Das erste Mal - Volker Wieprecht - E-Book

Das erste Mal E-Book

Volker Wieprecht

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Beschreibung

Der erste Kuss, Das erste Mal blau, die erste Demo, Das erste Mal Vater oder Mutter werden – erste Male stehen wie Fähnchen auf der Landkarte unseres Lebens und stecken das Gelände ab. Sie belegen unseren Mut (der erste Fallschirmsprung), unsere Ausdauer (der erste Marathon), unsere Teilnahme am Getümmel der Geschlechter (der erste Sex) oder auch unsere Dummheit (Das erste Mal in Lebensgefahr). Ob unsere ersten Male schön waren oder grausam, erhebend oder peinlich – wir werden sie unser Leben lang nicht vergessen. Weil sie uns geprägt haben, weil wir die Summe dieser ersten Male sind, weil wir trotz unserer mühsam erlangten Weisheit doch auch ewige Anfänger bleiben. Volker Wieprecht und Robert Skuppin berichten in ihrem neuen Buch über ihre mal sehr ausgefallenen, mal nur zu gut nachvollziehbaren, stets aber hochkomischen ersten Male und bekommen dabei auf unterhaltsame und einsichtige Weise dieses Ding zu fassen, das wir «Leben» nennen. Wir lachen und leiden mit und erinnern uns selbst an das ein oder andere vergessen geglaubte erste Mal – eine garantiert kurzweilige Lektüre und eine ungewöhnliche Selbstbegegnung!

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Seitenzahl: 368

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Volker Wieprecht • Robert Skuppin

Das erste Mal

Küssen, Fliegen, Siegen und andere Debüts

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

VorwortKindheit – Extrem laut und unglaublich jungDer erste KindergeburtstagDas erste HaustierDas erste Mal Fahrrad fahrenDer erste KussDas erste Mal recht habenDas erste eigene UnternehmenDas erste Mal auf der BühneDas erste Mal schwimmenDie erste HochzeitJugend – Verliebt, verkloppt, verpeiltDas erste Mal Geld verdienenDas erste Mal klauenDas erste Mal im PlattenladenDas erste Mal fliegenDas erste Mal blauDas erste Mal auf einer DemoDas erste Mal in festen HändenDer erste SexDas erste Mal richtig kloppenDas erste Mal segelnErwachsen – Vom Aufbrechen und AnkommenDie erste eigene WohnungDas erste Mal vor GerichtDas erste Mal Fasching feiernDas erste eigene AutoDas erste Mal allein verreistDie erste KündigungDie erste PilgerreiseDas erste Mal live im RadioDas erste Mal in LebensgefahrDas erste SchnäppchenDas erste Mal Vater werdenDas erste Mal NichtraucherDas erste Mal tauchenDas erste Mal im Drei-Sterne-RestaurantDie erste Midlife-CrisisReife – Bis hierher danke!Der erste WohnungseinbruchDas erste Mal verarschtDas erste Mal radioaktivDer erste MarathonDie erste HausdurchsuchungDer erste FallschirmsprungDas erste Mal WLAN einrichtenDie erste BrilleDas erste Mal bei den Olympischen SpielenAlter – Warum am Ende alles gut wirdDas erste Mal altDas erste Mal im AltersheimDie erste Konfrontation mit dem TodDas erste Mal unter Toten
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Vorwort

Wir sagen es Ihnen lieber gleich: Das eine oder andere große Ereignis der Weltgeschichte wird in diesem Buch möglicherweise nur angedeutet oder gar nicht erst erwähnt. Sie erfahren auch wenig Neues über die Identität jenes ersten Huhns, das das Ei legte, aus dem es zuvor selbst geschlüpft war. Wir sahen uns gezwungen, dies alles stark zu vereinfachen, und haben sämtliche ersten Male auf das Minimum an Erfahrungsweisheit eingedampft, das wir im Laufe unseres Lebens zweifellos gewonnen haben: die Einsicht, dass wir alle Kinder unserer Zeit sind und keiner von uns etwas Besonderes darstellt. Das wiederum rechtfertigt hinreichend, dass wir in aller gebotenen Bescheidenheit bei uns selbst beginnen – und mit unseren eigenen Premieren, Debüts und ersten Malen aufwarten.

Auch in der Auswahl der Themen haben wir uns auf das Notwendigste beschränkt. So erwähnen wir zum Beispiel nicht, wie wir das erste Mal bei Rot über die Ampel gelaufen sind oder wie einer von uns im Kindergarten eine Holzkugel mit zwei Zentimetern Durchmesser verschlungen hat, die dann beim Arzt mit Kontrastflüssigkeit sichtbar gemacht und anschließend unter konvulsivischen Mühen des Körpers verwiesen wurde (Volker). Genauso wenig werden Sie hören, dass einer der Autoren im Alter von drei Jahren wider Erwarten das erste Mal doch noch einmal in die Hose gemacht hat, obwohl er schon längst ohne Windeln unterwegs war (Robert). Schließlich haben wir Ihnen auch jene Momente erspart, in denen wir das erste Mal über einen eigenen Wurstbrötchenverleih oder eine eigene Kneipe nachdachten. (Die zweite dieser beiden phänomenalen Geschäftsideen haben wir sogar umgesetzt und können nun getrost davon abraten: Der Betrieb einer Kneipe macht zwar Spaß, ließ uns aber auch das erste Mal richtig scheitern.)

Wir konzentrieren uns in diesem Buch auf jene biographischen Debüts, an die wir uns perfekt erinnern können: an die Sinneseindrücke und Gefühle, an das Lachen und die Tränen. Es sind die kleinen und großen Tief-, Höhe- und Wendepunkte unseres Lebens.

Tief- und Höhepunkte betreffend: Höher als viertausendfünfhundert Meter (der erste Fallschirmsprung) beziehungsweise tiefer als dreiundfünfzig Meter unter den Meeresspiegel (das erste Mal tauchen) sind wir aus eigener Kraft nicht gekommen. Und doch haben wir genug von der Welt gesehen, um zu wissen: Was Weltrekorde und Spitzenleistungen für Sportler, Abenteurer und Entdecker sind, sind für uns die hier beschriebenen ersten Male. Was wäre ohne diese Herausforderungen auch aus uns geworden? Kinderlose, sexuell frustrierte Einzelgänger, die nicht mal Rad fahren können? Angsthasen, die ständig kneifen, weil sie nichts einstecken können? Vielleicht nicht mal Verdientes? Vater zu werden, zu küssen, zu lieben, Fahrrad fahren zu lernen, Todesangst auszustehen und bei Raufereien zu unterliegen: All das hat geholfen in dem Durcheinander, das wir Leben nennen.

