Das Bodensee-Komplott - Nicki Fleischer - E-Book

Das Bodensee-Komplott E-Book

Nicki Fleischer

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Intrigen und Verbrechen am Bodensee IT-Profi Martin Lund bekommt an seinem 53. Geburtstag zwei Briefe: Der erste beinhaltet seine Kündigung, der zweite die Info, dass sein Onkel ihm seine Wohnung in Friedrichshafen am Bodensee vermacht hat. Kurzerhand schult Martin autodidaktisch zum Privatdetektiv um und zieht in den südlichsten Süden Deutschlands. Bald schneit mit Elena Korte auch schon die erste Kundin in seine zugegeben sehr provisorische Kanzlei. Sie vermutet, dass ihr Mann sie betrügt und möchte, dass Martin ihn beobachtet. Doch was als harmlose Überwachung eines abtrünnigen Ehemanns beginnt, entwickelt sich bald zu einer waschechten Mordermittlung, als es mehrere Tote gibt. Gemeinsam mit seiner schrulligen Sekretärin Carola geht Martin den Spuren nach und gerät in ein wahres Mord-Komplott ...

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Das Bodensee-Komplott

Die Autorin

Nicki Fleischer wurde in den 1970er Jahren geboren und hat in Essen und Bamberg Informatik studiert. Ihre Masterarbeit zum Thema IT-Forensik hat sie der Polizeiarbeit näher gebracht, dies war der Anstoß für ihre Romane. Heute arbeitet sie für ein Beratungsunternehmen der Umweltbranche und als Autorin. In ihrer Freizeit tanzt sie - auch auf der Bühne. Sie lebt mit ihrer Familie bei Frankfurt am Main und schreibt Allgäukrimis, Thriller und Sience-Fiction.

Das Buch

IT-Profi Martin Lund bekommt an seinem 53. Geburtstag zwei Briefe: Der erste beinhaltet seine Kündigung, der zweite die Info, dass sein Onkel ihm seine Wohnung in Friedrichshafen am Bodensee vermacht hat. Kurzerhand schult Martin autodidaktisch zum Privatdetektiv um und zieht in den südlichsten Süden Deutschlands. Bald schneit mit Elena Korte auch schon die erste Kundin in seine zugegeben sehr provisorische Kanzlei. Sie vermutet, dass ihr Mann sie betrügt und möchte, dass Martin ihn beobachtet. Doch was als harmlose Überwachung eines abtrünnigen Ehemanns beginnt, entwickelt sich bald zu einer waschechten Mordermittlung, als es mehrere Tote gibt. Gemeinsam mit seiner schrulligen Sekretärin Carola geht Martin den Spuren nach und gerät in ein wahres Mord-Komplott ...

Von Nicki Fleischer sind bei Midnight erschienen:In der Egi-Huber-Reihe:NebelhornBreitachklammKlausentodSeealpmord

In der Martin-Lund-Reihe:Das Bodensee-Komplott

Nicki Fleischer

Das Bodensee-Komplott

Der erste Fall für Privatdetektiv Martin Lund

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

Originalausgabe bei MidnightMidnight ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinJanuar 2021 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95819-298-0

Emojis werden bereitgestellt von openmoji.org unter der Lizenz CC BY-SA 4.0.

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Vorbei

Verdammt

Weitermachen

Neuanfang

Kundschaft

Auftrag

Vertrag

Parkverbot

Bauernregel

Ergebnislos

Ehebrecher

Parkhaus

Gartenspaziergang

Busfahrt

Schifffahrt

Zugfahrt

Nichts

Arbeitsteilung

Frauenpower

Begegnung

Zeitungsbericht

Fotosuche

Fotoalben

Zwickmühle

Außeneinsatz

Wohnungsbruch

Parkspaziergang

Verfolgungsjagd

Falschgeld

Einkäufe

App-Store

Funkloch

Dunst

Recherche

Hausfriedensbruch

Mikroplastik

Flucht

Eindringlinge

Drohung

Ferrari

Fremdgänger

Arbeitstausch

Verkehrssünder

Starnberg

Erwischt

Mama

Rohrschaden

Zweitwohnsitz

Witwe

Ermittlungen

Mageninhalt

Zweitwohnsitz II

Telefonat

Abendessen

Husten

Erkenntnisse

Einsichten

Investitionen

Unterwegs

Kampfansage

Alarm

Sprachaufzeichnung

Deal

Chefsache

Hinterhalt

Mördersuche

Abreise

Übergriff

Notfall

Schüsse

Festnahme

Lebensretter

Liebschaft?

Leseprobe: Seealpmord

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Vorbei

Vorbei

Er lag mit einer leeren Bierflasche in der Hand in seinem Fernsehsessel. Sein linkes Bein hing über der Armlehne, es wippte nervös auf und ab. Über den Bildschirm flimmerten leicht bekleidete Damen vor einer tropischen Kulisse, sie quatschten unverständliches Zeug. Plötzlich schnellte er wütend hoch, nahm die Fernbedienung vom Tisch, drückte auf den Off-Knopf und warf sie mit voller Wucht gegen die Wand. Die Abdeckung brach auf, zwei Batterien fielen heraus, die Einzelteile stürzten scheppernd auf den zerkratzten Laminatboden. Er rülpste voller Genugtuung.

