Kanzelwand - Nicki Fleischer - E-Book

Kanzelwand E-Book

Nicki Fleischer

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2021
Beschreibung

Zwischen Gipfeln, Almwiesen und Bergbahnen: Egi Huber ermittelt in seinem neuen Fall Ganz Oberstdorf ist in Aufregung. Und zwar nicht, weil PHK Egi Hubert 50 wird, sondern weil ein waschechter Architekturwettbewerb abgehalten wird. Für eine Fußgängerbrücke von der Kanzelwand zum Fellhorn. Aus der ganzen Republik sind die Wettbewerber gekommen. Doch es gewinnt nicht etwa eine der modernen Holz- und Glaskonstruktionen, sondern der ästhetisch schwierige Entwurf des heimischen Bau- und Betonlöwen Konni Menzl. Die Konkurrenten vermuten Schiebung. Und Egi Huber vermutet Mord, als kurz darauf Wettbewerbsleiter Hartmuth Rappen tot unterhalb der Fellhornbahn baumelt. So ein Ärger! Die Kripo Kempten steht natürlich sofort auch wieder auf dem Plan. Und der Chefmeier liegt im Krankenhaus. Schnell wird klar: Nicht jeder in Oberstdorf wollte die Brücke. Und manche gehen über Leichen, um ihre Ziele durchzusetzen…

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Kanzelwand

Die Autorin

Nicki Fleischer wurde in den 1970er Jahren geboren und hat in Essen und Bamberg Informatik studiert. Ihre Masterarbeit zum Thema IT-Forensik hat sie der Polizeiarbeit näher gebracht, dies war der Anstoß für ihre Romane. Heute arbeitet sie für ein Beratungsunternehmen der Umweltbranche und als Autorin. In ihrer Freizeit tanzt sie - auch auf der Bühne. Sie lebt mit ihrer Familie bei Frankfurt am Main und schreibt Allgäukrimis, Thriller und Sience-Fiction.

Das Buch

Ganz Oberstdorf ist in Aufregung. Und zwar nicht, weil PHK Egi Hubert 50 wird, sondern weil ein waschechter Architekturwettbewerb abgehalten wird. Für eine Fußgängerbrücke von der Kanzelwand zum Fellhorn. Aus der ganzen Republik sind die Wettbewerber gekommen. Doch es gewinnt nicht etwa die modernen Holz- und Glaskonstruktionen, sondern der ästhetisch schwierige Entwurf des heimischen Bau- und Betonlöwen Konni Menzl. Die Konkurrenten vermuten Schiebung. Und Egi Huber vermutet Mord, als kurz darauf Wettbewerbsleiter Hartmuth Rappen tot unterhalb der Fellhornbahn baumelt. So ein Ärger! Die Kripo Kempten steht natürlich sofort auch wieder auf dem Plan. Und der Chefmeier liegt im Krankenhaus. Schnell wird klar: Nicht jeder in Oberstdorf wollte die Brücke. Und manche gehen über Leichen, um ihre Ziele durchzusetzen…

Von Nicki Fleischer sind bei Midnight erschienen: In der Egi-Huber-Reihe:NebelhornBreitachklammKlausentodSeealpmordKanzelwand

In der Martin-Lund-Reihe:Das Bodensee-Komplott

Nicki Fleischer

Kanzelwand

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

Originalausgabe bei MidnightMidnight ist ein Verlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinJuni 2021 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2021Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privatE-Book powered by pepyrus.com

ISBN 978-3-95819-307-9

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Inhalt

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Prolog

Wettbewerb der Baumeister

And the winner is …

Ruhe vor dem Sturm

Er lebe hoch!

Er hebe ab

Er falle tief

Drohungen und Mordversuche

Nachforschungen undercover

Mord in Oberstdorf

Tod am Gipfel

Kripo Kempten

In der Werft

In der Klinik

In der PI Oberstdorf

Die Brücken-Ausschreibung

Der Beton-Baumeister

Die Jury

Die Wettbewerber

Der Yoga-Kurs (1)

Glas- und Holzbau

Am Betonmischer

Am Flipchart

Im Hotel

Auf dem Tisch

Im Bauamt

In der Schublade

Der Yoga-Kurs (2)

Forensik und Gerichtsmedizin

In der Akte

In Dittis Büro

In Maltes Büro

Im Kleinwalsertal

Im Nebenraum

Zusammen stark

Der Yoga-Kurs (3)

Unter der Hand

Unter Fliegern

Unter anderem

Pizza, Zettel, Spuren und Höhenmesser

Elf Stationen und viele Sünder

Kuss vor Alpenpanorama

Letzte Erkenntnisse

In Bedrängnis

In der Höhle

In Verhörraum 1

In der Gondel

Auf Verfolgungsjagd

An der Kirche

Uroma Brunis Gedichtle zum Fall

Leseprobe: Seealpmord

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Prolog

Prolog

»Sodala, Manni, ich hab mich im System angemeldet. Ich klick das fix z’sammen. Den roten Flieger kriegt dieser Kommissar aus Oberstdorf, und den blauen Flieger das hohe Tier aus Augsburg. Hermann und Günter als Piloten, gell?«

»Noi, du Pfeifa! Jetzt hör doch richtig zu: den blauen kriegt das hohe Tier aus Augsburg und den roten kriegt der Kommissar aus Oberstdorf!«

»Aber genau so hab ich’s doch gesagt, Manni! Nur halt and-«

»Sakradi, falschherum hast’s wieder gesagt! Musst allat so dabbig sein?«

»Ich bin nicht dabbig!«

»Doch!«

»Manni, jetzt echt, ich hab -«

»Des isch jo zum Mäus melka, Kalli. Du kriegst einfach nix gebacken. Gib die Tastatur her!«

»Manni, wenn ich’s dir doch sag!«

»Komm, du Vollprofi, ich trag das jetzt selbst ins Buchungssystem nei! So, der blaue mit Günter für’n Kommissar, der rote mit Hermann für’s hohe Tier. Und du fahr mal naus zum Flugplatz und putz die Cockpits für die zwei Herren.«

»Du, gell!«

»Blitzeblank, Manni!«

»Der hot au nemma alle Tasse im Schrank.«

Wettbewerb der Baumeister

Art des Auftrages: Planung und Bauleistung

Bezeichnung des Auftrages: Konstruktiver Ingenieurbau Fußgängerhängebrücke

Ausführungsort: Oberstdorf (Grenzgebiet)

Los: Die Regierung von Schwaben mit Sitz in Augsburg wählt anhand von ästhetischen, funktionalen und finanziellen Kriterien aus allen eingereichten und den Anforderungen entsprechenden Modellen und Planungsunterlagen das Gewinnerprojekt des Brückenbau-Wettbewerbs 2021 Oberstdorf aus.

