Das Duell der Prinzen - C.S. Pacat - E-Book

Das Duell der Prinzen E-Book

C.S. Pacat

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Beschreibung

Spannung, Liebe und Leidenschaft – das Abenteuer um die beiden Kriegerprinzen Damen und Laurent geht weiter!

Einst war Damen der Kronprinz des mächtigen Königreiches Akielos. Dann wurde er verraten, versklavt und in die Hände seines größten Feindes Laurent übergeben. Wenn er überleben will, muss Damen seine wahre Identität verbergen, was immer schwieriger wird, je näher er dem gefährlich charismatischen Prinzen von Vere kommt. Und nun soll er auch noch Seite an Seite mit Laurent in die Schlacht ziehen. Ein Abenteuer, bei dem Damen einem dunklen Geheimnis auf die Spur kommt und sich entscheiden muss: Hört er auf seinen Verstand oder auf sein Herz?

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Seitenzahl: 484

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Das Buch

Einst war Damen der Kronprinz des mächtigen Königreiches Akielos. Dann wurde er verraten, versklavt und in die Hände seines größten Feindes Laurent übergeben. Doch Laurent weiß nicht, wer Damen ist, und der muss seine wahre Identität vor dem Prinzen von Vere verbergen, was immer schwieriger wird, je näher er dem gefährlich charismatischen Laurent kommt. Denn sollte Laurent herausfinden, dass sein engster Vertrauter der Prinz von Akielos ist, der Mann der einst Laurents geliebten Bruder tötete, wäre das mit Sicherheit Damens Ende. Und nun soll er auch noch Seite an Seite mit Laurent in die Schlacht ziehen. Als Laurent und Damen der gegenseitigen Anziehungskraft nicht mehr wiederstehen können und im veretischen Feldlager eine leidenschaftliche Nacht miteinander verbringen, ist es endgültig um Damen geschehen. Doch dann kommt er einem dunklen Geheimnis auf die Spur und muss sich entscheiden: Hört er auf seinen Verstand oder auf sein Herz …

Die Autorin

C. S. Pacat wurde in Australien geboren und studierte an der University of Melbourne. Sie ist viel gereist und hat bereits in den verschiedensten Städten gelebt, u. a. in Tokio und in Perugia. Die Autorin lebt und arbeitet in Melbourne.

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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C. S. PACAT

ROMAN

Mit Bonusgeschichte:»Kapitel 19 ½«

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der amerikanischen Originalausgabe

PRINCE’S GAMBIT

Deutsche Übersetzung von Viola Siegemund

Deutsche Erstausgabe 02/2016

Redaktion: Catherine Beck

Copyright © 2013 by C. S. Pacat

Copyright © 2016 der deutschsprachigen Ausgabe undder Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN: 978-3-641-15522-3V002

  DIE PERSONEN  

Akielos

Kastor – König von Akielos

Damianos (Damen) – Kronprinz von Akielos

Jokaste – Hofdame

Nikandros – Kyros von Delpha

Makedon – Hauptmann

Naos – Soldat

Vere

Der Hofstaat

Der Regent von Vere

Laurent – Kronprinz von Vere

Nicaise – Leibsklave des Regenten

Guion – Lord von Fortaine, Mitglied des veretischen Rates und ehemaliger veretischer Botschafter in Akielos

Vannes – Botschafter in Vask

Ancel – Leibsklave

Die Männer des Prinzen

Govart – Hauptmann der Prinzengarde

Jord

Orlant

Rochert

Huet

Aimeric

Lazar – ehemaliger Söldner des Regenten, nun Mitglied der Prinzengarde

Paschal – Physikus

In Nesson

Charls – Händler

Volo – Trickbetrüger

In Acquitart

Arnoul – Faktotum

In Ravenel

Touars – Lord von Ravenel

Thevenin – sein Sohn

Enguerran – Hauptmann der Truppen

Hestal – Touars Ratgeber

Guymar – Soldat

Guerin – Schmied

In Breteau

Adric – Mitglied des niederen Adels

Charron – Mitglied des niederen Adels

Patras

Torgeir – König von Patras

Torveld – Torgeirs jüngerer Bruder und Botschafter in Vere

Erasmus – sein Sklave

Vask

Halvik – Clanführerin

Kashel – Clansfrau

Aus der Vergangenheit

Theomedes – früherer König von Akielos und Damens Vater

Egeria – frühere Königin von Akielos und Damens Mutter

Hypermenestra – Theomedes’ Mätresse und Kastors Mutter

Euandros – früherer König von Akielos, Gründer des Hauses Theomedes

Aleron – früherer König von Vere und Laurents Vater

Auguste – früherer Thronerbe von Vere und Laurents Bruder

 1 

Als sie ankamen, fielen bereits lange Schatten, und der Horizont glühte im Licht der untergehenden Sonne. Chastillon bestand aus einem einzigen runden Turm, der dunkel und massig in den Himmel ragte. Genau wie Ravenel und Fortaine weiter unten im Süden hatte die riesige alte Burg wohl schon so mancher brutalen Belagerung standgehalten. Bei ihrem Anblick lief Damen ein leiser Schauer über den Rücken, denn während sie darauf zuritten, fühlte er sich unweigerlich an die Festung von Marlas erinnert, an jenen Turm in der Ferne inmitten von weiten roten Feldern.

»Das hier ist Jagdgebiet«, sagte Orlant, der Damens Blick offenbar missverstanden hatte. »Versuch es also erst gar nicht.«

Damen schwieg. Er hatte nicht vor, einen Fluchtversuch zu unternehmen. Es war ein seltsames Gefühl, umringt von veretischen Soldaten ohne Fesseln zu reiten, und das auch noch freiwillig.

Trotz des gemächlichen Tempos der Wagen in der vorsommerlichen Landschaft reichte eine Tagesetappe meist aus, um die Qualität einer Kompanie einzuschätzen. Zwar thronte der neue Hauptmann Govart nur wie ein gesichtsloser Klotz über dem wehenden Schweif seines muskulösen Pferds, aber sein Vorgänger hatte die Männer offenbar darauf gedrillt, auch bei langen Ritten stets einen geschlossenen Zug zu bilden. Damen war von so viel Disziplin überrascht und fragte sich, ob der Trupp auch in einer Schlacht die Stellung würde halten können.

Falls ja, bestand durchaus Grund zur Hoffnung, obwohl Damen zugeben musste, dass seine gute Laune eher mit der schönen Umgebung zu tun hatte, mit dem Sonnenschein und der vermeintlichen Freiheit, die ein eigenes Pferd und ein Schwert mit sich brachten. Selbst das schwere goldene Halsband und die Spangen um seine Handgelenke vermochten seine Hochstimmung nicht zu trüben.

Zur Begrüßung hatten sich die Diener im Burghof aufgereiht, wie es bei der Ankunft wichtiger Gäste üblich war. Die Einheit des Regenten, die angeblich bereits in Chastillon auf den Prinzen und sein Gefolge wartete, ließ sich jedoch nicht blicken.

Es galt, fünfzig Pferde in den Stallungen unterzubringen, fünfzig Mal Mann und Ross von Rüstung und Zaumzeug zu befreien und fünfzig Schlafplätze in der Kaserne herzurichten; dazu kamen noch Diener und Wagen. Doch in dem gewaltigen Burghof wirkte das Prinzenregiment mit einem Mal klein und unbedeutend. Chastillon war groß genug, um fünfzig Männer zu schlucken, als wären sie Luft.

Zelte wurden nicht aufgebaut – die Soldaten würden in der Kaserne übernachten und Laurent im Burgfried.

Der schwang sich soeben aus dem Sattel, steckte die Reithandschuhe hinten in den Gürtel und richtete seine Aufmerksamkeit auf den Burgvogt. Govart bellte ein paar Befehle, und ehe er es sich versah, war Damen vollauf mit Panzern, Putzen und seinem Pferd beschäftigt.

Jenseits des Hofs kamen zwei Alaunthunde die steinernen Stufen herabgeprescht und sprangen außer sich vor Freude an Laurent hoch, der einen der beiden liebevoll hinter den Ohren kraulte, was bei dem anderen einen Eifersuchtsanfall auslöste.

Unsanft riss Orlants Stimme Damen aus seinen Gedanken: »Der Physikus will was von dir.« Er deutete mit dem Kinn zu einem Vordach auf der gegenüberliegenden Hofseite, unter dem ein vertrautes graues Haupt auszumachen war. Damen ließ den Brustpanzer sinken, den er gerade in der Hand hielt, und ging hinüber.

»Setz dich«, sagte der Physikus.

Vorsichtig nahm Damen auf der einzigen Sitzgelegenheit Platz, einem kleinen dreibeinigen Schemel. Der Physikus knöpfte einen zerschlissenen Lederbeutel auf.

»Zeig mir deinen Rücken.«

»Da ist alles in Ordnung.«

»Nach einem ganzen Tag im Sattel? In Rüstung?«, erwiderte der Physikus.

»Es ist alles in Ordnung«, beharrte Damen.

»Zieh dein Hemd aus.«

Der Blick des Physikus ließ keine weiteren Proteste zu, und so griff Damen schließlich nach hinten und zog sich das Hemd über die breiten Schultern, damit der Arzt seinen Rücken inspizieren konnte.

