Das fünfte Wunder - Paul Davies - E-Book

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Paul Davies

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Beschreibung

Paul Davies gibt einen genauen und abwägenden Überblick über die vorhandenen Modelle der Entstehung des Lebens und fügt eine weitere, gut belegte Hypothese hinzu, nämlich die der Lebensentstehung fern von der Erde. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

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Paul Davies

Das fünfte Wunder

Auf der Suche nach dem Ursprung des Lebens

Aus dem Englischen von Bernd Seligmann

FISCHER E-Books

Inhalt

In Gedenken an Keith [...]Einleitung1 Was Leben bedeutetDas Geheimnis um den Ursprung des LebensWas ist Leben?Die Lebenskraft und andere überholte AnschauungenDie Geschichte vom UrmolekülMikroben und die Suche nach Eden2 Gegen den StromDas Prinzip des ZerfallsWoher kommt biologische Information?Die Entropielücke – Gravitation als Urquell von Ordnung3 Ursuppe und LebenDer Baum des LebensDie drei Domänen des LebensDie ältesten Fossilien der WeltSpontane EntstehungDie synthetische UrsuppeZufall und der Ursprung des Lebens4 Die Botschaft in der MaschineVermehrt euch, vermehrt euch!Was man zum Leben brauchtDer genetische CodeBotschaft empfangenEin Code im Code?5 Huhn oder Ei?RNS zuerstRNS zuletztSelbstorganisation – Ordnung aus dem Nichts?6 Leben und KosmosSternkinderKosmochemieGenesis im AllImpulse von außenDer Sisyphuseffekt7 SupermikrobenManche mögen’s heißLeben in der UnterweltAufstieg vom HadesSollen sie Steine fressenDer Rest ist Geschichte8 Mars – rot und tot?Die rote WüsteDie große FlutDas MarstreibhausGab es einmal Leben auf Mars?Gibt es noch Leben auf Mars?MarsmeteoritenSpuren von Leben?Killerseuchen vom Roten Planeten9 PanspermieÜberleben im WeltraumIst Leben in einem Meteoriten zur Erde gekommen?Stammt das irdische Leben vom Mars?Ist Leben von der Erde zum Mars gelangt?10 Ein lebensfreundliches Universum?Hat Leben einen Ursprung?Sind die Naturgesetze zugunsten des Lebens eingestellt?Darwinismus von Anfang an?Eine Leiter des Fortschritts?Ist Geist vorbestimmt?AnmerkungenWeiterführende LiteraturRegister

In Gedenken an Keith Runcorn

Einleitung

Im August 1996 ging die Nachricht um die Welt, in einem Meteoriten vom Mars hätte man Spuren vergangenen Lebens gefunden. Präsident Clinton trat persönlich vor die Fernsehkameras und eine verblüffte Wissenschaftsgemeinde und hob die weit reichenden Konsequenzen der Entdeckung, falls sie sich bestätigen sollte, gebührend hervor. Es war ein denkwürdiger Augenblick, denn es geschieht nicht oft, dass ein wissenschaftliches Resultat so direkt an die Öffentlichkeit gelangt. Die Geschichte schlug ein wie eine Bombe, und es gab so viel Beifall und Spott, dass die wahre Bedeutung der Ergebnisse bald unterging.

Die Wissenschaft befindet sich mitten in einem dramatischen Umdenken, was den Ursprung des Lebens betrifft. Nach den Lehrbüchern soll alles vor Milliarden von Jahren in einem warmen Tümpel auf der Erde begonnen haben, doch nun sprechen immer mehr Indizien für ein ganz anderes Szenario. Es sieht so aus, als hätten die ersten irdischen Organismen tief unter der Erde gelebt, in Bedingungen wie in einem Druckkochtopf, eingeschlossen in heißem Fels, und wären erst später an die Oberfläche gekommen. Erstaunlicherweise sind Nachkommen dieser urzeitlichen Mikroben kilometertief in der Erdkruste noch heute zu finden.

Bis vor wenigen Jahren hätte niemand geglaubt, in einer so unwirtlichen Umgebung könnte es Leben geben, doch sobald man akzeptiert hatte, dass Organismen tief unter der Erdoberfläche gedeihen können, eröffnete sich eine noch phantastischere Möglichkeit: Vielleicht sind auch unter der Marsoberfläche Mikroben verborgen! Die Entdeckung eines Felsbrockens vom Mars, der versteinerte Bakterien zu enthalten schien, gab dieser Theorie beträchtlichen Auftrieb. Doch das war noch nicht alles. Nun war plötzlich auch denkbar, dass das Leben auf Mars begonnen haben und auf einem Meteoriten zur Erde gelangt sein könnte.

Hinter der Aufregung um den Marsmeteoriten verbarg sich ein bitterer Expertenstreit über die Interpretation des Datenmaterials. Seine Bestätigung könnte zum einen bedeuten, dass Leben zweimal in unserem Sonnensystem entstanden ist, und zum anderen, dass Leben in der Lage ist, sich von einem Planeten zum anderen zu verbreiten. Die zweite Erklärung brächte uns einer Antwort auf die Frage nach dem eigentlichen, ersten Ursprung des Lebens keinen Schritt näher, so faszinierend die Entdeckung auch wäre, dass Organismen von Planet zu Planet hüpfen können.

Wie hat das Leben begonnen? Was genau sind die physikalischen und chemischen Prozesse, die tote Materie in lebendige Organismen verwandeln können? Dieses viel schwierigere Problem bleibt eine der großen wissenschaftlichen Fragen unserer Zeit. Gegenwärtig bemühen sich Heere von Chemikern, Biologen, Astronomen, Physikern und Mathematikern um eine Antwort. Aus ihren Forschungen ziehen viele den Schluss, die Naturgesetze seien sozusagen «parteiisch», sie seien irgendwie darauf angelegt, Leben hervorzubringen. Nach Ansicht dieser Denkschule muss Leben entstehen, wann immer die Bedingungen es erlauben, nicht nur auf Mars, sondern überall im Universum – und selbstverständlich auch im Reagenzglas. Wenn diese Forscher Recht haben, ist Leben Teil der natürlichen Ordnung, und wir sind nicht allein im Universum.

Die Ansicht, das Leben sei in den Naturgesetzen vorprogrammiert, klingt wie das ferne Echo eines vergangenen, religiösen Zeitalters, als man überzeugt war, das Universum wäre als Heimat für uns und die anderen Lebewesen erschaffen worden. Viele Wissenschaftler betrachten solche Anschauungen mit Unmut und bestehen darauf, der Ursprung des Lebens sei ein unwahrscheinlicher Zufall der Chemie gewesen, der sich nur auf der Erde zugetragen habe; die Entwicklung komplexer Organismen und schließlich des Bewusstseins sei das zufällige Ergebnis einer gigantischen kosmischen Lotterie. In dieser Debatte geht es um nichts Geringeres als den Platz, den die Menschheit im Universum einnimmt: Wer sind wir, und wo stehen wir im großen Schema der Dinge?

Nach Ansicht der Astronomen begann das Universum in einem Urknall vor 10 bis 20 Milliarden Jahren. Die explosionsartige Geburt ging mit einem Sekundenbruchteil extremster Hitze einher, aus dem die grundlegenden physikalischen Kräfte und Elementarteilchen hervorgingen. In der ersten Sekunde entstanden alle notwendigen Zutaten des Kosmos. Danach war der Raum mit einem Gebräu subatomarer Teilchen erfüllt: Protonen, Neutronen und Elektronen in einem 10 Milliarden Grad heißen Strahlungsbad.

Nach heutigen Maßstäben war das Universum in jener Phase äußerst eintönig. Die kosmische Materie war fast vollkommen gleichmäßig über den Raum verteilt, und überall herrschte dieselbe Temperatur. Materie, die in der gewaltigen Hitze nur in Form ihrer einfachsten Bestandteile existieren konnte, befand sich in einem Zustand extremer Einfachheit. Ein Beobachter dieser Phase hätte niemals geahnt, dass das Universum voller atemberaubender Möglichkeiten steckte. Nichts hätte darauf hingewiesen, dass sich mehrere Milliarden Jahre später Billionen funkelnder Sterne zu Milliarden von Galaxien organisieren, dass Planeten und Kristalle, Wolken und Ozeane, Berge und Gletscher entstehen, dass Bäume und Bakterien, Elefanten und Fische einmal einen dieser Planeten bevölkern und dieselbe Welt einst von menschlichem Gelächter erfüllt sein würde. Nichts von alldem war vorhersehbar.

Während das Universum seinen einförmigen Urzustand hinter sich ließ und anschwoll, kühlte es auch ab, und die niedrigeren Temperaturen eröffneten neue Möglichkeiten. Materie konnte zu gigantischen Strukturen zusammenwachsen, aus denen später Galaxien wurden. Es konnten Atome entstehen und die Chemie beginnen, die einmal feste Körper produzieren sollte.

