Das Brevier der Verwandlungen - Marco Di Domenico - E-Book

Das Brevier der Verwandlungen E-Book

Marco Di Domenico

0,0

Beschreibung

"Verwandlung ist nicht nur ein Aspekt des Lebens: Das Leben selbst ist Transformation, Verwandlung." Dass Raupen sich in Schmetterlinge, Kaulquappen in Frösche verwandeln, weiß jeder – wie ungeheuer vielfältig und verbreitet jedoch Metamorphosen im ganzen Tierreich sind, zeigt erstmals dieses Buch. Zwei oder mehr Leben zu haben, ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel: Jedes Mal entsteht dabei ein völlig neues Lebewesen. Schwämme, Medusen und Krebstiere können Klone ihrer selbst erzeugen, Austern, Kröten, Hühner nach Belieben das Geschlecht wechseln. Die Verwandlungsleistungen von Fischen und Insekten sind schier unbegrenzt. Und die Qualle Turritopsis hat sogar einen Weg zur Unsterblichkeit gefunden ... Mit einer Fülle erstaunlicher Geschichten entfaltet der passionierte Forscher ein Kaleidoskop der Lebensformen, das faszinierende Brevier überaus erfolgreicher Evolutions- und Überlebensstrategien, die bis zum Homo sapiens reichen.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 272

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



„VERWANDLUNG IST NICHT NUR EIN ASPEKT DES LEBENS: DAS LEBEN SELBST IST TRANSFORMATION, VERWANDLUNG."

Dass Raupen sich in Schmetterlinge, Kaulquappen in Frösche verwandeln, weiß jeder - wie ungeheuer vielfältig und verbreitet jedoch Metamorphosen im ganzen Tierreich sind, zeigt erstmals dieses Buch. Zwei oder mehr Leben zu haben, ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel: Jedes Mal entsteht dabei ein völlig neues Lebewesen. Schwämme, Medusen und Krebstiere können Klone ihrer selbst erzeugen, Austern, Kröten, Hühner nach Belieben das Geschlecht wechseln. Die Verwandlungsleistungen von Fischen und Insekten sind schier unbegrenzt. Und die Qualle Turritopsis hat sogar einen Weg zur Unsterblichkeit gefunden …

Mit einer Fülle erstaunlicher Geschichten entfaltet der passionierte Forscher ein Kaleidoskop der Lebensformen, das faszinierende Brevier überaus erfolgreicher Evolutions- und Überlebensstrategien, die bis zum Homo sapiens reichen.

Foto: @ privat

DER AUTOR

Marco Di Domenico, den Biologen und Entomologen, Jahrgang 1967, mit Forschungsdoktorat an der Sapienza in Rom, hat es in die Türkei und nach Südafrika geführt. Dort spürte er vor allem der Morphologie und Ethologie der Libellen nach. Er war wissenschaftlicher Leiter des Naturmuseums in den Monti Prenestini, bevor er sich auf Biodiversität, invasive exotische Fauna und Insekten als Krankheitsüberträger fokussierte. Er hat mehrere Sachbücher verfasst.

DIE ÜBERSETZERIN

Christine Ammann übersetzt seit mehr als 20 Jahren aus dem Italienischen, Französischen und Englischen. Zu ihren Autoren gehören David G. Haskell, Stefano Mancuso, Gianluigi Nuzzi oder Louis-Philippe Dalembert. 2016 Förderpreis zum Straelener Übersetzerpreis.

MARCO DI DOMENICO

DAS BREVIER DERVERWANDLUNGEN

METAMORPHOSEN IM TIERREICH

Aus dem Italienischen von Christine AmmannMit Illustrationen des Autors

Für meine Töchter

Nichts geht unter im riesigen Weltall, o schenket mir Glauben, Sondern es wandelt und neuert die Form. Man nennt es Entstehen, Wenn es beginnt, etwas andres zu sein, als es vorher gewesen. Sterben, wenn es das Sosein endet. Wird jenes auch hierhin, Dieses auch dorthin versetzt, die Summe verändert sich niemals. Nichts, so möchte ich glauben, vermag in derselben Gestaltung Lange zu dauern.

Ovid, Metamorphosen, XV, 254–260, deutsch von Hermann Breitenbach, Zürich 1958

Seht ihr nicht, dass wir alle Würmer sindFür eines Himmelsschmetterling Entfaltung,Der wehrlos zum Gericht den Flug beginnt!

Dante, Die Göttliche Komödie, Läuterungsberg, X, 124–126, deutsch von Wilhelm G. Hertz, München 1978

Aber der Zauber der Schmetterlinge rührt nicht nur von ihrer Farbenpracht und Symmetrie her, es kommen noch tiefgründigere Motive ins Spiel. Wir würden die Schmetterlinge für weniger schön erklären, wenn sie nicht flögen oder wenn ihr Flug zielstrebig und emsig wäre wie der der Biene oder wenn sie stächen, vor allem aber, wenn es da nicht in ihrem Leben das aufregende Mysterium der Metamorphose gäbe: in unseren Augen erlangt es den Wert einer verschlüsselten Botschaft, eines Symbols und eines Zeichens.