Tatsächlich schien alles in Ordnung zu sein. Damens breiter Rücken war so weit verheilt, dass statt offener Wunden erste Narben zu sehen waren. Obwohl er keine Eule war, versuchte er einen Blick darauf zu erhaschen, bevor er einsah, dass ein verrenkter Hals die Mühe nicht wert war.

Nach kurzem Stöbern in dem Beutel förderte der Physikus eine seiner zahllosen Heilsalben zutage.

»Bekomme ich eine Massage?«

»Das ist ein Wundbalsam. Wenn man es jeden Abend aufträgt, verblassen die Narben mit der Zeit.«

Langsam verlor Damen die Geduld. »Ein Schönheitsmittel?«

»Man hat mich schon vor deinem Temperament gewarnt«, bemerkte der Physikus. »Nun gut. Je gründlicher dein Rücken verheilt, desto weniger Ärger wird er dir jetzt und in Zukunft bereiten, und desto besser wirst du mit dem Schwert herumfuchteln und Blutbäder anrichten können.« Dann fügte er hinzu: »Angeblich soll dieses Argument ja bei dir fruchten.«

»Der Prinz«, sagte Damen. Natürlich. Die liebevolle Pflege seines Rückens glich dem zärtlichen Kuss auf eine Wange, der man zuvor eine Ohrfeige verpasst hat.

Ärgerlicherweise hatte Laurent recht. Falls es zum Äußersten kam, musste Damen einsatzfähig sein.

Die duftende Salbe kühlte und tat nach dem langen Ritt gut. Nach und nach entspannten sich Damens Muskeln. Als er den Kopf senkte, fiel ihm das Haar leicht ins Gesicht, und unter den kundigen Handgriffen des Physikus beruhigte sich seine Atmung.

»Ich weiß Euren Namen gar nicht«, bekannte Damen.

»Du erinnerst dich bloß nicht daran. In der Nacht unserer ersten Begegnung hast du zwischendurch immer wieder das Bewusstsein verloren. Noch ein paar Peitschenhiebe, und du hättest den nächsten Morgen nicht erlebt.«

Damen lachte verächtlich. »So schlimm war es auch wieder nicht.«

Der Physikus warf ihm einen Blick zu, den Damen nicht deuten konnte. »Ich heiße Paschal«, sagte er nur.

»Paschal«, wiederholte Damen. »Seid Ihr zum ersten Mal bei einem Feldzug dabei?«

»Nein, ich war der Leibarzt des Königs. Ich habe mich in Marlas und Sampelier um die Gefallenen gekümmert.«

Daraufhin trat Stille ein. Eigentlich hatte Damen Paschal über die Männer des Regenten ausfragen wollen, doch jetzt hielt er sich nur stumm an seinem zusammengeknüllten Hemd fest, während der Physikus weiter langsam und systematisch seinen Rücken bearbeitete.

»Ich habe in Marlas gekämpft«, sagte Damen schließlich.

»Das dachte ich mir.«

Erneutes Schweigen. Damens Blick wanderte über den Lehmboden unter dem Vordach, blieb an einer Rille hängen und fiel dann auf ein verdorrtes, abgerupftes Blatt. Irgendwann lösten sich die Hände von seinem Rücken, der Physikus war fertig.

Draußen leerte sich allmählich der Burghof; Laurents Leute verloren keine Zeit. Damen stand auf und schüttelte sein Hemd aus.

»Wenn Ihr damals dem König gedient habt«, sagte er, »wieso gehört Ihr jetzt zum Gefolge des Prinzen und nicht zu dem seines Onkels?«

»Man kommt immer dort an, wo man sich hinbegibt«, antwortete Paschal und ließ seinen Lederbeutel zuschnappen.

Wieder im Burghof, konnte sich Damen nicht bei Govart zurückmelden, weil der spurlos verschwunden war. Stattdessen traf er auf Jord, der gerade den Verkehr regelte.

»Kannst du lesen und schreiben?«, fragte er.

»Ja, natürlich«, antwortete Damen und hielt den Atem an.

Jord schien es nicht aufzufallen. »Wir sind nicht vorbereitet auf morgen. Der Prinz sagt, ohne ein komplettes Waffenarsenal brechen wir nicht auf, aber er sagt auch, dass er nicht länger warten will. Geh in die Rüstkammer im Westflügel, mach eine Bestandsliste, und gib sie dem Mann dort drüben.« Er machte eine Geste. »Rochert.«

Da eine volle Bestandsaufnahme die ganze Nacht dauern würde, nahm Damen an, dass er nur die vorhandenen Listen überprüfen sollte, die er in einem Stapel ledergebundener Bücher fand. Auf der Suche nach den richtigen Seiten schlug er den ersten Band auf. Als ihm klar wurde, dass er eine sieben Jahre alte Jagdwaffenliste in der Hand hielt, die einst für Kronprinz Auguste angefertigt worden war, überkam ihn ein seltsames Gefühl.

Für seine Hoheit, den Kronprinzen Auguste: ein Satz Jagdmesser, eine Lanze, acht Speerspitzen, Armbrust und Sehnen.

Er war nicht allein in der Waffenkammer. Jenseits der Regale ertönte auf einmal die kultivierte Stimme eines jungen Höflings: »So lautet nun einmal dein Befehl. Er stammt vom Prinzen höchstpersönlich.«

»Und warum soll ich dir glauben? Bist du etwa sein Betthäschen?«, erwiderte jemand heiser.

Ein dritter Mann: »Da würde ich glatt Eintritt zahlen.«

Und noch einer: »Der Prinz ist doch kalt wie ein Fisch. Der fickt nicht. Wir folgen nur Befehlen, die direkt vom Hauptmann kommen.«

»Wie könnt Ihr es wagen, so über Euren Prinzen zu sprechen? Wählt Eure Waffe. Ich sagte, wählt Eure Waffe. Los.«

»Du wirst dir noch wehtun, Kleiner.«

»Wenn Ihr zu feige seid, um …«, begann der Höfling, doch noch bevor er den Satz vollendet hatte, griff Damen nach einem herumliegenden Schwert und trat vor.

Als er um die Ecke bog, holte einer von drei Männern in Regentenuniform gerade schwungvoll aus und versetzte dem Höfling einen harten Schlag ins Gesicht.

Doch Damen hatte sich geirrt. Statt eines Höflings stand da der junge Soldat, dessen Namen Laurent Jord gegenüber spöttisch erwähnt hatte. Sag den Dienern, dass sie mit dem Rücken zur Zeltwand schlafen sollen. Und vor allem Aimeric.

Rückwärts prallte Aimeric gegen die Wand, rutschte an ihr hinunter und blinzelte verdattert. Blut floss ihm aus der Nase.

Die drei Männer hatten Damen bemerkt.

»Dem habt Ihr das Maul fürs Erste gestopft«, sagte Damen und fügte jovial hinzu: »Warum belassen wir es nicht dabei, und ich bringe ihn zurück in die Kaserne?«

Seine Statur machte ebenso wenig Eindruck auf die Männer wie das Schwert, das locker in seiner Hand lag. Falls die drei tatsächlich auf einen Kampf aus waren, fanden sich in der Waffenkammer genug Schwerter, Wurfgeschosse und schwankende Regale, um Damen auf unabsehbare Zeit das Leben schwer zu machen. Erst als der Blick des Rädelsführers auf sein goldenes Halsband fiel, fuhr er einen Arm aus und hielt die anderen zurück.

In diesem Augenblick wurde Damen eines klar: Auf dem Feldzug saß die Regenteneinheit am längeren Hebel. Aimeric und die Männer des Prinzen stellten die perfekten Opfer dar, denn sie konnten sich nur bei Govart beschweren, der sie dafür abstrafen würde. Govart, der Lieblingsschläger des Regenten, war nur hier, um die Prinzengarde in Schach zu halten. Doch bei Damen verhielt es sich anders – weil er sich direkt an den Prinzen wenden konnte, galt er als unantastbar.

Er wartete, bis sich die Männer, die dem Prinzen dann doch nicht in aller Öffentlichkeit die Stirn bieten wollten, zur Diskretion durchgerungen hatten. Aimerics Angreifer nickte langsam. Verfolgt von Damens Blicken, verzogen sich die drei schließlich.

Als sich Damen wieder Aimeric zuwandte, fielen ihm gleich seine zarte Haut und die eleganten Handgelenke ins Auge. Es kam durchaus vor, dass nicht-erstgeborene Adelssöhne einen Posten in der königlichen Garde bezogen, um sich einen Namen zu machen. Doch soweit sich das beurteilen ließ, waren Laurents Männer aus gröberem Holz geschnitzt. Unter ihnen war Aimeric vermutlich genauso fehl am Platz, wie er aussah.

Er ignorierte Damens ausgestreckte Hand und stand mühsam allein auf.

»Wie alt bist du? Achtzehn?«

»Neunzehn«, antwortete Aimeric.

Seine gebrochene Nase saß in einem aristokratischen Gesicht mit edlen Zügen, schön geschwungenen, dunklen Augenbrauen und langen schwarzen Wimpern. Aus der Nähe wirkte er viel attraktiver. Erst dann kam sein edel geschnittener Mund zur Geltung, obwohl sein Gesicht gerade vor Blut triefte.