Heute war der beschissenste Tag seines Lebens. Erstens hatte er Geburtstag. Er wurde heute dreiundfünfzig Jahre alt und würde sehr wahrscheinlich in naher Zukunft sein Ende als einsamer Wolf finden. Zweitens hatte er in der Hoffnung auf ein paar wenige Grußkarten vor zwei Stunden in seinen Briefkasten geschaut. Ein riesengroßer Fehler, wie sich herausgestellt hatte. Genau zwei Umschläge hatte er darin gefunden. Einen von seinem Arbeitgeber, einen vom Amtsgericht Tettnang. Also keine Grußkarten. Er hatte die zwei verschlossenen Briefe nebeneinander auf seinen Küchentisch gelegt, sich auf den davorstehenden Klappstuhl gehockt und lange überlegt, welchen der beiden Umschläge er zuerst öffnen sollte. Nach drei Flaschen Bier hatte er sich für den Brief seines Arbeitgebers entschieden. So schlimm konnte der Inhalt nicht sein. Vielleicht ein Bonus, eine Prämie zum Geburtstag? Zumindest hatte er gehofft, dass er nicht so schlimm sein würde wie der Inhalt des Briefes vom Amtsgericht. Eine Klage oder Strafgebühren? Er hatte den Arbeitgeberbrief in die Hand genommen, eine Ecke abgerissen, seinen Zeigefinger in das Loch gesteckt und den Umschlag geöffnet. Er hatte mehrere Blätter Papier herausgezogen und die ersten Zeilen auf Seite eins überflogen. Dann hatte er geahnt, dass es doch schlimm werden würde. Der Brief hatte neben herzlichen Geburtstagswünschen den nebulösen Hinweis enthalten, dass er viele Jahre (genau genommen vierundzwanzig, er stand also kurz vor seinem Jubiläum) für das Unternehmen tätig gewesen wäre, diesem sehr wertvolle Dienste geleistet hätte, und dass ihm dafür auch eine beachtliche Abfindung zustehen würde. Abfindung? Er hatte sich die Augen gerieben und die zweite Seite in die Hand genommen. Nachdem er sie angesehen hatte, war das Ganze klarer geworden. Dies war die Kündigung seines fast ein viertel Jahrhundert andauernden Arbeitsverhältnisses!

Er hatte mit der Faust auf den Tisch geschlagen, verachtend geschnauft, war zum Kühlschrank gesprungen, hatte sich Bier Nummer vier aufgemacht und nach dem zweiten Brief gegriffen, den vom Amtsgericht Tettnang. Was wollten die von ihm? Kam es jetzt noch schlimmer? Mit zitternden Fingern hatte er auch diesen Umschlag aufgerissen und ein Blatt Papier herausgezogen. Das Wort Amtsgericht hatte ihm gehörigen Respekt eingeflößt, aber unerwarteterweise war dieser Brief um einiges erfreulicher gewesen: Er war im Testament seines Onkels Wilhelm Lund mangels eigener Nachkommenschaft beachtet worden und hatte mit dessen Ableben sein einziges Vermögen, eine Penthouse-Wohnung in Friedrichshafen am Bodensee, geerbt! Das war eine fünfte Flasche Bier wert gewesen. Damit hatte er vom Küchentisch zum Fernsehsessel gewechselt, im Unklaren darüber, ob er heulen oder lachen sollte.

Und so saß er nun da. Der Fernseher war aus, die Fernbedienung kaputt, er starrte in die Dunkelheit, in eine ungewisse Zukunft. Sollte er fluchen oder jubeln? Feiern oder toben? Aufgrund seines Alkoholpegels verschob er dieses sich schwierig gestaltende Abwägung auf einen späteren Zeitpunkt. Die Augenlider wurden langsam aber sicher schwer. Die Kraft verließ seine Hand. Er schloss kurz die Augen. Die sechste Bierflasche, die er sich zwischenzeitlich aus dem Kühlschrank geholt hatte, entglitt ihm und plumpste zu Boden. Durch das dumpfe Geräusch wurde er aus seinem Dämmerzustand gerissen. Sofort erinnerte er sich an die Kündigung und an sein Erbe. Er stand wankend auf und torkelte hinüber zu seinem Schreibtisch. Er schaltete sein Firmen-Notebook an, um selbst einen Brief zu verfassen. Oder besser gesagt, zwei.

1. Ihr könnt mich alle am Arsch lecken! (An seinen Chef adressiert.)

2. Hiermit kündige ich meine Wohnung in der Schönbühlstraße 409 in Stuttgart, die seit siebzehn Jahren nicht renoviert wurde, durch deren Pappwände jedes Wort der Nachbarn zu hören ist und deren Duschwanne genauso undicht ist wie die Fenster, zum nächstmöglichen Termin – und bin sehr froh darüber! (An seinen Vermieter adressiert.)

Er suchte in der Schublade nach Umschlägen und Briefmarken, packte beide Schreiben ein, zog sich Schuhe und Jacke an und ging zur Haustür hinaus. Es war bereits dunkel, kalte Luft blies ihm ins Gesicht. Er kniff die Augen zusammen, zog den Kragen seiner Jacke hoch und lief ziellos durch die Straßen der Großstadt. Er hatte sich vorsorglich eine siebte Flasche Bier mitgenommen, aus der er hin und wieder einen kräftigen Schluck nahm. Bald war sie leer. Sein Magen rumorte. Er stellte die Bierflasche auf einen Fenstersims, beugte sich vor, kotzte an die Hauswand und ging weiter. Nach anderthalb Stunden kam er an einem Briefkasten vorbei, in den er die zwei Briefe einwarf, ohne weiter über deren Inhalte nachzudenken. Dann schleppte er sich heim.

