Das Dach muss vor dem Winter drauf - Renate Bergmann - E-Book

Das Dach muss vor dem Winter drauf E-Book

Renate Bergmann

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Beschreibung

Vertrauen ist gut, Renate ist besser Renate Bergmann überlässt ihr Spandauer Grundstück Neffen, nachdem dieser ihr jahrelang Nachhilfe bei der Handhabung moderner Technik gegeben hat. Schließlich heißt es ja immer, ein Mann solle in seinem Leben ein Haus bauen, einen Sohn zeugen und einen Baum pflanzen. Gut, beim Hausbau werden dann alle ein bisschen mithelfen, vor allem Kurt. Das mit dem Sohn hat auch nicht geklappt, denn Ariane, Stefans Frau, erwartet wieder ein Mädchen - die kleine Agneta. Und am Ende steht der Stefan mit 14 Apfelbaum-Setzlingen da. Zum Glück ist für eine Streuobstwiese genug Platz. Aber lesen Sie selbst, was Renate zur Situation auf der Baustelle sagt: «Es ist gut, wenn man seine eigenen vier Wände hat. Eigener Herd ist Goldes wert , heißt es immer, und da ist was Wahres dran. Selbst, wenn der Herd in Spandau steht und die jungen Dinger doch nur Tütensuppe darauf warmmachen.»

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EPUB
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Seitenzahl: 251

Veröffentlichungsjahr: 2019

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Renate Bergmann

Das Dach muss vor dem Winter drauf

Die Online-Omi baut ein Haus

 

 

 

Über dieses Buch

Schaffe, schaffe, Häusle baue

Renate Bergmann gerät unverhofft an ein Grundstück, das sie ihrem Neffen Stefan zur Nutzung überlässt, nachdem dieser ihr jahrelang Nachhilfe bei der Handhabung moderner Technik gegeben hat. Schließlich heißt es ja immer, ein Mann solle in seinem Leben ein Haus bauen, einen Sohn zeugen und einen Baum pflanzen. Gut, beim Hausbau werden dann alle ein bisschen mithelfen, vor allem Kurt. Das mit dem Sohn hat auch nicht geklappt, denn Ariane, Stefans Frau, erwartet wieder ein Mädchen - die kleine Agneta. Und am Ende steht der Stefan mit 14 Apfelbaum-Setzlingen da. Zum Glück ist für eine Streuobstwiese genug Platz. Aber lesen Sie selbst, was Renate zur Situation auf der Baustelle sagt:

Normal müsste das halten

Ein Kalk, ein Stein, ein Gläschen Korn

Passt, wackelt und hat Luft

Nicht zu fassen, nicht zu glauben: Man kann auch mit dem Hammer schrauben!

Erst grübeln, dann dübeln!

So genau macht Ihnen das keiner

Ich mach das morgen fertig

Vita

Renate Bergmann, geb. Strelemann, wohnhaft in Berlin. Trümmerfrau, Reichsbahnerin, Haushaltsprofi und vierfach verwitwet: Seit Anfang 2013 erobert sie Twitter mit ihren absolut treffsicheren An- und Einsichten – und mit ihren Büchern die ganze analoge Welt. Torsten Rohde, Jahrgang 1974, hat in Brandenburg/Havel Betriebswirtschaft studiert und als Controller gearbeitet. Sein Twitter-Account @RenateBergmann, der vom Leben einer Online-Omi erzählt, entwickelte sich zum Internet-Phänomen.

«Ich bin nicht süß, ich hab bloß Zucker» unter dem Pseudonym Renate Bergmann war seine erste Buch-Veröffentlichung – und ein sensationeller Erfolg –, auf die zahlreiche weitere, nicht minder erfolgreiche Bände und ausverkaufte Tourneen folgten.

 

Impressum

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, März 2019

Copyright © 2019 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg

Covergestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt

Coverabbildung Umschlagillustration: Rudi Hurzlmeier

ISBN 978-3-644-40562-2

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

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www.rowohlt.de

Einleitung

Sehen Se, jetzt kennen Se alle meine Leutchen von den Zettelchen hinten und vorne her, aber mich, mich kennen Se vielleicht noch nich. Na, Sie werden mich kennenlernen, hihi. Mein Name ist Renate Bergmann, ich bin 82 Jahre alt, eine geborene Strelemann, und ich lebe in Berlin. Sicher, in Spandau, aber man kann es drehen und wenden, wie man will, es bleibt doch Berlin. Sehen Se, jetzt hätte ich fast vergessen zu schreiben, dass ich zwar alleinstehend, aber in meinem Leben ganze viermal verheiratet gewesen bin.

