Die Narben der Stadt - Anonymer Autor - E-Book

Die Narben der Stadt E-Book

Anonymer Autor

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Beschreibung

Eine Stadt erstarrt in Angst. Ein Serienmörder geht um, seine Opfer könnten unterschiedlicher nicht sein. Was sie verbindet? Ein bizarres Zeichen, das er hinterlässt: Ein Omega, verschmolzen mit einem Wolfskopf. Die Presse nennt ihn den Omega Wolf. Begleite Kommissar Max Morgenstern, einen Ermittler der alten Schule, verfolgt von den Schatten seiner Vergangenheit. Gemeinsam mit der jungen, brillanten Profilerin Lena Wagner taucht er tief in die Abgründe der scheinbar perfekten Stadt ein. Schnell wird klar: Die Narben der Stadt folgt einer kranken Ideologie. Er sieht sich als Alpha, der die Gesellschaft von den vermeintlich Schwachen, den "Omegas", säubert. Doch wer passt in sein tödliches Schema? Hinter glänzenden Fassaden lauern dunkle Geheimnisse, alte Wunden und verborgene Verbindungen. Während der Druck steigt und der Mörder immer dreister wird, beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit. Kannst du die Logik des Wahnsinns entschlüsseln, bevor der Wolf erneut zuschlägt? Mach dich gefasst auf eine Jagd, die dich bis an die Grenzen der menschlichen Psyche führt.

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Seitenzahl: 167

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Die Narben der Stadt

Impressum

© 2025 Joris Plettscher

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: Joris Plettscher, Büschen 31, 41334 Nettetal, Deutschland.

Kontaktadresse nach EU-Produktsicherheitsverordnung: [email protected]

