Das Erbe - Wolfgang Ziegler - E-Book

Das Erbe E-Book

Wolfgang Ziegler

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Beschreibung

Die im "Erbe" beschriebenen Untergrundanlagen, die Flugscheiben- und andere Technik haben reale Hintergründe. So gab es im Eulengebirge tatsächlich das Objekt "Riese" mit gewaltigsten Ausdehnungen seiner Stollen und Hallen, wo bis heute nur Teile erforscht sind. "Riese" soll auch eine bis zu 18 Kilometer lange Stollenverbindung zum Schloß Fürstenstein gehabt haben, wo in unterirdischen Anlagen beim "Alten Schloss" u.a. am ultrageheimsten Projekt des Dritten Reiches geforscht wurde, der "Glocke", deren Technik u.a. die Gravitation und sogar die Zeit beeinflussen konnte. Auch eine Weltraumsimulationsanlage sei dort wissenschaftlich betrieben worden. Ein packender Roman in Teilen über das Geheimnis der deutschen Flugscheiben. Wo die Grenzen des rational Vorstellbaren erreicht sind oder gar überschritten werden, kann allein die Fantasie Lücken schließen. Wer sich je mit dem Thema deutsche Flugscheiben auseinandergesetzt hat, weiß dies sehr gut. Und er wird verstehen, dass die Form des Romans die einzige ist, die allen Facetten dieses Themas gerecht werden kann - frei von unhaltbaren Behauptungen, aber auch frei von Einengung. Wer diesem Gedankengang folgen kann, sollte "Das Erbe" lesen.

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Seitenzahl: 606

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Wolfgang Ziegler

Impressum

Covergestaltung: Wolfgang Ziegler

Digitalisierung: Wolfgang Ziegler

© 2015 Wolfgang Ziegler

Erster Teil

Die Basis

Das Kriegsende liegt schon einige Jahre zurück, als in Frankfurt/O. Personen zusammenkommen, die ein tiefes Geheimnis aus

dieser Zeit weiterhin eng verbindet ...

Die erste Spur

Die Kanzlei Meurat lag in einer kleinen Nebenstraße, abseits der nun langsam wieder etwas belebten Verkehrsadern des Frankfurter Zentrums. Der breite Treppenaufgang des alten Bürgerhauses atmete noch das Flair des vergangenen Jahrhunderts. Gediegene Mar-morstufen und dunkle, glänzende Eichenholzgeländer führten den Besucher in die erste Etage hinauf, wo eine große  Messingglocke an der schweren Tür neben dem diskret angebrachten Kanzleischild zum Läuten aufforderte. Hinter den massiven Ziergittern der dennoch sehr schmalen Türfenster bewegte sich ein Schatten, als Wolf die Glocke betätigt hatte. Geräuschlos, fast wie von Geisterhand, tat sich ein Türflügel auf. Eine ältliche Sekretärin erschien im halbdunklen Flur und bat ihn herein.

„Bitte warten Sie hier noch einen Moment, Herr Meurat wird Sie gleich empfangen“. Sie flüsterte die Worte fast und verschwand sofort wieder in ihrem Büro. Wolf nahm also in der angebotenen Sitzecke des breiten Flures Platz. Der knirschende Ledersessel mußte so alt sein, wie die verblichenen Tapeten an den Wänden. Auf dem kleinen Tischchen der Sitzgruppe lagen ältere, zerlesene Ausgaben bekannter deutscher Nachrichtenmagazine. Es roch ganz leicht nach uraltem Bohnerwachs, obwohl ein dicker Teppich den Parkettboden des Empfangsbereiches bedeckte. Wolf wartete geduldig. Mit einer Zigarette in der Hand, deren Asche er in einem riesigen Mes-singascher auf dem kleinen Mahagonitischchen abstreifte,  widmete er sich dem Inhalt einer der Zeitschriften. Es herrschte Stille, als wären die anliegenden Räume menschenleer. Die drei schweren Eichenholztüren, die zur eigentlichen Kanzlei und dem Sekretariat führten, ließen kein Geräusch nach außen dringen. Aus dem Treppenhaus drang durch die schmalen Milchglasscheiben der Türfenster nur ein diffuser Lichtschimmer. Bis auf das Brummen einer einsamen Fliege war kein Laut vernehmbar. Nach langen Minuten vermeintlicher Einsamkeit erschien plötzlich Meurats Sekretärin wieder. 

„Darf ich Ihnen eine Tasse Kaffee anbieten? Der Herr Doktor läßt ausrichten, es dauert doch noch einige Minuten.“  Wolf nahm dankend an und wunderte sich dennoch, weiter warten zu müssen. Es verging noch etwa eine Viertelstunde, da öffnete sich plötzlich eine der Türen und Meurat selbst stand vor ihm.

„Entschuldigen Sie bitte, Herr Ebeland, daß ich Sie warten ließ“, mit diesen Worten führte der Anwalt seinen Besucher auch schon in sein Arbeits-zimmer und hieß ihn auf einem der Sessel vor dem wuchtigen und mit allerlei Papieren bedeckten Schreibtisch Platz nehmen. Wolf hatte kaum Zeit, den Anwalt seinerseits zu begrüßen, als dieser aus einem Wust von Aktenordnern, die sich auf dem mit dicken Teppichen bedeckten Boden stapelten, ein mit braunem Packpapier eingewickeltes Päckchen hervorzog.

„Wie ich Ihnen schon am Telefon sagte, habe ich in den  Erbangelegenheiten Ihres werten Herrn Vaters, der mir ja immer ein treuer Klient war, noch eine Hinterlassenschaft gefunden, die er an einem Ort deponiert hatte, auf den ich erst bei jüngsten Recherchen stieß. Beigefügt war ein an mich gerichtetes handschriftliches Schreiben.“ Meurat zog einen mehrfach gefalteten Briefbogen hervor, setzte seine Brille auf und las vor: „Sehr geehrter Herr Meurat, wollen Sie bitte diese kurzen Zeilen richtig verstehen. Die Firma befindet sich in einer äußerst schwierigen Lage. Bestimmte Transaktionen haben sich als Fehler erwiesen. Ich brauche dringend Material, auf das sich leider nicht unmittelbar zugreifen läßt. Diese Dinge lagern noch immer an Orten, wo man sie Ende des Krieges deponierte. Meinen Überlegungen nach würde dieses Material, brächte ich es in die richtigen Hände, erhebliche Vorteile verschaffen und ein Ende der derzeitigen Mißlichkeiten bedeuten. Sie, als mein alter Kamerad, wären selbstverständlich ebenfalls in das Ergebnis eingeschlossen. Dann hätten ja alle ausgesorgt. Sollte mir etwas zustoßen, öffnen Sie das beiliegende Päckchen bitte erst in Gegenwart meines Sohnes. Schließlich muß er sich mit meinen Hinterlassenschaften herumschlagen. Die Adresse der Firma (V-Antriebstechnik o.H.g.) und eine zugehörige Telefonnummer entnehmen Sie bitte der Rückseite des Papiers. Sehr wichtig dabei ist, daß mein Sohn die Unterlagen, zu denen ich ihm nun den Weg weisen werde, nach Auffindung oben bezeichneter Adresse schnellstens persönlich zukommen läßt! Unterrichten Sie ihn bitte unbedingt dahingehend. Es war übrigens wohl eine sehr, sehr, saure Arbeit, den Verkabelungsplan zu zeichnen! - Den Satz verstehe ich zwar nicht“, warf Meurat ein, „aber was soll‘s. Mit Grüßen usw.“ Der alte Anwalt hielt inne und starrte Wolf erwartungsvoll an.  „Das ist etwas, was ihm wohl sehr bedeutsam erschien. Da ich mit Ihrem Vater gemeinsam die letzten Kriegsmonate erlebte, kann ich mir in etwa denken, worum es sich handelt. Und darum hat er sich auch nur über mich in dieser Sache artikuliert.“

„Ja, dann machen wir es doch mal auf“, konnte Wolf nun endlich erwidern und deutete auf das unscheinbare Paket. Meurat versuchte nun mit einem mächtigen Brieföffner, die dicken versiegelten Schnüre zu zertrennen.

„Was auch Ihren Vater bewog, nochmals sich dieser Dinge zu erinnern ... Besser wäre es jedoch, man ließe den Teufelskram ruhen. Es ist heute eh‘ kein Zugang möglich ...“

„Um was geht es denn hier eigentlich“, entfuhr es nun Wolf, der aus den rätselhaften Worten des alten Anwalts noch nicht schlau wurde.

„Wir haben damals bestimmte Dinge zu verschließen gehabt, bevor sie dem Feind in die Hände fielen. Dabei, junger Freund, geht es nicht um irgendwelche Greulgeschichten über Raubgold oder ähnliches. Deutsche Wissenschaftler und Techniker mußten an geheimsten Projekten arbeiten, für deren Durchführung und Absicherung nur ein sehr kleiner Kreis Personen zuständig war. Gold gab es da allenfalls für technische Zwecke ... Das war aber auch da, und allein dieses Material dürfte schon erheblichen Wert haben für den, der es heute bergen kann. Aber hier ging es wie gesagt wohl um völlig andere Dinge als irgendwelchen goldnen Klüngel, mit dem die Bonzen verschwunden sind oder den sie vielleicht heimlich in privaten Depots vergruben.“

„Und was für Dinge waren das?“ Wolf wurde zunehmend neugierig. „Das hängt doch sicher mit diesen geheimen wissenschaftlichen Projekten zusammen, die Sie eben erwähnten.“ Während Meurat noch immer an der sehr festen Verpackung des geheimnisvollen Päckchens zerrte, antwortete er schnaufend: „Natürlich. Ich sagte es ja schon. Da gab es Sachen, wovon heute selbst der Ami noch immer nur träumen dürfte. Genaueres haben wir aber auch nicht erfahren. Wir hatten nur in der Gegend, wo sich unterirdische Laboratorien, Fabrikationsanlagen und anderes befanden, mit deren Sicherheit zu tun. Die Dinge selbst haben auch wir nicht gesehen. Auch uns erreichten nur Gerüchte. Ein Wort zum falschen Mann hätte damals sofort den Kopf gekostet.“

„Wo war denn die Gegend“? wollte Wolf nun wissen.

