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Wieder hatte der Mörder zugeschlagen, und wieder hinterliess er keine Spuren. Es scheint als bringe er die Leute wahllos um. Wer ist das nächste Opfer ? Warum werden all diese Menschen ermordet ? Angst und Schrecken beherrschen die Kleinstadt, mitten in der so ruhigen und friedlichen Schweiz. Die Polizei sucht verzweifelt nach dem Mörder, mit allen Mitteln und Methoden, oft auch am Rande der Legalität - und kommt doch keinen Schritt weiter. Deshalb sucht Sie die Unterstützung eines Aussenstehenden. Mit der Hilfe eines Professors für Geschichte will die Kriminalpolizei den Verbrecher zur Strecke bringen, die Menschen von Angst und Schrecken befreien damit wieder Friede herrscht in ihrer kleinen Stadt. Noch aber läuft der Täter frei herum, noch hat die Polizei keine Spur, kein Motiv für die Verbrechen. Wann endlich wird der Mörder gestellt ? Niemand kennt die Antwort - und die Jagd hat erst begonnen.
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Seitenzahl: 292
Veröffentlichungsjahr: 2020
Der Dank gehört meiner Familie,
die so unendlich viel Geduld hatte
Das Ende ist immer nahe
1
Urs Herzog
© 2020 Urs Herzog
2. Auflage
Umschlaggestaltung, Illustration:
Urs Herzog
Verlag:
tredition GmbH
Halenreie 40-44 / 22359 Hamburg
ISBN
978-3-347-04897-3
Paperback
978-3-347-04898-0
Hardcover
978-3-347-04899-7
e-Book
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
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Die Personen und Handlungen sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.
Winter
Schlagzeilen :
Raser rammt Schulbus – Tote und Verletzte
Einbruch in Waffengeschäft - Inhaber erschossen
Krankenhauskosten steigen - Chefärzte sind Absahner
Wetter – es bleibt kalt
„Die sind doch nicht normal, wenn ich nur wüsste was die wollen.“ Er lehnte sich in seinem Sessel zurück und dachte über seine Lage nach. „Warum habe ich nur zugesagt“, seufzte er und richtete sich auf. „Dann werde ich wohl da hingehen müssen.“ Im Moment verstand er sich selbst nicht mehr. Es war noch nie vorgekommen und widersprach jeglicher Gepflogenheit. Geheimhaltung war das Schlüsselwort und dem hatte sich bisher jeder Kontakt unterordnen müssen.
Abhörsichere Telefonleitungen, die Stimme von einem Computer gesprochen, Gespräche aus öffentlichen Telefonzellen, Mails über viele Server geleitet und auf temporären Mailkonten abgespeichert, Akten die mit wechselnden Kurieren von Anwaltskanzlei zu Anwaltskanzlei geleitet wurden, immer als anonyme Post in versiegelten Kuverts. Das war der Normalfall, das war die Realität. Es musste deshalb Ungewöhnliches vorgefallen sein, dass diese Normalität, dass alle Sicherheitsvorkehrungen ausser Kraft gesetzt wurden und der Auftraggeber direkt mit ihm in Kontakt treten wollte.
Langsam schälte er sich aus dem Sessel und trat ans Fenster. Er schaute hinaus in die Nacht, sah unzählige Lichter zwischen schwarzen Schatten. Er streckte sich durch und fragte sich, was noch alles auf ihn zukommen würde.
Im Restaurant am Rande der Stadt waren um diese Tageszeit nur wenige Gäste. Sie blickten neugierig hoch als ein Fremder eintrat.
Das war hier immer so, Fremde fielen auf, waren eine Abwechslung. Nur für ein paar Augenblicke, dann verloren die Stammgäste das Interesse am neuen Gast.
Die einfache und schon etwas abgenutzte Einrichtung mit dem Charme der siebziger Jahre ist in den Vororten noch häufig anzutreffen. Alles wirkte etwas düster und auf den einfachen Holztischen standen nur die Speisekarten in einem Plastikhalter mit der Werbeaufschrift der regionalen Biermarke und ein leerer Serviettenhalter. Die mit bunt gemustertem Stoff überzogen Sitzflächen der einfachen Holzstühle hatten auch schon bessere Zeiten gesehen. Eine typische Kneipenatmosphäre wie in vielen Vorstädten. Wieder schauten die Leute hoch als ein zweiter Fremder ihre Ruhe störte und sich zum Ersten setzte. Im Gegensatz zu diesem behielt der Zweite seinen Mantel an. Er würde wohl nicht lange bleiben. Sie wandten sich wieder ab und das Leben ging seinen gewohnten Gang.
Sein Gegenüber wirkte nervös. Er hatte sich mit Hasler vorgestellt und offenbar behagte ihm das Ganze nicht. Unruhig blickte er umher, wie ein gehetztes Tier, oder wie ein Mann auf der Flucht. Unter seinem Mantel trug er einen dunkelgrauen Anzug, ein weisses Hemd und eine dezente Krawatte. Auf den ersten Blick hätte man ihn für einen seriösen Geschäftsmann halten können, wäre er nicht so nervös gewesen und hätte er sich nicht wiederholt den Schweiss von der Stirn wischen müssen. Der Mann hatte Angst. Aber wovor?
Schneider dagegen war gewohnt locker und souverän. Er hatte sein dunkelblaues Jackett geöffnet, seine Krawatte gelockert und musterte Hasler unverhohlen. Beide versuchten sich ein Bild des Mannes gegenüber zu machen. Als der Kellner endlich an den Tisch kam, bestellte Schneider eine Flasche Weisswein aus der Region, ohne sich um mögliche Wünsche seines nervösen Gegenüber zu kümmern. Dieser bestellte ein Glas Mineralwasser, ohne Kohlensäure. Schneider beugte sich vor. Er schaute mit fragendem Blick auf den Mann gegenüber und fragte mit unschuldiger Miene.