Inhaltsverzeichnis

Das erste Zeichen

Wolfsgeheul in der Stadt

Morgensterns Schatten

Die Omega-Liste

Falsche Fährten im Wald

Hinter der Fassade

Die Logik des Wahnsinns

Lena im Visier

Showdown im Morgengrauen

Das letzte Omega

Das erste Zeichen

Der feine Nieselregen legte sich wie ein grauer Schleier über die Stadt, die noch im Halbschlaf lag. Es war diese Stunde kurz vor dem eigentlichen Erwachen, in der die Welt stillzustehen schien. Die Straßenlaternen warfen verschwommene Lichtkegel auf den nassen Asphalt, der wie dunkles Glas glänzte und die wenigen Lichter spiegelte. Kaum ein Auto war unterwegs, nur das leise, monotone Geräusch der Regentropfen auf Dächern und Fensterbänken durchbrach die Stille. Es roch nach feuchter Erde und dem kühlen Versprechen eines Herbsttages. Hier und da erwachte langsam das Leben: Im Schaufenster der kleinen Bäckerei an der Ecke ging das Licht an, ein warmer, gelber Fleck in der Dämmerung, und kurz darauf zog der Duft von frischen Brötchen durch die Gasse – ein vertrautes, fast tröstliches Aroma. Ein paar Straßen weiter klapperte ein Fahrrad über das Kopfsteinpflaster, der Zeitungsbote auf seiner frühen Runde, das Geräusch der auf den Fußabtretern landenden Zeitungen hallte kurz in der Leere nach. Alles wirkte so normal, so vorhersehbar in seinem täglichen Rhythmus. Eine Stadt, die sich räkelte, bereit für einen weiteren gewöhnlichen Tag. Doch irgendetwas fühlte sich heute anders an, lag schwerer in der Luft als nur die Feuchtigkeit. Vielleicht war es nur die Melancholie des grauen Morgens, die sich in die Knochen schlich. Oder vielleicht war es diese eine Mülltonne am Ende der Seitenstraße, die umgekippt auf dem Gehweg lag, der Deckel daneben, ein kleiner Haufen Abfall quoll unordentlich heraus. Nichts Dramatisches, wahrscheinlich nur Vandalismus Jugendlicher oder ein unachtsamer Fahrer in der Nacht. Aber sie störte das Bild der ansonsten makellosen Ruhe, ein kleiner Riss in der Fassade der Normalität. Und war da nicht eben ein Schatten um die Hausecke gehuscht, zu schnell, um ihn richtig zu erfassen? Wahrscheinlich nur eine Katze, die vor dem Regen Schutz suchte. Wahrscheinlich. Der Nieselregen fiel weiter, unaufhörlich, und wusch die leeren Straßen sauber.In einem dieser kleinen, schmucklosen Cafés, die zu jeder Tages- und Nachtzeit geöffnet hatten und deren Luft immer leicht nach altem Fett und starkem Kaffee roch, saß Max Morgenstern. Der Trenchcoat, den er trug, war von unzähligen Regenschauern und langen Nächten zerknittert, die Farbe irgendwo zwischen Beige und Grau angesiedelt. Er saß allein an einem der klebrigen Resopaltische am Fenster, den Blick nach draußen gerichtet, wo der Nieselregen unermüdlich auf den Gehsteig trommelte. Vor ihm stand eine dicke, weiße Porzellantasse, der Kaffee darin war längst kalt geworden, eine ölige Haut hatte sich auf der Oberfläche gebildet. Er hatte ihn nicht angerührt. Die aufgeschlagene Lokalzeitung lag neben seiner Hand, die Schlagzeilen über irgendeinen lokalen Politikskandal oder das bevorstehende Stadtfest ignorierte er geflissentlich. Seine Augen, tief liegend und von dunklen Schatten umrahmt, wirkten müde, fast schon erschöpft, aber sie waren wachsam. Jeder Muskel in seinem Gesicht schien angespannt, als würde er auf etwas warten, auch wenn er selbst nicht genau wusste, worauf. Es war die Haltung eines Mannes, der zu viel gesehen hatte, dessen Zynismus eine harte Schale um einen Kern aus unerbittlicher Pflicht gebildet hatte. Er hatte die Hoffnung auf ruhige Tage längst aufgegeben, die Realität seines Berufs hatte sie ihm ausgetrieben. Er beobachtete einen Regentropfen, der langsam die schmutzige Fensterscheibe hinunterkroch, eine unregelmäßige Spur hinterlassend, und für einen Moment schien die Welt auf dieses kleine Schauspiel reduziert.Dann zerriss ein schrilles, digitales Klingeln die gedämpfte Atmosphäre des Cafés. Es war der Klang seines Diensthandys, ein Geräusch, das er verabscheute, weil es fast nie Gutes bedeutete. Langsam, ohne Hast, zog er das klobige Gerät aus seiner Manteltasche. Der Name auf dem Display ließ ihn