„Ja, da  liegt ja das Problem“, lachte der Anwalt äußerst unfröhlich auf. „Das ist heute tief im Osten, wenn ich überhaupt richtig vermute!“    

Endlich zerriß der dicke Faden des Päckchens mit einem leichten Knall. Aus der Verpackung rutschten verschiedene Dinge auf die Schreibunterlage. Obenauf lag eine kleine Wachstuchmappe, die ein paar vergilbte Fotos enthielt. Ihr folgte eine Art Plan oder Karte und ein merkwürdiger metallischer Gegenstand, der am ehesten aussah wie ein Spezialschlüssel für einen Tresor oder Ähnliches. Er war noch immer blitzblank, schien aus derbem Stahl zu bestehen und hatte einiges Gewicht. Im ersten Moment standen die beiden Männer schweigend vor den kargen Hinterlassenschaften Edward Wolfs. Doch die Dinge verkörperten offensichtlich den Schlüssel zu einem schwerwiegenden Geheimnis, bei dem es sich keineswegs um Angaben zu einem  alten Schatzhort oder dergleichen handelte. Hier war offensichtlich mehr im Spiel. Eine erste Durchsicht der nun vorliegenden Dokumente brachte jedoch kein eindeutiges Ergebnis. Die Handvoll Fotos zeigten Aufnahmen von Baustellengeländen, die sich inmitten von Bergen und Wäldern befanden. Es waren einesteils Außenaufnahmen. Weitere Bilder zeigten das Innere anscheinend mächtiger Stollen, Hallen und Tunnels. Merkwürdigerweise erschien auf keinem der Bilder auch nur eine Menschenseele. Der beiliegende alte Plan entpuppte sich auseinandergefaltet als fachmännische am Reißbrett angefertigte technische Zeichnung, anscheinend akkurat eine Energieverteilung in einem vorerst unbekannten System unterirdischer Bauten darstellend. Und was der Metallgegenstand wirklich darstellte - vorerst blieb dies ein völliges Rätsel. Vor den hohen, schmalen Fenstern des Kanzleibüros zog peitschend der Herbstwind das fahle Laub von den Bäumen. Im Raum herrschte das diffuse Dämmerlicht der späten Nachmittagsstunde, und in den alten, braunen Wandpaneelen knackte es mitunter leise.

„Das ist mir alles seltsam“, unterbrach Wolf endlich die eingekehrte Stille. „Was gibt es denn hier zu holen? Diese Orte sind doch sicher von den Polen oder Russen schon lange durchsucht und verschlossen, wenn die nicht gar alles in die Luft gejagt haben!“

„Da irren Sie aber gewaltig. Wenn Ihr werter Herr Vater hier etwas ganz bsonderes für Sie hinterließ, dann hatte das seinen triftigen Grund. Und wenn jemand etwas wirkungsvoll verschlossen hat, junger Freund, dann waren nur wir das damals!“ erregte sich Meurat.

„Schon gut“, beeilte sich Wolf zu entgegnen, der die plötzliche Aufregung seines Gegenübers zu verstehen begann. „Aber es muß also dort etwas Wertvolles verborgen sein, womit sich mein Vater hätte sanieren können ...“  

„Genau das ist wohl der Punkt“, bestätigte ihm der Anwalt. Seine Brille mit dem goldnen Gestell heftig putzend wühlte er nochmals in dem kleinen Häufchen Unterlagen herum.

„Natürlich bin ich nicht völlig ahnungslos. Nur, in meinem Alter wäre das etwas zuviel Anstrengung und Abenteuer. Außerdem habe ich hier noch meine Aufgaben zu erfüllen ...“ 

Meurat nahm die gefaltete Karte zur Hand und ließ sich damit tief in einen der schweren Sessel sinken. Die Sekretärin brachte den beiden Männern in den nächsten Minuten nochmals Kaffee, dann durfte sie Feierabend machen. Der Anwalt und sein Gast waren somit allein und völlig ungestört. Nach ausgiebigem Studium des Planes, bei dem auch eine übergroße Lupe zum Einsatz kam, hellten sich Meurats Gesichtszüge wieder etwas auf.

„Es ist weit weg. Es ist im Eulengebirge, heute leider polnisch besetztes Gebiet“, sagte er endlich. „Genau das vermutete ich vorher schon. Denn wir waren gemeinsam dort eingesetzt. Aber es wurden dort seit Mitte der dreißiger Jahre mehrere Untergrundanlagen zu verschiedenen Zwecken gebaut. Das Problem ist also, welche von ihnen das gesuchte Objekt verbirgt. Abgesehen davon, daß mir nicht völlig klar ist, worum es sich überhaupt handelt. Wäre es zum Beispiel nur eine Art Kiste oder so, dann nutzt nicht mal die Kenntnis, in welcher Anlage sie steckt ...“

„Wieso das?“ wollte Wolf wissen. „Weil die einzelnen untertägigen Systeme derartige Ausdehnungen haben, über die sie sich keine Vorstellungen machen. Da geht es nicht um ein paar hundert Meter lange Grubenstrecken, oder so. Unter dem Gebirge liegen komplexe Gangsysteme. Fahrstollen für kleine Elektrobahnen mit Halte-punkten, Montagehallen, Bunker, Fahrstuhlschächten, Nachrich-tenzentralen, Befehls- und Überwachungsständen. Wie soll man darin einen verborgenen Gegenstand finden. Ein zum Beispiel mir bekannter Tunnel war damals schon an die drei Kilometer lang!“

„Dann muß etwas in diesem Material einen konkreten Hinweis geben, ansonsten wäre es ja sinnlos“, entgegnete der Besucher des Rechtsanwalts.

„Da liegen Sie wohl allerdings richtig“, gab sich Meurat nachdenklich. Erneut begannen die beiden Männer die vorliegenden Dokumente genau zu untersuchen. Sie richteten das Licht der nun eingeschalteten Schreibtischlampe auf Plan und Fotos und ver-suchten noch etwas herauszufinden, was sie anfangs übersehen haben mochten. Meurat, der etwas Probleme mit den Augen hatte, hielt die Karte eine Weile dichter unter den starken Lichtkegel der Lampe, gab sie dann aber zurück an Wolf.

„Ich kann nichts erkennen“, sagte er mißmutig. „Das sind die Pläne der Elektroversorgungen in den Hauptsystemen, sonst nichts.“

Wolf nahm die auseinandergefaltete Karte erneut in die Hand. Plötzlich stutzte er. Was war das für eine schmale, längliche Verfärbung? Die war vorhin noch nicht da! Bei genauerer Untersuchung mit der starken Lupe entpuppte sie sich nun als eine braune, gestrichelte Linie, die sich ein kleines Stück im Gewirr der hier aufgezeichneten Gangsysteme entlang zog.

„Ich habe den Plan vorhin mal dicht vor die Lampe gehalten“, erklärte Meurat aufgeregt. „Da hat er sich wohl kurz erwärmt und die Markierung ist aufgetaucht. Eine ganz simple Methode. Einfacher Zitronensaft reicht da schon. Als Kinder haben wir so früher Geheimschrift fabriziert.“ Er schlug sich überraschend mit der flachen Hand an die hohe Stirn. „Natürlich, jetzt begreife ich. Der seltsame Hinweis auf die sehr saure Arbeit, den Plan zu zeichnen ... Damit wollte er sicher verschlüsselt auf die versteckte Botschaft in der Zeichnung hinweisen.“

„Und da muss noch mehr vermerkt sein“, ergänzte Wolf. Mit diesen Worten hielt er den ausgebreiteten Plan vorsichtig nahe an die heiße Glühbirne der Schreibtischlampe. Und tatsächlich wurde langsam eine Reihe von zuvor verborgenen Linien sichtbar. Nachdem der ganze Plan so den warmen Lichtstrahlen ausgesetzt war und nichts mehr verborgen geblieben sein konnte, sichteten sie nochmals ihre Entdeckung.

Von Hand war eine gestrichelte Linie eingezeichnet, die offen-sichtlich einen Weg wies, der, ausgehend von einem der Eingänge, in die Tiefen des gewaltigen Tunnellabyrinths zu verfolgen sein konnte. Am Ende der Linie, die dort mit einem kleinen Richtungspfeil endete, stellte die Zeichnung an dieser Stelle einen länglich erweiterten Tunnelabschnitt dar.

„Der Weg vom Eingang bis an diese Stelle ist eigentlich nicht sehr weit. Das gibt mir zu denken“, murmelte Meurat. „Das kann noch nicht der Punkt sein, der wirklich zu erreichen ist. Machen Sie sich an diesem Ort, zweifellos ist es einer der kleinen Haltepunkte, auf ein wenig Bahnfahrt gefasst. Dort, wo Sie schließlich ankommen, muß dann des Rätsels Lösung liegen. Und zwar unübersehbar, sonst wäre hier sicher noch etwas vermerkt.“

„Meinen Sie ernsthaft, daß dort drinnen heute noch die Bahn fahrbereit ist? Und die soll zudem genau an diesem Ort bereitstehen“, fragte Wolf erstaunt. „Selbst wenn es sich nur um eine kleine, elektrisch betriebene Schmalspurbahn handelt. Auch die bräuchte immerhin Strom.“

„Dazu kann ich wenig sagen. Die Elektroversorgung und andere Einrichtungen können, müssen aber nicht mehr intakt sein. Es hat zwar nicht die angekündigten tausend Jahre gewährt, aber dementsprechend technisch-solide wurde damals gebaut und installiert.“ Meurat stand auf und trat an eines der drei Erkerfenster. Sachte rieb er sich die kalten Hände und schaute durch die nassen Scheiben. Doch seine Augen sahen anscheinend ganz andere Dinge. Wolf beobachtete ihn von seinem Platz vorm Schreibtisch aufmerksam. ‚Meurat weiß mehr, als er im Moment zugibt‘, ging es ihm instinktiv durch den Kopf.

