Das Ende vom Lied ist kein schlechter Anfang - Susanne Faust - E-Book

Das Ende vom Lied ist kein schlechter Anfang E-Book

Susanne Faust

4,7

Beschreibung

Ein lebhafter Liebesroman, der mit Humor und erfrischender Originalität berührt. Das Leben von Anne und Ellen ist mehr Rock'n'Roll als Klassik. Eine lebt in einer festen Beziehung, die andere ist Single. Für die größten Rhythmus-Schwankungen sorgen - natürlich - Männer. Beide können ein Lied davon singen. Ein aufregendes Jahr später ist nichts mehr, wie es war. Zwei Frauen, einige schräge Vögel und nicht das Übliche. Sing Halleluja!

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Seitenzahl: 364

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Susanne Faust & Carolin Lockstein

Das Ende vom Liedist kein schlechter Anfang

Roman

ISBN 978-3-944124-43-8

Copyright © 2014 mainbook VerlagAlle Rechte vorbehalten

Lektorat: Gerd FischerLayout: Katharina Schmidt

Besuchen Sie uns im Internet: www.mainbook.de

Die in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhalt

1. Teil Breathe in

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

2. Teil Breathe out

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

3. Teil Just let go

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Anne

Ellen

Das Buch: Eine ist Single, die andere in einer festen Beziehung, beide sind kurz vor 40, Journalistinnen mit scharfer Zunge und sensiblen Herzen: Anne und Ellen. Sie arbeiten in einem Büro, umgeben von ihren Hausfischen und dem Gefühl, unschlagbar zu sein. Blöd, dass die Außenwelt der reinste Hindernis-Parcours ist und sie mit Entscheidungen belästigt. Nestbau oder Karriere, sich zufrieden geben oder einen Neubeginn wagen, das Richtige bei dem Falschen suchen, auf den Putz hauen und auch mal ausrasten oder vernünftig sein und auf guten Sex verzichten? Ja. Nein. Vielleicht. Hätte ich doch.

Oberflächlich ist bei Anne und Peter alles okay, aber irgendwie ist der Thrill weg. Versuche, ihn mit Wandfarbe, Wohnungssuche und Vino Tinto hervorzulocken, führen in eine ganz neue Richtung. Ellen lebt in Scheidung. Ihrer misslungenen Ehe mit dem sexbesessenen Georg weint sie keine Träne nach. Sie mag ihr aktuelles Leben – eigentlich. Uneigentlich ist sie froh, als durch Zufall ein neuer Mann auftaucht. Zufällig handelt es sich um ein besonders kompliziertes Exemplar.

Für Anne und Ellen gibt es zum Glück gute Cremes, die ihre Haut retten, die richtige Musik und Galgenhumor, der vor Dauerdepression schützt. Rock and Roll!

Die Autorinnen: Susanne Faust und Carolin Lockstein arbeiten schon ewig als Journalistenteam in Hamburg. Beim Schreiben gibt’s auch mal dicke Luft, aber sie verdampft, sobald der Computer aus ist. Ihr Sachbuch „Relax!“ war ein Bestseller und wurde in neun Sprachen übersetzt. „Das Ende vom Lied ist kein schlechter Anfang“ ist ihr erster Roman.

Ein besonderes Dankeschön an die, die uns lieben und unterstützen.

Susanne & Carolin

There are only two important things in life:

Breathe in and breathe outKeith Skowron, Fitnesstrainer im Hotel Eden Roc, Miami

1. Teil

Breathe in

Anne

Er steht still da und berührt mich mit Blicken, die ich nicht deuten kann. Das safranfarbene Licht der einzigen Lampe im Raum ist zu schwach, um seine dunkelbraunen Augen zu erreichen. Ich liege vor ihm auf einem großen, weißen Hotelbett. Nackt. Er sieht alles. Und lässt sich Zeit. Lustvoll streift er über meinen Körper. Ich spüre die Orte, an denen er verweilt. Lange betrachtet er meinen Mund, bevor er über die vereinzelten Sommersprossen wandert, die sich wie winzige Planeten übers Sonnengeflecht erstrecken. Endlich kommt er. Auf mich zu. Und befreit sich mit fließenden Bewegungen aus seinen Klamotten. Ein kleines Lächeln blitzt über sein fein geschnittenes, indisches Gesicht, als er mit sanfter Hand die Ränder meiner Bikini-Bräune nachzeichnet. Sein Schwanz steht wie ein perfekter Gedankenstrich in der Luft, findet mit kraftvoller Gelassenheit den Weg zu mir und gleitet ganz langsam ganz tief bis an den Punkt, der alles auf diesen Moment zusammenschmelzen lässt. Er nimmt sich zurück, stößt erneut vor. Ich atme im Rhythmus der Wellen, die mich durchströmen. Immer schneller. Und...

Eine Stimme, die nicht zu ihm gehört, übertönt meinen Traum: „Möchten Sie Frühstück, Madame? Kaffee? Tee? Wir landen in weniger als zwei Stunden.“

Ich öffne die Augen. Das Gesicht, das jetzt über mir schwebt, ist freundlich-distanziert. Geduldig wartet der Steward, bis ich meinen Sitz aufrecht gestellt und das Tischchen vor mir herunter geklappt habe. „Ein Extra-Croissant?“, fragt er. Ich greife zu und beiße mit Heißhunger in das Extra-Croissant. Viel lieber würde ich in die andere Position zurück gleiten – und weiter träumen, von dem Mann, der mich seit 24 Stunden nicht loslässt. Stattdessen kehre ich noch schneller auf den Boden der Tatsachen zurück: Wir landen zehn Minuten früher als geplant. Mein Koffer mäandert als einer der ersten vom Band. Und schon sitze ich im Taxi.

Keine Kühe auf der Straße. Keine Frauen in bunten, wehenden Saris auf Mopeds, keine halsbrecherischen Fahrradfahrer in Anzughosen und Plastikschlappen, keine Bauchladenverkäufer an der Ampel. Elf Stunden liegen zwischen Neu Delhi und Hamburg. Zu wenig, meine Seele schwebt noch über dem Orient. Mein Taxifahrer überbrückt die Distanz. Er kommt aus Syrien und erzählt unaufgefordert von seiner Heimat. Währenddessen krame ich in meiner Handtasche, ziehe die kleine Box mit zwei Trüffelpralinen heraus und reiche sie nach vorne. „Ah, erste Klasse geflogen“, vermutet der Mann mit der Wagennummer 671. „Nee“, murmele ich. „Die gibt’s auch weiter hinten.“ Abgesehen vom Flug hatte der Trip nichts mit „weiter hinten“ zu tun. Fünf Tage Luxus in einer der ärmsten Regionen Indiens, Rajasthan. Fünf-Sterne-Hotels, Tigersafari, Fünf-Gänge-Menüs. In meiner politisch korrekten Phase hätte ich so eine Pressereise abgelehnt. Aber damals war ich jung und brauchte kein Geld. Samir Khoury, so steht es auf seiner Taxi-Lizenz, biegt schwungvoll um die Ecke und regt sich über den Audi-Fahrer vor uns auf, der seinen Vorwärtsdrang ausbremst. Ich gebe ihm recht – er nickt dankbar und schweigt. Endlich Ruhe. Eine Woche lang habe ich fast ununterbrochen geredet. Oder anderen zugehört, den fünf mitreisenden Kollegen, PR-Frauen, Hoteldirektoren und Reiseabschnitts-Guides.

Ich zupfe an dem gelben Bändchen, das ich seit drei Tagen um mein rechtes Handgelenk trage. „Wünschen Sie sich was“, hatte mich der Guide im Maharadscha-Palast von Jaipur aufgefordert, das Baumwollbändchen verknotet und dabei so verheißungsvoll gelächelt, als wäre das große Glück bei ihm Dauergast. Jetzt muss ich also nur noch warten, bis es morsch wird, abfällt und schon schickt das Leben mir das „Rundum-Sorglos-Beziehungs-Paket“, das ich auf die Schnelle bestellt habe.

