Egi Huber ermittelt - Nicki Fleischer - E-Book

Egi Huber ermittelt E-Book

Nicki Fleischer

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  • Herausgeber: Midnight
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2020
Beschreibung

Kommisar Egi Huber ermittelt Band 1-3 in einem Bundle Vorbei ist's mit der Allgäuer Idylle! Kommissar Egi ermittelt.  Band 1: Nebelhorn Kaum ist Egi zum Polizeihauptkommissar befördert worden, ist es vorbei mit dem ruhigen Dienst. Ruck-zuck ist der Schreibtisch voll mit den kriminellen Machenschaften der Oberstdorfer. A Graus ist des! Ihm stehen die Ermittlungen schon bis zum Hals, als dann auch noch eine Leiche gefunden wird. Eine Anwohnerin des hiesigen Seniorenheims wurde von einer Gondel der Nebelhornbahn erschlagen. Kein schöner Anblick. Dann wird ihm auch noch die Kemptener Kripo auf den Hals gehetzt. Als wenn die Großsstadthanseln a Ahnung davon hätten, wie's auf dem Land zu geht. Aber Egi merkt bald, dass die Senioren im Allgäu es faustdick hinter den Ohren haben… Band 2: Breitachklamm Sakradi! Kaum hat PHK (Polizeihauptkommissar) Egi Huber seinen ersten Fall gelöst, taucht schon wieder eine Leiche im idyllischen Oberstdorf im Allgäu auf. Genauer gesagt schwimmt sie in der Breitach. Noch schlimmer: Die verhassten Kollegen der Kripo Kempten mischen sich wieder ein und der Chefmeier liegt ihm in den Ohren, den Fall schnell abzuschließen. Doch die Allgäuer sind ein eigenartiges Völkchen. Keiner scheint etwas über die Tote Annet Balder zu wissen, und wenns drauf ankommt haltens z'sammen, die Einheimischen. Da muss Egi seinen ganzen Charme und seine gewieften Kollegen alle ihre Ermittlungskünste spielen lassen. Denn von der Kemptener Kripo lässt sich der PHK nicht vorführen. Wenn schon in seinem Revier gemordet wird, will Egi denn Fall auch selbst lösen… Band 3: Klausentod Gerade Vater geworden hat PHK (Polizeihauptkommissar) Egi Huber eigentlich ganz andere Dinge im Kopf als die verbrecherischen Machenschaften im Allgäu. Und Zeit hat er für solchen Unfug sowieso nicht, es ist schließlich bald Weihnachten. Wie alle Oberstdorfer will er sich auch dieses Jahr das Klausentreiben nicht entgehen lassen. Blöd nur, dass nach dem Schabernack einer der verkleideten Männer samt Klausenkostüm tot im Brunnen liegt. Direkt vor Egis Nase! Und schon hat der PHK wider Willen nicht nur einen Mordfall, sondern auch wieder die Kripo Kempten am Hals. A Graus is des! Egi stürzt sich wie immer halbwegs motiviert in die Ermittlungen. Bald wird klar, dass sowohl Opfer als auch Täter unter den vielen verkleideten Klausen zu suchen sein müssen, aber auch, dass kein Klaus im richtigen Kostüm steckte. Egi ahnt, das wird sein härtester Fall…

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Egi Huber ermittelt

Die Autorin

Nicki Fleischer wurde in den 1970er Jahren geboren und hat in Essen und Bamberg Informatik studiert. Ihre Masterarbeit zum Thema IT-Forensik hat sie der Polizeiarbeit näher gebracht, dies war der Anstoß für ihre Romane. Heute arbeitet sie für ein Beratungsunternehmen der Umweltbranche und als Autorin. In ihrer Freizeit tanzt sie - auch auf der Bühne. Sie lebt mit ihrer Familie bei Frankfurt am Main und schreibt Allgäukrimis, Thriller und Sience-Fiction.

Das Buch

Von Nicki Fleischer sind bei Midnight erschienen:NebelhornBreitachklammKlausentodSeealpmord

Nicki Fleischer

Egi Huber ermittelt

Band 1-3

Kriminalroman

Midnight by Ullsteinmidnight.ullstein.de

Sonderausgabe bei MidnightMidnight ist ein Digitalverlag der Ullstein Buchverlage GmbH, BerlinMai 2020 (1)

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2020Umschlaggestaltung: zero-media.net, MünchenTitelabbildung: © FinePic®Autorenfoto: © privat

ISBN 978-3-95819-297-3

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Inhalt

Titelei

Die Autorin / Das Buch

Titelseite

Impressum

Nebelhorn

Prolog

Verpatzte Museumseröffnung

Zaghafte Ermittlungen

Tote Quetschkommode

Verschleierte Erkenntnisse

Mangelnde Beweise

Unerwartete Wendung

Epilog

Danksagung

Breitachklamm

Prolog

Mörderische Schlucht

Erschwerte Bedingungen

Spuren im Cyberspace

Gehirnjogging und Zumba

Kein Licht im Dunkeln

Aussagen und andere Lügen

Dem Mörder auf der Spur

Epilog

Klausentod

Klausenliste

Prolog

Mörderisches Treiben

Drunter und Drüber

Forever Kripo Kempten

Auf der Jagd

Ausgequetscht und irregeleitet

Familieninterna und andere Erkenntnisse

Wanze ade

Die Aussagen der Würmer

Die Aussagen der Jugend

Im Rathaus und daheim

In der Videokonferenz

Russisch für Anfänger

Auf keiner Spur

Auf der Pritsche (1)

Schnüffelspur zur Feuerwehr

Auf der Pritsche (2)

Zusammenhalt und andere Unannehmlichkeiten

Auf der Pritsche (3)

In der Schlinge

Unter der Pritsche

Gefangen

Epilog

Wörterbuch Russisch – Deutsch:

Dankeschön

Anhang

Leseprobe: Seealpmord

Empfehlungen

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

Nebelhorn

Nebelhorn

Ein Allgäukrimi

Diese Krimiparodie ist der Polizeiinspektion Oberstdorf gewidmet – einer ganz hervorragenden Polizeiinspektion, die absolut gar nichts mit den hier erzählten Geschehnissen zu tun hat. Die Handlung wie die Charaktere sind frei erfunden und lediglich dem Geiste der Autorin entsprungen.

Prolog

Ein bestialisches Ende würde ihr bevorstehen, wenn sie es jetzt nicht schaffte. Gundi hatte panische Angst. Sie fixierte ihr Ziel. Kaum zu erkennen im dichten Nebel, aber es sollte ihre Rettung sein. Sie musste es erreichen. Dort würde ihr jemand helfen, falls da überhaupt einer war. Hinter ihr war auf jeden Fall jemand, eine Gestalt mit lebensverkürzenden Absichten. Der Abstand zwischen ihnen schrumpfte mit jedem verdammten Schritt.

Noch fünfundzwanzig Meter.

Gundi bereute ihre Machenschaften. Sie war begehrt, bei den wilden Mändle in der luxuriösen Seniorenwohnanlage. Stark frequentierte XXL-Unterhöschen trug sie. Darauf hatten viele Zugriff gehabt, zu viele. Im Gegenzug waren die alle recht spendabel gewesen. Gundi konnte gut davon leben. Richtig verarscht hat sie die, den senilen Böcken würd’s nicht auffallen, hatte sie gedacht. Nicht nur einer von denen würde sich an ihr rächen wollen. Sie erwartete jetzt den gewaltsamen Tod. Ihre Beine konnten nicht mehr, sie wurde immer langsamer.

Noch fünfzehn Meter.

Hätte die Gundi ihre Nase mal nicht in all die Kleidungsstücke neig’steckt. Die komplette Herrenkollektion hatte die durch. Ihr konnte man jede ortsansässige Großraum-Boxershorts hinhalten, da wusste die gleich, wem die gehörte. Unzählige betrogene Eheweiber gab’s deshalb in Oberstdorf. Die hassten die Gundi, die wollten sie loswerden. Gundi schleppte sich nun die Rampe hoch, sie könnte es schaffen.

Noch zehn Meter.

In Gundis Seniorenwohnung hatte Durchgangsverkehr geherrscht. Sie hatte keine Zurückhaltung geübt, bei der Verbreitung sittenfreier G’schichten anderer Leut’. Mit ihren Im-Ohr-Hörgeräten hatte sie derbe Dorfgeheimnisse auffangen können, von Ehebruch über Betrügereien bis hin zu Rufmord reichte das Repertoire. Sie wusste mehr über die örtlichen Sündenfälle als der zum Schweigen verdammte Gemeindepfarrer. Das beunruhigte nicht nur den Beichtvater. Aber Gundi konnte die Gondel schon sehen, ihre Sicherheit war zum Greifen nah.

Noch fünf Meter.

Der Abstand zum Verfolger war nicht mehr der Rede wert. Vor ihr das Geländer, hinter ihr ein Pistolenlauf. Darin wartete ein Projektil. Würde sie nichts unternehmen, es würde in Kürze durch das Allgäuer Heilklima pfeifen. Es würde sich in ihren betagten Körper bohren und einen tödlichen Schaden im fülligen Leib anrichten. Gundi hatte aber absolut keine Ambitionen, durchlöchert in einer Kiste zu liegen. Sie wollte das Übel abwenden. Gundi atmete tief ein. Sie drehte sich um, hob ihren Krückstock. Jetzt konnte sie auch in das verzerrte Gesicht sehen – und wusste, wer es war.

Nur noch ein Meter.

Gundi holte aus.

Verpatzte Museumseröffnung

»Egi, bist ab sofort Polizeihauptkommissar«, brüllte der Chefmeier. In leiseren Tönen ging es bei dem nicht, ohne rollendes »Rrr« auch nicht. Ein verhasstes Überbleibsel seiner fränkischen Herkunft.

Er überreichte Egi ohne großes Trara sein blinkendes neues Dienstgradabzeichen, dreifach in Silber besternt. In Form einer nigelnagelneuen Uniform und der dazugehörigen Polizeimütze, die ihm sowieso nicht passte. Er sah damit aus wie eine Faschingsleiche. Egi verfügte eben nicht über den landestypischen, urbayerischen Standardschädel. Er war a Allgäuer!

Die schnörkellose Zeremonie fand in Chefmeiers Büro statt, vor der komplett versammelten Oberstdorfer Polizeitruppe. Die schmunzelte. Allen war klar, dass Egi die Beförderung nicht aufgrund besonderer Verdienste erhalten hatte. Nein, er war zum Polizeihauptkommissar (PHK) befördert worden, weil der alte Gruber in Rente gegangen war. Und weil der jüngere Huber nun der Dienstälteste in Oberstdorf war, hatte der Polizeiinspektionsleiter Erwin Bachmeier ihm kurzerhand seine Amtsbezeichnung aufgestockt. Er brauchte einen neuen PHK.