Seitdem hat das Universum viele wundervolle Phänomene hervorgebracht: gewaltige schwarze Löcher, schwerer als eine Milliarde Sonnen, die Sterne verschlingen und Gasnebel ausspeien; Neutronensterne, die sich tausendmal in der Sekunde um ihre Achse drehen und deren Materie zu einer Dichte von einer Milliarde Tonnen pro Kubikzentimeter zusammengepresst ist; subatomare Teilchen, die so verstohlen sind, dass sie ungehindert Lichtjahre dicke Bleischichten durchdringen können; gespenstische Gravitationswellen, die keine erkennbare Spur hinterlassen, und – phantastischer noch als all diese erstaunlichen, atemberaubenden Phänomene – das Leben. Im kosmischen Maßstab hat Leben zu keinen plötzlichen oder dramatischen Veränderungen geführt; im Gegenteil, wenn man das Leben auf der Erde als typisch betrachtet, dann werden die Veränderungen, die es mit sich bringt, erst im Verlauf gewaltiger Zeitspannen sichtbar. Langsam, aber sicher hat es den Planeten Erde verwandelt, und mit seiner nachgewiesenen Fähigkeit, Bewusstsein, Intelligenz und Technologie hervorzubringen, könnte es dennoch das gesamte Universum verändert haben.

 

In diesem Buch geht es um den Ursprung des Lebens, die sogenannte Biogenese. Dies ist nicht mein Fachgebiet, das erkläre ich gleich zu Beginn. Von Beruf bin ich theoretischer Physiker, doch das Problem der Biogenese und der damit verknüpften Frage, ob wir allein sind im Universum, fasziniert mich seit langem, seit meiner Studentenzeit am University College in London in den sechziger Jahren. Wie viele meiner Freunde habe ich damals Fred Hoyles berühmten Sciencefictionroman The Black Cloud verschlungen, in dem eine riesige Gaswolke aus dem interstellaren Raum in unser Sonnensystem eindringt. Solche Wolken sind an sich ein bekanntes astronomisches Phänomen, doch Hoyle hatte die phantastische Idee, sie könnten lebendig sein. Damit gab er Lesern wie mir natürlich einiges zu beißen. Schließlich gehorchten Gaswolken einfach physikalischen Gesetzen. Wie sollten sie ein selbständiges «Verhalten» zeigen, Gedanken haben und Entscheidungen fällen? Doch gehorchen nicht alle Lebewesen den Gesetzen der Physik? Hoyle führte uns dieses Paradox drastisch vor Augen.

Hoyles The Black Cloud beunruhigte und verunsicherte mich. Was genau, so fragte ich mich, ist eigentlich Leben? Wie hat es begonnen? Sollte in lebenden Organismen irgendetwas Sonderbares vor sich gehen? Um dieselbe Zeit drückte mir mein Doktorvater, eher zur Entspannung, einen «verrückten» Artikel des hochangesehenen Physikers Eugene Wigner in die Hand. Darin behauptete Wigner, er hätte den Beweis, dass ein physikalisches System nicht von einem toten zu einem lebenden Zustand übergehen könne, ohne die Gesetze der Quantenphysik zu verletzen. Aha! Also glaubte auch der große Wigner, es müsse etwas Eigenartiges geschehen sein, als das Leben begann.

Kurz darauf gab mir mein Doktorvater einen anderen Artikel, in dem es um Biologie ging, obgleich der Autor, Brandon Carter, ein Astrophysiker war. Carter befasste sich mit einem wichtigen und interessanten Aspekt des Lebens, für den es keine Rolle spielt, was Leben ist oder wie es begonnen hat. Er stellte die Frage, welche Eigenschaften ein physikalisches Universum haben muss, damit darin irgendwelches Leben existieren kann. Angenommen, man könnte die Naturgesetze oder die Anfangsbedingungen im Urknall ändern, wie weit dürfte man dabei gehen, ohne dass Leben durch die neuen Gesetze und die andere Struktur des Universums unmöglich würde?

Zum Beispiel erfordert Leben, wie wir es kennen, bestimmte chemische Elemente, insbesondere Kohlenstoff. Der Urknall hat jedoch nur wenige Kohlenstoffatome produziert; die meisten dieser Atome sind später im Inneren von Sternen entstanden. Fred Hoyle hatte schon früher bemerkt, dass der Erfolg der Kohlenstoffproduktion in Sternen ziemlich auf Messers Schneide steht. Er hängt empfindlich von den Verhältnissen zwischen bestimmten Kräften in Atomkernen ab. Die geringste Abweichung von diesem Gleichgewicht hätte dazu geführt, dass es im Universum keinen oder nur wenig Kohlenstoff und wahrscheinlich kein Leben gäbe. Aus Carters Überlegungen wurde das sogenannte anthropische Prinzip, nach dem die Existenz von Leben die Folge verschiedener glücklicher Zufälle in der mathematischen Grundstruktur des Universums ist.

Carters Ideen konnten einen schon nachdenklich stimmen, doch das Geheimnis des Lebens war damit längst noch nicht geklärt. Kurz nachdem ich den Artikel gelesen hatte, gewann ich ein Forschungsstipendium am Institut für Theoretische Astronomie in Cambridge, wo Fred Hoyle der Direktor war und Brandon Carter ebenfalls arbeitete. Dann stieß ich auf ein Büchlein des Physikers Erwin Schrödinger, in dem es genau um die Frage zu gehen schien, die mich interessierte. Unter dem Titel Was ist Leben? versuchte Schrödinger zu erklären, warum biologische Organismen vom Standpunkt der Physik aus betrachtet so geheimnisvoll sind. Welchen Einfluss dieses Buch zwanzig Jahre zuvor gehabt hatte, in den Anfängen der neuen Wissenschaft der Molekularbiologie, erfuhr ich erst später.

Leider warf Schrödingers Buch für mich mehr Fragen auf, als es beantwortete, und ich legte das Problem der Biogenese in Gedanken unter «zu schwer» ab. Dann zeigte mir Carter eine überarbeitete Version seines – übrigens nie veröffentlichten – Artikels über das anthropische Prinzip, und zusammen mit Bill Saslaw, einem anderen Kollegen am Institut, spielte ich weiter mit Carters Ideen. Wir versuchten sogar, ein Treffen mit Francis Crick zu arrangieren, der damals am Medical Research Council in Cambridge tätig war. Doch Crick hatte keine Zeit, und für Carter schien das Thema des anthropischen Prinzips weitgehend erledigt.

So schlief mein Interesse an Fragen der Biologie schließlich ein und erwachte erst viele Jahre später wieder, in den frühen achtziger Jahren. Martin Rees – heute Sir Martin Rees, der königliche Hofastronom – war an der Organisation einer Konferenz unter dem Motto «Von Materie zu Leben» in Cambridge beteiligt. 1979 hatte Rees zusammen mit seinem Astronomenkollegen Bernard Carr in einem berühmten Artikel in der Fachzeitschrift Nature das anthropische Prinzip wieder ins Gespräch gebracht. Die Konferenz brachte nun Physiker und Astronomen wie Brandon Carter, Freeman Dyson und Tommy Gold, Biologen wie Lewis Wolpert und Sidney Brenner, den Mathematiker John Conway und die Biogeneseautoritäten Manfred Eigen und Graham Cairns-Smith zusammen. Im Programm konzentrierte man sich auf die Anfänge des Lebens, und wenngleich keine endgültigen Antworten gefunden wurden, erfüllte das Treffen den Zweck, die wichtigsten wissenschaftlichen und begrifflichen Probleme herauszustellen.

Ich begann also wieder, über das Geheimnis des Lebens nachzudenken, wobei ich für die nächsten zehn Jahre hauptsächlich durch die Ideen Fred Hoyles, aber auch von Freeman Dyson und Tommy Gold beeinflusst war. Hoyle stellte zusammen mit Chandra Wickramasinghe die waghalsige These auf, das Leben wäre vielleicht nicht auf der Erde entstanden, sondern auf Kometen hierher gelangt. Auch Dyson spekulierte über den Ursprung des Lebens und ließ seiner Phantasie, was Zukunft und Schicksal der technischen Zivilisation betraf, freien Lauf. Gold kam mit der Theorie heraus, große Mengen von Kohlenwasserstoffen wären unter der Erde eingeschlossen, und auf der Suche nach Belegen für seine Hypothese entdeckte man neue, unterirdische Lebensformen. All diese Entwicklungen haben dazu beigetragen, mein Denken über den Ursprung des Lebens zu formen.