Primo Levi, Schmetterlinge, in Anderer Leute Berufe, deutsch von Barbara Kleiner, München 2004

Inhalt

Einleitung

Teil I Wirbellose Meerestiere

Teil II Chordatiere

Teil III Fische

Teil IV Wirbellose Landtiere

Teil V Parasiten

Teil VI Amphibien: Metamorphose und Neotenie

Epilog

Danksagung

Bibliografie

Einleitung

Die Idee zu diesem Buch ist mir, wie so häufig, beim Autofahren gekommen. Vor einigen Jahren kehrte ich im Juli von einer Insektenfeldstudie in der Südtoskana zurück. Im Geiste ging ich noch einmal die Schmetterlinge durch, die ich gesehen und bestimmt oder zumindest fotografiert hatte und zu Hause hoffentlich würde bestimmen können: die Libellen, glücklicherweise einfacher zu identifizieren, die beiden Hirschkäfer-Weibchen, das Männchen, das ich durch die Dämmerung hatte fliegen sehen, den großen Holzbock auf der Wilden Möhre, den Nashornkäfer, leider von einem Auto zerquetscht. Wir alle haben klare Vorstellungen von Schmetterlingen, Libellen und Käfern. Bunt, flugfähig, gute Läufer, tag- oder nachtaktiv, zwei Fühler, sechs Beine, Facettenaugen. Als mich meine damals noch kleinen Töchter baten, einen Schmetterling zu zeichnen, malte ich ohne Zögern ein Insekt mit zwei Fühlern und großen farbenfrohen Flügeln auf das Blatt. Doch an diesem Juliabend wurde mir bewusst, dass das eigentlich nur ein Erscheinungsbild war: das für meine Sinne besonders einprägsame. Schmetterlinge sind, wie wir alle wissen, zunächst Raupen und bekommen erst später, durch Metamorphose, Flügel. Diese komplexe, wunderbar faszinierende Verwandlung blenden wir häufig aus, ebenso wie die damit einhergehenden Lebensphasen. Welche Arten würden zehn zufällig ausgewählten Menschen wohl zum Stichwort Metamorphose einfallen? Raupe und Schmetterling. Kaulquappe und Frosch. Viel mehr vermutlich nicht. Aber beschränkt sich die Metamorphose im Tierreich wirklich auf so wenige Arten? Ist sie die Ausnahme? Eine Laune der Natur? Nein. Als ich genauer nachdachte, fielen mir praktisch in jeder Tiergruppe Metamorphosen ein – nur bei Reptilien, Vögeln und Säugetieren nicht, die jedoch nur ein paar Zehntausend von insgesamt ungefähr eineinhalb Millionen Arten ausmachen. Unzählige vor allem marine Wirbellose, Myriaden von Parasiten, die überwiegende Zahl der Insekten, sehr viele Fische und fast alle Amphibien entwickeln ihre adulte Form aus einem völlig anders gestalteten Jungtier.

Die Metamorphose ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Der Schmetterling ist keine Raupe, der Flügel wachsen; beide unterscheiden sich grundlegend in Morphologie, Physiologie, Anatomie, Ökologie und Ethologie. Schmetterlinge, Käfer, Seezungen, Weichtiere, parasitäre Würmer, Molche, Krustentiere, Aale, Frösche, Quallen, Libellen oder Seesterne machen extreme, teils unglaubliche Verwandlungen durch. Wir sehen nur einen winzigen Ausschnitt der überwältigenden Lebensvielfalt. Wir verkennen, dass die so wunderbar zirpenden Zikaden jahrelang als unscheinbare, stumme Insekten durch die Erde gekrochen sind oder der kleine blaue anmutige Falter auf der Bergalm den Winter als Raupe im Ameisenhaufen verbracht hat, dass die Scholle beileibe nicht immer platt war und gar nicht auf der Seite liegt, wir haben keine Ahnung vom endlosen Kampf zwischen Raupen und Parasiten oder der winzigen Larve der Gallwespe, in der sich vielleicht die noch kleinere Larve eines anderen Parasiten verbirgt. Wir reden viel von Biodiversität, aber die wahre Biodiversität steckt in dieser fast unbekannten Welt, in der Verwandlung, Metamorphose, die Essenz des Lebens selbst ist. Ihre Protagonisten sind die Raupen, Maden, Engerlinge und anderen Jugendstadien, aus denen sich die uns bekannten erwachsenen Tiere entwickeln. Diese Welt ist es wert, erzählt zu werden, allerdings ohne den geringsten Anspruch auf Vollständigkeit, der sich angesichts der unglaublichen Vielfalt an Formen und Gestalten verbietet. Doch es lohnt sich, dachte ich an jenem Juliabend, einmal einen anderen Blickwinkel einzunehmen: Ist die Raupe die Larve des Schmetterlings oder ist der Schmetterling die letzte Lebensphase der Raupe? Bei vielen Insekten und anderen Tieren dauert das Jugendstadium wesentlich länger als das adulte. Und nicht selten ist das erwachsene Tier lediglich Träger der Keimzellen. Sollte ich definieren, was das Wesen des Lebens ausmacht, würde ich antworten: Verwandlung, Transformation. Leben ist Wandel. Und die Metamorphosen der Tiere sind dafür ein unglaublich faszinierendes Beispiel.

Teil I

Wirbellose Meerestiere

Die Klassifizierung der Lebewesen, die Linné eingeführt hat und die wir immer weiter verfeinern und aktualisieren, wird die immense Vielfalt der Natur niemals widerspiegeln können. Mit der Einteilung in Reiche, Stämme, Klassen, Ordnungen, Familien, Gattungen und Arten mit endlosen Unterstämmen, Überklassen, Unterklassen, Zwischenklassen, Überordnungen, Überfamilien, Unterfamilien und sogar Untergattungen und Unterarten wie der Unterart Homo sapiens sapiens wollen wir die Lebewesen wie die Dateien auf unserem Computer in Schubladen stecken. Doch so sehr sich die Systematiker auch bemühen, sie stehen immer wieder vor Ausnahmen oder Gruppen, die nicht in die Taxonomie passen wollen.

Die Molekularbiologie hat das Ganze noch komplizierter gemacht. Jahrzehntelange Gewissheiten wurden infrage gestellt, denn offensichtlich entsprechen genetische und molekulare Vielfalt nicht unbedingt der Morphologie. Ähnliche Schmetterlinge gehören zu verschiedenen Arten, Vögel, die einst derselben Gruppe zugeordnet wurden, sind genetisch so unterschiedlich, dass sie einer anderen Ordnung zugeschlagen werden müssen. Sogar die Taxonomie von Mensch, Bonobo und Schimpanse muss neu geordnet werden. Manche sehen alle drei in der Familie der Hominidae (Bonobo, Schimpanse, Gorilla und Orang-Utan zählten früher zu den entfernteren Pongidae), andere sogar in der Gattung Homo. Selbst die in meiner Kindheit noch festgefügten fünf Reiche (Bakterien, Protisten, Pilze, Pflanzen, Tiere) sind auf sechs angewachsen, weil sich die Bakterien in Bakterien und Archaeen aufspalteten. Ebenso bestehen die Protisten aus mehreren Untergruppen wie etwa den Chromista. Und auch einige Tiergruppen sind taxonomisch schwer einzuordnen.