Es erscheint uns sinnvoll, ein Buch zu lesen, bevor man drüber spricht; genauso ist auch der klar im Vorteil, der seine eigenen Erfahrungen sammelt – und erkennt, welche Bedeutung er seinen Erlebnissen beimessen sollte. Triumph oder Niederlage: Ob etwas als sinnlos und bitter oder als lehrreich und befreiend erfahren wird, ist letztlich auch das Resultat bewusster Entscheidungen, die jeder für sich selbst trifft. Im schlimmsten Fall macht man aus einer Tragödie eben eine Komödie. Innerhalb dieses Spielraums sind die Geschichten, die wir hier erzählen, auch wahr. Manche unserer schlimmeren Erfahrungen sind Ihnen hoffentlich erspart geblieben. Hier können Sie sich unterhaltsam und lehrreich davon erzählen lassen. Bei der Lektüre der zum Glück zahlreicheren erfreulichen Episoden unseres Lebens werden Sie sich vielleicht an Ihre eigenen Debüts erinnern.

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Kindheit –Extrem laut und unglaublich jung

Der erste Kindergeburtstag

Mein siebter Geburtstag wartete mit einer Überraschung auf – sogar mit einer erfreulichen. Dabei hatte ich die Hoffnung schon aufgegeben.

Die Gäste erschienen in einem Pulk pünktlich um 15.00 Uhr und staksten steif und keuchend die Treppen zu unserer Wohnung hoch. Mutter rückte ihre Betonfrisur zurecht und öffnete die Tür. Als Erste traten sich Oma und Opa die Füße auf der Matte ab, dann kam mein Patenonkel Hans. Ihre Polyesterkleidung knisterte, als sie die Jacken ablegten. Meine Wenigkeit trug die obligate Feiertagsuniform: die GUTE Hose, das GUTE Hemd. Der Aufzug für besondere Gelegenheiten. Ich stand brav mit den Händen auf dem Rücken und durchgedrückten Knien im Flur – «gespannt wie ein Flitzebogen» sagte man damals – und prüfte die Lage: einmal Treffer, einmal Niete. Oma hatte ein Geschenk dabei, Onkel Hans wieder mal keins. Unwahrscheinlich, dass er in der Hosentasche eine goldene Kette für mich versteckt hielt. Oma überreichte mir ein Paket. Ein Buch, wie ich gleich an der Form erkannte. Onkel Hans schüttelte mir nur mit zu festem Griff die Hand. «Alles Gute zum Geburtstag, Junge!» Was für eine Party …

Mehr Besuch war nicht geladen. «Wenn du größer bist, feiern wir auch mal mit den anderen Kindern!», sagten meine Eltern im darauffolgenden Jahr. Ich glaube, sie hatten einfach nicht die Nerven für den sprichwörtlichen Sack Flöhe. Und damit waren sie nicht allein. Ich kann an dieser Stelle versichern, dass ich in jungen Jahren nie eine selbstgebastelte Einladung in Händen gehalten habe. Niemand in meiner Grundschulklasse hat je seine Mitschüler zum Geburtstag gebeten. Mag sein, dass ich einem Ausbildungslager für asozial Veranlagte entstamme.

Kindergeburtstagsklassiker wie die «Geschenke-Torte-Verwüstung» oder «Bastelkurs im Museum – Pizza – Tanzen» gab es in meinem Leben nicht. Ich hatte keine Apo-Eltern, die für Stimmung sorgten, und in einer Arbeiterfamilie war so etwas unvorstellbar. Auch in meiner Gymnasialzeit passierte wenig. Damals feierten die Eltern vor allem ihre eigene vermeintliche Meisterleistung: Wir haben den Jungen gezeugt. Und er hält sich ganz ordentlich. Dafür darf er auch dabei sein. Das musste reichen. Zweifel hatten sie keine, weil es bei den anderen Familien genauso lief und sie es aus ihrer Kindheit selbst nicht anders kannten. 1946 wurden nur selten Kinder eingeladen, um die Kohlsuppe am Geburtstag auf noch mehr Teller zu verteilen oder Eierlaufen mal anders zu spielen, indem man am Güterbahnhof über den Zaun kletterte und Koks von den Waggons mopste. Sie hatten in ihrer Kindheit gedarbt. Ich lebte aus ihrer Sicht schon in Saus und Braus.

Wir begannen also umgehend mit den verhaltenen Feierlichkeiten angelegentlich meines siebten Geburtstags und aßen wortkarg kalte Quarktorte mit Dosenmandarinen, die nach rostigem Blech schmeckten. Onkel Hans überreichte mir vor aller Augen jetzt doch noch zehn Mark, die mir Mutter dann abnahm, um sie, wie sie sagte, für mich aufzuheben. Das kannte ich schon. Bei ihr war das Geld wirklich sicher – vor allem vor mir. Dann wurde ich aufgefordert, in mein Zimmer zu gehen, um in Ruhe mit meinen Geschenken zu spielen. Mir fiel auch nichts mehr ein, womit ich die Erwachsenen hätte unterhalten können. Ihre Bemühungen, mit mir ins Gespräch zu kommen, fruchteten auch nicht viel. Später lernte ich ihre Fragetechnik in Interviews zu vermeiden. «Ich habe gehört, du bist gut in der Schule … dann macht es dir sicherlich Spaß?» – man traut sich kaum, ein Fragezeichen hinter so einen Satz zu setzen.

Ich trollte mich, lief in mein Zimmer und setzte mich aufs Bett. Zuerst las ich in meinem Buch: «Kasimirs Weltreise». Kasimir hatte eine Nase wie ein Schwein, aber dafür eine gute Frisur. Er kam ziemlich viel rum. Ich kam ganz gut klar mit dem Stoff, der vermutlich für Dreijährige gedacht war. Immerhin war ich dieses Mal nicht aufgefordert worden, mich noch ein zweites Mal bei Oma und Opa zu bedanken. Ich legte das Buch beiseite und spielte mit dem Baukran, den mir meine Eltern geschenkt hatten. Ein sensationelles Geschenk: Der Kran konnte kleinere Lasten mühelos dreißig Zentimeter in die Höhe hieven, wenn man eine kleine Kurbel betätigte. Ich klinkte den Haken des Krans in die Fensterrahmen meiner Matchbox-Autos und ließ die Wagen hoch und runter. Total realistisch, in echt kaum besser. Kontrolle auszuüben ist eine beruhigende Tätigkeit.

Meine Mutter lief währenddessen immer wieder über den Flur und holte neue Flaschen. Es war Medizin – so viel wusste ich. Erst braune, dann grüne, schlussendlich durchsichtige Pullen. Bevor Letztere zum Einsatz kamen, war es im Wohnzimmer bereits deutlich lauter geworden. Die Stimmung war geradezu ausgelassen. Genau so, wie es auf einem Kindergeburtstag sein sollte – nur im falschen Zimmer. Aber letztlich war ich froh, dass es den Erwachsenen mit diesen Getränken offenbar gelungen war, die Symptome ihrer Krankheit zu lindern. Eine Krankheit, die sich, nüchtern betrachtet, in granteligem Schweigen äußerte. Oder, noch schlimmer, in Erwachsensein.

Aus dem Wohnzimmer trällerte mittlerweile Mireille Mathieu. Die Dame mit der Prinz-Eisenherz-Frisur arbeitete sich an großen Brocken Deutsch ab: «Es geht mir gut, Merci, Chéri!» Ich stellte die Kranarbeiten ein und wagte einen Blick in die Wohnstube. Vater legte die B-Seite der Single auf und sah stolz zu, wie der elfenbeinfarbene Arm des Plattenspielers die Nadel in die Rille setzte. Eine Nordmende Musiktruhe. Der letzte Schrei. Dann setzte er sich auf einen der beiden klobigen rotbraunen Sessel aus Lederimitat. Sein Bruder lungerte im anderen herum. Die Dinger waren viel zu groß für das Zimmer, aber zumindest modern. Oma und Opa hockten auf der gewaltigen Couch, Mutter dazwischen.