»Es ist nie ratsam, Streit anzufangen«, sagte Damen. »Vor allem dann nicht, wenn deine Gegner zu dritt sind und du nach einem Schlag schon zu Boden gehst.«

»Wenn ich am Boden liege, stehe ich wieder auf. Ich habe keine Angst, verwundet zu werden«, erwiderte Aimeric.

»Sehr gut, denn wenn du die Männer des Regenten weiter so provozierst, kannst du dich auf einige Trachten Prügel gefasst machen. Leg den Kopf in den Nacken.«

Aimeric hielt sich die Hand vor die Nase, hinter der sich das Blut sammelte. Mit großen Augen starrte er Damen an. »Du bist der Günstling des Prinzen. Ich hab schon von dir gehört.«

»Wenn du den Kopf nicht zurücklegen willst, komm wenigstens mit mir zu Paschal«, sagte Damen. »Er kann dir eine Duftsalbe verabreichen.«

Aimeric bewegte sich keinen Millimeter. »Du konntest die Auspeitschung nicht hinnehmen wie ein Mann. Stattdessen bist du zum Regenten gerannt und hast ihm etwas vorgeheult. Du hast dich am Prinzen vergriffen und seinen guten Ruf in den Schmutz gezogen. Dann hast du versucht zu fliehen, und trotzdem hat er sich weiter für dich eingesetzt, weil er niemals einen seiner Männer dem Regenten ausliefern würde. Nicht einmal dich.«

Damen erstarrte. Beim Anblick des jungen, blutüberströmten Gesichts musste er daran denken, dass sich dieser Knabe bereitwillig von drei Männern zu Brei hätte schlagen lassen, nur um die Ehre seines Prinzen zu verteidigen. Normalerweise hätte Damen das als törichte Schwärmerei abgetan, wären ihm nicht Spuren davon auch bei Jord, Orlant und sogar – auf eine ganz eigene, ruhige Art – bei Paschal aufgefallen.

Er dachte an die Hülle aus Elfenbein und Gold, die eine heuchlerische, selbstsüchtige Kreatur umgab, der unter keinen Umständen zu trauen war.

»Du bist ihm so treu ergeben. Warum?«

»Weil ich kein verdammter akielischer Wendehals bin«, erklärte Aimeric.

Nachdem Damen die Bestandsliste bei Rochert abgeliefert hatte, begann die Prinzengarde mit der Vorbereitung der Waffen, Rüstungen und Wagen für den Aufbruch am nächsten Morgen. Eigentlich hätte das bereits vor ihrer Ankunft von der Regententruppe erledigt werden sollen, doch aus der hundertfünfzig Kopf starken Einheit, die den Prinzen begleiten würde, waren nicht einmal zwei Dutzend Mann aufgetaucht, um zu helfen.

Auch Damen mischte sich unter die Soldaten und war wohl der Einzige, der dabei teuer nach Balsam und Zimt duftete. Doch ihm saß noch im Nacken, dass der Vogt ihm befohlen hatte, sich nach getaner Arbeit im Burgfried zu melden.

Nach ungefähr einer Stunde kam Jord zu ihm.

»Aimeric ist noch jung. Er sagt, es passiert nicht wieder«, erklärte er.

Natürlich passiert es wieder, dachte Damen, und sobald die zwei Parteien im Lager anfangen, Vergeltung zu üben, könnt ihr euren Feldzug vergessen. Doch er erwiderte nur: »Wo ist der Hauptmann?«

»Der steckt bestimmt bis zur Hüfte in einem Stallburschen«, sagte Jord. »Der Prinz wartet in der Kaserne auf ihn. Apropos … du sollst ihn holen.«

»Govart? Aus den Stallungen?« Ungläubig starrte Damen ihn an.

»Lieber du als ich«, erwiderte Jord. »Er müsste sich ziemlich weit hinten herumtreiben. Ach, und wenn du ihn gefunden hast, melde dich in der Burg.«

Von der Kaserne zu den Stallungen führte der Weg über zwei Höfe. Damen hoffte inständig, dass Govart fertig sein würde, wenn er ihn fand, doch vergebens. Der nächtliche Stall war erfüllt vom leisen Schnauben und Stampfen der Pferde, und trotzdem drangen sie an Damens Ohr, noch bevor er irgendetwas sah: sanfte, rhythmische Laute, die wie von Jord vorhergesagt aus dem hinteren Teil des Gebäudes kamen.

Kurz überlegte Damen, wer wohl ungehaltener reagieren würde – Govart, der unterbrochen wurde, oder Laurent, der warten musste. Dann stieß er die Tür zur Box auf.

Drinnen war Govart an der Wand gegenüber gerade eindeutig dabei, den Stallburschen zu ficken. Nicht weit von Damens Füßen lag die Hose des Knaben zerknittert im Stroh, seine nackten Beine waren gespreizt, und das offene Hemd war ihm den Rücken hochgerutscht. Govart hatte eine Hand in seinen Haaren vergraben und hielt den Kopf des Burschen fest gegen die grobe Holzverkleidung gedrückt. Er selbst war vollständig bekleidet und hatte die Hose gerade weit genug aufgeschnürt, um seinen Schwanz herauszuholen.

Er hielt nur kurz inne, um einen Blick zur Seite zu werfen und »Was?« zu bellen, bevor er hingebungsvoll weitermachte. Der Stallbursche hingegen begann sich zu winden, als er Damen bemerkte.

»Hör auf«, sagte er. »Hör auf. Ich will nicht, wenn jemand zusieht …«

»Beruhig dich. Ist nur der Günstling des Prinzen.«

Wie zur Bekräftigung zog Govart den Knaben ruckartig an den Haaren.

»Der Prinz sucht Euch«, sagte Damen.

»Der kann warten.«

»Nein, kann er nicht.«

»Er will also, dass ich hier einfach so Schluss mache? Und ihn mit einem Ständer besuchen gehe?« Govart fletschte die Zähne. »Vielleicht ist das ganze Zu-fein-zum-Ficken-Gehabe ja nur Theater, an dem sich der kleine Schwanzlutscher aufgeilt?«

Damen spürte, wie sich quälende Wut in ihm breitmachte, ein Echo der Hilflosigkeit, die Aimeric wohl in der Rüstkammer überkommen hatte. Allerdings war er kein neunzehnjähriger Grünschnabel, der noch nie einen Kampf miterlebt hatte.

»Euer Prinz hat Euch etwas befohlen«, sagte Damen. Ausdruckslos ließ er den Blick über den halb nackten Körper des Stallburschen wandern. Gleich würde Govart in der kleinen, staubigen Box dafür büßen, dass er Erasmus vergewaltigt hatte.

Doch Govart kam ihm zuvor und stieß den Stallburschen entnervt von sich. »Scheiße, so kann ich nicht …« Er stopfte seinen Schwanz zurück in die Hose.

Der Stallbursche tat stolpernd ein paar Schritte und schnappte nach Luft.

»In der Kaserne«, sagte Damen und hielt Govarts Schulter stand, als der an ihm vorbei aus der Box stapfte.

Atemlos starrte der Stallbursche Damen entgegen. Mit einer Hand hielt er sich an der Wand fest, die andere bedeckte mit beharrlicher Sittsamkeit seine Scham. Wortlos griff Damen nach der Hose im Stroh und warf sie ihm zu.

»Er wollte mir einen Kupfersol zahlen«, sagte der Knabe trotzig.

»Ich rede mit dem Prinzen«, versprach Damen.

Und dann war es an der Zeit, sich beim Burgvogt zu melden, der ihn eine Treppe hinauf und geradewegs in Laurents Schlafkammer führte.

Sie war nicht so verschwenderisch ausstaffiert wie die Gemächer im Palast von Arles. Die dicken Mauern bestanden aus schmucklosem Stein, und in den dicht vergitterten Fenstern saß milchiges Glas, doch da es draußen inzwischen dunkel war, spiegelte sich in ihnen ohnehin nur das Schattenspiel des Raums. Über die gesamte Wandlänge zog sich ein Fries aus verschlungenen Weinblättern. Es gab einen steinernen Herd, in dem hinter einem kunstvoll behauenen Mantel gut geschützt ein Feuer loderte, Lampen und Wandteppiche und zu Damens Erleichterung ein eigenes Sklavenlager mit Kissen und seidenen Laken. Das auffallendste Möbelstück jedoch war das massive, prunkvolle Bett.

Sein Rahmen bestand aus dunklem Holz, dessen Schnitzarbeiten eine Jagdszene mit einem aufgespießten Wildschwein darstellten. Von dem goldenen Stern auf blauem Grund war nichts zu sehen. Stattdessen leuchteten die Vorhänge blutrot.

»Das sind also die Gemächer des Regenten«, stellte Damen unbehaglich fest. Es kam ihm vor wie ein Regelverstoß, in den Räumen zu schlafen, die für Laurents Onkel bestimmt waren. »Übernachtet der Prinz oft hier?«

»Nein. In den Jahren nach der Schlacht von Marlas waren Laurent und sein Onkel oft bei uns.« Offenbar dachte der Vogt, es ginge um die Burg, nicht um die Gemächer. »Aber als er älter wurde, verlor der Prinz das Interesse an der Gegend. Inzwischen kommt er nur noch äußerst selten nach Chastillon.«

Auf Befehl des Burgvogts brachte man Damen Brot und Fleisch. Nachdem er mit dem Essen fertig war und sie das Geschirr abgeräumt hatten, stellten die Diener ihm einen elegant geformten Krug und zwei Kelche hin und verschwanden, ließen dabei jedoch – wohl aus Versehen – das Messer zurück. Was hätte Damen während seiner Gefangenschaft in Arles um ein solches Versehen gegeben, um ein Messer, mit dem er sich einen Weg aus dem Palast hätte bahnen können.