 

Bevor ich was vergesse, denke ich immer noch bei mir: «Renate, das musst du dir merken!» Später erinnere ich mich noch daran, dass ich mir was merken wollte, aber was es war, fällt mir beim besten Willen nicht mehr ein. Kennen Sie das? Ach, es ist ein Jammer. Kaum hat man im Kopp alles so weit beisammen, dass man denkt, man versteht ein bisschen was vom Leben, fängt man an zu vergessen. Und das Schlimme ist ja, dass ich als ältere Frau das nicht mal zugeben darf. Was meinen Sie, was dann los ist. Da fangen alle an sich zu kümmern und auf einen aufzupassen. Wenn Sie als jüngerer Mensch beispielsweise mal die Kartoffeln anbrennen lassen, was passiert da schon groß? Sie weichen das Malheur schön ein, setzen neue auf und fertig ist die Laube. Es wird kurz gelacht, vielleicht macht die Nachbarin oder der Ehemann noch einen kleinen Witz mit «Brandenburg», aber dann ist es auch vergessen. Und mit ein bisschen Geschick kriegen Se den Topf sogar wieder reine. Was meinen Se aber, was los ist, wenn Ihnen das mit über 80 passiert?

Letzten Herbst war es bei mir so weit, ich hatte die Salzkartoffeln angesetzt – drei für Stefan, je zwei für Ariane und mich, eine für die kleine Lisbeth, na, und noch fünf für den Topf, da läutete es. Gerda Wichelsbach war da. Gerda bringt mir immer altbackene Brötchen, aus denen ich mit dem Höllenmischer von meiner Tochter Kirsten Semmelmehl reibe. Das macht ja heute auch fast keiner mehr, lieber wird alles weggeschmissen und für teures Geld Brösel angeschafft. Gerda selbst wohnt bei ihrer Tochter, die «diese Schweinerei nicht in der Küche haben will». Na ja, und wie das so ist, wenn man sich ein Weilchen nicht gesehen hat … wir wechselten ein paar Worte, Gerda berichtete, dass Schwester Sabine den Führerschein wegen Trunkenheit am Steuer losgeworden war (denken Se sich das mal!), und so gab ein Wort das andere und wir vergaßen die Zeit. Gerdas Tochter, die sie gebracht hatte, hupte schon wie eine Wilde und deutete auf ihre Armbanduhr, und so verabschiedeten wir uns nach kaum einer Dreiviertelstunde. Wie ich wieder in meine Wohnung hochkomme, war da schon überall Rauch. Du liebe Zeit! Angebrannte Kartoffeln stinken wirklich fürchterlich. Ich hatte kaum das Fenster aufgemacht und kaltes Wasser über das Desaster laufen lassen, da ging es schon los. Die Meiser war die Erste aus meinem Haus. Sturm hat se geklingelt und wie eine Furie an die Wohnungstür getrommelt. Als ich an der Türe war, drückte sie mich wie ein Sonderkommando der Brandlöschmeister gegen die Wand, rannte durch den Flur in die Küche, und noch ehe ich die Tür hätte zumachen können, stand auch schon die Berber im Korridor. Die kaute noch, sie war wohl direkt vom Mittagstisch aufgesprungen. Obwohl, die kaut eigentlich immer, das hat im Grunde nichts zu bedeuten. Jedenfalls legten sie nun beide los. Zusammen pusteten die sich auf wie Frösche zu Elefanten. Nee, Mäuse. Sie wissen schon. Was musste ich mir alles anhören! Es hätte sonst was passieren können, das ganze Haus abbrennen, dann wären wir alle obdachlos und müssten auf einer Liege in der Turnhalle kampieren, legte die Berber los. Ich wollte mir das gar nicht vorstellen, wissen Se: Hat man es denn nicht schon schwer genug, wenn man abgebrannt ist und ohne Dach über dem Kopf dasteht? Muss man die Leute auch noch auf Klappliegen in einer Turnhalle schlafen lassen? Was sollen die denn da? Geräteturnen machen? Wenn man nachts hochschnellt, stößt man sich noch den Kopf am Schwebebalken! Hinzu kommt, dass die Berber schnarcht. Die hört man des Nachts über zwei Etagen den Wald zersägen. Um das zu wissen, muss man gar nicht an der Tür gelauscht haben.