Ganz schön bedenklich, dass ich ein paar schlecht gefärbten Baumwollfäden die Kraft zutraue, mein Schicksal in die Hand zu nehmen. Aber ich brauche dringend mehr Leben in meiner Beziehung und dabei kann ich jede Hilfe gebrauchen.

Seit einem Jahr retten Peter und ich uns über die Zeit. Mit verbindenden Ritualen, bequemen Arrangements und routinierter Zärtlichkeit. Wir sind ein gut eingespieltes Team, das nicht mehr darüber nachdenkt, wohin es gemeinsam will. Ich denke schon. Auch laut. Aber was denkt er? Das ist nicht aus ihm herauszukriegen. Ich habe es mit allen Fragestrategien probiert. Seine Antworten könnte ich vorher auf ein Kärtchen schreiben und damit das Quiz „Antworten Sie für Ihren Partner“ gewinnen. Ihn wirklich zum Reden zu bringen und ihm seine wahren Gedanken zu entlocken, ist schwerer, als in einer Woche fünf Kilo abzunehmen. Das ist auch so ein unerfreuliches Thema. Ich stelle mir lieber nicht vor, was da in den letzten Tagen alles auf meinem Teller lag und nun gegen den Reißverschluss meiner ehemals locker sitzenden Jeans drückt.

Ich schalte mein Handy an, stecke es gleich wieder zurück in die Tasche und höre ein gedämpftes Piepen. Eine SMS von Ellen: „Welcome back, Baby.“ Ich tippe eine Antwort und merke, dass mir dabei gleich wärmer wird. Seit fünf Jahren verbringen wir als Journalisten-Duo Mars & Overmaas mehr Zeit miteinander als ich mit Peter und Ellen mit sich selbst. Betriebswirtschaftlich gesehen läuft unser Leben gut. Unsere persönliche Mitte ist allerdings irgendwo auf der Strecke geblieben. Von mir denken alle, dass ich total glücklich mit Peter bin – außer Ellen. Und Ellen träumt im Moment von einer traumhaften Scheidung von Georg, der aber offensichtlich kein Freund von sachlich und schnell ist und das Trennungsjahr voll auskosten will. Ich bin gespannt, ob es etwas Neues gibt und überlege kurz, ob ich mich von Herrn Khoury ins Büro fahren lassen soll. Aber es ist schon spät. Ellen ist wahrscheinlich nicht mehr da. Und ich möchte auf jeden Fall vor Peter zu Hause sein, um die Wohnung einen Moment lang für mich allein zu haben.

Zum Abschied stellt mir Herr Khoury mein Gepäck mit einem Lächeln vor die Füße. Ich wuchte die 24,5 Kilo die drei Treppen zu meiner Wohnung hoch – gute sechs Kilo mehr als auf dem Hinweg. Wieso wiegt eigentlich schmutzige Wäsche immer so viel? Die Chili-Schoten für Ellen und der Sari-Stoff können es nicht sein. Bleibt der überdimensionale Kamasutra-Bildband, den ich zur Erheiterung und Weiterbildung gekauft habe. Ellen und mir natürlich. Peter geht Sex grundsätzlich lieber mit missionarischem Eifer an.