»Was soll das denn bloß sein, Egi?«

Der aus Lindau stammende Polizeioberwachtmeister Rudolf Ströber, der Rudi, las die Ausschreibung, die auf dem großen Schild im Foyer der Oybele Halle abgedruckt war, und kratzte sich am Doppelkinn. Der wohlgenährte Beamte lebte bereits seit über einem Jahrzehnt in Oberstdorf und kannte sich aus wie ein Einheimischer. Jedoch schien ihm die letzten Monate anscheinend doch etwas entgangen zu sein. Er war gemeinsam mit seinem Vorgesetzten Polizeihauptkommissar (PHK) Egon Huber, dem Egi, zur polizeilichen Überwachung des Brückenbau-Wettbewerbs abkommandiert worden. Der amtierende Polizeiinspektionsleiter Erwin Bachmeier, insgeheim von ganz Oberstdorf »Chefmeier« genannt, hatte ihnen aufgetragen, die Ausstellung der Wettbewerbsbeiträge in Form von kleinen Brückenmodellen in der Oybele Halle zu beobachten und dort für Disziplin und Ordnung zu sorgen. Disziplin und Ordnung war in diesem Jahr ein Reizthema in ganz Bayern, und somit auch im Allgäu. Das Corona-Virus wütete noch immer hierzulande, daher war die Allgemeinheit aufgerufen, bei großen Veranstaltungen dieser Art Mund-Nasen-Bedeckungen zu tragen und mindestens 1,5 Meter Abstand zueinander zu halten. Besonders in einer Touristen-Hochburg wie Oberstdorf gestaltete sich die Durchsetzung derart freiheitsberaubender Maßnahmen als ein Drahtseilakt. Vor allem, wenn es ein dermaßen interessantes Projekt gab, von dem man nie zuvor in den Zeitungen gelesen hatte. Erst diese Woche Montag war die Polizeiinspektion (PI) Oberstdorf darüber informiert worden, dass sie hier zum Einsatz kommen würde. Nun wollten natürlich alle Einheimischen und auch viele Touristen herkommen und erfahren, was als Nächstes in Oberstdorf gebaut werden würde. Und mit abstimmen durfte man auch, die Eintrittskarte war auf der Rückseite mit einem Wahlbogen bedruckt. Die Besucher wurden darauf aufgefordert:

Bitte tragen Sie

die Nummer Ihres Favoriten

in das Kästchen ein!

Vor zwei Jahren hatte das noch ganz anders ausgesehen, damals waren die Oberstdorfer nicht nach ihrer Meinung gefragt worden. Die Nebelhornbahn hatte man nun doch entgegen aller Erwartungen abgerissen und ersetzt. Neunzig Jahre lang hatten die ältlich wirkenden, gelben Gondeln brav ihren Dienst getan, nun fuhr seit diesem Frühjahr eine neumodische Umlaufbahn die Touristen den Berg hoch. Und damals, vor knapp zwei Jahren, hatte Egi das noch zu verhindern versucht, als der alte Moosberger sich das aufwendige Seilbahn-Neubauprojekt ausgedacht hatte, kurz vor der Verwirklichung seines Hirngespinstes jedoch in seinem Klausenkostüm ermordet worden war. Nun hatten die OK-Bergbahnen das (zugegebenermaßen) längst überfällige Projekt selbst in die Hand genommen und damit die Touristen letztendlich doch noch glücklich gemacht.

Und jetzt schien sich auch noch jemand eine neue Fußgängerhängebrücke ausgedacht zu haben. Egi und Rudi standen daher in Polizeiuniform sowie zum eigenen Schutz maskiert im Eingangsbereich der Oybele Halle und waren verblüfft darüber, was hier in Oberstdorf geplant war. Hunderte Besucher, Einheimische wie Touristen, staunten ebenso und wollten partout als Erste in die Halle hineinkommen, um sich die Brückenmodelle ansehen und darüber spekulieren zu können, wo denn eine solch geheimnisvolle Fußgängerhängebrücke hier in Oberstdorf gebaut werden konnte. Genauso wollten sie mitentscheiden, welcher Wettbewerbsbeitrag gewinnen sollte. Das Security-Personal im Außenbereich und auf den Parkplätzen hatte bereits seit Stunden einige Mühe damit, ihnen wiederholt Abstands- und Benimmregeln zu erläutern. Für die uneinsichtigen Gesellen wären dann später Egi und Rudi zuständig. Die nicht zu übersehende, uniformierte Amtsgewalt sollte die Raufbolde unter den Besuchern einschüchtern. Aktuell war es aber ruhig im Foyer, die Eingangstüren waren noch verschlossen.

»Ich hab nix mitbekommen von so einem anstehenden Brückenbau in 2021«, wunderte sich auch Egi. »Die haben das bestimmt verheimlicht, damit nicht so viele Auswärtige anreisen und das Virus einschleppen. Und damit wir Einheimischen uns nicht gegen diesen Wahnsinn wehren können!«

»Da magst recht haben, Egi. Das isch doch a Witz!«, echauffierte sich Rudi. »Was tun die denn da schon wieder bauen wollen?«

»Du, Rudi, wir können jetzt nix groß was dagegen unternehmen. Denk lieber an Chefmeiers Worte: Seht zu, dass die da kein Super-Spreader-Event draus machen! Wenn die mir das Virus hier verbreiten, können wir nach diesem entbehrungsreichen Winter Oberstdorf endgültig dicht machen!«

Egi imitierte dabei treffend Chefmeiers halb fränkischen Dialekt inklusive rollendem R. Rudi erinnerte sich an die extrem emotional vorgetragenen Worte vom Chefmeier und bekam unverzüglich eine Gänsehaut. Hier durfte heute absolut nichts passieren, was einen lokalen Lockdown nach sich ziehen würde, sonst würden in der PI Oberstdorf Köpfe rollen. Und zwar die Köpfe von Egi und Rudi!

»Grüß Gott, die Herren Polizisten«, hörten die zwei plötzlich eine tiefe Männerstimme hinter sich.

Egi und Rudi warfen ihre Köpfe herum. Hinter ihnen stand der Veranstalter des Wettbewerbs, dessen Name auf einem Schildchen an seiner Brust prangte: Hartmuth Rappen. Herr Rappen war an die einen Meter neunzig groß und kräftig, er hatte ein Kreuz wie ein Bodybuilder. Rudi kam gleich in den Sinn, dass Herr Rappen seinen feinen Zwirn, einen dunkelblau schimmernden Anzug mit strahlend weißem Hemd und silberner Krawatte, in einer Herren-Boutique gekauft haben musste. Wie Egi und Rudi trug der Politiker aus Augsburg eine weiß-blau karierte Mund-Nasen-Bedeckung bedruckt mit dem Logo des Brückenbau-Wettbewerbs. Das war zu diesen Zeiten Pflicht in öffentlichen Bereichen, vor allem seit sich in jeder noch so abgelegenen Ecke diese neuen Virus-Mutanten verbreiteten.

»Grüß Sie Gott, Herr Rappen«, sagten Egi und Rudi und nickten ihm kurz zu. Seit nunmehr über einem Jahr war Händeschütteln weltweit verboten.