Schwämme: schwer fassbar

Die Schwämme (Porifera) gehören zu den taxonomisch besonders schwer fassbaren Tierstämmen. Die einfachen Organismen mit wenig ausdifferenzierten Zellen haben keine Organe oder Neuronen. Sie leben mit fast 5000 bekannten Arten größtenteils im Meer, manche im Süßwasser, und filtern an Fels oder festem Untergrund haftend, organische Partikel und Mikroorganismen als Nahrung. Die simplen Ascon-Schwämme sind wie ein oben offener Beutel geformt, das Wasser dringt durch Millionen Poren (Porifera heißt Träger von Poren) in den Innenraum (Spongocoel) und durch die Beutelöffnung (Oscula) wieder hinaus. Bei den komplexeren Sycon- und Leucon-Schwämmen gibt es Leitungen und Kammern im Innenraum und außen Atemkanäle. Die Beutelaußenzellen heißen Pinacocyten, die Innenwandzellen Choanocyten. Pinacocyten sind vieleckig und ähneln in ihrer Anordnung Mini-Bruchsteinmauern, Choanocyten besitzen eine Geißel, die im Innenraum Nährstoffe einfängt. Der Sauerstoff dringt direkt in die Zellen ein. Zwischen Pinacocyten und Choanocyten befindet sich eine gallertartige Matrix (Mesohyl) aus Zellen mit verschiedenen Aufgaben. Das Mesohyl fungiert als Skelett und wird von Stützelementen (Spicula) oder durch Gerüstfasern aus dem Strukturprotein Spongin gefestigt. Je nach Material der Spicula unterscheidet man vier Klassen: Kalkschwämme, Hornkieselschwämme, Glasschwämme und Homoscleromorpha. Die Schwämme ähneln eher Kolonien von Einzellern, die sich zu einem Superorganismus zusammengefunden haben, als mehrzelligen Tieren mit differenziertem Gewebe, Organen und Neuronen. Unter bestimmten Umständen können sich in einzelne Zellen zerfallene Schwämme wieder zu einem neuen Organismus zusammenfinden.

Aber auch Schwämme müssen sich vermehren und dafür sorgen, dass sich die Nachkommen, für weniger Konkurrenzdruck und mehr genetische Vielfalt, von den Eltern entfernen. Keine leichte Aufgabe für Organismen, die ihr ganzes Leben auf demselben Fels verbringen. Es ist daher kein Zufall, dass 80 Prozent der Meerestiere und fast alle, die am Untergrund verankert leben, als Larve zur Welt kommen. Schwämme sind Zwitter, also gleichzeitig männlich und weiblich, können sich aber nicht selbst befruchten. Im richtigen Moment verwandeln sich die Choanocyten eines Kalkschwamms wie Leucandra abratsbo daher in Spermien oder Eier. Die Spermien schwimmen durch die Beutelöffnung hinaus und treiben mit der Strömung fort. Mit etwas Glück dringen sie über die Poren in eine andere Leucandra, werden von den Geißeln der Choanocyten mit der Nahrung eingefangen und befruchten die wartenden Eier. Vernünftigerweise vertrauen Schwämme dabei auf ein System aus hoher Zahl und perfekter Synchronisierung. Die befruchteten Eier werden zu einer Zygote, der Stomoblastula, stülpen sich dann wie ein Strumpf um und schwimmen als Amphiblastula durch die Beutelöffnung nach draußen. Die ungefähr ein Zehntelmillimeter „große“ Amphiblastula-Kugel bewegt sich dank Wimpernkranz und Strömung durch die Weiten des Ozeans und wird dabei Teil der vielgestaltigen, dicht bevölkerten, mikroskopischen Plankton-Welt, die Grundlage der marinen Nahrungskette. Eine höchst beliebte Strategie unter sesshaften und bewegungsarmen Arten. Planktonische Larven lassen sich, grob gesagt, in morphologisch und ökologisch zwei unterschiedliche Kategorien einteilen: Planktotrophische Larven stammen aus kleinen Eiern und brauchen viel Zeit bis zur Metamorphose, lecitotrophische Larven sind größer und treten schon bald in ihr nächstes Stadium ein. Erstere ernähren sich von anderen Organismen, Letztere von Reserven in ihrem Dottersack. Organismen mit planktotrophischen Larven bringen unglaublich viele Eier hervor, bei denen mit lecitotrophischen Larven sind es wesentlich weniger, weil jedes Ei durch den Dottersack ein Energiebündel ist.

Über Schwämme wissen wir vieles, weit weniger über ihre Larven. Es gibt mindestens acht Typen (vgl. Abb. 1). Manche sind nicht einmal ein zwanzigstel Millimeter, andere über fünf Millimeter groß: ökomorphologische Variationen über ein Thema. Von vielen Schwämmen kennen wir allerdings keine Larven, weil wir sie entweder noch nicht entdeckt haben oder sie gar nicht existieren. Die zweifellos unglaublichste und schönste Larve ist die wimpernlose Hoplitomella. Eine Kugel von einem Viertel Millimeter Durchmesser und mit langen Auswüchsen, die sie wie einen im Plankton treibenden winzigen Seeigel aussehen lassen. Die Auswüchse sind nichts anderes als das Spicula-Skelett, aber nicht das des späteren adulten Tiers. Da der Mini-Seeigel anfangs zwischen Radiolarien lebt (einer Protozoen-Gruppe mit Skelett), entdeckte man erst spät, dass es sich um eine Schwamm-Larve handelt. Ein Lebewesen, das von einem Schwamm in jeder Hinsicht meilenweit entfernt scheint, ist also doch einer.