Meine Gäste starrten auf den Tisch, auf ihre Gläser, in die Luft, dann sahen sie mich an. Opa hob sein Schnapsglas, nickte meiner Mutter zu, die ihm nachschenkte, und sprach einen Toast aus: «Auf den Jungen!» – «Auf den Jungen!», wiederholten die anderen und hoben ebenfalls die Gläser. Ich fragte, ob ich mal probieren dürfe. «Hohohoho!», sagten da die Erwachsenen, und Opa winkte mich zu sich. Die Platte war zu Ende, der Plattenarm rumpelte zurück in seine Ausgangsstellung. Opa betupfte den Zeigefinger seiner Rechten mit dem Bodensatz seines Schnapsglases und steckte ihn mir in den Mund. Es war widerlich. Sein Finger schmeckte nach Tabak, und es brannte beim Schlucken. Ich verzog keine Miene. «Lecker!», sagte ich.

Alle lachten, bis auf Mutter. «Geh jetzt mal wieder in dein Zimmer. Schön spielen!» Langsam hatte ich genug. Jetzt reichte es also schon nicht mehr, dass ich spielte. Ich sollte auch noch schön spielen. Gerade wollte ich die gelöste Stimmung der Erwachsenen ausnutzen und frech werden, als etwas Unerhörtes passierte: Es klingelte an der Wohnungstür. Fünf Mal. Viel zu oft. Alle sahen sich an. «Wer kann das sein?», fragte Oma.

Aus heutiger Sicht würde ich sagen: Jeder der Beteiligten hatte sicher so seine eigenen, historisch bedingten Befürchtungen, aber allen wird klar gewesen sein: Das Private muss stets vor der Öffentlichkeit geschützt werden. Ein Eindringling nahte, der das traute Beisammensein der Familie gefährdete. Ich begann zu hoffen. Mutter lief auf den Flur und drückte den Türöffner. Wir wohnten im vierten Stock. Es dauerte eine Ewigkeit. Ich versuchte an den Geräuschen zu erraten, wer da kam. Jung, alt, dick, dünn, einer, zwei, viele? Es war nur einer, und er war jung. Er hielt sich am Geländer fest und zog sich, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hoch. Schließlich kam er atemlos vor meiner Mutter an, die mittlerweile die Fäuste in die Hüften gestemmt hatte. Ich stand hinter ihr.

Christian Brammberg. Der Sohn des Konditors. Sein Haar hatte mindestens sieben Wirbel. Einer der Wilden auf dem Schulhof. Hatte immer Kuchen dabei. Manchmal gab er was davon ab. Nicht der Beste in Deutsch und Mathe, auch in Sport keine Kanone. Aber immerhin.

«Guten Tag, ich wollte fragen, ob der Volker mit mir auf dem Hof spielen kann?» Er wohnte zwei Häuser weiter. Wenn jeder von uns über eine Mauer kletterte, konnten wir im gleichen Hof Fahrrad fahren oder mit Ästen fechten. «Volker hat Geburtstag», sagte meine Mutter, «und wir feiern gerade schön!» Ich fragte mich wirklich, wer hier bitte ‹gerade schön feierte›. Aber dann geschah das Wunder. «Komm erst mal rein.» Christian trat sich übertrieben gründlich die Füße ab. Als er nach einer gefühlten halben Stunde damit fertig war, nahm meine Mutter seine Jacke entgegen. «Wir haben noch Kuchen? Möchtest du ein Stück?»

Es wurde dann doch noch ein schöner Nachmittag. Die Erwachsenen bekämpften ihr düsteres Gemüt weiter erfolgreich mit Stimmungsaufhellern und amüsierten sich wie verrückt, dass Christian es schaffte, sage und schreibe sechs Stück Kuchen zu verdrücken. Von der leckeren Mandarinentorte zwei und vier vom Marmorkuchen. Das Thema dominierte das Tischgespräch über eine Stunde. Danach war Christian leider so sediert, dass das große Getobe auf dem Hof ausfallen musste.

Wir blieben also oben. Mein Baukran erfuhr ausreichend Bewunderung, das Buch kam verständlicherweise nicht ganz so gut an. Der Vollständigkeit halber berichtete ich Christian, dass ich auch noch zehn Mark geschenkt bekommen hatte. Das konnte er locker überbieten: Er habe eine Tante, meinte er, die ihm sogar mal zwanzig Mark geschenkt habe. Ich war beeindruckt. Dann setzten wir uns an den Maltisch und fingen an loszukritzeln. «Wer den besten Ritter malt!», sagte ich, und Christian fing auch gleich damit an. Er hielt sich sehr lange mit der Burg und ihren Türmen und Zinnen auf. Ein Fehler. Ich ging den Kämpfer direkt an und versah ihn mit einer Menge Waffen: Morgenstern, Doppelaxt und zwei riesige Schwerter, in jeder Hand eins. Dazu eine Rüstung, die ihn auf das Doppelte seiner Körpergröße aufblähte. Als wir die Bilder verglichen, wurde schnell klar, dass ich den mächtigeren Ritter gemalt hatte. «Das ist unfair», beschwerte sich Christian, «die hatten immer nur ein Schwert!» Mir war das völlig egal. Doppelt hält besser. Die Zeit zu zweit war außerdem viel zu kostbar, um währenddessen auch noch andauernd zu verlieren.

Um kurz nach sechs musste Christian gehen. Er gab jedem Erwachsenen zum Abschied die Hand. Mir hatte er das Dokument seiner Niederlage dagelassen. Wir aßen belegte Brote, und ich sollte mir nach dem Essen sofort die Zähne putzen. «Volker kommt dann noch mal im Schlafanzug und sagt uns allen gute Nacht!» – der Satz einer Generation. Ich weiß schon, warum ich auch heute noch am liebsten wortlos von Partys verschwinde. V.W.

Das erste Haustier

«Oh Gott, sind die süß!», dachte ich und drückte mir die Nase an der Ladenscheibe platt. Weder Hamster noch Meerschweinchen, Hund, Katze oder Papagei interessierten mich, mein Herz schlug allein für diese schwarz-weiß gefleckten putzigen Dinger. Meine Eltern waren strikt gegen ein Haustier. Ich aber spürte, dass sie es nicht verhindern konnten: Es würde der Tag kommen, an dem die japanischen Tanzmäuse ihre Runden auch bei uns zu Hause drehten.

Japanische Tanzmäuse sind noch kleiner als weiße Mäuse, haben mittellange rosa Schwänzchen und passen sogar auf die Handfläche kleiner Kinder. Eigentlich waren sie nicht mal richtig teuer: Eine Maus kostete zwölf Mark. Natürlich musste man noch in Käfig, Ausstattung und Futter investieren.