»Bevor wir die Pforten öffnen, sehen Sie zwei sich am besten als Erstes die Ausstellung an. Hier ist ein Plan, in dem die Ballungsbereiche mit roten Punkten markiert sind. Unsere Security übernimmt natürlich den ganzen Ablauf, schleust die Höchstzahl an Personen rein, schaut, dass sie ordentlich den Laufwegen folgen, sich nicht zu nahe kommen und leitet sie dahinten durch die Tür auf der gegenüberliegenden Seite wieder raus. Wir rechnen heut in unserer Ausstellung mit einhundert bis zweihundert Besuchern. Sie beide sorgen lediglich dafür, dass bei etwaigem Gerangel oder Streitigkeiten sinnvoll aussortiert wird und drücken den Rabauken ein deftiges Bußgeld auf! Und Sie schauen natürlich, dass dabei nichts zu Bruch geht. Verstanden? Überlegen Sie sich in Anbetracht der vorgegebenen Laufwege, wie Sie die Übeltäter am elegantesten wieder hier rausbekommen!«, meinte Herr Rappen und drückte Egi den Hallenplan in die Hand. »Ach ja, und um 17:00 Uhr wird der Gewinner gekürt, dann sind aber nur noch die Jury, die Wettbewerbsteilnehmer und die Presse hier. Sie können dann gern noch zusehen und für Ruhe sorgen, falls es laut wird. Nicht dass sich die Verlierer die Köpfe einschlagen, wenn sie die Entscheidung hören, hahaha.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, machte Herr Rappen auf dem Absatz kehrt und ging energischen Schrittes auf eine Tür mit der Aufschrift Privat zu. Hinter dieser verschwand er.

»Der isch ah mit am linka Fuaß aufgschdanda«, kommentierte Rudi im breiten Dialekt und rieb sich den Bauch, der einen durchaus beachtenswerten Umfang hatte. Rudi war dazu um die fünfzehn Zentimeter kleiner als Herr Rappen, so dass er neben ihm wirkte wie ein Gartenzwerg. Der Polizeioberwachtmeister schien froh, dass der Politiker aus Augsburg schnell wieder einen Abgang gemacht hatte.

Egi schüttelte den Kopf und faltete den Hallenplan auf, auf dem die dargebotenen Ausstellungsstücke mit Namen, Herkunftsort des Wettbewerbsteilnehmers und einer zugeordneten Nummer abgedruckt waren.

»Du, schau mal, Rudi, das gibt’s doch nicht! Da kommen sogar welche aus München, Hamburg, Köln, Berlin und Kopenhagen, um hier eine Fußgängerhängebrücke zu bauen«, meinte Egi verwundert und kratzte sich am Vollbart, der unter seiner Mund-Nasen-Bedeckung versteckt war. »Was soll das nur für eine Brücke werden?«

»Lass uns doch endlich nachsehen, die stehen dahinten ja allesamt«, schlug Rudi vor und stapfte los.

Egi folgte ihm und passierte die doppelten Glastüren, die das Foyer vom Ausstellungsraum trennten. Der Durchgang war um die vier Meter breit, in der Mitte stand eine graue Trennwand. Auf rechter wie auch auf linker Seite war ein grüner Pfeil Richtung Ausstellung auf den Boden geklebt worden. Alle anderthalb Meter war ein roter Balken aus Klebeband angebracht, der für den Fall einer Warteschlange den notwendigen Abstand zwischen den Besuchern aufzeigen sollte. Egi und Rudi betraten die Ausstellung. Breite Wege führten zwischen vereinzelt stehenden Tischen hindurch. Alles wirkte wie perfekt durchgeplant, die Laufrichtungen waren mit grünen Pfeilen auf dem Boden markiert, die Tische standen an die fünf oder sechs Meter auseinander, um jeden Tisch waren rote Quadrate aus Klebestreifen gezogen worden, in denen man sich aufhalten und mit 1,5 Metern Abstand zueinander das Modell bestaunen konnte. Egi schätzte, dass an die zwanzig Modelle in der Ausstellung standen. Sie waren ohne Ausnahme professionell gebaut worden, mit verschiedenen Landschaftszügen, an denen man jedoch nicht eindeutig erkennen konnte, wo genau in Oberstdorf die Brücke denn später einmal errichtet werden würde. Der PHK vermutete, dass die Wettbewerbsteilnehmer den Standort selbst nicht genau kannten, sondern geforderte Maße, umliegende Geländegegebenheiten und Befestigungsmöglichkeiten. Die Modelle zeigten durchweg zwei Bergkämme, die mit der Brücke verbunden wurden. Sie erinnerten Egi an eine Modelleisenbahnlandschaft.

»Da, Egi, ein Modell aus Streichhölzern, nur die roten Köpfe fehlen«, sagte Rudi mit einem Grinsen und zeigte auf eines der Modelle.

»Das soll dann wohl die Ökovariante sein«, meinte Egi und schaute es sich genauer an.

Trotz des Streichholzeindruckes wirkte es sehr schick und natürlich. Es befand sich eine tiefe Schlucht zwischen den beiden Enden der Brücke, die nicht einfach gerade von einem Bergkamm zum anderen führte, sondern einen Zickzack-Verlauf nahm, an dessen fünf Ecken sich jeweils eine runde Aussichtsplattform befand. Und das komplett aus Holz gebaut, bis auf die Befestigung: Die Konstruktion wurde von Drahtseilen gehalten, verschnürt an fünf großen Stahlpfeilern, die wiederum in der Mitte der Aussichtsplattformen standen und in das Bergmassiv hineingebaut worden waren. Fünf Hängebrücken spannten sich zwischen diesen Stahlpfeilern von einem Aussichtspunkt zum nächsten. Gar nicht schlecht, fand Egi.

»Und hier, Egi, ein Stahl-Beton-Bau. Nicht gerade der Börna«, hörte der PHK seinen Kollegen sagen und ging zu ihm hinüber. Egi musste jedes Mal lachen, wenn Rudi sich am Englischen versuchte wie hier an dem Wort Burner.

»Wer baut denn so was Klotziges? Ach, da sind ja so kleine Schildle mit Namen angebracht. Von wem ist das denn?«, fragte Egi und bückte sich. Er hatte seine neue Lesebrille nicht dabei und konnte die kleine Schrift kaum entziffern. Er kniff die Augen zusammen. »Hä … noi … hö …«

»Höchste Bau GmbH«, vervollständigte Rudi Egis Leseversuch, seine Augen waren a paar Jährle jünger als die vom Egi.

»Höchste Bau GmbH!«, entfuhr es dem PHK. »Das ist doch das Geschäft vom Konni Menzl.«

»Der scheint da wohl auch mitmischen und absahnen zu wollen«, kommentierte Rudi. »Ich wusst gar nicht, dass der auch so Dings, äh, Brückenplanung macht.«

»Hätt ich auch nicht gedacht«, meinte Egi und zog wieder den Ausstellungsplan hervor.

Dann fiel ihm jedoch ein kleiner Zettel auf, der unter dem Namensschild an Konni Menzls Modell geklemmt worden war. Der PHK zog den Zettel unter dem Schild hervor und faltete ihn auf. Rudi drehte sich um und ging weiter.

»Du wirst deinen Heiligen nicht zu sehen geben die Verwesung«, las der PHK irritiert vor.