Abb. 1: Schwämme. Larventypen: a. Calciblastula, b. Disphaerula, c. Cinctoblastula, d. Parenchymella, e. Hoplitomella, f. Amphiblastula (nicht maßstabsgetreu).

Seit jeher stellt sich der Mensch die Frage, was zuerst da war, die Henne oder das Ei. Dasselbe kann man sich bei Schwämmen und ihren Larven fragen: Haben die sesshaften Organismen am Meeresgrund die Larven als Anpassungsform hervorgebracht, um sich besser verbreiten und ihre Gene erneuern zu können? Oder war die Planktonlarve zuerst da und hat sich später zum Meeresgrund begeben, ohne die planktonische Phase aufgeben zu können? In der Wissenschaft wird das noch diskutiert, und wer weiß, ob die noch im Larvenstadium befindliche Diskussion jemals die Metamorphose ins Stadium der Gewissheit schafft.

Polyp oder Qualle?

Im Meer schwimmt eine scheinbar zerbrechliche, durchsichtige kleine Qualle. Sie gehört zu den Schirmquallen (Scyphozoa), einer der bekanntesten Nesseltierklassen. Um diese Zeit treffen sich Männchen und Weibchen zur Paarung, die zarte Qualle findet sich mit anderen zu immer größeren Schwärmen zusammen. Die Männchen geben Millionen von Spermien ins Wasser ab und befruchten die von den Weibchen gleichzeitig abgelegten Eier. Aus der Vereinigung geht jedoch keine Qualle hervor, sondern eine Planula. Die platte, blattähnliche Larve mit beweglichen Wimpern wagt sich mit Milliarden anderen ins offene Meer und bildet mit Meerestierchen, Algen und Mikroorganismen das Plankton. Die Planula ist allerdings nur von kurzer Dauer, nach einigen Tagen verwandelt sie sich in einen Polypen oder besser, in unsere Vorstellung von einem Polypen: in ein kleines Tier mit dünnen Tentakeln, das sich mit einem langen Fortsatz dauerhaft am Boden verankert.

Unser kleiner Polyp ist aus Quallen hervorgegangen, war eine vagabundierende Planula und ist nun fest mit dem Fels verbunden. Wird er wie Korallenpolypen mit anderen ein gemeinsames Skelett entwickeln? Wird er den Grundstein für ein neues Korallenriff legen, das sogar vom Mond aus zu sehen sein wird? Nein, wird er nicht. Der kleine Polyp durchläuft vielmehr eine Strobilation, wie die Zoologen sagen. Er teilt sich mehrfach quer und stapelt seine Klone aufeinander, bis sie sich wieder trennen. Sie sehen jetzt wie zusammenziehbare Sterne aus, mit kurzen, lappenartigen Ärmchen, die aus den ehemaligen Tentakeln des Polypen hervorgegangen sind. Sie heißen jetzt Ephyralarven, drehen sich um und sehen dann allmählich aus wie kleine Quallen auf Kinderzeichnungen. Sie verlassen den Meeresgrund, kehren ins Plankton zurück und treiben mit der Strömung. Die Ärmchen werden länger, wieder zu Tentakeln, und sind nun nicht mehr nach oben gerichtet, sondern schwenken, um Mikroorganismen einzufangen, unterhalb hin und her. Die Ephyra wächst zu einer Qualle heran – manche mit bis zu einem Meter Durchmesser. Wenn ein Meerestier unglücklicherweise mit ihren Tentakeln in Berührung kommt, wird es gelähmt und verschlungen. In den Tentakeln wimmelt es von Nesselzellen, die beim geringsten Kontakt mikroskopische Giftpfeile abschießen, mit den gefährlichsten Giften, die die Natur kennt. Im darauffolgenden Jahr treffen sich die adulten Tiere und aus ihrer Vereinigung entstehen wieder flache Planula, die zu Polypen und dann zu Ephyralarven werden, sich umstülpen und wieder Quallen sind. Ein endloser Kreislauf. Schwer zu sagen, wer hier zu wem wird.

Und noch eine Schlussbemerkung. Eine der bekanntesten Quallen im Mittelmeer, die Leuchtqualle Pelagia noctiluca, durchläuft kein Polypenstadium. Ihre Planula teilt sich direkt in kleine fressende, wachsende Quallen. In der Natur gibt es keine Regeln ohne Ausnahme.

Die unsterbliche Qualle

In der Zoologie verläuft die Metamorphose stets in eine Richtung. Die Raupe wird zur Puppe, dann zum Schmetterling, die Weidenblattlarve zum Aal, die Kaulquappe zum Frosch. Und wer ohne Metamorphose auskommt und einfach nur wächst, tut das ebenfalls in eine Richtung: Das Kind wird erwachsen, das nackte Vogeljunge früher oder später wegfliegen, der Embryo im Ei des Schnabeltiers entwickelt sich zum Jungen, schlüpft und ernährt sich von Muttermilch. Das ist das Gesetz der Natur. Aber es gibt eine Ausnahme. Oder vielleicht sogar mehr Ausnahmen, als wir denken. Ein winziges Meerestier jedenfalls, Turritopsis dohrnii, kann vom adulten Tier wieder zur Larve werden, von Alt zu Jung. Turritopsis ist eine Qualle aus der Klasse der Hydrozoen. Aus dem Ei entsteht eine Planula-Larve, sie sinkt zum Meeresgrund und wird zum Polypen, der sich zu einer Kolonie vermehrt. Die Polypen einer Kolonie nehmen unterschiedliche Funktionen wahr: Verdauungspolypen fangen und verdauen die Beute, Wehrpolypen verteidigen die Kolonie, Gonozoide bringen per Knospung winzige Quallen beiderlei Geschlechts hervor, die sich loslösen, von Plankton ernähren und wachsen, bis sie selbst Eier und Spermien produzieren.

