Das galaktische Gottesreich - Reinhold Tauber - E-Book

Das galaktische Gottesreich E-Book

Reinhold Tauber

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Beschreibung

Das heilige Land Sib wird von Zar Wlad I., dem Prächtigen, regiert. Die Volksvertreter versammeln sich zu einer Sitzung, um über die Zukunft des Reiches zu entscheiden – Diskussionen und Einwände sind unerwünscht und werden geahndet. Das vorliegende Werk beschreibt die gesellschaftspolitischen Entwicklungen eines fiktiven Landes in einer fiktiven Welt mit Erweiterung der Dimensionen weit über die Welt hinaus. Kommt Ihnen die Beschreibung des Landes Sib oder des "großen Westlandes" nicht bekannt vor? Haben Sie nicht das Gefühl, schon einmal von Zar Wlad I. gehört zu haben? Der Autor verwebt in seiner satirischen fiktiven Geschichte reale Persönlichkeiten aus unterschiedlichen Zeiten und reale Orte. Das Werk hat starke aktuelle gesellschafts- und geopolitische Bezüge.

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Seitenzahl: 299

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Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie­.

Detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fern­sehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger, elektronische Datenträger und ­auszugsweisen Nachdruck, sind vorbehalten.

© 2024 novum publishing

ISBN Printausgabe: 978-3-99146-119-7

ISBN e-book: 978-3-99146-120-3

Lektorat: Juliane Johannsen

Umschlagfotos: Annnmei, Romica, Nuttawut Uttamaharad | Dreamstime.com

Umschlaggestaltung, Layout & Satz: novum publishing gmbh

www.novumverlag.com

Zur Sache

Ursprünglich sollte das eine Kurzgeschichte werden, Teil einer Satiren-Sammlung. Sie wurde skizziert lange vor dem Auseinanderbrechen der Sowjetunion, der Verselbständigung ihrer Satelliten und Loslösung der Länder des „Ostblocks“ vom stalinistischen und poststalinistischen Russland. Die Idee zu einer Ausgestaltung, Verdichtung der Materie, Bezügen zu aktuellen Vorkommnissen, Ereignissen, Situationen und wirklichen Personen verstärkte sich im Lauf der Zeit und der gravierenden geopolitischen Umbrüche immer mehr. Gerade das aktuelle Geschehen um die Ukraine und Russland mit dessen Philosophie der „Heimholung“ und dem Jonglieren mit Kern- und biologischen Waffen mit unvorstellbaren Folgen in der Anwendung erhielt in der Ausformung der sich immer mehr erweiternden Erzählung ungeahnte, traurige Aktualitätsbezüge.

Wenn man von dem Traum vieler größerer und kleinerer Machthaber Russlandsvon einem „Eurasien von Lissabon bis Wladiwostok“ unter russischer Flagge hört: Wenn man bedenkt, dass das Interesse der Weltmächtigen sich immer stärker auf exterrestrische Bereiche richtet, dass Länderfahnen nicht nur unter dem Nordpol Besitz- und Nutzungsansprüche betonen, sondern dass schon versucht wurde, welche auf dem Mond aufzupflanzen (nicht nur bei der ersten Mondlandung): Wenn man beobachtet, dass schon auf dem Mars herumgekratzt wird: Dann erhalten manche utopische Sequenzen in diesem als fantastisch deklarierten Bericht beklemmende Realperspektiven.

Es ist grundsätzlich eine Satire, doch mit Beimischungen von Krimistrukturen, Fantasy und Groteske, mit Einbezügen auch aus dem mythologischen Bereich. Jedem ist natürlich sofort klar, um wen es sich bei dem Zaren, dem „heiligen Land“ als Kernzone und dem durch Inbesitznahmen erweiterten „Reich“ handelt. Aber ich habe absichtlich verfremdete Bezeichnungen gewählt, auch für das „heilige Land“ und den Heiligen, unter dessen Bezeichnung es steht. Ich wollte keinen konkreten „Heiligen“ in der in ihren Grundzügen abstrakten Geschichte verwenden, man weiß auch so, was und wer gemeint ist.

Viele Personen in der Erzählung haben ihre reale Entsprechung in der Gegenwart und der jüngeren Vergangenheit. Doch schieben sich oft mehrere ineinander, auch zeitliche Aktionsfaktoren überlagern sich.

Die Geschichte hat zwar eine Grundordnung von Zeit und Raum. Doch ist sie reichlich unterfüttert mit Seitenthemen, einer Technik, die ich auch in anderen satirischen Büchern („Hilflos im Netz“, „Das Leben – Geschichten aus der Wirklichkeit“) anwandte. Es steht aber auch hier alles in Verbindung mit dem zentralen Thema und seiner Durchführung. Die Geschichte ist wie ein Baum, aus dessen Stamm Seitenäste wachsen, die aber immer in Verbindung mit dem Stamm bleiben. Oder es sind sich ausbreitende Wellen in einem See, in den man einen Stein wirft, die sich desto stärker und weiter ausbreiten, je größer der ins Wasser geworfene Stein ist und mit welcher Stärke er geworfen wurde.