Nee, aber wenn die Kartoffeln anbrennen, bringt es einen auch zum Grübeln. Dereinst geht es nicht mehr alleine und man wird auf Hilfe angewiesen sein. Es muss ja nicht gleich ein Heim sein, aber doch jemand, der mal guckt, ob man auch den Herd abgestellt und alle Überweisungsscheine ausgefüllt hat. Da ist man ja noch lange kein Pflegefall, man fühlt sich nur wohler, wenn man weiß, es schaut dann und wann jemand bei einem rein und man ist nicht allein.

 

Aber wer sollte das sein? Zuerst kommt einem da natürlich das eigene Kind, meine Tochter Kirsten, in den Sinn. Aber die wohnt weit weg, und ich kann nicht sagen, dass das schade ist. Warten Se nur ab, Sie werden noch verstehen, warum. Familie ist aber heutzutage nicht nur, wer im Stammbaum steht, sondern vielmehr, wer im Herzen wohnt. Also, Freunde und liebgewonnene Bekannte. Da muss man auch mal durchgehen, wer in Frage käme. Nun sage ich Ihnen ganz ehrlich, meine Freundinnen Ilse und Gertrud sind mein Jahrgang. Und Kurt, der Angetraute von Ilse, hat sogar noch ein paar Lenze mehr auf dem Buckel. Auf Hilfe und Betreuung von denen zu hoffen wäre vielleicht … etwas zu optimistisch.

Bliebe noch Stefan, was mein … lassen Se mich überlegen … Neffe, ja, er ist ein angeheirateter Neffenenkel oder so, ein Enkel des Bruders meines ersten Mannes Otto. Jedenfalls sagt er immer «Tante Renate» zu mir und hat eine gute und patente Frau, die Ariane. Und die kleine Lisbeth, die mir wie eine Enkeltochter ans Herz gewachsen ist! Stefan hat im Grunde heute schon ein Auge auf mich und hilft mir hier und da, wenn der Fernseher mal zickt oder sonst wie Not am Mann ist. Wie letzthin, als ich dachte, der Horst Lichter ist auf der Sonnenbank verkohlt, aber da war ich nur mit dem Staublappen auf den Knopp mit der Farbe gekommen und habe es verstellt. Stefan hat es wieder gerichtet und auch gleich das Händi kontrolliert. Er löscht immer alle möglichen Nachrichten, wenn Herren mir schreiben, dass ich in Nigeria geerbt habe oder dass ich Viagra kaufen soll. Nee, der Stefan ist ein Guter und kommt fast jede Woche vorbei. Aber er wohnt eben auch eine halbe Stunde Fahrtweg weg. Wie schön wäre es doch, wenn man dichter beisammen wäre!

Ja, solche Gedanken kommen einem im Alter. Während ich grübelnd darüber nachsann, ahnte ich noch nicht, wie sich alles bald fügen sollte, Stein für Stein.

Gut geplant ist halb gebaut. Oder war es andersrum?

Ariane hat den Apfel weggeschmissen, nur weil er ein bisschen schrumpelig war. Der ist doch noch gut, den kann man doch noch essen! Wenn ich in den Spiegel gucke, kriege ich richtig Angst, was sie wohl mit mir macht.

Wissen Se, das Leben ist schon ein Schlawiner: Immer, wenn man denkt, nun ist alles in geordneten Bahnen, passiert was und stellt alles auf den Kopf.

Kaum war ich den Tach zur Tür rein, hatte Katerle versorgt und mich an den Küchentisch gesetzt, um die Post durchzugucken, ging die Türglocke. Es waren Stefan und Ariane, was mich sogleich stutzig machte. Ariane kommt sonst nur mit zu mir, wenn es unbedingt nottut. Sie hat immer Angst, dass sie die Schürze umbinden muss und Haushaltskniffe beigebracht kriegt, das ungeschickte Ding. (Nötig wäre es!)

Deshalb kommt Stefan meist allein zu mir. Ariane putzt lieber weiter bei Sonnenschein die Fenster und ärgert sich hinterher über die Schlieren. Jetzt war se aber mit, nur die Lisbeth hatten sie nicht dabei. Ach, das Kind ist jetzt in einem Alter, wo es jeden Tag was Neues lernt und auch viele Dummheiten macht. Als sie «Heidi» im Fernsehen gesehen hat, war sie ganz interessiert, wie der Geißenpeter da die Zicklein gemolken hat. Das wollte sie dann an Norbert, dem Hund meiner Freundin Gertrud, auch ausprobieren, was dem aber gar nicht gefiel. Es gab heftiges Gekläff und ein paar Tränen. Norbert ist ein Junge, wissen Se. Bei Hunden heißen die Jungs ja Rüde. Das hat die Lisbeth sich aber auch nicht richtig gemerkt und nennt ihn «Rüdiger». Was haben wir gelacht! Gertrud sagt im Spaß jetzt auch manchmal Rüdiger zu dem Tier. Er hört schon fast besser darauf, als er es bei «Norbert» je getan hat!