Nach der Fortpflanzung endet der Lebenszyklus, die Quallen sterben. So wie viele Insekten, Aale, Lachse oder alle einjährigen Pflanzen. Das klingt unlogisch, aber der Tod ist Teil der Überlebensstrategie der Art: Durch ihren Tod konkurrieren die adulten Tiere nicht mit der neuen Generation und ermöglichen ihren Nachkommen, die die Gene weitertragen, bessere Wachstums- und somit Lebens- und Fortpflanzungsbedingungen. Sie sorgen also dafür, dass sich ihre Gene endlos vermehren, sie quasi unsterblich sind. Der Lebensraum vieler Tiere könnte mehrere Generationen nicht gleichzeitig ernähren. Das Leben ist ein Staffellauf, der Einzelne nur eine Teilstrecke, mit den Genen als Zeugen, jeder Lauf eine Generation. Die Teilstrecke endet, wenn der nächste den Stab übernimmt, aber der Zeuge bleibt. Der Staffellauf dauert schon vier Milliarden Jahre und wird vielleicht noch einmal genauso lange dauern. Doch manche schaffen es, selbst unsterblich zu werden. So als würde der Schmetterling wieder zur Raupe, der Frosch zur Kaulquappe, als verlöre die Fliege ihre Flügel und Beine und würde wieder zur weißen Made. Doch kein Vogel kehrt ins Ei zurück, kein Alter wird zum Kind. Das Leben folgt dem Lauf der Zeit, und die Zeit kennt nur eine Richtung.

Abb. 2: Schirmquallen (

Scyphozoa

). Lebenszylus: a. Planula, b. Polyp (Strobilation), c. Ephyra, d. junge Qualle, e. adulte Qualle (nicht maßstabsgetreu).

Anders die Qualle Turritopsis. Nach der Fortpflanzung, der Weitergabe der Gene, kehrt sich ihr Lebenszyklus um. Die Qualle wird wieder zum Polypen, der sie früher schon war. Sie kann die Zeit zurückdrehen: von der Qualle zum Polypen, zur Kolonie und, wenn die Zeit reif ist, wieder zur Qualle. Aber nicht zur Qualle einer neuen Generation, vielmehr zu sich selbst, zur eigenen Tochter, Schwester ihrer eigenen Töchter. Es gibt keine Generationenabfolge, sondern ein Hin und Her zwischen Alt und Jung, Zukunft und Vergangenheit, Ende und Anfang der Reise. Turritopsis hat einen Weg gefunden, unsterblich zu werden, ganz ohne Pakt mit dem Teufel: durch die ewige Metamorphose zwischen Qualle und Polyp, die ewige Verwandlung vom einen zum anderen und wieder zurück.

Von Moostierchen und Hufeisenwürmern

Fast alle Moostierchen (Bryozoa oder laut neuerer Klassifizierung Ectoprocta), mit fast 4000 bekannten Arten, sind sesshafte Meerestiere. Sie leben in Kolonien, ähnlich wie Korallen oder manchmal Schwämme. Aber anders als bei Korallen sind bei den Moostierchen nicht alle Individuen gleich: Manche sorgen für die Verteidigung der Kolonie (Avicularien), andere fürs Putzen (Vibrakularien). Die Moostierchen sind weder mit Korallen noch Schwämmen verwandt. Was sie verbindet, ist ihre Lebensweise: Sie filtrieren ihre Nahrung, planktonische Mikroorganismen und organische Substanzen, aus dem Meerwasser. Aber anders als Schwämme, die passive Filtrierer sind, ihre Nährstoffe also einfach abfangen, jagen die Moostierchen ihre Nahrung quasi. Sie bewegen dazu ihren Lophophor, einen Tentakelkranz, in dessen Mitte sich der Mund befindet.

Moostierchenkolonien bestehen aus unzähligen, wenige Zehntelmillimeter großen sogenannten Zooiden. Jeder Zooid ist von einer korbflaschenförmigen, schützenden Schale umgeben, dem Zooecium, aus dem lediglich der obere Teil des Zooids, der Polypid, herausragt. Der verborgene Teil heißt Cystid. Auf dem Polypid sitzt der Tentakelkranz, mit dessen Hilfe der Zooid seine Nahrung fängt, atmet und die Umgebung wahrnimmt. Im Cystid liegen die inneren Organe. Der Darm bildet ein U: Der After liegt normalerweise am Polypid-Rand, unter dem Tentakelkranz. Moostierchen halten ihren Tentakelkranz, wie Korallenpolypen ihre Tentakel, in die Strömung. Merkwürdigerweise gleicht er dem Tentakelkranz von Armfüßern und Hufeisenwürmern, Meerestieren, die den Moostieren ansonsten keineswegs ähneln: Armfüßer sehen aus wie Klappmuscheln, Hufeisenwürmer, wie der Name schon sagt, wie Würmer.

Wie für alle sesshaften Meerestiere sind Vermehrung und Verbreitung für die Moostierchen ein Problem. Wie soll ein winziger Zooide, der in seinem Zooecium hockt und mit seiner Kolonie am Felsen klebt, seine Nachkommen hinaus in die Welt schicken? Die Lösung heißt auch hier Larve. Moostierchen können sich ungeschlechtlich und geschlechtlich vermehren. Im ersten Fall bringt der Koloniegründer durch Knospung, wie eine Pflanze, weitere Individuen hervor. Die Zooiden sind dann genetisch identische Klone. Wenn es allerdings Zeit ist, die Gene zu erneuern, wechseln Moostierchen zur geschlechtlichen Vermehrung. Sie sind dann „konsekutive Zwitter“, das heißt, erst weiblich, dann männlich oder umgekehrt. Das verhindert die Selbstbefruchtung. Wenn die Spermien vom Tentakelkranz aktuell weiblicher Tiere aufgefangen werden, kommen sie im Cystid in Kontakt mit reifen Eiern. Es entstehen Embryonen, die sich bei vielen Arten von einer Art Plazenta ernähren, schließlich zur Larve werden und losschwimmen.