So saß er da und wartete.

Vor ihm auf dem Tisch lag eine detaillierte Landkarte von Vere und Akielos, auf der jeder Hügel und jeder Gipfel, jedes Dorf und jede Festung genau eingezeichnet waren. Südwärts schlängelte sich die Seraine, doch Damen hatte bereits festgestellt, dass sie nicht dem Fluss folgten. Er legte den Finger auf Chastillon und fuhr eine mögliche Route nach Delpha nach, gen Süden durch Vere, bis er zu der Linie kam, die die Grenze seines Heimatlands markierte, dessen sämtliche Ortsnamen auf Veretisch geschrieben waren: Achelos, Delfeur. Auf Damen wirkte es wie eine Abfolge falscher Töne.

In Arles hatte der Regent noch einen Mordanschlag auf seinen Neffen geplant; der Tod wartete dort auf dem Boden eines vergifteten Kelchs, an der Spitze eines gezückten Schwerts. Jetzt ließ er unter einem parteiischen, engstirnigen Hauptmann zwei verfeindete Einheiten aufeinander los, die ein gänzlich unerfahrener Prinz anführen sollte. Diese Truppe würde sich von allein zugrunde richten, und wie es aussah, konnte Damen nichts dagegen tun. Auf der Reise würde der Moralverfall nur noch weiter voranschreiten, und der Hinterhalt, der sie fraglos an der Grenze erwartete, würde die dank interner Machtkämpfe und einer fahrlässigen Führung ohnehin zerrüttete Kompanie vollends vernichten. Laurent war der Einzige, der dem Regenten etwas entgegensetzen konnte, und Damen würde sein Versprechen halten, ihn unter allen Umständen zu beschützen. Doch wenn er ehrlich war, kam ihm dieser Ritt an die Grenze eher vor wie der letzte, bittere Zug in einem Spiel, das längst entschieden war.

Egal, was Laurent mit Govart zu schaffen hatte, es zog sich bis spät in die Nacht hin. Langsam wurde es still in der Burg, und irgendwann hörte man nur mehr die Flammen im Herd flackern.

Mit gefalteten Händen saß Damen da und übte sich in Geduld. Die – vermeintliche – Freiheit weckte seltsame Gefühle in ihm. Er dachte an Jord und Aimeric und an all die anderen Männer in Laurents Gefolge, die die ganze Nacht arbeiteten, damit die Truppe morgens zeitig aufbrechen konnte. Im Burgfried gab es Hausdiener, und er sehnte sich keinesfalls nach Laurents Rückkehr, doch während er in den leeren Gemächern neben dem lodernden Feuer auf ihn wartete und sein Blick über die sorgfältig gezeichnete Karte wanderte, wurde ihm auf einmal bewusst, dass er allein war – ein Gefühl, das er aus seiner Gefangenschaft kaum kannte.

Als Laurent schließlich eintrat, erhob sich Damen. Im Türrahmen hinter dem Prinzen tauchte Orlant auf.

»Du kannst gehen. Ich brauche keine Wache vor der Tür«, erklärte Laurent.

Orlant nickte. Die Tür fiel zu.

»Dich habe ich mir bis zum Schluss aufgespart«, sagte Laurent.

»Ihr schuldet dem Stallburschen einen Kupfersol«, gab Damen zurück.

»Der Stallbursche soll sein Geld eintreiben, bevor er die Beine breitmacht.«

Laurent griff nach dem Krug und schenkte sich in aller Ruhe ein. Beim Gedanken an das letzte Mal, als sie in Laurents Gemächern allein gewesen waren, konnte er sich einen Seitenblick auf den Kelch nicht verkneifen.

Kaum merklich zog Laurent die blassen Brauen hoch. »Keine Angst, deine Tugend ist nicht in Gefahr. Es ist nur Wasser … nehme ich an.« Nach einem Schluck ließ er den Kelch sinken und hielt ihn mit feingliedrigen Fingern fest. Wie ein guter Gastgeber warf er einen einladenden Blick auf den Sessel zu seiner Rechten und sagte mit so etwas wie Heiterkeit in der Stimme: »Mach es dir bequem. Du übernachtest heute hier.«

»Ganz ohne Fesseln?«, fragte Damen. »Habt Ihr keine Angst, dass ich verschwinde? Natürlich erst, nachdem ich Euch aus dem Weg geräumt habe.«

»Nicht, solange wir so weit von der Grenze entfernt sind«, erwiderte Laurent.

Gleichmütig erwiderte er Damens Blick. Man hörte nichts außer dem Knistern und Zischen des Feuers.

»Ihr seid wirklich kalt wie ein Fisch«, sagte Damen.

Sorgsam stellte Laurent den Kelch zurück auf den Tisch und griff nach dem Messer.

Es war ein Fleischmesser mit scharfer Klinge. Damen merkte, wie sich sein Puls beschleunigte, als Laurent damit näher kam. Nur wenige Nächte zuvor hatte er mit angesehen, wie Laurent einem Mann die Kehle aufgeschlitzt hatte. Blut war geflossen, so rot wie die Seide auf dem Bett in der Kammer. Dann spürte er entgeistert, wie Laurent ihm das Messer in die Hand drückte. Er umfasste Damens Handgelenk mit der goldenen Spange, packte kräftig zu und drehte das Messer nach oben, bis es auf seinen eigenen Bauch zeigte. Die Klingenspitze drückte sich leicht in den dunkelblauen Stoff seines Prinzengewands.

»Orlant habe ich weggeschickt«, erinnerte er Damen, bevor seine Hand weiter nach unten rutschte und sich fest um Damens Finger legte.

»Ich habe keine Lust, meine Zeit mit leeren Drohgebärden zu verschwenden«, sagte er. »Räumen wir also lieber gleich alle Missverständnisse aus dem Weg.«

Das Messer saß perfekt, genau unterhalb von Laurents Brustkorb. Man müsste nur zustechen und die Klinge nach oben schieben.

Laurent war sich seiner Sache so sicher, dass Damen kaum an sich halten konnte. Am liebsten hätte er ihm mit dem Messer die Selbstbeherrschung aus dem Gesicht geschnitzt, damit darin einmal etwas anderes zu erkennen war als kühle Gleichgültigkeit.

»Es sind doch sicher noch ein paar Hausdiener wach«, sagte er. »Woher weiß ich, dass Ihr nicht um Hilfe schreit?«

»Sehe ich so aus?«

»Ich werde das Messer nicht benutzen«, erklärte Damen schließlich. »Aber offenbar ist Euch nicht klar, wie gern ich würde, sonst hättet ihr es mir nicht in die Hand gedrückt.«

»Doch«, erwiderte Laurent. »Ich weiß genau, wie es ist, wenn man jemanden töten will, aber warten muss.«

Damen trat einen Schritt zurück und ließ das Messer sinken, ohne den Griff loszulassen. Sie hielten einander mit Blicken fest, dann erhob Laurent die Stimme. »Wenn dieser Feldzug vorüber ist, wirst du – sofern du ein Mann und kein Wurm bist – nach Vergeltung trachten für das, was dir angetan wurde. Ich erwarte nichts anderes, und an jenem Tag werden die Karten neu gemischt, doch bis dahin bist du mir zu Diensten. Deswegen will ich eines ganz deutlich machen: Ich erwarte Gehorsam von dir. Du stehst unter meinem Kommando. Wenn du irgendwelche Bedenken hast, kannst du damit zu mir kommen, aber falls du dich einem offiziellen Befehl widersetzt, bleibt mir nichts anderes übrig, als dich wieder auspeitschen zu lassen.«

»Habe ich mich denn einem Befehl widersetzt?«, fragte Damen.

Laurent warf ihm einen langen, seltsam forschenden Blick zu. »Nein«, antwortete er. »Du hast Govart aus den Stallungen geholt, damit er seine Pflicht erfüllt, und Aimeric eine üble Abreibung erspart.«

»Alle anderen arbeiten die Nacht durch, damit wir morgen abreisen können. Was soll ich also hier?«, wollte Damen wissen.

Eine weitere Pause trat ein, dann deutete Laurent erneut auf den Sessel. Diesmal folgte Damen seiner Aufforderung und setzte sich. Laurent ließ sich ihm gegenüber nieder. Zwischen ihnen auf dem Tisch lag die Landkarte mit den detaillierten Zeichnungen ausgebreitet.

»Du hast doch behauptet, du kennst die Gegend«, sagte Laurent.

 2 

Noch bevor sie am nächsten Morgen aufbrachen, war klar, dass der Regent nur Männer der übelsten Sorte als Begleitung für seinen Neffen ausgesucht hatte und dass man die Einheit nur deshalb in Chastillon stationiert hatte, damit am Hof niemand davon Wind bekam. Die meisten waren nicht mal ausgebildete Soldaten, sondern Söldner, die auf dem Schlachtfeld zweit- und drittklassige Kämpfer abgeben würden.