Verdammt

In seinem Schädel hämmerte es. Gerade noch war er völlig schmerzfrei im Paradies gewesen. Jetzt war er unversehens in der Hölle gelandet. Er hatte einen widerlichen, pelzigen Geschmack auf der Zunge. Seine Augen brannten, die Lider klebten zusammen. Er musste sie erst einmal mit den Händen reiben, um sie öffnen zu können. Danach brannten die Augen noch mehr. Er versuchte, etwas zu erkennen, aber die einfallenden Sonnenstrahlen blendeten ihn so sehr, dass er die Augen gleich wieder schloss. Er war offensichtlich nach seinem nächtlichen Spaziergang auf dem Sofa eingeschlafen. Ein stechender Schmerz schoss ihm durch den Schädel, alle Knochen taten ihm weh. Heute würde er bestimmt nicht aufstehen.

Vier Stunden später raffte er sich doch auf, seine Blase drückte unerträglich. Er ging ins Bad und schaute beim Pinkeln verstohlen in den Spiegel. Tiefe Augenringe zierten sein faltiges Gesicht, sein grau gewordener Haaransatz verzog sich unaufhaltsam hinter die Ohren, das Doppelkinn ließ sich kaum mehr verbergen. So sah er also aus, Martin Lund, der alleinstehende IT-Spezialist aus Stuttgart, der die letzten vierundzwanzig Jahre auf eine Familie verzichtet hatte, um für seine Firma quer durch Europa zu reisen und namenhafte Unternehmen bezüglich ihrer IT-Lösungen zu beraten. In diesem Zuge hatte er viele Gelegenheiten genutzt, um einige hübsche Vorstandsekretärinnen zu vernaschen. Doch nun war er im Alter von dreiundfünfzig Jahren plötzlich überflüssig geworden. Überflüssig!

Unfassbar! Ein Vierteljahrhundert seines Lebens hatte er für diese Firma verschwendet. Und nun konnten sie ihn nicht mehr gebrauchen. Er war alt geworden. Sein Elan hatte sich in Bequemlichkeit verkehrt, er war träge und unsympathisch. Man konnte ihn nicht mehr vorzeigen, nicht mehr zu den Kunden schicken. Er machte nichts mehr her. Das meinte nun nicht nur sein Arbeitgeber, nein, das sagte ihm auch sein Spiegelbild. Er schaute sich selbst in die Augen. Was war nur aus ihm, dem unverbesserlichen Egoisten, geworden? Er hatte sich zu sehr in Sicherheit gewogen, hätte niemals erwartet, dass es einmal so kommen würde. Plötzlich kroch eine nicht aufzuhaltende Welle der Angst an seinen Beinen und seinem Rücken hoch. Wie würde sein Leben jetzt weitergehen? Ohne Gehalt, ohne Familie, ohne nennenswerte Freunde, ohne Halt?

Eine eiskalte Hand legte sich mit einem Mal um seinen Hals. Die Briefe! Er hatte sie eingeworfen. Er hatte seinen Chef beleidigt und seine Wohnung gekündigt! Die Briefe waren jetzt bestimmt bei irgendeiner Postverteilungsstelle, und morgen würden sie zugestellt werden. Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. War das ein Fehler gewesen? Sollte er zur Post gehen und versuchen, die Briefe zurückzuholen? Aber wozu? Keinen Tag wollte er noch weiter für diese Firma arbeiten, in dieser Stadt verbringen, in der er nach dem wenig erfolgreichen Studium der Theoretischen Informatik hängen geblieben war. Keinen Tag länger wollte er dieser Mensch sein, den er gerade im Spiegel sah. Nein, er musste etwas ändern, radikal ändern. Sein Leben, seine Umgebung, seinen Beruf, seine Einstellung. Er drückte auf den WC-Spülknopf, wusch sich Hände und Gesicht und schaute noch einmal in den Spiegel. Es hatte sich nichts an seinem Aussehen gebessert. Hätte er selbst ein Urteil über sein Erscheinungsbild fällen müssen, hätte er sagen müssen: grässlich. Ja, so sah es aus, sogar sein Aussehen musste er ändern! Er befürchtete bereits seit Jahren, dass dieser angegraute Haaransatz, der sich seit einiger Zeit bedrohlich zu einem Haarkranz wandelte, ihn verdammt alt und unsympathisch aussehen ließ. Und genau das würde er hier und jetzt ändern. Er griff nach seinem Rasierapparat, schaltete ihn ein, hielt seinen Kopf über das Waschbecken und setzte das summende Gerät an.

Als er nach sieben Minuten fertig war, betrachtete er das Ergebnis. Na ja, nicht gut, aber besser als vorher. Er beschloss, ab sofort seinen Kopf anstatt sein Gesicht zu rasieren. Glatze und Dreitagebart sollte sein neuer Look sein, das passte besser zu seinem neuen Lebensgefühl und ließ ihn hoffentlich etwas jünger aussehen. Zumindest fiel sein im Entstehungsprozess befindliches Doppelkinn unter den Bartstoppeln weniger auf. Als er halbwegs zufrieden über diesen Entschluss den Rasierer ausklopfte und die Haare im Waschbecken einsammelte, begann sein vom Vorabend gestresster Magen sich zusammenzuziehen und zu knurren. Ihm war übel, gleichzeitig plagte ihn ein Hungergefühl. Kein Wunder, ein Blick auf seine Armbanduhr verriet ihm, dass es mittlerweile 17:43 Uhr war. Er ging unsicheren Schrittes ins Wohnzimmer und griff nach seinem Handy, um zwei Telefonate zu führen: Erstens, um eine Pizza Napoli zu bestellen, und zweitens, um einen Transportwagen für seine wenigen Möbel zu mieten. Oder besser kaufte er sich gleich einen, seinen Firmenwagen musste er ja bald abgeben.