Die Larven vieler Moostierchen sehen aus wie ein mikroskopisches Glöckchen, auf dem ein Haarbüschel sitzt und werden Cyphonauten genannt. Das Glöckchen besteht aus einer chitinhaltigen zweiklappigen Schale, in der sich die eigentliche Larve befindet, kaum mehr als ein u-förmiger Verdauungsapparat. Durch eine große, bewimperte Mundöffnung tritt Nahrung (Bakterien und organische Stoffe) ein, steigt über den Schlund zum Magen hoch, wird verdaut und über Rektum und Afteröffnung wieder ausgeschieden. Die bewegungsunfähigen Cyphonauten treiben eine Weile mit der Strömung im Plankton und sinken schließlich zum Meeresgrund, Büschel voran. Das Büschel haftet am Grund, mit dem oben offenen Glöckchen, der Darm hat bereits die richtige Ausrichtung, Mund und After zeigen aufwärts. Der Cyphonaut entwickelt sich zum Zooid: Der Tentakelkranz erscheint, das Zooecium bildet sich, und durch Metamorphose entsteht aus dem Cyphonauten die Ancestrula, der Koloniegründer. Durch Knospung produziert er neue Zooiden, die Kolonie wächst und wird, je nach Art, zu einer korallen-, schwamm- oder moosartigen Kolonie. Mit der Differenzierung in Avicularien und Vibrakularien nimmt die Kolonie ihre endgültige Form an. Bis schließlich die neue geschlechtliche Phase beginnt, mit neuen Embryonen und neuen treibenden Cyphonauten.

Die engsten Verwandten der Moostierchen, Armfüßer und Hufeisenwürmer, haben ähnliche Larven, obwohl die adulten Tiere anders aussehen: wie eine zweischalige Muschel im ersten Fall, ein Wurm mit Chitinhülle im zweiten Fall. Das wirft Fragen auf: Wenn sich Tentakelkranz und Larven ähneln, haben die drei Familien zweifellos einen gemeinsamen Vorfahren. Aber wie konnten sich trotz ähnlicher Larven dann verschiedene adulte Tiere entwickeln? Offensichtlich haben die evolutionären Kräfte auf die adulten Tiere, aber nicht auf die Larven gewirkt, oder zumindest in geringerem Maße. Warum? Vermutlich, weil die Larven perfekt an eine typische Fortpflanzungsart sesshafter oder benthischer Meerestiere angepasst waren. Anders gesagt, während sich der gemeinsame Vorfahr ausdifferenzierte, um sich an neue Umweltbedingungen anzupassen, blieben die Larven fast unverändert, weil sie ihre Aufgabe perfekt erledigten. Doch aus den Larven entwickelten sich nun unterschiedliche adulte Tiere, Tiere, die Korallen, Klappmuscheln oder Würmern ähnelten. Dieser Typ Larven, den man auch Trochophora nennt, findet sich auch in anderen Meerestiergruppen: bei Kelchwürmern, Weichtieren, Schnurwürmern, Plattwürmern oder Spritzwürmern. Da die Ähnlichkeit der Larven einen gemeinsamen Vorfahren nahelegt, der noch älter sein muss als Moostierchen, Hufeisenwürmer und Armfüßer, ist anzunehmen, dass die Trochophoren über Jahrmillionen unverändert blieben, während sich die adulten Tiere auf vielfache Weise anpassten. Schließlich standen alle vor demselben Problem: wie sich als kleine sesshafte Meerestiere fortpflanzen und seine Gene mischen? Wechsle nie die Siegerlarve.

Abb. 3: Hufeisenwürmer: a. Actinotrocha-Larve, b. adultes Tier (nicht maßstabsgetreu).

Krebstiere mit weicher Schale

Wenn wir von Krabben oder Garnelen sprechen, haben wir Krebstiere im Sinn. Krebstiere oder Crustaceen bilden einen Unterstamm der Gliederfüßer, zu denen allerdings auch Tiere gehören, die mit Languste und Hummer wenig gemein zu haben scheinen. Schon die simple Aufzählung der Hauptkrebstierklassen gibt eine Vorstellung von ihrer Vielfalt: Blattfußkrebse, Kiemenfüßer, Ruderfußkrebse, Muschelkrebse, Rankenfüßer, Flohkrebse, Asseln und Höhere Krebse. Die Krebstiere, die wir im Alltag vor Augen haben, gehören alle zur Klasse der Höheren Krebse. Obwohl die anderen Klassen mindestens genauso interessant sind, würden sie leider die Seiten dieses Buches sprengen und meine Leserschaft vergraulen. Also zu den Höheren Krebsen oder Malacostraca. Schon die Etymologie ist höchst bizarr. Griechisch Malacóstracos bedeutet „weiche Schale“, obwohl die Tiere, wie jeder weiß, von einem extrem robusten Exoskelett geschützt sind. Versuchen Sie mal, eine Hummerschere durchzubrechen. Doch wenn sich die Tiere häuten, das alte, zu klein gewordene Exoskelett einem größeren weichen muss, ist die Schale tatsächlich weich. In Venedig weiß man das gut: Die Moeche, Krebse ohne Rückenschild, werden zur Zeit der Häutung gefangen.

Alle bekannten 20.000 Höheren Krebsarten besitzen, trotz ihrer großen Vielfalt, einen segmentierten Körper mit fünf Kopf-, acht Brust- und sechs oder sieben Hinterleibssegmenten. Am Kopf befinden sich zwei Fühlerpaare (Antenna und Antennula) und häufig bewegliche, gestielte Facettenaugen. Der Kopf ist teils mit der Brust verbunden, und ein robustes Rückenschild schützt das Ganze. Jedes Segment hat an der Körperunterseite einen paarigen Fortsatz: am Kopf Mundwerkzeuge, an der Brust Beine (Pereiopoden), am Hinterleib flossenähnliche Pleopoden. Das ist im Großen und Ganzen der Aufbau von Garnele oder Languste.