Bei diesem Gesindel hatte Laurent mit seinem hübschen Gesicht natürlich einen schweren Stand. Noch bevor sein Pferd fertig gesattelt war, hatte Damen bereits ein Dutzend Beleidigungen und Anzüglichkeiten aufgeschnappt. Kein Wunder, dass Aimerics Temperament mit ihm durchgegangen war: Selbst Damen, dem es sonst wahrlich nichts ausmachte, wenn über Laurent gelästert wurde, ärgerte sich. Es zeugte von mangelndem Respekt, so über seinen Befehlshaber zu sprechen. Für den richtigen Schwanz würde er die Beine schon breitmachen, sagte gerade einer. Energisch zog Damen seinen Sattelgurt fester.

Vielleicht stand er nach der seltsamen Nacht, die hinter ihm lag, einfach noch etwas neben sich. Stundenlang hatte er über die Landkarte gebeugt Laurents Fragen beantwortet. Im Herd hatte nur noch warm die Asche geglüht. Du hast doch behauptet, du kennst die Gegend. Das waren Laurents Worte gewesen – und Damen hatte den Rest des Abends damit zugebracht, einem Feind taktische Ratschläge zu erteilen, gegen den er eines Tages vielleicht selbst ins Feld ziehen würde: Land gegen Land, König gegen König.

Denn der bestmögliche Ausgang der Geschichte bestand nun einmal im Triumph Laurents über seinen Onkel und Damens Rückkehr nach Akielos, um dort sein Thronerbe anzutreten.

»Hast du Einwände?«, hatte Laurent schließlich gefragt.

Damen hatte tief Luft geholt. Eine Stärkung Laurents bedeutete eine Schwächung des Regenten, und wenn man in Vere mit dem Streit über die Thronfolge beschäftigt war, konnte Akielos davon nur profitieren. Ja, Laurent und sein Onkel sollten das unter sich ausmachen.

Bedächtig hatte er sich also auf die Diskussion eingelassen.

Zunächst ging es um das Grenzgebiet und die Reise dorthin. Sie würden nicht geradeaus nach Süden reiten, stattdessen sollte ihr Weg sie zwei Wochen lang durch die veretischen Provinzen Verenne und Alier am Fuße der Berge in Richtung Südwesten führen, stets dicht an der vaskischen Grenze entlang. Die Variante wich von der direkten Route ab, die der Regent vorgesehen hatte, und es waren bereits Reiter ausgesandt worden, um die Festungen auf dem Weg über ihre Ankunft zu informieren. Laurent versuchte, Zeit zu gewinnen, indem er die Reise so lange ausdehnte wie möglich, ohne dass sein Onkel Verdacht schöpfte.

Dann hatten sie über die Vorteile von Ravenels Verteidigungsapparat im Vergleich zu Fortaine debattiert. Laurent kannte anscheinend keine Müdigkeit. Kein einziges Mal riskierte er einen Blick zum Bett.

Im Verlauf der Nacht gab er seine steife Sitzhaltung auf und machte es sich bequem, indem er das Knie an die Brust zog und den Arm darum schlang. Auf einmal wirkte er sehr jung, und fast automatisch wanderte Damens Blick über die locker überkreuzten Arme und Beine, die Hand auf dem Knie und seine langen, schmalen Knochen. Zeitgleich machte sich eine undeutliche, aber stetig wachsende Spannung in ihm breit, die sich beinahe anfühlte wie Warten … ein Warten auf etwas, das er nicht beim Namen zu nennen vermochte. Er kam sich vor wie in einer Schlangengrube: Die Schlange konnte sich ausruhen, ihr Opfer jedoch nicht.

Eine knappe Stunde vor Morgengrauen hatte sich Laurent schließlich erhoben. »Fürs Erste sind wir fertig«, hatte er knapp erklärt und war zu Damens Verwunderung in Richtung Kaserne entschwunden, nicht ohne ihm zuvor brüsk mitzuteilen, dass er bei Bedarf nach ihm schicken werde.

Unbeeindruckt hatte sich Damen daraufhin zu seinem Lager begeben und die Augen zugemacht, bevor ihn ein paar Stunden später der Burgvogt weckte. Erst unten im Hof sah er Laurent wieder, umgezogen, in voller Rüstung und zum Aufbruch bereit. Er wirkte frisch und munter, doch wenn er geschlafen hatte, dann sicher nicht im Bett des Regenten.

Es ging alles schneller als gedacht. Laurents frühmorgendliche Ankunft in der Kaserne und ein paar arrogante, nach der schlaflosen Nacht besonders bissige Bemerkungen hatten offenbar gereicht, um die Männer des Regenten aus ihren Betten und in halbwegs vorzeigbarem Zustand in den Burghof zu scheuchen.

Schließlich brachen sie auf.

Die große Katastrophe blieb zunächst aus.

Ihr Weg führte sie durch saftige grüne Wiesen, auf denen weiße und gelbe Blumen dufteten. Plump und imposant ritt Govart auf seinem Schlachtross vorneweg, und neben ihm galoppierte jung, elegant und strahlend der Prinz. Laurent wirkte wie eine Gallionsfigur: ein nutzloser Blickfang. Govart war für sein stallburschenbedingtes Zuspätkommen nicht bestraft worden, und auch die Männer des Regenten, die sich am Abend zuvor vor der Arbeit gedrückt hatten, waren verschont geblieben.

Insgesamt bestand der Tross aus zweihundert Soldaten, gefolgt von Dienern, Proviantwagen und zusätzlichen Pferden. Sie hatten kein Vieh dabei, wie bei einem größeren Heer auf einem Feldzug üblich. Ihre Truppe war klein und konnte es sich leisten, auf der Reise mehrmals Station zu machen, um die Vorräte aufzufüllen. Dem Zug folgten keine Zivilisten.

Und doch zog er sich dank diverser Nachzügler fast eine Viertelmeile in die Länge. Immer wieder schickte Govart deshalb Reiter von vorne nach hinten, die die Versprengten lautstark wieder zur Ordnung riefen, was zwar jedes Mal Unruhe unter den Pferden stiftete, das Tempo des Zugs aber nicht merklich erhöhte. Laurent bekam das alles mit, schwieg aber.

Der Aufbau des Lagers dauerte viel zu lange – wertvolle Stunden, die von der Ruhezeit abgingen, vor allem, da Laurents Männer ohnehin die halbe Nacht wach gewesen waren. Govart gab ein paar grobe Anweisungen, kümmerte sich aber nicht um Feinheiten. Im Prinzengefolge übernahm deshalb wie am Abend zuvor Jord die meisten Aufgaben des Hauptmanns, und Damen erhielt seine Anweisungen von ihm.

Auch unter den Männern des Regenten gab es ein paar tüchtige Arbeiter, die taten, was zu tun war – allerdings weil es in ihrer Natur lag und nicht, weil militärische Disziplin oder irgendein Befehl es ihnen geboten hatte. Die Männer kannten offenbar weder ein System noch eine Hierarchie, weshalb man sich bei ihnen auch ungestraft seinen Pflichten entziehen konnte. Das führte zu wachsendem Unmut unter allen anderen.

Zwei Wochen lang würde das Ganze nun so gehen, zwei Wochen, nach denen eine erbitterte Schlacht auf die Kompanie wartete. Damen schob das Kinn vor, senkte das Haupt und machte mit der Arbeit weiter. Er kümmerte sich um sein Pferd und seine Rüstung. Er baute das prinzliche Zelt auf. Er schleppte Proviant, Wasser und Holz. Er wusch sich zusammen mit den anderen. Er aß. Das Essen schmeckte gut, und es lief nicht alles krumm: Der Wachdienst war zügig organisiert, genau wie die Vorreiter, die mit dem gleichen Sachverstand ihre Posten bezogen wie seine Wachmänner im Palast. Auch der Standort des Lagers war gut gewählt.

Auf seinem Weg zu Paschal vernahm Damen plötzlich Stimmen aus einem Zelt.

»Du musst mir sagen, wer es war, damit wir uns darum kümmern können«, sagte Orlant.

»Das spielt keine Rolle. Es war meine Schuld. Hab ich doch gesagt.« Aimerics trotziger Tonfall war unverkennbar.

»Rochert hat drei von den anderen aus der Rüstkammer kommen sehen. Angeblich war auch Lazar dabei.«

»Es war meine Schuld. Ich hab ihn herausgefordert. Lazar hat den Prinzen beleidigt…«

Damen seufzte, machte kehrt und ging zu Jord.

»Kümmere dich besser mal um Orlant.«

»Warum das?«

»Weil du es schon einmal geschafft hast, ihm eine Schlägerei auszureden.«

Nachdem Jord weg war, warf der Mann, mit dem er zuvor gesprochen hatte, Damen einen giftigen Blick zu. »Ich hab schon gehört, dass du gut im Petzen bist. Und was machst du jetzt, während Jord den Streit schlichtet?«

»Ich lasse mich massieren«, antwortete Damen prompt.

Obwohl es ihm albern vorkam, stattete er Paschal einen Besuch ab, danach begab er sich zu Laurent.