Der PI-Leiter wurde von seiner Truppe insgeheim Chefmeier genannt. Das durfte der niemals erfahren, wollte man seinen Polizeidienst nicht gefährden.

»Danke, Chef…« Der Selbsterhaltungstrieb siegte, das »…meier« schluckte Egi runter.

»Du bist jetzt direkt mir unterstellt, Egi. Darfst mich sogar vertreten«, meinte der Chefmeier und erhob dabei seinen fleischigen Zeigefinger. »Dein Aufgabengebiet erweitert sich damit selbstverständlich. Allererstes Augenmerk für dich ist umgehend: Halt mir um alles in der Welt die Kripo Kempten vom Leib! Sieh zu, dass wir nix, aber auch gar nix mit denen zu tun kriegen. Die haben da jetzt einen türkischen Kriminalhauptkommissar und eine neue Psychotante. Die will ich hier nicht sehen!«

»Aber, Chef, wie soll i das denn …«, wollte Egi protestieren. Aber der Chefmeier ließ es gar nicht erst dazu kommen.

»Schau halt, dass in Oberstdorf nix passiert, was denen ihre Anwesenheit erfordert. Musst als PHK die Kriminalität mit deine Leut’ hier im Keim ersticken, Egi«, forderte der Chefmeier.

Die Kriminalität im Keim ersticken. So a Scheiß! Wie sollte das gehen? In Oberstdorf gab es mehr Touristen als Einheimische. Die kannte der Egi doch alle gar nicht.

»Und jetzt hab ich noch deine erste offizielle Aufgabe für dich, Egi. Du wirst den lang vermissten Heiligen Kelch im neuen AllgäuerAlpenMuseum enthüllen. In zwei Wochen, am Samstag. Und zieh dabei deine neue Uniform an!« Mit diesen Worten schwebte der Chefmeier hinaus. Ohne eine Antwort abzuwarten. Er hatte Feierabend, da ging der immer pünktlich.

Egi war genervt vom theatralischen Auftritt und stürmte zum Ausgang. Er fuhr zu seinem trauten Heim. Dort wohnte er mit Frau, zwei Kindern und Hund bei seinen Eltern, auf deren ehemaligen Bauernhof in der Nähe vom Moorweiher. Die Felder hatten sie verpachtet, hochpreisig. Der Egi hatte ja aufs Verderben kein Bauer werden wollen. Uroma Brunhilde, die Bruni, wohnte da auch noch. Das war dem Alten seine Mutter, stolze fünfundneunzig Jahre alt. Zu guten, alten Zeiten war’s a notgedrungenes Aufeinanderhocken. Heutzutag a Mehrgenerationenhäusle vom Feinsten. Praktisch a Lebenseinstellung, a notgedrungene.

»Belliiiii!«, schrie Papi vom Balkon. Sein Vollbart pustete drohende Worte ins milde Allgäuer Lüftle. »Geh sofort ins Haus nei! I komm runter, und dann gibt’s an Ärger, das sag i dir.«

Durch seine Arbeit in der PI Oberstdorf war er seit Jahrzehnten angehalten, Hochdeutsch zu sprechen. Das hatte sich mittlerweile auch im Privatleben etabliert, aus den Kindern sollte schließlich auch einmal etwas werden. Wenn der Dialekt den Egi doch einmal überkam, sah’s schlecht aus. Belli fand es aber lustig, wie ihr Papi dort droben stand. So laut tobend, dass die Nachbarn ihn nicht überhören konnten und deshalb auch neugierig herüberschauten.

Der Papi hatte nur Unterhosen an. Die vergilbten, aus spröder Baumwolle, mit dem Loch vorne an den Fortpflanzungsorganen. So lehnte er sich jetzt wild gestikulierend über das fürs Oberallgäu typische Holzgeländer. Weil er sich nach getaner Gartenarbeit hatte umziehen wollen. Die Voyeure konnten nun den sechsundvierzig Jahre alten, grad zum PHK beförderten Egon Huber, den Egi, in voller Pracht bestaunen. Sie ahnten, was da los war. Seine achtjährige Tochter Annabelle, die Belli, war in Oberstdorf bekannt. Bei dem Schalk, der ihr im Nacken saß, konnte keine elterliche Sorglosigkeit aufkommen.

»Hab kei Zeit, Papi. Lass mi do in Ruh«, maulte sie auf Allgäuerisch, obwohl er ihr seit Jahren sagte, dass sie sich besser das Hochdeutsche angewöhnen sollte, wenn sie einmal in einer deutschen Großstadt studieren wollte. Seitdem sprach sie ausschließlich reinen Allgäuer Dialekt.

Egi hatte oben vom Schlafzimmer aus beobachtet, wie sie mit ihrem Tretroller geradewegs durch eines seiner neu angelegten Blumenbeete geschlittert war. Er hielt sich halt oft im Garten auf, um dem Familienleben zu entgehen. Die Pflänzle hatten allerdings keine Chance gehabt. Sämtliche Blüten waren dem kindlichen Fortbewegungsmittel zum Opfer gefallen.

Belli ließ ihr Tatwerkzeug liegen, lief durch die Terrassentür ins Wohnzimmer und fing an zu heulen. Das half immer. Ihre Mami Elisabeth Huber, die Elli, eilte herbei.

»Was ist denn, mein Schatz?« fragte sie die Übeltäterin. Elli war eine des Hochdeutschen mächtige Kleinwalsertalerin, eine nahezu ausgestorbene Spezies. Als angesehene Innenarchitektin für Luxushotels im deutschsprachigen Raum hätte sie ansonsten niemand verstanden. Egi führte sie bei jeder Gelegenheit als Paradebeispiel für Erfolg durch Dialektunterdrückung an. Seine Kinder hielten konsequent dagegen.

Da hörten sie schon Papi die Treppe heruntertrampeln. Unter Schimpftiraden verordnete er Belli eine Woche Stubenarrest.

»Das isch viel zu viel, Papi! Das sind die blöden Blumen do gar nit wert«, beschwerte sie sich. Krokodilstränen liefen über ihre geröteten Wangen.

»I bestimm hier, wie viel die wert sind. Und wennst nit a Ruh gibst, dann bekommst no a Wochen Küchendienst dazu!« Egi vergaß grad einmal, wie erfolgreich dialektfrei sprechende Allgäuer sein konnten. Er war in Rage und wollte sich als PHK nicht weiter vom Täter das Strafmaß diktieren lassen. So weit käm’s noch.

Bellis sechs Jahre älterer Bruder Tommi lag auf dem Sofa. Er schaute von seiner Teenie-Zeitschrift auf und lachte Belli schadenfroh an. Sie streckte ihm wütend ihre Zunge heraus. Dann begab sie sich auf direktem Wege in ihr Strafvollzugszimmer. Von Einsicht war jedoch keine Spur. Sie überlegte, was zu tun wäre. Es gab nur eine Möglichkeit: Sie würde sich rächen. Eine Woche würde sie Zeit haben, einen genialen Racheplan auszuhecken. Und dann würde der Papi sich aber umsehen!

Der Egi, der ahnte nix davon. Von wegen die Oberstdorfer Kriminalität im Keim ersticken, in der eigenen Familie doch nicht. Auf so eine Idee kam der gar nicht. Auch wenn sein Bruder Volker, der Lügenbaron, ihm höchst suspekt erschien. Aber den könnte er schlecht einbuchten lassen. Der übernahm den Großteil der Rechnungen für das elterliche Ex-Bauernhäusle, obwohl er schon lang ausgezogen war.

Der Egi tat das nicht, auch wenn er darin wohnte. Der war ja nicht fähig, zum Erhalt des luxuriösen Erbstücks. Er hatte als PHK jetzt zwar ein höheres Gehalt, damit frönte er aber lieber seinem süßen Leben. Im feinen, fremdfinanzierten Huber’schen Mehrgenerationenhäusle, mit neuem, eigenfinanziertem Gartengerät und einer selbst bezahlten Kiste Allgäuer Büble Bier. Liebe auf den ersten Schluck, unter’m frisch gepflanzten Hochstämmle. So nahm alles seinen Lauf, seinen niederträchtigen.

Welch Farbenpracht! Metallisches Schwarz, kräftiges Blau und Türkis angestrahlt vom gleißenden Sonnenlicht. Der schillernde Körper bewegungslos auf einem dampfenden, braunen Hügel. Selbiger gebettet ins saftig grüne Gras am weiß getünchten Zaunpfosten. Die dicke Schmeißfliege der Gattung Calliphora vicina saß gerade auf einem stattlichen Hundehaufen. Der war eben erst dort abgelegt worden.

Besser hätte es für sie nicht laufen können. Fette Beute wollte die jetzt machen. Ihre sechs Füßchen dienten als Geschmacksorgan. Sie meldeten einen äußerst nahrhaften Untergrund. Die zum Leckrüssel umgeformten Mundwerkzeuge wollten zulangen.

Aber stopp! Ein Schatten ließ sie innehalten. Etwas Knisterndes näherte sich. Sie brach ihr Vorhaben abrupt ab. Sie bangte um ihr Fliegenleben. Sie musste der Gefahr ausweichen. Ein Mensch beseitigte ihre Mahlzeit und Kinderwiege mit einer Plastiktüte. Ab damit in den Müll, dann ging der einfach. Für sie ging das aber gar nicht. Also segelte die Schmeißfliege brummend hinter ihm her. Ihm und seinem Haufenproduzenten, bis zum Auto.

Die Schmeißfliege flog mit hinein und setzte sich auf eine Semmel. Die befand sich auf dem Beifahrersitz in einer offenen Papiertüte. Auch nicht schlecht. Beim herzhaften Mahl geriet etwas Hundekot von ihren Füßchen an den deftigen Belag. Schöne Grüße an die menschlichen Verdauungsorgane!

Mensch, Hund und Fliege tingelten im Polizeifahrzeug zum AllgäuerAlpenMuseum, einem Museum, das optisch ebenso neumodisch anmutete, wie seine extravagant zusammengesetzte Mehrwortbenennung. Dort stieg der Mensch aus und nahm sich einen Bissen seiner Brotzeit-to-go. Die fette Schmeißfliege wollte nicht schon wieder aufgeben, auf gar keinen Fall. Sie blieb darauf sitzen und wurde so vom PHK in die Ausstellungsräume getragen. Schlechter hätte es für ihn kaum laufen können.