Diese Montagetechnik – auch mit ihrer Detailfülle – wird ähnlich auch von anderen Autoren angewandt. Sie irritiert manchen Leser und auch Rezensenten.

Während des „Feinschliffs“ an diesem Manuskript griff ich zur Abwechslung in einem Buchregal nach entspannender Lektüre, eher nach dem Prinzip „Zufallsgenerator“. In die Hand fiel mir zum Wiederlesen ein Sammelband satirischer, skurriler, fantastischer Geschichten von Herbert Rosendorfer, schon 1994 erschienen, der konsequent diese Technik anwandte. In dem analytisch kommentierenden Vorwort wird ein Zitat von Rosendorfer selbst aus seinem Roman „Ruinenbaumeister“ (1969) verwendet, das ich fast hundertprozentig auch auf meine Satire-Arbeit umlegen kann. Der Einfachheit halber stehle ich diese Passage und mache sie mir zu eigen:

„Da die Geschichte, die ich Ihnen erzähle, wahr ist, hat sie den Nachteil, dass sie unendlich nach vorn und hinten und nach allen Seiten hin in andere Geschichten hineinverästelt und -verzweigt ist und dass andere Geschichten in sie hineinragen oder auch nur, fast unbemerkt, wie der Schatten eines fliegenden Vogels über sie hinwegziehen, dass sich also ihre Grenzen nur undeutlich bestimmen lassen im Gewirr der Geschichten, die unser Leben ausmachen …“

Diese Erzählung erhält mit ihrer Schlüssel-Sequenz („Die Enttarnung“, ab Seite 136) gegenüber dem Text bis dahin eine neue Perspektive. Von dort weg wird die Handlung bei aller satirischen, auch grell sarkastischen Grundhaltung immer bitterer bis zum apokalyptischen Ende, einem Finale vergleichbar Maurice Ravels „La valse“. Eine Utopie? In ihrer grimmigen Radikalität hoffentlich. Aber dass die Zeichen global auf „Sturm“ stehen, kann niemand übersehen.

Ich habe das Manuskript Mitte Oktober 2022 fertiggestellt. Es war zu diesem Zeitpunkt noch nicht absehbar, wie der Zug der Zeit weiterzieht, der Neigungswinkel seiner Trasse bedrohlich abwärts zeigt, der Zug immer schneller rollt und aus der Schiene zu springen droht. Das Schreiben dieses Berichts war fast ein Wettlauf mit der Entwicklung. Aber das leider durchaus Mögliche ist angedeutet.

*Die Vorkommnisse seither – insbesondere die jüngsten Entwicklungen – lassen die Andeutungen des Möglichen immer mehr von der Andeutung ins tatsächlich Mögliche rücken. Sie wären jedoch für eine auch nur fiktive satirische Behandlung der Materie zu ernst.

Die mit * markierten Begriffe: Siehe Anhang ab Seite 233.

Eine Einleitung: Das Reich

Die Geschichte von Anfang an.

In die Berichts-Chroniken der Welt wurde er eingetragen als „Zar Wlad I., der Prächtige“.

Dieser Bericht folgt den Berichten. In dem Reich, das er beherrschte, schien fast ohne Unterbrechung die Sonne. War sie an dem einen Ende angekommen und senkte sich unter den Horizont, tauchte sie schon fast wieder am anderen Ende des Reiches über eben diesem wieder auf. Sein Kern, ein heiliges Land*, war über große Strecken leer wie vor Beimengung des Menschen in die Landschaft, der da und dort in diese eingesickert war. Der Kern war bewachsen von riesigen lichten Wäldern, auf dessen Böden essbare Pilze wuchsen (die Grund- oder überhaupt) Versorgung der Zweibeiner, durchtrabt von essbaren Vierbeinern, deren Genuss allerdings Vasallen des Prächtigen vorbehalten war.

Er war Herrscher, nicht, weil er etwa fürstlichen Geblüts mit Herrschafts-Tradition war, sondern weil er seinen Herrschaftsweg geebnet und freigesichelt hatte von Elementen, die er als Wildwuchs auf diesem beurteilt und als solchen behandelte, zur Harmonisierung der Verwaltung und allgemeiner Meinung, was zum inneren Frieden beitrage. So hatten die Bewohner dieses Kernlandes, die Demokraten genannt wurden, bei einer als demokratisch bezeichneten Wahl zum Staatsführer keine andere Wahl als jene für ihn. Der Wildwuchs wurde dem Bioabfall zugeordnet.

So war er vorangeschritten zu Macht und Pracht und Herrlichkeit.