«Die stinken!», sagte meine Mutter. Das brachte mich zum Weinen. «Nein, nein, nein, du stinkst!», schlug ich zurück. Zugegeben, die Mäuse kackten tatsächlich ab und zu in das fein geschnittene Stroh in ihrem Käfig. Aber warum, in aller Welt, sollten diese Minimäuse-Häuflein stinken? «Die schlafen tagsüber», meinte mein Vater, «und tanzen nur nachts, wenn du schläfst. Das macht doch keinen Sinn!» – «Ich werde die nicht schlafen lassen», parierte ich auch hier selbstbewusst, «ich wecke sie! Die tanzen den ganzen Tag nur für mich, und außerdem laufen sie hier im Laden doch auch tagsüber im Kreis!»

Allerdings hatte mein Vater damals recht: Japanische Tanzmäuse schlafen tagsüber und werden erst in der Nacht aktiv. Für Kinder sind sie als Haustiere also eher ungeeignet. Mittlerweile sind die Zucht und der Verkauf in Deutschland sowieso verboten. Die Mäuse haben einen angezüchteten Gendefekt. Eine hervorgerufene Schädigung des Innenohrs macht sie gehörlos und zerstört ihren Gleichgewichtssinn. Das verleitet sie, immerzu im Kreis zu laufen. In Deutschland gilt das mittlerweile als Tierquälerei. 1974 spielte es wohl noch keine Rolle. Hätte ich das alles gewusst, wäre es mir wahrscheinlich auch egal gewesen. Für mich waren die Mäuse einfach nur klein, süß und extrem lebendig.

Wochen vergingen, in denen ich am Schaufenster dem Treiben der kleinen Nager zusah oder im Laden mit dem Verkäufer über Pflege, Nahrung und Verhalten der Minimäuse sprach. Ich besaß weder genügend Geld, um eine Maus, den Käfig und alles andere zu kaufen, noch hatte ich die Erlaubnis meiner Eltern. Andere Kinder hatten Hamster, Meerschweinchen, Kanarienvögel, Katzen oder sogar Hunde (die eigentlichen Könige unter den Haustieren) – mir wurde nicht mal eine Tanzmaus gegönnt.

Eines Tages stand ich wieder allein vor dem Laden und sah den Tanzdarbietungen meiner kleinen Freunde zu, als plötzlich eine ältere Dame neben mir stehen blieb. Dass jemand vor der Scheibe des Tiergeschäfts haltmachte, kam natürlich öfters vor. Aber diese Dame blieb erstaunlich lange dort stehen, beobachtete die Mäuse und zwischendurch auch immer wieder mich. Irgendwann sahen wir uns beide an. «Gefallen dir die Mäuse?», fragte sie. Ich nickte und antwortete: «Die sind so süß. So eine will ich auch haben!» Die Frau lächelte verständnisvoll. «Ich habe bei einer Tombola einen Gutschein für zwei Tanzmäuse mit Käfig gewonnen. Leider kann ich mich nicht um die Mäuse kümmern. Möchtest du den Gutschein haben?»

Was für eine Frage – natürlich wollte ich! Ich konnte mein Glück kaum fassen. Ich lief, ich sprang, ich tanzte und sang, bis ich zu Hause war, wo ich meinen Eltern freudestrahlend den Gutschein unter die Nase hielt. Die waren natürlich fassungslos – ihr Widerstand aber war gebrochen. Bereits am nächsten Tag zwang ich sie ins Tiergeschäft. Dort suchte ich mir zwei Tanzmäuse aus: Eine war fast weiß und hatte nur ein paar schwarze Punkte auf dem Kopf, die andere hatte zwei große, fast quadratische schwarze Flecken auf dem Rücken. Dazu bekam ich einen Käfig aus Plexiglas, der halb so groß war wie ein Bierkasten. Außerdem kauften wir noch Streu, Futter und zwei kleine Porzellanfutterschälchen.

Wir transportierten die Mäuse in einer Pappschachtel nach Hause, die während der Autofahrt auf meinem Schoß ruhte. Im Kinderzimmer ließ ich die beiden sofort frei. Anders als erwartet tanzten sie nicht, sondern versteckten sich unter dem Kleiderschrank. Meine Mutter füllte derweil die Streu in den Käfig, in die eine Futterschale Körner und in die andere Wasser. «Ich mache das nur das erste Mal!», sagte sie streng und stellte den Käfig in mein Kinderzimmerregal. «Kein Problem, ich mache das gern!», antwortete ich, während ich versuchte, die Mäuse wieder einzufangen, was mir lange nicht gelang. Irgendwann eierten sie unter dem Schrank hervor, sodass ich sie packen und in ihren Käfig setzen konnte. Jetzt musste ich den zweien nur noch Namen geben. Feierlich trat ich vor den Käfig und sprach: «Hiermit taufe ich euch auf die Namen Max und Moritz!»

Als es Zeit war, schlafen zu gehen, begannen die Mäuse plötzlich wie wahnsinnig in ihrem Käfig herumzurasen. Immer wieder drehten sie sich im Kreis und machten einen Höllenlärm. «Ihr müsst jetzt auch schlafen», ermahnte ich die beiden, «morgen ist Schule!» Den Mäusen war offenbar egal, was ich sagte, denn sie setzten ihre Runden unbeirrt fort. Ich konnte nicht einschlafen. Schließlich beschloss ich, meine Eltern zu holen. Mein Vater kam ins Kinderzimmer, griff sich den Käfig und stellte ihn kurz entschlossen auf den Balkon. Jetzt war Ruhe.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, lief ich gleich nach draußen zu den Mäusen. Max und Moritz lagen wie tot nebeneinander im Käfig. Sie waren doch nicht etwa erfroren?! Es war gar nicht so kalt gewesen! Mir stockte der Atem. Aber ich beruhigte mich schnell wieder: Wenn man genau hinsah, konnte man die kleinen Herzen von Max und Moritz schlagen sehen. Die Tiere schliefen tief, und das taten sie auch noch, als ich wieder aus der Schule kam. Ich versuchte sie zu wecken, aber sie streckten sich nur und liefen einmal im Kreis, bevor sie sich wieder hinlegten.

Gegen Abend wurden sie immer munterer und rasten bald wie irre im Kreis. In seltenen Pausen tranken und fraßen sie oder pinkelten und kackten ihren Käfig voll. Am darauffolgenden Morgen waren sie dann wieder wie tot. Nach einer Woche ödeten mich die beiden Gesellen nur noch an.

Eines Nachmittags besuchte ich einen Freund, der selbst Mäuse hielt – allerdings keine japanischen Tanzmäuse, sondern weiße Mäuse. Davon hatte er eine ganze Menge, im Keller des Hauses standen mehrere Käfige. Bereits in der Schule hatten wir einen tollen Plan ausgeheckt: Wir wollten für zwei der weißen Mäuse kleine Fallschirme aus Taschentüchern basteln und diese dann mit Raketen, die vom letzten Silvesterabend übrig geblieben waren, in die Luft schießen. Die Mini-Fallschirmspringer sollten dann zur Erde zurücksegeln. Wir verknoteten die Tuchenden mit Nylonfäden und knüpften Schlaufen, die wir den beiden umlegen wollten.