„Ich glaube fest, Ihr Vater hat dort eine Botschaft hinterlassen. Genau an diesem Platz, wo auf dem Plan seine Linie endet ...“, ließ sich der Mann am Fenster plötzlich leise aber deutlich vernehmen. „Irgendwie werden Sie geführt werden. Machen Sie sich keine Gedanken. Doch ich glaube nicht ...“. Unvermittelt brach Meurat ab, als ob er sich bei unbedachten, gedankenverloren geäußerten Worten überrascht hätte.

„Alles kann ich Ihnen noch nicht sagen“, mit diesem Satz wandte er sich wieder vom Fenster ab. „Ich muss erst noch einige Erkun-digungen einziehen. Ich wußte ja bis dato auch nicht, was in dem Päckchen war.“ Wolf wollte etwas einwerfen, doch Meurat machte eine entschiedene Geste.

„Sie werden von mir mit entsprechenden Papieren versorgt, die Ihnen ungehinderte Grenzpassagen ermöglichen. Und in Polen werden Sie dann noch einige Informationen von mir erreichen. Ich muß mich erst noch mit einigen Leuten in Verbindung setzen. Schließlich geht es bei diesem Unternehmen auch um Ihre Sicherheit. Wenn Sie überhaupt den nicht ganz ungefährlichen Spuren Ihres Vaters folgen wollen, was ich jedoch sehr stark annehme.“ Meurat nahm die Nickelbrille ab und schaute Wolf bei diesen Worten aufmerksam an. Der nickte nur.

„Machen wir doch nun eine Auflistung aller relevanten Dinge, Herr Meurat. Schließlich erfordert dies alles einige Planung. Und gleich morgen werde ich wohl noch nicht abreisen.“

Die beiden Männer saßen noch über eine Stunde in der Anwaltskanzlei zusammen. Als der Abend immer mehr über der Stadt hereindämmerte machte sich Wolf wieder auf den Weg. Im Gepäck trug er die Dinge, die ihm Meurat übergeben hatte. Für ihn stand fest, dass er den Spuren nachgehen mußte. Irgend etwas Bedeutsames verbarg sich in dem fernen Gebirge, sonst hätte sein Vater nicht die Angelegenheit mit derart deutlichen Anweisungen hinterlassen. Eilig überquerte er die laubnasse und stille Straße, in der die alte Villa mit Meurats Kanzlei lag und ging zum Parkplatz bei den gegenüber liegenden herbstlichen Parkanlagen. Die Lichter einiger Laternen flammten gerade auf, als er die Wagentür öffnete. Weit weg, am Horizont hinter den dunklen Kronen der alten Parkbäume, zuckte ein diffuses Wetterleuchten über den schwarzgrauen Himmel, als er sich in den spärlichen Abendverkehr auf der Straße einordnete und in Richtung Stadtring davonfuhr.

... draußen vor der Stadt

Sabine lebte weiter draußen vor der Stadt. Ihr Haus stand an dunklen Waldrändern eines flachen Hügelzuges. In der Nähe lagen noch einige weitere Grundstücke verstreut, ansonsten war die Gegend noch recht ländlich-einsam. Felder, Wiesen und hin und wieder einige Waldstreifen prägten hier die Landschaft im schon fernen Weichbild Frankfurts. Wolf steuerte den Wagen vorsichtig über die hier zunehmend unebenen Wege. Kieslöcher und Wasserpfützen breiteten sich aus. Endlich hatte er sein Ziel erreicht und stellte das betagte Fahrzeug an Sabines Gartenzaun ab. Er brauchte nicht zu läuten, die Tür tat sich schnell auf und die Bewohnerin des Anwesens lies ihn eintreten. Im kleinen, dunklen Flur hing sie sich schon an ihn.

„Endlich, endlich bist Du wieder da“, hauchte sie ihm ins Ohr. „Du sollst doch nicht so lange in der Stadt bleiben, wenn ich hier auf Dich warte.“ Im geräumigen, gemütlich eingerichteten Wohnraum, in dem es sogar einen kleinen Kamin aus Feldsteinen gab, saßen sie sich dann gegenüber. Der Tee stand schon auf dem Tisch, und das Abendbrot war in der Küche des kleinen Landhauses vorbereitet. Wolf fühlte sich bei Sabine wohl, die ihn jetzt intensiv mit ihren grünlichen Augen ansah und augenscheinlich versuchte, seine Gedanken zu lesen. Sabine war keine von den unerträglichen dünnen Modepüppchen, deren Fotos jetzt wieder die Zeitschriften füllten, die ihren Leserinnen einen so völlig fremden wie unwirklichen  Lebensstil vorgaukelten und dies alles zum allgegenwärtigen Trend erhoben. Wie sie vor ihm auf dem Sofa saß, die Beine keck übereinandergeschlagen, zeigte sie ihm in dem anliegenden grauen Pulli und der hellen Hose deutlich wieder ihre für ihn so begehrenswerte Figur. Sie lächelte, als sie seine leuchtenden Augen bemerkte.

„Du mußt erst essen, und ich auch, Du Wilder ...“  Sie stand auf, ging in die Wohnküche nebenan und holte eine große, kalte Platte. „Greif zu, ich brauche doch keinen ausgehungerten, sondern einen kräftigen Wolf“, sagte sie leise mit einem listigen Lächeln auf den Lippen. Setzte jedoch gleich sachlich hinzu: „Aber mal Spaß beiseite, hast Du Dich nun entschlossen? Willst Du die Firma Deines Vaters weiterführen oder geht da wirklich nichts mehr? Und was ist denn nun eigentlich bei dem komischen Anwaltstermin rausgekommen?“

„Viele Fragen auf einmal, meine Liebe“, seufzte Wolf. „Mit der pharmazeutischen Firma meines Vaters ist im Moment nicht viel Staat zu machen. Die Leute sind entlassen, und der Betrieb ruht. Wir müssen erstmal ein paar Geschäftsverbindungen aktivieren. Unser Prokurist ist gerade dabei. Morgen werde ich von ihm den Stand der Dinge erfahren. Wir können eh‘ nicht gleich ein riesiges Unternehmen aufziehen. Ich schätze, wir werden uns zum Anfang an ein paar Naturheilprodukte halten. Ein paar Sälbchen, Tropfen und noch dies und jenes. Aber auch das braucht Abnehmer und Werbung. Es kostet eben alles zuerst mal Geld. Den Start des Betriebes brächten wir noch auf die Beine, hat zumindest Keller gesagt. Aber was so ein alter Prokurist ist, der hätte eben gerne noch einen gewissen Rückenhalt bei der Sache.“

„Ich seh‘ schon, ich werde Dich eines Tages doch noch in meiner kleinen Landwirtschaft aufnehmen müssen. Da weißt Du in diesen Zeiten wenigstens, daß Du nicht verhungern musst!“ lachte sie ihn an. „Aber erzähl‘ weiter.“

„Nun, bei Meurat war es interessant. Stell Dir vor, hat doch mein alter Herr eine Art Hinterlassenschaft für mich bei ihm deponiert.“

„Eine Hinterlassenschaft, was war das denn?“ staunte Sabine. „Ein Päckchen“, beeilte sich Wolf zu erklären. „Darin sind verschiedene merkwürdige Sachen. Karten, Gegenstände, alte Fotos und so. Alles stammt noch aus den letzten Kriegsjahren. Er muß da in einer Art geheimer Untergrundfabrik auf heute polnischem Gebiet eingesetzt gewesen sein, wo er zudem noch irgendetwas Wertvolles versteckt hat. Und genau das soll ich jetzt holen. Seine Beschreibungen und Anweisungen in dem Päckchen sind deutlich. Und Meurat wußte auch irgendwie Bescheid ... Wenn ich es fände und herausholen könnte, dann wären wir saniert, so zumindest die Botschaft. Es hängt jedenfalls auch eng mit dem Orden zusammen. Ich denke, es sind vor allem auch einige wichtige Sachen aus den Archiven, die damals verborgen wurden. Wenn ich das Material berge, es dann auf die Burg zu denen vom Schrarzen Stein schaffe, stehen uns alle Wege offen.“

„Du mit Deinen schwarzen Herren. Das ist mir alles unheimlich, weißt Du das eigentlich. Ich habe Angst um Dich.“, regte sich Sabine auf.

„Es sind doch keine schwarzen Männer, die Böses im Schilde führen, meine Liebe, Du weißt es doch eigentlich“, lachte Wolf leise auf. Dann setzte er sich dicht neben sie, nahm sie fest in den Arm und strich ihr liebevoll durch das rötlich schimmernde Haar. „Du brauchst überhaupt keine Angst zu haben. Wir wollen doch nur nicht, daß in diesem Land alles verkommt und das gute und fortschrittliche Erbe völlig vergessen oder in den Schmutz gezogen wird. Die sogenannten Sieger zerstören alles, doch haben sie noch immer riesige Angst. Und dafür haben sie auch allen Grund. Denn dieser liegt in den Menschen, besonders den noch immer im Verborgenen wirkenden Herren von Schwarzen Stein und ihren geheimen Aktivitäten begründet. Sie setzen alte Vermächtnisse fort. Noch sind sie da und besitzen bestimmte Machtmittel, die irgendwo ruhen ... Und den Hauch einer Ahnung haben ihre Gegner auch davon. Sie sind sehr vorsichtig geworden, lecken sich ihre Wunden und versuchen aber weiter in die Organisation einzudringen, ihrer Köpfe und der Geheimnisse habhaft zu werden ...“ Es war unterdessen vollends dunkel geworden im Raum.

„Sei still, sei doch endlich still“, sagte Sabine leise, während sie ihn leidenschaftlich zu küssen begann und  immer fester an sich zog. Der Duft ihrer Haut nahm Wolf schließlich vollends den Atem. Und bald schwanden ihrer beider Sinne im samtenen Licht ferner, nebelhafter Sterne ...     