Weitermachen

»Sind Sie das? Herr Lund?«

»Ja, das bin ich!«

Es hatte an der Tür geklingelt, zum ersten Mal. Martin Lund hatte sie mit klopfendem Herzen geöffnet und unverzüglich einen Schreck bekommen. Vor ihm stand eine alte Frau mit kreischender Stimme, tief gebräunter, lederner Haut und aufgetürmten, roten Haaren. Sie war grellbunt gekleidet wie ein Späthippie, den es direkt von Ibiza an den Bodensee verschlagen hatte. Sie trug eine quietschgelbe Alltagsmaske bedruckt mit kleinen bunten Blumen. Das Coronavirus hatte den Sommer noch fest im Griff. Martin fasste sich an den Hals, konnte seine Maske jedoch nicht finden. Er musste sie in der Küche liegen gelassen haben.

»Ich hatte Sie mir jünger vorgestellt«, bedauerte die Besucherin.

»Was wollen Sie?«, fragte Martin, ohne dass es ihn interessiert hätte. Aber er wollte in seiner neuen Heimat ein Mindestmaß an Höflichkeit wahren, vielleicht war es ja eine Nachbarin, die sich kurz bei ihm vorstellen wollte.

»Ich will mich bei Ihnen vorstellen!«

Also tatsächlich. Sie zog die Alltagsmaske ab, ihr Gesicht kam zum Vorschein. Es erinnerte Martin an einen Lederlappen.

»Verstehe. Wo wohnen Sie denn?«, fragte Martin weiter. Er hatte sich doch vorgenommen, sich seinen Mitmenschen gegenüber ab sofort freundlicher zu verhalten. Er atmete durch und probierte, ein Lächeln aufzulegen.

»Immenstaad!«

»Immenstaad? Nicht hier in Friedrichshafen?«

»Nein, nicht hier in Friedrichshafen. In Immenstaad. Das habe ich doch geschrieben!«, keifte die Alte.

»Geschrieben?«, wunderte sich Martin und kratzte sich am neuerdings kahlen Hinterkopf. Er trug weiterhin aus Überzeugung Glatze und Dreitagebart.

»Wer sind Sie überhaupt?«, fragte Martin und versuchte sich an einem höflichen Tonfall, vielleicht war sie seine erste Klientin.

»Carola Kämmerle, Sie Schlafmütze! Und mit der langen Leitung wollen Sie Privatdetektiv werden?«, pflaumte die Alte ihn unverhohlen an.

Langsam dämmerte es Martin. Das war die Dame, die sich auf seine Stellenanzeige hin beworben hatte! Die einzige Bewerbung, die er innerhalb von zwei Wochen erhalten hatte. Dass sie eine dermaßen alte Schachtel war, hatte sie in ihrem Schreiben nicht preisgegeben. Weder hatte sie ein Geburtsdatum angegeben, noch ein Bewerbungsfoto beigelegt. Nun wusste Martin, warum.

»Ach, Sie sind das«, erkannte er enttäuscht, riss sich jedoch zusammen und schluckte die Kommentare, die ihm auf der Zunge lagen, hinunter.

Er hatte in den letzten Wochen dazugelernt, hielt sich mit seinen üblichen Beleidigungen zurück und würde ihr gleich beim Bewerbungsgespräch schonend beibringen, dass sie nicht die richtige Besetzung für seine offene Stelle war. Martin legte sich einige höfliche Worte zurecht, mit denen er sie nun verabschieden konnte.

»Ja, ich bin das. Kann ich dann mal reinkommen?«, meinte Carola Kämmerle, schob ihn zur Seite und betrat seine Penthouse-Wohnung.

Martin war beinahe versucht, ihr die Tür vor der Nase zuzudrücken, aber sie war leider Gottes schneller gewesen. Nach drei Schritten blieb sie abrupt stehen.

»Dieses Drecksloch soll Ihre Detektiv-Kanzlei sein?«, fuhr sie mit ihren Vorwürfen fort und sah sich ungläubig um.

Es roch muffig, als wäre hier ewig nicht gelüftet worden. Oder hatte sich der Gestank bereits in die Einrichtung der Wohnung hineingefressen? Dafür hätte er in den letzten Jahrzehnten ausreichend Zeit gehabt, alles hier wirkte veraltet. Lüften war also keine ausreichende Lösung mehr. Carola schüttelte den Kopf über das Interieur. Ein brauner, zerschlissener Teppich zierte den Boden in der Diele und dem daran anschließenden Wohnzimmer. Das Holz der Zimmertüren war rau und stumpf. An den Wänden hingen vergilbte Tapeten, die dem Muster nach aus den neunzehnhundertsechziger Jahren stammen mussten. Auch die antiken Möbel hatten ihre beste Zeit bereits seit Jahrzehnten hinter sich.

»Habe die Wohnung erst vor drei Wochen geerbt. Ich werde noch Geschäfts- und Wohnräume voneinander trennen und modernisieren, sobald das erste Geld reinkommt«, erklärte Martin Lund hoffnungsvoll und überlegte währenddessen, wie er diese unerträgliche Schachtel am elegantesten wieder loswerden konnte. Einstellen wollte er sie keinesfalls, das wurde mit jedem ihrer Worte klarer.