kurz die Augenbrauen hochziehen: Schmidt, einer der Jüngeren, oft übereifrig, aber meist zuverlässig. Er nahm den Anruf entgegen, seine Stimme klang rau, als hätte er lange nicht gesprochen. "Morgenstern." Am anderen Ende hörte er Schmidts leicht aufgeregte Stimme, die versuchte, professionell zu klingen. "Chef? Wir haben was. Leichenfund in der Falkenstraße, Villa am Hang. Sieht nicht gut aus. Definitiv kein Unfall, eher... na ja, Sie sollten es sich ansehen." Kurze Pause. "Die Spurensicherung ist unterwegs." Mehr brauchte Max nicht zu hören. Falkenstraße. Das war die Gegend der Reichen, derjenigen, die hinter hohen Mauern und elektrischen Toren lebten. Kein Ort für gewöhnliche Verbrechen. "Bin unterwegs", sagte Max nur, seine Stimme tonlos, und beendete das Gespräch, bevor Schmidt noch weitere, wahrscheinlich unnötige Details hinzufügen konnte.Er legte das Handy zurück auf den Tisch, neben die kalte Kaffeetasse. Für einen langen Moment schloss er die Augen, atmete tief durch die Nase ein. Es war kein Ausdruck von Schock oder Überraschung, eher ein tiefes, inneres Seufzen, die stille Akzeptanz des Unvermeidlichen. Ein weiterer Tag, ein weiterer Toter, ein weiteres Stück Dunkelheit, das ans Licht gezerrt werden musste. Er spürte die vertraute Schwere, die sich auf seine Schultern legte, das Gewicht der Verantwortung und der Bilder, die ihn erwarten würden. Dann öffnete er die Augen wieder, sein Blick war jetzt klar, fokussiert. Die Müdigkeit war für den Moment verdrängt, ersetzt durch die kalte Professionalität, die ihn durch unzählige solcher Tage getragen hatte. Er schob den Stuhl zurück, das Geräusch kratzte über den abgenutzten Linoleumboden. Er stand auf, zog den Kragen seines Trenchcoats hoch und rückte ihn zurecht, eine fast automatische Geste, als würde er sich für den Kampf wappnen. Ohne einen weiteren Blick auf den Kaffee oder die Zeitung warf er ein paar Münzen auf den Tisch und ging zur Tür, hinaus in den immer noch fallenden Regen, bereit, sich dem zu stellen, was ihn in der Villa am Hang erwartete. Der Abgrund rief, und Max Morgenstern antwortete, wie er immer antwortete.Der Motor seines alten Dienstwagens sprang hustend an, als hätte auch er Mühe, sich aus der nächtlichen Ruhe zu reißen. Die Scheibenwischer begannen ihren monotonen Tanz über die Windschutzscheibe und schoben den feinen Regen beiseite, nur damit er sofort wieder in dünnen Schlieren herablief. Max lenkte den Wagen vom Bordstein weg und reihte sich in den langsam anschwellenden Morgenverkehr ein. Die Stadt erwachte nun endgültiger. Lichter gingen in weiteren Fenstern an, Rollläden wurden hochgezogen, Menschen mit Regenschirmen eilten zu Bushaltestellen, ihre Gesichter noch verschlafen oder schon vom bevorstehenden Arbeitstag gezeichnet. Ein gelber Schulbus quälte sich hupend durch eine enge Straße. An einer roten Ampel beobachtete Max einen Mann im Anzug, der hastig einen Kaffee im Stehen trank, bevor er in sein glänzendes Auto stieg. Alltägliche Szenen, die heute seltsam deplatziert wirkten, wie aus einer anderen Welt. Seine Welt bestand gerade nur aus dem Ziel dieser Fahrt: der Falkenstraße, der Villa am Hang, dem unschönen Fund. Ein flüchtiges Bild blitzte vor seinem inneren Auge auf – ein anderer Tatort, vor Jahren, auch an einem verregneten Morgen wie diesem. Der Geruch von Nässe und Blut hatte sich damals tief in sein Gedächtnis eingebrannt. Manchmal fragte er sich, ob es jemals aufhörte, ob die Dunkelheit nicht einfach immer neue Wege fand, sich Bahn zu brechen, egal wie viele Mauern die Menschen um sich herum errichteten. Die Sinnlosigkeit nagte manchmal an ihm, ein leises, aber beständiges Gefühl unter der Oberfläche seiner abgeklärten Routine.Als er in die Seitenstraßen abbog, die hinauf zur Falkenstraße führten, veränderte sich das Stadtbild merklich. Die Häuser wurden größer, die Gärten gepflegter, die Autos teurer. Hier herrschte eine andere Art von Stille, eine gediegene Ruhe, die selbst jetzt, angesichts des bevorstehenden Polizeieinsatzes, nur leicht gestört schien. Dann sah er es: das unruhige Flackern von Blaulicht, das von