«Lisbeth ist bei Madlääään», erklärte mir Ariane sogleich. Madlääään ist die Nachbarin von Stefan und Ariane. Die guckt immer so miesepetrig. Bei der traut sich morgens nicht mal der Kaffee aus der Kanne. Sie kauft ihren Mokka, so hat sie mir das jedenfalls mal erklärt, nur vergehandelt und ist deshalb völlig übersäuert. So was überträgt sich doch auf das Kind! Ich sah es nicht gern, dass die Kleine bei dieser verkniffenen Person war, aber «sie kann ja nicht nur von alten Tanten erzogen werden», wie Ariane deutlich machte. Sie war ein bisschen blass um die Nase.

Es schien also was Ernstes zu besprechen zu geben.

«Tante Renate, komm, nun setz dich erst mal hin», begann Stefan das Gespräch.

Nanu.

Den Satz kannte ich doch, den hatte er doch schon mal zu mir gesagt! Ich grübelte. Kennen Se dieses Gefühl, wenn etwas passiert und die Situation drum herum ist insgesamt wie Schluckauf, dass man sich nur immer und immer wieder denkt: «Nanu, das habe ich doch schon mal erlebt»? Der Franzose sagt Déjà-vu, glaube ich. Und ich … ach du Schreck.

Ja, ich erinnerte mich genau. Es war damals, als der Stefan die Ariane frisch als Freundin hatte und die schon nach ein paar Wochen die kleine Lisbeth unter dem Herzen trug.

Ich lugte aus den Augenwinkeln rüber zu Ariane, und als ich sah, wie ihr so ein Zucken über das Gesicht huschte, na, da wusste ich Bescheid. Da flitzte sie auch schon los. Es war nämlich kein Magenflattern, sondern die Schwangerschaftsübelkeit, unter der sie wieder ganz furchtbar litt. Das arme Ding! Das ist wie bei der Prinzessin Kät von England, der Frau vom William, wissen Se? Die hat auch bei jedem Kind solche Probleme mit dem Thema. Immer muss sie alle Termine absagen, und der William kann zusehen, wie er allein mit den Kindern und dem Händeschütteln und Winken klarkommt.

«Ihr zwei seid mir welche. Meinen herzlichsten Glückwunsch! Wann ist es denn so weit?»

Die Schwangerschaft war noch ganz frisch. Es war noch in der Phase, wo man nur im ganz kleinen Kreis innerhalb der Familie darüber spricht und es noch nicht offiziell bekanntgibt. Mich freute das natürlich, die beiden sind jung und voller Energie, da sollen sie Kinder kriegen. Jetzt haben sie noch die Nerven und die Kraft, ihrer Herr zu werden. Ich fragte mich aber doch, ob es wohl so geplant war. Bestimmt. Heutzutage hatten die jungen Leute doch alle Möglichkeiten, das ein bisschen zu steuern. Kaum sind se 14, rennen se zum Frauenarzt und wollen die Pille, und diese Gummitütchen hängen auch in jeder Kaufhalle am Ständer vor der Kasse. Ich weiß das, ich habe acht Päckchen zu Hause. Wie oft habe ich mich schon vergriffen, wenn ich Batterien oder Streichhölzer wollte. Das ist aber auch immer eine Hektik beim Bezahlen, nee! Von hinten schieben se einem schon den Einkaufswagen in den Hacken, und vorne plärrt die Kassiererin «Vierundzwanzig zwanzig», während man noch die Punktekarte sucht. Und ehe man die Streichhölzer gefunden hat, hat man wieder diesen Schweinkram erwischt.

Nee, wirklich, man kann das heutzutage so viel besser planen als wir damals. Da musste ein «Nein, Otto, heute nicht» reichen. Es gibt jetzt sogar Äppse für den Händi, wo die Frauen Tagebuch über … also, die können das da alles eintragen. Ich weiß das, Stefan hat mir das gezeigt. Ich war sehr verwundert, aber er sagt, er führt das für seine Kolleginnen ein bisschen mit und weiß so schon immer im Voraus, wann welche schlechte Laune hat.

 

«Wünscht ihr euch denn einen Jungen oder wieder ein Mädchen?», erkundigte ich mich, nachdem ich aufs herzlichste gratuliert und einen Korn zum Anstoßen geholt hatte. Für Ariane gab es … Wasser.