Ebenfalls großen Einfluss hatte der verstorbene Keith Runcorn, ein früherer Kollege an der Universität Newcastle. Runcorn war von Haus aus Geophysiker, doch seine Überlegungen gingen weit über die Erde hinaus und umfassten das ganze Sonnensystem. Trotz der Entfernung zwischen der Geophysik und meinem eigenen Forschungsgebiet wohnte ich oft seinen Seminaren und Konferenzen bei. Besonders denkwürdig war für mich das fünfzigste Treffen der Meteoritical Society, das 1987 in Newcastle stattfand, denn dort hörte ich zum ersten Mal von den Marsmeteoriten.

Das letzte Stück des Puzzles kam in den frühen neunziger Jahren dazu. Inzwischen war ich nach Australien gezogen und lehrte an der Universität Adelaide. Dort faszinierten mich die Arbeiten Duncan Steels, eines Experten für Asteroiden- und Kometeneinschläge auf den Planeten. Steel machte mich darauf aufmerksam, dass nach solchen kosmischen Zusammenstößen Materie von Planeten hochgeschleudert werden konnte, und dies wurde zur Grundlage meiner Theorie über den Austausch von Mikroorganismen zwischen Mars und Erde.

Als ich mir vornahm, dieses Buch zu schreiben, war ich überzeugt, die Wissenschaft wäre dem Geheimnis des Ursprungs des Lebens dicht auf den Fersen. Entdeckungen von Mikroben tief unter der Erdoberfläche, über die ich zuerst von Gold erfuhr, schienen das «fehlende Glied» zwischen der präbiotischen Welt biochemischer Suppen und den ersten, primitiven Zellen zu liefern. Tatsächlich meinen heute viele Wissenschaftler, die auf diesem Gebiet arbeiten, die großen Probleme der Biogenese seien weitgehend gelöst. Mehrere Bücher der jüngsten Zeit verbreiten die Zuversicht, der Ursprung des Lebens sei am Ende doch nicht so geheimnisvoll. Doch da bin ich anderer Meinung. Nach zwei Jahren Forschung bin ich überzeugt, dass es noch eine erhebliche Verständnislücke gibt. Wir haben zwar eine ganz gute Vorstellung über das Wo und Wann, doch wie Leben begonnen hat, ist noch längst nicht klar.

Die Verständnislücke, von der ich spreche, besteht nicht einfach darin, dass wir bestimmte technische Einzelheiten noch nicht kennen. Die Probleme sind vielmehr begrifflicher Natur und betreffen die eigentlichen Prinzipien unseres Denkens. Ich sage nicht, der Ursprung des Lebens sei ein übernatürliches Ereignis gewesen. Ich sage nur, dass uns in der ganzen Frage etwas sehr Fundamentales zu entgehen scheint. Wenn es zutrifft, wie so viele Experten und Kommentatoren nahe legen, dass Leben entstehen muss, sobald die richtigen Bedingungen herrschen, dann geht im Universum etwas ganz Erstaunliches vor, mit tiefgreifenden philosophischen Konsequenzen. Persönlich bin ich der Auffassung, dass eine wirklich zufrieden stellende Theorie über den Ursprung des Lebens einige radikal neue Ideen erfordert.

Viele Forscher gestehen öffentlich ungern ein, dass der Ursprung des Lebens noch ein Mysterium ist, obwohl sie hinter verschlossenen Türen freimütig zugeben, wie ratlos sie sind. Dafür gibt es zwei Gründe: Erstens denken sie, ein solches Eingeständnis würde religiösen Fundamentalisten und ihren «Gott-der-Lücke»-Erklärungen Vorschub leisten.[1] Zweitens fürchten sie, es könnte die Finanzierung ihrer Forschung gefährden, besonders für die Suche nach außerirdischem Leben. Man scheint der Ansicht zu sein, Regierungen seien eher bereit, Geld für die Suche nach Leben im Weltall auszugeben, wenn die Wissenschaftler sich überzeugt zeigen, dass es wirklich existiert.

Doch auch da bin ich ganz anderer Meinung. Wissenschaftler leisten ihren Disziplinen einen Bärendienst, wenn sie, nur um der Öffentlichkeit zu gefallen, voreilige Behauptungen aufstellen. Unwissenheit ist in meinen Augen eine viel bessere Motivation für ein Experiment als Gewissheit. Unsere Unsicherheit in der Frage, wie Leben entstanden ist, macht die Fahndung danach auf anderen Welten und Versuche, Leben im Labor künstlich zu erzeugen, umso dringlicher. Wenn ich Recht habe und die Biogenese Hinweise auf etwas grundlegend Neues liefert, dann könnte uns die Suche nach Leben auf anderen Planeten in die Lage versetzen, diesen erstaunlichen Übergang zu beobachten, noch während er sich vollzieht. Astronomen betrachten die äußeren Planeten Saturn und Jupiter und ihre Monde als gigantische präbiotische Laboratorien, wo die Schritte, die zum Leben auf der Erde geführt haben, irgendwo zwischen komplexer Chemie und echter Biologie eingefroren sind.

Auf Mars ist die Schwelle zwischen Nichtleben und Leben wahrscheinlich schon überschritten worden. Einiges spricht dafür, dass irgendwann in der Vergangenheit auf dem Roten Planeten Leben geblüht hat. Aus Gründen, die ich in diesem Buch darlegen werde, halte ich es sogar für annähernd sicher. Zudem glaube ich an eine vernünftige Chance, noch heute dort Leben zu finden – vorausgesetzt, man weiß, wo man zu suchen hat.

Das Rätsel der Biogenese ist mehr als nur eines der vielen Probleme auf der Liste wissenschaftlicher Fragen, die man unbedingt angehen sollte. Die Frage nach dem Ursprung des Lebens geht – wie diejenigen nach dem Ursprung des Universums und dem Ursprung des Bewusstseins – viel tiefer. Diese Rätsel zu lösen stellt die Grundlagen unserer Wissenschaft und unseres Weltbilds auf die Probe. Forschungen, welche unser Verständnis der Welt von Grund auf ändern könnten, verdienen höchste Priorität. Über den Ursprung des Lebens rätseln Philosophen, Theologen und Wissenschaftler seit über zweieinhalb Jahrtausenden, doch das kommende Jahrzehnt verspricht einzigartige Fortschritte. Die derzeitige Ratlosigkeit der Wissenschaftler macht diese Gelegenheit noch aufregender und noch zwingender.

Leben ist in seinen Eigenschaften so außerordentlich, dass man es als einen eigenen, alternativen Materiezustand betrachten kann. Das mag stimmen oder nicht, doch jedenfalls kann man nur hoffen, die Frage, wie Leben begonnen hat, zu beantworten, wenn man genau weiß, was Leben eigentlich ist. Im ersten Kapitel dieses Buches versuche ich deshalb, eine Definition des Phänomens «Leben» zu finden – was bekanntermaßen äußerst schwierig ist. Die meisten Lehrbücher konzentrieren sich auf die Chemie des Lebens, auf die Frage, welche Moleküle in einer Zelle für was verantwortlich sind. Leben ist natürlich auch ein chemisches Phänomen, doch seine Eigenart liegt nicht in der Chemie als solcher, sondern in seinen informationellen Eigenschaften. Ein lebender Organismus ist ein komplexes Informationsverarbeitungssystem.

Die Begriffe «Komplexität» und «Information» fallen in das Gebiet der Thermodynamik, einer wissenschaftlichen Theorie, die Physik, Chemie und Computertheorie verbindet. Seit Jahrzehnten herrscht der Verdacht, das Phänomen «Leben» sei irgendwie in der Lage, die Gesetze der Thermodynamik zu brechen. Der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, vielleicht das grundlegendste aller Naturgesetze, beschreibt einen Trend zu Zerfall und Degeneration, dem das Leben offensichtlich nicht zu folgen scheint. Kapitel 2 ist einer eingehenden Diskussion des zweiten Hauptsatzes gewidmet und liefert damit den Kontext für das meines Erachtens letzte Problem der Biogenese, die Frage, wo biologische Information herkommt.

Welche erstaunliche Chemie auch immer auf der frühen Erde oder auf anderen Planeten abgelaufen ist, der eigentliche «Lebensfunke» war nicht die Molekülbrühe an sich, sondern – auf irgendeine Art und Weise – die Organisation von Informationen. Dieses Thema führe ich in den Kapiteln 3, 4 und 5 weiter aus, wo ich die verschiedenen Theorien über Ursuppen und andere Szenarien für den Übergang von Chemie zu Leben beschreibe, die miteinander im Wettstreit stehen. Dort stelle ich auch einige der Versuche vor, Leben im Laboratorium zu erzeugen, und gebe einen kurzen Überblick über die Fossilienlage bezüglich der frühesten Lebensformen. Manche der einführenden Erklärungen über Darwinismus und über Grundlagen der Molekularbiologie mögen dem Leser bekannt sein, auch wenn ich versucht habe, die orthodoxen Ideen auf neue Weise darzustellen.