Den Weg zur Abschussrampe legten die zwei Mäuse in der Transportschachtel meiner Tanzmäuse zurück. Wir fuhren mit unseren Fahrrädern zu einem abgelegenen Waldstück mit einer großen Lichtung. Die Mäuse ahnten wohl, dass ein aufregendes Abenteuer auf sie wartete. Nachdem wir angekommen waren, sahen wir, dass sie sich diverse Male in der Schachtel erleichtert hatten.

Wir machten eine Rakete startklar und tauften die erste Astronauten-Maus auf den Namen «Armstrong». Als wir ihr den Fallschirm anlegen wollten, wehrte sie sich und versuchte, die Fäden durchzubeißen. Erfolglos. Wir hängten das Tuch mit dem zappelnden Armstrong an die Spitze der Rakete, dann verabschiedeten wir den kleinen Astronauten: «Houston, Mission Control: zehn, neun, acht, sieben, sechs, fünf, vier, drei, zwei, eins, null!» Ich lief zur Rakete und hielt das Feuerzeug unter die Zündschnur.

Es qualmte und zischte. Für kurze Zeit war kaum mehr etwas zu erkennen, dann verzog sich langsam der Rauch. Dort, wo eben noch die Rakete im Boden gesteckt hatte, konnte man eine Maus entdecken, die mühsam einen kleinen Fallschirm hinter sich her zog. Offensichtlich hatte sie sich kurz vor dem Start der Rakete befreien können.

Entschlossen packte ich die zweite Rakete aus, mein Freund fing in der Zwischenzeit Armstrong ein. Der kleine Astronaut zitterte am ganzen Körper. Davon ungerührt drapierten wir den Fallschirm ein weiteres Mal an der Spitze der Rakete. Wir salutierten und fingen an, den Startcountdown herunterzuzählen. Ich zündete die Zündschnur schon bei «fünf» und streichelte Armstrong noch mal zur Beruhigung über den Rücken. Kurz vor «Null» startete die Rakete. Diesmal blieb nichts auf dem Boden zurück. Die Mausmission hatte begonnen – nur ein kleiner Schritt für uns, aber ein großer Schritt für die Mausheit.

Früher als erwartet kam etwas vom Himmel gefallen. Der Fallschirm war offenbar nicht aufgegangen. Armstrong hatte keine weiche Landung, war aber auch nicht besonders tief gefallen, ein paar Meter vielleicht. Er hatte überlebt. Enttäuscht beendeten wir unser Projekt der Eroberung fremder Welten durch Mäuse und fuhren zurück nach Hause. Immerhin, sicher hatte Armstrong den anderen Mäusen einiges zu erzählen.

Als wir wieder im Keller bei den Mäusen waren, fiel mir in den Käfigen weiße Watte auf. Mein Freund erklärte mir, die Mäuse würden sich darin zum Schlafen einrollen. Beim Abschied gab er mir für meine Tanzmäuse etwas davon mit. Ich hoffte, dass Max und Moritz darin besser schlafen könnten. Noch am gleichen Tag säuberte ich ihre Behausung und machte ihnen neben ihrer Streu ein schönes Bett. Am nächsten Morgen lagen die beiden gemütlich eingerollt in der weißen Mäusewatte.

In der Schule erwartete mich eine erschreckende Nachricht: Armstrong hatte die Nacht nicht überlebt. Wahrscheinlich war er bei den missglückten Starts doch schwerer verletzt worden, als wir dachten. Nun lagen seine sterblichen Überreste in einen Waschlappen gewickelt im Schulranzen meines Freundes. Nach der Schule beerdigten wir ihn feierlich in der Nähe der Raketenabschussrampe. Da wir keine andere Hymne kannten und nicht wussten, welcher Nationalität der tote Maustronaut Armstrong angehört hatte, summten wir die amerikanische – oder das, was wir dafür hielten –, während wir ihn verscharrten.

Betrübt ging ich nach Hause. Wir hatten Armstrong nichts Böses antun wollen, aber irgendwie fühlte ich mich für seinen Tod verantwortlich. Zurück in meinem Zimmer, betrachtete ich den Käfig. Max und Moritz schliefen friedlich und fest in der neuen Watte.

Als sie am frühen Abend wieder begannen im Kreis zu laufen, fiel mir auf, dass Max Teile der Watte mit sich herumschleppte. Ich nahm ihn aus dem Käfig und versuchte, die Watte vom Mäusebein zu entfernen. Das ging auch ganz gut, bis auf einen ganz kleinen Teil, der sich durch das ständige Herumlaufen sehr eng und fest um das Bein gelegt hatte. Ich beließ es dabei, in diesem Augenblick schien mir das nicht so wichtig.

Erst am Abend darauf, als Max und Moritz wieder wie irre durch den Käfig flitzten, bemerkte ich, dass das Bein von Max leicht angeschwollen war. Bei genauerer Betrachtung konnte man sehen, dass die Watte das Bein abschnürte. Durch die Schwellung war es allerdings unmöglich, sie zu entfernen. Einen Tag später hatte Max bereits erkennbar Probleme, die Kreisbahnen in hohem Tempo zu laufen. Das linke Bein war nun im oberen Bereich fast so dick wie ein kleiner Finger, unter der Abschnürung wirkte es dürr, farblich verändert und kraftlos. Er eierte eher um die Kurven. Ich ging mit Tränen in den Augen schlafen. Erst vor kurzem hatten wir Armstrong getötet, und nun ging es Max schlecht.

Der nächste Abend war noch schrecklicher. Es tanzte nur Moritz, Max war zwar wach, konnte aber mit dem monströs angeschwollenen Bein nicht laufen. Der Stummel hatte inzwischen eine dunkle, fast schwarze Färbung angenommen und fühlte sich merkwürdig rau und trocken an. Beim Abendessen lobten mich meine Eltern dafür, wie gut ich für Max und Moritz sorgte. «Wir waren nicht sicher, ob du dich wirklich um ein Tier kümmern würdest», gab meine Mutter zu. Ich sprang auf und lief zu den Mäusen. Meine Eltern sollten nicht sehen, wie sehr ich mich schämte.

Am nächsten Tag rannten beide wieder durch den Käfig, als sei nichts gewesen. An Max’ Bein war zwar die monströse Schwellung verschwunden, dafür war der untere Teil jetzt tiefschwarz. Ich war kein Mediziner und auch kein Erwachsener, aber ich traute mir eine Diagnose zu: Der untere Bereich des Beins musste wohl abgestorben sein. Zum Glück wusste ich, was zu tun war: Ich ging ins Badezimmer, holte die Nagelschere, nahm Max aus dem Käfig, hielt ihn fest und schnitt das kleine schwarze Stück, das einmal ein Unterschenkel mit Fuß gewesen war, einfach ab. Das ging so einfach, als würde ich durch Papier schneiden, es blutete nicht, und es lief auch sonst nichts aus. Dann lief ich mit Max ins Badezimmer und sprühte zur Desinfektion das Aftershave meines Vaters auf den Beinstummel. In Abenteuerfilmen hatte ich gesehen, dass man Verletzungen auch ausbrennen konnte, um Entzündungen zu verhindern, aber ich hätte Angst gehabt, Max dabei abzufackeln. Danach setzte ich ihn wieder in den Käfig.

