Das Buch Mara - Ernst Halter - E-Book

Das Buch Mara E-Book

Ernst Halter

0,0
11,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Vergegenwärtigung und Abschied sind die Grundstimmungen in dem »Buch Mara«. Ein Mann durchlebt schreibend noch einmal die Liebe zu einer Mädchenfrau, die ihn als Existenzerschütterung getroffen hat. Nur zögernd erst, doch immer unausweichlicher muß er sich Rechenschaft geben, sich den unverwundenen Gefühlen stellen, bis er sich selbst wiederfindet, indem er den Schmerz annimmt. Ernst Halter hat ein engagiertes Buch geschrieben, das die Geschichte einer scheiternden Liebesbeziehung erzählt und zugleich von der Schwierigkeit handelt, Gefühlen ihren adäquaten Ausdruck zu geben. »Das Buch Mara« ist das Denkmal einer Liebe und gleichzeitig die ironische Selbstbeobachtung desjenigen, der seiner Liebe dieses Denkmal setzt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Seitenzahl: 371

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Ernst Halter

Das Buch Mara

Roman

FISCHER Digital

Inhalt

Der Autor dankt dem [...]Einen Menschen kennt einzig [...]1. Der Zuschlag2. Die Zerstückte3. Wald und Nebel4. Die wahre Geschichte oder die Wahrheit einer Geschichte?5. Variationen zum Thema Vergißnichtmein6. Spiegelungen7. Aber wahr ist es doch8. Allerseelen9. Rübezahl10. Geschenkideen11. Paolo und Francesca12. Mitternachtswende13 Reiter im Schnee14. Die Spaltung15. Stöff, Sue und Jimmy16. Nicht nicht17. Ort der Mauer18. Schatten an der Wand19. Nachsommer20. Hades21.a) Angst vor dem Kartoffelschälenb) Lehre des Feldsteins22. Wiederbegegnung in Stein23. Tele-objektiv24. Neue Figur

Der Autor dankt dem aargauischen Kuratorium für die Förderung des kulturellen Lebens für die großzügige Unterstützung dieser Arbeit

Einen Menschen kennt einzig nur der, welcher ohne Hoffnung ihn liebt.

Walter Benjamin, Einbahnstraße

 

There are only three things to be done with a woman, said Clea once. You can love her, suffer for her, or turn her into literature.

Lawrence Durrell, Justine

1. Der Zuschlag

Der Paß liegt hinter mir, die Überquerung des Gebirges ist gelungen. Durch die laue Nacht fahre ich ein Waldtal hinunter. Schon spüre ich Wasser, linkerhand, der schwarze Bach blinkt: Ich habe mich nicht verirrt. Ein Licht zittert durch die Bäume, der Weg hält darauf zu, der Wald tritt zurück, fahles, kurzes Gras. Ich stoppe den Wagen neben dem Laternenpfahl und steige aus. Dies ist der Dreiweg, den ich erwartet habe, die Einmündung ins Haupttal. Ich horche in Richtung des Passes, kein Eulenruf, kein Grillenzirpen. Vom mondlosen Himmel gießt sich ein diffuses Licht über die Wälder, an den Talflanken zacken Tannen schwarz in den grauen Horizont, den Talgrund füllen spinnwebbleich die Kronen des Auenwalds. Ich stehe am Rand des Lichthofs der Laterne am Dreiweg, eine Hand über den Augen: Ich warte.

Ein Vogel löst sich aus dem höchsten Tannenwipfel der rechten Talseite, ein purpurroter Adler; ein zweiter, kleinerer Vogel stößt auf rosaroten Flügeln vom nächsten Wipfel ab. Hintereinander klaftern sie ins Tal hinaus, König und Königin, und ich wundere mich nicht, daß ich trotz der schwachen Helle die Farben ihres Gefieders unterscheide. Über der Mitte des Tals stellt die Königin die Flügel schräg: ein kupfriges Aufschimmern, und nähert sich, wird groß, im Steil-, im Sturzflug auf mich, ihre Beute, wird unentrinnbar. Ich sehe mich nach dem Wagen um: weg. Flügel schlagen über meinem Kopf, ich reiße die Arme hoch, doch die Vogelfrau ist sanft im Gras vor mir gelandet. Das Laternenlicht reflektiert rötlich auf ihrer gewölbten Federbrust. Ich sehe ihr in die blauen Augen, ich kenne sie: am Schmerz. Sie dreht sich weg. Beide blicken wir zum Paß hinauf, wo der Adler durch den Trog des Tals dem andern Hang entgegenschwebt. Knapp streicht er über die zuckenden Wipfel des Hochwalds – und eine nach der andern stieben zwölfgoldene Eulen in die milchige Halbhelle und wirren im Tiefflug der Jagd über das weißliche Dickicht im Talgrund. Auf der finstern Erde wird es lebendig, erhebt sich, aufgescheucht aus langem, langem Schlaf. Ich erkenne Umrisse von Nashörnern, Büffeln, Hirschen, höre den dumpfen Hufschlag ihres Durcheinanderrennens, ihre Häupter und die Geweihe, die Gehörnefahren durchs Gebüsch wie Wind. Bedrängt von Glück und Angst vor den schweren Körpern der Tiere rufe ich um Hilfe. Da stehst du vor mir, du die Vogelkönigin, lächelnd, nach Jahren der Sehnsucht und Weigerung freiwillig, hebst die Arme, deine Finger gleiten über mein Gesicht, dein Mund. Mara! DU EXPLODIERST. EIN FEUERBALL.

Es knackt und knirscht: Guten Morgen, meine Damen und Herren, Ihr Kapitän spricht, es ist sechs Uhr, ich hoffe, sie haben gut geschlafen, wir nähern uns der Südwestspitze von Irland, in einer Stunde und zehn Minuten werden wir in London-Heathrow landen, das Wetter ist klar, wir fliegen mit leichtem Rückenwind, unsre Flughöhe beträgt dreiunddreißigtausend Fuß, die Temperatur in London elf Grad Celsius, ich wünsche Ihnen einen angenehmen Flug.

Die Lautsprecherstimme verstummt. Er blinzelt, die Herzschläge donnern und tosen im Kopf. Die Umrisse der Passagierkabine des Jumbos verschwimmen braun in der verbrauchten Atemluft der gequälten Schläfer, eine Jalousie wird hochgeschoben, strahlendes Dunkelblau füllt das ovale Fenster.

Mit diesem Traum müßte die Herzgeschichte beginnen, denkt er. Dann, erschrocken: Vielleicht damit. Er gähnt und streckt die Beine lang in den Zwischengang hinaus, der Puls zieht sich in den Rumpf zurück. Westlich von Irland. Bist du übergeschnappt? Nie im Leben! Erst werd’ ich Weltmeister im Feuerschlucken. Ich habe andres im Kopf: nächste Woche Südgeschäfte. Er zieht die Beine an sich: Ich werde später, wenn ich Muße habe und der Herbst golden über dem Land leuchtet, spottet er über sich und stellt fest, daß überall Leselampen angehen. Ich bin überhaupt nicht vorbereitet, ich habe keine Worte mehr, und die Flocken auf deinen Wimpern in jener Nacht sind Wasser, wer weiß, wo, im Meer, zehn Kilometer unter mir. Und ärgerlich über seine Angst, die Mutlosigkeit des links Liegengelassenen, hofft er, dies sei der Beginn, indem er vor sich dergleichen tut, er sei es nicht.