„Was ist denn vorgefallen, dass ihr alle eure heiligen Vorsichtsmassnahmen über Bord geworfen habt und wir uns hier treffen?
Ist der Weltuntergang nahe oder sonst eine globale Katastrophe im Anmarsch?“
„Wir befürchten dass verschiedene Daten über das Vorhaben durchgesickert sind. Entweder sind die Leitungen nicht mehr abhörsicher, oder wir haben einen Maulwurf in unseren Reihen. Das ist der Grund, warum ich hier bin.“
Seine Stimme hatte einen näselnden und nervösen Klang. "Ich habe den Auftrag, ihnen die Papiere persönlich auszuhändigen."
„Und woher wollen sie wissen, dass ich der Richtige bin?“ Schneider lehnte sich im Stuhl zurück und wartete gespannt auf die Antwort.
Mit einem Mal veränderte sich Haslers Blick und er schaute ihn nun aus verschlagenen Augen an.
„Sie sind uns bekannt und wir wissen alles über sie und ihre Geschäfte.“ Wieder wischte er sich den Schweiss aus der Stirn. „Alle unsere Geschäftsverbindungen werden genauestens überprüft, oder sagen wir es so, wir kennen auch die Körbchengrösse ihrer Erbtante.“ Sein Lachen klang schmutzig. „Wir haben sie durchleuchtet, sonst wären sie nicht hier.“
Schneider beschlich mit einem Male ein ungutes Gefühl und seine Souveränität wankte. War der Kerl immer so? Oder spielte er es nur? Er hatte schon erlebt, dass Bürohocker, die endlich mal hinaus konnten, sich für Superspione hielten und sich auffällig benahmen. Und wenn doch nicht? In seinem Inneren keimte die Frage, ob diese Geschäftsverbindung, so lukrativ sie auch war, auf Dauer gut gehen konnte, oder ob er sich da auf etwas eingelassen hatte das Probleme geben würde aus dem es für Ihn am Ende kein Entrinnen gab. Er schüttelte diese Gedanken ab und Sekunden später war er wieder der Alte. Er hatte schon grössere Probleme gelöst und bisher alles unbeschadet überstanden. So würde es auch diesmal sein.
„Nun, Sie kennen mich, wissen viel von mir und sind mir gegenüber im Vorteil. Ich weiss nicht wer sie sind, ob ihr Name wirklich Hasler ist weiss ich auch nicht und ich kenne auch die Rolle nicht, die sie in dieser ganzen Sache spielen.“
„Mein Name ist Hasler, ich bin der Kurier, mehr müssen sie nicht wissen.“ Wieder schaute sich der Mann rastlos um, dann fuhr seine Rechte urplötzlich in sein Jackett und Schneider dachte schon, jetzt zieht der Kerl auch noch eine Knarre, doch seine rechte Hand erschien mit einen weissen Briefumschlag, den er nun blitzschnell über den Tisch zu Schneider hin schob. „Das sind ihre Anweisungen. Es gibt nur dieses Exemplar und es ist nicht verschlüsselt, dafür reichte die Zeit nicht.“ Hasler sah ihn durchdringend an, der gehetzte Blick war mit einem Mal verschwunden, irgendwie schien er erleichtert.
Schneider liess den Briefumschlag vor sich liegen, als wäre es ein belangloses Stück Papier oder Werbung und griff nach seinem Glas. Genüsslich trank er einen Schluck Wein, lächelte Hasler an und tat so als wäre die Welt ein Paradies und sie wären mitten drin.
„Der Wein ist ausgezeichnet, wollen sie nicht auch davon probieren?“
Das war dann doch zu viel. Hasler lief rot an, beugte sich vor und zischte: „Halten sie den Mund und stecken sie gefälligst den Umschlag ein. Oder wollen sie dass die ganze Sache auffliegt?“ Er schob den Stuhl zurück und sprang auf -, wütend.
„Einen schönen Tag noch“, schnauzte er Schneider an und verschwand fluchtartig aus dem Lokal. Die Stammgäste sahen herüber und wunderten sich. Der Zweite war tatsächlich nicht lange geblieben.
Schneider schüttelte unmerklich den Kopf, nahm einen weiteren Schluck Wein und griff nach dem Umschlag. „Zum Glück ist er weg, so ein Nervenbündel ist mir noch nie begegnet. Und bezahlt hat der Kerl auch nicht.“
Es war das erste Mal, dass er einem Vertreter dieses, sehr speziellen, Auftraggebers begegnet war. Auch wenn Hasler vorgab nur Kurier zu sein und nichts über die Organisation zu wissen, Schneider kannte ihn und wusste genau mit wem er es zu tun hatte. Wie alle seine Kunden hatte er auch diesen überprüft, so, wie er es grundsätzlich immer tat. Und er nahm keinen Auftrag an ohne über den Anderen möglichst gut Bescheid zu wissen.
Schneider kannte die Organisation zu der Hasler gehörte. Zu jedem Namen gehörten Fotos, zu jedem Namen gehörten die Angaben über die Funktion innerhalb der Organisation, zu jedem Namen gehörte aber auch das Wissen über den privaten Bereich, die Finanzen, ob offizielle Konten oder Nummernkonten, über den Freundeskreis und die Gewohnheiten. Auch ein Auszug aus dem Strafregister war dabei. Schneider verfügte über ausgezeichnete Verbindungen und es gab viele die ihm noch einen Gefallen schuldig waren. Sein Wissen und seine Akten wären ein Vermögen wert gewesen, hätten verschiedene Organisationen oder Firmen in den Ruin treiben, ihre Probanden ins Gefängnis bringen können.
