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Hast du dich jemals gefragt: "Was wäre, wenn?" Was wäre passiert, wenn du damals anders entschieden hättest? Den Anruf doch getätigt, den Kuss gewagt, den anderen Weg eingeschlagen hättest? Stell dir vor, es gibt Orte, versteckt im Alltäglichen – eine rostige Zapfsäule, eine vergessene Jukebox, ein alter Kinosessel –, die mehr sind als sie scheinen. Sie sind "Oltimer-Portale". Und sie führen dich nicht an ferne Orte, sondern direkt in die verpassten Abzweigungen deines eigenen Lebens. In diesen Kurzgeschichten stolpern ganz normale Menschen wie du und ich zufällig über solche Portale und erleben hautnah, wie ihr Leben hätte verlaufen können. Mal tragisch, mal komisch, mal zutiefst berührend – jede Geschichte erkundet die Faszination und die Gefahr dieser Reisen ins Hätte-sein-können. Begleite Lena, Finn, Clara und andere auf ihrer Konfrontation mit Reue, Neugier und der Erkenntnis, dass selbst die kleinste Entscheidung Wellen schlägt, die wir uns nie erträumt hätten. Bist du bereit, einen Blick durch das Portal zu werfen?
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Seitenzahl: 90
Veröffentlichungsjahr: 2025
Das Flüstern der Möglichkeiten
Impressum
© 2025 Joris Plettscher
Druck und Distribution im Auftrag des Autors:tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: Joris Plettscher, Büschen 31, 41334 Nettetal, Deutschland.
Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]
Inhaltsverzeichnis
Die rostige Zapfsäule und der verpasste Kuss
Der stumme Plattenspieler des Rockstars, der keiner war
Im Kinosessel der anderen Premiere
Das Telefonhäuschen ohne Rückruf
Als die Bahnhofsuhr rückwärts lief
Der vergessene Liebesbrief im alten Postkasten
Die Nähmaschine, die ein anderes Leben webte
Unter der Laterne, wo ich nie wartete
Der Sessellift zur falschen Gipfelentscheidung
Die Jukebox der zweiten Chance
Der letzte Oltimer
Die rostige Zapfsäule und der verpasste Kuss
Der Regen trommelte einen müden Rhythmus auf das Dach von Lenas Kompaktwagen. Ein weiterer Mittwochabend kroch durch den Feierabendstau, eine zähe Masse aus Blech, Scheinwerferlicht und kollektiver Erschöpfung. Lena starrte auf die roten Rücklichter vor ihr, die im nassen Asphalt verschwammen. Im Radio dudelte irgendein Popsong, austauschbar und belanglos. Sie kannte das Gefühl nur zu gut: diese bleierne Schwere in den Gliedern, der Kopf voller unerledigter Aufgaben – der Einkauf, das Abendessen kochen, die Präsentation für Freitag vorbereiten. Ihr Blick wanderte durch den Innenraum ihres Autos. Praktisch war er, ja. Aufgeräumt. Aber ohne jede persönliche Note, fast steril. Ein Abbild ihres Lebens, kam es ihr manchmal vor. Funktionieren musste es, das war die Hauptsache. Aber etwas fehlte. Ein leises, undefinierbares Summen der Unzufriedenheit tief in ihr, das sie meist erfolgreich ignorierte. Sie war kompetent, ja, das wusste sie. Aber sie war auch müde. So unsäglich müde.Dann geschah es. Zwischen zwei Werbespots, ohne Vorwarnung, erklang dieses Lied. Eine verwaschene Gitarrenmelodie, ein sehnsüchtiger Gesang, der sie direkt in eine andere Zeit katapultierte. Schlagartig war sie nicht mehr im Stau auf der nassen Bundesstraße, sondern an einem lauen Sommerabend vor über zwanzig Jahren. Eine Party am See, Fackellicht tanzte auf dem Wasser, das Lachen von Freunden, das Zirpen der Grillen. Und da war Ben. Seine dunklen Augen, die sie im flackernden Licht musterten, das Zögern in seiner Haltung, die unausgesprochene Frage, die schwer in der Luft hing. Sie sah sich selbst, wie sie dastand, das Herz bis zum Hals schlagend, und dann – eine winzige Bewegung nur – den Kopf schüttelte, einen kleinen Schritt zurückwich. Nicht weil sie nicht gewollt hätte. Oh nein. Sondern aus einer dummen Mischung aus Schüchternheit und der plötzlichen Angst vor der Wucht dessen, was dieser Kuss hätte bedeuten können. Der Moment verstrich. Ben lächelte kurz, ein wenig traurig, wandte sich ab. Der Kuss, der nie stattfand. Ein Stich, kurz und heftig, durchfuhr Lena jetzt, Jahrzehnte später, im grauen Regen. Was wäre gewesen, wenn...? Die alte, quälende Frage brannte wieder auf ihrer Zunge.Genug. Sie konnte den Stau nicht mehr ertragen, nicht mit diesem