Die junge Dame, mit der er sich in die vier Plätze einer Sitzreihe im Mittelschiff geteilt hat, richtet sich halb auf und prüft ihre Frisur. Sie nickt ihm zu, sie fliegt nach Pisa zu einem Kongreß über die elektronische Datenerfassung von Kunstwerken. Oder ist sie Psychoanalytikerin? Alles vergessen. Er blickt auf die Uhr: 22. September. Er rückt die schmerzende Wirbelsäule gerade, Angst überschwemmt ihn: kein Wort geschrieben, all die Jahre, schreibunfähig. Klar, Psychoanalytikerin. Wen kümmern schon Kunstwerke? Ich will nicht. Wer kann mich dazu zwingen? Wie originell, mein Lieber, denkt er und taucht zwischen die Sitze nach seinen Schuhen. Mein Angstsyndrom: etwas für Sie, verehrte Dame. Die Angst, mich ans Wahre zu machen, die wahren Worte sind mir zu anstrengend, ich bin so müde, es gibt keine wahren Worte. Erleichtert attestiert er sich, daß er unter den vorwaltenden Umständen – das Gelaufe auf den Korridoren zu den WC-Kabinen hat bereits eingesetzt – zu nichts verpflichtet ist, auch morgen nicht, übermorgen und nächste Woche nicht. Er zündet sich eine Zigarette an: Zwei Stunden Umsteigezeit in Heathrow, das reicht für den Entwurf des Rapports, dann die Bestätigungsbriefe und ein Tag verordneter Ruhe. Anschließend sonnige Südgeschäfte. Mit einem Griff in die rechte Innentasche des Vestons vergewissert er sich, daß Flugticket, Gepäckschein und Paß noch da sind. Plötzlich richtet er sich starr auf, seine Augen ziehen sich mit einem Brennen zusammen: Ich habe dich heut nacht berührt, Mara.

 

Als ich mich umdrehte, warst du mir gefolgt. Wir setzten uns zuhinterst im Bus auf die durchlaufende Polsterbank, es waren nicht die letzten freien Plätze, doch wir dachten uns nichts dabei. Vor uns saßen die Spieler, Damen und Herren im nächstbesten Alter mit gefärbtem Haar und Kahlstellen auf den Schädelkuppen, die Beleuchtung war rotstichig. Eine Tangobeleuchtung, sagtest du leise. – Ein Schlummerlicht, schlug ich vor, denn wir waren beide übermüdet, du wie ein Kind, ich anders. Ich war ein Entronnener, zu schlapp, um mir über das Weitere Sorgen zu machen, mir zu verbieten, daß an mir nagte, was, wie ich wußte, auch an dir nagte. Ich unterließ es zu fragen, warum dieser Schmerz eine Wohltat war. Etwas war ungerufen eingetreten, saß zwischen dir und mir, weiß und weich, und wir beide begriffen nicht, warum wir so lange hatten warten können. Wir lehnten uns in die Polster zurück und überließen uns der Erschöpfung und der Gegenwart des andern.

(Zweimal, dreimal vielleicht im Laufe unseres Lebens besetzt uns ein Gesicht, eine Stimme vibriert in uns, und Bestürzung über das, was wir hätten sein können, Trauer, daß wir es nie gewesen sind, fallen über uns, wir hören einen Ton, die durchdringende Klage des Ungeborenen.)

Wir saßen zuhinterst im Bus, ins Halbdunkel gezogen von dem, was eingetreten war, vielleicht sagte ich noch, dies sei eine der wenigen Linien, wo sie dir das Fahrgeld zurückerstatten, dann blieben wir stumm. An der Haltestelle, im Nieselregen, hatten uns die Umstehenden über uns hinweggeholfen. Wir hatten uns über einen Herrn lustiggemacht, dem das Gewicht von zwei prallvollen Büchertaschen die Hände fast aus den Gelenken riß. Jetzt stellte er die Taschen ab, zog ein Buch aus dem Regenmantel und begann zu lesen. Er liest in seinem Buch, flüsterte ich dir zu, es ist betitelt: »Die Menschheit am Scheidewege. Überleben im 3. Jahrtausend«. Ich kannte ihn von fern, so daß ich von ihm nicht erkannt sein wollte. Du schütteltest langsam den Kopf: Von der Buchmesse kommen – und lesen, das ist über jede Vernunft. – Rühre an seinen Enthusiasmus, fuhr ich fort, und er beginnt zu stäuben wie ein überreifer Bovist. – Bücher sind das Zweitletzte. – Und das Letzte, Mara? – Lassen wir vorläufig offen.

Wir traten in der Kälte mit den Absätzen den Asphalt, Schüler, die sich das, was sie sich zu sagen hätten, nicht sagen können. Du stecktest dir eine Zigarette an und hobst den Kopf: Wir sind das Letzte. – Wir? – Ja, dumm und ungerecht. – Genau, bestätigte ich, dumm und ungerecht; wie klug und gerecht du bist, und betrachte den Büchernarren, dessen Knie sogar im Stehen durch den Stoff der Hosenröhren stachen. Und drei Finger neben diesem Blick, spürte ich, ging dein Blick in mein Gesicht. Plötzlich fuhrst du mich an: Einer hat mich heute als Fotomodell anheuern wollen, dreimal ist er angeschlichen gekommen, der Schleimschwanz. Dazu sind wir gut genug, um euch … Du unterdrücktest ein Wort. Du hast deine Schönheit nie gemocht, du wußtest bereits: Schönheit ist wie zu viel Geld, du bist nie sicher, ob der andre nicht nur auf dein Geld aus ist.

Wir saßen nebeneinander zuhinterst auf der Polsterbank, das Licht der Bogenlampen an der Autobahn blitzte im Takt über die beschlagenen Scheiben. Der Bus wechselte die Spur, unsre Knie berührten sich, dein rechtes, mein linkes, und ich hatte Mühe, regelmäßig zu atmen. Zu viel geraucht, sagte ich mir. Du trugst schwarze Hosen, in Bad Homburg mußtest du versuchen einen Jupe aufzutreiben, damit sie dich ins Spielkasino einließen. Das Kasino hatte zwar Jupes zur Auswahl, nur: Zwanzigjährige gehen kaum Roulette spielen. Du hast den Jupe dann in einer nahegelegenen Villa bei einer amerikanischen Oberstenfamilie entliehen; die Amerikaner waren begeistert von deiner Idee, abends um halb zehn in Bad Homburg einen Jupe zu organisieren, um zwei Stunden lang Roulette spielen zu können.

Wir saßen nebeneinander, mir wollte nichts einfallen. Ich hörte dem Gespräch zweier silberblonder Damen zu, das von der Schwierigkeit handelte, Dienstboten zu bekommen: Als ich noch jung war, sind sie Schlange gestanden. Was sind das für Zeiten, Paula, wo uns die Dienstboten davonlaufen, obwohl wir uns von ihnen bestehlen lassen und sie wissen, daß wir’s wissen!