Obwohl er gerade eine ambulante Amputation hinter sich gebracht hatte, fing er sofort wieder an, im Kreis zu laufen. Ich fühlte mich wesentlich besser und hoffte, dass Max nicht mehr zu viel leiden musste. Den abgeschnittenen Unterschenkel wickelte ich in Klopapier und nahm ihn am nächsten Tag mit in die Schule. Zusammen mit meinem Freund beerdigte ich das Bein neben Amstrongs Grab. Max ging es von Tag zu Tag besser. Irgendwann lief er wieder so, als hätte er noch alle seine Extremitäten. Meine Eltern haben das fehlende Bein nie bemerkt. Wenn man sich die kleine Maus nicht genau ansah, konnte man es auch kaum erkennen.

Max und Moritz wurden leider trotzdem nicht alt. An einem schönen Frühlingstag nahm ich sie mit zum Fußballspielen und stellte den Käfig, der oben offen war, in den Schatten. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass Katzen durch die Gegend streunten – und kam zu spät. Moritz hatte keine Chance. Ich fand ihn mit durchgebissenem Nacken im Käfig. Max hätte wohl flüchten können, wäre er nicht gehandicapt gewesen. Auch er lag tot im Gras. Mein Vater hielt mir am Abend eine Gardinenpredigt darüber, was es heiße, Verantwortung zu übernehmen. Ich sagte nichts und dachte mir nur: «Wenn du wüsstest, wie ich in einer Notoperation um meine Maus gekämpft habe.» Erzählen wollte ich ihm davon aber nicht. Wahrscheinlich hätte es Ärger gegeben, weil ich seine Nagelschere und sein Aftershave dafür benutzt hatte.

Wir hatten danach noch viele Haustiere, darunter sogar einen Hund. Ich habe allerdings nie wieder welche in die Luft geschossen oder sie selbst operiert. R.S.

Das erste Mal Fahrrad fahren

Ich erinnere mich noch genau: Wir saßen zu viert am Tisch und frühstückten. Monika, Dietmar, Peter und ich. Still kauten wir unsere mitgebrachten Brote. Alle aus Weißmehl, alle mit dick Butter und Wurst. Nur Monika hatte Käse. Ich würgte an der Blutwurst rum, die ich nicht mochte, wegen ihrer Farbe aber immerhin interessant fand. Bevor ich den Geschmack im Mund runterspülen konnte, musste ich erst einmal die runzlige Haut auf der warmen Milch beiseiteschieben. Kurzum: Ich hatte zu tun und war übel gelaunt.

Das Gespräch am Tisch war ohnehin versiegt, seit Monika bei uns war. Wo Monika war, war immer Ärger. Frau Lohmann, unsere Kindergärtnerin, hatte es auf sie abgesehen. Und es kam noch schlimmer: Dietmar sprach mich auf mein Fahrrad an. «Fährst du eigentlich noch mit Stützrädern?» Pause. Genüssliches Schmatzen. «Ich nämlich nicht!»

Verdammt, wie peinlich. Ich war ertappt und Dietmar gerade dabei, mich im großen Stil vorzuführen. Ich sagte, er sei ein Stinkepups. Monika lachte laut und hämisch. Sofort stand Frau Lohmann neben ihr. «Was habe ich gesagt, Monika? Was habe ich gesagt?» Sie griff Monika, die wie immer reflexartig zu weinen begann, am Arm und zog sie in Richtung Heizungskeller. «Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass wir beim Frühstück essen? Essen. Und nur essen. Wir regen uns nicht auf, wir lachen nicht. Wir beruhigen uns. Und du wirst dich jetzt im Heizungskeller beruhigen.» Beide verschwanden im Gang, während Frau Lohmann in ihrer Kitteltasche nach dem Pflaster kramte, das sie Monika auf den Mund kleben würde. Tür zum Heizungskeller auf, Kind rein, Tür zu.

Alle kauten betroffen. Ich hatte doppeltes Glück: Ich saß noch auf meinem Stühlchen und weinte nicht mit Pflaster vor dem Mund im Dunkeln. Und, fast noch wichtiger, meine fehlenden Radelkünste waren vom Tisch. Ich schwor mir trotzdem, diesem Makel sofort abzuhelfen. Gleich am Nachmittag wollte ich meine Mutti bitten, die Stützräder zu entfernen. Jeder wusste, Fahrrad fahren mit Stützrädern ist kein richtiges Fahrrad fahren, sondern eher so, als führe man einen Rolls-Royce, den ein Esel zieht. Allerdings scheint, wie ich bald lernen sollte, der Entwicklung jeder kulturellen Fertigkeit großes Leid vorauszugehen – im Großen wie im Kleinen.

 

Jahrtausendelang besorgten Vierfüßler den Transport. Pferde, Mulis, Ochsen und in exotischeren Gefilden auch Elefanten, Kamele und andere Höckertiere quälten sich mit Menschen und anderen Lasten. Dann kam der Winter 1815/16. Die Ernten der vorangegangenen Jahre waren schon mager gewesen; die nun folgenden zwölf Monate erhielten den Namen «Jahr ohne Sommer». Die Temperaturen lagen permanent drei bis vier Grad unter dem Durchschnitt. Die Ernteausfälle waren verheerend. Die eisige Kälte legte die Häfen lahm, auch über den Seeweg konnte der Ausfall der Ernte nicht ausgeglichen werden. Überall in Europa herrschte Hungersnot.

Die Ursache für diese Katastrophe fanden Wissenschaftler erst im späten zwanzigsten Jahrhundert: Der Vulkan Tambora war 1815 auf der indonesischen Insel Sumbawa ausgebrochen. Manche behaupten, bis zu dreihundert Kubikkilometer Staub seien in der Folge durch die Atmosphäre gezogen. Im darauffolgenden Jahr verdunkelte sich in der nördlichen Hemisphäre der Himmel, und der Ruß schob sich vor die Sonne. Die Menschen aßen Sauerampfer, Moos, Kettenhunde und Katzenfleisch. Für das Vieh blieb nichts über. Pferde starben en masse. Und während im Sommer Schnee fiel, grübelten die Menschen, wie sie ohne Pferd von A nach B kommen könnten.

Einer von ihnen war Karl Freiherr von Drais (1785–1851). Drais, ein Mannheimer Forstlehrer und Erfinder, legte am 12. Juni 1817 nach vierjähriger Vorarbeit mit einer fünfzig Pfund schweren Laufmaschine aus Holz eine Strecke von ungefähr fünfzehn Kilometern in gut einer Stunde zurück. Schon die erste Fahrt mit seiner später «Draisine» oder auch «Veloziped» genannten Maschine, berichtet die «Karlsruher Zeitung» am 1. August 1817, habe «mehrere Kunstliebhaber von der großen Schnelligkeit dieser sehr interessanten Fahrmaschine überzeugt». Noch im gleichen Jahr fügte Drais seiner Erfindung eine dosierbare Klotzbremse und einen Ständer hinzu und war auf der Strecke zwischen Karlsruhe und Kehl bei Straßburg schneller als die Postkutsche.