Nerven hatte es gekostet, Anfang dieses Jahres. Planung und Bau des neuen AllgäuerAlpenMuseums, a Graus! Das lag in Oberstdorf, oberhalb der Mittelstation Seealpe der Nebelhornbahn. Auf 1280 Meter Höhe, am Rande des Erlebnisweges Uff d’r Alp. Es sollten dort historische Kunstwerke, vor allem heilige Kunst und Malerei aus dem Alpenraum, ausgestellt werden. So ’n zusammengeraufter, alter Kram halt.

Der Alpenverein, aufmüpfige Bürger, Naturschützer und einige grüne Politiker waren strikt dagegen gewesen. Den Fels aufhauen? Für ein Museumsgebäude im Stil des Messner Mountain Museum Dolomites vom Reinhold? Nein, auf keinen Fall hier! Einheitlicher Konsens unter den Boykotteuren war, dass es die Natur verschandelte. So etwas brauchte man in den Allgäuer Alpen nicht.

Die neue Museumsdirektorin hatte diese Probleme ratz, fatz behoben. Mit Unterstützung überzeugter Lobbyisten aus dem Tourismussektor, gleichgesinnte Aasgeier unter sich. Regelrecht niedergeschmettert hatte sie die Unkenrufe.

»Wollt ihr die Besucherzahlen steigern? Wollt ihr, dass die ihr Geld hier in Oberstdorf ausgeben? Wollt ihr Wachstum? Oder wollt ihr die Touristen nach Österreich fahren lassen?«, hieß es. Da hatten die Gegner doch noch einmal darüber nachgedacht.

Die dominante Person hieß Ruth Birkenbacher. Sie war groß, sportlich und elegant – eher unüblich im Oberallgäu. Sie trug ihre langen brünetten Haare meist zurückgebunden und zeigte stets eine teuer bezahlte Ganzkörperbräune – auch eher ungewöhnlich im Oberallgäu. Ihre Qiekstimme passte nicht zu ihrem diktatorischen Wesen. Diese Widersprüche hatten jedoch nicht verhindern können, dass die aufbegehrende Menge sich schnell wieder verzogen hatte. Nach Österreich weiterziehen sollten die Touristen auch nicht.

Beinahe hätten die heftigen Unwetter Mitte Juni die Planungen dann doch noch über den Haufen geworfen. Der überforderte Faltenbach war schuld gewesen. Er hatte am Nebelhorn eine Schlammlawine ausgelöst. Diese betraf neben einigen Privathäusern auch den Erlebnisweg Uff d’r Alp. Das Museum war verschont geblieben, sonst wäre man es jetzt problemlos wieder losgeworden.

In der Umgebung und auf den umliegenden Wegen waren tagelange Aufräumarbeiten notwendig. Die hilfswütigen Einsatzkräfte waren kaum zu bremsen. Die Gschaftlhuber konnten aufatmen, als das Gebiet am Nebelhorn rechtzeitig zum Saisonansturm wieder begehbar war, für die drohenden Touristenmassen in alpinen Flipflops.

Der geplanten Museumseröffnung stand nichts mehr im Wege. Wenn da schon so ein Klotz stand, sollte die Nebelhorn-Ausstellung auch bestaunt werden. Das AllgäuerAlpenMuseum klebte jetzt friedlich an einem grünen Hang zwischen hohen Bäumen. Drei breite Betonstufen nebst der Barrierefreiheit dienenden Rampe führten zum gläsernen Haupteingang, im halb alpinen Gelände. Da konnte jeder rein. Nicht nur durch den Eingang, wie sich später herausstellen sollte.

Die Ausstellungsräume waren in den Berg eingelassen. Gar nicht so schlecht, so unsichtbar. Seitlich am blanken Felsen befand sich ein fünfzig Zentimeter tiefer Vorsprung, errichtet aus heimischer Weißtanne. Der bildete die Außenwand für Küche, Büros und WCs. Mit vier verspiegelten Fenstern, die die grandiose Bergwelt wie pompöse Gemälde darboten. Hätte man die Fenster besser weggelassen, dann wäre es friedlich geblieben. Aber wer konnte so etwas schon vorher wissen? Die aus silbrig blau getöntem Panzerglas bestehende, von gebürsteten Edelstahlstreben gestützte, drei Meter hohe Eingangshalle ragte schräg aus der nebelhornigen Landschaft heraus. Wie ein riesiger, verzogener, durchsichtiger Würfel. Relativ unauffällig eigentlich.

Jetzt war Freitag, der Tag vor der Museumseröffnung. Egi musste seinen Verpflichtungen nachkommen. Er fuhr am frühen Nachmittag mit seinem Golden Retriever Bruno zum AllgäuerAlpenMuseum. Belli war auch dabei. Sie hatte den PHK dazu genötigt. Sie sei nun wieder »frei«, meinte sie. Letzte Woche hatte sie nicht mitgedurft. Da hatte er sich den Museumswürfel schon einmal angesehen und sich dabei den Magen verdorben. Er verdächtigte eine Semmel, belegt mit bestem Allgäuer Kaminwurzen, die war ihm quer heruntergegangen.

Egi wollte heute das abschließende Gespräch mit der Birkenbacher wegen der Eröffnungszeremonie halten. Er sollte diesen verdammten Kelch enthüllen. Aufgrund besonderer Verdienste ehrenhalber. Jetzt also doch, offiziell nix mit Lückenbüßer. Das machte sich ja auch weniger gut in den Lokalnachrichten. So a Schmarrn!

Bruno wartete im Auto. Belli durfte mit hinein. Egi wollte sich ihr Gemeckere auf der Rückfahrt nicht anhören, wenn sie im Dienstwagen hätte ausharren müssen. Egi achtete nicht auf ihren pinken Rucksack. Zu unkonzentriert war er, seit ihn die Magen-Darm-Geschichte plagte.

»Herr Kommissar, es freut mich wirklich außerordentlich, dass Sie sich zu der Enthüllung des Heiligen Kelches bereit erklärt haben.« Gesäusel von der dialektfreien und überaus erfolgreichen Birkenbacher.

»Ja, pascht scho«, Dialektgebrumme vom Egi. Er hatte dazu so viel Lust, wie seinem Bruder Volker beim Tennis zuzusehen. Die Birkenbacher wollte seine Abneigung nicht erkennen.

»Ich zeige Ihnen den Hauptausstellungsraum, wo sich der Heilige Kelch bei der Eröffnung befinden wird«, fuhr sie fort. Egi folgte ihr mit hängendem Kopf, zu schwer die mentale Last. Belli stampfte fröhlich hinterher.

»Hier ist es. Das Podest ist noch leer. Unser wichtigstes Ausstellungsstück wird aus Sicherheitsgründen erst in einigen Stunden aufgestellt. Die beauftragte Sicherheitsfirma, die Secure Edifice GmbH, hat heute Vormittag alle Komponenten überprüft. Hier müsste es bombensicher sein«, meinte die Birkenbacher.

Egi hörte gar nicht hin. Er überlegte, wie er hier am schnellsten wieder wegkam.

Sie erläuterte ihm ihre Planung für die Enthüllung: »Ich werde morgen als Erstes die Gäste begrüßen und ein wenig über die Nebelhorn-Ausstellung erzählen. Danach gebe ich Ihnen ein Zeichen, und Sie beginnen mit Ihrer Eröffnungsrede. Dann enthüllen Sie den Heiligen Kelch. Das wird eine fantastische Sache.«

Egi schluckte. Ihm graute davor. Vor der ganzen Marktgemeinde den Dummbeutel geben, fantastisch. Er wollte sich verdrücken, um sich den Rest des Tages mit Selbstzweifeln und in der Nacht mit Albträumen herumschlagen zu können.

Er sagte: »Das isch a hervorragende Idee. Genauso machen wir das.«

Die Birkenbacher nickte zufrieden. Um ihn noch weiter zu beeindrucken, erzählte sie ihm von den getroffenen Sicherheitsvorkehrungen: »Die Kuppel über dem Podest wird mit einem Sicherheitsschloss verriegelt. Um ihn herum befinden sich Gewichtssensoren, die außerhalb der Öffnungszeiten aktiviert werden. Die schlagen Alarm, wenn sich jemand dem Podest nähert. Aber am wichtigsten ist der Infrarotsensor: Sobald das Exponat entfernt wird, wird ebenfalls ein Alarm ausgelöst. Es ist nahezu unmöglich, hier etwas zu entwenden.«

Bei diesen Worten klopfte sich die Birkenbacher selbst auf die maskuline Schulter. Ohne die Sicherheitsvorrichtung überhaupt anzusehen, dann hätte es ihr aufgehen können. Hier war es sehr wohl möglich, einiges herauszuholen. Bestimmt würden auch einige die günstigen Gegebenheiten nutzen.

Egi schaute erst recht nicht hin. Bevor er etwas erwidern konnte, fing auf einmal Belli an zu quengeln. Sie zog an seiner Hosentasche und jammerte. Sie flüsterte so leise, dass er es kaum verstand: »Papi, bitte frag die Tante do, ob i hier Pipi machen darf!«

Egi verdrehte die Augen, auch das noch. Diese Weibsbilder mussten ständig aufs Klo rennen, am besten noch in Scharen. Was sollt’s? Es musste nun mal sein.

Bei diesem Thema ging’s sogar Hochdeutsch: »Frau Birkenbacher, es ist mir äußerst unangenehm, aber darf meine Tochter Ihre Toilette benutzen?«

Die Birkenbacher überlegte kurz, dann gab sie widerwillig ihre Zustimmung. Die WCs waren bereits gereinigt und würden heute nicht mehr geprüft. Bei der Bissgurre (freches Mädchen im Allgäu) drückte sie ein Auge zu. Was sollte die schon anstellen?

Belli verschwand grinsend, mit Rucksäckle. Kurze Zeit später war sie zurück, ohne Rucksäckle. Die Birkenbacher schloss gerade die Kuppel und schwafelte etwas über die verheerende Schlammlawine, die war so knapp am Museum vorbeigestürzt. Egi war nicht von der Gattung Small Talk, er konnte sich endlich für heute aus dem Kunstsektor verabschieden.

Sie befand sich nun im Museum, die Schmeißfliege. Ihre Gier nach dem Darminhalt des Köters und den Allgäuer Kaminwurzen des PHK sollten sie ihr Leben kosten. Sie war vor wenigen Tagen in den Hauptausstellungsraum gesegelt. Jetzt umflog sie ebendiesen Mann, der schon wieder in der Ausstellung stand, knallte mit Wucht gegen die offene, hoch gestellte Glaskuppel. Sie fiel benommen auf das darunter liegende Podest. Eine gebieterische Frau mittleren Alters mit strengem Blick und ebensolcher Frisur schloss die Abdeckung. Die krachte nun erbarmungslos auf das ramponierte Fliegenhaupt. Die sechs Beine torkelten mit letzter Kraft einige Schritte weiter, schon losgelöst vom Denkapparat. Als sie ihr Leben ließ, blieb die Schmeißfliege exakt auf dem Infrarotsensor der Firma Secure Edifice GmbH liegen.