Lied, dieser Erinnerung im Kopf. Eine plötzliche Rebellion überkam sie. Bei der nächsten Möglichkeit riss sie das Lenkrad herum und bog auf eine schmale Landstraße ab, von der sie nicht einmal genau wusste, wohin sie führte. Hauptsache weg von dieser Blechlawine. Die Gegend wurde schnell ruhiger, ländlicher. Felder zogen vorbei, kleine Wäldchen. Die Sonne, die sich gerade durch die Wolken kämpfte, tauchte die Landschaft in ein goldenes, fast unwirkliches Licht. Und dann sah sie sie: eine alte, verlassene Tankstelle am Straßenrand. Zwei rostige Zapfsäulen standen da wie vergessene Wächter, das Dach des kleinen Kassenhäuschens war teilweise eingestürzt, Gras und Unkraut wucherten durch Risse im Beton. Etwas an diesem Ort der Stille und des Verfalls zog sie magisch an. Sie wurde langsamer, hielt schließlich am Rand der Zufahrt an und stellte den Motor ab.Die Stille war fast ohrenbetäubend nach dem Lärm des Verkehrs und des Radios. Nur das leise Zirpen von Insekten und der Wind, der durch die hohen Gräser strich. Lena stieg aus. Die Luft war kühl und roch nach feuchter Erde und etwas anderem, undefinierbar Altem. Langsam ging sie auf die Zapfsäulen zu. Der Lack blätterte in großen Schuppen ab, Rost hatte tiefe Narben ins Metall gefressen. Relikte einer längst vergangenen Ära. Eine vage Erinnerung blitzte auf – war sie nicht mal mit Ben hier gewesen, auf einem ihrer Ausflüge, damals? Oder war es eine andere, ähnliche Tankstelle? Sie wusste es nicht mehr genau. Aus einer plötzlichen Eingebung heraus, einer fast kindlichen Neugier, streckte sie die Hand aus und legte sie auf den kalten, verwitterten Metallgriff des einen Zapfhahns. Ein seltsames Kribbeln fuhr ihr durch den Arm, kein Schmerz, eher wie eine schwache elektrische Ladung. Die Luft um sie herum schien für einen Moment zu vibrieren, zu flimmern. Ein ganz leises, hohes Summen lag in der Luft, so subtil, dass sie nicht sicher war, ob sie es sich nur einbildete.Es gab keinen Ruck, keinen Sog, kein dramatisches Ereignis. Es war eher, als würde die Welt um sie herum kurz den Fokus verlieren, wie ein alter Filmstreifen, der durch den Projektor ruckelt. Die Geräusche veränderten sich. Das Zirpen der Grillen schwoll an, wurde dann leiser, vermischte sich mit fernen, unverständlichen Stimmen. Der Geruch von Moder und altem Benzin verblasste, stattdessen roch es plötzlich nach frisch gemähtem Gras und... Kaffee? Ein leichter Schwindel erfasste sie, sie musste blinzeln, schloss für einen Moment die Augen, um das Gleichgewicht wiederzufinden.Als sie die Augen wieder öffnete, war die Tankstelle verschwunden. Sie stand mitten in einem Wohnzimmer. Hell, freundlich, lichtdurchflutet. Große Fenster gaben den Blick auf einen gepflegten Garten frei. Es war definitiv nicht ihr Wohnzimmer, und doch fühlte es sich auf eine unheimliche Art vertraut an. An den Wänden hingen Fotos. Sie erkannte sich selbst darauf, lachend, entspannt. Neben ihr: Ben. Am Strand, Arm in Arm. Auf einer Hochzeitstorte anschneidend – ihrer Hochzeit? Auf einem anderen Bild hielten sie zwei Kinder im Arm, ein Mädchen und einen Jungen, beide mit Bens dunklen Augen, beide völlig fremd für sie. Sie blickte an sich herunter. Sie trug andere Kleidung. Eine weiche Jeans, ein bequemer Pullover in einer Farbe, die sie normalerweise nie wählen würde. Sie ging zu einem großen Spiegel über dem Kamin. Ja, das war sie, Mitte vierzig. Aber die feinen Linien um ihre Augen schienen weicher, ihr Ausdruck war... anders. Nicht mehr diese unterschwellige Erschöpfung, sondern etwas Ruhigeres, vielleicht sogar Zufriedeneres. Ihr Haar fiel ihr offen über die Schultern.Vorsichtig, wie eine Einbrecherin im eigenen, fremden Leben, bewegte sie sich durch den Raum. Ihre Finger strichen über die glatte Oberfläche eines Holztisches, über die Buchrücken im Regal – Romane, die sie nie gelesen hatte, Reiseführer für Orte, an denen sie nie gewesen war. Am Kühlschrank in der offenen Küche hingen Kinderzeichnungen und ein Stundenplan. Ein gelebtes, atmendes Familienleben. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. War das also das Ergebnis? Das Leben, das nach dem Kuss gekommen wäre? Ein Gefühl von ungläubigem Staunen mischte sich mit einer tiefen Verwirrung und einem schmerzhaften Stich von Neid. Dieses aufgeräumte Chaos, diese Wärme... Dann hörte sie Schritte im Obergeschoss. Jemand kam die Treppe herunter. Panik schnürte ihr die Kehle zu. Was sollte sie sagen? Wer war sie hier? Wie sollte sie sich verhalten?Bevor sie fliehen oder sich verstecken konnte, fiel ihr Blick auf einen aufgeklappten Laptop, der auf einem kleinen Schreibtisch in einer Ecke stand. Eine E-Mail war auf dem Bildschirm geöffnet. Sie trat näher, überflog die Zeilen. Der Absender war eine Anwaltskanzlei. Der Betreff lautete unmissverständlich: "Terminvereinbarung Scheidungsangelegenheit – Lena & Benjamin K." Scheidung? Sie und Ben? Das passte nicht zu den strahlenden Gesichtern auf den Fotos, zu der gemütlichen Atmosphäre des Hauses. Gleichzeitig hörte sie durch die halb geöffnete Tür zum Flur Bens Stimme. Er telefonierte, sprach leise, aber seine Stimme klang angespannt, gereizt. Es ging um Geld, um überzogene Konten, um unbezahlte Rechnungen. Der goldene Glanz dieses vermeintlich perfekten Lebens bekam plötzlich tiefe Risse. Die Erkenntnis traf sie nicht wie ein Schlag, sondern sickerte langsam und kalt in ihr Bewusstsein: Auch dieses Leben war nicht frei von Sorgen, von Brüchen, von Enttäuschungen. Anders, ja. Aber nicht zwangsläufig besser.Der Klang von Bens angespannter Stimme oder der Schock über das Wort "Scheidung" schien etwas auszulösen. Erneut dieses feine Flimmern vor ihren Augen, der kurze, heftige Schwindel. Das Wohnzimmer mit seinen Fotos und dem Laptop begann sich aufzulösen, die Konturen verschwammen wie Rauch im Wind. Sie spürte wieder das kalte, rostige Metall unter ihrer Handfläche. Der Geruch von feuchter Erde, Moder und dem Hauch von altem Benzin kehrte zurück.Sie stand wieder an der verlassenen Tankstelle. Die Sonne war inzwischen fast untergegangen und tauchte den Himmel in dramatische Rot- und Orangetöne. Ihr Herz hämmerte noch immer wild gegen ihre Rippen. Sie hob ihre Hände, betrachtete sie. Es waren ihre Hände, in ihrer gewohnten, praktischen Kleidung. War das alles nur ein unglaublich lebhafter Traum gewesen? Eine Halluzination, ausgelöst durch Müdigkeit und das alte Lied? Aber es hatte sich so echt angefühlt. Die Wärme des Wohnzimmers, die Gesichter auf den Fotos, der kalte Schock der E-Mail, Bens Stimme... Widersprüchliche Bilder und Gefühle jagten durch ihren Kopf. Sie blickte zu der rostigen Zapfsäule, deren Griff sie immer noch umklammert hielt, als wäre er ein Anker in der wirklichen Welt. Dann schaute sie zur Straße hinüber, wo ihr unauffälliges Auto wie ein Vorwurf wartete, sie zurück in ihr normales Leben zu bringen. Sie atmete tief die kühle Abendluft ein. Staub tanzte in den letzten Sonnenstrahlen über dem rissigen Beton. Sie rührte sich nicht. Stand einfach da, in der Dämmerung, zwischen zwei Welten, verwirrt und leise erschüttert, und wusste nicht, was als Nächstes kommen würde.
Der stumme Plattenspieler des Rockstars, der keiner war
Jonas schob sich durch die engen, überfüllten Gänge des Trödelladens, einem Labyrinth aus vergessenen Leben und ausrangierten Dingen. Es roch nach Staub, altem Papier und dem undefinierbaren Mief von Jahrzehnten. Er war ohne bestimmtes Ziel hier, suchte vielleicht nur eine Flucht vor der Sonntagnachmittagsstille seiner ordentlichen, aber irgendwie leblosen Wohnung. Sein Blick glitt über Porzellanfiguren mit abgeschlagenen Nasen, Stapel vergilbter Postkarten, Werkzeuge, deren Zweck sich ihm nicht erschloss. Und dann blieb er hängen. Auf einem wackeligen Tischchen, eingekeilt zwischen einer Kiste mit rostigen Nägeln und einem Stapel Schlager-Singles, stand er: ein Plattenspieler. Schweres Holzfurnier, eine leicht verkratzte Plexiglashaube, das Design unverkennbar späte Siebziger. Dem Tonarm fehlte die Nadel. Er war stumm. Aber Jonas' Herz setzte einen Schlag aus. Er kannte dieses Modell. Oder zumindest eines, das ihm bis aufs Haar glich. Es war sein Plattenspieler von damals. Der, auf dem die ersten, selbst aufgenommenen Demotapes seiner Band "Nebelsignal" gelaufen waren, bis das Band leierte. Der stumme Zeuge nächtelanger Sessions im feuchtkalten Proberaum, vollgestopft mit Träumen, Kippenstummeln und dem unerschütterlichen Glauben daran, dass sie es schaffen würden.