Und jetzt sah ich unsre Hände, deine rechte, meine linke, wie sie sich über die dunkelrote Polsterung aufeinander zubewegten, zwei weiße Tiere. Mir gab es einen Stich. Sie berührten sich, eiskalt vor Schreck, sie waren die ersten Hände, die sich berührten, sich von den Fingerspitzen her langsam durchschlangen. Deine Hand, meine Hand waren das Handpaar eines einzigen Wesens geworden. Und mit angestrengter Aufmerksamkeit folgte ich dem Dienstbotenbeschaffungskursus: Ingrid, wenn ich mir vorstelle, wie das weitergehen soll, wird mir schwach. Letzthin hat eine Siebzehnjährige ein Doppelbett zur Bedingung gemacht, stell dir vor, ein Doppelbett! Das reine Bordell. Da verflüssigte es sich hinter meinen Augen, ich mußte blinzeln.

Der Bus schlingerte, mein Kopf drehte sich dir zu, ich sah dir mitten ins Gesicht, mein Puls war im Kopf, du mußtest ihn hören, deine Augen schienen schwarz, deine Haare hatten einen rötlichen Schimmer. Du bewegtest die geschlossenen Lippen, zum ersten Mal bemerkte ich, daß dein Mund eine Wunde war, nie hatte ich eine schönere gesehen, eine Schnitt- und Stichwunde. Ich spürte, wie dein Herzschlag dich in den Lippen schmerzte, zum ersten Mal der Eindruck, dein Körper müsse dir weh tun, je fehlerloser die Schönheit, desto mehr schmerzt sie, den Schönen und den Betrachter. Dein Mund war eine pochende Entzündung. Einen winzigen Ruck weit öffneten sich deine Lippen, du hattest etwas gesagt. Dieses Aufspringen der Wunde fiel mich an als Panik, ich schluckte, ich machte den schwachen Versuch, mich ihrer zu erwehren, forschte nach einem Makel. Ich fand keinen. Dein Gesicht wurde meine Weide, Weide der Wunschlosigkeit.

Wieder bewegten sich deine Lippen. Ich habe Katzen so gern, hörte ich. – Oh, o Katzen so gern, stammelte ich nach. Wirklich? Ich auch. Und etwas wurde unter mir weggezogen, ich verlor das Gleichgewicht und neigte mich, ich kam in Fahrt, entfiel dem Bus, den Glücksspielern, ich durchschlug das Sprungnetz, an dem ich Jahre geknüpft hatte, und wurde dir zugeschlagen, Mara.

2. Die Zerstückte

Ihr Gesicht: Seit er es zum letzten Mal angeschaut hat, ist es an die Gleichgültigen verteilt worden. Ihm bleibt es in Erinnerung, in wenigen Totalen: wie sie im Wagen den Kopf vorneigt, sich ihm zudreht, seiner nicht müde, doch erschöpft von seinem Anspruch und der Angst vor diesem unlenkbaren Glück. Einzelne Züge tauchen auf, die Andeutung zweier Falten über der Nasenwurzel, wenn sie nicht ausdrücken konnte, was sie quälte (oft war es die Mühe mit ihm, Ärger vielleicht, Beklemmung, nicht mehr frei zu sein), ihr Lächeln, das von den Augen langsam zum Mund ging, ihre aufflammende Kinderwut: wieder lag sie schief in der Welt, und er verstand, was er nicht zu verstehen hatte, redete ihr zu, statt über ihre Launen empört zu sein. Der Mitesser an ihrem linken Nasenflügel, ihr Erröten, ihr Ausbruch, als er ihn reizend fand: Was lachst du mich aus? Klar, dir passiert das nie! Ich haß dich! Eine Welle Zärtlichkeit: Wie gut ihr die Entrüstung stand! Sie hatte erwachsen sein wollen, statt dessen war sie einen Abend und eine halbe Nacht lang ein gepickeltes Küken.

Was wird von ihr bleiben? Noch immer bangt er um ihr Gesicht. War ihre Schönheit seine ganze Liebe? Warum soll die Schönheit anzubeten nicht Liebe sein? Wer hat die perverse Tischordnung geschaffen, wo die Schönheit ganz unten inter faeces et urinam sitzt? Es muß eine Zeit gegeben haben, da die Schönheit noch das Ganze war. Er verachtet die metaphysischen Henker, die sie in blutige Stücke gehackt haben.

Sie war der dunkle Sinn. Wer war er gewesen, bevor mit ihrem Erscheinen die Dinge zusammentraten? Ein Toter – und glaubte zu leben. Sie hatte ihn aufgeweckt; aus der Ferne kam ihm eine wunderbare Erinnerung: die Dinge kannten ihn noch, die Luft war voll Stimmen. Wollte er leben, mußte er dieses Mädchen hindern, wegzugehn. Sie würde bleiben, wenn er sie liebte, und sie zu lieben war das einzige, wozu er fähig war. In dieser Ewigkeit richtete er sich ein; er mußte leicht sein, so leicht wie sie, dann flog sie nicht fort. Abendelang übte er sich in Levitation, auf daß sie seine Jahre und was man als Jahresgaben mit sich herumträgt, nicht spürte. Nächte gab es, da warf er sein Gesicht in den Kehricht, weil es nicht schön war wie ihr Gesicht; ihrer Schönheit gleich kam nur seine Eitelkeit, sein pausenloses Geschrei, das sie nicht hören durfte.

 

Milder 30. September. Er hat die Wäsche draußen getrocknet und gegen Abend die letzten Brombeeren von den Sträuchern gegessen. Die Fadheit des Schimmels und das süßliche Kräuseln der Gärung auf der Zunge, hat er sich auf einem Wiesenplan stehen sehen, dessen tiefgrüne Rechteckfläche von flackernden Waldhorizonten eingefaßt war. Und die feuchte Kühle unter den Sommerkleidern, die über den Oberkörper tastende Hühnerhaut, der leergelaufene Herbsthimmel über ihm, das Grün der umschränkten Waldwiese, bevor die Nebel der Vornacht über die Grasspitzen emporschwanken: alles hatte mit ihr zu tun. Nach bald zwei Jahren, hat er festgestellt, ist sie noch immer sein Wahrnehmungsorgan, die seltenen Augenblicke der Freude erreichen ihn durch ihre abgewandten Augen, und er begräbt sie unter ihrer Absenz. Seine Haut ist durchlässig geworden für Strahlungen, die nur sie benennen könnte. Noch immer hat er sie nicht aufgegeben.

Während er die Wäsche von der Leine genommen hat, ist ihm ihr letztes Bild erschienen.