Ich lasse meine Reisetasche im Flur stehen und gehe durch die Räume, fast wie bei einer Wohnungsbesichtigung. Ich schaue mir die Post an, die auf dem Holztisch im Esszimmer liegt, ziehe die Vorhänge etwas weiter auf, stecke einen Finger in die Erde des deckenhohen Bambus (knochentrocken, natürlich). In der Küche hoffe ich auf eine Überraschung. Dass Peter das Geschirr nicht auf, sondern in die Spülmaschine gestellt hat. Dass er keine Kaffeepulverspuren hinterlassen hat, aus denen sich problemlos acht Tassen brühen ließen. Dass er die Brotkrümel vom Tisch gefegt und den Aschenbecher ausgewaschen hat. Aber natürlich ist alles wie immer, wenn ich ohne ihn auf Reisen war. Das ist die Rache des allein gelassenen Mannes. Denn eigentlich ist Peter eher pingelig. Einer, der die Küche so aufräumt, dass sie für einen Musterprospekt fotografiert werden könnte. Wahrscheinlich löst die Vorstellung, dass ich irgendwo auf der Welt in einem Luxushotel sitze, von vorn bis hinten bedient werde, während er sich sein eigenes Süppchen kochen muss, eine Putzlähmung bei ihm aus. Auf jeden Fall ist er genervt. Das spüre ich an Bemerkungen wie „Na, Madame, das war wieder hart, was? Vier Tage Hotel testen, inklusive Wellness. Deinen Job möchte ich haben...“ Dazu dann dieses leicht verächtliche Grinsen...

Vielleicht will er mich mit seiner trotzigen Verweigerungstaktik nur schnell wieder auf den Boden der Tatsachen holen. Kindisch und respektlos finde ich das. Und rühre normalerweise keinen Finger, sondern begrüße ihn mit einem deutlichen Spruch – der eine Wiedersehens-Euphorie natürlich ausschließt. Heute mache ich mich direkt an die Aufräumarbeiten. Und beschließe, total entspannt zu wirken. Innerlich ballt sich die Faust in meinem Magen. Als ich gerade die angetrockneten Spaghetti aus dem Nudeltopf kratze, dreht sich der Schlüssel im Schloss. Peter pfeift unsere Erkennungsmelodie, ich pfeife zurück und er fragt scheinheilig: „Wo steckst du?“

Ich höre, wie er seinen Mantel aufhängt und die Dielen unter seinen Schritten knarren. Da steht er auch schon im Türrahmen, mit gespitzten Lippen und zusammen gekniffenen Augen – das Begrüßungsküsschen. Total übertrieben – weil er natürlich genau weiß, womit ich die letzte halbe Stunde verbracht habe. Aber dazu sagt er kein Wort. Ich gehe auf ihn zu und gebe ihm einen Kuss, wie man ihn aus diesen sauberen Doris-Day-Filmen kennt.

Ich schaue zu, wie er Geschirr aus dem Schrank holt. „Schön, dass du wieder da bist“, sagt er, „hab extra ein leckeres Brot mitgebracht! Ich deck schon mal den Tisch, ja?“ Ich bin fast versöhnt. Irgendwie ist er rührend in seiner Hilflosigkeit, seinem Missfallen anders Luft zu machen als durch diese kleinen Jungenstreiche. Genau dieses Jungenhafte gefällt mir dann ja auch wieder an ihm. Oft beobachte ich Peter und denke „das ist genau der Typ, in den du dich immer wieder verlieben würdest.“ Und das nach fast zehn Jahren.

„Du siehst gut aus“, sagt er, als wir am Tisch sitzen, buttert mit Inbrunst seine Schnitte – und erzählt. Von seiner Woche, in der er sich um unsere Zukunft gekümmert hat: „Morgen Mittag haben wir drei Besichtigungstermine. 17, 18 und 19 Uhr, alles Altbau, über 100 Quadratmeter. Eine Wohnung klingt wirklich interessant: ausgebautes Dachgeschoss mit Terrasse. Wie du‘s gern hättest.“

„Schön“, sage ich, koche innerlich aber wieder hoch. Ich war eine Woche nicht im Büro. Wie kann er mich an meinem ersten Tag gleich verplanen? Aber ich will jetzt keinen Ärger. Seit einem Jahr stapeln sich bei uns die Maklerexposées. Peter will unbedingt etwas Eigenes. Dummerweise bin ich glücklich, wo ich bin. Und deshalb entdecke ich wohl auch an fast jedem Angebot einen Haken. Mal stimmt die Lage nicht, mal das Stockwerk, dann ist das Badezimmer ohne Tageslicht oder ich finde die Atmosphäre im Treppenhaus schon feindlich. Das, was mir gefällt, ist entweder zu teuer oder gefällt ihm nicht. Insgeheim denke ich manchmal, dass diese Suche symptomatisch für unsere Beziehung ist.