Habe ich Recht und liegt der Schlüssel zur Entstehung des Lebens nicht in der Chemie, sondern in einer besonderen logischen und informationellen Architektur, dann beinhaltete einer der entscheidenden Schritte die Entstehung eines softwaregesteuerten Informationssystems. In Kapitel 4 argumentiere ich, dass dieser Schritt und das Auftauchen eines genetischen Codes eng verknüpft waren. Mit Hilfe von Ausdrücken und Begriffen der Computerwissenschaft habe ich versucht, die vollkommen ungewöhnliche Form von Komplexität zu erhellen, die in den Genen lebender Organismen zu finden ist. Biologische Komplexität besitzt Eigenschaften, welche die Existenz des Genoms, des Gesamtsatzes von Genen eines Organismus, fast als unmöglich erscheinen lassen. Und doch muss es irgendwie entstanden sein.

Persönlich bin ich zu folgendem Schluss gekommen: Kein bekanntes Naturgesetz könnte aus einem noch so raffinierten Chemikaliengemisch so unausweichlich, wie manche Wissenschaftler es behaupten, eine derartige Struktur hervorbringen. Wenn Leben im Universum bevorzugt entsteht und allgemein verbreitet ist, dann müssen neuartige physikalische Prinzipien am Werk sein. Davon ist im letzten Kapitel die Rede, wo ich versucht habe, die immensen philosophischen Auswirkungen zu erläutern, die auf uns zukämen, wenn das Universum von Leben wimmelte – was nach dem Glauben vieler der Fall ist. Ich zweifle nicht daran, dass der Ursprung des Lebens kein Wunder war, und bin davon überzeugt, dass wir uns in einem lebensfreundlichen, unglaublich erfinderischen Universum befinden.

Die zweite Hälfte des Buches ist hauptsächlich einer radikal neuen Theorie über den Ursprung des Lebens gewidmet. Seit Darwins Zeiten gab es nur zwei umfassende Theorien der Biogenese. Nach der ersten begann das Leben durch chemische Selbstmontage in einem wässrigen Medium irgendwo auf der Erdoberfläche. Darwin selbst sprach von einem «warmen kleinen Teich». Die andere Theorie besagt, dass Leben in Form kompletter Mikroben aus dem Weltraum zur Erde gelangt ist – die sogenannte Panspermiehypothese, die den eigentlichen Ursprung des Lebens allerdings im Dunkeln läßt. In den letzten Jahren sprechen in meinen Augen jedoch immer mehr Indizien für eine dritte Alternative: Das Leben begann im Inneren der Erde. Natürlich nicht im flüssigen Erdkern, sondern in mehreren Kilometern Tiefe in der festen Kruste, wahrscheinlich unter dem Meeresboden, wo geothermische Aktivität braukesselartige Bedingungen schafft. Die extreme Hitze und chemische Potenz der Zone unter der Erdoberfläche, besonders in der Nähe von hydrothermalen Vulkanschloten, würde die meisten bekannten Organismen sofort umbringen, doch für die Biogenese war eine solche Umgebung ideal. Wissenschaftler haben absonderliche Mikroben entdeckt, die noch heute in dieser Bruthitze leben, in Temperaturen weit über dem Siedepunkt von Wasser. Diese Supermikroben sind in Kapitel 7 beschrieben, wo ich auch erläutere, weshalb ich sie als lebendige Fossilien aus der Frühzeit des Lebens ansehe. Meiner Meinung nach haben ganz ähnliche Supermikroben einst unter der Marsoberfläche gelebt und könnten, in großen Tiefen, durchaus noch heute dort existieren. Die Gründe dafür lege ich in Kapitel 8 dar. Darüber hinaus bin ich überzeugt, dass Mikroorganismen in Gesteinsbrocken, die durch Einschläge von Riesenmeteoriten aus der Planetenkruste gesprengt wurden, zwischen Erde und Mars unterwegs gewesen sind. Ein großer Teil von Kapitel 8 ist daher dem umstrittenen Thema der Marsmeteoriten gewidmet, besonders dem berühmten Exemplar ALH84001, das NASA-Wissenschaftlern zufolge fossile Marsmikroben enthalten soll. Dass ein Materieaustausch zwischen Planeten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit stattgefunden hat, obwohl diese Möglichkeit von den meisten Wissenschaftlern und Kommentatoren in der jüngsten Debatte über Leben auf dem Mars übersehen worden zu sein scheint, macht den tatsächlichen Ursprung des Lebens noch problematischer. Hat es auf der Erde begonnen, auf Mars oder auf beiden unabhängig voneinander? Oder liegt der Ursprung etwa ganz woanders? Die Bedeutung der Astronomie für die Biogenese bespreche ich in Kapitel 6; ein Überblick über die Beweislage bezüglich der wieder erwachten Panspermietheorien findet sich in Kapitel 9. Während der Recherchen zu diesem Buch kamen mir eingehende Diskussionen mit vielen hervorragenden Kollegen zustatten. Manche davon habe ich schon erwähnt. Besonderer Dank gebührt Susan Barns, Robert Hannaford, John Parkes, Steven Rose, Mike Russell, Duncan Steel, Karl Stetter und Malcolm Walter, die so freundlich waren, frühere Entwürfe des Manuskripts zu lesen und kommentieren. Auch Diane Addie, David Blair, Julian Brown, Roger Buick, Julian Chela-Flores, George Coyne, Helena Cronin, Robert Crotty, Susan Davies, Monica Grady, Stuart Kauffman, Bernd-Olaf Küppers, Clifford Matthews, Chris McKay, Jay Melosh, Curt Mileikowsky, Martin Redfern, Martin Rees, Everett Shock, Lee Smolin, Roger Summons, Ruediger Vaas, Frances Westall und Ian Wright leisteten mir wertvolle Hilfe.

 

Abschließend einige Worte zum Titel dieses Buches. Er bezieht sich auf die biblische Schöpfungsgeschichte, die beschreibt, wie Gott in mehreren Schritten die Welt erschaffen hat. In Vers 11 heißt es: «Möge das Land Pflanzen hervorbringen.» Dies ist die erste Erwähnung von Leben, welches als das fünfte Wunder erscheint. Die vorhergehenden vier Wunder sind die Erschaffung des Universums, die Schaffung von Licht, des Firmaments und des festen Bodens. Bibelgelehrte haben mich darauf hingewiesen, diese Zählung beruhe auf einer Fehldeutung der Schöpfungsgeschichte, deren erste Zeile – «Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde» – nicht die Beschreibung eines eigenen, wunderbaren Aktes sei, sondern die Einführung in den großen Plan, dessen Verwirklichung dann in den folgenden Versen im Einzelnen dargestellt wird. Dennoch bin ich beim fünften Wunder geblieben, womit allerdings nicht gesagt sein soll, der Ursprung des Lebens sei tatsächlich ein Wunder gewesen. Leser, die sich für die theologischen Aspekte des Themas interessieren, seien auf meine früheren Bücher Der Plan Gottes und Sind wir allein im Universum? verwiesen.

 

Paul Davies

Adelaide, Australien

1 Was Leben bedeutet

Stellen Sie sich vor, Sie steigen in eine Zeitmaschine und reisen vier Milliarden Jahre in die Vergangenheit. Was wird Sie dort erwarten, wenn Sie aussteigen? Sicher keine grünen Hügel und friedlichen Sandstrände, keine weißen Klippen oder dichten Wälder. Der junge Planet hat wenig Ähnlichkeit mit seinem heutigen, milden Wesen. Der Name «Erde» erscheint vollkommen fehl am Platz: «Ozean» wäre angemessener, denn die Welt ist fast vollständig von einer dicken Schicht heißen Wassers bedeckt. Es gibt keine Kontinente, welche die brodelnden Fluten brechen könnten. Nur hier und da erhebt sich der Gipfel eines mächtigen Vulkans über die Wasserwüste und speit gigantische Wolken übel riechender Gase. Die Atmosphäre ist von erdrückender Dichte und unmöglich zu atmen. Die Sonne, wenn sie einmal durch die Wolken bricht, ist so tödlich wie ein Kernreaktor und badet den Planeten in ultravioletter Strahlung. Nachts blitzen Meteore am Himmel auf und ziehen ihre Spuren, und gelegentlich durchdringt ein großer Meteorit die Atmosphäre und stürzt in den Ozean, was zu riesigen Tsunamis führt, kilometerhohen Flutwellen, die sich um den Globus wälzen.