Aus einem Gespräch mit einem Briten, der ein Geschäft abschließen wollte, sah er auf – und da stand sie, fünf Meter von ihm, unerklärlich, mitten im Café. Er versank nicht im Boden – agrarische Wendung! heutige Böden leiden unter Staunässe oder bestehen aus armiertem Beton, den nicht mal Rumpelstilzchen durchschlagen würde –, er blieb sitzen, nur das Blickfeld schrumpfte auf ein Loch in drehender Schwärze zusammen, Blende 22 um den Brennpunkt ihres Gesichts. In größte Ferne gerückt, wo das Unerträgliche erträglich wird, sah er sie im Profil, eine Zigarette im zugespitzten Mund, dann kehrte die ruhig argumentierende Stimme des Engländers zurück. Langsam, gegen eine Lähmung oder verzehnfachte Schwerkraft kämpfend, wandte er dem Gast das Gesicht zu und bat ihn, das Angebot zu wiederholen. Es war, worauf er gewartet hatte, er brauchte nur ja zu sagen. Er konnte es nicht; solange sie dort stand, ihm verweigert, konnte er nichts empfangen. Er schüttelte den Kopf – es war ihr Kopfschütteln, er bedauerte – es war ihr Bedauern. Noch stand sie dort, der Brite, Enttäuschung im Gesicht, begann sich zu verabschieden. Mit höflichem Dank für seinen Besuch und spätere Geschäfte in Aussicht stellend, gab er ihm die Hand, er hatte keine Worte mehr, er wartete auf das nicht mehr für möglich gehaltene Wunder. Und sie kam, lächelnd: Wie geht’s? – Ausgezeichnet, sagt er. – Da bin ich aber froh, sagt sie, tschau. Und drehte sich wieder zum andern, offenbar ihr Begleiter, er kannte ihn nicht, er war zu schwach, diesen Menschen zu hassen. Wenn ich aus dem Café rennen würde, ging ihm durch den Kopf: der Brite wäre einzuholen, der Vertrag wäre perfekt – er blieb, wo er war; in fünf Meter Distanz stand sie, er hätte nur den Blick heben, aufstehen, zu ihr treten, weiterreden müssen, einfach so – er zählte die Bodenfliesen.

Das ist neun Monate nach dem Bruch gewesen. Er hat sie nicht weggehen sehen.

 

Wünscht er sie zurück? Ihr Gesicht wäre ein andres, nicht mehr das Mädchenantlitz, das er zwischen seinen Händen gehalten hat: ein älteres, wer weiß, ein noch schöneres.

Er wird nie vergessen wie es sich ihm geöffnet hat; er beruft sich auf sein gutes Gedächtnis für Gesichter. Zeichnen könnte er sie nicht, doch er sieht sie genau. Hunderte von Gesichtern, es ist ein Spiel von ihm: er sagt sich einen Namen, und er sieht die Person vor sich, er stellt sich ihren Namen vor, die vier Buchstaben – da steht sie und schlägt die Augen auf. Gibt es einen Menschen, an den öfter gedacht worden ist? Unverändert ist auch der Verlust. Vergessen wäre mein Leben verlieren, denkt er, und er stellt sich vor, daß er ihr in zwanzig Jahren begegnet, wie sich eins übers andre Gesicht legt und sie beide plötzlich die Köpfe senken und weglaufen.

Von Zeit zu Zeit begegnet er Fragmenten von ihr, halbherzigen, mißglückten Versuchen, sie zu wiederholen, der Bildausschnitt verengt sich, die Menschen um ihn lösen sich in Luft auf, sekundenlang sieht er nur sie auf einer leeren Bühne – und er der einzige Zuschauer, das Herz krampft sich zusammen, schon verheddert sich die Inszenierung in falschen Bewegungen, entlarvt sich durch Inkongruenzen, der Regisseur hat nichts begriffen, und nach Momenten der Verwechslung bricht das Bild auseinander, ein fliehendes Grauen fällt über ihn.

 

Er hatte ein Bistro an einer Ecke im Gewinkel der Gassen hinter dem Carrefour de l’Odéon betreten, sich an ein freies Tischchen gesetzt, bestellt und die Zeitung aufgeschlagen. Als der Kellner mit dem Essen gekommen war, hatte er den Kopf gehoben, und sein Blick war auf das Haar einer jungen Frau gefallen, die ihm den Rücken kehrte: dieselbe Farbe, derselbe Fall, gröber zwar und nur halblang. Es konnte nicht sie sein. Er hatte einen Bissen Fleisch in den Mund gesteckt und festgestellt: auch die Figur war verschieden, klein und gedrungen. Er hatte ein Salatblatt aufgespießt, die Frau gestikulierte, breite Hände mit kurzen Fingern. Alles klar, hatte er sich gesagt, was noch? Doch nun war ihm die Farbe des Pullovers in die Augen gestochen: ihr ausgebleichtes Türkis. Er hatte gekaut, geschluckt, das Glas Rotwein an die Lippen gesetzt und versucht, einem Anfall von Panik zu wehren. Doch es half nichts zu wissen, daß die Frau bis auf die Haarwelle und den Pulli von ihr verschieden war. Er hatte das Glas auf die Marmortischplatte gestellt, seine Vernunft angestrengt, sich halblaut gesagt, was war und was nicht sein konnte: eine Wildfremde saß dort. Er hatte leise über sich gelacht und den Kopf gedreht, als sähe er sich neugierig um, er wollte niemanden auf seine Verstörung aufmerksam machen. Er hatte auf die Uhr gesehen, er sollte ein Taxi bestellen, in einer halben Stunde hatte er die nächste Besprechung. Er hatte mit der Hand vor seinem Gesicht gewedelt, doch immer offensichtlicher war sie es, von ihren Pariser Freunden hatte sie ihm nie erzählt. Hier war die Gelegenheit, von der er seit Monaten phantasiert hatte: ihr, vom netten Zufall gedeckt, unbefangen unter die Augen zu treten. Wie, was? Du hier? Wie geht’s? – Gut; und dir? – Bestens. Nicht der Bittende, Überlästige, nicht der – warum nur? – Gleichgültig-, Fremdgewordene, nicht der Unbegreifliche, unverständlich Schwierige, der so viel Kopfzerbrechen gemacht hat, nicht der Verschmähte, der noch immer – wo doch, wo doch alles klar ist.

Er hatte die Gabel in den Teller fallen lassen, er konnte nicht mehr essen vor Angst, sie könnte weggehen, ohne sich nach ihm umgedreht, ihn bemerkt zu haben, könnte, für immer unauffindbar, unter neun Millionen Parisern untertauchen – zugleich wußte er, daß es sie nicht sein konnte. Die Hände im Schoß hatte er auf ihre dunkelrötlichen Haare, ihren blaßtürkis Pullover gestarrt, die beide, wußte er, an einer Fremden hingen, gestohlen – und doch saß sie dort, obwohl eigentlich jemand andrer … Wie ist so was möglich? Wie kann eine Frau sich selbst und eine andre sein? Bin ich übergeschnappt? Plötzlich war er aufgestanden und hatte von hoch oben auf ein médaillon de veau in einem Teller mit Straßburger Blumendekor geblickt. Das Taxi, dachte er.

Die Liebe versetzt Berge, Losinger und Rütterbau versetzen auch Berge, sogar im Senegal und hinten weit in der Türkei. Doch die Liebe ist zudem Chirurg, sie operiert in Sekunden einen Menschen in einen andern um, das macht ihr nicht mal der liebe Gott nach.