Es war dann mitten in der Nacht, als Sabine allein am breiten Fenster des Wohnraumes stand und nachdenklich in die dunkle Stille hinausschaute. Die helle Gestalt ihres Körpers hob sich vorm dunklen Hintergrund sanft ab. Ihre warmen Hände rangen miteinander, an Schlaf war nicht zu denken. Sie fürchtete für den Mann, der hinter ihr friedlich schlafend auf der breiten Couch ruhte. Noch nie hatte sie eine solche Angst um ihn verspürt. Sie hegte keinen Zweifel, daß er sein Vorhaben in die Tat umsetzen und in das ferne, gefährliche Gebirge zu den dort ruhenden Geheimnissen aufbrechen würde. Er war, so lange sie ihn kannte, schon immer eigensinnig gewesen. Was er sich in den Kopf setzte, mußte er ausführen. Auch auf die Gefahr hin, dabei zu verlieren. Sie konnte ihm kaum raten. Sein Entschluß stand wohl schon fest. Daß er einer geheimen Organisation angehörte, deren tieferer Sinn ihr sich noch nicht vollends offenbart hatte, störte sie weniger. Sie hatte schließlich auch eine ausgeprägte Ader für mystische Dinge, sah aber auch gern die Realitäten. Und die bestanden in den von ihren Eltern geerbten Land und dem kleinen Hof. Hier hatte sie auch Wolf kennengelernt. Er war auf einer Fahrt zurück nach Frankfurt an der Oder in der Nähe mit Reifenschaden liegengeblieben. Kein Mensch weit und breit. Dann kam sie und half ihm mit fehlendem Werkzeug aus. Ein plötzlicher Regenguß hatte sie dabei beide durchnäßt. Also bat sie den ihr sofort  sympathischen Pechvogel ins Haus. Er strömte eine besondere Art von Wärme und Zutrauen aus, die sie schon sehr lange vermißte. Und ihr Wolf fuhr seit diesem Tag bald öfter zu dem kleinen Hof an den waldigen Högenzügen. Es dauerte auch nicht lange und sein Auto blieb bis zum frühen Morgenlicht stehen ... Hatte es ihm doch seine einstige Pannenhelferin inzwischen mehr als angetan. Und dies beruhte nun schon über ein Jahr auf wachsender gegenseitiger Sympathie.

Im Eulengebirge 

Monate später ...

Die wilden, dunklen Wälder schoben sich dicht an die schmale Fahrstraße heran. Hoch oben zogen sich neblige Bergkämme über dem Tal dahin, das sich hier in vielen Windungen tief in das einsame Gebirge schlängelte. Der Weg war nicht gepflastert, aber die alte Splittdecke sorgte noch immer für ein recht sicheres Fahren. Der dunkle Personenwagen zog brummend weite Serpentinen hinauf, sich immer mehr einer bestimmten Gipfelregion nähernd. Mit Erleichterungen stellte Wolf fest, daß offenbar niemand sich in den Bergwäldern aufhielt. Weder Menschen noch Fahrzeuge waren ihm in der letzten dreiviertel Stunde begegnet. Er wollte sich vorerst einen Überblick verschaffen. Sein Ziel war die Gegend, wo sich der Zugang zu der Stollenanlage befinden mußte.

Er machte sich keine Illusionen darüber, daß das Auffinden dieses Einganges wahrscheinlich das Schwierigste an dem ganzen Unterfangen sein könnte. Die Karte neben ihm auf dem Beifahrersitz, sorgsam abgedeckt gegen eventuelle unbefugte Blicke, wies ihm zwar in groben Zügen den Weg, aber das eigentliche Loch im Berg war auf ihr nicht detailliert angegeben. Hier mußte er die Handskizze Meurats zu Hilfe nehmen. Dieser hatte nach seiner Erinnerung ungefähr den Platz markiert.

Bald mußte neben der Straße der Verlauf der ehemaligen Schmalspurbahn auftauchen, die damals angelegt worden war und die sich wie eine Bergbahn zur Gipfelregion des Komplexes Steinberg schlängelte. Eine Umladestation zwischen Straße und Bahntrasse hätte existiert, wo die Gleise kurzzeitig parallel zum Fahrweg verliefen. Dieses laut Karte langgezogene Hochtal, mit einem rauschenden Wildbach, müßte er gleich erreicht haben. Tatsächlich glitzerte da auch schon unter dichten Tannen am Weg das Wasser des Bergbaches. Der Nebel des frühen Morgens hing dicht über den waldigen Höhenzügen, und der frische Duft von Tannengrün und nassem Moos drang verstärkt durch das spaltbreit geöffnete Fahrerfenster ins Innere des alten Wagens. Aufmerksam steuert Wolf nun in den sich endlich hier auftuenden Talgrund hinein.

Nochmals verglich er die Karte mit der Örtlichkeit und fuhr langsam weiter. Das leise Brummen des Motors wurde vom Morgendunst der dichten Waldungen zu beiden Talseiten gedämpft, und der namenlose Wildbach rauschte zudem angenehm laut über die uralten Felsbrocken in seinem Bett.

Der ehemalige Umschlagplatz zwischen Bergbahn und Gebirgsstraße schälte sich langsam aus den grauen Schleiern heraus. Ein paar alte Schuppenreste, ein kleineres gemauertes Gebäude und ein rostiger Wasserhochbehälter standen neben dem ehemaligen Bahndamm. Wolf fuhr den Opel in die Deckung der ruinenartigen Bauten, stieg aus und sah sich vorsichtig um. Allenthalben lagen überall noch die Reste verschiedenster Baumaterialien herum. Hier eine Ladung längst zu Stein erstarrter Zementsäcke, dort ein Haufen rostiger Rohre, an anderer Stelle wiederum Stapel inzwischen vermodernden Bauholzes. Die feuchte Witterung des Gebirgs-tales sorgte für den schnellen Verschleiß der zurückgebliebenen Dinge. Und schon zog auch das grüne Walddickicht sich wieder enger um den verlassenen Platz einstiger menschlicher Aktivitäten. Etwas Unheimliches hatte der Ort schon an sich. Fröstelnd zog Wolf die Schultern zusammen und schritt über knirschenden Bausand zu dem Gebäude unmittelbar an der schmalen Bahntrasse.

Wie sich herausstellte war es eine Art  kleiner Güterschuppen mit angebautem Aufsichtsraum. Das Innere des Lagers zeigte sich dunkel und leer, nachdem Wolf vorsichtig die marode Schiebetür quietschend aufgezogen hatte. Der ehemalige Aufsichtsraum bot ein noch traurigeres Bild. Blinde Fensterscheiben verbreiteten in dem wüsten, kleinen Büro mit dem rostigen Kanonenofen ebenfalls nicht gerade viel Helligkeit. Hier war gründlich geplündert worden. Zerschlagen der massive Schreibtisch, die Türen der alten Blechspinde aufgebrochen, und ansonsten bedeckte nur Unrat den Boden. Sich schüttelnd verließ der einsame Besucher wieder das verwilderte Haus. Draußen begann sich der Nebel nun endlich etwas zu lichten, Feuchtigkeit an den rostroten Schienen niederschlagend, die hier in Fragmenten noch vorhanden waren. In den tief dunkelgrünen Waldungen um den Platz rief plötzlich ein Eichelhäher laut in die Stille. Wolf zuckte ungewollt zusammen und suchte automatisch Schutz hinter einem Haufen Schrott, der neben der Hochzisterne lag.

Er bereute plötzlich, allein gefahren zu sein. Pawlek, in dem Dorf am Fuß des Gebirges, hatte seine Begleitung angeboten. Pawlek war der Mann, dessen Adresse Wolf noch kurz vor seiner Abreise ins Eulengebirge überraschend von Meurat  erhalten hatte. Der Anwalt teilte ihm mit, daß Pawlek ihm sozusagen als Verbindungsmann zur Verfügung stünde. Der gebürtige Pole sei früher eine Art Adjutant gewesen, spreche fließend Deutsch und kenne sich in der Gegend gut aus. Er würde daher auch schweigen, um dieses Geheimnis zu wahren, von dem in seinem heimatlichen Umfeld niemand wußte, so die knappen Auskünfte Meurats. Doch Wolf war mißtrauisch. Seinen ersten Gang in die Berge wollte er unbedingt allein unternehmen. Er brauchte keinen Aufpasser. Und der alte Pole zeigte sich auch sehr wortkarg und war keineswegs begeistert, als Wolf bei ihm auftauchte. Es war in der Abenddämmerung gewesen. Pawlek werkelte in einem kleinen Schuppen neben der Holzhütte herum, in der er wohnte. Kaum hatte sein Gast sich zu erkennen gegeben, zerrte er ihn auch schon vom windschiefen Gartenzaun weg. Erst im Schuppen, in Deckung eines mächtigen Holzstapels, musterte Pawlek ihn mißtrauisch.

„Sie kommen von unserem gemeinsamen Freund. Und ich soll ihnen gegebenenfalls helfen“, murmelte er leise und schaute sich immer wieder nervös um. Wolf bejahte, worauf sein Gegenüber ihn noch dichter an den Holzstapel zog. „Es ist gefährlich...“, zischte der Mann wie eine Schlange. Das zerfurchte, braune Gesicht war dabei todernst. „Lassen Sie diese Dinge ruhen ...“

„Nun machen Sie mal halblang. Ich habe hier etwas zu erledigen, weiter brauchen Sie eh‘ nichts zu wissen. Das dient ja auch Ihrer Sicherheit. Ihre Hilfe in allen Ehren, ich bin aber nur im Ausnahmefall darauf angewiesen“, sagte Wolf zu dem Alten. „Und denken Sie daran, daß nichts vergessen ist ... Also, keine Dummheiten!“ Die deutlichen Worte taten ihre Wirkung. Der Mann kroch förmlich in sich zusammen. „Ja, ja, natürlich ...“

„Gut jetzt“, unterbrach ihn Wolf, nun schon etwas versöhnlicher klingend. „Wenn ich etwas von Ihnen will, weiß ich jetzt, wo ich Sie finde. Das reicht mir fürs erste.“

„Wenn Sie in die Berge wollen, begleite ich Sie.“

„Das ist erstmal nicht nötig. Einen ersten Eindruck verschaffe ich mir selber“, gab Wolf kurz zurück. „Ansonsten melde ich mich“.