»Wenn das erste Geld reinkommt?«, bellte Carola, drehte sich zu ihm um und blickte ihn vorwurfsvoll an. »Wie wollen Sie denn dann mein Gehalt bezahlen?«

»Welches Gehalt?«, fragte er zurück. Der Alten würde er nie und nimmer auch nur einen Cent überweisen.

Neuanfang

»Ich soll also den ganzen Tag hier sitzen und darauf warten, dass jemand anruft?«, fragte Carola und zog die linke Augenbraue so hoch, dass sie fast ihren Haaransatz berührte.

Die sollte sich mal nicht beschweren, immerhin hatte er, der Privatdetektiv Martin Lund, ihr einen neuen Schreibtisch samt Bürostuhl bei Ikea in Ulm gekauft und in seiner großzügigen Diele gegenüber der Eingangstür aufgestellt. Dafür hatte er sich von Onkel Wilhelms altem, wuchtigem, vom Holzwurm stark gebeuteltem Sekretär getrennt und diesen schweren Herzens dem Sperrmüll überlassen. Die Abdrücke waren immer noch in dem zerschlissenen, braunen Teppich unter Carolas neuem Schreibtisch zu sehen. Martin tat bei dem Anblick das Herz weh.

»Sie könnten währenddessen ja auch zur Abwechslung etwas Sinnvolles tun«, konterte er mit zusammengekniffenen Augenbrauen. »Sie drehen hier seit zwei Wochen Däumchen und trinken Tee!«

Sie hatten sich darauf geeinigt, keine Masken während der Arbeit zu tragen. Alles andere wäre nicht praktikabel gewesen. Carola trank ständig ihre seltsam miefenden Teesorten und rauchte noch schlimmer riechende E-Zigaretten. So war Martin durch sein neues Gewerbe tagtäglich ihren Ausdünstungen ausgesetzt. Aber der Schritt in diese neue Selbständigkeit war der einzige Ausweg aus Martins Misere gewesen. Eine geregelte Detektiv-Ausbildung existierte in Deutschland nicht, der Beruf war nicht gesetzlich geschützt. Detektiv konnte jeder werden. Also hatte Martin in der Penthouse-Wohnung seines verstorbenen Onkels eine Detektei eröffnet. Groß genug war sie ja für einen Single, genau genommen zu groß. Aber jetzt bereute er es zutiefst, diese Frau eingestellt zu haben. Hoffentlich würde er bald jemand Besseres finden. Als Erstes brauchte er jedoch mindestens einen Klienten, damit er Ende des Monats ihr zugegebenermaßen mickriges Gehalt zahlen konnte. Auf die Überweisung der angekündigten Abfindung in Höhe von 155000,00 Euro für seine wertvollen Dienste bei der Stuttgarter IT-Firma wartete Martin Lund immer noch.

»Was soll das sein, dieses Sinnvolle?«, wollte Carola wissen und nippte an ihrer Teetasse.

Sie hatte sich mit spitzen Fingern einen Ingwertee in Martins Küche aufgebrüht, die aus einer Aneinanderreihung von hellgelben Schränken und nicht mehr ganz weißen Geräten zusammengewürfelt worden war, die alle offensichtlich aus lang vergangenen Jahrzehnten stammten. Wie jeden Tag seit zwei Wochen war das ihre einzige Beschäftigung in der Detektei Lund, neben den Raucherpausen auf der herrlichen Dachterrasse.

»Sie könnten sich ein paar Werbeslogans überlegen, Flyer entwerfen, Journalisten anrufen, Ihre Kontakt hier in der Umgebung aktivieren, um die Detektei Lund bekannter zu machen«, schlug Martin ihr ungeduldig vor.

»Und was machen Sie dann die ganze Zeit?«, fragte Carola mit hochgezogenen Augenbrauen und nippte weiter an ihrer Teetasse.

Martin Lund drehte sich um, stürmte auf seine Dachterrasse mit Blick auf den Hafen und schluckte seinen Ärger über Carola so gut es ging hinunter. Vor einigen Wochen noch hätte er in einer solchen Situation all seinem Unmut einen verbalen Angriff folgen lassen. Aber nun hatte er gelernt, dass er seinen Misserfolg in seinem bisherigen Berufsleben auch zu einem Teil sich selbst zuschreiben musste. Wenn er heute ehrlich zu sich selbst war, war er zu aufbrausend, zu eigensinnig und wenig offen gegenüber anderen Ansichten gewesen. Und nun war er hier. Er hatte die großartige Gelegenheit, noch einmal von vorne anzufangen. Eine warme Brise wehte ihm entgegen. Es roch nach Wasser, nach Fischen, nach dem See. Ein unverkennbarer, herrlicher Geruch. Stuttgart hatte dagegen geradezu gemieft. Er geriet ins Grübeln. Hatte Carola etwa recht? Tat er selbst zu wenig, um sich in seiner neuen Heimat als Privatdetektiv bekannt zu machen? Er hatte einige Anzeigen geschaltet, in der Umgebung seiner neuen Wohnung selbst entworfene und gedruckte Werbeblätter in die Briefkästen gesteckt. Mehr war ihm zu Beginn nicht eingefallen. Er stellte sich an das Geländer und beobachtete zwei einfahrende Touristenkähne, die leicht schaukelnd im Hafen anlegten. Hunderte mit Alltagsmasken vermummte Menschen stiegen aus, um an die Friedrichshafener Uferpromenade zu strömen, den Aussichtsturm am Hafen zu erklimmen, in einem der Restaurants zu essen oder in der Fußgängerzone shoppen zu gehen. Am Horizont erkannte Martin die Österreichischen und Schweizer Alpen. Eine tief hängende Wolkendecke hatte sich auf sie gelegt, nur die höchsten Gipfel stachen daraus hervor und reckten sich zum blauen Himmel, als wäre es ein Wettbewerb, wer am höchsten kommen würde. Die sogenannte Penthouse-Wohnung auf dem Dach des fünfstöckigen Hauses mochte ein Drecksloch sein, aber dieser Ausblick war unbezahlbar. Martin lächelte. Wenn er nun noch renovieren würde beziehungsweise könnte, wäre es ein Traum. Vielleicht würde er hier zufriedener werden, vielleicht sogar glücklich? Dann klingelte plötzlich das Telefon. Er drehte sich herum und stürzte durch die Balkontür zurück in sein Wohnzimmer.