»Was sagst, Egi? Bist wahnsinnig geworden?«, fragte Rudi schockiert. Er dachte im ersten Moment, der schaurige Vorwurf des PHKs wäre an ihn gerichtet gewesen.

»Das hing da unter Konnis Schildle«, meinte Egi perplex und zeigte Rudi den Zettel.

Rudi las die zwei Zeilen. Seine Augen weiteten sich. War das etwa eine Nachricht für den Konni Menzl? Wollte ihm jemand drohen? Und ging es dabei um den Brücken-Wettbewerb?

»Du, Egi, das tut uns nix angehen, schieb den lieber mal wieder da nei«, empfahl er seinem Vorgesetzten.

Egi tat, wie ihm geheißen. Wohl war ihm dabei nicht.

»Aber Egi, mir kommt’s schon irgendwie beka-«, überlegte Rudi und kratzte sich dabei am Hinterkopf.

»Komm, Rudi, wir können uns jetzt nicht so lang damit beschäftigen, die machen gleich auf! Wir müssen uns überlegen, wie wir die ungebetenen, pöbelnden Leut rausbugsieren können. Wie viele Türen gibt’s denn hier?«

Als Egi sich abwandte, ging Rudi zurück zu dem Tisch, zog den Zettel heimlich wieder hervor und steckte ihn sich in seine Hosentasche.

»Aber wie wollen die denn so ein Glasdings bauen?«, murmelte Rudi plötzlich, er war schon wieder einen Tisch weitergegangen.

»Rudiii! Komm jetzt!«, fuhr Egi seinen trödelnden Kollegen an und stellte sich neben ihn. Dann stockte ihm der Atem.

»Siehst?«, meinte Rudi und zeigte mit dem Finger auf einen schier unglaublichen Entwurf.

Es handelte sich um eine Hängebrücke, die von einer himmelblauen Stahlkonstruktion gehalten wurde und ansonsten komplett aus Glas bestand. Würde man über diese Brücke spazieren, würde sich einem der Eindruck des Schwebens vermitteln.

»Da würd doch keiner freiwillig drübermarschieren!«, urteilte Egi entsetzt, während er sich das Modell aus Plexiglas näher ansah und den Kopf schüttelte. »Da denkst ja, du würdest tausende Meter abstürzen, ohne was unter den Füßen zu haben!«

»Isch aber auch ein Hamburger, der das bauen will, Egi, der hat wohl kaum ein Ahnung von Hängebrücken im Allgäu!«

»Sakra, das tut nix zur Sache, Rudi, wir müssen sofort die Rauswerfwege planen!«, erinnerte sich der PHK.

»Lass mich kurz schauen, ob da auch so eine Drohung klemmt«, schlug Rudi vor, bückte sich zu dem Namensschild des Plexiglasmodells hinunter und untersuchte es. »Noi, da isch nix.«

»Los, Rudi!«

Polizeioberwachtmeister Rudi richtete sich wieder auf und schaute auf eine Pappbox, die am Ende des Raumes auf einem Pult stand. Sie hatte einen breiten Schlitz, durch den die Besucher ihren Wahlzettel einwerfen konnten.

»Mmh. Also, weißt, den Gewinner möchte ich dann schon gern um 17:00 Uhr sehen, Egi«, meinte Rudi, beugte sich über das Hamburger Modell und schaute von oben durch das Glas an den rasant abfallenden Hängen entlang ins Tal. Schon bei dem Anblick in die Miniaturtiefe wurde ihm schwindelig.

And the winner is …

»Fassen Sie mich nicht an, Sie grober Klotz!«, schimpfte eine resolute Dame Mitte dreißig, die sich gerade an dem Tisch mit der Plexiglasbrücke zwischen zwei Besucher gedrängelt und jedwede Abstandsregel missachtet hatte. Statt über trug sie ihre Maske unter der Nase und bedeckte lediglich ihren Mund. Ihr deppertes Geschwätz konnte Rudi trotz allem hervorragend verstehen. »Ich will nur noch schnell ein Foto von dieser letzten Brücke machen, dann bin ich auch schon weg, Herr Polizist. Und geimpft bin ich auch schon längst!«

Der Polizeioberwachtmeister musterte sie streng von oben bis unten. Sie war groß, schlank, blond und recht modern gekleidet. Bestimmt eine Norddeutsche.

»Haben Sie etwa alle Brückenmodelle fotografiert?«, fragte Rudi erzürnt und versuchte erneut, sie am Ärmel ihres hellgelben Kostüms von dem Tisch wegzuzerren.

»Klar, dafür bin ich doch extra hergekommen«, grummelte die Frau, riss sich von Rudi los, hob ihr Smartphone und knipste die Plexiglasbrücke samt des Nummernschildes ihres Schöpfers.

»Fotografieren ist hier verboten!«, maßregelte Rudi. »Her mit dem Handy, das ist konfe … ähm … koni … konfisziert!«

Die Frau hob ihre Hände hoch und versuchte krampfhaft, ihr Smartphone außer Reichweite von Rudi zu halten. Der stand mit seinem stattlichen Bauch vor ihr, der in diesem Falle wie ein Abstandhalter fungierte, und versuchte sich das vermaledeite Gerät von dem Weib zu schnappen. Erfolglos.

»Finger weg, sag ich!«, rief die Frau erneut. Sie trat Rudi mit Schwung vor sein Schienbein und bohrte ihm die Spitze ihrer gelben Pumps in sein Fleisch.

»Aauuuh!«, schrie Rudi mit vor Schmerz verzogenem Gesicht auf, hielt sich das Schienbein und hüpfte wild herum.

Die Frau konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, dies war trotz Maske an ihren miesen Lachfalten zu erkennen.

»Bootsche!«, beschimpfte Rudi sie.

»Liebe Besucher, die Veranstaltung endet in zehn Minuten. Alle Anwesenden, die nicht der Presse angehören, werden aufgefordert, die Ausstellungsräume jetzt zu verlassen. Bitte folgen Sie den roten Pfeilen, sie führen Sie zum Ausgang. Und halten Sie bitte Abstand beim Verlassen der Oybele Halle. Wir danken für Ihren Besuch«, war eine Ansage durch die Lautsprecher zu hören.

Die Frau nahm nun ihre Beine in die Hand und preschte mit ihrem Smartphone dem Ausgang entgegen. Die Besucher folgten brav den roten Pfeilen, machten sich auf den Weg und stellten sich in einer Reihe vor den Ausgangstüren auf. Von der anderen Seite kamen drei Frauen in Tracht und Maske mit Wettbewerbslogo herein, die mehrere Hocker in die Ausstellung trugen und je einen neben jedem der Tische aufstellten. Offensichtlich Angestellte der Oybele Halle. Eine der Mitarbeiterinnen schnappte sich die Pappbox mit den Wahlzetteln und trug sie hinaus. Rudis Augen blieben kurz an ihr hängen und er verlor die flüchtende Frau aus den Augen.