Um auf andere Gedanken zu kommen, erzähle ich Peter ungefragt von Indien. Er nickt, geht aber gar nicht richtig mit. Und wieder mal habe ich das dämpfende Gefühl, dass er sich nicht für mein Leben interessiert. Oder ist er neidisch? Schließlich sitzt er tagein, tagaus in seinem Büro und fährt höchstens mal auf eine internationale Führungskräfte-Tagung, die dann aber leider im historischen Rothenburg ob der Tauber und nicht in New York, Rio oder Tokio stattfindet.

Um 23 Uhr liegen wir im Bett. Nachdem wir keinen Sex hatten, dreht er sich zur Seite und beginnt mit seinem gleichmäßigen Schnaufen. In Indien ist es drei Uhr morgens. Ich bin hellwach und küsse in Gedanken die Lippen des Mannes, der mich gestern in Delhi hormonell so in Aufruhr versetzt hat, dass ich ihn im Traum körperlich gespürt habe.

Ellen

Der Vollmond scheint durch das Wintergerippe der großen Rotbuche, die vor meinem Schlafzimmerfenster steht. In sechs Stunden öffnen die Geschäfte und ich schwöre, dass ich mir dann endlich Vorhänge für mein Schlafzimmerfenster kaufen werde. Seit 53 Minuten schaue ich meinem Wecker dabei zu, wie er die Zeit weg-blättert. Klack, klack, klack. Bevor ich gleich anfange, mir Gedanken darüber zu machen, mit wem ich in den Urlaub fahren, Weihnachten und Silvester feiern soll oder – was auch nicht viel tröstlicher ist – mich mit der Situation auf meinem Girokonto beschäftige, stehe ich lieber auf und horche ins Haus hinein. In die neun anderen Zwei-Zimmer-Wohnungen. Außer mir scheint niemand wach zu sein. Ich laufe die 52 Quadratmeter meiner spärlich eingerichteten Wohnung ab, in die ich vor sechs Monaten Hals über Kopf gezogen bin. Mit acht Umzugskartons, zwei alten Biedermeier-Stühlen von meiner Urgroßmutter und (ausgerechnet) dem Bett, in dem ich ziemlich genau 2000 Nächte mit Georg verbracht habe (vielleicht schlafe ich deshalb so schlecht).

Das Minotti-Sofa (meins), den massiven Esszimmertisch samt lederbezogener Holzstühle (er meint seine, Fakt ist aber, dass ich die Sachen in einem Antikspeicher auf dem Land entdeckt habe), den Weichholzschrank inklusive Holzwurm (meiner), die Tobias Grau Lampen (meine/seine) und die Geschirrspülmaschine (mehr seine als meine) habe ich Georg kampflos überlassen. Als Wegezoll, sozusagen.

Ich lege mich auf MEINE neue, mit hellgrauem Filz bezogene Liege und schalte den Fernseher ein. Zehn Minuten lang schaue ich einer Frau dabei zu, wie sie mit einer grünlichen Paste schlimmste Verunreinigungen an Herd, Fensterrahmen und Autofelgen beseitigt. Das Display links oben in der Ecke zeigt, wie viele Dosen gerade geordert werden. Es bewegt sich mit rasender Geschwindigkeit. Ich fühle mich nicht mehr so einsam, überlege kurz, ob die Wunderpaste für 29,90 Euro nicht auch was für mich wäre, greife dann aber doch nicht zum Telefon. Nun erscheint eine Perlenkette vor blauem Samt – „ein echter Teintschmeichler“, meint die Moderatorin. Okay, die brauche ich nicht. Beim nächsten Angebot werde ich schwach. Die Kamera zoomt auf den Swing-Stepper Fire. „Hier kommt der erste Stepper im Designer-Look! Das attraktive Fitness-Gerät ist in schickem Feuerrot-Metallic gehalten und Sie können es getrost nach dem Training im Wohnzimmer stehen lassen...“ Ich bestelle das Bauch-Beine-Po-Wunder und schlafe dann vor lauter zukünftiger Erschöpfung ein.