Wissen Se, im Prinzip ist das ja egal. «Hauptsache, gesund», sage ich immer. Aber so ein kleines Pärchen, ach, das wäre schon schön! Und ein Stammhalter in der Familie … wobei das ja dieser Tage keine Rolle mehr spielt. Heute sind doch alle so gleichberechtigt, dass man schon Ärger kriegt, wenn man was ohne «-innen» sagt oder schreibt. Das nimmt aber Auswüchse an, die schon wunderlich sind. Bei uns in der Kaufhalle haben sie abgepacktes Hähnchenfleisch, auf dem vorne «Hähncheninnenfilets» steht. Ich bitte Sie, das ist doch Blödsinn. Da kann man doch «Hühnchenfilets» schreiben und gut. Mir ist es im Grunde genommen auch ganz egal, ob es Hähnchen- oder Hühnchenfleisch ist, Hauptsache, es ist zart und lässt nicht zu viel Wasser aus beim Braten. Beim Sport reden se auch immer so einen Quatsch, wie neulich, beim Schwimmen, als die Staffel dran war: «Die Französin ist gut angeschwommen, aber ihre Landsmänninnen konnten hintenraus das Tempo nicht halten.» Statt dass der Landsfrau sagt, verrenkt der sich die Zunge, der olle Plapperkopp am Mikrophon. Das ist bestimmt so einer, der auch Hähncheninnenfilets isst!

Na ja. Wie dem auch sei. Wir hatten also eine Situation, in der Renate Bergmann den Dienstags-Tanztee mit den Witwen erst mal aufschieben musste. Familie geht schließlich vor, und auch, wenn man sich nicht einmischen und den jungen Leuten reinreden darf, war es doch an mir, ein paar Denkanstöße zu geben.

Es ist manchmal gar nicht verkehrt, wenn man sich mal verläuft. Beim Suchen nach dem richtigen Weg zurück entdeckt man oft spannende Pfade.

Man musste gut überlegen, wie es weitergeht. Stefan und Ariane wohnten zur Miete, genau wie ich, aber nicht in Spandau, sondern ein Stückchen rein nach Mitte hin. Im Wedding. Sie haben zwei Zimmer und eine kleine Kammer, in der das Kind schläft. Die Kammer kann man nicht als Zimmer rechnen, so klein ist die. Eine Küche haben sie natürlich auch – in der bleibt der Herd zwar meist kalt, aber das ist jetzt nicht das Thema. Und Badestube und Spültoilette innen. Nicht, dass Se denken, die müssen auf den Hof oder die halbe Treppe runter, nee, so ist es nicht mehr. Aber es ist doch recht beengt und nicht sehr schön. Im Grunde wohnen sie nicht viel anders als Otto, mein erster Mann, und ich seinerzeit in Moabit. Das ist ganz dichte bei. Wenn ich Stefan und Ariane besuche und ein bisschen vor der Zeit bin, bummele ich da ab und an vorbei. Dann kommen die Erinnerungen wieder hoch: Hinterhaus, zwei Treppen hoch, zur Untermiete bei Mutter Vettschau. Da haben wir gewohnt. Nur war bei uns die Toilette auf dem Hof, und gebadet haben wir am Sonnabend in der Zinkwanne im Waschkeller. Mutter Vettschau hat die Miete immer im Voraus kassiert, in bar, und ließ sie in der Schürzentasche verschwinden. Ständig wollte sie mehr, das war damals nicht anders als heute.

Ja, ist doch wahr, die Mieten werden jedes Jahr teurer, Sie ahnen ja nicht, was die einem abknöpfen mittlerweile! Und gerade in Berlin wird es immer verrückter. Wedding war früher ein Arbeiterviertel. Es war nie prächtig und schick, sondern schmuddelig und primitiv. Aber da es überall teurer wird, ziehen die jungen Leute dahin, wo die Preise noch halbwegs annehmbar sind. Das hat dann zur Folge, dass die Preise auch da immer mehr ins Unverschämte steigen. Mittlerweile gibt es in der Straße von Stefan und Ariane vier Läden, wo man Mackiatolatte kriegt. Aber Kurzwaren und Handarbeitsbedarf? Fehlanzeige! Letzthin haben da auch zwei Freundinnen von meiner Kirsten, die eben etwas ero… esoterisch unterwegs ist, eine Praxis eröffnet, in der sie beim «Finden der Mitte» helfen. Dabei ist Mitte nun wirklich nicht weit von Wedding, man kann den Fernsehturm schon sehen!