Schon bald begann in halb Europa der nicht lizenzierte Nachbau der Maschine. Abbildungen in deutschen Zeitungen machten einen Nach- oder Umbau leicht. Menschen mit großer «Balancierangst» erprobten auch drei- und vierrädrige Varianten. In England führten die wilden Wettfahrten früher Dandys auf den Trottoirs von London schon 1819 zu sozialer Ächtung. Schnell hatte das Veloziped europaweit erklärte Feinde; die erbosten Gegner waren, wie ein späterer Verfechter schreiben wird, vor allem «dicke Männer, Nachtwächter, alte Frauen, die Obrigkeit, der Mob, die königlichen Minister und die Pferde». Es hagelte Verbote.

Erst vier Jahrzehnte später tauchte das erste zweirädrige Gefährt mit Pedalen auf, das sogenannte Frontkurbelveloziped. Einen Fuß auf das Pedal, Stange zwischen die Beine, abstoßen, rollen, ganz aufsteigen, treten, los geht’s. Ein chinesischer Besucher der Weltausstellung 1867 in Paris berichtete staunend, auf den Straßen überall Maschinen angetroffen zu haben, die durch «Fuß-Pedalieren» wie galoppierende Pferde flitzten. In den siebziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts kam schließlich das Hochrad auf. Nur adlige Herrschaften konnten es sich leisten – sie betrieben Hochradfahren als Sport. Das große Vorderrad sorgte für höhere Geschwindigkeit, führte aber auch oft zu bösen Abgängen. Ein Schlagloch, und der Fahrer schoss über den Lenker hinaus. Schlimmstenfalls blieb er auch noch mit den Füßen hängen, sodass die Nase erst in die Speichen und dann der Rest des Körpers unters Fahrrad geriet.

Jede Technik hat ihre Tücken. Die Sicherheitsmängel meines eigenen Fahrrads lernte ich noch am selben Tag des Jahres 1968 kennen, an dem ich als Stützradfahrer und Nichtskönner entlarvt worden war. Ein älterer Spielkamerad demontierte vor der Haustür die Stützräder. Ich stieg auf, er hielt das Fahrrad am Gepäckträger fest, schob an, und ich eierte los. Die erste Runde um den Häuserblock verlief unfallfrei. Mir dämmerte allerdings schon während der zweiten Runde, dass das Bremsen ein echtes Problem darstellen könnte. Und siehe da, schnell wurde der Horror real. Fahrrad fährt, weil Junior tritt. Junior verunsichert, Fahrrad wackelt, Verunsicherung nimmt zu. Bremsung volles Karacho per Rücktritt. Und nun stellt sich plötzlich eine Frage, der man sich zuvor vollkommen unzureichend gewidmet hat: Wie lässt es sich motorisch anstellen, ein zum Stillstand strebendes Zweirad einerseits stabil zu halten und andererseits beide Füße auf den Boden zu bekommen?

Damals gab es in meiner Welt nur drei Fahrradtypen: das Klapprad, das Herrenrad und das unfassbar coole, aber ebenso nutzlose Bonanza-Rad mit Stangendreigangschaltung und Fuchsschwanz. Meine ahnungslosen Eltern hatten mich dagegen mit einem gebrauchten, roten Zweirad beschämt, das der Farbe nach ganz klar ein Mädchenrad war. Natürlich hatten sie es auf Zuwachs gekauft. Noch reichten meine beiden Fußspitzen nicht gleichzeitig auf den Boden, wenn ich den Rahmen gerade hielt. Nur wenn ich das Rad schräg hielt, war ans Aufsteigen überhaupt zu denken.

Ich erinnere mich auch an den folgenden Teil der Geschichte noch sehr genau (ich glaube, man nennt es einen Schmerzeindruck). Die erste Lektion, die ich fälschlich gelernt hatte, war: Wer bremst, bleibt stehen, und wer steht, fällt um. Das wollte ich in Zukunft bedenken.

Ich fahre also eine weitere Runde, und als mein Ziel in Sicht kommt, höre ich einfach auf zu treten. Das Rad wird langsamer, und ich schiebe mich vom Sattel, weil ich das Prinzip des Abstiegs bei gleichzeitiger Betätigung der Rücktrittbremse noch nicht verstanden habe. Ich lande mit beiden Füßen gleichzeitig auf dem Boden, diesmal, ohne die blöde Bremse zu benutzen. So bleibe ich einen Moment, einen sehr kurzen Moment stehen, dann schieben sich die Pedale von hinten in meine Beine und lassen mich mit den Knien in die Speichen des verdrehten Vorderrads fallen. Aua.

Woher der aufgeschürfte Ellbogen kam, weiß ich nicht mehr, aber die Narbe an meinem rechten Knie kann ich erklären. Als ich das rechte Bein wegziehen wollte, rammte ich mir den scharfkantigen Klingelknopf in die Haut über der Kniescheibe. Auch das ein technischer Fortschritt, den es damals noch nicht gab: Plastikversiegelung von messerscharfen Klingelknöpfen. Ich habe nicht geweint. Aber es hat weh getan.

Heute, dreiundvierzig Jahre später, will ich aus dieser Verletzung kein Riesending machen. Es gab keine Blutvergiftung, ich lebe noch. Kein Thema. Aber schön war’s nicht. Echt. Wenn Sie mich mal treffen: Fragen Sie nach der Narbe. Ich weiß es noch wie damals. Und doch war es nicht so schlimm wie die Folgen der ersten freihändigen Fahrt. Eigentlich auch kein Problem – wenn man vorher ausbaldowert, wie das Abbiegen geht. Ich zeig Ihnen das gern mal, nachdem Sie sich die Narbe angesehen haben. Nicht, dass Sie sich weh tun. V.W.

Der erste Kuss

Bis zu vierunddreißig Muskeln kommen laut wissenschaftlichen Untersuchungen zum Einsatz, wenn Menschen sich küssen. Pro Minute werden dabei zwanzig Kalorien verbrannt, und die Speicheldrüsen werden zu erhöhter Produktion angeregt. Gleichzeitig schütten Hoden und Eierstöcke wie wahnsinnig Sexualhormone aus. Das Herz beginnt schneller zu schlagen, die Atmung wird flacher, und die Bronchien vergrößern sich. Die Geschlechtsorgane werden stärker durchblutet, bei Frauen schwellen Klitoris und Schamlippen an, beim Mann kommt es zur Erektion – der Kuss ist die Vorbereitung des Sexualakts.

Allerdings nur beim Menschen. Schimpansen küssen sich zwar auch, tun dies aber eher selten: Sie nutzen den Kuss als Versöhnungsgeste nach einem Streit. Wie es menschheitsgeschichtlich zum Kuss kam, ist umstritten. Einige Forscher glauben, dass er aus einem Fütterungsritual hervorging, bei dem Nahrung von Mund zu Mund weitergegeben wurde. Andere meinen, dass der Kuss bei Erwachsenen eher der Erklärung gegenseitiger Sympathie dient, ähnlich wie das Genital- beziehungsweise Analschnüffeln bei anderen Säugetieren.