Der Meeresboden unter dem weltumspannenden Ozean besteht nicht, wie heute, aus hartem Fels. Dicht unter ihm brennt noch das Höllenfeuer der Erdgeburt. An manchen Stellen bricht die dünne Kruste auf, und aus gewaltigen Rissen quillt Lava in die Tiefen des Ozeans. Unter dem enormen Druck der höheren Schichten siedet das Wasser nicht, sondern dringt in das Geäst der Vulkankanäle und verwandelt sie in brodelnde Chemiefabriken, die tief in die bebende Erdkruste reichen. Und irgendwo dort in der sengenden Tiefe, in den finsteren Höhlen im Meeresboden, geschieht etwas Außergewöhnliches, etwas, das die Gestalt des Planeten und am Ende vielleicht des ganzen Universums verändern wird: die Geburt des Lebens.

Diese Geschichte ist natürlich pure Spekulation. Sie stellt nur eines von vielen Szenarien dar, welche die Wissenschaft für die Entstehung des Lebens anbietet, doch es erscheint immer mehr als das plausibelste von allen. Vor zwanzig Jahren wäre es noch Ketzerei gewesen, zu behaupten, das Leben auf der Erde hätte in vulkanischen Tiefen begonnen, weit weg von Luft und Sonnenlicht, doch immer mehr Anzeichen sprechen dafür, dass unsere frühesten Vorfahren nicht aus einem Urschleim gekrochen, sondern einer schwefeligen Unterwelt entstiegen sind. Es könnte sogar sein, dass wir Oberflächenwesen nur eine Art Verirrung sind, eine exzentrische Form der Anpassung, die sich nur unter den speziellen Bedingungen auf der Erde ergeben konnte. Wenn es noch anderswo im Universum Leben gibt, dann könnte es fast vollständig unterirdisch und auf Planetenoberflächen äußerst selten sein.

Inzwischen herrscht eine gewisse Übereinstimmung, dass die frühesten Lebensformen der Erde Mikroben in großen Tiefen waren. Darüber, ob der Lebensraum tief in der Erdkruste auch der Ort war, wo Leben entstanden ist, oder ob es sich nur sehr früh dort niedergelassen hat, sind die Meinungen jedoch geteilt. Denn trotz spektakulärer Fortschritte in Molekularbiologie und Biochemie in den vergangenen Jahrzehnten weiß man immer noch nicht, wie sich der Beginn des Lebens vollzogen hat. Wir verfügen zwar über die Umrisse einer Theorie, doch von einer Erklärung der Prozesse, die Materie in Leben umwandeln, Schritt für Schritt, sind wir noch weit entfernt. Selbst die genaue Lage der Brutstätte bleibt ein Geheimnis. Möglicherweise war es gar nicht auf der Erde; vielleicht ist das Leben aus dem Weltraum gekommen.

Wissenschaftler, die versuchen, den Ursprung des Lebens zu erklären, stehen vor der Schwierigkeit, dass sie Ereignisse zu beschreiben haben, die sich vor Milliarden von Jahren zugetragen und kaum oder keine Spuren hinterlassen haben – eine Aufgabe, an der man verzweifeln könnte. Im Laufe der letzten Jahre gab es jedoch eine Reihe bemerkenswerter Entdeckungen in Zusammenhang mit den wahrscheinlich primitivsten Organismen der Erde. Zugleich wurden auch große Fortschritte in der Labormethodik und im Verständnis der Bedingungen im frühen Sonnensystem erzielt. Und schließlich hat das neuerliche Interesse an der Möglichkeit von Leben auf dem Mars weiteres Nachdenken darüber angeregt, was eigentlich die notwendigen Bedingungen für Leben sind. Zusammen haben diese Entwicklungen dazu geführt, dass das Thema «Leben», früher ein spekulatives Randgebiet, heute zum Kernbereich wissenschaftlicher Forschung gehört.

Wie und wo Leben entstanden ist, gehört zu den letzten großen Geheimnissen. Es ist ein Problem, das nicht nur die Wissenschaft betrifft, sondern auch Philosophie und Religion. Antworten auf so grundlegende Fragen wie die, ob wir die einzigen denkenden Wesen im Universum sind, ob Leben auf einem Zufall beruht oder auf einem fundamentalen Gesetz und ob unsere Existenz einen Sinn hat, hängen davon ab, was die Wissenschaft über die Entstehung von Leben enthüllen kann.

In einem Feld, das derart mit Bedeutung überladen ist, überrascht es nicht, dass die Meinungen auseinander gehen. Manche Wissenschaftler betrachten Leben als eine groteske chemische Absonderlichkeit, einzigartig im Universum, während andere überzeugt sind, es sei die vorhersehbare Konsequenz von Naturgesetzen, die Leben begünstigen. Ist das großartige Gebäude des Lebens nichts als die Folge eines verrückten Zufalls, wie der französische Biologe Jacques Monod behauptet hat, dann kann man sich nur seinem düsteren Atheismus anschließen, den er in folgende Worte gefasst hat:

Der Alte Bund ist zerschlagen: der Mensch weiß endlich, dass er in der teilnahmslosen Unermesslichkeit des Universums allein ist, aus dem er zufällig hervortrat. Nicht nur sein Los, auch seine Pflicht steht nirgendwo geschrieben.

Kommt jedoch heraus, dass das Leben nach einer tiefen kosmischen Gesetzmäßigkeit mehr oder weniger vorgeplant war – dass es auf fundamentale Weise zu einem großen kosmischen Drehbuch gehört –, dann wäre das ein Hinweis, dass das Universum als Ganzes einen Zweck verfolgt. Kurz gesagt: Der Ursprung des Lebens ist der Schlüssel zum Sinn des Lebens.

Im Folgenden werde ich diese umstrittenen philosophischen Fragen angehen, indem ich die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse beleuchte und überprüfe. Wie lebensfreundlich ist das Universum wirklich? Ist das Leben auf die Erde beschränkt? Wie kann aus einfachen physikalischen Prozessen etwas so Komplexes hervorgehen, wie es schon der einfachste Organismus darstellt?

Das Geheimnis um den Ursprung des Lebens

Der Ursprung des Lebens erscheint fast als ein Wunder, so zahlreich sind die Bedingungen, die zu erfüllen wären, um es in Gang zu setzen.

Francis Crick

Nach der Überlieferung der australischen Aborigines des Kimberley-Plateaus bedeckte Wallanganda, Herrscher über die Galaxie und Schöpfer der Erde, Wunggud, die riesige Erdschlange, mit frischem Wasser aus dem Weltraum. Wunggud, deren Körper ganz aus Urmaterie bestand, war zu einem Ball aus einer geleeartigen Masse zusammengerollt, dem ngallalla yawun. Unter dem Einfluss des stärkenden Wassers rührte sich Wunggud und drückte Vertiefungen in den Boden, garagi, in denen sich das Wasser sammelte. Dann machte sie Regen und begann die Kreisläufe des Lebens, die Jahreszeiten und die Zyklen von Fortpflanzung und Menstruation. Ihre Schöpferkraft brachte die Landschaft und alle Lebewesen hervor und alles, was wächst, worüber sie heute noch herrscht.

Jede Kultur hat ihre Schöpfungsmythen, wobei manche farbenfroher sind als andere. Die westliche Zivilisation hielt sich dazu über Jahrhunderte an die Bibel, deren Texte neben der australischen Erzählung ziemlich blass erscheinen. Nach der Bibel schuf Gott das Leben mehr oder weniger ab initio als das fünfte Wunder.

Nicht weit vom Kimberley-Plateau, jenseits der Großen Sandwüste in den Bergen des Pilbara-Schilds, liegen die ältesten Fossilien der Welt, die heute zum wissenschaftlichen Tagebuch der Schöpfung gehören. Die moderne Wissenschaft geht davon aus, dass das Leben nicht von einem Gott oder einem übernatürlichen Wesen erschaffen worden, sondern ohne äußeren Eingriff spontan in einem natürlichen Prozess entstanden ist.

In den vergangenen beiden Jahrhunderten haben Wissenschaftler unter großen Mühen die Geschichte des Lebens zusammengesetzt. Fossilien zeigen eindeutig, dass frühes Leben ganz anders war als heutige Formen. Allgemein kann man sagen, je weiter man in der Zeit zurückgeht, desto einfacher waren die Lebewesen, welche die Erde bewohnten. Die große Verbreitung komplexer Lebensformen vollzog sich erst in den letzten tausend Millionen Jahren. Die ältesten ordentlich dokumentierten, echten Tierfossilien, ebenfalls in Australien (in der Flinders Range nördlich von Adelaide), datiert man auf ein Alter von 560 Millionen Jahren. Unter dieser so genannten Ediacara-Fauna sind auch Geschöpfe, die an Quallen erinnern. Kurz nach jener Epoche, vor etwa 545 Millionen Jahren, setzte eine wahre Artenexplosion ein, die in der Kolonisierung des Festlands durch große Pflanzen und Tiere gipfelte. Doch bis vor etwa einer Milliarde Jahren beschränkte sich das Erdenleben auf einzellige Organismen.