Doch würde er versuchen sein Wissen gewinnbringend einzusetzen und die multinationalen Unternehmungen oder die Regierungen gegeneinander auszuspielen, er würde zwischen den Fronten zerrieben werden. Schneider wusste wie weit er gehen konnte. Die Akten waren bis anhin lediglich seine Lebensversicherung gewesen.
Entspannt lehnte er sich zurück, riss den Umschlag auf, zog mehrere Blatt Papier hervor und faltete das Schriftstück auseinander.
Er gönnte sich ein zweites Glas Wein und begann zu lesen. Auf der ersten Seite standen Angaben über Zielgruppen, Personen, mögliche Schwierigkeiten und Probleme, ferner Zusammenhänge und Querverbindungen zwischen den einzelnen Gruppen und deren Zielpersonen. Auf der zweiten Seite las er Anweisungen und Vorschriften und das Ziel des Auftraggebers, sowie ein neues, überaus kompliziertes Verfahren für den Fall einer neuerlichen Kontaktaufnahme. Der Auftraggeber, so schien es, begann an Paranoia zu leiden. Während er las, machte er sich am Rand laufend Notizen. Dann faltete er das Schreiben wieder zusammen und steckte es zusammen mit dem Briefumschlag ein. Es gab bei diesem Auftrag noch ein paar Ungereimtheiten und er hatte längst nicht alle Informationen die er brauchen würde. Die Angaben würden noch folgen, dessen war er sich sicher und darum konnte er es ruhig angehen.
„Wann und wie der Auftrag ausgeführt wird, bestimme immer noch ich, meine Herren“, dachte er bei sich.
Dann winkte er dem Kellner und auf dessen Versicherung hin, dass die Küche noch offen sei, bestellte er Felchenfilet mit frischem Meerrettich auf Sauerampferbeet mit pommes creole. Der Fisch würde hervorragend mit dem Weisswein harmonieren. Er hatte eine gute Wahl getroffen.
Auch wenn das Restaurant nicht danach aussah, seine Küche war hervorragend.
Eine Stunde später zahlte er und verliess das Lokal. Endlich hatte er vom Auftraggeber grünes Licht erhalten, nachdem sich dieser wochenlang nicht entscheiden konnte. Er musste sich mit den Spezialisten treffen um den Auftrag perfekt und termingerecht durchführen zu können.
Wie immer hatte er die richtigen Leute an der Hand und da er immer pünktlich zahlte, und vor allem fürstlich, würden sie auch diesen Auftrag nach seinen Vorstellungen erledigen. Schneider hatte schlussendlich auch einen Ruf zu verteidigen.
***
Eisig kalt blies der Wind über die weiten Schneefelder. Die kahlen Bäume waren zu bizarren Gerippen erstarrt, Stamm und Äste mit einer glitzernden Eisschicht überzogen. Ein lauter Knall durchbrach die Stille als würde ein Schuss die Einöde durchdringen. Der mächtige Ast brach unter der Last. Die dicke, verharschte Schneedecke dämpfte seinen Aufprall und das leise Knirschen wurde übertönt vom unaufhörlichen Rauschen des Windes. Der Mann stapfte durch den Schnee, stemmte sich mühsam gegen den Nordwind, dick eingehüllt in seinen Pelzmantel. Als er kurz den Kopf hob um sich zu vergewissern, dass er noch auf dem richtigen Weg war, jagte ihm der Sturm kleine Eiskristalle ins Gesicht.
Das alte Wirtshaus war sein Ziel. Ein Riegelbau, erbaut Anno 1743, so die Jahreszahl, die, in Stein gemeisselt, über der Tür stand.
Das alte Haus verbarg sich hinter hohen Tannen, als wollte es sich vor der Unbill des Winterwetters verstecken.
Wieder wirbelten Wolken von Schnee auf und der Mann stemmte sich gegen den scharfen, eisigen Wind, der die ganze Tiefebene in seinem winterlichen Griff hatte und diesen in den nächsten Tagen wohl nicht lockern würde.
Er erreichte die schwere Eichentüre und als seine Hand den kalten Griff nach unten drückte, schlug der Wind die Tür auf und riss ihn mit ins Innere des dunklen Raumes. Der Mann drehte sich um und drückte die Pforte mit aller Kraft zurück ins Schloss.
Schlagartig wurde es ruhig. Nur in seinen Ohren hallte noch das Brausen des Sturmes nach. Einen kurzen Augenblick lehnte er sich gegen die Wand und schnappte nach Luft. Dann schüttelte er sich und schob die Kapuze nach hinten. Er zog die Handschuhe aus und öffnete den Mantel. Noch einmal schüttelte er sich und die letzten Schneereste fielen auf den dunklen Holzboden. Erst jetzt öffnete er die nächste Tür und trat in den warmen Schankraum.
Die wenigen Gäste hoben ihre Köpfe und für einen kurzen Augenblick verstummten die Gespräche am mächtigen, runden, Stammtisch. Dann wandten sie sich wieder ihren Gesprächen zu, kümmerten sich wieder um ihre eigenen Angelegenheiten.
Auch der Wirt hielt einen Moment inne, taxierte den neuen Gast, schien nichts beunruhigendes an ihm festzustellen und fuhr fort mit einem Geschirrtuch den grossen Bierhumpen auszureiben.