Der Boden seines Kernlandes war ertragreich sowohl ober als auch unter der Erd’. Es strotzte von zu vergoldenden Elementen aller Aggregat-Zustände: Fest (brockig bis bröselig, schürfbar), flüssig (ölig, hochpumpbar), gasförmig (hochsaugbar). Dazu kamen als vierter seine von der Bevölkerung bewunderte Gelehrsamkeit, Weisheit, Fürsorge um das Land und seine Bewohner, dessen Boden reingehalten wurde von schädlichen Elementen, die sich immer wieder auf dem Boden festzusetzen versuchten wie Unkraut. Die Reinhaltung musste von Zeit zu Zeit erfolgen (wie ja auch Hausfrauen es nicht dabei bewenden lassen können, nur einmal Staub zu wischen, und damit habe es sich). Im fernen Osten des Landes gab es Einrichtungen, in denen es wie in Ameisenhaufen wimmelte von in allen Regionen zusammengekehrten Elementen, die versucht hatten, andere Wege einzuschlagen als die von dem Prächtigen gemäß vereinheitlichter Straßenverkehrsordnung vorgeschlagene. In den Ameisenhaufen vergleichbaren Einrichtungen wurden die Zusammengekehrten zu fleißiger, wenn auch auf Zeitablauf programmierter Tätigkeit ermuntert. Die Abläufe mussten immer knapper programmiert werden, um die vielen Zubringertransporte nicht in Unordnung geraten zu lassen. Die wurden immer mehr, weil eben der Wildwuchs sich trotz aller Vorkehrungen nicht ausrotten ließ, sondern sich in jüngster Zeit sogar zu verstärken drohte. Das auf Ablauf projektierte Ameisenende erfolgte gemäß dem frommen Finalspruch „Vom Staube bist du, zum Staube kehre zurück“, wegen Platzmangels durch Absenkungen in die heilige Mutter Erde in Sammelgruben wie in Nachbarschaft antiker Arenen.

Die Aggregatzustände in Materialform wurden von dem Prächtigen in alle Welt verteilt zu deren Wohlbefinden. Die Welt dankte es ihm mit reichlich Gold, das er zu einem Turm zu schlichten trachtete, der bis an den Himmel reichte, auf dass dessen von der Sonne beleuchtete Spitze in alle Welt strahle wie vordem die Spitzen der Pyramiden eines uralten Reiches* im Norden des südlichen Kontinents. Mit dem Bau hatte er schon begonnen, die Basis war gelegt, der Turm wuchs stufenweise und hatte bereits die Eigenhöhe des Prächtigen erreicht.

Er hatte um sein Kernland gelegene Länder gesammelt wie andere Briefmarken und deren adaptierte, harmonisierte Verfassungen eingeklebt in sein eigenes Buch des Staatsrechts. Wenn ein Land sich sträubte gegen das Einkleben seiner angepassten Verfassungen in des Prächtigen Buch des Staatsrechts, wurden die sich Sträubenden präzisionsmäßig zerstäubt, wobei Städte und Landschaften in Trümmer barsten. Über den dabei entstandenen Meeren von Material und Menschenresten erschien der Prächtige wie ein Phönix, der sich allerdings nicht erst den Staub und die Asche vom Gefieder streifen musste.

Die Berechtigung zum Befriedigen seines Sammeleifers erteilte ihm wie auch andere Berechtigungen die „Geka“*, das urdemokratische Element der parlamentarischen Gutheißung (sogar schon zu früherer Fürstenzeit eingeführt), die er zum Schluss einer Sitzung gemäß antikem Mahnspruch nicht verließ ohne (nur ein Beispiel) den Hinweis „Ceterum censeo Sancristom esse delendam“, was zu geeignetem Zeitpunkt auch bejaht und die dafür vorgesehene Sonderaktion genehmigt wurde. (Dazu später mehr.)

Marginalie 1: Die Geka

Die monatliche Vollversammlung der Volksvertreter hatte vollzählig zu sein. Einziger genehmigter Nichterscheinungsgrund war mit ärztlicher Bescheinigung oder mit Bestattungsbestätigung beglaubigter Tod. Hatten die Volksvertreter Platz genommen, senkten sich von einem zentral gesteuerten Schnürboden Stricke mit Schlingen herab. Die Schlingen mussten unter den Achseln durchgezogen werden. Wurde zur Abstimmung geschritten, wurden die Stricke hochgezogen und die Abgeordneten in stehende Position gebracht, in der sie mit dem Mittelfinger der erhobenen rechten Hand die Zustimmung zum Antrag erteilen mussten, worauf sich die Stricke absenkten und die Abgeordneten sich wieder in Sitzposition bringen konnten. Es war allgemein nicht bekannt, ob ein Abgeordneter diese freiwillige Bekundungsaktion mit dem Mittelfinger der linken Hand vorgenommen hätte, was gemäß allgemeiner Definition als Zeichen mit dem sogenannten „Stinkefinger“ und also Ablehnung bedeutet hätte.