 

Da macht sich aber auch kein Politiker richtig Gedanken drüber, wie man das Problem mit dem Wohnen lösen kann. Es muss doch wohl möglich sein, dass man genügend bezahlbare Behausungen für alle hat; ich bitte Sie, der Krieg ist doch nun wirklich lange her. Neulich hat eine im Fernsehen gemurmelt, der «demographische Wandel» wäre schuld. Auf Deutsch: wir Alten. Eine Frechheit. Das sollte se mir mal ins Gesicht sagen, die würde mich aber kennenlernen! Früher haben wir gesagt «die Alten leben immer länger» und fertig war. Das kam ja schon bald nach dem Krieg auf, dass jeder Tabletten für den Blutdruck nahm und dass es nichts Besonderes mehr war, wenn einer im Dorf gut über den 80er drüber kam. Heute ist es schon fast der Normalfall. Nur tut man fein und nennt es «demographischen Wandel». Das Problem wäre aber lange nicht gelöst, wenn se uns Omas und Opas kurzhielten mit den Tabletten und «der da oben» uns wieder früher heimriefe. Es wachsen nämlich auch nicht mehr so viele Junge nach wie zu meiner Zeit! Das liegt nun aber auch am Fernsehprogramm, da kann mir einer erzählen, was er will. Früher gab es drei Programme. Kurz vor Geisterstunde kam der Kuhlenkampf mit den Nachtgedanken, die Nationalhymne wurde gespielt, und dann war bis nächsten Mittag Schluss. Testbild. Ja, was blieb den Leuten denn da übrig, als ins Bett zu gehen? Zum Lesen war es zu dunkel, also hat man … man hat was für die Bevölkerungsentwicklung getan. Jawoll! Achten Se mal drauf, wie viele Leute Anfang/Mitte September Geburtstag haben, und rechnen Se neun Monate zurück. Das ist die Weihnachtszeit. Da wissen Se Bescheid, was die Eltern da gemacht haben! Da hatte man mal Gelegenheit für so was, nicht wahr?

 

«Habt ihr euch denn schon Gedanken gemacht, wo ihr wohnen wollt, Stefan?», fragte ich.

«Na ja, so beengt wohnen geht auf Dauer natürlich nicht mit zwei Kindern. Wir müssen gucken, wo wir was Größeres finden. Aber die Mieten …»

Ariane blies die Backen auf. Sie hatte im Onlein schon rumgestöbert, und ihr war fast das Herz stehengeblieben, sagte se. Es würde nicht leicht werden, aber sie «wäre dran» und hätte auch schon selbst eine Suchanzeige aufgegeben und mit einem Makler gesprochen.

«Es wird sich schon fügen, Tante Renate. Uns drängt ja erst mal nichts, Lisbeth ist untergebracht, und das Kleine kann die ersten Monate auch bei uns schlafen.» Das kann ich gut leiden an Ariane, wissen Se. Sie ist sehr patent und macht immer das Beste aus der Situation. Eine gute Frau hat sich der Stefan da ausgesucht, auch, wenn sie fertigen Kloßteig kauft.

Ariane bat mich noch, Augen und Ohren offen zu halten. «In deinem Bekanntenkreis wird doch vielleicht hier und da mal was frei, Tante Renate. Einer geht ins Altenheim oder … geht ganz … plötzlich heim.» Sie versuchte, pietätvoll zu bleiben. Ich sage Ihnen, das ist nicht bei allen der Fall. Es gibt auch richtig schlimme Gängster, die da Schindluder mit treiben. Denken Se sich nur, als Richard Hacksmann von uns gegangen ist, bekam seine Ursel zwei Tage, nachdem die Sterbeanzeige im Kurier war, eine Mahnung von einem Sexversand. Richard soll angeblich unanständigen Kram für bald 150 Euro gekauft haben, und nun bitte man doch, dass das diskret bezahlt und aus der Welt geschafft wird. Ursel war zum Glück helle und hat den Schriebs gleich ins Feuer geschmissen. Richard war nämlich seit zwei Jahren bettlägerig und konnte gar nicht im Schweinskramkatalog geblättert haben. Irgendwelche Halunken haben da die Anzeigen durchgeguckt und einfach Mahnbriefe verschickt. Eine Frechheit ist das, als ob man in so einem Moment nicht schon Gram genug hat. Aber wie viele überweisen in einer solchen Verlustsituation, wo man ja unter Schock steht, aus Scham? Nee, es ist eine Unverschämtheit! Na ja, aber was wollte ich eigentlich sagen?