»Egiiii!«, rief Rudi seinem Kollegen hinüber, der gerade einigen Teenagern erklärte, dass sie sich hinten an der Warteschlange am Ausgang anstellen sollten und es nun zu spät sei, noch seinen Stimmzettel abzugeben, davon abgesehen, dass sie mit ihren unter achtzehn Jahren sowieso nicht wahlberechtigt wären.

Die gelb gekleidete, geimpfte Frau mit den illegalen Fotos rannte hinter dem Rücken des PHKs vorbei, schubste einige Besucher beiseite, drängelte sich bis zu den Türen hindurch, bückte sich und robbte unter einem der Drehkreuze hinaus. Die zwei Security-Mitarbeiter hatten am Ausgang alle Hände voll zu tun, um zwei Familien mit Kinderwagen durch die enge Absperrung zu bugsieren. Sie mussten dazu eines der Drehkreuze zur Seite schwenken und konnten nur zusehen, wie die Frau durch das andere Drehkreuz verschwand und davonlief. Hinter ihr stolperten zwei stattliche Mannsbilder durch das Gedrängel über ihre Füße, fielen zu Boden und lagen nun unter dem Drehkreuz.

»Scheißdregg!«, fluchte Egi. Der Ausgang war nun dermaßen verstopft, dass er nichts mehr unternehmen konnte.

Rudi lief hinkend zu ihm hinüber.

»Was hat die denn verbrochen?«, fragte Egi seinen angeschlagenen Polizeioberwachtmeister.

»Gedrängelt, Abstand nicht eingehalten, Maske falsch getragen und fotografiert«, zählte Rudi außer Atem ihre Straftaten auf und rieb sich sein malträtiertes Schienbein.

»Fotografiert?«, rief einer der Security-Männer zu ihnen herüber.

»Ja! Wollt ihr das Handy abnehmen, da isch die ausgetickt«, antwortete Rudi und deutete auf seine schwere Verletzung.

»Können wir nix mehr machen«, meinte ein anderer Security-Mitarbeiter. »Es müssen jetzt alle so schnell wie möglich naus, damit die die Siegerehrung machen können. Schaut, die kommen schon nei!«

Die zwei gestürzten Männer hatten sich mittlerweile wieder aufgerappelt, die zwei Kinderwagen rollten gerade hinaus. Nach ihnen verabschiedete sich ein großer Schwung Besucher, die Halle leerte sich. Nun war nur noch die Gruppe Teenager anwesend, die sich anstandslos durch die zwei freigeräumten Drehkreuze entfernte. Hinter ihnen wurde von der Security in Windeseile der Ausgang verriegelt. Als die zwei Männer fertig waren, wischten sie sich den Schweiß von der Stirn und stellten sich vor der Ausgangstür auf.

Aus dem Foyer trat zeitgleich eine Gruppe Journalisten ein. Sie setzten sich an der rechten Wand des Raumes auf markierte Stühle, die mit einigem Abstand zueinander aufgereiht worden waren. Dann erschienen die Wettbewerbsteilnehmer. Jeder von ihnen setzte sich mit seinem eingereichten Modell auf einen Hocker neben dem Tisch. Egi musterte die bunte Riege und musste grinsen. Sie waren allesamt kreative Visionäre aus anderen Welten, das sah man ihnen und ihrem extravaganten Kleidungsstil an, den er keiner ihm bekannten Moderichtung zuordnen konnte. Und mitten unter diesem eigenwilligen Völkchen hockte Konrad »Konni« Menzl, der in die Jahre gekommene Bauunternehmer aus Oberstdorf, der im Rentenalter immer noch nicht sein Zepter an seinen Sohn und Nachfolger abgeben wollte, und dessen Betonmischerwägen tagein tagaus zu diversen Baustellen durch die Marktgemeinde bretterten. Der PHK schüttelte den Kopf. Was wollte der Konni nur hier mit seinem plumpen Beton-Stahl-Modell?

Egi und Rudi platzierten sich an der hinteren rechten Ecke des Ausstellungsraumes nahe dem Ausgang. Von hier aus konnten sie an den Presseleuten vorbei und über die Ausstellungstische hinweg auf die kleine Bühne sehen, auf der nun die Jury Platz nahm. Diese bestand aus drei Tracht tragenden Männern, einer älteren Dame im Dirndl und Herrn Rappen in seinem feinen Zwirn. Die Gesichter konnten Egi und Rudi kaum erkennen, alle fünf trugen die weiß-blau karierte Mund-Nasen-Bedeckungen mit dem Logo des Wettbewerbs. Unter der Jury wurde einige Minuten getuschelt, Umschläge und Blätter wurden hin- und hergereicht, dann stand Herr Rappen plötzlich auf und stellte sich mittig vor die Jury.

»Liebe Anwesenden, die Oberstdorfer Bürger und Besucher unserer Ausstellung haben gewählt, und die Jury hat ebenfalls ihre Entscheidung getroffen!«

»Na, denn mal los!«, rief einer der Journalisten und klatschte gespannt in seine Hände.

»Ich kann Ihnen schon einmal sagen, dass die Auszählung der Stimmen aus dem Publikum bereits eine eindeutige Richtung offengelegt hat. Dann schauen wir mal, ob die Jury das genauso sieht.«

Egi fragte sich, ob man die Stimmzettel der Besucher in dieser kurzen Zeit hatte zählen können, es mussten an die zweihundert gewesen sein. Die kreativen Köpfe schienen nicht darüber nachzudenken, sie schauten aufgeregt zur Bühne und beobachteten jede Bewegung vom Wettbewerbsleiter Rappen. Egi konnte die Anspannung unter ihnen regelrecht spüren. Bestimmt waren ein hohes Preisgeld und ein nicht zu verachtender Prestigegewinn für den ersten Platz zu erwarten.

»And the winner is …« Herr Rappen griff nach dem Umschlag, der ihm von der Dirndl-Frau überreicht wurde, öffnete ihn umständlich und las laut vor: »Hab ich’s doch gewusst, die Meinungen des Publikums und der Jury gehen nicht weit auseinander. The winner is: Die Oberstdorfer Bauunternehmung Höchste Bau GmbH!«

Der dürre Konni Menzl erhob sich, nahm eine Siegerpose ein und deutete einen Diener in Richtung der Presse an. Verhalten wurden einige Fotos geknipst.

»Buuuuuhhhh!«, »Schiebung!«, »Betruuuug!«, hörten Egi und Rudi an der Stelle, an der man Applaus hätte erwarten sollen.

Für die Siegerfotos hatte Konni Menzl all seinen Mut zusammengenommen, nun setzte sich der knapp Siebzigjährige schnell wieder und zog den Kopf ein. Seine Konkurrenten warfen ihm hasserfüllte Blicke zu. Der PHK befürchtete, dass die Situation nun eskalierte. Er betete dafür, dass alle Beteiligten besonnen blieben.

»Nun bleibt’s mal alle schön ruhig, Leut«, rief Egi in die wütende Runde. Er hoffte, damit die Wettbewerbsteilnehmer an die Anwesenheit der polizeilichen Autorität zu erinnern.

»Ja, seid ihr denn blind?«, schrie einer der Konkurrenten ihn erbost an.