Doch, einmal: Als der „Stinkefinger“ der linken Hand eines Abgeordneten sichtbar wurde, senkte sich aus dem Schnürboden ein zusätzlicher Strick mit Schlinge, die sich um den Hals des Abgeordneten legte, worauf dieser Zentralstrick mit dem daran Befindlichen wieder hochgezogen wurde. Die Achselstricke flankierten den Vorgang in lockerer Begleithaltung. Auf dem Schnürboden protokollierten die auf und ab schnürenden Parlamentssekretäre das unmittelbar geahndete Abweichlertum mit der zur Vollständigkeit gehörenden Ergänzung, es sei kein Mittelfinger der rechten Hand feststellbar gewesen, weil dieser (so ergaben Blitzrecherchen) samt der dazugehörigen Hand und diese samt dem ihr zugehörigen Arm dem Abgeordneten bei einer Sonderaktion in einem einzugemeindenden Land durch eine Granate abhandengekommen war.

Marginalie 2: Über körpernahe Rechtsdienstleistungen

Vor kurzem hatte die Geka eine wichtige verfassungsrechtliche Entscheidung von großer Bedeutung getroffen. Sie festigte das Fundament der Rechtsprechung mit Regeln, die schnelle Entscheidungen in Notfällen betrafen. Notfälle waren dann gegeben, wenn querdenkende Elemente an den von dem Prächtigen definierten Fundamenten des Staatsganzen rüttelten, da es schon im Ansatz zu verhindern galt, was gegen die verfassungsmäßig definierte Straßenverkehrsordnung der Verwaltungswege gerichtet war.

Waren solche Elemente dingfest gemacht worden, wurde gemäß genau bestimmten körpernahen Rechtsdienstleistungen im Sinne der verfassungsmäßig verpflichtenden Transparenz aller die Allgemeinheit betreffenden, sie bewegenden und interessierenden Angelegenheiten vor aller Augen im Palast des Rechts vorgegangen: Urteil und Vollzug wurden über Video auf Großleinwänden auf alle großen Plätze der großen Städte des Landes übertragen. Auf den Videos waren von Morgengrauen bis Morgengrauen die Ermahnungen des Prächtigen zu Wohlverhalten, Lohn für Wohlverhalten sowie spürbarer Tadel für Nichtwohlverhalten zu sehen und zu hören, unterlegt von Melodien aus dem weltbekannten, thematisch passenden Musikwerk „Die Macht des Schicksals“. Die Ermahnungen wurden zu eingeblendet angekündigten Zeiten unterbrochen, um eben der Transparenz der Rechtsdienstleistungen zu entsprechen, die in Blockabfertigungen erfolgten, der Rationalität wegen. Zu diesen Zeiten hatte der Verkehr in den Städten stillzustehen und es hatten aller Augen sowohl der gehenden Volkselemente als auch jener in rollendem Gut Sitzenden auf die Schau-Wände gerichtet zu sein. Seitwärts gerichtete Augen deuteten auf Nichteinverständnis und emotionales Abweichlertum des Augeneigners, was durch ein Dutzend Kameras auf jedem Platz mit automatischem Bildfixieren jedes Elements festgestellt wurde, dessen Personsdaten im Identifizierungs-Zentralspeicher abgerufen werden konnten. Dies führte zur umgehenden Vorladung in den Palast des Rechts zur Darlegung der Gründe des Augen-Abweichens, wobei – eine Serviceleistung des Staats – die Vorladung mit einer Fahrt in den Palast in fensterlosen Fahrzeugen verbunden war, mit gründlicher Rechtsbelehrung schon während der Fahrt, die beim Eintreffen am Palast abgeschlossen war. Während der Fahrt entstandene kleine Schäden an der Struktur des Belehrten waren erklärbar durch heftiges Schütteln des Fahrzeugs in Kurven auf zuweilen Unebenheiten aufweisenden Straßen mit versehentlichem Anschlagen des Reisenden an die Fahrzeugwände. Waren die Gründe plausibel – z. B. verrutschtes Glasauge, seit der Geburt Fehlstellung des Auges (medizinisch festgestelltes „Schielen“) –, wurde der Überprüfte nach Hause geschickt, wobei der Rücktransport auf eigene Kosten des Überprüften mittels öffentlichen Verkehrsmittels erfolgen musste, da der Staat aus Kostenminderungsgründen keine derartige Leistung erbringen konnte. In den meisten Fällen war ein Rücktransport ohnehin nicht nötig, da unbefriedigende Erklärungen deutlich festgestelltes Abweichlertum erkennen ließen, was zur sofortigen Verwahrung bis zum Urteil und der in diesem ausgesprochen notwendig gewordenen körpernahen Rechtsdienstleistung führte.