Ach ja. Seit neuestem telefonieren die Wohnungssuchenden in Berlin nicht mehr nur die Wohnungsanzeigen ab, sondern auch die Traueranzeigen. Das ist vielleicht nicht sehr rücksichtsvoll den Angehörigen gegenüber, aber auch nicht dumm. Hin und wieder fügen sich da die Interessen gut zusammen: Die Kinder von der ollen Kneckemann, die nie gegrüßt und das Bein so nachgezogen hat, die haben die Wohnung – wie sie war! – an die Nachmieter übergeben und konnten sich die Sperrmüllabfuhr und das Malern sparen. «Winwinwinsituation», hat Stefan gemurmelt, und dass er da auch zugreifen würde. Darauf spielte Ariane an. Warum sollten die jungen Leute auch nicht von meinen ausgezeichneten Kontakten profitieren? Ich versprach, mich umzuhören, und stieß mit Stefan erst mal an. Wir mussten das alles ja auch nicht gleich heute entscheiden, das Baby war ja gerade frisch angesetzt, sozusagen. «Kommt Zeit, kommt Rat», hat Oma Strelemann schon immer gesagt. Ich verabschiedete die jungen Leute und mahnte Stefan, darauf zu achten, dass Ariane sich schont.

Ich wäre aber nicht Renate Bergmann, hätte ich nicht schon eine Idee im Sinn gehabt. Ha!

Bevor ich zu Bett gehe, hänge ich immer noch die Bilder meiner verstorbenen Männer ab. Es wäre mir unangenehm, würden die mich ohne Zähne sehen.

Damit Se verstehen, welche Idee ich da hatte, muss ich Ihnen (kurz!) von Franz erzählen. Franz war meine dritte standesamtliche Zuteilung – und ein Fehlgriff ins Gatten-Regal.

Es ist traurig, aber wahr: Die Jugend wird an die Jungen verschwendet. Ach, wenn wir Alten noch ein paar unserer frühen Tage hätten, wir könnten doch etwas viel Klügeres damit anfangen! Aber es wird wohl schon richtig so sein, die Jugend gehört gedankenlos verschwendet. «Lebt», sage ich den jungen Leuten immer, «lebt, genießt und schwelgt. Es wird noch früh genug beschwerlich, und dann hat man nur noch Erinnerungen.»

Wissen Se, ich will gar nicht noch mal jung sein. Was habe ich für Fehler begangen, Himmel, nee! Und Franz war nur einer davon. Es hat aber gar keinen Sinn, darüber nachzugrübeln. Die Lektionen sind gelernt, und nun lebe ich im Hier, Jetzt und Heute. Die Zeit, die mir noch bleibt, ist knapp genug. Die werde ich doch nicht damit vergeuden, über vergangene Tage zu jammern. Aber WENN ich noch mal jung wäre, ha, meinen Franz würde ich vor die Tür setzen. Mindestens!

Seinerzeit war das noch nicht so mit Emanzipation und solchen Dingen. Wenn man als Frau da gemerkt hat, dass der Mann fremd… also, es mit der Treue nicht so genau nahm, dann weinte man ins Kissen und wartete, bis er starb. Eine Renate Bergmann, damals noch verheiratete Hilbert, war ihrer Zeit aber ein bisschen voraus und weinte zumindest nicht (nur). Als ich merkte, dass der Franz sich mit Possiermädchen vergnügte, ließ ich ihn auf der Couch nächtigen. Nicht mal geleugnet hat der Hallodri das! «Ehe ist etwas so Schwieriges, dass man drei Leute braucht, damit sie funktioniert», sagte er nur und lächelte. Das war das letzte Mal, dass der gelächelt hat, das sage ich Ihnen aber. Dem habe ich das Leben ungemütlich gemacht. Die Schlafzimmertür war von da an immer abgeschlossen und für ihn tabu. Da kam der nicht mehr durch. Nee, nee.