Die Entwicklung zu immer komplexeren und vielfältigeren Arten hin wird in großen Zügen durch Darwins Theorie der Evolution erklärt, nach der die Arten sich unablässig verzweigt und wieder verzweigt haben, was zu immer klarer unterscheidbaren Stammbäumen geführt hat. Geht man dagegen in die Vergangenheit zurück, dann laufen diese Stammbäume zusammen, und alles deutet darauf hin, dass alles Leben auf der Erde von einem einzigen, gemeinsamen Vorfahren abstammt. Jeder Mensch, jedes Tier, jede Pflanze und jede mikroskopisch kleine Bakterie geht also auf dieselbe winzige Mikrobe zurück, die vor Milliarden von Jahren gelebt hat: das erste Lebewesen.[2] Damit bleibt jedoch immer noch zu erklären, wie es zur ersten Mikrobe kam, und dies ist das zentrale, ungelöste Rätsel der Geschichte des Lebens.

Ein Blick in die innersten Mechanismen des Lebens lässt dieses Geheimnis nur noch tiefer erscheinen. Die lebende Zelle ist das komplexeste System ihrer Größe, das dem Menschen bekannt ist. Ihre unzähligen spezialisierten Moleküle, von denen viele ausschließlich in lebenden Organismen zu finden sind, stellen für sich schon eine unglaubliche Komplexität dar. Sie vollführen einen Tanz von atemberaubender Präzision, viel ausgeklügelter als das komplizierteste Ballett. Im Tanz des Lebens wirken unzählige Moleküle zusammen, doch von einem Choreographen ist nichts zu sehen. Keine Spur von einem intelligenten Aufseher, keine mystische Kraft, kein bewusster Kontrollmechanismus, der dafür sorgte, dass sich die Moleküle zur richtigen Zeit am richtigen Ort einfinden, der die geeigneten Tänzer auswählte, Lücken schlösse, Paare auflöste und die Akteure weiterbewegte. Der Tanz des Lebens ist spontan, erhält sich selbst und erzeugt sich selbst.

Wie konnte etwas so immens Kompliziertes, so Ausgefeiltes, so unfassbar Raffiniertes ganz ohne Hilfe zustande kommen? Wie können «dumme» Moleküle, die nur in der Lage sind, an ihren direkten Nachbarn zu zerren und zu schieben, in einer Weise zusammenwirken, dass dabei etwas so Geniales wie ein lebender Organismus herauskommt?

Die Lösung dieses Rätsels beschäftigt viele Disziplinen, vor allem die Biologie, doch auch Chemie, Astronomie, Mathematik, Computerwissenschaft und Physik haben etwas beizutragen. Daneben ist es auch eine Übung in Geschichtsforschung. Nur wenige Wissenschaftler glauben heute, das Leben sei in einem einzigen, gewaltigen Sprung entstanden. Kein physikalischer Prozess hat toter Materie von heute auf morgen «Leben eingehaucht». Es muss eine ausgedehnte und komplizierte Übergangsphase zwischen lebloser Materie und dem ersten wirklich lebenden Organismus gegeben haben, eine Chronologie von Ereignissen, die in ihren unzähligen Einzelheiten wahrscheinlich nicht vorbestimmt war.

Ein Naturgesetz kann für sich nicht erklären, wie das Leben begonnen hat, da kein Gesetz denkbar ist, das Myriaden von Atomen dazu zwingen kann, auf bestimmte Weise und in genau festgelegter Reihenfolge Verbindungen einzugehen. Die Entstehung des Lebens war sicherlich im Einklang mit den Naturgesetzen, doch es muss auch einiger Zufall – das Unvorhersehbare, wie die Philosophen es nennen – im Spiel gewesen sein. Deshalb und weil wir die Bedingungen nicht kennen, die in fernster Vergangenheit geherrscht haben, werden wir nie genau wissen, welche Abfolge von Ereignissen die erste Lebensform hervorgebracht hat.

Das Geheimnis der Biogenese besteht jedoch nicht nur in der Urkenntnis bestimmter Einzelheiten. Es gibt auch ein grundsätzliches, begriffliches Problem, welches die Natur des Lebens an sich betrifft. Ich habe eine dieser Lampen auf meinem Schreibtisch, die in den sechziger Jahren so beliebt waren. In ihr steigen und fallen träge, verschiedenfarbige Flüssigkeitsblasen, ohne sich miteinander zu vermischen. Das Verhalten der Blasen wird zuweilen als «lebensähnlich» bezeichnet, eine Eigenschaft, die man verschiedenen leblosen Systemen zuschreibt. Andere Beispiele sind die flackernde Flamme, Schneeflocken, Wolkenmuster, Strudel und Stromschnellen. Was unterscheidet solche Systeme von echten, lebenden Organismen?

Der Unterschied ist nicht graduell, sondern fundamental. Legt ein Huhn ein Ei, dann darf man ohne weiteres annehmen, dass nichts anderes als ein Küken ausschlüpfen wird. Doch versuchen Sie einmal, die genaue Form der nächsten Schneeflocke vorherzusagen. Der entscheidende Unterschied ist, dass ein Küken nach detaillierten genetischen Informationen konstruiert ist, während die Formen der Blasen in der Lampe, der Schneeflocken und der Stromschnellen vollkommen zufällig sind. Es gibt kein «Schneeflocken-Gen». Biologische Komplexität beruht auf Instruktionen.

In den kommenden Kapiteln werde ich argumentieren, dass es nicht reicht, zu wissen, wie die unfassbare strukturelle Komplexität des Lebens zustande gekommen ist. Wir müssen auch eine Erklärung für den Ursprung biologischer Information finden. Wie wir sehen werden, ist die Wissenschaft noch weit davon entfernt, dieses grundlegende begriffliche Rätsel zu lösen – worüber natürlich sehr froh ist, wer meint, dies lasse Raum für ein Schöpfungswunder. Doch aufgepasst: Dass die Wissenschaftler noch nicht sicher sind, wie Leben begonnen hat, bedeutet nicht, dass es keinen natürlichen Ursprung gehabt haben kann.

Wie geht man vor, wenn man zu einer wissenschaftlichen Beschreibung der Entstehung des Lebens gelangen will? Auf den ersten Blick erscheint es hoffnungslos. Die traditionelle Methode der Fossiliensuche liefert kaum Hinweise. Die meisten der zerbrechlichen, präbiotischen Moleküle, aus denen sich Leben gebildet hat, sind längst verschwunden. Wir können bestenfalls hoffen, auf gewisse chemische Rückstände zu stoßen, welche die Urorganismen, aus denen sich das heutige, in Zellen organisierte Leben entwickelt hat, zurückgelassen haben.

Könnten wir uns nur auf versteinerte Fossilien stützen, dann wären die Aussichten, den Ursprung und die ersten Entwicklungsschritte des Lebens zu verstehen, ausgesprochen trübe. Zum Glück gibt es aber noch eine ganz andere Art von Indizien: eine Beweiskette, die von hier und heute, von existierenden Lebensformen bis in die fernste Vergangenheit reicht. Biologen sind überzeugt, dass Merkmale urzeitlicher Organismen in den Strukturen und biochemischen Prozessen ihrer Nachfahren – auch des Menschen – fortleben. In der modernen Zelle finden wir Relikte vergangenen Lebens – hier ein seltsames Molekül, da eine sonderbare chemische Reaktion –, so wie man als Archäologe auf außergewöhnliche Münzen, unerwartete Werkzeuge oder verdächtige Grabhügel stößt. Unter den verwickelten Prozessen in modernen Organismen überleben Spuren urzeitlichen Lebens und bilden eine Brücke zu unserer fernen Vergangenheit. In der Analyse solcher versteckter Spuren haben Wissenschaftler begonnen, die physikalischen und chemischen Pfade zu rekonstruieren, die zur Entstehung der ersten lebenden Zelle geführt haben könnten.

Trotz einer Reihe biochemischer Indizien würde eine solche Rekonstruktion dennoch weitgehend auf Vermutungen beruhen, wären nicht kürzlich bestimmte «lebendige Fossilien» entdeckt worden – Mikroben, die in bizarren und extremen Umgebungen hausen. Diese so genannten Supermikroben, die heute intensiv erforscht werden, könnten die gesamte Mikrobiologie revolutionieren. Die absonderlichen Mikroben scheinen den primitiven Organismen sehr ähnlich zu sein, aus denen sich alles Leben auf der Erde entwickelt haben muss. Weitere Hinweise könnten aus der Suche nach Leben auf dem Mars und auf anderen Planeten sowie aus der Erforschung von Kometen und Meteoriten hervorgehen. Die Gesamtheit der Indizien mag uns eines Tages gar in die Lage versetzen, den Ursprung des Lebens im Universum zu entschlüsseln, zumindest in groben Zügen.