Diese Dienstleistung erfolgte in Varianten, da der Prächtige ein starres Schema in der Leistungsverordnung aus humanitären Gründen ablehnte. (Die formell zugelassenen Menschenrechts-Organisationen hatten die Elastizität der Dienstleistung eingehend geprüft und als menschenrechtskonform erkannt, was sie auch internationalen Organisationen außerhalb des Wirkungsbereichs des Prächtigen mitteilten.)

Die Dienstleistung im Detail:

Wöchentllich erfolgte die Erledigung eines „Zehnerblocks“. Die Zehnerschaft, des Terrorismus überführt (Hauptparagraf der Rechtsprechung, dazu später mehr), wurde in den Saal der Finalisierung im Palast des Rechts mit der Übertragung für die Öffentlichkeit geführt. In einer Urne (zu der wir gleich kommen) lagen nummerierte Kuverts, in jedem drei Scheine mit jeweils einem Piktogramm: Kugel, Strick, Spritze. Ein Waisenmädchen aus einer bereits eingemeindeten Region (von denen gab es viele) mit verbundenen Augen – Symbol der unparteiischen Justitia – griff ein Kuvert. Dieses wurde vom Vollzugsbeauftragten geöffnet. Das Waisenmädchen zog aus diesem einen Schein. Gezogene Nummer und gezogenes Piktogramm wurden der Zehnerschaft mitgeteilt, worauf die jeweils gewählte Einheit aus der Rückseite des Saales in den Vordergrund geschoben und die Erledigung kameragerecht vorgenommen wurde. Zuvor aber war die Begnadigung des Zehnten ausgesprochen worden (die Reihung erfolgte nach dem Zufallsgenerator). Der erhielt einen Schein mit allen drei Piktogrammen und dem Zusatzbescheid: „Nichtzutreffendes streichen“. Er wurde aus dem Block gestellt und seine Wunschkennzeichnung zuletzt ausgeführt.

Ursprünglich war eine größere Zahl von Piktogrammen geplant. Doch die Möglichkeiten etwa des besonders in Ländern mit ausgeprägter demokratischer Gesinnung beliebt angewandten elektrischen Stuhls sowie der besonders in einem Westland des zentralen Kontinents zur Rechtspflege sehr beliebten Garrotte schieden aus, da diese technischen Einrichtungen mit internationalen Patentrechten versehen und Anfragen auf Anwendungs-Genehmigungen unbeantwortet geblieben waren. Auch auf das Piktogramm Hacken wurde nach eingehender Erörterung im engen Beraterrat des Prächtigen verzichtet, da dies als Anbiederung an die Rechtspflege eines besonderen „Staats“* im südlichen nahöstlichen Bereich hätte gedeutet werden können, mit dem man aber grundsätzlich nichts am Hut hatte. Allerdings wollte man auf die auf hohem Qualitätsniveau arbeitenden Erledigungsfachleute jenes „Staats“ nicht verzichten, die sich in ihrer kargen Freizeit als genehmigte Teilzeitarbeiter betätigen durften. Diese Übereinkunft erfolgte nach heiklen Verhandlungen im diplomatischen Hintergrund. Freilich mussten die Teilzeitarbeiter umgeschult werden auf ihnen neue Praktiken, doch waren sie sowohl lernbegierig als auch schnell von Begriff.

Damit kommen wir zur Urne als einer Besonderheit der Dienstleistung, ihrer Vorgeschichte und Anwendung:

Der Triumph des Kläffers

Es war der abgesägte Oberteil einer Besonderheit, Instrument nachdrücklicher Unterstützung der Realisierung territorialer Vorstellungen. Entwickelt wurde es in einem kleinen Ostland*, ziemlich weit von dem Zarenreich entfernt. Jenes Land wurde beherrscht von einem selbst ernannten Einzelverwalter, formatmäßig so breit wie hoch, eine wabbelnde Würfelmasse.

Es war dieses kleine Land bewohnt von einer kleinwüchsigen zähen Population, deren Techniken der Verteidigung gegenüber nicht willkommenen Eindringlingen von normaler Behandlung der Gegner wie in einem seriösen mittelalterlichen Turnier ziemlich abwichen. War in einem solchen seinerzeitigen Turnier der Gegner im Kampfspiel seines halben Gesichts beraubt worden oder überhaupt ohne Absicht seines Lebens, entsprach das den Regeln. Die zähen Kleinwüchsigen behandelten ihnen ins Netz gegangene Mitglieder eingedrungener Einsatztruppen wie Schlachtergesellen Ochsen und Kühe vor endgültiger Zerlegung. Internationale Menschenrechtsbeobachter begleiteten die Methoden mit wenig Beifall, was die zähen Kleinwüchsigen wenig kratzte. Die militärischen Vertreter des ansonsten erfolgsgewohnten großen Westlandes hatten seinerzeit schließlich die Flagge streichen müssen, was ihrem Selbstbewusstsein schweren Schaden zufügte, aber die Scharte wechselten sie anderswo wieder aus.