Verstehen konnte es Egi. Jeder der ausgestellten Brückenentwürfe war schöner als der Klotz vom Konni Menzl. Manche waren sogar spektakulär und innovativ. Aber gewiss war auch nach weiteren Kriterien bewertet worden. Wie so oft stellte sich die Entscheidung einer Jury auch hier in Oberstdorf als eine undurchsichtige Sache dar. Aber warum nur sollte das Publikum den hässlichen Betonklotz gewählt haben? Egi schüttelte den Kopf. Ob hier alles mit rechten Dingen zugegangen war? Einige der Teilnehmer sprangen nun auf, protestierten und gestikulierten wild. Fäuste sausten wütend durch die Luft, zum Glück blieben sie kontaktlos. Es wurde laut geschimpft und geflucht, Egi konnte in dem Stimmengewirr kaum ein Wort verstehen. Die Journalisten erhoben sich von den Stühlen und versuchten, so viel wie nur möglich von dem Spektakel in Bild und Ton aufzuzeichnen. Himmel noch einmal! Wenn sie das in wenigen Stunden im Internet veröffentlichen würden, würde der Chefmeier sich das auch ansehen können. Der PHK bekam eine Gänsehaut und vergrub sein Gesicht in den Händen. Was würde ihm nur heute noch alles bevorstehen?

Rudi hatte mitbekommen, dass sein Vorgesetzter sich Sorgen zu machen schien. Er klopfte ihm auf die Schulter und meinte: »Mach dir kein Kopf, Egi, morgen hast ja Urlaub.«

Ja, morgen war endlich Freitag, und Egi hatte einen Tag Urlaub eingereicht. Ob das von Vorteil sein würde, war ihm noch nicht ganz klar.

»Mal wieder ein Einheimischer, was?«, schrie eine Frau plötzlich.

»Da hätte man sich den ganzen Aufwand auch sparen können«, empörte sich eine Männerstimme. »Außer Spesen nix gewesen!«

»Seht euch das beschissene Modell doch mal an! Das soll der beste Entwurf sein?«, brüllte jemand.

»Wir haben, wie in der Ausschreibung angekündigt, nach ästhetischen, funktionalen und finanziellen Kriterien entschieden!«, tönte die Stimme von Herrn Rappen dröhnend von der Bühne herab.

»Klar, nach finanziellen und hauptsächlich lokalen Kriterien!«, empörte sich eine andere Frau.

»So sieht es aus«, stimmte ihr eine rau klingende Männerstimme zu.

Wer jetzt was gesagt hatte, war leider nicht eindeutig auszumachen gewesen, alle Anwesenden trugen Mund-Nase-Bedeckungen. Einige der Journalisten stellten sich nun auf ihre Stühle und begannen, die unangenehme Situation von ihrer erhöhten Position zu fotografieren und zu filmen. Eine Handvoll Wettbewerber starrte sie wütend an und rief ihnen Schimpfwörter entgegen, die Egi großzügig überhörte, sonst hätte er sie auf der Stelle verwarnen müssen.

»Leut, beruhigt euch bitte wieder. Bei so a Wettbewerb kann halt nur einer gewinnen. Wir machen jetzt mal Schluss und gehen alle besonnen und geordnet aus der Halle naus«, schlug Egi vor. Eigentlich war im Dienst Hochdeutsch angesagt, aber wenn es brenzlig wurde, versagte Egi jedes Mal.

Der lange, dünne Mann, der die Plexiglasbrücke entworfen hatte, stand nun langsam von seinem Hocker auf, drehte sich herum und trat mit voller Wucht vor eines der Hockerbeine. Das Sitzmöbel kippte um und landete scheppernd auf dem Boden. Der Architekt, der neben dem Streichholzmodell an seinem Hocker stand, zuckte vor Schreck zusammen. Dann sprang er auf einmal zu seinem Tisch, fegte seinen Entwurf mit dem Unterarm hinunter auf den Boden. Tausende kleine Holzstäbchen flogen durch den Raum. Dann rannte der kleine, gedrungene Mann brüllend zum Ausgang. Der kreative Plexiglas-Mann folgte ihm mit großen Schritten. Egi und Rudi sahen ihnen hinterher.

»Sie da mit dem Glas-Modell, Sie brauchen sich nicht zu ärgern, Sie haben ganz knapp den zweiten Platz gemacht. Und Sie mit dem Holzmodell den dritten«, rief Herr Rappen hinter den beiden her.

Plötzlich machte der Streichholz-Mann kehrt, lief zurück in den Ausstellungsraum und stieß im Ausgangsbereich mit seinem Kontrahenten, der die Glasbrücke entworfen hatte, zusammen.

»Das war Schiebung!«, brüllte der Streichholzmann der Jury entgegen. »Dagegen werde ich vorgehen, das verspreche ich Ihnen und Ihrem Beton-Designer dahinten!«

Er zeigte mit seinem zittrigen Finger auf den grauhaarigen Konni Menzl. Egi sträubten sich die Nackenhaare.

»Genau das werde ich auch tun«, stimmte der Plexiglas-Mann ein und drohte: »So schnell werden Sie uns nicht los! Wir verlangen eine zweite Stimmzählung. Und wir bleiben solange hier in Oberstdorf, bis diese Wahl aufgeklärt ist!«

Die beiden erzürnten Männer stürmten wieder hinaus. Egi und Rudi schauten ihnen zum zweiten Mal hinterher. Der PHK wischte sich mit der flachen Hand durch sein Gesicht. Er befürchtete ebenfalls, dass es bei der Zählung der Stimmzettel nicht mit rechten Dingen zugegangen sein konnte.

»Du, Egi, weißt noch, was der Rappen am Anfang geschwätzt hat? Nicht dass sich die Verlierer die Köpfe einschlagen, wenn sie die Entscheidung hören!«, flüsterte Rudi dem PHK zu.

Egi blieb das Herz stehen. Er starrte Rudi entsetzt an. Hatten die Veranstalter die PI Oberstdorf nur deshalb mit in das Sicherheitskonzept einbezogen? Damit es bei der Verkündung des Siegers nicht zu Mord und Totschlag kam? Sollte der komplette Wettbewerb tatsächlich eine Farce gewesen sein? Bestimmt hatte man, wie so oft, als öffentlicher Auftraggeber für dieses Geheimprojekt eine Ausschreibung machen müssen. In Oberstdorf hatte davon kaum jemand etwas mitbekommen. Die Ausschreibung schien nur in Großstädten bekannt gewesen zu sein. Aber der umtriebige Oberstdorfer Konni Menzl hatte teilgenommen, ein alter, erfahrener Mann, was die Baubranche anging. Hatte man den Auftrag schon vorab unter der Hand an die ortsansässige Höchste Bau GmbH vergeben? Vielleicht hatten das einige auswärtige Teilnehmer bereits im Vorfeld geahnt. Und vielleicht war der Zettel unter Konni Menzls Namensschild doch eine Drohung gewesen! Dem PHK trat erneut Angstschweiß auf die Stirn. Er fragte sich, was für den Chefmeier schlimmer sein würde, ein lokaler Lockdown oder ein bevorstehender Mord in Oberstdorf!