»Detektei Lund – Ihr diskreter Partner für gerichtsverwertbare Ermittlungen, Kämmerle am Apparat!«, hörte er Carola mit zittriger Stimme sagen.

Kundschaft

»Ich soll also jetzt in Ihren Terminkalender schauen und die … äh … diese Obs… Observationen planen?«, fragte Carola mit weit aufgerissenen Augen.

»Was denn sonst, Frau Kämmerle?«, fragte Martin amüsiert über ihre Ausdrucksweise. Carola schien noch nie als Sekretärin gearbeitet zu haben.

»Aber da steht doch gar nichts drin«, erklärte Carola ihrem Chef. Er schien ihr etwas beschränkt zu sein. »Da gibt’s nichts zu planen. Ziehen Sie einfach los und gucken Sie, was der alte Schwerenöter treibt. Mit seiner Sekretärin, seinem Frisör, seiner Putzfrau, seinem Kindermädchen oder sonst wem. Ist doch immer die gleiche Geschichte, das kann nicht so schwierig sein!«

Martin atmete tief durch und zählte mit geschlossenen Augen bis zehn. Dann antwortete er: »Frau Kämmerle, wenn morgen der nächste Klient anruft, dann sollten die Termine in meinem Kalender stehen, damit ich alles sauber und ohne Überschneidungen planen kann. Also tragen Sie jetzt gefälligst für morgen den Namen KORTE ein! Sonst wüsste ich wirklich nicht, wofür ich Ihnen ein Gehalt zahlen sollte.«

»Sauber und ohne Überschneidungen«, äffte Carola ihn nach.

Er hätte sie erwürgen können, musste aber selbst über diesen kleinen Schlagabtausch lachen. Das würde ja amüsante Arbeitstage geben, wenn es in dieser Art weiterging. Sie verzog ihr Gesicht, stellte die Teetasse zurück auf die Untertasse, die vor ihr auf dem Schreibtisch stand, erhob sich widerwillig und ging mit ihren kaum zu überhörenden Flip-Flops zu Martins Wandkalender hinüber. Sie griff nach dem Kugelschreiber, der an einem blauen Wollfaden neben dem Kalender an der Wand hing, und trug für morgen den Namen der vermeintlich betrogenen Ehefrau ein.

»Geht doch!«, meinte Martin.

Er verzog sich in seine Küche, um sich endlich ein Frühstück zu machen. Es war bereits 10:43 Uhr, und bisher befanden sich lediglich drei Tassen schwarzen Kaffees in seinem knurrenden Magen. Als er nach einer halben Stunde zurück in die Diele kam, war Carolas Schreibtisch verlassen. Auch das noch. Sie stand bestimmt wieder auf seiner Dachterrasse und rauchte ihre elektronische Wasserdampf-Zigarette. Er hasste dieses Gerät und den Gestank, den Carola damit um das gesamte Haus herum verbreitete. Kein Fenster konnte man öffnen, wenn die auf seiner Dachterrasse ihre selbst gemischten Aromen verpuffte. Er wollte gar nicht wissen, was da alles drin war.

Andererseits konnte er jetzt endlich in Ruhe die Notizen lesen, die Carola während des Gesprächs mit Frau Korte gemacht hatte. Er setzte sich auf den Bürostuhl, griff nach dem Notizzettel und las:

Christian Korte, Schäferstündchen? Vorstandschef Aero-PORTH, Zulieferer Luftfahrtunternehmen. Scheidung.

Klassischer Fall, urteilte Martin. Und zwar sein erster! Er hatte absolut keine Ahnung von Detektivarbeit. Aber er hatte jede Menge Lebenserfahrung. Und er hatte sich informiert, genau gesagt im Internet recherchiert, schließlich war er Diplom-Informatiker und wusste mit Suchmaschinen umzugehen. Während der ersten Wochen in Friedrichshafen hatte er sich auf diese Weise einen Ratgeber Detektivarbeit angelegt. Und morgen früh würde Frau Elena Korte kommen, um den ersten Vertrag der Detektei Lund – dem diskreten Partner für gerichtsverwertbare Ermittlungen abzusegnen. Und dann würde es endlich losgehen! Martin lächelte in sich hinein. Er freute sich auf sein neues Leben an diesem herrlichen Fleckchen Erde.

»Was machen Sie an meinem Schreibtisch?«, fuhr ihn plötzlich seine Sekretärin an.