Auf dem Weg zum Zeitungsständer war er zu sich gekommen. Er hatte »Le Monde« an einen Metallhaken gehängt und sich langsam umgedreht: die Gegenstände flackerten, der Puls schlug in den Augen, durch ein umgekehrtes Fernglas erschien eins von Millionen nicht unangenehmen Gesichtern unter Ponyfransen – und hinten dran also hatte der Stümper von Regisseur ein Fragment von ihr geklebt, diesem rundlichen Körper ihren Sweater übergezogen. Der Bildausschnitt wurde größer, die Frau mochte dreißig sein, kein Zweifel möglich, wie anders? Er hatte es immer gewußt. Vor Enttäuschung und Schmerz hatte er blinzeln und tief durchatmen müssen. Die Frau lachte, sie überschüttete ihre Kollegin mit einer Kaskade leichter, halblaut hervorgestoßener Silben, Milchglaskugeln, kam ihm vor, Milchglaskugeln aus ihrem Mund. Auf dem Umweg über die Kasse, wo er die Inhaberin bat, ihm ein Taxi zu bestellen, war er an sein Tischchen zurückgegangen.

 

Der Brei der Wirklichkeit und mein Erschrecken vor den selten obenauf schwimmenden Bruchstücken von dir – doch du nie, du ein Umriß, du zurückweichend unter die Schatten der Erinnerung. Was ruf ich dich nicht an und höre deine Stimme, deinen Namen in deiner Stimme, langsam, mit einem Anflug bittender, fast heiserer Müdigkeit, das gehauchte R deines Namens, ich brauchte nichts zu sagen, nur aufzuhängen, denn was du antworten würdest, wenn ich mich meldete, weiterspräche, und wie sich deine Stimme verhärten würde, will ich nicht wissen.

 

Die Zweige der Robinie flirren vor dem dunstblauen Herbsthimmel. Und er schreibt, daß sie sich vor hundert Jahren geliebt haben – und könnte eine Fahrstunde von hier vor sie treten, auf Händedrucknähe, könnte beobachten, wie sich eine Doppelfalte der Hilflosigkeit über ihrer Nasenwurzel andeutet, er könnte sie küssen (ihre Gegenwehr), er müßte nur aufstehen, aus dem Haus gehen und in den Wagen steigen. Unmöglich, schreibt er, ich habe beschlossen, daß es dich nur noch in meinem Bericht gibt, jeder Bezug zwischen uns außer diesem wirklichsten Bezug ist sinnlos.

Und im Flügelschlag einer Totalen wendet sie sich – es ist Nacht – ihm zu, schaudert fröstelnd zusammen unter der schwarzen Pelerine, die sie bis aufs Gesicht einhüllt, und streckt ihm die bleichen Hände entgegen.

3. Wald und Nebel

Der Raum weitete, verengte sich; bald gingen wir, seinen kalten Atem auf der Haut, isoliert unter einer Nebelglocke, im Mittelpunkt einer Kreisscheibe, die sich mit unsrer Wanderung über das frostwelke Gras verschob, bald hob sich der Horizont, und unter einem grauen, zerfetzten Vorhang flackerten drei Lärchen an der gegenüberliegenden Lehne eines Weidegrunds. Wie groß die Distanz und die Bäume, war schwer zu sagen, kein andrer Gegenstand, kein Vogelflug maß sie. Es war still, die Feuchtigkeit drang durch das Haar, sekundenlang fuhr die Mattscheibe der Sonne über uns hin, und ein paar verdorrte Kerbeldolden färbten sich maisgelb. Wieder bauschte sich eine weiße Woge auf, überrollte einen mit roten Beeren behangenen Busch, und wir blieben stehen.

Deine kalten Hände, meine kalten Hände, ein eisiger Luftzug schnitt uns in die Augen, er roch nach Schnee, und plötzlich sah ich ein Flockengewitter über Tundren und Wälder niedergehen, die graue Schleppe fuhr über abgeerntete Getreideebenen heran, jagte die Hänge eines violetten Berges hinauf, eine Felsspitze schien zu schwanken und versank im Schneetreiben. Wo? Wo nur? dachte ich. Wir standen allein, stumm, und sahen uns an, dein Gesicht wachsweiß in der schalen Helligkeit. Ich steckte mir eine Zigarette an, ich versuchte zu lächeln, du sahst zur Seite. Was hatten wir hier oben gesucht? Das andre? Ein Gespräch ohne Mithörer? Keimfreie Höhenluft? Es gab nichts zu sagen, Verlegenheit hatte die Worte getilgt.

Der treibende Nebel hatte die drei Lärchen überwallt, ich blickte hangaufwärts über die Trittsteige der Weiden, die uns im Sichtkreis begleiteten, und sog an meiner Zigarette. Vier Wochen kannten wir uns, und ich suchte bereits nach Worten, angestrengt nach Mitteilbarem, das dich nicht kalt ließ und mich nicht langweilte. Das stabile Herbstwetter infolge eines Vorstoßes kontinentaler Kaltluft aus Westsibirien und die abgeschiedene Schönheit der im Nebel auf- und wegtauchenden Tafeljuralandschaft waren längst zur Sprache gekommen, zu erwähnen blieben die weißen Malmkalkschichten, auf denen wir unsern Spaziergang abwickelten, Argovien, Rauracien, Vindobonien, Kimmeridgien, dazu deren Leitfossilien, Belemniten, Rhynchonellamuscheln, Seeigel. Seit Jahren hatte mich die Geologie des Jura interessiert – mich ja, doch dich? Ich sprach die geheimnisvollen Namen nicht aus. Immer wenn ich nicht mehr weiter weiß, kommt mir mein Wissen in die Quere. Was ist von uns beiden zu sagen? Daß die Gefühle zwischen uns kein Gegenstand des Wissens sind. Welcher Bruchteil von mir geht dich an – und umgekehrt? Du bist jung, ich nicht, ich muß warme Unterwäsche tragen, du kannst drauf verzichten, dafür vertrage ich Alkohol besser. Allesamt Säufer, sagst du, und meinst die Männer. Wie kann es unter diesen Umständen Gemeinsamkeit geben? Hätten wir doch Bratwürste mitgenommen! Ein Feuerchen im Wald ist heimelig, man hilft einander dürre Zweige sammeln, findet gar Pilze, und bis endlich die Flamme springt, gibt’s viel zu reden.

Mich fror: Die Worte der Liebe sind in einer Gebetsmühle gespeichert, eine rhythmische Litanei; nichts sagend, besagen sie das nicht Sagbare. Nicht die Sprache sträubt sich dagegen, sondern das Denken. Sobald ich denke, quält mich die Undifferenziertheit dieser Sprache, und die Gebetsmühle steht still. Und daß mich diese unvernünftige Liebe zu Gedichten anfeuert – treffendes Wort: anfeuert, dachte ich –, ist eher störend, du liebst mich nicht daür, hoff ich, dir sind die Verse, die ich sekretiere, schwer verständlich und ein weiterer Beweis meiner Aufgeregtheit. Und nun sind wir hier, aufgeschmissen, aufeinandergeschmissen an einem Sonntagnachmittag, uns fehlt die Mutter, die wir fragen könnten, was wir spielen sollen.