Ruhe vor dem Sturm

»Na, Egi, wie war denn die Wettbewerbsausstellung?«, brüllte der Chefmeier seinen zwei Polizisten entgegen, als diese vor der PI Oberstdorf einparkten.

Er wartete bereits draußen vor der Eingangstür auf sie. Seine gedrungene, rundliche Silhouette mit dem weit ausladenden Bierbauch war bereits von der Einfahrt aus vor dem PI-Eingang zu sehen gewesen. Aus Chefmeiers dunklem Haarkranz ragte eiförmig ein glänzendes Haupt hervor, das von einem beachtlichen Doppelkinn getragen wurde. Sein verzerrter Gesichtsausdruck erinnerte Egi an den eines wütenden Büffels, der erbost seine dampfende Atemluft durch die Nüstern ausstieß, vor Zorn seine Augenbrauen zusammenkniff und mit den Hufen scharrte. Bestimmt wusste der PI-Leiter längst darüber Bescheid, was soeben bei dem schlecht inszenierten Brückenwettbewerb passiert war. Der PHK erwartete ein Donnerwetter. Er fuhr zum Schutz vor Zugriffen seitens seines PI-Leiters die Autofenster hoch.

»Du, Egi, der Streifenwagen hat doch Panzerglas, gell?«, fragte Rudi zur Sicherheit.

»Red kein Scheiß, Rudi. Der wird sich schon wieder beruhigen«, hoffte Egi, zögerte aber noch, die Autotür zu öffnen.

Da die Autofenster nun geschlossen waren, hörte man nicht mehr viel von Chefmeiers Worten. Seine vor Wut geschwollenen Lippen bewegten sich jedoch unaufhörlich weiter und stießen seiner Zornesmiene nach zu urteilen üble Beschimpfungen aus. An seinem Hals hatten sich rote Flecken gebildet. Plötzlich trat Kollege Daniel Müller aus der PI hinaus und machte nicht zu deutende Gesten hinter dem Rücken vom Chefmeier. Der mittlerweile Einunddreißigjährige, der vor drei oder vier Jahren seine Polizistenprüfung abgelegt hatte, fuhr sich mit der Handkante am Hals entlang und winkte in Egis Richtung, als wollte er ihn wegschieben.

»Der Daniel meint bestimmt, wir sollen fix abhauen, Egi!«, interpretierte Rudi treffend.

»Schmarrn! Wir steigen jetzt aus. Los steh auf, Rudi!«, forderte Egi seinen Kollegen auf und öffnete die Fahrertür.

»Hätt ich mal lieber nicht euch zwei Pfeifa dahingeschickt! So eine Blamage!«, hörte er den Chefmeier unverzüglich wettern. »Wie könnt ihr euch nur immer so deppert anstellen? Wozu hab ich eigentlich einen PHK, wenn der nix auf die Reihen kriegt?«

Der Chefmeier stammte eigentlich aus Franken, hatte sich aber innerhalb der letzten zehn Jahre einen beachtlichen Allgäuer Wortschatz inklusive Dialekt angeeignet, nur hin und wieder schummelte sich noch ein fränkisch rollendes Rrrr dazwischen.

»Chef, jetzt mach mal halblang! Wir haben doch nix mit der Entscheidung von der Jury zu tun«, verteidigte sich Egi und ging schnurstracks auf den Chefmeier zu. Als er vor ihm stand, fuhr er fort: »Der Konni Menzl, der hat mit so a Schwachsinns-Modell gewonnen, das glaubst selbst nicht!«

Rudi stieg nun auch aus und gesellte sich zögerlich zu den zwei Streithähnen.

»Du, Chef, der Egi hat schon recht. Das isch ein Unding, was die da veranstaltet haben. Konnis Modell ist der reine Betonbrocken«, bestätigte Rudi die Aussage des PHKs und schaute den PI-Leiter verunsichert an.

»Das ist mir vollkommen egal!«, schimpfte der Chefmeier unbeeindruckt weiter. »Ihr hättet für Ruhe und Ordnung sorgen sollen. Stattdessen war es ein Fiasko. Ich kann nur froh sein, dass es nicht wieder zu Mord und Totschlag in Oberstdorf gekommen ist! Egi, sieh du jetzt als amtsinhabender PHK gefälligst zu, dass ab sofort Ruhe einkehrt. Ich will von diesem Beton … äh … Brücken-Wettbewerb nix mehr hören!«

»Chef, der Egi und der Rudi, die haben doch schon all-«, begann Daniel.

»Jetzt tu du dich mal da naushalten!«, fuhr der Chefmeier Daniel an. »Du hast sowieso nur noch deinen Luigi im Sinn. Los, zurück an die Telefonzentrale!«

Luigi war Daniels Lebenspartner. Er war Hundeführer der Kriminalpolizei Kempten, sie hatten sich im Dienst kennen- und lieben gelernt. Er und Luigi waren seit über einem Jahr zusammen und wollten es nun wagen, zusammenzuleben. Daniel würde dafür von Oberstdorf ins benachbarte Sonthofen ziehen. Seine Kemptener Mietwohnung gab Luigi nun auf, um gemeinsam mit Daniel in die Einliegerwohnung bei Luigis Eltern in Sonthofen einzuziehen.

Es standen dem Paar also aufgrund dieser neuen Lebensumstände turbulente Wochen bevor. Und vielleicht hatte Daniel zu viel davon in der PI erzählt. Aber es war absolut nicht so, wie der Chefmeier es ihm vorwarf, er hatte auch noch andere Gedanken im Kopf! Zum Beispiel, seine Kollegen Egi und Rudi vor Chefmeiers Hasstiraden in Schutz zu nehmen. Mit hängenden Schultern ging Daniel, wie er es seit seiner Polizistenprüfung gewohnt war, zurück zur Telefonzentrale. Der PHK beobachtet ihn dabei und fragte sich, wann man den Daniel hier endlich ernst nehmen würde.

»Jetzt fahr den Bua doch nicht immer so an«, kritisierte Egi den Chefmeier. »Der isch ein gestandener Polizist. Hast schon vergessen, wie der uns bei den letzten drei Mordfällen aus der Scheiße gerettet hat?«

»Gerettet, gerettet«, brummte der Chefmeier und machte sich auf den Weg zurück in seine PI. »Der isch doch noch grün hinter den Ohren!«

Der PHK sah ihm wütend hinterher und kramte in seiner Gesäßtasche.

»Rudi, mir ist das jetzt egal, was der meint. Auch wenn der vom Brückenwettbewerb nix mehr hören will, ich ruf den Konni Menzl an. Wir können da nicht tatenlos zusehen, wie der in sein Verderben rennt. Der soll mit seine knapp Siebzig endlich in Rente gehen und seinen Ruhestand genießen, statt ins Visier von einem Mörder zu geraten«, entschied Egi und zückte sein Smartphone.

»Was hast vor?«, wollte Rudi wissen.