Was ist Leben?

Bevor wir uns der Frage nach dem Ursprung des Lebens zuwenden, müssen wir eine klare Vorstellung haben, was Leben ist. Vor fünfzig Jahren waren viele Wissenschaftler überzeugt, das Problem des Lebens stände kurz vor seiner Lösung. Biologen erkannten, dass der Schlüssel unter den molekularen Bausteinen der Zelle zu finden war. Physiker hatten zuvor eindrucksvolle Fortschritte im Verständnis der atomaren Struktur der Materie erzielt, und nun sah es so aus, als würden sie bald auch das Geheimnis des Lebens aufklären. Erwin Schrödingers Buch von 1944, Was ist Leben?, bestimmte die Agenda. Organismen, so schien es damals, waren nichts weiter als raffinierte, aus mikroskopisch kleinen Bauteilen zusammengesetzte Maschinen, die man mit den Techniken der Experimentalphysik untersuchen konnte, und sorgfältige Forschungen stützten diese Ansicht. Nun brauchte man nur noch die Bedienungsanleitungen zu finden, und das Problem wäre gelöst.

Wie naiv diese Anschauung heute erscheint! Die Molekularbiologie konnte wohl einige verblüffende Erfolge verzeichnen, doch das ändert nichts daran, dass man immer noch nicht genau weiß, was den Unterschied zwischen lebenden Organismen und anderen Dingen ausmacht. Die Behandlung des Organismus als Mechanismus hat sich zweifellos als sehr fruchtbar erwiesen, doch muss man sich davor hüten, dem Charme ihrer Einfachheit zu verfallen. Die mechanistische Beschreibung spielt eine wichtige Rolle im Verständnis des Lebens, doch sie erklärt nicht alles.

An einem Beispiel wird sofort deutlich, wo das Problem liegt. Stellen Sie sich vor, Sie werfen einen toten und einen lebendigen Vogel in die Luft. Der tote Vogel wird, wie man leicht vorhersehen kann, ein paar Meter neben Ihnen auf den Boden klatschen. Der lebende Vogel könnte dagegen bald auf einer Fernsehantenne am anderen Ende der Stadt balancieren, oder er landet auf einem Baum, einem Dach, auf einer Hecke oder in einem Nest. Es ist unvorhersehbar, wo er landen wird.

Als Physiker sehe ich Materie als einen passiven, unbeteiligten Klumpen, der nur in Bewegung kommt, wenn äußere Kräfte ihn dazu zwingen – so wie der tote Vogel unter dem Einfluss der Schwerkraft zu Boden plumpst. Lebewesen haben dagegen wortwörtlich ihr eigenes Leben, als ob sie einen inneren Funken besäßen, der ihnen Autonomie verleiht, so dass sie (in Grenzen) tun können, was sie wollen. Selbst Bakterien verfolgen in gewissem Maße ihre eigenen Pläne. Bedeutet diese innere Freiheit, diese Spontaneität nun, dass Leben die Gesetze der Physik brechen kann, oder ist es nur so, dass Organismen diese Gesetze für ihre eigenen Zwecke einspannen? Und wenn sie das tun, auf welche Weise? Wo kommen diese «Zwecke» her in einer Welt, die von blinden und zweckfreien Kräften beherrscht zu sein scheint?

Die Eigenschaft der Autonomie oder Selbstbestimmung scheint dem Kern des großen Rätsels nahe zu kommen, was lebende von leblosen Dingen unterscheidet, doch woher sie eigentlich stammt, ist schwer zu sagen. Was sind die physikalischen Eigenschaften lebender Organismen, die ihnen Autonomie verleihen? Auf diese Frage weiß noch niemand eine Antwort.

 

Autonomie ist ein wichtiges Merkmal des Lebens, doch es gibt noch viele andere, darunter die folgenden:

Reproduktion – Ein lebender Organismus sollte in der Lage sein, sich fortzupflanzen. Doch auch manche nicht lebende Dinge haben diese Fähigkeit, zum Beispiel Kristalle und Buschfeuer, während Viren, die von vielen als lebend angesehen werden, sich allein nicht vermehren können. Maultiere gehören zweifellos zu den Lebewesen, doch auch sie sind steril. Erfolgreiche Fortpflanzung produziert mehr als eine bloße Kopie des Originals. Der Nachkomme muss stets auch eine Kopie des Fortpflanzungsapparats in sich tragen. Um ihre Gene bis jenseits der nächsten Generation fortzupflanzen, müssen Organismen nicht nur die Gene selbst kopieren, sondern auch den Kopiermechanismus, mit dem sie das Replikat angefertigt haben.

Stoffwechsel – Um als tatsächlich lebend anerkannt zu werden, muss ein Organismus auch irgendetwas tun. Jeder Organismus verarbeitet Chemikalien in komplizierten Reaktionsketten und gewinnt dabei Energie, die ihn befähigt, Aufgaben auszuführen, zum Beispiel Bewegung und Fortpflanzung. Diese chemische Verarbeitung und Energiefreisetzung bezeichnet man als Stoffwechsel, der jedoch an sich wiederum nicht mit Leben gleichgesetzt werden kann. Manche Mikroorganismen können über lange Zeit vollkommen ruhen, wobei sie alle ihre Lebensfunktionen abschalten, doch irgendwann wachen sie wieder auf, weshalb wir sie nicht als tot bezeichnen würden.

Ernährung – Diese hängt eng mit dem Stoffwechsel zusammen. Schließt man einen Organismus lange genug in einem Kasten ein, dann wird er bald aufhören zu funktionieren und schließlich sterben. Ununterbrochener Materie- und Energiefluss ist lebenswichtig. Deshalb fressen Tiere andere Tiere oder Pflanzen; deshalb vollziehen Pflanzen Photosynthese. Doch auch Energie- und Materieumsatz stellen allein kein Leben dar. Jupiters großer roter Fleck ist ein Strudel, der von Materie- und Energieflüssen aufrechterhalten wird, doch niemand würde ihn als lebendig bezeichnen. Außerdem ist es nicht irgendwelche Energie, die zum Leben gebraucht wird, sondern nutzbare oder freie Energie. Darauf werde ich später noch zurückkommen.

Komplexität – Alle bekannten Lebensformen sind erstaunlich komplex. Sogar einzellige Organismen wie Bakterien wimmeln von Aktivität, an der Millionen von Zellkomponenten beteiligt sind. Zu einem gewissen Grad ist es diese Komplexität, die die Unberechenbarkeit von Organismen garantiert. Andererseits sind auch ein Wirbelsturm oder eine Galaxie sehr komplex, und Wirbelstürme sind für ihre Unberechenbarkeit berüchtigt. Viele leblose physikalische Systeme sind in der Sprache der Wissenschaftler «chaotisch»: Ihr Verhalten ist zu kompliziert, als dass man es vorhersagen könnte, und manche Systeme sind vollkommen zufallsbedingt und unberechenbar.

Organisation – Möglicherweise ist nicht Komplexität an sich das Entscheidende, sondern organisierte Komplexität. Die Komponenten eines Organismus müssen zusammenwirken, sonst kann der Organismus nicht als zusammenhängende Einheit funktionieren. So sind Arterien und Venen vollkommen nutzlos, wenn es kein Herz gibt, das Blut durch sie pumpt. Unsere zwei Beine würden uns kaum weiterhelfen, wenn ihre Bewegungen nicht koordiniert wären. Selbst innerhalb einzelner Zellen ist die Zusammenarbeit verblüffend. Die Moleküle trudeln nicht einfach sinnlos umher, sondern verhalten sich wie Arbeiter in einer Montagehalle, mit einem hohen Grad an Spezialisierung, mit Arbeitsteilung und einer Befehls- und Kontrollstruktur.

Wachstum und Entwicklung – Einzelne Organismen wachsen, und Ökosysteme tendieren dazu, sich auszubreiten (falls die Umstände günstig sind). Doch viele nicht lebende Dinge wachsen ebenfalls (Kristalle, Rost, Wolken). Eine subtilere, aber weitaus bedeutendere Eigenschaft lebender Dinge ist ihre Entwicklung. Die bemerkenswerte Geschichte des Lebens auf der Erde zeigt eine allmähliche evolutionäre Anpassung. Der Schlüssel liegt in der Variation; Replikation in Verbindung mit Variation führt zu darwinischer Evolution. Wir könnten das Problem auch umdrehen und sagen: Wenn es sich so entwickelt, wie Darwin darlegt, lebt es.