Du zogst die Pelerine enger um dich, befragtest mit den Augen mein Gesicht. Was erwartetest du von mir? Ich schwieg verlegen. Ist Liebe, die ratlos wird, wenn ihr der Gesprächsstoff ausgeht, denn Liebe? Ich hatte nie Augen dieser Farbe gesehen, als Kind aber einen Stein am Fingerring einer Sängerin, der Stein war leuchtend und dunkel zugleich, sooft mich die Sängerin auf ihren Schoß nahm, drehte ich am Ring, der den Stein trug, seine Bläue war unwiderstehlich und geheim, ich drehte, bis ich auf den Boden gestellt wurde. Plötzlich kam ein Staunen über mich, daß deine Augen sahen. Sahen! Ich hustete und warf die Zigarette in weitem Schwung über die Grenze unsres Sichtkreises, du blicktest ihr nach, die Geste war zu groß geraten, Umweltverschmutzung, dachte ich, Renommieren mit Zigarettenstummeln. Was hatten wir hier oben in dieser über ihrer Stille verschlossenen Einsamkeit, in dieser Nebelöde für bis in den Tod Verliebte, miteinander zu schaffen?

Ein Zucken belebte dein Gesicht, es ging vom Mund aus, die Lippen bewegten sich: Was kann ich dir schon sein? Du bist so gescheit, so furchtbar gebildet, und ich bin dumm, du läufst und ich krieche, deine Gedanken reisen mit dem Auto, meine haben eine Schnecke aufgezäumt, du überfährst sie, ich bin eine einzige Enttäuschung, so wenig hättest du nicht von mir erwartet. Stimmt’s? Ich verwahrte mich: Bitte keine Minderwertigkeitsgefühle, ich bin langsam wie du, nur anders. Ich sah, daß du mir nicht glaubtest. Du weißt nicht, wer du bist, Mara, sagte ich hastig, und wenn du mich jetzt liebst, weil ich dir vielleicht ungewöhnlich vorkomme, wirst du mich später dafür verachten. Liebe müßte … Was und wie müßte die Liebe denn lieben? fragte ich mich. Du schütteltest den Kopf: Du und gewöhnlich – das glaubst du ja selbst nicht.

Der Nebel stockte, ein schwaches Rauschen: auf diesen Kalkhöhen konnte es nicht Wasser sein, irgendwo mußte ein Wald stehen, es war das kurzwellige Rauschen von Wind in Tannennadeln. Ich bitte dich um Geduld, Mara. Du hobst die Arme: Du bist der Ungeduldige; warum hast du immer Angst? Wir küßten uns, wir verharrten erleichtert hinter geschlossenen Lidern, deine Pelerine hatte sich um uns gelegt. Ein Ruck ging durch deinen Körper, dein Mund wurde weggezogen.

Ich blickte auf, mir wieder gegenüber du, atemholend, Schreck im Gesicht, unergründbare Oberfläche, nie genug zu betrachten, deine Augen – woher mir zugesprochen? Ich küßte sie blind, ich begann dich zu essen, deine Oberfläche, du wolltest gegessen, nichts als gegessen werden, du warst auf die Welt gekommen, um von mir gegessen zu werden, zugleich bliebst du undurchdringlich, ich küßte deine Kehle. Du versteiftest dich mit einem Abwehrlaut und stemmtest dich von mir weg, wieder standen unsre Augen offen. Ich darf nicht, hörte ich, dürfte nicht, du weißt doch. Ich lachte leise: Und ich?

Wir gingen weiter durch nasses Gras, der Frost hatte die Herbstzeitlosen umgelegt, ich sah auf deine flachen Tuchschuhe. Du verachtetest stöckelnde Damen und warst nicht reif fürs Reformhaus, das gefiel mir, aber ich spürte die Kälte und Nässe an deinen Füßen, ich hätte sie gern in die Hand genommen. Dich tragen wie ein Kind … Du drehtest den Kopf: Mir ist warm, Roman. Ich leitete dich auf den einzigen Pfad, wo du ein paar Schritte über Kalkkies tun konntest, dann balancierten wir händchenhaltend auf Graswülsten um Schlammlöcher, begannen zu laufen und lachten plötzlich.

Du redetest, ich erfaßte nicht, wovon, vermutlich von der Unmöglichkeit, der alten, die ich auswendig wußte, daß wir beide ausgeflippt waren und daß du treu bleiben wollest. Schon eine Weile redetest du, und ich verstand nur das Dunkle in deiner Stimme; es schmiegte sich an mich und verkehrte deine Vernünftigkeit in ihr Gegenteil. Was du sagtest, war mir egal, solang dich erschreckte, was du nicht sagtest, denn zwischen diesem und jenem war der Zusammenhang gerissen. Das war meine Chance. Ich will mir über mich klar sein, hörte ich. Wie schön! Noch weigertest du dich zu wollen, was wir mußten, und diese Weigerung war eine Herzspannung. Du schlucktest: in deinem Puls war bereits der Schreck vor der überstiegenen Weigerung. Es gab mal zwei Zwillinge, sagte ich, die kamen nicht zur Welt, weil jeder dem andern den Vortritt ließ.

Wir waren in den Wald getreten, unsre Schritte raschelten laut durch Fallaub; das gab uns Mut, das ersetzte ein Gespräch, mit den Schuhspitzen warfen wir das Laub in die Luft, und unsre Gedanken gingen unsichtbar unter dem geräuschvollen Blätterregen, wir spielten Rascheln, es war der Weggefährte, solange er mitkam, brauchten wir nichts zu erfinden.

Der Nebel teilte sich, ein blauer Himmelskorridor. Im fahlen Sonneneinfall war der Weg ein Läufer aus goldenen Ahornblättern. Wir setzten uns auf einen Tannenstamm in die Sonne, sie stand schon tief, zwischen zwei Borkenschuppen glitzerte ein Harztropfen, du tupftest ihn auf und schlecktest ihn vom Finger, lachtest. Eine Minute Sonne. Wir standen auf und gingen weiter, ich hatte keine Ahnung, wo wir uns befanden, ich war zum erstenmal in dieser Gegend. Du hobst eine gespreizte Hand: Wir gehen über einen der fünf Albfinger, irgendwo vor uns muß die Grenze zu Deutschland sein, sie verläuft quer über den Bergrücken, nicht mal ein Zollhaus steht dort. Und ich sah, wie die zwei Länder ineinanderflossen, rot die Schweiz, blau Deutschland – wie im Atlas. Aber vielleicht ein Schilderhaus in Wald und Nebel, sagte ich. Du nicktest: Dort werden wir wohnen. Noch immer entfernten wir uns vom Wagen; ich stellte mir vor, wie er, Kilometer hinter uns, knackend auskühlte – und vor uns war das glimmend nasse Bretterhäuschen.