Der neue Gast steuerte auf die Garderobe zu und schälte sich aus seinem Pelzmantel. Auf dem Weg dorthin schweifte sein Blick suchend durch den Raum. Er hängte seinen Mantel auf und schlenderte dann quer durch die Schenke auf einen Tisch zu der am Fenster stand. Er wich dem glühenden Eisenofen aus und hielt sich dabei gut einen Meter davon entfernt. Gross war die Hitze die das eiserne Monstrum verbreitete und deswegen war es so wohlig warm in der alten Schankstube.
Die Tische und Stühle aus Eichenholz, die lange Theke mit dem reich verzierten Zapfhahn, die unzähligen Flaschen im Wandgestell dahinter, die Bilder an den Wänden und die alten Lampen die von der reich bemalten Balkendecke hingen, all dies machte den Eindruck, als wäre die Zeit stehen geblieben und war ein Abbild längst vergangener Tage.
Der Gast beachtete dies alles nicht, auch nicht, dass der alte Holzboden unter seinen Füssen knarrte und nur wenig Licht durch die kleinen, von Kondenswasser beschlagenen Fenster ins Innere des Raumes fiel.
Die drei Kameraden sassen schon am Tisch und die Begrüssung war überaus herzlich. Er drückte den Dreien mit aller Kraft die Hand und lachte dabei. Dann erhielten noch alle einen leichten Klaps auf den Kopf. Ihr Begrüssungsritual, aus der Zeit als sie zusammen in der Armee gedient hatten. Er griff nach dem letzen freien Stuhl und setze sich geschmeidig.
„Hoffentlich habt ihr mir etwas übrig gelassen.“ Vorwurfsvoll wanderte sein Blick über den Tisch
Herrlich duftendes Weissbrot, würzig riechender Käse und eine Flasche Rotwein, schon zur Hälfte leer.
„Natürlich haben wir, und nur für dich, das Beste aufgehoben“, tönte es von gegenüber. „Wir wissen doch, dass du Zuhause nichts zu essen bekommst -, und vor allem keinen so feinen Rotwein zu trinken.“ Gelächter hallte durch die Wirtsstube. Hier sass eine lustige Runde beisammen.
Die Vier sahen aus wie tausend Andere auch, könnten in einer Fabrik oder bei einer Behörde arbeiten. Ihr Äusseres war unauffällig, ohne besondere Merkmale.
Hätten sie aber die Ärmel hochgekrempelt, wäre es mit der Anonymität vorbei gewesen. Auf ihrem linken Oberarm hatten sie eine Schlange eintätowiert die sich in einem Kreis um ein keltisches Kreuz schlang. Ein Relikt aus der Zeit in der Armee.
Der Wirt brachte eine weitere Flasche Wein und die vier langten tüchtig zu. Kurze Zeit später waren Brot und Käse verschwunden, und nur noch ein kleiner Rest Wein in der Flasche.
„Es wird Zeit, dass wir wieder unseren Primus wählen. Machen wir es wie die letzten Male, wer den Job haben möchte, soll es sagen.“
„Du hast den Brief von der Post geholt, dann kannst du den Job auch machen.“
„Nein, ihr wisst doch, dass ich dazu kein Talent habe. Ich schlage vor wir nehmen den gleichen Primus wie beim letzten Auftrag.“
„Schon verstanden ich mache es noch einmal“, sagte der neue und zugleich alte Primus. „Und jetzt schieb mal dieses Kuvert herüber.“ Der Angesprochene griff in die Gesässtasche und zog einen versiegelten Umschlag hervor.
„Hier, von unserem Auftraggeber“, bemerkte er und schob den Brief über den Tisch. Der Primus brach das Siegel und zog ein mehrseitiges Scheiben hervor. Er brauchte ein paar Minuten um den Inhalt genau zu erfassen. Die Anderen unterhielten sich leise. Dann faltete der Primus den Brief zusammen und steckte ihn ein.
„Es wird mehrere Wochen dauern und es wird sehr schwer werden. Das Risiko ist diesmal nicht zu unterschätzen. Und es wird diesmal anders als alles was wir bisher zusammen gemacht haben.“ Der Primus schaute in die Runde und sah nachdenkliche Gesichter.
„Wenn die Bezahlung stimmt“, flachste der Eine und der Bann war gebrochen.
„Dann sind alle dabei?“ fragte der Primus erleichtert, was mit zustimmendem Nicken quittiert wurde. „Gut, dann zu Punkt eins.“
Die Stimmung hatte sich merklich gelockert und wieder war die unsichtbare Bande die sie zusammengeschweisst hatte spürbar. Wie in alten Zeiten.
„Als erstes müssen wir umziehen. In die Schweiz. Nicht alle zur selben Zeit, aber innerhalb des Februars sollte der Umzug erfolgt sein, spätestens Anfang März. Für die Wohnungen sorge ich und den genauen Termin für euren Umzug bekommt ihr auch von mir.
Den Umzug müsst ihr dann selbst organisieren.“ Die Anderen nickten zustimmend.
