Das Büchlein der Wahrheit - Heinrich Seuse - E-Book

Das Büchlein der Wahrheit E-Book

Heinrich Seuse

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Beschreibung

Das "Büchlein der Wahrheit" ist das erste Werk aus der Feder des großen deutschen Mystikers Heinrich Seuse und entstand um das Jahr 1329. Ursprünglich zur Verteidigung seines der Häresie angeklagten Lehrers Meister Eckhart verfaßt, wurde es auch bald einem breiteren Publikum bekannt: Es ist ein Dialog über die höchsten Fragen, über Gott und Gottes Wesen, Einheit und Dreieinigkeit, Schöpfung und Menschwerdung, Vereinigung der Seele mit Gott hier und im Jenseits, Freiheit und Sittlichkeit usw. Es ist Seuses einziges Werk über spekulative Mystik, manches ist schwer und dunkel darin und richtet sich im weiteren Sinn auch gegen das mystische Verständnis der damals immer wieder im Verdacht der Häresie stehenden Begharden und Brüder des freien Geistes.

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Seitenzahl: 52

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Inhaltsverzeichnis

Eingang

Das Büchlein der Wahrheit: Von innerlicher Gelassenheit und von guter Unterscheidung, die in der Vernunft begründet ist

Kapitel: Wie ein gelassener Mensch beginnt und endigt in Einheit

Kapitel: Ob in der höchsten Einheit keine Anderheit bestehen kann

Kapitel: Wie sich der Mensch und alle Kreaturen ewiglich gehalten haben und von ihrem gewordenen Ausfluß

Kapitel: Von der wahren Einkehr, die ein gelassener Mensch durch den eingeborenen Sohn nehmen soll

Kapitel: Von den hohen und nützlichen Fragen, die ihm die Wahrheit von dem Vorbild eines gelassenen Menschen zuteil werden ließ

Kapitel: Auf welchen Punkten es den Menschen gebricht, die falsche Freiheit üben

Kapitel: Wie edel sich ein recht gelassener Mensch in allen Dingen verhält

Eingang.

AUS dem Mystischen trinken wir unsere Kraft. Und auch diesen versteckten und geheimen Weg zu Gott findet unsere Zeit aufs neue wieder. Sie schart sich um die verschütteten Brunnen und ist emsig bemüht, sie wieder auszugraben und wer dann aus den hellsprudelnden trinkt, trinkt sich neue Kraft. Gott bewahrt, wenn es nötig ist, seine kräftigende Arznei in verschlossenen Gefäßen auf, bis die Zeit erfüllet ist. Diese gegen alle Kirchen, Satzungen, Religionsformen indifferente Mystik, die alle Hüllen abstreift, um mit Gott eins zu werden - sie ist die Quelle, die uns bis auf den heutigen Tag mit Kraft erfüllt, mit der Kraft, die wir nötig haben, das zu erfüllen, was gebieterisch vor unseren Tagen steht: die ethische Forderung. Uns steigt leise und wundervoll, wie eine aufgehende Morgenröte, die Erkenntnis von dem Sinn und Zweck aller Religion auf: Da saßen all die stillen, weltabgeschiedenen Geister der katholischen Kirche, und kannten keine andere Aufgabe, als in der Verborgenheit der Zelle das Feuer der Liebe zu Gott, wie es in ihren Herzen brannte, zu schüren, keine andere Aufgabe, als ihre Seele bis an den Rand mit Gott anzufüllen, als, indem sie ihren Körper geißeln, martern und in schmerzliche Bande legen, ihre Seele jauchzend in die Nacktheit Gottes zu schleudern. Und diese Empfängnis Gottes zeitigt die Frucht langsam und sicher in ihrem Schoße: es wird in den Gesichten, Visionen, Erlebnissen dieser Mönche und Heiligen die Menschheitsseele mit dem Göttlichen befruchtet, damit sie gebären kann, was die Welt in unseren oder in künftigen Tagen von uns erwartet...