Nun waren Begleiter auf dem Weg des einem antiken Würfelhocker*ähnelnden Landesverwalters an die Macht einer nach dem anderen ausgerutscht, ohne den Weg fortzusetzen, da sie auf ihrem eigenen Blut ausgerutscht waren. So ging er schließlich allein durchs Ziel nach zügigem Marathon des Voranschreitens.

Er hatte jedoch einen Ehrgeiz. Er wollte es den Großen der Welt gleichtun, sich auf eine Stufe mit ihnen, auf Augenhöhe stellen. Er versicherte sich mit Geldmitteln, die er erbarmungslos aus dem armen Volksboden presste, der besten Experten der Anwendung erweiterter physikalischer Prinzipien in Instrumenten der Untermauerung seiner Vorstellungen von seiner Position in der Rangordnung der Mächtigen der Welt. Er bezahlte manchen mehr als das Land ihrer Herkunft, das ihnen weniger Erfolgsgebühr entrichten wollte, als der Würfelhocker anbot (wie etwa Legionäre im als friedlich bezeichneten Kampfsport Fußball wie Aktien verschachert werden). Die Legionäre wurden (was in den von ihnen unterschriebenen Dienstverträgen nicht zu lesen stand) sofort nach ihrer Ankunft kaserniert und hatten täglich Fortschritte in ihrer Arbeit aufzuweisen. Kein Fortschritt bedeutete wie in der allgemeinen Wirtschaft Rückschritt und wurde mit dringend erbetener Aufholung desselben bedacht. Die mit plausiblen Argumenten begleitete Aufforderung hatte meist die Entwicklung immenser geistiger Fähigkeiten zur Erreichung des Planziels zur Folge.

Das Planziel war ein Instrument, das den Würfelhocker seiner Meinung nach in das Konzert der Mächtigen der Welt einfügte. Er war wie ein Kläffer in einer Hundemeute, der seine Kleinheit durch wütendes Bellen ausgleichen muss, wobei ihm nur die Gutmütigkeit Größerer erspart, eins auf die Schnauze zu bekommen. Das schließliche (auch nur als Zwischenschritt gedachte) Ergebnis der Entwicklungsarbeit war das „Neutrinchen“*, von dem die Welt alsbald Notiz zu nehmen hätte. Der die Welt laut anbellende Würfelhocker war jedoch auch Geschäftsmann. So reichte er das Neutrinchen bei der globalen Patentbehörde ein mit der Überlegung, es erstens rechtlich kopiersicher zu machen und zweitens sodann das Produkt einkommensintensiv zu vermarkten. Die Behörde hatte gewisse Bedenken, dem Begehr zu entsprechen, und trug die Sache dem sogenannten Sicherheitsausschuss der Welt-Staatenvereinigung* vor. Diese Vereinigung, als Alibi-Instrument der Weltbevölkerung von wenig Nutzen, aber hohen Kosten, erging sich in jedem Entscheidungsfall in Kommissionen und Unterkommissionen, wo die Angelegenheiten irgendwann im Sumpf der wirkungslosen Strukturen versanken. Eine solche Einrichtung war eben der Sicherheitsausschuss der Staatenvereinigung, dem die Großen der Welt – hauptsächlich aus den Großregionen West und Ost stammend, widerwillig geduldet jene aus dem Zarenreich – angehörten. Sie teilten sich formal nicht erkennbar, aber faktisch wirksam die Welt nach ihren eigenen Vorstellungen auf, denen die Gesamtgemeinschaft zuzustimmen hatte. Der Ausschuss empfahl, das Patent zu genehmigen mit einer wichtigen Einschränkung in den künftigen Nutzungsverträgen: Das Produkt dürfe ausschließlich zur Eigenverteidigung genutzt werden.

Diesem Passus stimmte der Würfelhocker zu, da in den Verträgen keine Definition der Art der Selbstverteidigung verlangt würde. Das schlösse den Begriff der „Vorwärtsverteidigung“ ein, der erweiterte Interpretationsbegriff stelle keine Vertragsverletzung dar. In einem individuellen Zusatz zu der sogenannten Staatsverfassung seines Landes, den in das internationale Übereinkommen einzufügen er keinen Anlass sah, war das Recht vorgesehen, als Erster Neutrinchen einzusetzen, wenn ihm danach war.