Sie hatte sich hinterrücks angepirscht und ihn wissentlich zu Tode erschreckt. Unvorbereitet auf diesen hinterhältigen Angriff zuckte er zusammen, warf sich auf dem Drehstuhl herum und ließ den Notizzettel fallen. Dieser flatterte langsam zu Boden und blieb direkt vor Carolas Füßen mit den blau lackierten Fußnägeln liegen.

»Erstens: Schleichen Sie sich nie wieder so an, sonst verhänge ich hier ein striktes Elektro-Zigaretten-Verbot! Zweitens: Als meine Sekretärin müssen Sie mich über die anstehenden Fälle informieren!«, klärte er sie auf. »Es kann nicht sein, dass ich mir die ganzen Informationen zu meinen Fällen selbst besorgen muss!«

»So wie Sie aussehen, haben Sie es sich die längste Zeit Ihres Lebens selbst besorgt.«

Auftrag

»Ich soll die also in Ihr Wohnzimmer schicken?«, fragte Carola mit skeptischem Blick.

»Ja!«

Carola erkannte, dass Martin genervt war. Sie musste sich zurückhalten, sein Vorgehen schien ihr doch unlogisch. Sie ließ ihn jedoch ohne Kommentar weiterreden. Gleich würde ihre erste Klientin hereinkommen, und es war keine Zeit mehr für Diskussionen.

»Ich habe halt noch kein Büro«, rechtfertigte Martin sich. »Ich werde demnächst umbauen und bis dahin kommt die Kundschaft in mein Wohnzimmer. Sie machen also die Tür auf und lassen sie rein«, erklärte Martin seiner rebellierenden Sekretärin. »Sie soll sich einige Minuten hier im Wartebereich auf dem Besucherstuhl gedulden. Dann rufe ich Sie mit meinem Handy an und Sie schicken sie zu mir ins Wohnzimmer.«

»Warum das denn? Hier ist sonst keiner. Und zu tun haben Sie sowieso nichts. Die kann doch sofort zu Ihn…«

»Die soll warten. Kapiert? Also los«, befahl Martin. Er machte auf dem Absatz kehrt, lief ins Wohnzimmer und warf die dunkelbraune Holztür hinter sich zu, sodass das eingefasste Milchglasfenster anfing, bedenklich zu klirren. Es gelang ihm in Anwesenheit seiner Sekretärin noch nicht durchgängig, ruhig und besonnen zu bleiben.

Carola schaute ihm hinterher und schüttelte den Kopf. Es klingelte erneut. Carola spürte negative Schwingungen im Raum, ein Schauer lief ihr über den Rücken. In dieser Wohnung war ihr von Beginn an unheimlich gewesen. Dieses Gefühl verstärkte sich nun leider von Tag zu Tag.

»Na gut, dann halt so«, maulte sie.

Carola ging ohne ihre Maske zur Wohnungstür. Wegen ihres ruppigen Chefs hatte sie sie auf ihrem Schreibtisch vergessen. An der Wohnungstür hing neben dem Sprechgerät ein elektrischer Türöffner für die Haustür unten an der Straße.

Carola drückte die Sprechtaste und fragte: »Wer ist da?«

»Korte!«, quäkte es aus dem Lautsprecher.

Carola drückte den Türöffner und sagte: »Kommen Sie ganz nach oben, Penthouse. Der Aufzug ist leider kaputt, nehmen Sie die Treppe!«

Nach vier Minuten klopfte es an der Wohnungstür. Carola ließ sich Zeit. Sie schlenderte gemächlich zur Tür. Die Dame sollte ja warten. Carola griff nach der Klinke und öffnete. Neugierig betrachtete sie ihre erste Klientin, Frau Korte. Dort stand eine außer Atem geratene Blondine, geschätzte Anfang vierzig. Ihre langen Haare waren gekonnt in eine gepflegte Hochsteckfrisur gezwängt worden. Dazu war sie auffällig geschminkt, gertenschlank und trug ein hellgraues Kostüm mit weißer Bluse und silbernen Stöckelschuhen. Vor Mund und Nase hing eines von diesen seltsamen, durchsichtigen Plastikteilen, die man sich zum Schutz vor dem Virus unter das Kinn klemmen konnte. Ein aus dem Ei gepelltes Püppchen, dachte sich Carola. Ob die je für ihr Geld hatte arbeiten müssen? Dann grinste Carola sie gefällig an, schließlich hatte die erste Klientin der Detektei Lund sich bei der Hitze ohne zu murren die Treppe hochgekämpft. Und die hatte Frau Korte offensichtlich schwer ins Schwitzen gebracht, winzige Schweißperlen glitzerten an ihrem Haaransatz.

Elena Korte beäugte sie distanziert. Ihre aufgetürmten, knallrot gefärbten Haare, der lange, wildgemusterte Tellerrock kombiniert mit dem giftgrünen Spaghetti-Träger-Top, aus dem ein tiefbrauner Hals hervorragte, schienen ihr zu missfallen. Ebenso die ledernen Flip-Flops. Carola ignorierte ihren abwertenden Blick, sie hielt der High-Society-Lady die Tür auf und machte eine einladende Geste. Das piekfeine Aussehen der Dame hatte sie auch nicht vor einer gescheiterten Ehe retten können. Sie war gewillt, ihrer ersten Klientin in ihrem Dilemma zu helfen.

»Kommen Sie rein, Frau Korte, und nehmen Sie hier im Wartebereich Platz. Dort können Sie sich von der strapaziösen Treppenbesteigung erholen«, bot Carola an. »Herr Lund ruft Sie gleich zu sich. Möchten Sie einen Tee?«

»Nein, danke«, schnaufte Elena Korte und rümpfte die Nase. Ihr schien das herbe Ambiente in der Detektei Lund nicht zuzusagen.