Der Nebel schien dichter geworden, er stand zwischen den Stämmen, er war die Dämmerung, die triefende Vornacht, kein Licht. Und wenn jetzt plötzlich vor uns eine Feuerlohe aus dem Boden schlagen würde? – Oh! Du packtest mich mit beiden Händen an der Schulter: Wie komisch du bist. Die Stämme staffelten sich in die Tiefe, büßten ihre borkige Kontur ein, schienen abzustürzen, in Schluchten zu kippen, und unser Weg ging eben fort. Ich sah auf die Uhr: fünf. Du bliebst stehen: Richtig, du weißt, ich muß, versteh mich bitte. Ja, antwortete ich wütend, dein Treff mit Freunden, Fondue isch guet und git en gueti Luune, Figugegl. Du stampftest: Jetzt reicht’s mir! An mir vorbei liefst du den Weg zurück, den wir gekommen waren.

 

Für ihn ist es immer unfaßbar gewesen, daß es in ihrem Leben neben ihm noch Menschen gab, die ihr etwas bedeuteten, eine Tante in Genf, Freundinnen aus der Internatszeit in Montreux: nicht mal ihre Zufallsbekanntschaften hatte sie fallengelassen, und sie war stolz auf ihr gutes Französisch. Eifersucht war’s nicht, er machte sich oft Vorwürfe über seine diesbezügliche Unfähigkeit, er empfand es fast als Mangel an Liebe; Eifersucht hätte sie stärker an ihn gebunden. Sie hatte sich nicht gelöst, sie war noch nicht ausgewurzelt genug für ihre oder eher, leider, seine Liebe. Das war’s. Er hatte jeden Stolz verloren. In meinem Leben gibt es nurmehr dich, dachte er voll böser Angst. Und was bin ich dir? Ein Spaghettiessen mit Freunden tut’s auch. Und er wußte, daß er ihr Unrecht tat, daß es an ihm lag, er ihr nicht sein konnte, was sie nötig hatte: ein fröhlicher Kumpel. Er – das war zu viel und nicht genug. Er hatte das Gewissen, die Erinnerung verloren. Sprach er zu Fremden vom Wetter, war’s eine Erklärung der Liebe, nachts im Wagen fuhr er, in welcher Richtung immer, zu ihr, wenn er Speisen in den Mund schob, fütterte er sie. Und nicht nur er: auch der Tag, seine Gegenstände sehnten sich nach ihr. Wie Zahnweh. Endlich hast du Zahnweh, sagte er sich. Sie dagegen hatte Zeit, an einen gewissen Jean-Pierre zu denken, sie brachte es fertig, sich einen ganzen Sonntag lang konzentriert auf eine Prüfung vorzubereiten. Was kann sie dafür, daß sie noch im Alter der Prüfungen ist? sagte er sich. Und gleich darauf: Wie kann man lieben und Angst vor etwas andrem außer vor dem Ende der Liebe haben? Ihn gab es nur noch für sie – das war zu viel und nicht genug. Kaum war sie zwanzig geworden und selbständig, mußte er sie holen kommen, mußte, denn er war herausgefallen, er fiel und fiel, und niemand fing ihn auf.

 

Ich hatte dich eingeholt: Mara, bat ich, ich bin … verzeih mir. Du drehtest dich um, verlangsamtest den Schritt, nicktest. Wo waren wir überhaupt? Waren wir im Kreis herum gelaufen oder gradaus gegangen? Tannenwurzeln hoben ihre Rückgrate aus dem Nadelgrund, ein schwacher Glanz huschte auf der nassen Rinde, wenn wir über sie wegstiegen. Du drängtest dich an mich: jetzt mußte ich aus dem Wald finden, den du hättest kennen sollen, jetzt wolltest du nach Hause gebracht sein, zu Fondue und Freunden an die Wärme, zwar konntest du es dir leisten, kaum Unterwäsche zu tragen, doch jetzt warst du halb erfroren, nur weg von mir, nein, weg von hier, von diesem unheimlichen Ort. Was kauert dort vorn? – Ein Holzstück, Mara, sagte ich, ein Stammtrumm.

Der Abschied war ein roter Klumpen und brannte in der Vornacht. Die Minuten einzeln leben, die uns noch bleiben, dachte ich, schweigen, mich konzentrieren auf jeden Quadratzentimeter deiner Anwesenheit, mich wundlieben am Geheimnis deines Körpers, am Wesen voller Launen, das er umschließt. Ich versuchte mir einen Überlebensplan für die nächsten Tage zurechtzulegen, ich schaffte es ohne dich nicht, ich stand vor einer schwarzen Mauer, ich suchte Ritzen, mich anzukrallen, mich hoch- und hinüberzuziehen: fugenlos glattpoliert. Geh zu deiner Bereibung mit Kollegen, dachte ich, an einer Kröte in der Kehle schluckend, du könntest alles, wenn du wolltest, du könntest diesen Abschied, die kommende Woche aus der Welt schaffen – du willst nicht, du sehnst dich in aufgestellte Harmlosigkeit, und dann deine Alibitreue. Was wir brauchen, ist Mut zur Verzweiflung.

Plötzlich bliebst du stehen, ich unterschied ein Blinken unterhalb des Glanzes auf der Wölbung deiner Augen, du breitetest die Arme aus, ich leckte dir die Tränen von den Wimpern, so wenige Arme, ging mir durch den Kopf, dich in mir zum Verschwinden bringen und selber in dir verschwinden, ich küßte dich, bis du dich mit einem Kichern losrangst. Zwei Schritt vor mir stelltest du dich auf: So was von Gestörtheit! Du machst mich fertig, ich ertrag das nicht. Warum kannst du mit mir tun, was du willst? Aber ich gehör dir nicht, ich drehe durch, es kann so nicht weitergehen. Laß mich!

Ich ließ dich stehen, ich näherte mich einer Helligkeit, die sich in der Finsternis des Walds auftat. Roman! Deine dunkle Stimme. Ich trat aus dem Waldtor, ich stieg von Graswulst zu Graswulst einen in Nebel und Dämmerung schattenhaften Weidehang empor, leises Keuchen hinter mir, du hingst dich an meine Hand.

4. Die wahre Geschichte oder die Wahrheit einer Geschichte?

Er ist, im Südzimmer, unterwegs zu ihr: vom Rundtisch zum Fenster und um das eingestülpte Dunkel des Sofas herum dreht er die Acht, die er in den letzten zwei Jahren zehntausendmal gegangen ist – und immer beißt sich die Schlange in den Schwanz, und nie kommt sie an. Ein Bodenbrett knarrt, er raucht, das Fenster steht offen. Er hat das Licht nicht anzünden mögen: 19. Oktober, ein Spätsommerabend, die noch im Laub stehenden Bäume sind flüsternde, vom Talwind verwirrte Silhouetten vor einem mehlig grauen Himmel, der Vollmond könnte aufgegangen sein, im Südwesten zwei Planeten.

Das nächste Kapitel. Worüber schreibt einer heute, wenn nicht über die Unmöglichkeit des Schreibens, die ihn zum Schreiben zwingt? Wie unerhört neu! Er beugt sich aus dem Fenster und schnippt die Asche von der Zigarette. Poetologisch reflektierende Passagen bürgen für einen Autor: er ist ein Heutiger, er denunziert seine Hysterie, er hinterfragt, das Spielerisch-Artifizielle kultivierend, seine Pseudologia phantastica. Leider ist der Mann am Fenster ein Gestriger, ein Höhlenmensch, ungeübt in systematischem Denken und der bösen Lust, etwas Poetologisches herzumachen, nicht gewachsen. Klügere haben sich darin versucht, das Thema ist ausgeleiert.