Rosi Roth war eine achtundfünfzig Jahre alte Reinigungskraft. Sie litt unter einem Sehfehler, der stark von ihrer Tagesform abhing. Sie war extrem weitsichtig und schielte. Auch die Brille mit den leicht blau getönten Glasbausteinen konnte keine Abhilfe schaffen. Sie galt als eine Schlamperte. Da Rosi Vorarbeiterin war, legte man ihr das auch noch als Faulheit aus. Das stimmte so gar nicht. Sie hatte nur einen beschränkten Blick über ihren Mikrokosmos. Der bestand aus Dreck, Schmutz, Staub und manchmal auch aus toten Insekten.

Ihr Chef hatte sie vor Kurzem befördert. Sie war charakterlich eine echte Perle, sein bestes Pferd im Stall. Ihr Hinterteil ähnelte auch beachtlich dem eines Rosses. So konnte sie alle auf Trab halten und musste selbst nicht mehr so oft den Putzlappen schwingen. Eine gute Lösung für alle. Welcher Vorarbeiter war schon arbeitswütig?

Es war noch immer Freitag. Rosi hatte am Vormittag zusammen mit ihrer Putzkolonne die Endreinigung für das AllgäuerAlpenMuseum geschafft. Fertig waren die jetzt. Aber für den Nachmittag blieb noch der zentrale Ausstellungsraum. Die Birkenbacher hatte dem Oberhaupt der Putzteufel GmbH befohlen, ihr dafür eine Vorarbeiterin an die Seite zu stellen. Auf keinen Fall sollte es jemand von dem niederen Putzgesinde sein.

Rosi hatte ab 13:00 Uhr den kompletten Raum geschrubbt. Dabei war ihr der Finn von der Sicherheitsfirma begegnet. Der durfte die gesäuberte Herrentoilette benutzen. Ohne dass diese danach noch einmal gereinigt wurde. So viel Mühe musste nicht sein. Hätte sie es lieber getan.

Nun war es 17:30 Uhr. Nervosität beherrschte die Birkenbacher. Sie hatte aus Sicherheitsgründen angeordnet, dass nur sie und die Rosi sich um diese Uhrzeit im Museum aufhalten dürften. Beide trugen Samthandschuhe, um auch ja nicht das Heiligtum zu zerkratzen. Die Birkenbacher lief los, ins Büro. Der Safe war im Nu geöffnet und der Blick frei auf den Heiligen Kelch. Aus der dunklen Wandöffnung schimmerte das pure Gold in sanften Honigtönen. Der rote Rubin auf seiner Vorderseite strahlte ihr entgegen, daneben grüne und blaue Smaragde, die sie glitzernd anfunkelten. Der bauchig geschwungene Kelch schmiegte sich wohlig in ihre Hände. Sie holte ihn andächtig heraus, lief mit dem Objekt der Begierde in die Ausstellung und drückte Rosi zögerlich das wertvollste ihrer Exponate in die Hand. Dann zog die Birkenbacher einen Handschuh ab und fingerte auf ihrem Smartphone herum. Das Podest noch einmal zu prüfen, kam ihr nicht in den überforderten Sinn.

Was sie aufgrund der Bedienung der hoch angepriesenen, aber im konkreten Fall wenig intuitiven Benutzeroberfläche der Sicherheits-App nicht bemerkte: Visuell gesehen hatte die Rosi heute keinen guten Tag. Die stellte den Kelch einige Millimeter neben den Infrarotsensor. Der war aber auch blöde angebracht worden, von einem Subunternehmen der Firma Secure Edifice GmbH. Die stellten Podeste her und bohrten auch Löcher hinein, zum Beispiel für Sensoren. Dieser Sensor war nun offiziell aus bautechnischen Gründen am hinteren äußeren Rand der Stellfläche positioniert worden – inoffiziell zur Vertuschung eines Planungsfehlers. Hätte sich der Sensor in der Mitte des Podests befunden, der Kelch stände jetzt darauf.

Rosis Sehkraft war heute dermaßen eingeschränkt, dass sie die verendete Schmeißfliege übersah. Die lag nämlich tot auf dem Sensor, neben dem Heiligen Kelch.

Die Museumsdirektorin persönlich schloss nun die Glaskuppel am Podest. Dann wurde das Sicherheitsschloss verriegelt. Die Birkenbacher steckte den Schlüssel ein. Als Letztes fiel das feine, grau glänzende Abdecktuch über die Kuppel.

Der Kelch war endlich in Sicherheit, wie die dahingeraffte Schmeißfliege auf dem Infrarotsensor. Der hätte sofort Alarm geschlagen, hätte ein Langfinger das zentrale Ausstellungsstück entfernen wollen. Jetzt aber meldete er dem Sicherheitssystem, dass sich ein unbewegtes Objekt auf dem Podest befand. Dass es nur eine Fliege war, erkannte er nicht.

Als das Putzvolk das AllgäuerAlpenMuseum verlassen hatte, wurde das Gebäude von der Birkenbacher verriegelt. Sie warf die Alarmanlage an. Am heutigen Freitag sollte niemand mehr die Ausstellung betreten. Wollen sollten es einige.

Endlich, Samstag. Atemberaubende, auf Hochglanz polierte Bergwelt. Der übel gelaunte Nebel hatte sich verzogen. Eine gnädige Freigabe der in ihren kräftigsten Farben erstrahlenden Landschaft. Jetzt wetteiferte das satte Grün der Wiesen und Wälder mit dem unendlichen Azur des Himmels. Dazwischen stach das Grau der noch gezuckerten Berggipfel empor. Unter knallgelber Sonne. Idylle hoch zehn, besser ging’s nicht.

Heute, am Tag der Museumseröffnung, war herrliches Wetter, und Egi litt unter Diarrhö (Flitzekacke). Unwohlsein war an der Tagesordnung.

Der Chefmeier hatte am Morgen wieder herumgeschwafelt, wie toll es doch wäre, würde der Egi mit Streifenwagen und PHK-Uniform zum AllgäuerAlpenMuseum fahren, um dem Ganzen eine offizielle Note zu geben. Egi fand’s total deppert. Er entsprach aber dem eindringlichen Wunsch des PI-Leiters. Der hatte ihn immerhin zum PHK ernannt, und die neue Gehaltsstufe war nicht schlecht, auch wenn Frau und Kinder sich einen Großteil davon in die Taschen stopften.

So fuhr der PHK-uniformierte Egi nun mit Polizeilackierung vor. Dem PI-Repräsentanten gelang eine gekonnte Umsetzung dieses speziellen Auftrags durch die Eroberung der direkt vor dem Museumseingang liegenden Parkbucht. Diese war kurz zuvor von einem jungen Familienvater freigegeben worden, Grund: vierjähriger Sohn mit vollen Hosen. Der musste nun schreiend nach Hause verfrachtet werden. Egis Beinkleidern drohte das gleiche Malheur, er parkte trotzdem ein.

Blank liegendes Nervenkostüm, als er in das Gebäude eintrat. Viele Menschen waren da, auch wenn die meisten gegen dieses Projekt gewesen waren. Man musste es sich zumindest einmal ansehen. Das AllgäuerAlpenMuseum aus Glas, Edelstahl und heimischen Hölzern sah schon stylisch aus.

Der Hauptausstellungsraum platzte vor Besucherandrang. Alle schauten auf das die Glaskuppel verhüllende graue Tuch. Die Konturen des Heiligen Kelches schimmerten durch den dünnen Stoff.

Natürlich waren Egis Kollegen da. Der Chefmeier fehlte jedoch unfreiwillig. Er war heute Morgen mit seinem BMW SUV (Sport Utility Vehicle, im Allgäuerischen: I hol di mit meim Traktor ab) in einen Nagel gefahren. Unmöglich für ihn, den Traktor-Reifen zu wechseln.

Dafür waren viele Bewohner der Seniorenwohnanlage Oberstdorfer Gold-Residenz gekommen, mit dem Bus, als morgendliche Kaffeefahrt sozusagen. Mehrere Dutzend langsam schleichende ältere Herrschaften, die hätten die Kapazitäten des Gondelbetriebes gesprengt. Eine erhebliche Störung des minutiös geplanten Ablaufs hätte es gegeben. Mit Krückstöcken und voluminöseren Gehhilfen eroberten die Senioren nun die vorderen Stehplätze.

Etwas abseits standen Herbert und Robert Lollinger, Robbi und Herri genannte Zwillinge, auf ihre Rollatoren gestützt. Herri war an der Seite von Berta, einer Bewohnerin der Seniorenresidenz, erschienen. Robbi daneben, mit eingehakter Gundi, einer weiteren Bewohnerin. Die Damen konnten sich nicht ausstehen. Die Herren auch nicht. Aber sie wollten unbedingt dabei sein, wenn der Heilige Kelch enthüllt wurde.

Belli stand zitternd vorne am Podest. Jemand hatte sie bestohlen. Ihr Rucksack, den sie erst gestern bei den Damentoiletten abgestellt hatte, war leer. Sie klammerte sich jetzt krampfhaft an Onkel Volkers Hand. Der wusste noch nicht, dass Bellis Vorhaben durchkreuzt worden war und damit auch sein Racheplan.

Tommi war ausnahmsweise aufmerksam. Bei dem Getue seiner kleinen Schwester musste er seine pubertätslastigen Gedanken zur Seite schieben, zu krass das Ganze. Er filmte das Spektakel mit seinem Smartphone, um es später in sozialen Netzwerken hochladen zu können, auf Gesichtsbücher und Zwitscherseiten.

Elli stand ganz stolz mit den beiden Kindern neben ihrem Mann Egi. Dem schlotterten die PHK-Knie vor der repräsentativen Aufgabe, das war alles zu viel für seinen malträtierten Magen-Darm-Trakt. Unerträglich, die Anspannung, mit der er auf das mit der Birkenbacher vereinbarte Zeichen wartete. Zum Zerreißen war’s.

Aber jetzt ging’s los, die Birkenbacher hielt ihre Eröffnungsrede. Das Gepiepse verstand der Egi gar nicht. Seine Gehörgänge nahmen nur einzelne Wortfetzen auf, im Angesicht der drohenden Blamage.