den nassen Blättern der sorgfältig gestutzten Hecken und den glatten Fassaden der umliegenden Villen reflektiert wurde. Ein Streifenwagen blockierte die Zufahrt zur betroffenen Villa, ein weiterer stand direkt vor dem schmiedeeisernen Tor, das offen stand. Grellgelbes Absperrband flatterte im leichten Wind und zog eine klare Linie zwischen der geordneten Welt dahinter und dem Ort des Geschehens. Die Villa selbst war ein moderner Bau aus Glas und dunklem Stein, kühl und abweisend trotz ihrer Größe, ein Statement von Reichtum, das keinerlei Wärme ausstrahlte. Ein paar Uniformierte standen herum, die Kragen ihrer Regenjacken hochgeschlagen, ihre Gesichter ernst. Sie hielten eine kleine Gruppe von offensichtlich neugierigen Nachbarn auf Abstand, die in ihren Morgenmänteln und mit besorgten Mienen aus sicherer Entfernung herüberlugten.Max parkte seinen Wagen hinter dem zweiten Streifenwagen, stellte den Motor ab und lauschte für einen Moment nur dem Prasseln des Regens auf dem Autodach. Dann stieg er aus. Die feuchte Kälte kroch sofort wieder unter seinen Mantel. Er nickte dem ihm bekannten Beamten am Tor knapp zu, der Salut andeutete, aber Max winkte ab. Sein Blick wanderte über die Fassade der Villa, die perfekt gemähte Rasenfläche, die teuren Außenlampen. Er sog die Atmosphäre auf, registrierte die Details – die Abwesenheit von Kampfspuren im Vorgarten, die geschlossenen Jalousien in den meisten Fenstern. Er zog seinen Mantel fester um sich und ging mit langsamen, bedächtigen Schritten auf den Haupteingang zu, sein Gesicht eine undurchdringliche Maske, bereit für das, was ihn drinnen erwartete.Die schwere Holztür schwang lautlos auf, als Max sie aufstieß, und er trat in eine unerwartete Stille. Draußen hatte der Regen auf den Kiesweg getrommelt, hier drinnen herrschte eine gedämpfte, fast unnatürliche Ruhe, nur unterbrochen vom leisen Summen irgendeiner Lüftungsanlage und dem gelegentlichen Klicken einer Kamera. Ein schwacher Geruch lag in der Luft, eine seltsame Mischung aus teurem Raumduft – etwas Zitroniges, Künstliches – und dem scharfen, sterilen Geruch von Desinfektionsmittel, unter dem eine kaum wahrnehmbare, metallische Note zu schweben schien. Blut. Max' Nase zuckte unmerklich. Die Eingangshalle war riesig, der Boden aus poliertem Marmor, an den Wänden hingen abstrakte Gemälde in schlichten Rahmen. Alles schrie nach Geld, nach kühlem, unpersönlichem Reichtum. Männer und Frauen in weißen Schutzanzügen bewegten sich langsam und konzentriert durch den Raum, die Mitglieder der Spurensicherung, beschäftigt mit ihrer akribischen Arbeit, dem Sichern von Fasern, Fingerabdrücken, allem, was der Täter hinterlassen haben könnte. Max sah Schmidt neben einer überdimensionierten Bodenvase stehen, das Gesicht blass unter dem Neonlicht der Halle. Er wirkte angespannt, die Hände tief in den Taschen seiner Jacke vergraben. Als er Max sah, kam er ihm mit schnellen Schritten entgegen. "Chef", sagte er leise, seine Stimme klang dünn. "Gut, dass Sie da sind. Es ist... drüben im Wohnzimmer." Er machte eine vage Handbewegung in Richtung eines breiten Durchgangs. "Wir haben noch nichts angefasst, außer dem Nötigsten." Max nickte nur, sein Blick schweifte bereits weiter, nahm die sterile Perfektion der Halle auf, suchte nach Brüchen, nach Unordnung. "Wer hat ihn gefunden?", fragte er knapp. "Die Haushälterin. Kam heute Morgen wie immer um sieben, hat ihn dann entdeckt und sofort den Notruf gewählt. Sie steht unter Schock, wird gerade von den Kollegen betreut."Max ging langsam auf den Durchgang zu, seine Schritte hallten leise auf dem Marmor. Das Wohnzimmer war noch größer als die Halle, dominiert von einer riesigen Fensterfront, die trotz des trüben Wetters viel Licht hereinließ und den Blick auf einen weitläufigen, nassen Garten freigab. Teure Ledersofas standen auf einem dicken Teppich, ein moderner Kamin nahm eine ganze Wand ein, daneben ein Regal voller Bücher und Kunstobjekte. Und mitten in dieser luxuriösen Kulisse lag er. Robert Magnusson. Max kannte den Namen, jeder in der Stadt kannte ihn. Einer der einflussreichsten Bauunternehmer