»Ich erwarte lediglich, dass ihr Chef meinen Noch-Ehemann verfolgt und herauszubekommt, wo und mit wem er sein ganzes Vermögen verprasst. Vielleicht ist es eine Geliebte. Vielleicht auch jemand anderes. Es ist auf jeden Fall einiges an Geld im Spiel. Mein lieber Ehemann scheint seit Monaten etwas beiseite zu schaffen. Ich hoffe, der Privatdetektiv Lund ist mit diesem Auftrag nicht überfordert«, meinte Elena Korte.

Sie setzte sich auf einen der mit schwarzem Kunstleder bespannten Edelstahlstühle, legte sich die silberne Handtasche auf den Schoß, holte ihr Smartphone hervor und begann darauf herumzuwischen. Carola beobachtete die feine Dame aus den Augenwinkeln. Die wollte bei der anstehenden Scheidung abkassieren, das war klar. Carola hatte sich erst gar nicht an einer Ehe versucht und war trotzdem mit ihrer Tochter über die Runden gekommen. Sie fragte sich, wie viel Elena Korte zu dem gemeinsamen Vermögen während ihrer Ehe beigetragen hatte. Hoffentlich würde Martin Lund es herausbekommen. Sie nahm sich vor, sich ihn nach dem Gespräch mit dieser Klientin zu schnappen und auszuhorchen.

Carolas Telefon riss sie aus ihren Gedanken, es klingelte plötzlich. Martin Lunds Handynummer wurde auf dem Display angezeigt. Carola rollte die Augen und nahm das Gespräch an.

»Ja bitte? … Alles klar.«

Sie legte den Hörer wieder auf.

»Sie können jetzt zu ihm reingehen, Frau Korte.«

Als Elena Korte sich erhob, spürte Carola wiederholt diese negativen Schwingungen. Sie griff panisch nach ihrer Elektro-Zigarette.

Vertrag

»Ich soll also Ihren Ehemann Christian Korte observieren?«, fragte Privatdetektiv Martin Lund mit ernstem Gesichtsausdruck.

Seinen Dreitagebart versteckte er unter einer schwarzen Baumwollmaske, die mit großen, weißen Lettern bedruckt war: LUND. Er hatte sich einige davon von einem benachbarten Schneider nähen lassen. Für Carola hatte er extra eine lilafarbene mit dem gleichen Aufdruck bestellt, aber bisher hatte seine Sekretärin sie nicht getragen, sie lag unangerührt auf ihrem Schreibtisch, da sie entweder eine Teetasse oder eine E-Zigarette am Mund hängen hatte. Martin saß auf Onkel Wilhelms beigen Kord-Sofa und setzte sein Pokerface auf, um dieser äußerlich höchst attraktiven Dame absolut null Gefühlsregungen zu offenbaren. Das hatte er sich in seinen Ratgeber Detektivarbeit geschrieben und gelb markiert: Stets kühl, distanziert und objektiv bleiben, gezielt kurze, klare Fragen stellen und zuhören, zuhören, zuhören! Und genau das versuchte Martin Lund nun. Nur war das bei einer derart gutaussehenden Klientin gar nicht so einfach. Sie saß mit ihren übereinandergeschlagenen, langen Beinen auf einem der fleckigen Kord-Sessel vor seinem Glastisch. Durch die Tischplatte konnte er die ebenmäßige, dezent gebräunte Haut betrachten. Durch den dünnen Stoff ihrer weißen Bluse schimmerte ein schwarzer Spitzen-BH. An ihrem Dekolleté baumelte eine schwere, goldene Kette, deren Wert Martins Honorar gewiss um ein Vielfaches überstieg. Vor Mund und Nase trug sie immer noch den durchsichtigen Plastikschutz. Martin beobachtete ihre rosa angemalten, vollen Lippen. Er spürte, wie sich langsam Schweiß auf seinem behaarten Rücken bildete und sein Hemd begann, zu kleben.

»Der Christian hat eine Geliebte«, säuselte sie Martin verschwörerisch zu und schob erzürnt nach: »Ich will wissen, wer es ist!«

»Verstehe«, meinte Martin und gaffte sie an. Er musste nun die Schattenseiten des anstehenden Auftrages ansprechen: »Bevor wir weitermachen, möchte ich Sie kurz über mein Honorar informieren, Frau Korte.«

»Tun Sie, was Sie nicht lassen können«, meinte Elena Korte gelangweilt, lehnte sich zurück, spreizte ihre Finger und betrachtete ihre langen, rosa lackierten Nägel.

»In Baden-Württemberg zahlen Sie für einen Privatdetektiv um die 70,00 bis 120,00 Euro pro Stunde. Kilometergeld beträgt 1,00 Euro bis 1,55 Euro«, führte Martin Lund auf. Er hatte die Preise vorab im Internet recherchiert, da er keinen Schimmer davon gehabt hatte, was genau er berechnen konnte.

Elena Korte, starrte ihn an, kniff die Augen zusammen und rümpfte ihre kleine Nase. Sie schien mit seiner Kalkulation nicht zufrieden zu sein.

Martin ruderte schnell zurück, um seine erste Klientin nicht gleich wieder zu verlieren: »Zur Neueröffnung meiner Detektei mache ich Ihnen natürlich ein Sonderangebot: 50,00 Euro pro Stunde, Kilometergeld nur 70 Cent.«