„Wir treffen uns Mitte März in der Schweiz und bis dahin muss jeder von uns eine neue Identität und eine neue Lebensgeschichte haben. Wasserdicht, wie immer.“
„Kein Problem, das erledigen wir.“
„Das wird nicht so einfach werden, denn es müssen schweizerische Papiere sein und es gibt nicht viele welche diese besorgen können. Seit deshalb besonders vorsichtig.“
„Und wie soll das mit diesem komischen Dialekt gehen, das kann doch keiner der nicht da aufgewachsen ist, oder gibt es dafür Sprachkurse?“
„Das Problem lässt sich einfach lösen, die neuen Pässe müssen euch nur als eingebürgerte Schweizer ausweisen. Am besten mit einem deutschem Namen. Deutsch haben wir ja alle gelernt und spätestens nach ein paar Tagen geht es wieder problemlos. Zudem leben viele Deutsche in der Schweiz und auch mit einem leichten Akzent fällt ihr bei den vielen Fremdsprachigen nicht auf. Wir werden in der Schweiz eine Kontaktperson haben. Die wird mir auch bei der Wohnungssuche und den Mietverträgen helfen. Aber nur dabei, nachher sind wir auf uns selbst gestellt, so wie immer. Das wäre im Moment alles, weitere Infos bekommen wir im März. Wann und wo erfahren wir noch. Irgendwelche Fragen?“
„Ja, wie sieht die finanzielle Seite aus?“
„Diesmal machen wir die ganz grosse Kohle, ich schätzte, dass nach Abzug der Spesen für jeden ungefähr zweihundert fünfzigtausend Euro bleiben.“ Der Primus schaute lächelnd in die verdutzten Gesichter.
„Dann lasst uns auf den Erfolg trinken.“
Frühling
In diesem Jahr war der Schnee bis Ende Februar liegen geblieben und als er endlich dahinschmolz, blieb das Wetter grau, feucht und kalt, bis fast Ende März.
Doch dann, endlich, der erste warme Frühlingstag. Das Thermometer kletterte auf ungewohnte zwanzig Grad und die Menschen strömten aus ihren Häusern. Endlich hinaus, hinaus in die frische, warme Frühlingsluft, hinaus an die wärmende Sonne, die vom wolkenlosen, azurblauen Himmel herunter lachte. Der Wind spielte sanft mit den ersten Blättern und strich um die austreibenden Knospen. Die vielen Schneeglöckchen verbreiten ihren Duft und die Luft war erfüllt von unzähligen weiteren Düften welche den Menschen die Sinne zu verwirren schienen. In den Bäumen sangen die Vögel um die Wette, und die Möwen umkreisten die Fähre die ihre Passagiere vom Ufer unterhalb des Basler Münster an das Kleinbasler Gestade brachte.
Die Menschen flanierten dem Ufer entlang. Familien mit Kindern die nun endlich wieder draussen herumtollen konnten. Und so ausgelassen, laut und wild die Kleinen auch waren, die Leute lächelten ihnen zu, tolerierten ihren Überschwang und waren selbst fröhlich und voller Lebenslust. Liebespaare spazierten Hand in Hand oder eng umschlungen, die Welt vergessend, der Promenade entlang. An den Ufern des Rheins, der mit seinem silbernen Band die Stadt Basel durchschneidet, spazierten Tausende. Es schien als wäre an diesem wunderschönen Tag ganz Basel unterwegs.
In den Boulevardcafés wurden eiligst Tische und Stühle bereitgestellt und schon drängten sich die Leute um einen Platz zu ergattern.
Es brauchte heute sehr viel Glück und Geduld sich auf einen der begehrten Plätze setzen zu können.
Doch niemanden schien dies zu stören, man hatte ja Zeit und das Wetter war unbeschreiblich, die Sonne, die Wärme, die wiedererwachte Natur, dies alles stimmte fröhlich und friedlich.
Die ersten Boote wagten sich auf den Rhein. An den Landungsstegen der Fähren standen die Menschen geduldig in der Schlange.
Für all das hatte Michael Schneider keine Augen, hatte an diesem wunderschönen Frühlingstag keine Zeit. Zielstrebig ging er dem Ufer entlang.
Der Kontakt erfolgte diesmal über sein Büro in Brüssel und natürlich war ihm klar, wer der Auftraggeber war. Die fehlenden Informationen waren eingetroffen und nun konnte es losgehen. Nachdem ihm sein Büro die Angaben übermittelt hatte, nahm er sich zwei Tage Zeit für seine persönliche Risikoanalyse. Danach ging alles sehr schnell. Für den heutigen Tag waren die ersten Schritte geplant und welcher Wochentag auch war, welches Wetter auch vorherrschte, jetzt war es Zeit seinen Job zu machen. So hatte er es immer gehalten.
Er hielt kurz inne und schaute auf seine elegante Rolex. Noch eine halbe Stunde, kein Grund sich zu beeilen. Er passte sich dem Menschenstrom an und bahnte sich langsam einen Weg ans Ufer. Dort blieb er stehen und schaute auf den silberglänzenden Rhein.
War es schon zehn Jahre her? Seine Schneider Consulting vermittelte temporäre Arbeitskräfte. Nicht wie tausend andere Firmen. Er vermittelte nur hochkarätige Spezialisten, top qualifiziertes Personal, die Besten der Besten. Alle Branchen. Bei Schneider Consulting konnte man sich nicht bewerben, das war aussichtslos, bei Schneider Consulting wurde man ausgesucht und nur wer hervorragendes leistete, bekam eine Chance. Ausnahmen gab es keine. So konnte Schneider sicher sein, seinen Kunden immer die Besten zu vermitteln. Hinzu kam, dass seine Firma schnell, unbürokratisch und verschwiegen arbeitete und dies sieben Tage die Woche, 12 Monate im Jahr, Tag und Nacht. Seine Firma beschäftige elf Personen. In Brüssel und am Hauptsitz in Zürich arbeiteten im Schichtbetrieb jeweilen fünf Angestellte.
Hinzu kam seine persönliche Sekretärin die schon seit der Firmengründung dabei war.
Schneider selbst suchte weltweit die Spezialisten aus, er schloss die Verträge ab und vermittelte diese Leute dann weltweit.
Auch wenn seine Firma teuer war weil er Spitzenlöhne zahlte -, das Geschäft boomte.