der Region, bekannt für seine rücksichtslosen Geschäftspraktiken und seinen opulenten Lebensstil. Jetzt lag er auf dem hellen Teppich vor dem Kamin, auf dem Rücken, die Arme leicht gespreizt. Er trug immer noch einen teuren Seidenschlafanzug, dessen dunkles Blau an mehreren Stellen von noch dunkleren, feuchten Flecken durchbrochen war. Sein Gesicht war wachsbleich, die Augen starr zur kunstvoll gestalteten Decke gerichtet, der Mund leicht geöffnet, als hätte ihn der Tod mitten in einem überraschten Ausruf ereilt. Es gab keine offensichtlichen Zeichen eines Kampfes im Raum. Kein umgeworfener Stuhl, keine zerbrochenen Gläser, nur eine unheimliche, fast arrangierte Ordnung um die Leiche herum. Max trat näher, seine Augen scannten den Körper, die Umgebung. Er bemerkte die feinen Lederschuhe, die ordentlich neben einem Sessel standen, als hätte Magnusson sie gerade erst ausgezogen. Er sah das leere Whiskyglas auf dem Beistelltisch, daneben eine geöffnete, aber kaum angerührte Zigarre im Aschenbecher. Alles wirkte seltsam friedlich, stünde es nicht im krassen Gegensatz zu der Brutalität, die dem Mann widerfahren war.Dr. Lena Albers, die Rechtsmedizinerin, kniete bereits neben der Leiche, ihre Miene wie immer konzentriert und unbewegt. Sie trug ebenfalls einen Schutzanzug und Handschuhe. Als Max sich näherte, blickte sie kurz auf. "Max", sagte sie mit ihrer ruhigen Stimme. "Kein schöner Anblick am Morgen." "Wann ist es das schon, Lena?", erwiderte Max trocken. "Was haben wir?" Sie deutete mit einem behandschuhten Finger auf die Brust des Opfers. "Multiple Stichverletzungen. Ich kann noch keine genaue Zahl nennen, das sehen wir erst bei der Obduktion. Aber es waren einige, und sie wurden mit erheblicher Kraft ausgeführt. Todesursache dürfte Verbluten sein, wahrscheinlich in Kombination mit Verletzungen innerer Organe." Sie runzelte leicht die Stirn. "Der Todeszeitpunkt liegt grob geschätzt zwischen Mitternacht und vier Uhr heute früh. Eher gegen Ende dieses Zeitfensters, die Leichenstarre ist noch nicht voll ausgeprägt." Max nickte langsam, sein Blick wanderte wieder über den Toten, dann durch den Raum. "Irgendwelche Abwehrverletzungen?" "Auf den ersten Blick nicht offensichtlich", sagte Dr. Albers. "Aber das muss nichts heißen. Vielleicht wurde er im Schlaf überrascht oder war anderweitig wehrlos." Max' Blick blieb an den Händen des Opfers hängen. Sie waren sauber, die Fingernägel gepflegt. Nichts deutete darauf hin, dass er sich gewehrt hatte. "Magnusson", murmelte Max leise, mehr zu sich selbst. "Wer hätte gedacht, dass es ihn mal so erwischt." Der Mann, der ganze Stadtteile umgestaltet und Karrieren zerstört hatte, lag nun hilflos auf seinem eigenen Teppich, ein Opfer namenloser Gewalt. Der Kontrast zwischen seiner Macht im Leben und seiner Ohnmacht im Tod war fast greifbar.Max ließ seinen Blick weiter durch den Raum schweifen, weg von der Leiche, hin zu den Details, die das Leben – und vielleicht auch den Tod – von Robert Magnusson ausgemacht hatten. Die teuren Bücher in den Regalen, die schweren Vorhänge, die stummen Kunstobjekte. Alles strahlte eine unnahbare Perfektion aus, die ihm widerstrebte. Seine Augen blieben an dem massiven Kamin aus dunklem Naturstein hängen, der einen Kontrast zu den hellen Wänden bildete. Er ging langsam darauf zu, betrachtete die kalte Asche im Rost, die polierte Oberfläche des Kaminsimses. Nichts schien fehl am Platz. Währenddessen bewegten sich die Männer und Frauen der Spurensicherung wie in einem stillen Ballett durch den Raum, ihre Taschenlampen warfen wandernde Lichtkegel auf Böden und Möbel. Plötzlich hielt einer der jüngeren Techniker, der gerade den Bereich um den Kamin untersuchte, inne. Er kniete nieder, leuchtete mit seiner Lampe auf eine Stelle des dunklen Steins, etwas seitlich, halb verdeckt durch eine hohe, schlanke Bodenvase aus Metall. Er runzelte die Stirn unter seiner Schutzhaube, wechselte von UV-Licht zu normalem Licht und beugte sich noch näher heran. "Chef?", rief er leise, seine Stimme gedämpft durch die Maske. "Kommissar Morgenstern? Schauen Sie sich das mal an."Max