Oder ein Diskurs über die Naivität und ihre Verwandtschaft mit faschistoiden Umtrieben? Die verdächtigte Naivität – eine Nachwirkung, noch heute, der Tausend Jahre. Wachet, Schreibtischtäter, wachet! Warum wagen es die Schreibenden nicht, sich das Etikett Schreibtischtäter zu verbitten, das zum Beispiel für Eichmann zutraf? Masochismus oder Machtanspruch?

Er möchte für eine bestimmte Art von Naivität plädieren, ein Unsteuerbares, dem der Autor vertraut, wenn er sich dem Rhythmus der Sprache überläßt. Er streckt seinen Schreibfinger in die Höhe – und was ihm nie eingefallen wäre, läßt sich mit einem kalten Luftzug auf der Fingerspitze nieder. Ist das nicht naiv? Ein neues Schlagwort: Naivität wagen. Müssen wir nicht zuweilen den Mut haben, keinen Widerstand zu leisten? Mobilisierte Naivität also. – Das gibt’s nicht. Richtig, das stört die Logik des Systems. Doch leider ist das Vorhandensein mobilisierter Naivität bei den Machern nicht abzustreiten. Und in den Tagen und Wochen, die den Minuten des Indie-Luft-Streckens des Schreibfingers folgen, wo, was sich dort niedergelassen hatte, zerpflückt, umgestellt, verhöhnt, vom Tisch gekehrt und behutsam wieder aufgehoben, wo es als das entlarvt wird, was es auch war, vorn ein Anflug Marlitt, hinten ein Abstrich Goebbels, schämen die Macher sich ja heiß und rot, daß sie so unkritisch hatten sein können hinzuhören, offen zu sein, daß sie sich noch immer nicht zum perfekt kalkulierenden Fabrikanten von Literarität im Jakobsonschen Sinn gemausert haben. Oh, seine Worte ein für alle Mal und zum Erstaunen der literaturkritischen Augureninnung zu setzen wie 1972 Bobby Fisher die Schachfiguren gegen Boris Spasskij! Nur noch das in stundenlanger Konzentration Ausstudierte gefällt, das auf seine Funktion als Bedeutungsträger amtlich Geprüfte, das gefügig Gefügte.

Was aber ist das Fabrizieren von schriftlicher Kommunikation, wenn nicht ein zweiter Durchgang des Rhythmus? Der erste, Sekunden dauernde Durchgang ist jener kalte Luftzug auf der Schreibfingerspitze gewesen, jenes Geflüster, hastig notiert, das den Hinhörenden erhört, den Leeren gefüllt hatte. Doch ach, was für ein Geschiebe aus Lautlehm, Silbenkies und ein paar trostlos in die Luft ragenden Wortstämmen und -wurzeln! Was tun damit? Liegen- und verrotten lassen? abführen? Nur der Rhythmus ist dem Konglomerat gewachsen. Der Macher gestattet ihm einen zweiten Durchgang und gibt ihm Zeit, das Spiel der Permutation im Kopf leise, kritisch, unnachgiebig zu führen. Der Macher hört, wie es sich klärt und gestaltet, wie allmählich Ordnung wird, ein Organisches entsteht als Vers, Satz, Periode.

Der Mann wirft den Zigarettenstummel auf den Kiesplatz hinunter, er beschreibt die sich überschlagende Flugbahn eines Glühwurms (wir erinnern uns immer an das, was nicht mehr ist). Es scheint heller geworden, die Augen müssen sich ans Dunkel gewöhnt haben, eine Fledermaus taumelt im Schacht herum, den ihr Echolotorgan zwischen der Hausfront und den sie im Halbkreis umstehenden Bäumen ausmacht, die Nacht glimmt, die Milchstraße scheint sich über die ganze Himmelskalotte ergossen zu haben.

Oder könnte das nächste Kapitel über den Unterschied von Fiktion und sogenannter Wirklichkeit berichten? Darüber, daß wir, um wahr zu sein, keine wahren Geschichten servieren dürfen, selbst wenn wir »ich« sagen. Also eine Aufforderung zum Leichtnehmen der sogenannten Tat und Wahrheit und zur Verantwortung im Umgang mit der Fiktion. Wir haben unsre wahre Geschichte in die Wahrheit einer Geschichte umzuschreiben, so radikal, daß uns nicht selten jene in dieser verschwindet. Denn wahre Geschichten sind halbwahr, unfertig, ein Ansatz, ein blindes Sich-voran-Tasten von Betroffenen zwischen den Mauern und Gräben der zufälligen Umstände. Klar?

Überhaupt nicht: Scheinevidenz trotz der träfen Formulierung. Wenn das stimmen würde: wie hätte die wahre Geschichte hinter der hier erzählten Fiktion, als sie ungeprüft, ungestaltet, eins zu eins gelebt wurde, eine Offenbarung sein können? Wahrhaftig: Gott bewies seine Existenz durch das Arrangement dieser Konstellation zweier Menschen.

Hast du, Aristoteles, während du mit Phyllis auf dem Rücken auf allen Vieren herumgekrochen bist, nicht auch an die Vorsehung geglaubt? Erst als Phyllis sich in den dicken Wursthändler Kleon verliebte, der zu jeder Klatschgeschichte: das haut ja dem Zeus seine Athene aus dem Kopf, zu sagen pflegte, erst dann hast du den Zufall wiedererkannt. In deiner Qual hast du vielleicht noch die Vermutung gewagt, daß der Zufall ein Verwandter des Rhythmus sein könnte, der Rhythmus infolgedessen ein Sohn des Delphischen Apoll. Aristoteles schüttelt den Kopf : Apokryph! Ihr Denken funktioniert als Offsidefalle.

Hier das poetologische Communiqué: Lebt eure wahre Geschichte und laßt sie euch nicht von der Wahrheit einer Geschichte stehlen. Haltet die zwei auf Abstand und lernt die dialektische Spannung ertragen. Wagt Naivität und mißtraut ihr. Erkennt die Wahrheit der Fiktion und verwerft sie. Glaubt der Wirklichkeit im Wissen, daß sie euch täuscht. Betet zur Vorsehung, weil es sie nicht gibt. Seid Macher, doch offen für den Rhythmus: er verknüpft eure wahre Geschichte mit der Wahrheit einer Geschichte.

 

Das Telefon läutet, er dreht sich vom Fenster der Höhle des Zimmers zu. Noch hat er den undeutlich sichtbaren Apparat nicht berührt, da weiß er bereits, der Anrufer hat aufgehängt: das dritte Schrillen ist ausgeblieben. Er läßt den angehobenen Arm sinken, eine lange Minute steht er da, und plötzlich stört das Pfeifen einer Maiserntemaschine draußen in der Nacht die Stille. Ein Fehlanruf. Jemand muß im Sekundenbruchteil, da die soeben vollzogene Handlung nochmals in uns abläuft und auf ihre Richtigkeit überprüft wird, bemerkt haben, daß er eine falsche Nummer gewählt hat.