»Verehrte Alpenkunst-Freunde … erfreulich … großer Aufwand … unvergleichliche Artefakte … einzigartiger Einblick in die bewegte Vergangenheit … geschichtsträchtiges Bergleben … bemerkenswertes Oberallgäu … ich freue mich außerordentlich, mit Ihnen zusammen das neue AllgäuerAlpenMuseum in Oberstdorf hier an der Nebelhornbahn eröffnen zu dürfen!«

Es folgte tosender Applaus der von ihrer Vogelstimme irritierten Zuhörer. Stolz durfte man schon sein auf die Heimat oder auf seinen Urlaubsort. Vereinzelte Pfiffe gingen unter.

Die Birkenbacher nickte Egi zu. Jetzt war er dran. Bald hätt er’s hinter sich gebracht, dachte er. Seine Rede, ein einziges PHK-Gestottere vor dem Podest, mit starrem Blick auf den angefertigten Hilfszettel. Egi gab eine stark gekürzte Fassung zum Besten, wie in Trance oder wie nach einer Kiste Allgäuer Büble Bier im breiten Allgäuerisch.

»Liebe, äh, Bergfreunde, es isch mir, äh, eine, äh, Ehre, Ihnen die Sensation hier, ähm, zu entblösche. Alsbald können S’ sisch den lang, äh, vermissten, wunderschönen Heiligen, äh, Kelch aus dem Oberallgäu betrachten, als, äh, wäre er nie weg gewese. Bitt’ schön!«

Die amüsierten Anwesenden öffneten den Mund zum Jubel, Hände wurden zum Klatschen gehoben. Das graue Tuch war vom Egi mit purpurnem Teint zu Fall gebracht, da war der Blick frei, auf das güldene Heiligtum.

Aber: Was war denn hier los? Die Kunstfreunde erstarrten mit weit aufgerissenen Augen. Auf dem Podest stand ein Kelch. Aber was für einer? Der bestand aus braunem Holzblock, gelber Knetmasse, bunten Plastiksteinle und orangenem Kaugummi. Ein Witz war das, ein unverschämter! Ungläubiges Raunen in der Menge. Jetzt ließ die Klebekraft der zweckentfremdeten, zuckerigen Kaumasse nach. Der große, rote Stein löste sich von der offensichtlichen Kelch-Fälschung ab und fiel klirrend auf das Podest, unter der geschlossenen Sicherheitskuppel.

Die gesunde Bräune der Birkenbacher war wie weggeblasen. Belli schrie auf. Tommi blieb der Mund offen stehen. Elli überkam ein Schwindelgefühl. Onkel Volker machte Freudensprünge. Und der Egi, der wollte jetzt sofort im Boden versinken.

Ein Geräusch beherrschte den Ausstellungsraum: das Klicken der Fotoapparate. Der Redakteur der Allgäuer Zeitung konnte seine Zufriedenheit kaum verbergen. Ein Strahlen machte sich in seinem Gesicht breit. Morgen würde die Sensation in seinem Blättle zu lesen und zu sehen sein, auf der Internetpräsenz www.all-in.de schon in wenigen Minuten. Die Marktgemeinde Oberschtdorf, nein, das ganze Allgäu würde aus dem Staunen nicht mehr herauskommen.

Egi war bei seinem offiziellen Termin gescheitert, eine Riesenpeinlichkeit war das. Dazu kam der Druck in der Magengegend. Er musste seine anwesenden Kollegen einspannen, alles absperren lassen und so viele Besucher wie möglich erfassen, für spätere Befragungen. Denn eines war klar: Der Originalkelch war entweder in der Nacht oder heute Morgen vom Podest geholt worden.

Egi ließ seine Familie stehen. Er kämpfte sich durch die tobende Masse. Er bat die Museumsdirektorin, die Menschenmenge am Ausgang in Schach zu halten. Viele verschwanden trotzdem. Der Kassenwart wurde mit einem Absperrband losgeschickt. Das war noch aus Baustellenzeiten übrig geblieben. Nun diente es zur Sicherung des Ausstellungspodestes. Dem durfte sich jetzt keiner mehr nähern. Andere Museumsmitarbeiter wurden von Egi damit beauftragt, Angestelltenküche, Nebenräume und Toiletten zu sperren. Letzteres war für ihn in seiner Verfassung ein Drama. Der Darm wollte entleert werden. Aber er konnte nicht zulassen, dass dort Spuren verwischt wurden oder – noch schlimmer – die seinigen auf der Kloschüssel zu finden wären. Er hatte Respekt vor der Spurensicherung (Spusi). Die konnten da ganz schön massig werden.

Egi vermutete, dass außer den Museumsmitarbeitern niemand die hinteren Räume und Toiletten betreten hatte, da das Museum gerade erst eröffnet worden war. Alle Besucher waren direkt in die Ausstellung gestürmt. Weiter war von denen keiner vorgedrungen, der Dieb aber vermutlich schon.

Als Nächstes war die Busladung Senioren dran. Der Fahrer musste sein Gefährt erst einmal stehen lassen. Damit später die Personalien der Kaffeefahrt-Passagiere aufgenommen werden konnten. Bei denen herrschte alles andere als Langeweile. Die freuten sich über die willkommene Abwechslung, so a spannende Sachen war das. Die alten Herrschaften setzten sich brav in den Bus. Sie harrten aus und betrachteten die Geschehnisse. Das war wie eine Krimikomödie auf der ins Freilicht verdammten Bühne im Oberstdorfer Kurpark.

Vier Senioren setzten sich jedoch ab: Die Ganovenzwillinge Herri und Robbi machten sich mit ihren Rollatoren auf den Rückweg. Gefolgt von ihren weiblichen Begleitungen. Die verdrückten sich im Gedränge unbemerkt zur Nebelhornbahn. Alle richteten ihr Interesse auf das Geschehen im AllgäuerAlpenMuseum. Nur eine Person beobachtete ihr Entschwinden und speicherte sich das gleich im neuronalen Netzwerk ab, für spätere Zwecke.

Egi versuchte erfolglos, die entweichenden Besucher zurückzuhalten. Das waren einfach zu viele. Andere waren zu neugierig und entfernten sich erst recht nicht vom geschändeten Museumsgelände. Das waren aber leider die Unbrauchbaren, Wichtigtuer und Sensationsgierige. Es war ein heilloses Durcheinander, die Menschen liefen kreuz und quer, Kinder schrien. Erwachsene diskutierten diverse Varianten des Tathergangs durch. Jeder wollte etwas gesehen haben. Mitteilungsbedürftige drängten vor. Egi versuchte, Ordnung in das Treiben zu bringen. Dieses extrem dynamische System folgte allerdings in unvorhersehbarer Weise der Chaostheorie und nicht dem verloren wirkenden Exekutivorgan des Staates.

»Ja, Herrschaftszeiten, jetzt seid’s doch mal ruhig!«, schrie Egi in die Menge so hochdeutsch, wie es ihm grad möglich war. »Ich bleib hier am Ausgang, und nur diejenigen von Ihnen, die ich befragt hab, dürfen austreten.«

»Wie willst’n das allein schaffen?«, hörte man einige Rufe. »Wir wollen raus hier.«

Egi ignorierte das vertraute Du des geschwätzigen Volkes. Verzicht war zu üben, auch wenn eine Verwarnung ihm Freude bereitet hätte.

»Es ist Unterstützung hier. Die Kollegen müssen erst mal durchkommen. Bleibt’s halt ruhig, dann geht’s auch zügig!«

Egi war vollkommen überfordert. Einige zwängten sich an der schwächlichen PHK-Uniform vorbei. Sie alleine aufzuhalten, unmöglich. Denn andere drängelten sich vor, um Egi sofort über äußert wichtige Beobachtungen informieren zu können.

»Da war so a Türke, der hatte was Verdächtiges an sich.«

»Neben mir war a Kleinwüchsige gestanden. Die hatt’ a Bündel unter ihrer Jacken versteckt!«

»Ich hab die auch gesehen, die war schwanger.«

»Nein, die war nur so dick.«

»Ihr seid’s alle spinnert. Der Kaschierer war’s gewesen. Den hab i scho oft beim Antiquitätenhändler gesehe.«

»Warum warst denn du so oft beim Antiquitätenhändler?«

»I war nur davorgestande, du Depp!«

»Ich glaube, dass es die Rothaarige neben mir gewesen sein muss. Die habe ich hier schon oft auf dem Erlebnisweg gesehen. Die hat sich immer Notizen dabei gemacht.«

»Da war so ein Mann mit einer großen Tasche. Der hatte zur Tarnung drei Kinder dabei.«

»I made a video with my cell phone. You can see the face of nearly all visitors. Do you want it? For your investigations? I think it could help a lot!« Was wollte der Ami denn jetzt? Egi verstand nix davon. Bloß weg mit dem. Heftiges Kopfschütteln vom PHK.

»Neben Ihnen, Herr Kommissar, da stand einer mit so ’n Verbrechergesicht. Der war gar nicht erschrocken. Der hat sich über’n lächerlichen Kelch gefreut!«

Egi dachte bei den Worten an seinen Bruder. Den hatte das Erstaunen nicht geschüttelt. Den Lügenbaron musste er sich später unbedingt vorknöpfen.

»Ich hab zwei Opas mit Rollator gesehen. Die sahen sich sehr ähnlich und haben so gegrinst.«

Egi schrieb alles mit, notierte sich dazu Namen und Adressen der Zeugen in seine Loseblattsammlung. Er sehnte sich nach der Entledigung seines Darminhalts.

Endlich tanzten seine Kollegen Rudi und Beate an. Egi hatte ihnen Spitznamen gegeben: Rudi, das Enggestirn, war mit einer extrem engstirnigen Verhaltensstörung gesegnet. Beate, der Hinkefuß, war vor zwei Jahren angeschossen worden. Sie humpelte seitdem größtenteils im Innendienst herum. Die beiden hatten für die paar Meter genauso lang gebraucht wie die grad eintreffende Unterstützung aus dem Tal. Lächerlich, selbst mit Hinkefuß.

Die zwei Streifenwagen mit je zwei Beamten und ein Polizeitransporter mit mehreren Leuten von der Spusi parkten ein. Männer in weißen Ganzkörperanzügen holten jetzt ihre Ausrüstung aus dem Kofferraum und zwängten sich damit durch zum Tatort.

»Was isch denn hier los? Hascht’n Kelch selbscht g‘baschtelt?«, fragte Rudi spöttisch. Der konnte nicht wissen, wie nah er damit an der Wahrheit lag. Aber das Enggestirn wusste ja generell nicht viel.