Der saß im Eingangsbereich seines Zelts, wo wie an der Front Stühle und ein Empfangstisch für Besucher aufgestellt waren. Gerade war er mit einem ungepflegten Diener in ein Gespräch über die Ausrüstung vertieft, allerdings hörte er fast nur zu. Per Handzeichen winkte er Damen ins Innere des Zelts.

Es war äußerst geräumig. Selbst der hoch gewachsene Damen konnte sich frei darin bewegen, ohne ständig nervös nach oben zu spähen, um nicht irgendwo anzustoßen. Die Zeltwände waren mit Stoffbahnen in leuchtendem Blau und Cremeweiß verhängt, durch die sich ein goldenes Muster zog, und hoch über Damens Kopf schwebte ein Himmel aus geraffter Seide.

Warm glühten die Feuerschalen, und Kerzen spendeten zusätzliches Licht. Vorne diskutierte Laurent weiter mit dem Diener. Abgeschirmt im hinteren Teil des Zelts befand sich sein Schlafbereich, wo sich Kissen, Seidenlaken und Bettdecken türmten. In deutlichem Abstand dazu war Damens Sklavenlager aufgebaut.

Nachdem er den Diener entlassen hatte, stand Laurent auf. Als Damens Blick auf den Prinzen fiel, traf er auf langes Schweigen und einen kühlen Blick aus blauen Augen.

»Nun? Entkleide mich«, sagte Laurent.

»Entkleiden«, wiederholte Damen.

Als ihm die Bedeutung des Worts aufging, fühlte er sich auf einmal wie im Trainingsraum, als er vor dem Kreuz zurückgeschreckt war.

»Hast du vergessen, wie das geht?«, fragte Laurent.

»Nein, aber beim letzten Mal hat es unschön geendet«, antwortete Damen.

»Dann benimm dich diesmal besser«, erwiderte Laurent.

In aller Ruhe drehte er Damen den Rücken zu und wartete. Die Schnürung seines Brokatüberkleids begann im Nacken und verlief senkrecht nach unten. Es war lächerlich, sich davor zu fürchten. Damen trat vor, um die Knoten zu lösen, doch zuerst musste er Laurents goldene Haarsträhnen zur Seite schieben, die sich so weich anfühlten wie Fuchsfell. Als seine Fingerspitzen ihn berührten, neigte Laurent den Kopf leicht nach vorne, damit Damen besser an die Haken herankam.

Seinen Herrn an- und auszuziehen gehörte zu den alltäglichen Aufgaben eines Leibsklaven, und Laurent blieb dabei so ungerührt wie jemand, der es von jeher gewohnt ist, bedient zu werden. Bald kam unter dem Brokatstoff ein weißes Unterhemd zum Vorschein. Durch die schwere Last von Überkleid und Panzer schmiegte es sich warm an Laurents Haut, die die gleiche zarte Farbe hatte wie das weiße Hemd. Als Damen ihm das Gewand über die Schultern schob, spürte er einen Augenblick lang, wie sich Laurents Rückenmuskeln anspannten.

»Das reicht«, sagte Laurent, trat einen Schritt vor und warf das Stoffbündel eigenhändig in die Ecke. »Setz dich hin.«

Auf dem Tisch lag die altbekannte Landkarte, beschwert von drei Orangen und einem Becher. In Unterhose und Hemd machte Laurent es sich gegenüber von Damen bequem und begann eine Orange zu schälen. Eine Ecke der Karte rollte sich auf.

»Als Vere in Sanpelier gegen Akielos gekämpft hat, ist es euch gelungen, unsere Ostflanke zu durchbrechen. Erklär mir das Manöver«, sagte er.

Am nächsten Morgen war das gesamte Lager früh auf den Beinen, und Jord bat Damen zum provisorischen Übungsplatz neben dem Waffenzelt.

An sich war es eine gute Idee. Damen und die veretischen Soldaten vertraten unterschiedliche Kampfstile und konnten sicherlich viel voneinander lernen. Damen freute sich, wieder regelmäßig trainieren zu können, und wenn Govart sie schon nicht geschlossen antreten ließ, war ihm so eine zwanglose Zusammenkunft auch recht.

Als er beim Waffenzelt ankam, verschaffte er sich zunächst einen kurzen Überblick. Die Gefolgsleute des Prinzen waren gerade mit den Schwertern beschäftigt, und sein Blick blieb an Jord und Orlant hängen, und dann an Aimeric. Von den Männern des Regenten sah er nur wenige, doch ein paar waren dabei, so auch Lazar.

Am Abend zuvor war der große Zusammenstoß ausgeblieben, und jetzt trennten Orlant und Lazar nur wenige Schritte, ohne dass sie einander an die Gurgel gingen. Doch das bedeutete auch, dass sich in Orlant einiges angestaut hatte. Als er sein Training unterbrach und auf Damen zukam, sah der sich auf einmal mit einer Herausforderung konfrontiert, mit der er hätte rechnen müssen.

Instinktiv fing er das hölzerne Übungsschwert auf, das Orlant ihm zuwarf.

»Hast du’s drauf?«

»Ja«, antwortete Damen.

Orlants Blick verriet, was er vorhatte. Die Aufmerksamkeit der Umstehenden war geweckt, und sie hielten inne.

»Das erscheint mir wenig sinnvoll«, bemerkte Damen.

»Stimmt, du kämpfst ja nicht gern«, erwiderte Orlant. »Du fällst den Leuten lieber in den Rücken.«

Damens Schwert war eine Übungswaffe, vom Knauf bis zur Spitze aus Holz und am Griff mit rutschfestem Leder umwickelt. Schwer lag es in seiner Hand.

»Hast du Angst vor einem Zweikampf?«, fragte Orlant.

»Nein«, sagte Damen.

»Was dann? Kannst du nicht kämpfen? Bist du nur hier, um den Prinzen zu vögeln?«

Damen holte aus. Orlant parierte, und im Nu waren sie in einen erbitterten Kampf verwickelt. Mit Holzschwertern ließ sich kein tödlicher Schaden anrichten, doch Prellungen und Knochenbrüche waren durchaus möglich. Das wusste offenbar auch Orlant, denn er griff rückhaltlos an. Nach seinem ersten Stoß wich Damen einen Schritt zurück.

Es ging so schnell und brutal zu wie auf einem Schlachtfeld und nicht wie bei einem Duell, wo man sich für gewöhnlich erst behutsam und vorsichtig an den Gegner herantastete, vor allem, wenn man ihn nicht kannte. Hier prallten die Schwerter unablässig aufeinander, und das Tempo ließ nur ab und zu kurz nach, nur um dann schnell wieder anzuziehen.

Orlant war ein guter Kämpfer. Er gehörte zu den besten auf dem Platz, zusammen mit Lazar, Jord und noch ein paar anderen aus dem Gefolge des Prinzen, die Damen noch aus seiner Gefangenschaft im Palast kannte. Er durfte sich wohl geschmeichelt fühlen, dass Laurent nur seine fähigsten Leute zu seiner Bewachung abgestellt hatte.

Vor mehr als einem Monat hatte er zum letzten Mal ein Schwert in der Hand gehabt. Es kam ihm länger vor, die Zeit seit jenem Tag in Akielos – jenem Tag, an dem er naiv genug gewesen war, nach seinem Bruder zu verlangen. Doch Damen war seit frühester Kindheit daran gewöhnt, täglich hart zu trainieren, und ein paar Wochen Pause änderten nichts für ihn. Nicht einmal die Schwielen an seinen Händen waren vollständig verheilt.

Er hatte das Kämpfen vermisst. Sich körperlich zu verausgaben, stillte ein tiefes Verlangen in ihm – sich nur auf eine Kunst, nur auf einen Menschen zu konzentrieren und sich mit einer Geschwindigkeit zu bewegen, bei der der Instinkt über den Verstand triumphierte. Und doch war der veretische Kampfstil so ungewohnt für ihn, dass seine Reaktionen nicht nur automatisch erfolgten. Damen durchdrang ein Gefühl der Befreiung und des Vergnügens, wobei er sorgsam darauf achtete, einen kühlen Kopf zu bewahren.

Nach ein paar Minuten Hin und Her ließ Orlant das Schwert sinken und fluchte. »Willst du nun kämpfen oder nicht?«

»Ich dachte, wir üben nur«, erwiderte Damen gleichmütig.

Orlant warf sein Holzschwert auf den Boden, trat auf einen der Umstehenden zu und zielte dann blitzschnell und ohne Vorwarnung mit einer achtzig Zentimeter langen, polierten Stahlklinge direkt auf Damens Hals.

Zum Nachdenken blieb keine Zeit. Keine Zeit, um sich zu fragen, ob es Orlant nur ums Prinzip ging oder er tatsächlich vorhatte, Damen in zwei Hälften zu spalten. Gegen das echte Schwert hatte er jedenfalls keine Chance. In Orlants Stoß lag so viel Kraft und Schwung, dass die Klinge durch Damens Holzplanke gleiten würde wie durch ein Stück Butter.

Doch bevor Orlant ihn treffen konnte, machte Damen einen Schritt auf ihn zu, dann noch einen, und einen Augenblick später lag der andere Mann mit dem Rücken im Staub, außer Gefecht gesetzt und mit Damens Schwert an der Kehle.