Die Pläne zu der Entwicklung waren den Mitgliedern des Ausschusses stückweise schon bekannt. Ihre Experten des Datenerwerbs arbeiteten an der Sicherung der Puzzle-Stücke fleißig, wenn auch unter schwierigen Bedingungen. Enttarnungen vieler guter Mitarbeiter der Auftraggeber und deren öffentliche Neutralisierung auf dem Hauptplatz der Hauptstadt des Landes des Würfelhockers verzögerten oft die Übermittlung der Teilpläne. Also musste man sich bei Bedarf vorderhand auf das Anmieten des durchaus Beifall verdienenden Produkts beschränken, ehe man selbst so weit sei, durch kleine Variationen des nachgebauten Produkts dieses als Eigenentwicklung ohne rechtliche Verletzung des Datenschutzes und des Patents auf den Markt zu bringen.

Es war eine von der Welt bewunderte Entwicklung. Sie wurde in mehreren Varianten von unterschiedlicher Wirkungsweise angeboten. Nicht dem Land des kläffenden Würfelhockers zugehörende Experten in Explosivwirkungstechnik berechneten, dass zehn von der effektivst wirkenden Klasse der Neutrinchen, gebündelt wie Stangen des sogenannten Dynamits, entzündet einen Krater von Trichterstruktur ergäben, der bis zum Erdmittelpunkt reiche und die Erde ausrinnen lasse wie ein likörgefülltes Schokoladebonbon im Mund des Genießers, da die Erde ja schließlich als solche ein Bonbon sei, gefüllt mit heißem nougatähnlichem Weichstoff.

Es war ein Produkt, das auch dem zeitgemäßen Schlagwort von „erneuerbarer Energie“ entsprach, eine Zweikammer-Einrichtung. Beispiel die kleinste Variante: Die eine enthielt den Treibstoff, die andere das Arbeitsmaterial (garantierte Erfolgsleistung auf zehn km² mit dem Vorteil der Begrenzung auf diese Fläche ohne Gefahr der Luftverschmutzung darüber hinaus). Das Ziel wurde einprogrammiert. Über dem Ziel wurde das Arbeitsmaterial ausgestoßen und das um dieses Gewicht erleichterte Neutrinchen konnte mit der zweiten Treibstoffhälfte wie ein Bumerang heimkehren zur neuerlichen Auffüllung und Programmierung. Diese umweltfreundliche Entwicklung wurde sowohl von der Weltgesundheitsorganisation – eben der sauberen Eingrenzung der taktischen Vorwärtsverteidigung wegen – als auch von der GUTO (GalacticUnitTreatyOrganization) anerkannt und zur Nutzung empfohlen. Zar Wlad I. dem Prächtigen wurden sie schon verleast, was die GUTO allerdings zur Erzielung und Aufrechterhaltung des sogenannten „Gleichgewichts des Schreckens“ für ihre Partnerstaaten auch begehrte, aber, wie gesagt: Das sollte sich noch hinziehen.

Jetzt wieder zur Urne.

Diese war eben das abgesägte Oberteil eines vom Zaren bestellten Neutrinchens, das eine besondere Aufgabe erfüllen sollte. Es war programmiert worden auf das sogenannte Weiße Haus in der Hauptstadt des großen Westlandes*, da der dem Zaren zugeneigt gewesene Präsident des Landes, seinerzeit auf den Thron gehievt mit effektiver Wahlhilfe von IT-Experten des Zarenbüros, abgelöst worden war von einem Präsidenten, dem man nachsagte, für den Zaren nur geringe Sympathien zu hegen. Es sollte also Vorkehrung getroffen werden, im Sinne der Vorwärtsverteidigung möglichen Schaden schon im Vorfeld zu verhindern.

Allerdings wäre dies ohnehin nur die „gelbe Karte“ gewesen, um allfällige spätere Verhandlungen zur Schaffung einer friedlichen Koexistenz nicht zu gefährden. Wäre die „rote Karte“ gezückt worden, hätte das die Einebnung von 30 der 50 Bundesstaaten des großen Westlandes inklusive der Hauptstadt bedeutet. Das wollte man sich für allfällige spätere Aktionen vorbehalten.

Leider hatte dieses Neutrinchen ein Problem: Die Hauptplatine (ein aus dem großen Ostland* bezogenes Zubehör) versagte im vor der Lieferung an den Auftraggeber vorgesehenen Test, so dass das Neutrinchen sozusagen blindging. Das Arbeitsmaterial hatte sich infolge eingebauten Sicherheitsmechanismus ohne gezündet worden zu sein in den Kanal der Test-Abschussrampe ergossen, unter Mitentsorgung des mit der Entsendung des Neutrinchens befassten Arbeitsteams.