Ein paar Stunden später wache ich auf. Gerädert und, wie so oft in letzter Zeit, viel zu spät. Ohne nachzudenken steige ich in die Jeans und den Kaschmir-Pullover von gestern. Als ich 15 Minuten später die Treppe herunter poltere, habe ich das Gefühl, die Hälfte von mir zurück gelassen zu haben. Dann macht auch noch mein Auto Stress. Die Scheibenwaschanlage pumpt halbherzig die letzten Tropfen an die schmutzige Scheibe und hinterlässt einen undurchschaubaren Schmierfilm. Keine Zeit mehr an die Tankstelle zu fahren. Ich weiß nicht, wie manche Frauen es schaffen, alles in aller Ruhe zu tun. Ich mache mich meist erst dann auf den Weg, wenn ich eigentlich schon längst angekommen sein müsste. In roten Ampelphasen versuche ich mit dem, was meine Handtasche hergibt, ein halbwegs rosiges Spiegelbild zu zaubern. Puder an der ersten Kreuzung. Mascara beim nächsten Stopp. Zwischendurch Lipgloss. Der letzte Blick in den Rückspiegel gilt meinen Haaren. Wir sind seit 34 Jahren Feinde. Ich probiere jedes Produkt aus, auf dem das Wort „Volumen“ steht, und sei es noch so klein gedruckt. Aber egal, was ich morgens anstelle, wie lange ich sie über Kopf föhne und mit Rundbürsten im Haar herumlaufe. Spätestens um elf Uhr ist die Lage auf meinem Kopf unangenehm entspannt. Nur wenn ich sehr verliebt bin, hält die Frisur. Ich kenne keine Studie über den Einfluss von Glückshormonen auf die Sprungkraft von Haaren. Aber es muss da einen Zusammenhang geben. Ich bin jedenfalls eine ganze Weile schon nicht mehr richtig verliebt gewesen. Und das nervt langsam. Ich bin so entwöhnt, dass mich sogar schon ein harmloser Anruf von Annes Freund Dirk, der gestern im Büro anrief, eigentlich Anne sprechen wollte und sich dann mit mir verplauderte, wahre Freudenfeuer in mir auslöst. Ich lerne einfach keine guten Männer kennen, nicht mal einen anständigen Friseur. Das nervt. So sehr, dass ich ernsthaft mit dem Gedanken spiele, mich im „Fundbüro“ anzumelden, dem Online-Portal für „niveauvolle Hamburger“.

Vor unserem Büro steht kalter November-Nebel – und das Auto von Anne. Ich hatte gestern Abend extra noch Yogi-Tee gekauft und wollte sie mit einer dampfenden Kanne auf die indische Art begrüßen. Umsonst abgehetzt. Durch die verschmierte Windschutzscheibe fällt mein Blick auf das Schild an der Eingangstür: „Mars & Overmaas“. Als Anne und ich die stillgelegte Nudelfabrik auf der Suche nach einem geeigneten Büro zum ersten Mal betraten, hatten wir gleich ein gutes Gefühl. Vor der Tür, auf der in bröckelnden Lettern „Druckerei“ stand, blieb der Hausmeister stehen. „Die Räume stehen schon länger leer. Muss einiges dran gemacht werden“, bereitete er uns auf 80 unglaublich unrenovierte Quadratmeter vor. Die Wände waren seit mindestens 20 Jahren nicht mehr gestrichen worden, die Fenster und Türen zeigten stärksten Nikotinbefall. An der Decke klebten brüchige Styroporplatten, der blaue, stark ausgetretene Filzteppich war aufs Innigste mit dem Estrich verbunden und würde sich nur mit einem Spachtel in briefmarkengroßen Fetzen abschaben lassen. Uns war das alles egal. Wir mochten vor allem die fünf Stufen, die im großen Büro auf eine zweite Ebene führten. Damit war unser Aufstieg, rein physikalisch betrachtet, schon garantiert.