„Schneider Consulting, die beste Firma der Branche.“ Es war ein harter Weg an die Spitze und zu Beginn wollten die Auftraggeber noch den Preis drücken. Doch Schneider blieb hart. Sein Preis oder gar nicht. Wer nicht wollte musste sich anderweitig umsehen und sich mit dem Zweitbesten zufrieden geben. Doch er wusste, dass er immer am Ball bleiben, seinen Konkurrenten immer einen Schritt voraus sein musste, oder er war raus aus dem Geschäft.
Nur wenigen Insidern war bekannt, dass Schneider Consulting für einen kleinen Kreis ausgewählter Kunden einen ganz besonderen Service bieten konnte. Verschiedentlich konnten, oder wollten, die Auftraggeber nicht in Erscheinung treten und deshalb übergaben sie die gesamte Planung und Ausführung an Schneider. Er suchte die Spezialisten, organisierte den Ablauf und erledigte auch den finanziellen Teil. Alles aus einer Hand. Still und verschwiegen, so dass weder der Auftraggeber noch Schneider Consulting in Erscheinung traten. Und heute ging es wieder um einen solchen Auftrag.
Den dunklen Anzug hatte er gegen ein dunkelblaues Sportsakko getauscht, dazu trug er eine hellgraue Cabardinhose. Der bordeauxfarbene Schlips zu dem weissen Hemd wurde von einer schlichten, silbernen Krawattennadel gehalten. Er schlenderte weiter und zog dabei die Blicke der Damen auf sich. Sein dunkelbraunes, volles Haar, der leicht gebräunte Teint und seine hellen, blauen Augen verfehlten nicht die Wirkung auf Frauen, ein Umstand, den er auch gekonnt auszuspielen wusste. Selten verfehlte seine Erscheinung die gewünschte Wirkung. Ein Mensch mit Charisma, eine starke und seriöse Persönlichkeit. Das Einzige was nicht so richtig ins Bild passte, war, dass Michael Schneider keine Vergangenheit hatte. Aber das war bis anhin den Wenigsten aufgefallen und die, welche um seine Vergangenheit wussten, hatte alle Gründe zu Schweigen.
Erneut blieb er kurz stehen und schaute sich um. Prüfend schweifte sein Blick umher. Alte Gewohnheiten kann niemand so leicht abschütteln.
Dann setzte er seinen Weg fort und steuerte auf das nächste Boulevardcafé zu.
Die bunten Sonnenschirme leuchteten in warmen Farben und passten zu den gestreiften Tischdecken und den geflochtenen Korbstühlen, deren Kissen mit demselben Stoff bezogen waren. Er quetschte sich zwischen den wartenden Gästen, den Kellnern und Stühlen hindurch und erreichte endlich den Tisch an dem sich schon vier Personen niedergelassen hatten. Sie begrüssten sich als würden sie sich schon seit Jahren kennen, wären die besten Freunde. Er setzte sich auf den letzten freien Stuhl, den die Vier bis dahin tapfer verteidigt hatten. Stühle waren heute Mangelware.
Dichtgedrängt sassen die Leute im Gartenrestaurant. Lachen und Stimmengewirr erfüllte die laue Frühlingsluft. Das klirren der Gläser, die Rufe nach der Bedienung, - zwischendurch konnte man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen. Es brummte und summte wie in einem Bienenhaus. Den fünf war es recht so. Hier mussten sie sich heute keine Sorgen machen, auch wenn jemand versucht hätte zu lauschen, an den Nebentischen waren allenfalls Gesprächsfetzen zu hören, der Rest ging im Stimmengewirr unter.
Schneider winkte dem Kellner und bestellte sich ein grosses Bier, Lager, hell. Damit schloss er sich den Anderen an, die alle vor einem halben Liter Bier sassen. Sie plauderten angeregt miteinander. Endlich kam Schneiders Bier. Sie hoben die Gläser und prosteten einander zu. Es schmeckte köstlich. Schneider stellte sein Glas hin.
„Der erste Schluck ist immer der Beste. Und nun lasst uns zum Geschäftlichen übergehen. Ich gehe davon aus, dass ihr alle mit eurer Bleibe zufrieden seid und ich diesen Punkt abhaken kann.“
Die vier nickten zustimmend. „Gut, dann weiter.“ Er griff in sein Sakko, zog vier schmale Briefumschläge hervor und verteilte sie. „Hier drinnen findet ihr weitere Informationen und Angaben für euren Job. Zeitplan, Einsatzgebiet, Kontaktadresse -, steht alles da drinnen.
Dazu der Name der kontoführenden Schweizerbank bei der ihr ein unbegrenztes Spesenkonto habt, zudem der Name der Bank auf den Cayman Islands und die Kontonummer eures Privatkontos. Selbstverständlich seid ihr wie immer versichert.
Die Police liegt auch im Kuvert. Bei den Begünstigten habe ich dieselben Namen eingetragen wie letztes Mal.
Den genauen Zeitpunkt für den Beginn des Auftrages werde ich noch bekannt geben. Es wird Anfang nächsten Monats sein.“
Die Vier steckten die Briefumschläge ein ohne sie geöffnet zu haben. Schneiders Wort zählte.
„Nun möchte ich euch in Basel willkommen heissen und hoffe, dass euch der kommende Job Spass machen wird.“ Dann bestellte er eine weitere Runde. Sie tranken auf den Erfolg, die gute Zusammenarbeit, den sonnigen Tag und den Frühling. Eine lustige, fröhliche Runde. Freunde die sich an diesem Sonntagnachmittag zu geselligem Zusammensein getroffen hatten.