Pubertierende und eigentlich auch alle anderen Menschen sollten froh sein, dass sich der Homo sapiens für den Kuss entschieden hat. Man will sich gar nicht ausmalen, was im Frühling in den Parks abginge, wenn wir alle Analschnüffler wären.

Aber egal, wie und warum der Kuss sich entwickelt hat, er stellt auch ein Problem dar. Internetforen laufen über mit den Fragen Heranwachsender zu Kusstechniken und Gefahren für die Gesundheit. Immer wieder stößt man auch auf verzweifelte Geständnisse («Hilfe, ich bin vierzehn Jahre alt und noch ungeküsst!»). Der Kuss ist schließlich ein Initiationsritual des Erwachsenwerdens. Daher haben auch die wenigsten ein Problem, sich an ihren ersten Kuss zu erinnern.

 

Sie hieß Claudia, war blond und wunderschön. Und sie veränderte mein Leben radikal. Bereits als ich sie das erste Mal sah, wusste ich, wir würden zusammenkommen, heiraten und eine Familie gründen. Bevor ich sie getroffen hatte, war ich fast ausschließlich mit Jungs abgehangen und hatte mich an deren Spielchen beteiligt. All das bedeutete mir auf einmal nichts mehr. Ich sehnte mich nach Claudia, ihrem Lachen und der Art, wie sie mich anschaute.

Wann immer ich sie sah, versuchte ich, in ihrer Nähe zu sein. Wir hatten noch nie miteinander gesprochen. Wie es häufig bei solchen Mädchen der Fall ist, hatte sie eine unscheinbare Freundin, die sie ständig begleitete und deren Namen ich vergessen habe. Leider konnte mich diese Freundin offensichtlich nicht leiden. Immer wenn ich mich Claudia nähern wollte, zog sie ihre Freundin von mir weg. So verging die Zeit mit Träumerei.

Eines Tages war es dann doch so weit. Claudia stand plötzlich allein vor mir, ihre hässliche Freundin war wohl an diesem Tag krank. Ich war natürlich viel zu nervös, um irgendetwas zu sagen. Falls beim Küssen wirklich vierunddreißig Muskeln arbeiten, dann hatte ich in diesem Moment in allen vierunddreißig einen Muskelkrampf. Claudia dagegen blinzelte mich an und fragte: «Willst du Vater spielen?»

Ich jubilierte innerlich – natürlich wollte ich. Sie nahm mich an der Hand, und wir gingen spazieren. Nun lief ich mit der hübschesten Frau des Universums auf scheinbar endlos langen Wegen. Auch sie schien glücklich zu sein. Die anderen beobachteten uns. Wir versuchten, ihren neidischen Blicken zu entfliehen, bis wir etwas abseits stehen blieben. Claudia stellte sich vor mich und lächelte mich bezaubernd an. Dann trat sie noch dichter an mich heran, sie roch unglaublich gut, ich sah ihre Lippen immer näher kommen, meine Knie bebten, und schließlich presste sie ganz kurz ihren Mund auf meinen.

Mein erster Kuss. Ich fühlte mich erwachsen. Wir hatten uns heimlich geküsst, während die anderen ihre kindischen Spiele spielten. Claudias Lippen hatten nach salzigen Gummibärchen, nach Lakritz, Schokolade und Honig geschmeckt. Endlich war geschehen, was ich seit langer Zeit erhofft hatte. Mir war klar: Claudia und ich würden nun unser gemeinsames Leben planen. Viele Dinge waren zu erledigen. Wir mussten ein Aufgebot bestellen, Freunde und Verwandte zur Hochzeit einladen, eine gemeinsame Wohnung finden und natürlich unsere Eltern um Zustimmung bitten. Dieser Kuss, der nicht vergleichbar war mit den Küsschen von Mami, Tante oder Oma, war für mich der Beginn eines neuen Lebens.

Ehe ich wusste, wie mir geschah, schob ich zusammen mit Claudia einen Kinderwagen vor mir her. Im Kinderwagen lag unser Kind! Ich musste es an diesem Tag noch zweimal wickeln und bekam dafür jedes Mal einen Kuss.

Am nächsten Tag kam ihre Freundin wieder in den Kindergarten, und nun schoben die beiden mein Kind ohne mich durch die Gegend. Ich hing wieder mit den Jungs herum, die sich über mich lustig machten, weil ich am Tag zuvor wie ein Mädchen eine Puppe gewickelt und einen Kinderwagen vor mir hergeschoben hatte. Die Küsserei mit Claudia fanden sie eklig. Aber was wussten die mit ihren fünf Jahren schon vom Leben. R.S.

Das erste Mal recht haben

Manchmal hört man einen Satz, den man nie wieder vergisst. Einen Satz, der zu einem passt wie das Gürkchen in die Sülze. Je knackiger, desto besser.

Während einer psychologischen Fortbildung, an der ich teilnahm, klagte eine Frau darüber, von der Schwester um ihr Erbe betrogen worden zu sein. Ausführlich schilderte sie, welche Kniffe und Tricks ihre Schwester angewandt hätte, um es ja nicht teilen zu müssen. Die erste Frage der Kursleiterin war: «Wem gehört das Geld jetzt?» Es brauchte dreißig Minuten des Lamentierens, bis die Frau einräumen konnte, dass das Geld nun rechtlich gesehen ihrer Schwester gehörte. Egal, wie es dazu gekommen war. Die beiden erörterten die Situation noch etwas weiter, und schließlich sagte die Kursleiterin dann folgenden Satz: «Es gibt im Leben immer zwei Möglichkeiten: Entweder man hat recht, oder es funktioniert!» Bingo.

Der Frau, die leer ausgegangen war, fiel es am Ende des Gesprächs leichter, sich ihre Niederlage einzugestehen, und sie musste ihrer Schwester nicht länger grollen. Damit war sie immer noch nicht reicher, aber es ging ihr zumindest besser. Im Laufe der Zeit hat sich dieser Satz mir eingebrannt. Ich habe ihn danach in zig Varianten immer mal wieder gehört oder gelesen. Mein innerer Zensor spult ihn jetzt so ab: «Entweder ich habe recht, oder es läuft rund.» Andere würden sagen: Man hat manchmal die Wahl zwischen Gerechtigkeit und Frieden. Beides hat seinen Preis. Eine Sichtweise, die das Leben erheblich vereinfacht, weil man zu einem gewissen Grad selbst bestimmen kann, wie man die Dinge erlebt, und sich nicht mehr nur als Opfer anderer Leute versteht. Sie ahnen schon, worauf ich hinauswill: Recht haben allein nutzt gar nichts.

Das lässt sich mit einem kurzen Blick auf mein bescheidenes Leben leicht zeigen. Bereits in der ersten Klasse bürdete die Lehrerin uns Wochenhausaufgaben im Fach Rechnen auf. Da waren sehr viele kleine Kästchen, in die ich mit blauer Tinte zittrige Zahlen klecksen musste, um unterm Strich nichts anderes herauszubekommen als noch mehr Gekrakel, das wiederum mit dem Tintenkiller bearbeitet werden musste. Viele, viele Additionsaufgaben. In meinem DIN-A5