Er verabschiedete sich kurz und wandte sich wieder der zerfahrenen Dorfstraße zu. Aus den Augenwinkeln bemerkte er noch, wie der Alte unter dem Schuppendach ihn mit stechendem Blick verfolgte. Wolf verließ das Bergdorf zu Fuß, das sich mit seinen niedrigen Hütten förmlich in das Tal duckte. Am Rande des Ortes erreichte er sein Auto, mit dem er in die Kreisstadt zurückfuhr, wo sich sein Hotel befand.

Er wußte nicht, daß der Alte nach seinem kurzen Besuch in den Keller seines Hauses hinabstieg und dort in einem verborgenen Verschlag eine telefonähnliche Anlage in Betrieb nahm, deren getarnte Leitung sich tief in die nahe des Dorfes beginnenden Massive des Eulengebirges zog ... 

Die Basis

Major Martin Hahnfeld saß in dem abgeschabten Sessel vor dem zentralen Kommandopult. Vor ihm eine Vielzahl Instrumente, Anzeigetafeln, Schaltknöpfe und einige Fernsehbildschirme. Seine bestiefelten Füße lagen auf  einem Hocker, und neben ihm stand ein metallenes Beistelltischchen mit Kaffe und Zigaretten. Zerlesene Zeitschriften der letzten Jahre verteilten sich daneben auf dem hellen Boden. In den mächtigen unterirdischen Systemen, über die er wachte, herrschte eine geradezu geisterhafte Stille, wenn nicht ab und an irgendwo in den dunklen Hallen und fernen Gängen ein Wassertropfen überdeutlich aufschlug ...

Mit müden Augen schaute er auf die zum großen Teil stillgelegte Technik, die, vor nicht allzu langer Zeit und teilweise wohl noch immer, weltweiten Höchststand verkörperte. Hier unten hatte man alles vom Feinsten installiert. Die Bedeutung der Anlage „Gigant“ ließ denn Aufwand schließlich zu. Mochten Russen und Amis sich bei ihrem Vordringen in Österreich und Deutschland an anderen Orten die Zähne ausbeißen und glauben, sie hätten nun entscheidende Funde gemacht und alles ausgehoben. In „Gigant“, dem Geheimobjekt, das als aufgegebene Baustelle bekannt war und wo man mittels scheinbarer Auslagerungen erfolgreich den Anschein erweckte, hier wäre alles verlassen und unfertig stehen geblieben, lag die eigentlich letzte Bastion des Dritten Reiches in Mitteleuropa.

Hahnfeld konnte noch immer nicht ein schadenfreudige Grinsen unterdrücken, wenn er daran dachte, wie die Sieger staunend und ratlos vor gewaltigen technischen Hinterlassenschaften gestanden haben mochten, im Glauben, nun alles gefunden und erobert zu haben. Die nach Kriegsende weltweit in die Schlagzeilen geratene V-Waffen-Fabrik bei Nordhausen war z.B. ein solcher Ort oder die ausgedehnten Anlagen der Heeresversuchsanstalt Peenemünde ...  Natürlich waren den Alliierten auch ungeheure Werte in die Hände gefallen. Doch auch hier täuschte das häufig nur installierte Bild ...

Seit Kriegsende saß Hahnfeld jedenfalls schon in der Basis im Eulengebirge und wartete hier auf  letzte entscheidende Befehle hinsichtlich des Einsatzes hier befindlicher Technik. Anfangs war er lange nicht so einsam gewesen wie heute. Eine große Gruppe Werwölfe hatte bei ihm ihren Standort gehabt und von hier aus operiert. Doch leider waren die Jungs draußen immer mehr aufgerieben worden oder von Einsätzen einfach nicht zurückgekehrt. Ihr rätselhaftes Ausbleiben hatte ihm große Sorgen bereitet. Als auch der letzte dieser Männer für immer verschwand, hatte er sich persönlich nach draußen begeben und den Zugang verschlossen und gesichert, den die Werwölfe bis dahin nutzten. Das war nun über ein Jahr her... Vielleicht hatten es viele von ihnen auch einfach satt gehabt. Auch das konnte Hahnfeld nun langsam verstehen.

Ein schrilles Klingeln riß ihn plötzlich aus seinen Betrachtungen. Sein Verbindungsmann mit der Außenwelt meldete sich überraschend. Eine kurze Serie von Punkten und Strichen zeichnete die absichtlich einfache, aber todsichere Morsetechnik auf dem Papierstreifen auf. Der ehemalige Adjutant des Objektkomman-danten schickte eine Warnung. Nach dem vereinbarten Codesystem, das keineswegs dem normalen Morsealphabet entsprach, teilte er nach dem obligatorischen Kennungscode kurz mit, es nähere sich höchstwahrscheinlich eine Person dem Berggebiet, in dessen Tiefe die von ihm gewartete und bewachte Basis lag. Sehr beunruhigt nahm Hahnfeld die ungewöhnliche Nachricht zur Kenntnis. Da mußte er unbedingt  alle aktiven Sicherungsanlagen überprüfen. Das duldete nun keinen Aufschub mehr.

Von den Zugängen in den geheimen Bereich der eigentlichen Basis konnte so gut wie niemand wissen. Die Werwölfe hatten nur die unterirdische Kaserne gekannt, deren geheimes Tor in die Außenwelt Hahnfeld eigenhändig unzugänglich machte. Auch der einzige innere Zugang war von ihm versperrt worden, als sie ausblieben. Würde sich jemand von der äußeren Talseite her zu schaffen machen, ertönten innen die Alarmglocken. Dann wäre der Eindringling aber auch schon tot ...  Dieser Fall war jedoch noch nie eingetreten. Außerdem war dieser Außeneingang zur Kaserne sehr gut getarnt und offenbar bis heute nicht verraten worden. Die Gegend der Basis war außerdem bei der Bevölkerung des Landstrichs am Gebirgsrand bewußt in Verruf gebracht worden. Nur ungern hielten sich die Einheimischen in diesen Wäldern auf. In den Jahren nach Kriegsende waren hier mehrere Holzfäller spurlos verschwunden, und die Leiche des letzten Försters hatte man übel zugerichtet in einer Schlucht am Gebirgsrand gefunden ... Seitdem lastete ein regelrechter Alb auf den Gebirgsbauern, Zapfenpflückern und Holzfällern. Die wildesten Gerüchte gingen um, und jeder hielt sich tunlichst von der unheimlichen Gegend um das Steinbergmassiv fern.

Hahnfeld verließ den halbrunden Raum mit dem Befehlsstand und ging durch eine Stahltür in einen anschließenden Gang. Nur wenige Schritte weiter führte eine Eisentreppe in eine große Halle hinab. Hier, im Licht nur weniger Lampen, die automatisch aufflammten, als Hahnfeld sie betrat, zeigten sich allerlei große technische Anlagen. Mit verschiedenen Farben markierte Rohrleitungen, dicke Träger für Elektrokabel, hohe Schaltkästen, mächtige Tanks und eine Vielzahl anderer Aggregate standen in der mächtigen unterirdischen Grotte, ohne diese jedoch auszufüllen. Es war noch genug Platz für breite Gänge, in denen sich auf markierten Fahrbahnen kleine Elektrofahrzeuge bewegen konnten, die jetzt allerdings schon lange abgeschaltet in ihren dunklen Nischen standen. Hahnfeld würdigte dieses Wunderwerk an Ingenieurleistung keines Blickes. Er eilte durch den dämmrigen, breiten Hauptgang zwischen den technischen Systemen, der sich in Form eines weiten Halbkreises unter dem bedeckenden Gebirge hinzog. Endlich kam er an einer weiteren Stahltür an, die im dunklen Fels eingelassen war. Er gab einen Code in die Zahlentafel, und brummend fuhr die lukartige Abdeckung zur Seite. Dahinter flackerten automatisch trübe Lampen auf, als er den benachbarten Raum betrat. Es war ein langgezogener Felstunnel mit zwei schmalen, glänzenden Stahlgleisen auf dem spärlich geschot-terten Boden. Hier wehte kühle Zugluft, und es roch undefinierbar nach Brackwasser, feuchtem Gestein und altem Öl. Hahnfeld ging mit unheimlich in der Dunkelheit hallenden Schritten zu dem kleinen Bahnsteig des unterirdischen Haltepunktes und erreichte schließlich eine Elektrodraisine, die dort immer bereit stand ...   

Die Baustelle

Sonnenstrahlen lugten hinter den zerzausten Bergkämmen hervor. Wind kam auf und wehte die letzten Nebelschleier weg. Der wüste Platz in dem Waldtal bot einen umso trostloseren Anblick. Wolf raffte sich auf. Schließlich war er nicht hier, um die traurigen Überbleibsel der Vergangenheit in dieser einsamen Gebirgsgegend zu begutachten. Er mußte weiter. Der Weg sollte sich jetzt auf der Bahnlinie fortsetzten, die von hier aus noch tiefer in die Berge führte. Da auf der schmalen Trasse die Gleise abgeräumt waren, Schotter und zerborstene Balken einen mehr als unebenen Untergrund bildeten, mußte er den Pkw hier zurücklassen. Er tat es ungern, doch hier oben schien er wirklich der einzige Mensch zu sein. Da dürfte nichts passieren, dachte er. Außerdem war es nach den Angaben der Karte nicht mehr weit. Einen halben Kilometer noch, dann endete die Bahnlinie fast auf der Spitze des Berges. Und dort mußte es schließlich irgendwie hinein gehen. Laut Meurat beginne an diesem Ort ein sehr großes Stollensystem, das mit dem auf der Zeichnung identisch sei. Der Lageplan müßte ab dort den weiteren Weg weisen. Die darin eingetragene Linie begann zumindest unmittelbar an dem Stolleneingang, den er jetzt zu erreichen hoffte. Meurat hatte zumindest versichert, daß dies auch wirklich die Öffnung wäre, die auf der technischen Zeichnung als weiterführend angegeben war.