Informationsgehalt – In den letzten Jahren haben Wissenschaftler die Ähnlichkeiten zwischen lebenden Organismen und Computern betont. Entscheidend ist, dass die Information, die zur Fortpflanzung eines Organismus nötig ist, in Form von Genen an den Nachwuchs vererbt wird. Leben ist also eine Art Informationstechnologie, doch auch dies reicht nicht als Definition. Das Muster von Blättern auf einem Waldboden enthält reichlich Information, die jedoch nichts bedeutet. Information als Kriterium von Leben muss eine Bedeutung haben für das System, das sie empfängt. Es muss einen «Kontext» geben. In anderen Worten, die Information muss spezifiziert sein. Doch wo kommt dieser Kontext her? Wie kommt es in der Natur spontan zu einer bedeutungsvollen Spezifikation?

Hardware-Software-Verknüpfung – Wie wir noch sehen werden, geht alles Leben, wie man es auf der Erde findet, auf eine Übereinkunft zwischen zwei sehr verschiedenen Klassen von Molekülen zurück: Nukleinsäuren und Proteine. Die beiden Gruppen ergänzen einander in ihren chemischen Eigenschaften, doch die Übereinkunft geht viel tiefer, bis in den Kern dessen, was Leben heißt: Nukleinsäuren speichern die Software des Lebens, während die Proteine die Arbeit verrichten und die Hardware stellen. Die beiden chemischen Domänen können nur deshalb zusammenarbeiten, weil es einen hochspezifischen und ausgeklügelten Kommunikationskanal zwischen ihnen gibt, der über einen Code operiert, den genetischen Code. Dieser Kommunikationskanal und der zugehörige Verständigungsschlüssel – beides Produkte der Evolution – verzahnen die Hardware- und Softwareaspekte des Lebens auf verblüffende und fast paradoxe Weise.

Stetigkeit und Wandel – Ein anderes, uraltes Rätsel ist die eigenartige Verbindung von Stetigkeit und Wandel, in der Sprache der Philosophen der Konflikt zwischen Sein und Werden. Die Aufgabe der Gene ist es, Replikate oder Kopien herzustellen und die genetische Botschaft zu bewahren. Doch ohne Veränderung kann es keine Anpassung geben, und die Gene würden untergehen: Anpassung oder Tod lautet der darwinsche Imperativ. Doch wie können Stetigkeit und Wandel in einem System zusammen existieren? Dies ist der zentrale Widerspruch der Biologie. Leben auf der Erde beruht auf der schöpferischen Spannung zwischen zwei widersprüchlichen Anforderungen. Die Spielregeln, nach denen dieser Konflikt ausgetragen wird, sind uns zum Teil noch schleierhaft.

Wie wir erkennen werden, gibt es keine einfache Antwort auf Schrödingers Frage, was Leben ist. Es gibt kein einfaches Unterscheidungsmerkmal zwischen dem Lebenden und dem Nichtlebenden, und vielleicht ist das ganz gut so, denn für die Wissenschaft ist die Natur eine Einheit. Alles, was einen Keil zwischen die Reiche des Lebenden und des Leblosen treibt, könnte uns zu dem Glauben führen, Leben sei etwas Magisches oder Mystisches und letztlich unnatürlich. Es ist ein Irrweg, nach einer scharfen Trennlinie zwischen lebendigen und anderen Systemen zu suchen. Man findet keinen tiefsten Kern des Lebens, kein spezielles «Lebensmolekül», das sich unter Schichten von Chemie verbirgt. Es existiert kein lebendiges Molekül, sondern nur ein System molekularer Prozesse, das in seiner Gesamtheit unter Umständen als lebend angesehen werden kann.

Die Liste von Merkmalen und Faktoren des Lebens kann man grob unter zwei Begriffen zusammenfassen: Stoffwechsel und Reproduktion. Das sehen wir in unserem eigenen Leben. Die Hauptaktivitäten des Menschen sind im Grunde Atmen, Essen, Trinken, Ausscheiden und Geschlechtsverkehr. Die ersten vier dieser Tätigkeiten sind für den Stoffwechsel nötig, während die letzte der Reproduktion dient. Wesen, die über Stoffwechsel verfügen, sich aber nicht vermehren, und solche, die sich vermehren und keinen Stoffwechsel besitzen, würde man kaum als lebendig bezeichnen.

Die Lebenskraft und andere überholte Anschauungen

Bedenkt man, wie schwer das Phänomen «Leben» zu begreifen ist, dann überrascht es nicht, dass so mancher sich in mystische Erklärungen geflüchtet hat. Sind Organismen vielleicht mit irgendeiner Essenz oder Seele gesegnet, die sie lebendig macht? Der Glaube, dass zum Leben im Gegensatz zu gewöhnlicher Materie, die den normalen physikalischen Gesetzen gehorcht, etwas Zusätzliches, Höheres gehört, der so genannte Vitalismus, ist eine verführerische Idee mit einer langen Geschichte. Der griechische Philosoph Aristoteles führte die Lebenskraft oder «Psyche» ein, die lebenden Organismen ihre besonderen Merkmale, ihre Autonomie verleihen sollte. Aristoteles’ Psyche unterschied sich von der späteren, christlichen Anschauung der Seele als etwas Besonderes und Separates: Nach Aristoteles’ Weltbild besaßen alle Dinge im Universum innere Eigenschaften, die ihr Verhalten bestimmten. Im Grunde betrachtete er das ganze Universum als einen Organismus.

Über die Jahrhunderte erschien der Begriff der Lebenskraft immer wieder in verschiedenen Verkleidungen. Bisweilen versuchte man, sie mit bestimmten Substanzen zu verbinden, zum Beispiel mit der Luft, was vielleicht gar nicht so abwegig war. Schließlich hört man auf zu atmen, sobald man stirbt, und künstliche Beatmung ist eine Form der Wiederbelebung. Später übernahm dann das Blut die Rolle der Lebenssubstanz. Die antiken Mythen leben in Ausdrücken wie «Leben einhauchen» oder «Lebensblut» weiter (als gäbe es noch andere Arten von Blut!).

Mit fortschreitendem wissenschaftlichem Verständnis wurden immer geistreichere Begriffe mit der Lebenskraft verbunden. So wurde behauptet, sie wäre dem Phlogiston oder Äther zuzuschreiben, jenem imaginären Stoff, der bald selbst in Misskredit geraten sollte. Eine andere Idee, im achtzehnten Jahrhundert populär, war, die Lebenskraft mit Elektrizität zu identifizieren. Damals waren elektrische Phänomene noch geheimnisvoll genug, dass sie einem solchen Zweck dienen konnten, und Voltas berühmte Experimente hatten schließlich bewiesen, dass Elektrizität Froschmuskeln zum Zittern bringen konnte. Mary Shelley spielte in ihrem berühmten Roman Frankenstein, in dem das aus Leichenteilen zusammengenähte Monster durch einen Gewitterblitz zum Leben erweckt wird, ausgiebig mit dem Glauben, Elektrizität könnte tote Materie wieder lebendig machen. Im späten neunzehnten Jahrhundert übernahm dann die Radioaktivität die Rolle der Elektrizität als das letzte Geheimnis der Natur, was selbstverständlich dazu führte, dass behauptet wurde, man könne einer Gelatinelösung Leben einhauchen, indem man sie der Strahlung von Radiumkristallen aussetze.

Diese frühen Versuche, die Lebenskraft zu fassen zu bekommen, erscheinen uns heute als purer Unsinn, obwohl die Annahme, zum Leben gehöre etwas, das über die normalen physikalischen Gesetze hinaus geht, bis weit ins zwanzigste Jahrhundert überlebte. Lange Zeit wurden Chemikalien, die von Organismen erzeugt wurden, gesondert behandelt. Noch heute spricht man von «organischer» und «anorganischer» Chemie. Im Hintergrund wurde vorausgesetzt, dass organische Substanzen wie Alkohol, Formaldehyd und Harnstoff irgendwie noch die magische Essenz des Lebens enthielten, selbst außerhalb eines lebenden Organismus. Anorganische Substanzen wie das gewöhnliche Kochsalz sind dagegen wirklich und vollkommen tot.

1828 erlebten die Vitalisten einen gehörigen Schock, als es Friedrich Wohler gelang, Harnsäure aus Ammoniumcyanat, einer anorganischen Substanz, zu synthetisieren. Indem er die unsichtbare Mauer zwischen der anorganischen und der organischen Welt durchbrach und bewies, dass Leben für die Erzeugung organischer Substanzen an sich nicht notwendig ist, widerlegte er die Anschauung, organische Chemikalien wären auf geheimnisvolle Art «anders». Es musste nicht mehr von zwei verschiedenen Typen von Materie ausgegangen werden. Von nun an würden die lebende und die nicht lebende Welt denselben Prinzipien unterliegen.