»Hast abba trotzdem ’ne geile Rede gehaltn, Egi. Nä, waa dat schön. Passt abba nich so gut zum Ausstellungsstück«, witzelte Beate ruhrpöttlerisch. Der steile Zahn kam aus Essen. Die Kollegen hatten die Ansage vom Chefmeier, im Dienst Hochdeutsch zu sprechen, noch nicht verinnerlicht.

Egi kochte: »Jetzt lascht mi in Ruh mit eurem depperten Geratsche! Kümmert euch um die Leut’. Nehmt alle Personalien auf. Befragt sie. I muss los zum Chefmeier.« Die persönliche Darlegung des Falls vor dem PI-Leiter stand an. Sakra! Da ging dem Egi der Arsch auf Grundeis.

»Und schreibt alles schön sorgfältig mit!« Egi wandte sich zum Gehen. Aber da war noch etwas. »Da drüben, da steht a Bus mit einigen Fahrgästen älteren Semesters. Die müsst ihr auch noch abfertigen.«

Genervtes Angestarre von Rudi und Beate. Der Egi meinte das ernst. Rudi zog sowieso immer a Fressen, wenn er den Egi sah. Er war neun Jahre älter und schon viel länger Polizist. Aber das zählte beim Chefmeier nicht. Das Enggestirn hatte zu viele seiner Dienstjahre in Lindau abgesessen, bevor er nach Oberstdorf versetzt worden war, der Sesselpupser. Also war der Egi nun PHK, der waschechte Oberschtdorfer.

Plötzlich schrie aus der Menschenmenge einer der bereits befragten Schlaumeier: »Da isch der Türke!«

Er zeigte auf einen dunkelhaarigen Mitarbeiter der Spusi. Egi schüttelte den Kopf. Jetzt schnell in den Streifenwagen und weg. Gut, dass der direkt vor der Museumstür stand. Der PHK fuhr mit Blaulicht zur PI am Bahnhof. Egi musste dringend in den Sanitärbereich, Gefahr in Verzug.

Als er in seiner Arbeitsstätte ankam, hatte es sich bereits herumgesprochen. Er hatte bei seinem verhunzten Auftritt ein Witzobjekt enthüllt. Die gesamte Mannschaft stand in den Fluren. Mit Absicht: abfangen, ausquetschen, nötigen.

Egi war da die beschissene Uniform besonders peinlich, in dieser verkappten Situation. Hätte er doch bloß nicht auf den blöden Chefmeier gehört. Es half nur eins: In geduckter Haltung fix vorbei an den Ketzern. Die sprachen den schweißgebadeten Deppen im Endspurt trotzdem rücksichtslos an. Ein endloses Labyrinth der Grausamkeiten war’s.

»Egi, du Kunschtbanause.«

»Servus, Baschtelkönig.«

»Griaß Gott, Kollege. Hascht dei neues Gewerbe auch angemeldet?«

»Kann i bei dir Bügelperlen kaufen?«

Problemlösung: Wortloser Sprint zum WC, rein in die Kabine, Hintern freigelegt und druff uffs Töpfle. Ordentliche Geräuschkulisse und Geruchsorgie – herrlich!

»Und, Egi, bischt erleichtert?«, kam’s von der Kabine nebenan, dialektfrei schien hier niemand außer Egi zu sprechen.

Erleichtert? Von wegen! Geschafft war hier noch lange nix. Jetzt waren sich erst einmal Gedanken zu machen, wie man die Kripo Kempten da heraushalten konnte aus dem Kapitalverbrechen. Dann ab zum Chefmeier. Der hatte im Kofferraum seines BMW SUV keinen Wagenheber ausfindig machen können. Gab’s ja auch nicht, dafür brauchte man einen Kran. Da hatte der sich vom weibischen Daniel per Streifenwagen herchauffieren lassen. Chefmeiers Frau konnte ja den feschen Burschen vom ADAC beim Traktor-Reifenwechsel bestaunen. Knackige Rückansicht, in Gelb. Der Chefmeier saß stattdessen mit’n Paradearsch am Schreibtisch, in Schwarz. Seine Wurstfinger trommelten auf die Platte. Die bog sich schon. Er wartete auf den neuen PHK. Der klopfte endlich an seine Tür. Die Höhle des Löwen riss gierig ihr Maul auf. Die wollte den Egi unter abscheulichen Qualen verschlingen. A Kreuz war’s mit’m neuen Dienstgrad!

Am frühen Samstagnachmittag befanden sich nur noch Spusi und Polizeibeamte am Tatort. Sie arbeiteten wieder unter der Leitung vom Egi, dem neuen PHK. Der Chefmeier hatte ihn ordentlich abgewatscht. Egi musste jetzt den Fall lösen, und zwar ganz fix. Am besten, bevor die Kripo Kempten Wind davon bekam. Der Kelch war ja ein Vermögen wert. Da würden die sich bestimmt einmischen.

Also war der Egi gleich zum AllgäuerAlpenMuseum zurückgeschickt worden. Das nahm man nun komplett auseinander, um den Tathergang rekonstruieren und wichtige Beweise sichern zu können. Dann noch penible Sammlung von Fingerabdrücken und DNA-Spuren am Ort des Verbrechens und Überprüfung der Sicherheitstechnik sowie Suche nach weiteren verdächtigen Objekten.

Beate versorgte alle mit Kaffee, ihre Hauptaufgabe. Da kam plötzlich eine mächtige Gestalt um die Ecke, Kollege Hugo Hasenkamp, bekannt als »der Knacker«. Er wurde vom Lorenz, dem Chef der Spusi, gerne zur Überprüfung der Sicherheitseinrichtungen eingesetzt. Der Knacker hatte eine rundliche Figur und flinke, dicke Finger. Er überbrachte Egis Team in regelmäßigen Abständen neue Hiobsbotschaften über den Stand der Dinge.

»Egi, glaub mir, das Sicherheitskonzept, das hätten die sich auch sparen können. Keine Ahnung, was das verhindern sollte. Das unbefugte Eindringen ins Museum auf jeden Fall nicht. Ich kann dir die Defekte noch mal aufzählen.«

»Lass gut sein, Knacker.« Egis Hirnkapazität reichte gar nicht aus für die ganze Informationsflut.

»Die Spusi hat einiges zu tun. Unmengen an Fingerabdrücken, Haaren und Hautschuppen müssen die jetzt sammeln. Bei der Besucherzahl war’s nicht anders zu erwarten. Der Dieb hat’s wirklich gut abgepasst.«

Ein intelligenter Langfinger, Egi war begeistert. Ob man den jemals kriegen würde?

Dann empfahl der Knacker noch, die Log-Daten des Sicherheitssystems auslesen zu lassen.

»Lockdate, wasch soll des sei?«, fragte Rudi engstirnig.

Der Knacker erklärte: »Das Sicherheitssystem protokolliert unter anderem alle Vorgänge, Zugriffe und Anmeldungen. Ihr könnt so zum Beispiel herausfinden, wer sich wann eingewählt und was er an Änderungen eingegeben hat. Ihr könnt auch sehen, ob ein Alarm ausgelöst wurde oder wann die Alarmanlage ein- beziehungsweise ausgeschaltet wurde.«

An so etwas hatte Egi gar nicht gedacht, er war ja auch noch nicht lange PHK. Bestimmt brachte sie das weiter. Er orderte gleich eine Horde von internen Polizei-Hackern zu sich. Immer mehr Einsatzkräfte, eine tolle Sache war das. Die nahmen ihm die Arbeit ab, von der er gar keine Ahnung hatte.

Die Polizei-Hacker rückten mit allerlei Gerätschaften an: Notebooks, externe Festplatten, USB-Sticks, Kabelstränge und undefinierbare Kisten mit bunt leuchtenden Lämple. Egi begleitete sie mit Ehrfurcht in den fensterlosen Technikraum. Der war mit einer elektronischen Zutrittskontrolle ausgestattet. Die Hacker hatten von der Birkenbacher den Zugangscode erhalten, traten ein und wussten gleich, was zu tun war. Dort standen verkabelte Boxen, Geräte und ein Mini-PC, der für die Alarmmeldungen über Internet mit einer Notrufzentrale verbunden war. Eine Kooperation mit der Secure Edifice GmbH, wie die Museumsdirektorin erklärte.

Der Oberhacker telefonierte mit der lächerlich benannten Sicherheitsfirma in Stuttgart, der Hauptstadt vom Ländle. Er erhielt nach kurzer Diskussion alle Passwörter zur Authentifizierung in jeglichen Systemkomponenten. Ein in dieser Situation angebrachter Verstoß gegen jegliche datenschutzrechtliche Errungenschaften. Zufrieden konnte nun angeschlossen, verkabelt, hochgefahren, ausgelesen und ausgewertet werden. Beeindruckt verließ Egi die ehemaligen Kellerkinder.

Unterdessen erschien der Knacker wieder auf der Bildfläche. Der hatte seine Erkenntnisse fein säuberlich in ein Dokument auf seinem mobilen Endgerät eingetippt. Er reichte Egi seinen Tablett-PC mit einer Auflistung der fehlerhaften Sicherheitsmechanismen und einen Papierbogen mit einer Skizze der aufgestellten Geräte. Hier wurden moderne elektronische Erfassungsmethoden mit altbackenen Kritzeleien kombiniert. Duale Vorgehensweise im Oberallgäu.

»Egi, das Küchenfenster wurde ausgehebelt. Da ist einer eingestiegen. Ich schätze, das war euer Dieb. Er hat das Fenster wieder angelehnt und in den Rahmen gedrückt. Wenn man nicht genau hinsieht, bemerkt man es nicht. Ist niemandem aufgefallen.«

»Prima, da war i nit der einzige Depp hier«, bemerkte Egi. »Schau di weiter um, wir dürfen hier nichts übersehen.«

So ein unüberschaubares Chaos. Alle hatten sich auf die Sicherheitstechnik verlassen, ein großer Fehler.

Der Knacker knackte einen Museumsschrank. Darin stand noch so ein Kelch. Das war ja wie eine Plage. Ein Spusi-Kollege meinte, abplatzendes Blattgold entdeckt zu haben, wahrscheinlich eine weitere Kopie. Die Situation wurde damit um einiges konfuser. Kleine Kelchkopien kreisten um Egis zermartertes Köpfle. Später wurde der passende Schlüssel für das Schrankfach auf dem Fußboden gefunden. Den hatte jemand im Getümmel unter den Schrank gekickt.

Egi erlangte eine Erkenntnis, nämlich dass die Lösung des Falles nicht einfach werden würde. Dazu war es sein erster Fall als PHK. Er hatte es verbockt und musste die Sache nun ausbaden. Hätte er den Posten doch gar nicht erst angenommen.