Derart ermutigt machte sich Wolf auf seinen einsamen Weg. Unter den Füßen knirschte der aufgewühlte Schotter und verbogene Gleisenden ragten mitunter gefährlich spitz aus dem Boden. Auch allerlei Schrott lag anfangs noch am niedrigen Bahndamm, der dann allerdings verschwand und hohem Unkraut Platz machte. Als eine sich schlängelnde Schneise zog die schmale Trasse durch den dichten Bergwald. Nach einer letzten sanften Biegung sah der Wanderer endlich ihr vorläufiges Ende. Eine spärlich bewachsene, zerklüftete und steile Felswand erhob sich plötzlich am Ende des letzten geraden Streckenabschnittes. Davor lag ein größerer Lagerplatz auf dem es ähnlich dem Ort aussah, von wo er gerade kam. Ein Fuchs schnürte über die große Lichtung und verschwand schnell im grünen Dickicht, das den Bauplatz von drei Seiten umgab. Wolf stieg am Rande auf eine umgekippte Kabeltrommel und hielt Ausschau. Für einen Moment glaubte er eine kurze Reflexion, eine Art Aufblitzen in den oberen Felspartien des vor ihm liegenden Hanges wahrzunehmen. Aber eine genaue Absuche mit seinem mitgeführten Fernglas zeigte nichts. Dennoch wurde Wolf noch vorsichtiger. Er pirschte mehr, als das er zwischen den verlassenen Baustellen- und Lagerplatz-überresten aufrecht ging. Anscheinend hatten die Polen schon alles einigermaßen Brauchbare abgeräumt und aus dem Gebirge transportiert. Dennoch lagen hier noch genügend Überbleibsel herum, die einen deutlichen Eindruck von der einstigen Größe der Baumaßnahme gaben. Zielstrebig näherte er sich nun den aufstrebenden grauen Felswänden und suchte die Stelle, wo die Gleise der Schmalspurbahn endeten oder besser noch, in sie hineinführten.

Das von Rost fast dunkelbraune Tor lag in einer schwachen Senke. Tatsächlich führte die ehemalige Trasse, nach einigen Verzweigungen auf dem Baugelände, dorthin. Es war ein wirklich mächtiges Tor. Aber die Entdeckung hatte einen Haken. Eine gewaltige Sprengung begrub das Stahltor einst. Unter Felsmassen verschüttet schaute nur seine schmale Oberkante aus dem angehäuften Steingewirr heraus. Zweifellos war es aber der von ihm gesuchte Stolleneingang. Wolf kletterte auf den schräg am Hang liegenden Haufen zerborstenen Gesteins, den die Detonation abgerissen hatte. Da war nichts zu machen. Die Felstrümmer lagen ineinander verkeilt und hatten derartige Größen, daß allenfalls mit schwerer Technik geräumt werden könnte. Es zeigte sich aber auch nicht das kleinste Schlupfloch.

Er stieg zwischen den Brocken umher, nahm nochmals das herausschauende obere Ende des Tores in Augenschein und versuchte mit der Taschenlampe in einen mehr als schmalen Spalt zwischen dem Stahl und Gestein hineinzuleuchten. Der Lichtkegel verschwand im Dunst des dunklen Stollens, ohne auf irgendein Hindernis zu treffen. Doch nun war guter Rat teuer. Er konnte hier nicht hinein. Und die Mittel, den Stollenzugang gewaltsam zu öffnen, standen ihm nicht zur Ver-fügung. Was hatte Meurat ihm da nur für Angaben gemacht!

Der  Pfad

Wieder kam ein Tier aus dem Wald, diesmal ein Reh. Es lief zielstrebig über die verwüstete Baustelle an den Felsen und folgte dann einem Wildpfad, der offenbar auf die Höhe der Wände führte. Aufmerksam schaute Wolf ihm nach. Das rotbraune Tier ver-schwand nach einiger Zeit tatsächlich oben im grauen Felsgewirr. Ein Bussard kreiste im Blau des Himmels, und in den Wäldern begannen die Vögel ihr Morgenlied zu zwitschern. Eine rechte Naturidylle, wären da nicht die Spuren der Menschen gewesen, die hier vor vielen Jahren rücksichtslos tiefe Wunden in die Berge geschlagen hatten. Als ob das scheue Tier im etwas zeigen wollte, machte er sich auf dessen Spur. Vorsichtig durchquerte er das dichte Grün am Hang. Deutlich vor ihm der lockere Boden des Wildpfades. Der Anstieg war nicht übermäßig steil. In leichten Serpentinen wand sich der schmale Steig in die Höhe. Mitunter verlor er sich auf Gesteinsflächen, dann wieder lief er über Moos. Schließlich kam er auf dem Plateau über den Felsen an, etwa 50 Meter unter ihm lag nun der alte Bauplatz und das verschüttete Tor. Wolf sah sich erneut aufmerksam um. Hier oben war die dünne Humusschicht des Waldbodens trocken und mit Gesteinsgrus durchsetzt. Das kleine Plateau, auf dem er stand, war nur spärlich mit gelben Gras und einigen kleinen Kiefern bewachsen. Erst auf der dem Abhang gegenüberliegenden Seite wurde der Wald wieder dichter. Und dort war etwas. Wolf glaubte erst, es wäre das Wild, das dort seinen Weg fortsetzte. Beim Näherkommen sah er aber, daß es sich um einen Trampelpfad handelte, der sich hier als helle Linie durch Moos und Gras in den Wald wand. Der schmale, mitunter kaum sichtbare Weg war nicht sehr oft begangen. Aber irgend jemand hatte hier seine regelmäßige Spur hinterlassen ... Wie ein Indianer pirschte Wolf nun dem Pfad nach. Vergessen war die Zeit. Er mußte auf jeden Fall den Punkt finden, zu dem dieser ominöse Steig hinführte. ‚Hoffentlich komme ich so auch an das Ziel‘, überlegte er. ‚Nicht, daß ich in falscher Richtung laufe und der Weg sich auf irgendeinem fernen Abhang verliert ...‘

Doch er hatte Glück. Nach etwa fünfzehn  Minuten vorsichtigem Gehens, wobei er plötzlich und überrascht auf eine betonierte Straße traf, die anscheinend seit Kriegsende nicht mehr befahren war und aus deren breiten Rissen schon dichtes Unkraut sproß, traf der kleine Weg auf eine Stelle, wo er nicht mehr weiterführte. Es war unweit der geheimnisvollen Straße im dichten Wald. Eine alte Wasser-zisterne erhob sich  hier und daneben verfallenes Gemäuer. Wolf setzte sich auf  zerbröselnde Mauersteine, ruhte aus und besah dabei genau die sich vor ihm öffnende kreisrunde Anlage. Sie war etwas über zwei Meter tief und maß sicher an die 20 Meter im Durchmesser. Der Boden war mit Ziegelschutt, verfaulendem Laub und Moos bedeckt. Hier sammelte sich noch immer die Feuchte der umliegenden Wälder. Sicherlich sollte die Zisterne als Wasser-speicher für tief unten im Fels liegenden Bunkersysteme dienen. Das alte Mauerwerk daneben war sicherlich ein Art Pumpenhaus oder Elektrostation gewesen.

‚Dann gab es von hier vielleicht eine Verbindung in die Tiefe‘, überlegte Wolf. Und daß der geheimnisvolle Pfad hier endete, machte ihn ohnehin stutzig. Er stand wieder auf und betrachtete den Boden genauer. Inmitten des verbrochenen Mauerwerks am Rande der Zisterne wuchsen schon kräftige Büsche. Das war seltsam. Sie sahen aus, als ob sie schon seit recht langer Zeit hier gediehen. Selbst ein nicht mehr ganz junger Baum sproß aus den Betonbrocken und  verdeckte das Innere der eingefallenen Ruine. Überhaupt standen hier einfach zu viele Büsche und Bäume herum, die so schnell nicht nachgewachsen sein konnten. In Wolf kam immer mehr der Verdacht auf, daß diese Vegetation nichts anderes als nachträglich angelegte Tarnung war. Mit Macht zwängte er sich jetzt durch die Büsche. Von dem kleinen Bauwerk am Rand des Wasserbehälters war wirklich nicht mehr viel übrig. Seine ehemaligen Grundmauern ragten noch etwa einen halben Meter aus hohem Gras und Erdhaufen heraus. Überall verstreut Ziegelsteine und Putzreste. Doch während sich sonst schon dichtes Gras und Unkraut durchgehend auf den baulichen Relikten ausgebreitet hatte, lagen hier an einer Stelle in einer unauffälligen und kaum noch als solche zu erkennenden Mauernische die roten Brocken fast blank und frisch am Boden. Wolf sah nun ganz genau hin und glaubte gar, im roten Gesteinsgrus schwache Fußabdrücke zu erkennen. Doch die stammten keineswegs von ihm ... Sein Herz begann automatisch schneller zu schlagen. Welcher Unbekannte trieb sich hier eventuell noch in seiner Nähe herum? Diese Frage ließ ihm keine Ruhe. Vorsichtig zwängte er sich erneut durch die Büsche nach draußen und suchte den Wald in der Umgebung der Zisterne sorgfältig nach weiteren Hinweisen ab. Doch er konnte nichts feststellen. Halbwegs beruhigt kehrte er zurück und begann jeden einzelnen Ziegelstein umzuwenden, bemüht, dabei so leise wie möglich zu bleiben. Es dauerte daher eine Weile, bis er das  Stahlluk fand. Es saß tief unten in einer Wand der Mauernische, die es gut schützte. Wo früher ein stabiler Handhebel zum Öffnen war, befand sich jetzt allerdings nur noch ein gewaltsam abgebro-chenes Stahlende. Es gab aber die Öffnung für ein großes Vierkanteisen. Diese zeigte im Inneren keinerlei Rostansätze und sah eher aus, als würde sie noch immer mechanisch beansprucht ...

Das nutzte Wolf allerdings nichts. Hatte er doch kein Werkzeug dabei, mit dem er den primitiven aber nichtsdestotrotz stabilen Verschlußmechanismus wirksam hätte zu Leibe rücken können. Leise fluchend setzte er sich nochmals auf die inzwischen von der Sonne leicht angewärmten Schuttbrocken. Ein bunter Falter gaukelte um Gräser und das niedergelegte Mauerwerk, und ein Specht begann sein unregelmäßiges Tackern im nahen Wald. Das dunkle Schott in der Nische  schien ihn höhnisch anzugrinsen. Und fast körperlich glaubte er zu spüren, daß ringsum meilenweite Einsamkeit herrschte.