Wissen Se, ich war ja als Schaffnerin im D-Zug oft lange weg. Heute würde man wohl sagen, dass wir von da an eine Wohngemeinschaft hatten. Wir lebten zusammen, aber getrennt von Tisch und Bett. Wie die jungen Leute bei mir im Haus: ein Mädchelchen und zwei Herren, die alle was studieren und sich eine Wohnung und die Miete teilen. Jeder schläft in seinem Zimmer, und ab und an kochen sie gemeinsam, aber im Grunde geht jeder seiner Wege. So hielt ich es mit Franz auch, seit ich dem verdorbenen Fremdgänger draufgekommen war. Der olle Zausel durfte auf dem Küchensofa schlafen und seine Sachen in der Anbauwand verwahren. Und damit war der noch gut bedient! Ich machte sogar weiter seine Wäsche mit, schließlich war er nach außen hin mein Mann, und die Schande, dass die Leute reden, hätte ich nicht gewollt. Wegen der Wäsche bin ich ihm auch draufgekommen; der Dussel war nämlich so unvorsichtig, mir seine Hemden in die Truhe zu werfen, die nach dem Parföng von seiner Bettgesellin rochen. Ich bitte Sie, ich erkenne doch NONCHALANCE! So was Gutes hatte ich nicht, das war Westparföng. Das gab es nur im Intershop. Als ich dann sogar ein rotes langes Haar auf dem Hemd entdeckte, na, da war es aber aus. Franz hat vielleicht Augen gemacht, als er sein Plumeau auf dem Küchensofa liegen sah. Kein Wort musste ich sagen, der wusste genau, dass ich ihm auf die Schliche gekommen war. Schürzenjäger, verdammter! Was hat der über Rückenschmerzen gejammert in den Wochen danach, angeblich wegen des Küchensofas. Aber auf dem Ohr war ich taub. «Wenn es hinten weh tut, musst du vorne aufhören, du oller Bock», das war alles, was ich ihm noch mitgab. Es ging ja auch nicht lange, kein halbes Jahr später war er mausetot. Jetzt gucken Se nich so, ich habe damit nichts zu tun. Mein Alibi war dicht wie eine Tresortür, stand 28 Jahre lang quer durch Berlin, wurde von bewaffneten Organen beschützt und nannte sich Mauer: Der Franz starb auf Dienstreise nach Westberlin.

Was meinen Se, wie schwierig es war, den toten Franz nach Hause zu bekommen! Was auch immer vorgefallen war, er war mein Angetrauter, und es gehörte sich doch, dass ich ihn in Ehren – so viele Ehren, wie er eben noch verdient hatte – unter die Erde brachte. Was haben die sich angestellt beim Zoll, ich sage Ihnen, so was Bockbeiniges hatte ich noch nicht erlebt. Erst hieß es, er dürfte nicht im Sarg aus Westberlin raus, sondern nur eingeäschert in der Urne. Ich bitte Sie! Denen habe ich aber was erzählt. Ich legte los und der Beamte die Ohren an. «Wenn ich ein Schwein zum Schlachter bringe», sagte ich, «dann will ich doch zum Wursten auch zwei Hälften zurück und nicht schon fertigen Gulasch!» Das habe ich dem gesagt und noch ganz andere Sachen. Eine Renate Bergmann redet nicht lange um den heißen Brei herum, sondern Tacheles. Es ging ein Weilchen hin und her, der andere Zoll wurde hinzugezogen, und ein Herr guckte in einer Tabelle nach. Zwischen Krokussen, Feinstrumpfhosen und Autorückspiegeln fand sich nach langer Suche «Sarg». Letztlich war vonseiten Ostberlins alles genehmigt, und nun sollten noch die Franzosen ja und amen sagen, weil es Franz im französischen Sektor dahingerafft hatte.

Da wurde es mir endgültig zu bunt. Die Zeit drängte ja auch, wissen Se, wir hatten Sommer, da musste der Kerl zügig unter die Erde!

Als Franz wieder im Osten war, hat ihm der Rachmeier, mein Haus-und-Hof-Bestatter, erst mal einen anständigen Anzug angezogen. Das rüschige Leichenhemd aus dem Westen hat er nicht anbehalten, das war ja würdelos! Das sah eher aus wie ein Taufkleid oder als wäre mein Mann einem «Käfig voller Narren» entsprungen. Aber den Sarg von drüben, den haben wir ihm gelassen. Was meinen Se, wie die Leute geguckt haben, so was Schönes hatten die meisten ollen Frauen noch nie gesehen. Massive Eiche, dunkel gebeizt und mit üppigen Beschlägen aus Messing. Sehr gediegen! Heute ist das ja Standard, da können Se für Geld ja alles kriegen, aber zu DDR-Zeiten war das wie ein Mercedes zwischen lauter Trabis. Franz wurde also begraben wie ein Staatsmann. Im Grunde völlig unverdient. Na ja.

Franz hatte es schneller von der Platte geputzt, als ich ahnen konnte, und ich stand als nun dreifache Witwe da, immer noch jung und vorzeigbar. Ich betrauerte ihn, wie es sich gehörte, räumte das Küchensofa wieder frei, gab seine Anzüge zum Roten Kreuz und trug ein halbes Jahr Schwarz, wie es der Anstand gebot. Dann war es aber auch gut.