Als eine solche Kraftquelle, die unsere Zeit befruchtet, als ein solches Gefäß, in dem Gott seine Zauberkräfte für künftige Zeiten aufbewahrt, freilich verbrämt mit der ganzen seltsamen Gewandung seiner Tage, tritt in den folgenden Blättern der stille Dichter und Gottessucher Heinrich Seuse vor uns hin. Von den vier Wegen, die zu Gott führen, hat er am eifrigsten und liebsten den letzten, den mystischen beschritten. Aber auch die anderen sind ihm nicht fremd. Hart gequält hat er sich auf dem ethischen Wege, gestolpert und nicht weit gekommen ist er auf dem Wege der Erkenntnis, freundlich und lieblich gelächelt hat ihm der Weg der Kunst.

Wer sucht wie er, wird auf dem einen oder dem anderen Wege von ihm Geleit annehmen und wird seine Seele grüßen, dankbar für empfangene Bitterkeiten oder Wonnen…

Das Büchlein der Wahrheit.

Von innerlicher Gelassenheit und von guter Unterscheidung, die in der Vernunft begründet ist.

Vorrede.

Ecce enim veritatem dilexisti; incerta et occulta sapientiae tuae manifestasti mihi.1

ES war ein Mensch in Christo, der hatte sich in seinen jungen Tagen nach dem äußeren Menschen in all den Stücken geübt, in denen sich anfangende Menschen zu üben pflegen; es blieb aber der innere Mensch in seiner eigenen höchsten Gelassenheit ungeübt, und er empfand wohl, daß es ihm noch an etwas gebrach, er wußte aber nicht, woran. Und da er das lange Zeit und viele Jahre getrieben, da ward ihm einstmals eine Einkehr zuteil, in der er zu sich selbst getrieben ward, und es wurde folgendermaßen in ihm gesprochen: „Du sollst wissen, daß innerliche Gelassenheit den Menschen zu der höchsten Wahrheit bringt.“

Nun war ihm dies edle Wort damals noch fremd und unbekannt, und doch hatte er eine große Liebe dazu, und so ward er darauf und auf Gleiches gar heftig hingetrieben, ob er nicht vor seinem Tode noch dazu kommen könnte, es rein zu erkennen und bis auf den Grund zu erreichen. Dabei kam es auch dazu, daß er gewarnt ward und ihm vorgehalten wurde, unter dem Schein dieses Bildes läge ein falscher Grund ungeordneter Freiheit verborgen und großer Schade für die heilige Christenheit läge bedeckt darunter. Und hierüber erschrak er und gewann für etliche Zeit eine Abneigung gegen den inneren Ruf in sich selbst.2

Und einstmals ward ihm eine kräftige Entrückung seiner selbst zuteil und es leuchtete ihm von der göttlichen Wahrheit her ein, er solle sich hiervon nicht abdrängen lassen; denn das sei immer so gewesen und müsse immer so sein, daß sich das Böse hinter das Gute berge, und darum dürfe man das Gute nicht des Bösen wegen verwerfen. Und die Stimme meinte, im alten Bunde, da Gott durch Moses seine wahren Zeichen tat, da warfen die Zauberer ihre falschen darunter; und als Christus, der wahre Messias kam, da kamen etliche andere und zeigten sich fälschlicherweise, als wären sie es.

Und also ist es überall in allen Dingen, und darum ist das Gute nicht mit dem Bösen zu verwerfen, sondern mit guter Unterscheidung auszuwählen, wie der göttliche Mund tut. Und also meinte die Stimme, daß gute vernünftige Bilder, die ihre klare Vernünftigkeit dem Urteil der heiligen Christenheit unterwürfen, nicht zu verwerfen seien, noch daß vernünftige Gedanken, die gute Wahrheit eines vollkommenen Lebens in sich trügen, zu scheuen seien; denn sie befreiten den Menschen von seiner groben Sinnlichkeit und zeigten ihm seinen Adel und des göttlichen Wesens Vortrefflichkeit und aller Dinge Nichtigkeit, was den Menschen besonders vor allen Dingen zu rechter Gelassenheit reizt. Und also kam er wieder auf das vorige Treiben, dazu er ermahnt war, zurück: eine wahre Gelassenheit.