Doch nun mußte er vorerst zurück. Die Zeit war bei der Suche hingegangen. Immer mehr machte sich auch der Magen bemerkbar, nach einer baldigen Mahlzeit verlangend. Das verborgene Schott bekam er eh‘ nicht auf. Da mußte geeignetes Werkzeug herbei. Wolf wandte sich also dem Rückweg zu.

Vorsichtig benutzte er den schmalen Pfad, der ihn schon hierher geführt hatte. Bald überquerte er inmitten der hier ebenfalls dichten Bergwälder wiederum die ominöse alte Straße und erreichte schon etwas außer Atem das Plateau des Steilhangs, unter dem die Baustelle mit dem verschütteten Tor lag. Hier verweilte er kurz hinter verwitterten Felsklippen, ehe er seinen Abstieg begann.

Währenddessen rollte in der Tiefe des Steinberges die Draisine die letzten Meter knirschend über das Gleis des dunklen Tunnels. Ihr Benutzer hatte auch dieses Mal gebetet, daß ihn dieses einfache, aber perfekt konstruierte Fahrzeug nicht im Stich lassen möge. Immerhin überbrückte er damit mühelos eine unterirdische Strecke von nahezu zwei Kilometern. Wieder war ein kleiner Bahnhof aufgetaucht. Der schmale Bahnsteig aus dunklem Beton glänzte feucht im spärlichen Schein der wenigen Lampen, die automatisch aufflammten, als die Draisine über einen Schienenkontakt rollte. Kommandant Hahnfeld stieg aus seinem Gefährt und verschwand in einem schmalen Seitengang. Hier lag eine der wenigen streng geheimen Personenschleusen die verblieben, nachdem man den Zugang zu diesem, im Durchmesser ja relativ kleinen Fahrstollen noch während der Bauphase für immer verschloß, als alle seine technischen Einrichtungen installiert und erfolgreich auf Funktionstüchtigkeit getestet waren. Zuerst überprüfte Hahnfeld die Arbeit der Außenkamera. Auf dem Kontrollpult, das sich in einer ausgekleideten Nische neben dem Bahnsteig befand, leuchtete langsam ein kleiner Bildschirm auf. Trübe zeigte sich auf ihm die Außenwelt. „Das Objektiv muß wieder gesäubert werden“, brummte Hahnfeld laut. Er erwischte sich in letzter Zeit häufig dabei, seine Gedanken in der ihn umgebenden Stille zu äußern. „Ich werde doch nicht eines Tag‘s als armer Irrer hier im Berg umherspuken...“, meinte er besorgt zu sich selbst. Dann betrachtete er wieder interessiert das Abbild der Außenwelt auf dem Bildschirm. Die sehr gut versteckte Kamera zeigte ihm mit ihrem Weitwinkel die sich jetzt als besseren Steinbruch darstellende ehemalige Baustelle. Kein Lebenszeichen regte sich hier. Auch in den nahen dunklen Waldrändern machte sich keine ungewohnte Bewegung bemerkbar. „Wir haben sie wirklich gut verscheucht‘, grinste Hahnfeld in Gedanken. ‚Die werden sich bis in die nächste Generation nicht ohne Zittern in diese Berge wagen ...‘  Das empfindliche Außenmikrofon, das eben nur das sanfte Säuseln des Windes und das Rauschen der alten Baumkronen übermittelt hatte, ließ plötzlich das Poltern herabstürzender Gesteinsbrocken vernehmen. ‚Wahrscheinlich nur wieder irgendein Tier‘, merkte Hahnfeld auf, blieb aber noch am Bildschirm.

Vorsichtig kletterte Wolf den steinigen Abhang hinab. Er wählte nicht den schmalen Wildpfad als Abstieg, sondern wollte auf kürzesten Weg wieder zum ehemaligen Arbeitsplateau der verlassenen Baustelle gelangen. Fast wäre er hinabgeschlittert, als sich plötzlich das lose Gestein unter seinen Füßen löste. Im letzten Augenblick konnte er sich abfangen und blieb erleichtert auf dem Hosenboden sitzen. Rechts neben ihm glänzte in einer Felsnische plötzlich etwas kurz auf. Vorsichtig schaute er in diese Richtung und glaubte, im Schatten des Gesteins, so etwas wie das Okular eines Fernglases oder Winkelbeobachtungsgerätes gesehen zu haben.

Spielten ihm jetzt seine Nerven einen Streich? Oder da war wirklich eine Art Beobachtungsgerät? Doch wer, in Gottes Namen, sollte es heute noch bedienen? Stimmte etwa die Mär, daß die ‚Alten‘ noch immer über ihre Geheimnisse wachten?

Sicherheitshalber schmiegte er sich dichter an die warmen Felsbrocken und schob sich vorsichtig nach links weg. Er mußte hier keinesfalls vorzeitig entdeckt werden, von wem auch immer. Erst als er wieder durch den Wald die ehemalige Bahntrasse erreicht hatte, fühlte er sich wieder etwas sicherer. Bis dahin kam es ihm irgendwie vor, als spüre er einen unheimliche Beobachter in seinem Rücken ...   

Nach dem er auch den verwilderten Bahndamm hinter sich hatte und den Umschlagplatz inmitten der Bergwälder erreichte war er froh, sein Auto an dem Ort vorzufinden, an dem er es vor rund zwei Stunden zurückließ. Erneut schaute sich Wolf aufmerksam um. Doch er konnte kein Lebewesen entdecken. Das mußte jedoch hier nichts bedeuten. Die felsigen Hänge ringsum, der dichte Wald und das unübersichtliche Lagerplatz- und Bahngelände boten einem heimlichen Beobachter genügend Möglichkeiten, sich unauffindbar zu verbergen. In der Geborgenheit des Wagens fröstelte es Wolf ein wenig. Ein unbehaglicher Schauer lief ihm über den Rücken, wenn er an die noch bevorstehenden Abenteuer dachte. Mit leise brum-menden Motor und verminderter Geschwindigkeit fuhr er das Fahrzeug durch die desolaten Barackenreste und verrottenden Materialstapel zurück in Richtung Waldstraße. Erst als er die dunklen Bäume links und rechts des Wagens sah und er die leicht abfallende Bergstrasse in Richtung des noch fernen Burgstadts rollte, machte sich wieder so etwas wie ein Gefühl von Sicherheit in ihm breit.

Vorkehrungen ...

Major Hahnfeld betrachtete mißtrauisch die Anzeigen des schmalen Bedienpultes in dem kleinen Raum, den eigentlich nur noch eine etwa meterbreite Felswand von der Welt draußen trennte. Nochmals warf er einen Blick auf den trüben Bildschirm und lauschte angestrengt den Außengeräuschen, die über den staubigen Lautsprecher an seine Ohren  deutlich drangen. Im Hinterkopf spukte die Warnung seines Verbindungsmannes. Irgendetwas sagte ihm, daß da draußen nicht alles so war, wie sonst. Hahnfeld besaß den sicheren Instinkt eines Wolfes. Und das der ihn noch nie trog und er ihm mehr als einmal sein Leben zu verdanken hatte, war ihm mehr als gegenwärtig. Nervös nestelte er am Pistolenhalfter herum. Doch hier drin gab es nichts zu schießen. Hier herrschte Stille und Sicherheit. Die Gefahr lauerte ausschließlich da draußen. War da nicht ein schattenhafter Umriß in der ehemaligen Transportschneise verschwunden? Oder täuschte ihn schon die Wahrnehmung?  Nochmals blickte er auf das Bild, das die  Außenkamera auf den Bildschirm übertrug, konnte aber nichts Verdächtiges feststellen. Doch um seine Ruhe war es vorerst geschehen. Mit hastigen Griffen schaltete er die Beobachtungseinrichtungen ab und verschwand in der dämmrigen Beleuchtung des Bahnsteiges Richtung der dort wartenden Elektrodraisine.

Wieder in der Zentrale angekommen, aktivierte er die Kabelverbindung zu Pawlek. Mittels eines Codes teilte er knapp mit, daß dieser sich unverzüglich bei ihm einzufinden hätte. Solche Treffen wurden aus Sicherheitsgründen auf ein Mindestmaß reduziert. Doch jetzt wollte Hahnfeld den Mann direkt sprechen.

Er befahl seinen Verbindungsmann gegen Mitternacht zu sich. Ort des Treffens war wie immer die geheime Personenschleuse mit einem dahinter liegenden Vorraum zum eigentlichen Tunnelsystem. Hahnfeld hatte mit der Botschaft gleich noch frische Lebensmittel angefordert und einige andere Verbrauchsartikel. Ungeduldig schaute er auf die große Uhr über dem Kommandopult. Sie zeigte jedoch erst eine späte Vormittagsstunde an. Es war also noch viel Zeit, bis sein Besucher kam.

So erhob sich der einsame Mann und ging durch etliche Gänge in den Sportraum, der unweit der Unterkünfte lag. Dort zog er sich um und leistete sein tägliches Pensum an Übungen. Dazu standen allerlei Sportgeräte zur Verfügung. Eiserne Selbstdisziplin war ihm schon immer eigen gewesen. Und nur diese befähigte ihn schließlich dazu, hier alleine die Stellung zu halten. Nach einer halben Stunde anstrengender Betätigung zog es ihn in die Baderäume, wo er sich eine ausgiebige Dusche gönnte. Derart erfrischt nahm er einen Imbiß, zog sich dann eine nagelneue Arbeitskombi über und machte sich auf den Weg zur zentralen Energieversorgung der Anlage „Gigant“. Dazu benutzte er wieder die Elektrobahn.