Die Höheren Krebse im Meer, neben denen es auch Arten in Flüssen und an Land gibt, stehen ebenfalls vor dem Problem, wie sie die eigenen Gene verbreiten und mischen sollen, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen. Die behäbigen, schweren, schlechten Schwimmer, leichte Beute für Fische und Kraken, können sich keine Abenteuer leisten. Am liebsten bleiben sie in Nähe von Spalten, in die sie sich bei Gefahr zurückziehen. Oder verstecken sich wie der Einsiedlerkrebs in einer schützenden Schale und weiden in aller Ruhe Felsen ab. Nach der Paarung verbergen die Weibchen vieler Höheren Krebse ihre befruchteten Eier zwischen den Pleopoden am Hinterleib. Aus den Eiern schlüpfen dann allerdings keine Miniatur-Krebse, sondern birnenförmige Larven. Diese sogenannten Nauplius-Larven sind eher einfach gebaut. An den zwei Segmenten Kopf und Telson sitzen insgesamt drei paarige Fortsätze, mit denen sie sich fortbewegen können und die später beim adulten Tier zu Fühlern und Mundwerkzeugen werden. Brust und Hinterleib fehlen. Am Kopf befindet sich ein mittiges Auge. Nauplius-Larven gehören zu den Myriaden von Larven und adulten Tieren, die das Zooplankton bilden. Sie fressen Mikroorganismen, die noch winziger sind als sie selbst, wachsen und häuten sich, üblicherweise sechs Mal. Mit jeder Häutung kommen weitere Segmente hinzu, Körper und Fortsätze werden größer. Bis ein Metanauplius entstanden ist, der sich schließlich in eine Zoea-Larve verwandelt, je nach Art ein Siebtel Millimeter bis eineinhalb Zentimeter lang. Mit ihrem großen Kopfbruststück und dem dünnen, schwanzartigen Hinterleib sieht sie aus wie die Karikatur einer Garnele. Am Rückenschild, der das Kopfbruststück schützt, sitzen Stacheln, es gibt erstes und zweites Fühlerpaar, Kiefer und Mundwerkzeuge. Zwei Augen erscheinen, sie sind zunächst unbeweglich, werden aber mit jeder Häutung mehr zu beweglichen Stielaugen. Die bereits entwickelten Brustfortsätze dienen zum Schwimmen, die Hinterleibsfortsätze sind nur angedeutet. Nach zwei bis zehn Häutungen wird die Zoea zur Metazoea, die sich schließlich per Metamorphose in eine Postlarve verwandelt. Die dem adulten Tier bereits sehr ähnliche Postlarve sinkt auf den Grund, wächst und wird zum Krebs.

Auf den ersten Blick also alles ganz einfach: Über drei Larvenstadien, Häutungen und Metamorphose entsteht nach und nach das adulte Tier. Aber in der Natur ist nichts einfach, vor allem nicht bei 20.000 Arten mit unterschiedlichsten Anpassungen, Formen, Größen und Lebensräumen. Und gerade bei den Larvenformen herrscht ein Riesendurcheinander: Eigentlich nennt man nur die Larven der Echten Krabben (Brachyura) und die der Felsen- und Partnergarnelen (Palaemonidae) Zoea, die anderer Krebsgruppen heißen Phyllosoma, Protozoea und Mysis…

Abb. 4: Einige planktonische Larventypen: Trochophora der Ringelwürmer und Muscheln, b. Veligerlarve der Schnecken, c. Zoea der Krebstiere, d. Bipinnaria der Seesterne (Gattung

Asterias

) (nicht maßstabsgetreu).

Die Wanderung der Langusten

Die Larve von Bärenkrebsen und Langusten nennt man Phyllosoma, was „von blattförmiger Gestalt“ bedeutet. Sie ist drei bis 21 Millimeter lang, flach, durchsichtig, hat Fühler, sehr lange Beine und große gestielte Augen. Ein wenig sieht sie aus wie eine Spinne. Mit dem großen ovalen Rückenschild und ihrem langen, dünnen Hinterleib ist sie ein lebendes Segel, das von den Meeresströmungen fortgetragen wird und so Orte erreicht, die den schweren, schwimmunfähigen adulten Krebstieren verwehrt bleiben. Ein perfektes planktonisches Lebewesen also. Die Larve durchläuft auf ihrer Reise ungefähr zehn Stadien, wächst und wächst. Nach einigen Monaten ist sie bereit zur letzten Verwandlung, sinkt auf den Grund und wird vom planktonischen Lebewesen zum benthischen, uns allen bekannten großen, scherenlosen Krustentier.

Die Krebstiere mit dieser Larve haben zur Systemoptimierung, wie man heute sagen würde, interessante Verhaltensweisen entwickelt. Die Weibchen vieler Arten wandern viele Hundert Kilometer weit. Warum, ist umstritten, jedenfalls begeben sie sich im Winter, die Eier unter dem Hinterleib, in tiefere Gewässer. Da es dort dann wärmer ist, fördern sie so die Entwicklung der Eier. Wenn das Frühjahr naht, kehren sie an die Küsten zurück, geben die entwickelten Eier frei und die Larven schlüpfen. Bei einer Art, die in der Strömung vor dem südafrikanischen Kap Agulhas lebt, bringen die Weibchen weniger, aber dafür größere Eier hervor. Die Larven sind ebenfalls größer und entwickeln sich zudem schneller als die anderer Arten. Auf diese Weise wird verhindert, dass die Larven in der Strömung zu weit abgetrieben werden, und sichergestellt, dass die Population vor der Küste bleibt.

Abb. 5: Phyllosoma-Larve einer Languste.

