konnte sich Bernauer des Gefühls nicht erwehren, dass man im Untersuchungsgefängnis ihm und seinen Erhebungen feindselig gesinnt war. Was irgendwie doch wieder verständlich war, denn wer wollte schon freiwillig über die Kollegenschaft Auskunft geben.

Auch die Staatsanwaltschaft zeigte wenig Bereitschaft, der Mordkommission Einsicht in das Belastungsmaterial des Untersuchungshäftlings Dr. Kausch-Palmer zu gewähren.

„Wirtschaftskriminalität“, sagte Hofrat Sassmann „ist eine heimtückische Geschichte, Geld schützt sich automatisch immer selbst.“

Nachdenklich starrte er wie zur Wahrheitsfindung auf einen imaginären Punkt.

„Man wird sofort über uns herfallen, wenn wir auch nur im Geringsten anfangen könnten herumzustochern.“

„Vielleicht später, momentan lässt man uns eindeutig links liegen“, antwortete Bernauer.

„Das wird sich aber ziemlich schlecht auswirken auf die laufenden Ermittlungen.“

„Schleichenden wäre wesentlich passender gesagt.“

Zwei Wochen später, am Freitag Nachmittag, rief Bernauer seine Freundin, Dr. Iris Adler, Primaria und Herzchirurgin im Landeskrankenhaus, an.

„Iris, Mädchen“, sagte er, „bist Du heute Abend noch frei?“

„Gott sei Dank“, antwortete sie, „ich bin gerade, dabei für das Wochenende Schluss zu machen. Was liegt an?“

„Ich würde vorschlagen, wir essen im Restaurant auf dem Mönchsberg zu Abend und köpfen ein Fläschchen, wie sieht es bei Dir aus?“

„Ich will es mal so ausdrücken: Es käme mir sehr gelegen.

Gibt es einen besonderen Anlass?“

„Du wirst schon sehen.“

Zwei Stunden danach hatten die beiden auf der eleganten Terrasse vor dem Restaurant Platz genommen und genossen das wunderbare Panorama der Stadt. Es bedeutete immer wieder ein Erlebnis für Bernauer über die barocken Dächer und Prachtbauten hinweg auf das grobe weiße Gemäuer der Festung zu blicken, die wie eine romantische Dekoration eines gigantischen Dioramas in den sonnig blauen Himmel strebte.

Iris, im schwarzen Kostüm von Gil Sander das ihrem hellen Teint mit den kupferroten Haaren ungemein schmeichelte, erregte sofort die wohlwollende Aufmerksamkeit der anderen Gäste.

Nach einem ausgezeichneten Abendessen und einer Flasche Veuve Clicquot, Ponsardin Brut, die vom Sommelier persönlich an ihrem Tisch geöffnet worden war, wollte Iris nicht länger warten.

„Das ist für einen beiläufigen Anlass verdächtig nobel, Joschi, also komm endlich zur Sache“, drängte sie ihn, „was gibt es denn zu feiern, ich platze vor Neugier?“

„Iris“, sagte er, „Du hast doch demnächst Geburtstag und leider muss ich Dich jetzt schon mit meinem Geschenk vertraut machen. Betrachte die heutige Einladung also als den ersten Teil.“

Gespannt blickte sie ihn an.

„Was hältst Du von einer Woche Urlaub in Bozen?“ Schnell und überzeugend fügte er noch hinzu: „Ich habe im Laurin gebucht in der Hoffnung, Du kannst Dich freimachen.“

„Und wie ich mich freimachen werde“, sagte sie eilig. „Eine Woche im besten Hotel Südtirols, ich danke Dir.“

„Ehrlich gesagt, Du hast es mehr als verdient“, bekannte er, „so heldenhaft, wie Du mich und meinen Beruf erträgst.“

-----

Obwohl Dr. Kausch-Palmer bundesweit gesucht wurde, blieb die Fahndung nach ihm ergebnislos.

Polizeidirektor Hofrat Sassmann schniefte empört.

„Als ob es nicht schon schlimm genug wäre, dass sich eine prominente Persönlichkeit wie Kausch-Palmer so weit exponiert, dass die Untersuchungshaft verhängt werden musste, sorgt jetzt auch noch sein Verschwinden im Zusammenhang mit einem Mord für gesteigertes Interesse.

Wieso wird der Mann denn nicht gefunden, irgendjemand muss ihn doch irgendwo gesehen haben, sein Bild figuriert schließlich auf allen Titelseiten der Medien“, ärgerte er sich. „Und jetzt, wo er nachweislich nicht mehr der Gentleman ist, als der er sich gegeben hat, wird sich sein Bekanntheitsgrad erfahrungsgemäß noch weiter erhöht haben“, bestätigte Bernauer.

„Im Allgemeinen haben wir sogar bei wesentlich unbedeutenderen Fahndungen so viele Hinweise, dass wir ihnen kaum nachkommen können.“

„Es ist ein Rätsel“, sagte Bernauer, „der Mann ist wie vom Erdboden verschluckt. Es könnte natürlich sein, dass er sich irgendwo versteckt hält bis etwas Gras über die Sache gewachsen ist, um dann später den EU-Raum zu verlassen. Ohne ihn sehe ich allerdings keine Chance, den Tod des Justizbeamten aufzuklären. Den falschen Zahnarzt, sofern er existiert, hat der zweite Beamte überhaupt nicht zu Gesicht bekommen und auch von der Komplizin im Vorzimmer gibt es nur eine überaus vage Beschreibung. Man weiß nur, dass sie kurzhaarig, blond und schätzungsweise fünfunddreißig, vierzig Jahre alt gewesen sein soll, aber weibliche Wesen dieser Beschreibung gibt es zu tausenden.“

„Also sind wir zurzeit darauf beschränkt, den Fall weitgehend nur in Evidenz zu halten?“ fragte Sassmann.