Es beginnt
Schlagzeilen :
Wieder mehr Alkoholtote
Regionalbanken legen zu
Positiver Dopingtest nach Weltrekord
Im vergangenen Dezember war Moser pensioniert worden und nun hatte er endlich genügend Zeit für seine Hobbys. Lange genug hatte er darauf gewartet. Sein geliebter Garten, die Fussballspiele seines Lieblingsvereins, seine Sammlung alter Kaffeemühlen und das Kartenspielen mit seinen Freunden, einmal die Woche, im Gasthof Hirschen. Heute.
Wenn es allzu laut wurde am grossen, schweren Stammtisch, mahnte Georg, der Wirt, die vier Spieler ruhiger zu sein um die anderen Gäste nicht zu vertreiben. Das kam oft vor, denn die Vier konnten sich beim Spielen echt ereifern und manch anderer Gast schaute sich in der alten Gaststube um, wer da so laut beim Karten spielen sei. Die Wände mit dem profilierten Holztäfer das im Laufe der vergangenen Jahrzehnte dunkel geworden war, die schweren Vorhänge und die verzierte Stuckdecke brachen den Schall ein wenig, so dass die Gäste nicht gleich lärmgeplagt davonliefen. Der „Hirschen“ war ein gemütliches Restaurant und das Stammlokal vieler Vereine.
Die vier Pensionäre spielten nie um bare Münze, sondern darum, wer die nächste Runde zu zahlen hatte. So folgten dann Spiel um Spiel, Runde um Runde und die Stimmung stieg, wurde immer ausgelassener. Zwischendurch, in den seltenen Spielpausen, wenn sie warteten bis Georg die nächste Runde brachte, schwelgten sie in Erinnerungen. „Kannst du dich noch erinnern? Weißt du noch, damals...“
Die vier Musketiere, Georg nannte sie so, kannten sich seit ihrer Kindheit.
Sie besuchten dieselben Schulen, rauchten zusammen heimlich die ersten Zigaretten, erlebten gemeinsam den ersten Vollrausch und tauschten die ersten Erfahrungen über Mädchen aus. Sie hielten zusammen wie Pech und Schwefel.
Unfug mal vier, Kumpels, Freunde fürs Leben. Im Laufe der Zeit verloren sie sich dann doch aus den Augen, zerstreuten sich in alle Winde. Den Kontakt untereinander liessen sie nie ganz abreissen, trafen sich im Laufe der Jahre immer wieder und waren nun, nach ihrer Pensionierung nach Hause, nach Birrhausen, zurückgekehrt.
Georg brachte die nächste Flasche "Brouilly".
Er war die Seele des Restaurants. Wirt, Koch, Sommelier, wenn nötig auch Kellner, alles in Personalunion. Eine stattliche Erscheinung, ein Mann mit grauen Haaren, schwarzem Schnauzbart und fröhlichen, blauen Augen. Um den rundlichen Bauch hatte er wie immer eine weisse Schürze gebunden an der er ab und an seine Hände trockenrieb.
„Habt ihr das Schild draussen gesehen? Die nächste Woche bin ich in den Ferien, ich muss mich von euch erholen!“
„Was, schon wieder Ferien?“ Thomas Pfeiffer spielte den Entrüsteten.“
„Wirt müsste man sein, dann könnte man sich so viele Ferien leisten“, resümierte Johann Moser.
„Kein Kunststück bei den Preisen. Jetzt macht er wieder dicht und lässt seine besten Kunden verdursten, eine ungerechte Welt“, jammerte Pfeiffer und schaute wie ein weidwundes Reh umher.
Dann fuhr er fort: „Wenn ich einen Notvorrat hätte anlegen können, dann würde ich die Trockenzeit besser überstehen, aber so?“
„Die Beiden kannst du nicht erst nehmen, Georg, du kennst diese Krämerseelen. Komm, gib uns einen aus, dann ist die Welt wieder in Ordnung und du kannst ohne schlechtes Gewissen in die Ferien.“
„Deine Idee ist sehr gut, Paul, ich bin dabei und wenn die anderen Zwei lieber weiter schmollen, sollen sie doch. Lasst uns auf Georg’s Ferien trinken.
Möge er gesund und munter wiederkommen und uns während seiner Abwesenheit den Schlüssel für den Weinkeller überlassen. Wir werden bestimmt sehr gut auf die Flaschen aufpassen.“ Tobias Dreher lachte dem Wirt schelmisch zu. Die nächste Runde ging aufs Haus.
Die vier Musketiere hatten noch ein gemeinsames Hobby. Kürbisse. Da war eine Geschichte für sich und nicht wenige sagten:
„Die spinnen, die vier Alten.“
Denn sie versuchten auf Teufel komm aus, mit Geheimrezepten, speziellen Humusmischungen, biodynamischem Dünger, Pferdemist und allen möglichen und unmöglichen Mittelchen den grössten Kürbis zu ziehen. Kein anderes Gemüse erfreute sich solcher Hingabe und Zuwendung.
Im Herbst kürten sie dann den Kürbis-König und sein Name wurde in die ewige Bestenliste aufgenommen. Der Sieger hatte die Pflicht, die unterlegenen Gegner zu einem fürstlichen Abendschmaus in den Hirschen zu laden. An einem solchen Abend zog dann Georg alle Register seines Könnens. Seine Küche genoss einen ausgezeichneten Ruf und die Gäste kamen von weit her um seine Spezialitäten zu geniessen. Die absolut beliebteste Creation blieb das „Rindsmedallion Georg“.
Rundum kurz angebraten, dann im hauchdünnen Salz-Pfeffermantel bei niedriger Temperatur im Ofen gegart und mit frischem Gartengemüse und Kräuterreis serviert.