Baupläne und Symmetrie

Ob Qualle, Regenwurm, Schnecke, Frosch oder Mensch, alle Tiere entwickeln sich ab der Befruchtung nach einem festgelegten genetischen Bauplan. Jede Tiergruppe hat dabei einen eigenen Projektplan, der für alle Arten gilt. Und eben anhand dieses Bauplans teilen wir die Tiere in Stämme (Phyla) ein. Ringelwürmer besitzen einen ringförmigen Körper, Chordatiere eine Chorda dorsalis, Weichtiere einen muskulösen Fuß und Mantel, Gliederfüßer ein chitinhaltiges Exoskelett und bewegliche Segmente und so weiter. Wenn eine Art oder Familie in dem Stamm (Phylum) als Folge der evolutionären Anpassung charakteristische Merkmale verliert, sind diese beim Embryo oder in Larvenstadien jedoch noch immer sichtbar.

Eins der wichtigsten Merkmale genetischer Baupläne ist ihre Symmetrie, das heißt, die mögliche Zerlegung in mehr oder minder identische Körperanteile. So haben wir Chordatiere eindeutig zwei symmetrische Körperhälften. Man spricht von zweiseitiger Symmetrie, wenn man den Körper gedanklich längs zerlegen kann und, abgesehen von einigen inneren Organen, zwei identische spiegelverkehrte Teile erhält. Genau das macht der Fischverkäufer, wenn er einen Seebarsch filetiert. Aber auch bei Blutegeln, Käfern, Fröschen oder Schildkröten erhält man zwei gleiche Teile, wenn man sie entsprechend dem Symmetriebauplan gedanklich längs zerlegt.

Bei vielen Tieren ist die Symmetrie jedoch durch mehr als einen Bauplan definiert. Seeigel oder Seesterne können wie alle Stachelhäuter gedanklich in zwei, aber auch fünf gleiche Teile zerlegt werden. Entlang der Längsachse sind sie in zwei, aber entsprechend der Zahl der Seesternarme in fünf Teile zerlegbar. (Auch hier gibt es Ausnahmen von der Regel, nämlich Seesterne mit sieben und mehr Armen.) Genauso wie Räder oder Orangen entsprechend der Zahl ihrer Speichen oder Spalten teilbar sind: Man nennt das Strahlensymmetrie. Auch Quallen und Polypen sind strahlensymmetrisch. Allerdings haben Quallen vier Keimdrüsen, man spricht daher bei ihnen besser von doppelter zweiseitiger Symmetrie. Hinter den verschiedenen Symmetrien verbergen sich völlig andere Baupläne. Wären wir fünfstrahlig symmetrisch, hätten wir fünf (oder eine durch fünf teilbare Anzahl von) Nasen, Augen, Armen, Ohren, Herzen und so weiter. Anscheinend liegen zwischen Tieren mit zweiseitiger und fünfstrahliger Symmetrie also Welten, weil sie sich durch die Evolution so weit voneinander entfernt haben, dass ihre Baupläne kaum noch etwas gemeinsam haben.

Doch die Frage der Symmetrie ist ebenso bedeutsam wie dornig, und wir sollten uns daher ein wenig länger damit beschäftigen. Der Seestern hat meistens fünf Arme, und das Skelett eines Seeigels ist zweifellos in fünf identische Teile zerlegbar. Aber es gibt auch klar zweiseitig symmetrische Seeigel, und die für den Druckausgleich wichtige Siebplatte ist häufig nur einmal vorhanden, also auch zweiseitig symmetrisch. Außerdem entspricht der äußerlichen Symmetrie – wie bei uns Menschen – keine innere Symmetrie der Organe. Kurzum, die fünfstrahlige Symmetrie scheint eher das Ergebnis einer Anpassung an die benthische Lebensweise als ein echter Entwicklungsbauplan. Dennoch ähneln wir Chordatiere hinsichtlich des Grundbauplans offenbar eher einem Regenwurm und haben wenig mit einem Seeigel, der ja auch keinen Kopf hat, gemein. Doch der Schein trügt, wie die Larven der Stachelhäuter zeigen.

Wie bei 80 Prozent der Meerestiere entwickeln sich auch die Larven der Stachelhäuter (Seeigel, Seesterne, Seegurken, Schlangensterne und Seelilien) im Plankton, während die adulten Tiere am Boden leben. Alle 6000 Stachelhäuterarten sind Meeresbewohner und getrenntgeschlechtlich. Männchen und Weibchen geben ihre Spermien beziehungsweise Eier gleichzeitig ins Meer, die Befruchtung findet äußerlich statt. Die Larven, die aus den Eiern schlüpfen, unterscheiden sich je nach Gruppe. Und natürlich hat jede Larvenform ihren eigenen Namen: Auricularia, Doliolaria, Bipinnaria, Brachiolaria und Pluteus. Die Auricularia-Larve gilt als die einfachste Stachelhäuter-Larve. Wurstförmig und mit kurzen Fortsätzen, sieht sie unregelmäßig und buckelig aus. Sie bewegt sich durchs Plankton, frisst noch winzigere Tiere und entwickelt sich schließlich zur fassförmigen Doliolaria-Larve. Diese sinkt auf den Grund und verwandelt sich in eine Seegurke. Auch Seelilien bringen Doliolaria-Larven hervor, stachelige Fässer mit seitlichem Punk-Büschel und vier oder fünf kurzen, umlaufenden, beweglichen Wimpernbändern. Aus ihnen entwickeln sich die wunderschönen, sesshaften Tiere, die in der Strömung lebenslang mit bunten, Vogelfeder-ähnlichen Armen wedeln. Die Bipinnaria-Larve, je nach Art mehr oder weniger länglich, mit acht Armen an Rücken, Bauch und Seiten und stachelhäutertypischen Wimpernbändern, ist hingegen das erste Larvenstadium der meisten Seesterne. Sie wird zur Brachiolaria-Larve, bei einer Seestern-Ordnung aber auch sofort zum adulten Tier.