Er bat den Knacker, ihm die endlose Mängelliste per E-Mail zuzusenden, dann fuhr er heim. Er musste sich mit der verdächtig erscheinenden Familie unterhalten, und zwar ernsthaft.

Als Egi daheim ankam, parkte er seinen Dienstwagen in der Einfahrt. Tarnung war angesagt. Er schlich sich in geduckter Haltung ins Häusle. Ja niemandem von den Nachbarn begegnen. Sie hätten ihn oder den Streifenwagen sehen und aus ihren Haustüren hechten können, zur direkten Klärung einiger gerüchteweise aufgekommener Unklarheiten bezüglich der Museumseröffnung. Nach Geratsche war ihm aber gar nicht, also schnell rein.

In der Diele zog er Jacke und Schuhe aus, schlüpfte in seine Hausschuhe und ging ins Wohnzimmer. Dort sah er Belli heulend zwischen Elli und Onkel Volker auf dem Diskussionssofa sitzen. Ein rotes Sitzmöbel zum familieninternen Austausch voneinander abweichender Meinungen. Stark frequentiert war das Teil.

Die beiden Erwachsenen hielten Bellis Patschehändle, Verbrecherhände waren das. Tommis Miene verriet wenig Traurigkeit. Egis Bruder Volker thronte da wie ein selbstgefälliger Richter. Er hatte sein Urteil vor der Anhörung aller Zeugen gefällt. Das machte Egi wütend, ja rasend, das war schließlich sein Platz.

Onkel Volker ergriff gleich das Wort, während seines Medizinstudiums in Heidelberg hatte er sich perfektes Hochdeutsch angeeignet: »Die kleine Belli hat sich mir anvertraut, Egi. Du bist durch deinen Beruf so angespannt, dass sie Trost bei mir gesucht hat.«

Egi überlegte, die Dienstwaffe herauszuholen und dem Lügenbaron in die Kolbennase zu stecken.

Volker hatte Belli, Tommi und Elli mit seinem Auto heimgefahren. Belli hatte während der Fahrt alles gebeichtet. Dabei hatte sich der liebe Onkel schön in Szene gesetzt, von wegen Trost und so. Egi war nun dummerweise der Letzte, der die haarsträubende Geschichte zu hören bekam.

»Du hältst di ab sofort da raus, Brüderle. Sonscht knallt’s!« Beherrschung, Egi, Beherrschung! Richtung Belli sprach er: »Mein süßer Schatz, erzähle mir genau, was passiert isch. Das isch jetza sehr wichtig. Denn um den Fall muss si die Polizei kümmern. Es handelt si um ein Verbrechen. Der Schuldige musch gefunde und bestraft werde. Kapiert?!«

Belli schluchzte, keine Krokodilstränen heute, ganz und gar nicht.

»Papi, i wollt dir do nur einen Streich spiele und den doofen Knetmasse-Kelch in das Bild für die Zeitung halte. Weil doch Onkel Volker letztesch Jahr auch so blöd auf seinem Zeitungsbild aussah.«

Aha, der Onkel Volker. Der hatte wirklich doof ausgesehen letztes Jahr, nicht nur da.

»Mehr wollt i wirklich nit machen. I war so sauer über den Stubenarrest. Da hab i den Kelch gebaschtelt, auf der Museumstoilette versteckt, um ihn kurz vor der Enthüllung dort abzuhole. Hättest du ihn auf der Hinfahrt im Auto gesehen, hättest du ihn mir bestimmt weggenomme. Aber dann, als i heute Morgen zu den Toiletten bin, konnt i den nimmer finde. Den hat mir jemand aus meinem Rucksäckle gestohle!«, sprudelte es aus Belli heraus.

»Du hascht ihn also gestern in deinem Rucksäckle auf dem Damen-WC stehe lasse?«, fragte Egi nach. Ihm fiel die Sache mit der Toilette wieder ein. Seine Unachtsamkeit war direkt bestraft worden, in Form eines kleinen Monsters, sein eigen Fleisch und Blut.

»Ja, Papi, genauso war’s. Muss i jetza ins Gefängnis?«

»Klar«, meinte Egi mit finsterer Miene.

Elli nahm sie sofort in den Arm, von wegen Bestrafung.

»Hör nicht auf den Quatsch!« Die Ehefrau sah Egi strafend an. »Nein, mein Schatz, das musst du nicht. Der Papi wird rausfinden, wer das gemacht hat. Derjenige muss dann ins Gefängnis. Der hat nämlich den Originalkelch gestohlen.«

»Da sind wir uns ja wohl alle einig, dass die Belli bestimmt nicht den Heiligen Kelch gestohlen hat, Egi«, witzelte Onkel Volker. Gut, dass der Lügenbaron das klarstellte.

»Halt di da raus, Volker. Tommi, du hast do alles mit’n Handy gefilmt. Das wird jetzt konfisziert! Her damit!«, forderte Egi.

»Warum das denn? Hab do nur den Podest und die puckelige Verwandtschaft drauf!«

»Zeigen!«, befahl Egi.

Tommi kramte sein Smartphone aus der Gesäßtasche und startete den Videofilm. Alle drängten sich um das Display. Da war ja wirklich kaum etwas zu erkennen. Meist waren auch noch die Köpfe abgeschnitten. Das konnte Egi nicht in der PI Oberstdorf vorführen. Er setzte sich niedergeschlagen.

»Kannst ’n wieder wegpacke, Tommi«, urteilte der PHK.

»Egi, du kannst doch auch nicht von deinem halbwüchsigen Sohn erwarten …«, fing der Lügenbaron an zu bemängeln.

»Mit dir, Onkel Volker, muss i sowieso reden. Nein, genauer g’sagt, verhöre muss i di«, meinte Egi gereizt. Der Dialekt ließ sich nicht vermeiden, dem Volker stand da abrupt ein Schreckensgesicht auf der Frontseite.

Tommi verkündete überraschend: »Das wird scho wieder. Wir werden dir alle helfe, kleines Schwesterle.«

Ja, waren denn hier alle verrückt? Die Täterin war längst überführt, die sollte gefälligst den Originalkelch rausrücken. Der PHK musste durchgreifen.

»Belli, du wirscht die Geschichten bei der Polizei wiederhole müsse. Am beschten denkst no mal genau nach, versuchst di an jede Kleinigkeit zu erinnern und merkst dir alle Einzelheite. Vor allem das mit’n Onkel Volker. Dann schauen wir mal, wer den Heiligen Kelch gestohle hat.«

Dem Lügenbaron fiel die Kinnlade runter. Belli nickte ängstlich. Elli warf Egi vorwurfsvolle Blicke zu. Tommi grinste verstohlen. Egi lehte sich zurück und kratzte sich zufrieden am Allgäuer-Büble-Bier-Bauch.

Am Samstagabend sah die familiäre Situation verdammt angespannt aus. Der Lügenbaron hatte fluchtartig das Häusle verlassen. Er hatte ja seinen Palast in Immenstadt, der Prof. Dr. Huber. Damit er dort schneller zur Klinik kam, bei Notfällen, Tag und Nacht, der feine Herr Chefarzt.

Elli wollte nun gute Laune machen, also ab in die Traube. Die Traube, das ist ein Hotel mit urigem Restaurant in der Hauptstraße 6 in Oberstdorf. Zur Stimmungshebung geeignet, die war angesichts der niederschmetternden Tatsachen dringend nötig.

Wettervorhersage: Am Abend trocken und erträglich warm. Also ging’s in den Biergarten, den hüttigen. Highlights: fantastische Küche mit Rezepten aus Omi Scheuerls Kochbuch plus legendäres Unterhaltungsprogramm des Juniorchefs Seppi. Der stammte wie Elli aus dem Kleinwalsertal. Nicht erwähnenswerte Gegend, aber trotzdem vorhanden. Mit bayerischer Livemusik und Blödeleien trieb Seppi den Gästen Tränen in die Augen. Heute trat er zusammen mit Kurti auf. Der war Bürgermeister, und zwar von drei Mini-Dörfle irgendwo. Auch nicht erwähnenswert, aber ungewöhnlich.

Die Instrumente, Akkordeon und Kontrabass, wurden zwischendurch fröhlich getauscht. Erfreuen konnte man Seppi und Kurti damit, ihnen als Aufmerksamkeit ein Weizenbier zu spendieren. Dann kamen sie zum Tisch der edlen Spender und musizierten dort beherzt weiter. Jeder in Oberstdorf kennt die Sitte und vor allem dieses Restaurant. Eine Institution, ein Muss!

Egi beobachtete das Treiben dennoch skeptisch. Die Stimmung durfte nicht zu gut werden. Familieninterne Täter mussten büßen. Das war ja hier eher eine Gaudi, völlig fehl am Platz für die aktuelle Huber’sche Lage. Egi war strikt dagegen gewesen, aber was machte man schon, wenn das Weib mit dem Kochlöffel hinter einem stand? Genau, schnell »Ja!« sagen, wie vor’m Traualtar.

Egi versuchte äußerst geschäftig an seinem Oberstdorfer Schlemmerteller zu agieren, Devise: Kopfeinzug. Seppi und Kurti sollten dahinten bleiben. Aber die Tarnung flog auf. Belli und Tommi kreischten vor Vergnügen, als Seppi alle Gäste zum Jodeln aufforderte. Beim zur Allgäu-Hymne abgewandelten Kufsteinlied, dem wohl bekanntesten volkstümlichen Lied aus Tirol. Dieses wurde von zig Alpenregionen als ihr Hit in Anspruch genommen. Kufstein war überall, in den Alpen.

»Nun jodeln alle Männer!«, rief Seppi.

Die meisten folgten seiner Anweisung. Tommis Jodeln klang wie eine verstimmte Geige, Stimmbruch. Egi blieb als strafendes Familienoberhaupt stumm, wie die schweigsamen, nicht jodelfesten norddeutschen Touristen.

»Jetzt jodeln alle Frauen!«, hieß es nach dem Gejaule.

Lautes Geschmettere von Elli, Belli und zig anderen Damen.

Plötzlich schrie Seppi: »Jetzt will ich alle Jungfrauen jodeln hören!«

Instrumentalmusik, niemand erhob seine Stimme,trotz der anwesenden Teenies. Belli hätte als Einzige jodeln dürfen, aber ihr sagte der von Seppi verwendete Begriff nichts.

»Mami, was isch denn a Jungfrau?«, fragte sie mit erhobenem Stimmle, um die Instrumentalmusik zu übertönen.

Da hätte sich der Papi am liebsten in Luft aufgelöst. Schallendes Gelächter, für die anderen war’s a Brüller. Elli bestellte Enzian für Seppi und Kurti, aus Dank für die Fröhlichkeit hier.