Er hätte dafür mit einem Stern bedacht werden können. Doch Restaurant-Tester hatten sich noch nie nach Birrhausen verirrt. Georg war das nur recht. Er kochte für seine Gäste weil sie ihn und seine Küche schätzten und nicht für Leute die kamen weil es im Moment besonders angesagt war im „Hirschen“ in Birrhausen zu speisen -, nur weil ein Fresspapst irgendwo sein Lokal erwähnt hatte.
***
Schlagzeilen :
Teuerung legt zu
Wetterfrösche sagen trockenen Frühling voraus
Neue Lohnrunde der Gewerkschaften
Schneider hatte nach dem Treffen in Basel die Aufgaben für seine Spezialisten mit jedem Einzelnen nochmals abgesprochen. An verschiedenen Orten, zu verschiedenen Zeiten.
Zu wichtig waren der genaue Einsatzplan, die Ausrüstung und die möglichen Risiken. Als Arbeitsbeginn war der kommende Mittwoch vorgesehen. Ein ganz normaler Tag. Und alles würde perfekt ablaufen. Schneider schaute in seinen Terminkalender. Die nächste Besprechung sollte in Brüssel stattfinden. Eine norwegische Ölfirma hatte ein Leck in einer ihrer unterseeischen Pipelines und nun brauchten sie dringend Taucher mit Schweisserausbildung. Das Leck sollte schnellst möglich geschlossen werden, so, dass die Öffentlichkeit davon nichts bemerkte. Ein normaler Job für Schneider Consulting. Er nahm aus dem grossen Tresor die Verträge der vier Spezialisten mit dem Job in der Schweiz und steckte sie in seinen Aktenkoffer.
Er hatte es sich zum Grundsatz gemacht, die Kontrakte nie in dem Land aufzubewahren, in dem die Spezialisten arbeiteten. Schneider verliess Zürich mit dem letzten Flug des Tages.
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Es wartete viel Arbeit auf ihn und er freute sich darauf. Es war schon Anfang April und er musste sich sputen um seinen Garten rechtzeitig auf Vordermann zu bringen.
Das Wetter war schön und endlich konnte Moser wieder in sein Reich zurückkehren. Zuerst die alten Pflanzen ausreissen und auf den Kompost werfen, den Dünger verteilen und kräftig unterhacken.
Er hatte sich daran gewöhnt, dass dabei, warum auch immer, viele Steine hervorkamen und er sie mühsam zusammentragen musste. Dann konnte er damit beginnen die Beete abzustecken und die Wege anzulegen. Und erst danach begann der die Setzlinge zu pflanzen. Salat und Gemüse und speziell für seine Frau, Erbsen. Sie liebte Erbsen über alles und verabscheute die grünen Dinger aus der Dose, und für ihn wuchsen die Stangenbohnen. Stangenbohnen waren sein Lieblingsgemüse. Dazu Tomaten, Gurken, Kohl, Spinat, Endiviensalat, Kopfsalat und viele Gewürze. Eine reichhaltige Palette. Und nicht zuletzt Kürbisse. Kürbisse für den Wettbewerb.
Es war kurz vor sieben und Moser mühte sich schon eine knappe Stunde mit umgraben ab. Dies war der schwerste Teil der Arbeit und er fragte sich jedes Jahr ob es nicht besser wäre eine Maschine zu kaufen, oder im Gartencenter eine zu mieten.
Aber dann hatte er, wie immer, schon mit dem Umgraben begonnen und es lohnte nicht aufzuhören um eine Maschine zu besorgen. Vielleicht nächstes Jahr. Und wieder rammte er den Spaten in die schwarze, fruchtbare Erde. Der natürliche Torfanteil betrug fast dreissig Prozent. Ein guter Boden.
Der Schweiss rann in Bächen an ihm herunter und hinterliess nasse, dunkle Flecken auf seinem Unterhemd. Langsam wurde der Erfolg seiner Arbeit sichtbar. Er stützte sich auf den Spaten, wischte den Schweiss von der Stirn und schaute stolz auf sein bisheriges Werk. Wo sollte er dieses Jahr die Kürbisse ziehen? Beim Zaun? Beim Gartenhäuschen? Auf jeden Fall nicht in der Mitte des Gartens und auch nicht in der Nähe der Hecken.
Damit hatte er bisher kein Glück gehabt. Den Wettbewerb hatte er noch nie gewinnen können und letztes Mal fehlten ihm nur fünf Zentimeter zum Sieg.
Diesmal wollte er endlich Kürbis-König werden und beschloss deshalb, es beim Zaun und beim Gartenhäuschen zu versuchen. Es würde weniger Gemüse geben, aber seine Chancen auf den Sieg erheblich steigern.
Mit neuem Elan rammte er den Spaten wieder in den Boden, hob die schwarze Erde an, drehte den Spaten und liess sie zurückfallen. Immer wieder, ohne Unterlass.
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Ein letzter Blick auf die alte Küchenuhr, ein letzter Schluck schwarzen Kaffees. „Zeit zu gehen, sonst wird er wieder ungeduldig.“ Sie packte Brot, Wurst und Käse, die Thermoskanne mit Kaffee und die Würfelzucker in den Weidenkorb und wollte schon den Deckel schliessen, als ihr Blick auf die Tasse und das Messer fiel. „Das hätte gerade noch gefehlt, den ganzen Weg nochmals zurücklaufen zu müssen.“
Nun klappte sie den Deckel zu. Johann wartete. Ihr Mann hatte sich in der letzten Zeit sehr verändert. Zum Guten verändert. Nach seiner Pensionierung hatte er wochenlang nur herum gesessen. Davor hatte sie sich im Voraus gefürchtet. Er hatte alles und jeden kritisiert und sie konnte ihm nichts recht machen. Johann wusste nichts mit sich und der Zeit anzufangen.