Ich schrieb damals gerade ein China-Special für eine Frauenzeitschrift, hatte Feng Shui für mich entdeckt, wollte die Lehre von der harmonischen Umgebung unbedingt im Büro umsetzen und irgendwas mit Wasser machen. Das soll Geld in die Kasse spülen. Ein künstlicher Flusslauf im Eingangsbereich – wie man es aus besseren China-Restaurants kennt – wäre ideal gewesen. Aus Kostengründen wurde es dann letztendlich ein Aquarium mit neun Fischen.

Die Energie in unserem Büro scheint jedenfalls zu stimmen. Die Aufträge sprudeln nur so herein und bringen uns überwiegend mit besonderen Menschen und den feinen Dingen des Lebens zusammen. Wir schreiben über aktuelle Kino-Filme, frisch veröffentlichte CDs, interviewen Hollywood-Stars und Musiker. Der Ausgleich zu unserem Rock ‘n‘ Roll-Leben ist der pure Luxus. Für Hochglanzmagazine bereisen Anne und ich Spas und Fünf-Sterne-Hotels auf der ganzen Welt. Und die Beauty-Ressorts der Frauenzeitschriften bestellen bei uns Gesundheits- und Hautpflege-Themen von Kopf bis Fuß. Da Douglas seit Teenagertagen unser Wallfahrtsort ist, kannten wir uns mit Cremes, Düften und Make-up immer schon bestens aus. Seitdem die Boten von DHL, UPS und DPD täglich Päckchen mit Tiegeln und Flakons abliefern, ist die Zeit der teuren Pilgerreisen vorbei. Zu Hause, in unseren Badezimmern, führen wir unsere ganz persönliche Filiale. Der Anblick meines Anti-Aging-Universums erfüllt mich mit großer Ruhe. Wenigstens um die Zukunft meiner Haut brauche ich mir keine Sorgen zu machen.

Anne

Nach einer kurzen Nacht stehe ich noch vor Peter auf, was so gut wie nie vorkommt. Ich trödele im Badezimmer herum. Frühstücke in aller Ruhe, fahre sogar noch zum Auftanken – Benzin, Zeitungen, Zigaretten – und bin trotzdem vor Ellen im Birkenhof. Jetlag kann das Leben ganz schön beschleunigen. Das lebendige Chaos unseres Büros weckt meine Lebensenergie. Ellen und ich haben jedes Detail liebevoll ausgesucht. Vom Holzfußboden über den leckeren Creme-Ton für die Wände, die Edelstahl-Küche, bis zur indirekten Deckenbeleuchtung. Vor den beiden Fenstern steht jeweils ein Schreibtisch, dazwischen ein großes Regal auf Rollen. Herzstück ist ein zwei Meter langer Holztisch, der viel ertragen muss. Heiße Töpfe, Kerzenwachs, Rotweinunfälle und bei Partys auch mal High Heels.

Ellen hat Cremes, Seren, Shampoos, Parfüms und die neuen Frühjahrs-Farben, die uns Kosmetikfirmen in den vergangenen Tagen zum Testen geschickt haben, auf dem Archivschrank zu einem hübschen Stillleben arrangiert. Ich drehe ein paar Dior-Lippenstifte auf und schnell wieder zu (zu orangestichig für mich), schnuppere an einem Shampoo für blonde Strähnen (könnte passen) und verliebe mich spontan in den Raumduft „Love“. Der schlichte Flakon muss dringend die Stimmung in meiner Wohnung heben. Ellen überlässt ihn mir bestimmt, wenn sie dafür das Feuchtigkeits-Serum mit einem patentierten Extrakt aus Buchenknospen haben kann. Sie testet gern Pflanzenkosmetik, ich setze mein Vertrauen lieber auf High-Tech-Formeln. Bis jetzt gibt unsere Haut uns beiden noch recht.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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