»Elli, was soll denn das? Bischt verrückt g’worde?«, raunte Egi. Der wollte lieber unerkannt bleiben.

»Aber das ist doch ein toller Spaß! Jetzt sei doch nicht so, Brummele«, erwiderte sie fröhlich. Das Brummele musste mit ansehen, wie sie die zwei Kerle mit den Instrumenten anlächelte und nicht das Brummele. Entgeistert sah Egi die zwei auch noch an ihren Tisch treten.

Kurti brüllte: »Der Seppi ist der Schönste hier, von Fuß bis Hals!«

Nun ja, von Nahem betrachtet, der Kopf ging auch. Mit dem Akkordeon imitierte Kurti eine Polizeisirene. Jubel! Egi haute das die rote Farbe ins Gesicht. Mussten die jetzt mit dem Zaunpfahl winken, zum PHK?

Der Enzian war von Seppi und Kurti schnell hinuntergekippt. Dieser alpenländischen Spirituose werden unerklärliche Heilwirkungen zugeschrieben. Die kamen bei den beiden Entertainern auch unverzüglich zur Wirkung. Voller Euphorie tauschten sie die Instrumente, gaben ein Lied nach dem anderen zum Besten. Dann lehnte Seppi plötzlich den Kontrabass an Egis Tisch, stellte sich akrobatisch mit einem Bein auf die obere Wölbung des Rieseninstrumentes. Er hob das andere Bein hoch in die Luft, zupfte dabei die Saiten und trällerte zusammen mit Kurti am Akkordeon weiter. Nicht zu fassen. Egi verkroch sich unter den Tisch.

»Wenige Stunden nach der verpatzten Eröffnung des AllgäuerAlpenMuseums: PHK-Frischling Huber von der PI Oberstdorf begafft Kleinwalsertaler auf Kontrabass!« Hoffentlich war keiner von der Zeitung hier. Das nächste peinliche Zeitungsfoto. Bloß nicht!

Egi war erleichtert, als vom nächsten Tisch alkoholische Getränke für die Musiker bestellt wurden. Da verschwanden die gleich. Egi verlangte die Rechnung, dann schnell weg mit dem Familienanhang.

Aber: Ziel erreicht. Egi dachte an diesem Abend nicht einmal an die verpatzte Museumseröffnung. Allerdings hatte er einen sehr unruhigen Schlaf. Träume von auf riesigen Instrumenten umherschwebenden und Enzian schlürfenden Musikern in weißen Engelsgewändern quälten ihn. Bedrohlich waren die!

Zaghafte Ermittlungen

Am nächsten Tag, einem Sonntag, saß Egi notgedrungen an seinem Schreibtisch in der PI Oberstdorf. Fallbesprechung war angesagt. Die Erholung von Egis Darmflora ließ auf sich warten, zu viel Stress.

Er plagte sich mit Gedanken, völlig absurden Gedanken. Aber in diesem Fall war nichts normal, da musste man abwägen. Einerseits: Bellis Spuren am Knetmasse-Kelch waren polizeilich unbekannt, kein bestehender Verdacht, einfach schweigen, verlockend. Andererseits: äußerst gewagte Vorgehensweise, wenn das im Nachhinein aufflöge, undenkbar das bei seinem ersten Fall als PHK, eine Katastrophe, Karriere abrupt beendet. Verdammte Probleme. Wär er doch Musiker geworden, dann würden ihm jetzt andere den Enzian und das Allgäuer Büble Bier bezahlen.

Hinzu kam, dass Egi sowieso miese Laune hatte. Der Alte, der Vatter Huber, der Bauer, hatte ihn ausgelacht. Beförderung zum PHK, und sofort wurde die kleine Tochter kriminell. Das brauchte keiner in solch prekärer Situation.

Gedanken weggewischt, und jetzt Konzentration. Egi sah auf die Liste der bisherigen Beweise. Da war zum einen die Schmeißfliege, oder besser »Scheißfliege«. Ohne sie wäre das ganze Theater nicht möglich gewesen, vernachlässigte man die Tragödie um das verkappte Sicherheitskonzept der Firma Secure Edifice GmbH. Dann gab es noch Kopfhaare, die auf dem Podest gefunden worden waren. Dazu kam die Kopie des Kelches im Museumsschrank und der Knetmasse-Kelch von Belli, der Bastelprinzessin. Eine meterlange Liste enthielt die Mängel des Sicherheitssystems. Ein Packen unzähliger hanebüchener Aussagen der Museumsbesucher lag daneben. Das war alles kaum durchzuarbeiten.

Und noch ein riesiges Problem: Der Chefmeier machte Egi die Hölle heiß. Das war ein Ding der Unmöglichkeit, was der Egi da als Repräsentant der PI Oberstdorf fabriziert hatte. Und der Chefmeier wusste noch gar nicht, dass Belli in die Sache verstrickt war. Sakra! Wenn Belli verhört werden würde, hätten die Kollegen Einblicke ins Huber’sche Familienleben. Das ganze Dorf würde ratschen, geschwätzige Touristen würden die Geschichte außerhalb herumposaunen. Dann besser alles unter den Tisch gekehrt! Oder doch …

A Knall wie eine Atombombe, Rudi trat ein. Egi schoss hoch wie ein aufgeschrecktes Huhn, als könnte man die schändlichen Gedanken auf der PHK-Stirn lesen.

»Egi, sind jetza alle da«, meinte der Rudi. »Isch wasch?«

»Nein!«

Egi packte mit Puls 180 die beiden Listen unter den hängenden Arm und humpelte mitgenommen rüber. Dort saß der Chefmeier, mit deutlicher Temperaturerhöhung. Der sah aus wie ein Pitbull mit gefletschten Zähnen und Nasenpolypen. Wahrscheinlich lag es an den Personen hier im Raum. Nicht Egi, Rudi und Beate. Nein, da standen auch noch ein schöner Türke und eine attraktive Blonde, beide mit Besucherschildle am Kragen: »Kripo Kempten« stand drauf.

Puls jetzt auf 240. Egi musste sich erst einmal sammeln, ruhig atmen, Herzfrequenz normalisieren, Gedanken ordnen. Dann fix die Prioritätenliste angelegt:

Prio 1: Den Türken und die Psychotante loswerden.

Prio 2: Die Belli da raushalten.

Prio 3: Irgend an Depp als Dieb verhaften.

Prio 4: Den saublöden Kelch wiederfinden.

Prio 5: Dem Lügenbaron eine reinhauen.

Egi konnte es noch nicht besser wissen. Wenn jedoch in Kürze eine Leiche dazukäme, dann würde er die Prioritätenliste dermaßen umstellen. Aber so.

»Grüß Gott, Kommissar Huber! Ich bin Kriminalhauptkommissar Akay Tok. Das hier ist meine Kollegin Dr. Silvia Stern, Polizeipsychologin.« Der Türke reichte Egi lächelnd die Hand, strahlend weiße Zahnreihen. »Wir sind von der Kripo Kempten und werden mit Ihnen gemeinsam an der Lösung des Falles arbeiten. Als SOKO Kelch.«

»Super Idee, aber am besten verschwindets ihr ganz schnell wieder«, dachte Egi, ergriff das türkische und das blonde Händle und sprach: »Griaß Gott! I bin der Egi, wir duze unsch hier alle.«

Der Türke und die Blonde schienen beide Mitte dreißig zu sein und begrüßten das »Du«, junge Generation halt. Metrosexuell waren die auch noch, stellte Egi nach der Vorstellungsrunde fest. Der Türke stammte aus Frankfurt am Main, ein Anzügler sozusagen. Die Blonde war aus dem Zentralien Oberbayerns gekommen, München genannt. Beide hatte es nach Kempten verschlagen, bestimmt nicht freiwillig. Welcher Metropolist ging schon gerne zur Provinz-Kripo?

Deren Lebensläufe waren ein krasser Gegensatz zu dem vom Chefmeier. Der entsprach zwar rein optisch und akustisch einem gestandenen Allgäuer Mannsbild. Aber streng genommen war dabei zu beachten, dass er aus Mittelfranken stammte. Er war gebürtiger Treuchtlinger, Landkreis Weißenburg-Gunzenhausen. Abwertendes Stirnrunzeln machte sich da breit, bei solch plagiatorischen Zügen. Nach seiner Polizeiausbildung im oberbayerischen Fürstenfeldbruck war er wegkomplimentiert worden, ins Ostallgäu. Nach über zwanzig Jahre waren keine guten Argumente mehr für seine Position aufrechtzuerhalten gewesen. Die Entscheidungsträger der PI Kaufbeuren hatten ihn loswerden wollen. Das hatte damals etwas mit Giraffen zu tun gehabt, eine ganz irre Geschichte. Es war gang und gäbe, die Unfähigen vom Ostallgäu (Autokennzeichen: OAL) ins Oberallgäu (Autokennzeichen: OA) zu versetzen – und andersherum ebenso. So blieben die Allgäuer unter sich, ohne sich wiedersehen zu müssen. Also war der grantige Erwin zur Ruhigstellung befördert und plötzlich PI-Leiter in Oberstdorf geworden, tolle Sache.

Nun saß er da, mittelgroß, mit beachtenswertem Bauchumfang und dunklem Haarkranz. Aus dem ragte eiförmig sein glänzendes Haupt hervor. Wirklich keine Schönheit, vor allem mit seiner aktuellen Pitbull-Optik. Seine Einleitung in die Besprechung der SOKO Kelch ließ zu wünschen übrig, zumindest was den Ton anging. Das fränkische rollende »R« donnerte durch den Raum.

»Ja, Herrschaftszeiten, Egi, was fällt dir ein, so an Bockmist zu bauen? Kann man dich nicht mal zu einer harmlosen Enthüllungszeremonie schicken, ohne dass du gleich einen riesigen Schlamassel draus machst? Hättest du nicht vorher unter das Enthüllungstuch schauen können? Wie stehen wir denn jetzt da, als PI Oberstdorf?«

Wie a Giftzwerg lugte der Chefmeier rüber zur Kripo Kempten. Die grinste.

»Das isch nit mei Aufgabe! Das Museum muss selbscht wisse, was es ausstelle will. Sakra!« Egi wollte den Kunsthubern doch nicht die Entscheidung über ihre Ausstellung abnehmen.

»Jetzt sag, was ist das für ein lächerlicher Kelch, den du da enthüllt hast? Wo kam der denn her, verdammt noch aimoal?«, bohrte der Chefmeier weiter.

»Das war so, na gut, i sag mal, den musch ja einer gebaschtelt haben.« Sinnloses Gequatsche vom Egi. Wie blöd wäre es hier und jetzt gewesen, hätte er die Geschichte von der Belli erzählt.