Auf dem Übungsplatz war es still geworden.

Damen trat zurück. Langsam stand Orlant wieder auf. Sein Schwert ließ er auf dem Boden liegen.

Niemand sagte ein Wort. Orlants Blick wanderte zwischen seinem Schwert und Damen hin und her, doch ansonsten rührte er sich nicht. Plötzlich spürte Damen Jords Hand auf seiner Schulter, löste den Blick von Orlant und sah in die Richtung, in die Jord mit einer knappen Kinnbewegung deutete.

Laurent hatte den Übungsplatz betreten, war in ein paar Meter Entfernung neben dem Waffenzelt stehen geblieben und beobachtete sie.

»Er hat dich gesucht«, sagte Jord.

Damen gab sein Schwert zurück und stapfte über das ausgefranste Gras zu Laurent hinüber.

Der machte keinerlei Anstalten, ihm entgegenzugehen, sondern wartete einfach nur. Ein leichter Wind hatte eingesetzt, und die Flagge auf dem Zelt flatterte stürmisch.

»Ihr habt mich gesucht?«

Laurent antwortete nicht, und Damen konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten.

»Worum geht es?«, fragte er.

»Du bist besser als ich.«

Damen konnte sich weder sein amüsiertes Schnauben verkneifen noch den vielsagenden Blick, mit dem er Laurent von oben bis unten musterte. Unverschämt oder nicht – es war einfach zu komisch.

Prompt wurde Laurent rot. Die Farbe schoss ihm ins Gesicht, und er spannte sichtlich den Kiefer an, um nicht die Beherrschung zu verlieren. Diese Reaktion war etwas völlig Neues für Damen, und er konnte nicht umhin, Laurent noch ein wenig weiter zu reizen.

»Warum? Wollt Ihr etwa gegen mich antreten?«, fragte er. »In aller Freundschaft natürlich.«

»Nein«, sagte Laurent.

Indem er in diesem Moment mit Aimeric hinter ihnen auftauchte, verhinderte Jord Schlimmeres.

»Eure Hoheit. Verzeiht, wenn Ihr mehr Zeit mit …«

»Nein«, entgegnete Laurent. »Schon gut. Folge mir ins Hauptlager.«

Die zwei marschierten von dannen, und Damen blieb mit Aimeric zurück.

»Er hasst dich«, stellte Aimeric vergnügt fest.

Nach der Tagesetappe sprach Jord Damen noch einmal an.

Damen konnte Jord gut leiden. Er schätzte seinen Pragmatismus und sein unübersehbares Pflichtgefühl gegenüber den anderen Männern. Egal, woher er kam, Jord hatte das Zeug zu einem hervorragenden Führer. Und obwohl inzwischen so viele Aufgaben auf seinen Schultern lasteten, nahm er sich Zeit für das Gespräch mit Damen.

»Ich hoffe, du weißt«, begann er, »dass ich dich heute Morgen nicht auf den Übungsplatz geholt habe, damit Orlant dich …«

»Das weiß ich«, unterbrach ihn Damen.

Jord nickte langsam. »Falls du in Zukunft mal trainieren willst – ich würde mich geehrt fühlen, gegen dich anzutreten. Ich bin viel besser als Orlant.«

»Auch das weiß ich«, erwiderte Damen.

Fast rang sich Jord ein Lächeln ab. »Gegen Govart warst du längst nicht so gut.«

»Gegen Govart«, antwortete Damen, »war ich auch vollgepumpt mit Chalis.«

Wieder ein langsames Nicken. »Ich weiß ja nicht, wie ihr das in Akielos haltet«, sagte Jord, »aber … nimm das Zeug lieber nicht vor einem Kampf. Es verlangsamt die Reflexe. Laugt einen aus. Ist nur ein gut gemeinter Rat.«

»Danke«, erwiderte Damen nach langem Schweigen.

Als es schließlich geschah, ging es erneut um Lazar und Aimeric. In der dritten Nacht hatten sie ihr Lager in Baillieux aufgeschlagen, einer baufälligen Festung mit wohlklingendem Namen. Die Gebäude waren so schlecht in Schuss, dass die Männer lieber draußen statt in der Kaserne schliefen, und auch Laurent verbrachte die Nacht lieber in seinem schmucken Zelt. Doch es waren ein paar Dienstboten zur Stelle, und der Burgfried gehörte zu einer Versorgungsleitung, durch die der Nachschub für die Kompanie gesichert war.

Es war unklar, wie der Streit begonnen hatte, doch als die ersten Außenstehenden dazukamen, lag Aimeric bereits auf dem Boden, und Lazar beugte sich über ihn. Diesmal war der junge Soldat zwar voller Staub, aber er blutete nicht. Zu seinem Pech war es ausgerechnet Govart, der dazwischenging, Aimeric unsanft am Kragen hochzog und ihm mit der flachen Hand eine Ohrfeige verpasste, weil er Ärger gemacht hatte. Govart war einer der Ersten am Ort des Geschehens, doch als Aimeric wieder auf zwei Beinen stand und sich den schmerzenden Kiefer hielt, hatte der Lärm bereits eine beachtliche Zahl Schaulustiger angelockt.

Dummerweise war es schon spät am Abend, die Arbeit war so gut wie erledigt, und die Männer hatten Zeit.

Nur mit Mühe konnte Jord Orlant in Schach halten, und dann gab Govart ihm auch noch zu verstehen, er habe seine Leute nicht gut genug im Griff. Für Aimeric gebe es keine Extrawurst und wehe, einer räche sich an Lazar – der könne sich jetzt schon auf die Peitsche freuen. Die Angriffslust drang den Männern aus allen Poren, wie Öl, das sich nach Feuer sehnt, und hätte Lazar auch nur einen Schritt vorwärts gemacht, es wäre wohl zur Explosion gekommen. Doch Lazar trat zurück und war anständig – oder auch einfach nur schlau – genug, bei Govarts Ankündigung trotz aller Genugtuung eine betroffene Miene aufzusetzen.

Irgendwie schaffte es Jord, die Situation zu entschärfen, doch als sich die Männer trollten, durchbrach er kurzerhand die Befehlskette und marschierte direkt in Richtung von Laurents Zelt.

Damen wartete, bis Jord wieder weg war. Dann holte er tief Luft und betrat seinerseits das Zelt.

»Du findest, ich sollte Lazar entlassen«, begrüßte ihn Laurent. »Jord hat mir schon alles erzählt.«

»Lazar ist ein guter Schwertkämpfer und ist sich im Gegensatz zu manch anderem aus der Truppe Eures Onkels nicht zu schade zum Arbeiten«, entgegnete Damen. »Nein, Ihr solltet Aimeric entlassen.«

»Was?«, fragte Laurent entgeistert.

»Er ist zu jung. Er sieht zu gut aus. Er ist aggressiv. Deswegen bin ich nicht hier, aber wo wir schon einmal dabei sind: Aimeric macht Probleme, und der Tag wird kommen, an dem er aufhört, Euch anzuhimmeln und für einen der Männer die Beine breitmacht … und dann wird alles nur noch schlimmer.«

Laurent ließ sich das durch den Kopf gehen. »Aber ich kann ihn nicht entlassen. Er ist der Sohn von Hofrat Guion. Du kennst ihn, er war als Botschafter in Akielos.«

Damens Augen weiteten sich. Er musste daran denken, wie Aimeric Laurent mit blutender Nase in der Waffenkammer verteidigt hatte. Beherrscht fragte er: »Und welche Grenzfestung gehört seinem Vater?«

»Fortaine«, antwortete Laurent im selben Ton.

»Ihr benutzt ein Kind, um Euch bei seinem Vater Einfluss zu verschaffen?«

»Aimeric ist kein Bär, der sich mit einem Topf Honig in die Falle locken lässt. Er ist Guions viertgeborener Sohn und weiß genau, dass seine Teilnahme am Feldzug seinen Vater in einen Loyalitätskonflikt stürzt. Das war der eigentliche Grund, weshalb er sich hat verpflichten lassen. Er sehnt sich nach Guions Aufmerksamkeit«, sagte Laurent. »Aber wenn du nicht wegen Aimeric hier bist, warum dann?«

»Ihr habt doch gesagt, ich könne mit allen Bedenken zu Euch kommen«, sagte Damen. »Ich wollte mit Euch über Govart sprechen.«

Laurent nickte langsam.

Damen dachte noch einmal zurück an die erbärmliche Truppenmoral der vergangenen Tage. Der Streit an diesem Abend hatte dem Hauptmann die perfekte Gelegenheit geboten, einzuschreiten und sich der Probleme im Lager anzunehmen; die Schuldigen mit unbedingter Fairness zu bestrafen und deutlich zu machen, dass Gewalt nicht geduldet wurde, egal, von welcher Seite sie ausging. Stattdessen hatte sich die Lage weiter zugespitzt. Er entschloss sich zur Offenheit.