„Das fürchte ich sehr“, antwortete Bernauer.

-----

Ihr Geburtstag begann für Iris bereits sehr ungewöhnlich. Sie fuhren zum Flughafen, betraten das Gebäude ganz untypisch durch einen Nebeneingang, dann ließ Bernauer Iris mit einer Tasse Kaffee in einem kleinen Aufenthaltsraum zurück und bat sie um ein wenig Geduld, da er eine Kleinigkeit zu erledigen hätte.

„Wieso sind wir überhaupt am Flughafen?“ fragte sie beunruhigt.

„Sei nicht so ungeduldig“, sagte er streng, „heute wird nicht gemotzt.“

Als er zurückkam, hatte er die Koffer mitgebracht.

„Darf ich die Dame bitten, mich zu begleiten?“ fragte er galant.

Iris folgte ihm verständnislos und sah erstaunt, dass er das Gepäck hinter den Sitzen einer Cessna verfrachtete, die silbrig glänzend auf dem Rasen stand, bereit, das Rollfeld anzusteuern.

„Final Check ist absolviert“, grinste er, „wenn also Madame einsteigen wollten, der Tower wartet mit der Starterlaubnis. Du wirst vom Himmel her über Bozen einschweben, Mädchen.“

Iris zögerte ein wenig und sah sich um.

„Jetzt kommt die eigentliche Überraschung“, sagte Bernauer triumphierend, „ich habe meinen Pilotenschein aktiviert.“

„Hältst Du mich zum Besten?“ fragte Iris beeindruckt.

„Natürlich nicht“, grinste er, „ich habe sogar schönes Wetter für heute bestellt.“

„Ich weiß gar nicht, was ich sagen soll“, lachte Iris, schwang sich aber blitzschnell auf den Einstiegholm über dem Rad in die Kabine und betrachtete neugierig das Innenleben der kleinen Maschine.

Nach kurzer Verständigung mit dem Tower schwenkten sie in die Startbahn ein, der Motor kam auf Touren und ehe Iris ihre gewohnte Gelassenheit wieder gefunden hatte, stieg die kleine Cessna in den wolkenlosen Himmel.

Iris genoss den Flug, betrachtete die abgezirkelte Form der Äcker und Wiesen, das gewaltige Massiv des Steinernen Meeres und all die malerisch verstreuten Orte mit besonderem Interesse, denn erstmalig genoss sie die Aussicht aus einer Flughöhe, die viel tiefer lag als die der Verkehrsmaschinen.

Bevor Bernauer die Cessna zur Landung ansetzte, zog er noch zwei ausladende Schleifen über Bozen. Iris versuchte, aus der Luft die verschiedenen ihr bekannten Gebäude auszumachen und wiederholte dann sichtlich aufgekratzt Bernauers Verständigung an den Tower:

„Oscar echo five Golf Romeo is clear to land.“

Am Flughafen holte Bernauer den bestellten Mietwagen ab und kurz darauf waren sie am Parkhotel Laurin in Bozens Innenstadt angelangt.

Bernauer hatte die Suite mit Dachterrasse, die Iris noch nicht kannte, gebucht.

Vom wundervollen Blick bis über die Gebirge hin begeistert, hätte sie am liebsten sofort diesen überwältigenden Ausguck bezogen, ein wunderbares Refugium hoch über den Dächern der Stadt mit Bäumen und Blumen bepflanzt.

Für den Abend war dann erfreulicherweise in der Hotellounge das Jazzkonzert einer bekannten Combo aus Mailand angesagt und dort wollte man dann auch auf Iris Geburtstag anstoßen.

Ein erster kleiner Rundgang durch Bozen und die Fühlungnahme mit den einladend dekorierten Auslagen der eleganten Geschäfte brachte Iris in Hochstimmung.

Aber „Joschi“, sagte sie nach ungefähr zwei Stunden Flanieren über die kopfsteingepflasterten Straßen etwas kläglich, „ich fürchte, meine müden Flossen brauchen etwas Ruhe. Stört es Dich sehr, wenn ich mich vor dem Konzert im Hotel noch ein wenig ausruhe?“

„Stört es Dich, wenn ich noch ein wenig herumstrolche?“

„Natürlich nicht“, antwortete Iris und war ziemlich froh, ohne weitere Unterhaltung ungestört die Beine hochlegen zu können.

Frisch gestärkt nach einem Schläfchen auf der Terrasse hatte sie sich bereits für den kommenden Abend zurechtgemacht und fuhr hinunter in die sicher faszinierendste Hotelbar Südtirols im Stil der Belle Epoque, durch Säulen unterteilt und mit Birnenholz getäfelt. Direkt unterhalb des Plafonds erzählt über drei Seiten hin ein Wandfries die zauberhafte Geschichte vom Zwergenkönig Laurin und seinem Rosengärtlein und zwischen den Tischen mit den schweren Lederfauteuils schenken gedämpfte Inselleuchten dem Gast das angenehme Gefühl von Luxus und Gediegenheit.

Auch die riesige Bar, ein Ort beschaulicher Ruhe, vermittelt dem Besucher jene exquisite Atmosphäre, der man sich unmöglich entziehen kann.