Allerdings fuhr er nun mit der Draisine in die andere Richtung, es ging diesmal tief in den Berg hinein. Mit mäßigem Tempo rollte Hahnfeld wieder durch lange Tunnel. Sein Ziel erreichte er nach etwa zehn Minuten Fahrt. Am Bahnsteig standen diesmal eine Reihe großer Metallschränke. Aus einem von ihnen nahm er einen robusten Schutzanzug mit Vollhelm heraus. Mühsam streifte er die schwere Montur über, griff sich jedoch sicherheitshalber aber noch eine der starken Handlampen aus einem Regal und begab sich rasch zu einem dunklen Schott in der Tunnelwand.

Schwerfällig tappend durchquerte er sich dahinter anschließende enge und mit schwerem Metall verkleidete Gänge, die wiederum zu einer letzten massiven Druckschleuse führten. Deren Schotten waren so schwer, daß sie sich nur mittels Hydraulik öffnen ließ. Er gab erneut eine komplizierten Zahlenkombination ein, worauf er zurücktrat und wartete, bis sich das schwere Luk aufgeschoben hatte. Hier lag die energetische Seele der ganzen unterirdischen Anlage und zugleich eine einzigartige wissenschaftliche Errungenschaft und großes Geheimnis aus der Zeit lange vor Kriegsende - der Atommeiler.

Im Zentrum einer großen, vom monotonen Summen der Aggregate erfüllten Felsenhalle erhob sich der dunkle, metallisch glänzende Reaktorkörper, umgeben von Leitungen, Druckbehältern, War-tungsstegen und zahlreichen anderen technischen Einrichtungen. Mißtrauisch äugte Hahnfeld auf ein Meßgerät, das er nun in den Händen hielt. Er war zwar hartgesotten, aber hier beschlich selbst ihn immer ein unheimliches Gefühl. Eilig ging er zum Kontrollpult und überprüfte bestimmte Anzeigenwerte mit einer Tabelle, die dort lag. Zufrieden schritt er noch einmal aufmerksam kontrollierend um den tief im Bergesinneren brummenden Meiler, richtete dabei den starken Lichtstrahl seiner Handlampe auf diese und jene Stellen, konnte aber keine sichtbaren Defekte oder andere Mängel feststellen. Alle so geprüften Leitungen zeigten sich dicht. Nirgends trat irgendwelche Flüssigkeit aus. Diese spektakuläre Technik sorgte praktisch für die weitere Funktion der Basis, bis in die nächsten Jahrzehnte hinein. So hatten es zumindest die ihn einweisenden Techniker erläutert, bevor sie für immer die Anlage verlassen mußten. Drängen hier Unbefugte ein, käme es zur Katastrophe. Die Sicherheitssysteme waren derart ausgefeilt, daß allein das gewaltsame Eindringen in den den vorderen Zugangsstollen ein atomares Inferno auslösen täte, was in Sekunden nicht nur die gesamte Basis vernichtete, sondern wahrscheinlich den ganzen Bergzug samt Umland hinwegfegen würde. Außerdem gab es hier eine Zündeinstellung, die, am zentralen Kommandopult einmal aktiviert, nach der vorgegebenen Zeitspanne den Reaktor zur Explosion brächte ...

Schwitzend zwängte sich der Major zurück durch die verschiedenen Tunnel mit ihren Schotten und Schleusen. Hinter ihm waren alle Zugänge nun wieder regelrecht versiegelt. Er war froh, nach seinem unheimlichen Ausflug zurück am Bahnhof zu sein und endlich die schwere Schutzbekleidung ablegen zu können. Nachdem er Meßgeräte, Helm und Anzug sorgfältig in den verschließbaren Schrank zurückgelegt hatte ließ er sich schnaufend in die Sitze der Draisine fallen und schob den Fahrthebel nach vorn. Ratternd nahm das kleine Vehikel erneut seine einsame Fahrt durch die unterirdischen Tunnellabyrinthe auf. Während es dahinrollte überlegte sein Passagier, ob er noch einen Abstecher zum Flughangar und LKW-Stollen machen sollte, verschob das Vorhaben aber schließlich auf den nächsten Tag.

Die Tür im Fels

Pawlek durchstieg vorsichtig den brüchigen Schutt am Grunde des schmalen Seitentales, bemüht, keine unnötigen Geräusche in der ruhigen Gebirgsnacht zu verursachen. Links und rechts wuchsen dichte Tannen zum nachtdunklen Himmel. Nur dem silbernen  Mondschein war es zu verdanken, daß er nicht die mitgebrachte Lampe einsetzen mußte. Ab und an tauchten hellgraue Gesteinsflächen zwischen den Bäumen an den steilen Hängen auf, dann wieder die mächtigen Brocken gesprengter Bauten. Leise fluchend bahnte er sich noch etwa zehn Minuten den unsichtbaren Weg durch ein immer dichter werdendes Unterholz und Geröll in dem dunklen Grund.

Die Hänge und Bäume rückten schließlich immer enger zusammen, als er endlich die gesuchte Stelle erreicht hatte. Hier schloß sich das schmale Seitental des Steinberges in einer hohen Wand aus ebenfalls waldbestandenen, grauen Felsen. Es ging eigentlich nicht mehr weiter. Die namenlose Schlucht endete übergangslos am steilen Anstieg der rauhen Berghänge. Verschnaufend setzte sich Pawlek auf einen der umwucherten Felsbrocken und schaute auf das leuchtende Zifferblatt seiner Armbanduhr: noch eine Viertelstunde bis Mitternacht. Erschrocken fuhr der einsame Wanderer zusammen, als plötzlich ein großer Nachtvogel mit rauschendem Gefieder dicht über die nahen Baumkronen strich. Mißtrauisch beobachtete er die ihm unheimliche Umgebung. Im Dämmerlicht des Mondes fühlte er sich hier alles andere als wohl. Ganz in der Nähe befand sich zudem noch der damals heimlich zugesprengte Stollen mit den toten Ukrainern, die in einem stinkgeheimen Abschnitt gearbeitet hatten. Man richtete kurz darauf den gesamten oberen Seitentalabschnitt wieder so her, daß alles völlig naturbelassen wirkte. Fremde würden hier einstige menschliche Eingriffe nie auch nur im Entferntesten vermuten.

Endlich war es soweit. Ein leises, kaum wahrnehmbares Pfeifen drang aus der tannenbestandenen Felswildnis der nahen Bergwand. Daraufhin  stand Pawlek sofort auf und leuchtete sich kurz mit der Lampe selbst an.

„Nun komm schon her!“ krächzte die bekannte Stimme Hahnfelds aus der Dunkelheit ihm entgegen. Mit unsicheren Schritten auf dem umherliegenden Gesteinsschutt näherte sich Pawlek dem geheimen Zugang. Da wurde er noch mal blitzschnell mit einem starken Handscheinwerfer angestrahlt.

„Was soll das“! entfuhr es ihm erschrocken und verärgert.

„Ich muß doch sehen, ob auch alles in Ordnung ist, du Narr. Sicher ist sicher.“ Hahnfeld erfaßte ihn grob am Oberarm und beförderte ihn schnell und unsanft in das dunkle Mannluk hinein. Beunruhigt sah der Besucher des Kommandanten eine dunkle Waffe in dessen Hand glänzen. Sogar der Finger war am Abzug gewesen ...

„Ich kann nichts dazu, wenn hier wieder plötzlich die Leute rumschleichen“, entrüstete er sich mit leisen Worten, nachdem sie den hinter dem Schott liegenden kleinen Raum betreten und das Außenluk sofort hinter sich verschlossen hatten.

„Jetzt setz dich erstmal hin und erzähle mir in Ruhe, was da plötzlich los ist.“ Hahnfeld gab sich seinem ehemaligen Adjutanten gegenüber wieder leutselig, steckte die Waffe weg, behielt ihn aber unentwegt scharf im Auge.

Dieser berichtete zuerst von dem unerwarteten Besuch bei sich im Dorf. „Und dann ist da noch etwas. Ich beobachte schon eine Weile zwei Typen, die früher auf der Baustelle III als Elektriker arbeiteten. Sie stammen aus dem Nachbarort. Anscheinend wollen die sich als Nachkriegsschatzgräber betätigen.“

„Was heißt hier Nachkrieg! Wir befinden uns noch immer im Kampf, du Idiot!“ blaffte Hahnfeld scharf zurück. „Du weißt wohl nicht mehr, worum es hier geht?“ wobei seine Hand in Richtung der hinter ihn liegenden Felswand deutete, in der eine massive Stahltür Zugang ins Innere des Berges verhieß. „Und wenn da irgendwelche Saupolen versuchen in unserem Dreck zu schnüffeln ...“, seine Stimme wurde leise und gefährlich. „Dann wirst du umgehend dafür sorgen, daß es das letzte Mal war. Aber bitte so, daß es sich in euren Käffern weit umherspricht. Und was den Kerl betrifft, der da bei dir auftauchte. Das scheint nicht ganz ohne zu sein. Da überlege ich mir was. Sag‘ sofort Bescheid, wenn der wieder erscheint, und sieh dir in den nächsten Tagen mal unauffällig die Gegend an. Mach eine Patrouille in die Berge, der war sicher mit einem Auto da. Suche nach Spuren. Aber vorerst nichts gegen den Mann unternehmen. Ich möchte wissen, was da bloß auf einmal losgeht. Die beiden Schatzsucher, wie du sie nennst, verschwinden mir schnellsten - verstanden!?“.

„Ich kann sie nicht einfach auf offener Straße über den Haufen schießen“, entgegnete Pawlek. „Da müßte ich sie schon in den Bergen oder den Ruinen selbst abpassen können.“

„Das ist mir schon klar. Du mußt eben aufpassen. Wenn du sie festgestellt hast, dann wirst du wohl wieder ihre Spur aufnehmen können. Hast du eine Ahnung, wo die sich rumgetrieben haben?“

„Sie müssen auf den Hochflächen des Berges rumgekrochen sein. Jedenfalls haben sie abends in der Dorfkneipe mal so was gucken lassen. Die Deutschen hätten wohl eine Menge Lastwagen im Berg verschwinden lassen, und die wollten sie finden.“

„Das schlägt dem Faß den Boden aus! Diese polnische Schweinebande! Nächstens gibt es wohl ganze Sonntagsausflüge über meinem Kopf!“