»Aus irgendeinem Grund lasst Ihr Govart schalten und walten, wie er will. Wahrscheinlich hofft Ihr, dass er sich sein eigenes Grab gräbt oder Ihr ihn leichter entlassen könnt, wenn er sich so aufführt. Aber so geht das nicht. Jetzt ärgern sich die Männer über ihn, aber morgen früh wird sich ihr Groll gegen Euch richten, weil Ihr nicht mit ihm fertig werdet. Ihr müsst ihn so schnell wie möglich in den Griff bekommen und ihn bestrafen, wenn er sich nicht an die Anweisungen hält.«

»Aber er hält sich doch an die Anweisungen«, erwiderte Laurent und fügte nach einem überraschten Blick Damens hinzu: »Nur eben nicht an meine.«

So viel hatte sich Damen schon gedacht, obwohl er sich fragte, was genau der Regent Govart wohl befohlen hatte. Mach, was du willst, und hör nicht auf meinen Neffen. Vermutlich traf es das ziemlich genau.

»Ihr könnt Govart doch gewiss Einhalt gebieten, ohne dass es wie ein Aufstand gegen Euren Onkel wirkt. Ihr habt ja wohl keine Angst vor ihm. Sonst hättet Ihr mich nie gegen ihn in den Ring geschickt. Wenn Ihr fürchtet, dass …«

»Es reicht«, unterbrach ihn Laurent scharf.

Unbeeindruckt schob Damen das Kinn vor. »Je länger sich das Ganze hinzieht, desto schwerer wird es für Euch, vor den Männern Eures Onkels das Gesicht zu wahren. Sie reden ohnehin schon über Euch wie …«

»Ich sagte, es reicht.«

Damen verstummte, wenngleich es ihn große Mühe kostete. Laurent musterte ihn mit gerunzelter Stirn.

»Wieso erteilst du mir Ratschläge?«, wollte er wissen.

Habt Ihr mich nicht deshalb mitgenommen? Doch stattdessen erwiderte Damen nur: »Wieso nehmt Ihr keinen davon an?«

»Govart ist der Hauptmann und hat bisher alle Konflikte zu meiner Zufriedenheit gelöst«, sagte Laurent. Doch sein Blick war noch immer finster, und über seinen Augen lag ein Schleier, als hätten sich seine Gedanken nach innen gekehrt. »Ich muss mich jetzt draußen um etwas kümmern. Heute Abend brauche ich dich nicht. Du kannst dich also zurückziehen.«

Damen sah zu, wie Laurent das Zelt verließ, und unterdrückte halbwegs erfolgreich den Wunsch, aus der Haut zu fahren. Er wusste inzwischen, dass Laurent niemals überstürzt handelte, sondern erst einmal Abstand brauchte, um in Ruhe nachzudenken. Es galt also abzuwarten und die Hoffnung nicht aufzugeben.

 3 

Damen konnte nicht gleich einschlafen, obwohl er es weitaus bequemer hatte als die anderen Soldaten. Sein Sklavenlager war übersät mit weichen Kissen, und seidene Laken schmiegten sich an seine Haut.

Als Laurent zurückkehrte, war er noch immer wach und setzte sich halb auf, da er nicht wusste, ob er vielleicht gebraucht wurde. Doch Laurent ignorierte ihn. Sobald ihre abendlichen Gespräche vorbei waren, behandelte er Damen für gewöhnlich wie ein Möbelstück. Diesmal setzte er sich an den Tisch und schrieb bei Kerzenlicht eine Depesche, die er zusammenfaltete und mit rotem Wachs und einem Ring versiegelte, den er nicht am Finger trug, sondern in einer Tasche seines Gewands aufbewahrte.

Danach saß er eine Weile nur da. In seinem Gesicht lag noch immer der in sich gekehrte Ausdruck von ein paar Stunden zuvor. Irgendwann stand er auf, löschte die Kerze mit den Fingerspitzen und machte sich im Dämmerschein der Feuerschalen bettfertig.

Der nächste Tag begann ohne Zwischenfälle.

Damen stand auf und erledigte seine Aufgaben. Feuer wurden gelöscht, Zelte abgebaut und auf die Wagen geladen, und die Männer bereiteten sich auf den Tagesritt vor. Ein Reiter galoppierte mit der Depesche, die Laurent in der Nacht zuvor geschrieben hatte, gen Osten davon.

Die Verunglimpfungen, die sich die Männer an den Kopf warfen, fielen harmlos aus, und niemand landete an diesem Morgen im Staub, was für diesen Haufen schon eine Leistung war, dachte Damen, während er sein Sattelzeug richtete.

Dann sah er aus dem Augenwinkel Laurents blonden Schopf. Der Prinz trug sein Reitleder, und vor ihm standen Lazar und Aimeric. Damen war nicht der Einzige, der die Szene beobachtete. Mehrere Köpfe hatten sich in Laurents Richtung gewandt, und ein paar Männer hielten inne und lauschten. Mit plötzlichem Unbehagen ließ Damen den Sattel sinken und ging zu dem Grüppchen hinüber.

Aimeric sah man stets an, was er fühlte. In seinem Blick Richtung Laurent lagen unverhohlene Heldenverehrung und tiefe Scham. Offenbar machte es ihm schwer zu schaffen, dass sein Prinz nur wegen einer Verfehlung auf ihn aufmerksam wurde. Lazars Miene ließ sich nicht so leicht deuten.

»Eure Hoheit – verzeiht mir. Es war alles meine Schuld. Es geschieht ganz gewiss nicht wieder«, war das Erste, was an Damens Ohr drang, als er in Hörweite war. Aimeric. Natürlich.

»Worum ging es denn?«, fragte Laurent fast im Plauderton.

Erst jetzt schien Aimeric zu begreifen, dass ihm das Wasser bis zum Hals stand. »Das spielt keine Rolle. Ich war im Unrecht.«

»Keine Rolle?«, wiederholte Laurent, der Bescheid wusste, der Bescheid wissen musste, und heftete seinen milden Blick nun auf Lazar.

Der schwieg, doch unter der Oberfläche schien es zu brodeln. Schließlich fielen sein Groll und seine Verachtung in sich zusammen, und er gab auf. Trotzig schlug er unter Laurents unerbittlichem Blick die Augen nieder, und Damen wurde mit einem Mal klar, dass Laurent aus alldem ein öffentliches Spektakel machen würde. Verstohlen sah er sich um. Sie hatten schon viel zu viel Publikum.

Er musste wohl oder übel darauf vertrauen, dass Laurent wusste, was er tat.

»Wo ist der Hauptmann?«, fragte Laurent.

Govart war nicht gleich aufzufinden, und Orlant wurde losgeschickt, ihn zu suchen. Er brauchte so lange, dass Damen, der sich an die Szene im Stall erinnerte, Orlant stillschweigend sein Mitgefühl aussprach, trotz ihrer Differenzen.

Laurent blieb ruhig und wartete.

Und wartete. Allmählich drohte die Situation aus dem Ruder zu laufen. Unter den Umstehenden war verhaltenes Gelächter ausgebrochen und begann, auf das Lager überzugreifen. Der Prinz suchte in aller Öffentlichkeit das Gespräch mit dem Hauptmann. Der Hauptmann ließ den Prinzen einfach warten. Egal, wer hier einen Kopf kürzer gemacht wurde, es versprach amüsant zu werden. Es war jetzt schon amüsant.

Eine schreckliche Vorahnung streifte Damen wie ein kalter Hauch. Das hatte er nicht gemeint, als er Laurent am Abend zuvor Ratschläge erteilt hatte. Je länger Laurent warten musste, desto gründlicher wurde seine Autorität öffentlich untergraben.

Als Govart schließlich auftauchte, spazierte er seelenruhig auf Laurent zu. Dabei war er noch immer damit beschäftigt, seine Schwertkoppel zu befestigen, als wäre ihm völlig egal, dass jetzt alle wussten, in welch intimer Situation Orlant ihn überrascht hatte.

Es war die Gelegenheit für Laurent, sich zu behaupten und Govart zur Ordnung zu rufen, in aller Ruhe und ohne vorschnelles Urteil. Stattdessen fragte er: »Habe ich dich beim Ficken gestört?«

»Nein, ich bin fertig geworden. Was wollt Ihr?«, erwiderte Govart mit schockierender Sorglosigkeit.

Und plötzlich wurde Damen klar, dass zwischen Laurent und Govart mehr war, als er ahnte, und dass Govart die Aussicht auf eine öffentliche Bloßstellung vollkommen kalt ließ, weil er den mächtigen Regenten auf seiner Seite wusste.

Bevor Laurent antworten konnte, erschien Orlant, an der Hand eine Frau mit langen braunen Locken und schweren Röcken. Damit war Govart also beschäftigt gewesen. Ein Raunen ging durch die Menge.

»Du hast mich also warten lassen«, sagte Laurent, »weil du einer Dienerin noch einen Bastard anhängen musstest?«

»Männer ficken eben«, erwiderte Govart nur.

Das durfte alles nicht wahr sein. Was hier geschah, war kleinlich und viel zu persönlich. Auch eine Standpauke würde bei Govart nichts nützen, denn an ihm prallte alles ab.

»Männer ficken«, wiederholte Laurent.

»Ich hab sie in den Mund gefickt, nicht in die Fotze. Euer Problem«, fuhr Govart fort, und erst jetzt begriff Damen, auf was für eine Katastrophe sie zusteuerten, wie überlegen sich Govart fühlte und wie tief seine Abneigung gegen Laurent sitzen musste. »Euer Problem ist, dass der einzige Kerl, auf den Ihr je scharf wart, Euer Brud…«