wandte sich um und ging zu dem Techniker hinüber. Schmidt und Dr. Albers folgten ihm mit neugierigen Blicken. Der Techniker deutete auf eine Stelle auf dem dunklen, leicht unebenen Stein des Kaminsimses. "Hier. Das ist kein normaler Kratzer, glaube ich. Sieht... absichtlich aus." Max beugte sich vor, seine Augen verengten sich. Zuerst war es kaum zu erkennen, eine feine Linie nur, die sich vom dunklen Untergrund abhob. Doch bei genauerem Hinsehen offenbarte sich eine präzise eingeritzte Zeichnung. Sie war klein, kaum größer als sein Daumennagel, fast versteckt und doch unverkennbar. Es schien mit etwas Scharfem in den Stein gekratzt worden zu sein, vielleicht die Spitze eines Messers oder einer Scherbe. Es war das griechische Symbol Omega, die geschwungene Form klar erkennbar. Aber es war nicht nur das Omega. Aus der Mitte des Symbols, untrennbar damit verbunden, erhob sich der stilisierte Kopf eines Wolfes im Profil. Die Linien waren scharf, fast geometrisch, die Ohren spitz, das Maul leicht geöffnet, als würde er knurren oder heulen, feine Linien deuteten Zähne an. Die Kombination wirkte bizarr, fast widersprüchlich. Das Omega, oft als Zeichen für das Ende, das Letzte, das Niedrigste in einer Hierarchie verstanden, verschmolzen mit dem Wolf, einem Symbol für Wildheit, Stärke, Instinkt und Rudelführer. Es war kein Gekritzel, keine zufällige Beschädigung. Es strahlte eine kalte, berechnete Absicht aus, wirkte gleichzeitig archaisch und modern. Bedrohlich? Ja, auf eine subtile, intellektuelle Art. Ritualistisch? Vielleicht. Auf jeden Fall war es verstörend und passte absolut nicht in die Umgebung dieses luxuriösen Wohnzimmers, nicht zu diesem Opfer. Es war wie eine Signatur, ein Brandzeichen, hinterlassen vom Täter.Max richtete sich langsam auf, sein Gesicht blieb ausdruckslos, doch seine Augen hatten eine neue Intensität angenommen. Er rieb sich nachdenklich das Kinn, der Blick immer noch auf das kleine, unheilvolle Zeichen gerichtet. Dann wandte er sich an die Umstehenden, die nun schweigend auf das Symbol starrten. Seine Stimme war leise, aber sie schnitt durch die gedämpfte Atmosphäre des Raumes. "Was zum Teufel ist das?" Er sah Schmidt an, dann Dr. Albers, dann die Techniker. "Hat das jemand schon mal gesehen? Erkennungszeichen irgendeiner Gruppe? Kult? Irgendwas?" Ein kurzes, kollektives Kopfschütteln war die Antwort. Ratlosigkeit spiegelte sich in den Gesichtern. Niemand hatte eine Erklärung, niemand kannte dieses seltsame Amalgam aus Omega und Wolf. Max spürte eine kalte Ahnung in sich aufsteigen. Das hier war kein einfacher Raubmord, keine Beziehungstat im Affekt. Dieses Zeichen bedeutete etwas. Es war eine Botschaft. Er wandte sich wieder dem Techniker zu, der das Symbol entdeckt hatte. "Fotografieren", befahl er knapp. "Jeder Winkel. Nahaufnahmen. Sichern Sie den gesamten Bereich darum. Ich will wissen, womit das gemacht wurde. Finden Sie heraus, ob es Faserspuren oder DNA daran gibt. Alles." Seine Anweisungen waren präzise, seine Stimme ließ keinen Zweifel an der Dringlichkeit. Dieser kleine Kratzer im Stein hatte den Fall gerade auf eine völlig neue Ebene gehoben.Max trat ein paar Schritte zurück, lehnte sich gegen den kühlen Marmor der gegenüberliegenden Wand und zog sein Handy hervor. Einer der Techniker hatte ihm bereits ein Foto des eingeritzten Zeichens geschickt. Er zoomte heran, betrachtete die scharfen Linien des Omega-Symbols, das mit dem stilisierten Wolfskopf verschmolzen war. Die Präzision des Kratzers war fast so beunruhigend wie das Symbol selbst. Um ihn herum ging die Arbeit der Spurensicherung weiter, ein geschäftiges Treiben aus gedämpften Stimmen, dem Klicken von Kameras, dem Rascheln von Schutzanzügen und dem leisen Surren von Geräten. Doch für Max schien all das in den Hintergrund zu treten. Seine ganze Aufmerksamkeit war auf das Bild auf dem kleinen Bildschirm seines Handys gerichtet. Draußen prasselte der Regen unvermindert gegen die riesigen Panoramafenster des Wohnzimmers, die Tropfen zogen lange, unregelmäßige Bahnen über das Glas, verwischten den Blick auf den nassen Garten dahinter.