»Ihn warnen. Wegen diesem Drohzettel. Warum hab ich den nur nicht mitge- Ah, grüaß di, Konni. Wie geht’s dir denn?«

Egi lauschte den Worten des Wettbewerbsgewinners. Rudi konnte aufgeregtes Gequäke aus Egis Handy vernehmen, verstand jedoch kein Wort.

»Du, das isch ganz toll, dass du den ersten Platz gemacht hast! Herzlichen Glückwunsch, das freut mich. Grad in der Halle konnt ich dir ja schlecht gratulieren, gell?«, log Egi, dachte dabei jedoch wieder von einer unterschwelligen Sorge getrieben an die Drohung auf dem Zettel. »Aber meinst nicht auch, dass da ein paar Neider unter den Wettbewerbern waren? Hast da keine Angst vor denen? Die waren schon a bissle wütend, gell? Da musst doch vorsichtig …«

Wieder Gequäke, diesmal jedoch eine Spur aufgeregter. Dennoch konnte Rudi nicht hören, was Konni sagte. Er sah Egi fragend an. Plötzlich nahm Egi das Handy vom Ohr, steckte es wieder ein und sah Rudi mit grimmiger Miene an.

»Was isch?«, fragte Rudi verwundert.

»Hat einfach aufgelegt, der Muhagl!«

Er lebe hoch!

»Zum Geburtstag viel Glück, zum Geburtstag viel Glück, zum Geburtstag, lieber Eeeegiiiii, zum Geburtstag viel Glüüüüüück!«

»Juhuuu!«

»Yeeaaaah!«

»Jooodelahihiii!«

Der Egi stand mit hochrotem Kopf auf seiner Terrasse vor dem pompös gedeckten Frühstückstisch. Sogar zwei Flaschen echter Champagner thronten darauf. Sie waren mittlerweile fast leer, man hatte bereits vor dem Essen auf den Egi angestoßen und sich sein absonderliches Outfit schöngetrunken. Als er heute Morgen aufgestanden war, hatte er sich in der Hektik wahllos etwas übergeworfen. Und während des Frühstücks hatte man sich natürlich auch noch einige Male ein Schlückle gegönnt. Seine komplette Familie stand nun vor ihm auf der Wiese vor seinem Mehrgenerationenhaus, das er gemeinsam mit seiner Frau und den Kindern, seinen Eltern und seiner Oma bewohnte, und besang seinen Jahrestag. Sogar Bruder Volker war samt Ehefrau Gitti aus Immenstadt angereist. Der Chefarzt der Gynäkologie hatte sich extra für den Geburtstag seines Bruders freigenommen. Egi wusste noch nicht, warum, ahnte jedoch Schreckliches. Der PHK kratzte sich an seinem langsam grau werdenden Vollbart. Bestimmt hatte er heute an seinem fünfzigsten Geburtstag einen Streich zu erwarten. Und Volker würde ihn in vollen Zügen genießen.

Während des opulenten Mahles war Egi ein Geschenk nach dem anderen überreicht worden. Über das eine oder andere hatte er sich sogar freuen können. Nun kam Ehefrau Elli mit einem Umschlag in der Hand zu Egi herüber, legte einen Arm um seine Schultern und drückte ihm a Bussala auf die Wange. Sein Teint legte noch einen tieferen Rotton zu.

»Ma wird zu fria alt und zu spät gscheit«, meinte Egis Vatter Joseph, der Beppi, und schüttelte den Kopf über Egis peinliche Verlegenheit. Ein gestandenes Mannsbild war für Beppi etwas anderes.

»Lass den armen Bua doch mal in Ruh!«, hielt die Liesl, Egis Mutter, ihren grantigen Ehemann zurück.

Egi rollte die Augen, nicht schon wieder diese Diskussionen. Brunhilde Huber, die Uroma Bruni (Egis Oma und Uroma seiner Kinder), hatte es da erheblich besser. Zwar waren ihre Beine schwach, ihre Zahnprothese eine Ruine und ihr Gehör kaum noch vorhanden, aber geistig war sie topfit. Gerade döste sie mit ihren stolzen siebenundneunzig Jahren im Rollstuhl neben dem Frühstückstisch. Sie war schon sehr gscheit, musste Egi wieder einmal feststellen. Sie interessierte sich nicht mehr allzu sehr für das ganze Familiengeplänkel und hatte wie so oft ihr In-Ear-Hörgerät abgeschaltet, um dieser schnelllebig und laut gewordenen neumodischen Welt mit den ganzen technischen Gerätschaften, von denen sie absolut nix mehr verstand, zu entfliehen. Auf ihre alten Tage griff sie nur noch ins Geschehen ein, wenn tatsächlich Not am Mann war.

Neben ihrem Rollstuhl hockte brav Bruno, Egis Golden Retriever, und schaute sein Herrchen treu ergeben an. Hin und wieder schnüffelte er an den vielen Paketen. Vor Egi stand ein bunt verpackter und mit Schleifen umwickelter Geschenkestapel auf dem Terrassenboden. Und für den würde er sich überschwänglich bedanken müssen. Es stand ihm also noch einiges bevor, ihm wurde beinahe schwarz vor Augen. Könnten ihn nicht wieder die Kollegen Rudi und Daniel von der PI Oberstdorf anrufen und zu dringenden Mordermittlungen herrufen? Wie damals, während dieser grässlichen Geburtstagsparty von Egis verhasster Schwiegermutter? Heute wohl leider nicht. Der PHK seufzte und ergab sich seinem Schicksal.

Dann fiel ihm wieder der Briefumschlag in der Hand seiner Ehefrau Elli auf. Darin verbarg sich vermutlich ein weiteres Geschenk, wahrscheinlich ein Gutschein. Mit Gutscheinen hatte Egi bisher keine guten Erfahrungen machen können, meist hatten sie sich als Enttäuschung entpuppt. Er hoffte inständig, dass es dieses Mal anders war.

»Mein liebes Brummerle«, meinte Elli zu ihrem Ehemann in perfektem Hochdeutsch, von dem Kosewort Brummerle mal abgesehen.

Sie stammte aus dem benachbarten Kleinwalsertal in Österreich und hatte sich als Einzige in der Familie den lokalen Sprachgebrauch abgewöhnt, als sie noch als weitgereiste Innenarchitektin für Premium-Alpenhotels gearbeitet hatte. Die Geldgeber waren zu einem großen Teil aus deutschen Großstädten oder gar aus dem Ausland gekommen. Und vor diesem elitären Publikum hatte die Elli nicht Dialekt schwätzen wollen. Aktuell wechselte sie jedoch wieder Windeln, griff ihrer heranwachsenden Tochter unter die Arme und kümmerte sich dazu noch um einen heftig pubertierenden Sohn.

»Jodalaaahihiiii!«, unterbrach der sechzehnjährige Tommi ihre Ansprache und grinste breit.

Onkel Volker, der Chef-Gynäkologe, klatschte vergnügt in die Hände. Kein gutes Zeichen. Die schienen gemeinsame Sache zu machen. Nur was?

»Mein liebes Brummerle«, wiederholte Elli. »Uns ist aufgefallen, dass dich dein Beruf als Polizeihauptkommissar in letzter Zeit schwer beutelt.«