Diese Blamage blieb im kleinen Ostland nicht ohne Konsequenzen. Der Chefkonstrukteur der aktuellen Serie der Leasing-Objekte wurde nach Kürzung von Körper-Extremitäten in die Kammer des Arbeitsmaterials eines wegen Zeitablaufs ohnehin schon zum Ausrangieren vorgesehenen Neutrinchens gestopft und auf eine programmierte Reise geschickt. Über einer Region des nördlichen Staatsnachbarn* des großen Westlandes wurde er aus der Arbeitsmaterialkammer gestoßen und das Neutrinchen kehrte um seine Last erleichtert heim. In einer großen Stadt des Staates fand eben ein Freilichtkonzert mit Klavier-Accompagnement statt, als auf dem Klavierkörper klirrend ein vom Himmel gefallenes Objekt zu liegen kam. Nun war man in der Region gewohnt, dass zuweilen tiefgefrorene Fischschwärme vom Himmel gefallen kamen, doch dieser seltsame Fisch mit einem annähernd Menschenkopf und Stummeln von Körperteilen ähnelnden Auswüchsen anstatt von Flossen war ihnen neu. Diese Besonderheit wurde in Glas gegossen und in das große Aquarium des Meeresbewohnermuseums gesenkt, wo sie von Besuchern aus aller Welt gebührend bewundert wurde, gewissermaßen ein „Meeres-Ötzi“*.

Die vorausbezahlte Leasinggebühr für das Neutrinchen wurde dem Prächtigen für die nächste Sendung gutgeschrieben, das Oberteil des untauglich Gewordenen dem Zarenreich zu günstigem Preis offeriert.

Die Offenbarung

Die im Reich akkreditierten Medien-Berichterstatter waren einbestellt worden. Es gäbe eine für die Welt bedeutsame Sitzung im Palast, deren Ergebnisse man umgehend der Weltöffentlichkeit mitzuteilen habe.

Die akkreditierten Medienmitarbeiter wurden in den Saal der Kommunikation geführt. Die Zahl der Akkreditierungen (auch aus noch nicht eingemeindeten Staaten) war der Übersichtlichkeit halber schon vor längerem überarbeitet und gesäubert worden: 500 für das um die Eingemeindungen erweiterte Reich Wlads, 20 für das große Ostland (ohne seine früheren Provinzen, die im Ostland selbst auf der Eingemeindungsliste standen), zehn für den Zentralkontinent, zwei für das große Westland, eine für den großen sandreichen Südkontinent und eine für den Kontinent, von dem es hieß, „nur zum Mond sei es weiter“.

Beim Eintritt wurden ihnen ihre Handtelefone („Handys“) zur Sicherheit abgenommen. Die Funksignale der Medienarbeiter zu ihren Zentralen waren zwar ohnehin gesperrt, aber die Vermeidung von allfälligen Umwegkontakten über „Blacknets“ sollte auf jeden Fall verhindert werden. Von solchen hatten des Zaren Organe der Inneren Sicherheit* zwar auch Kenntnis, aber man konnte nie wissen, ob es nicht Schlupfwege gab, die auch der stärksten Aufmerksamkeit entgingen (man hatte Erfahrungen in dieser Hinsicht).

Die Akkreditierten verfügten ausschließlich über Tablets, die zu Beginn ihrer akkreditierten Tätigkeit von der Medienbehörde mit besonderen Festplatten ausgestattet worden waren. Der Gebrauch anderer Geräte war streng untersagt. Versuche, das Gebot zu umgehen, würden mit Entzug der Akkreditierung und wegen Terrorismus zu zehn Jahren Arbeitsdienst auf einer Einrichtung der Inseln Terlag* samt folgendem Landesverweis geahndet. (Ein Beispiel solchen Versuches und dessen Ergebnis hielt die Akkreditierten von weiteren Versuchen ab.) Der Kontakt nach außen konnte nur über Eingabe eines wechselnden Spezialcodes hergestellt werden. Die Sperre wurde in der zentralen Medienbehörde bei der monatlich befohlenen Kontaktnahme der Akkreditierten gelöst. Auf den Festplatten waren die Informationen, die der Welt mitgeteilt werden sollten, abgespeichert (kamen „essfertig“ aus der Informationsküche): Schriftliche Angaben, Videos, Berichte über erfolgreiche Aufbauarbeiten im Reich, Befriedungsaktionen sowie aktuelle Beispiele der weltweit als richtungweisend angesehenen Rechtspflege. Andere Inhalte konnten nicht eingearbeitet werden. Die Festplatten wurden von der Medienbehörde also im Monatsabstand ausgetauscht. So wurde die Welt stets auf dem neuesten Stand der Situation in Wlads Reich sowie der Wirkung nach außen gehalten.

Die Einbestellung der Akkreditierten sorgte bei diesen für Unruhe, da der Termin außerhalb des ansonsten befohlenen Rhythmus erfolgte und auch die Festplatten der Tablets noch nicht ausgetauscht worden waren. Das Erscheinen hatte vollzählig zu sein, Nichterscheinen war nur durch bestätigten Aufenthalt in Instituten der vorbereitenden Rechtspflege – denen auch Ausländer unterworfen waren – erlaubt.

Die Vorgangsweise wurde ihnen beim Eintritt erläutert. Jeder/jede erhielt ein versiegeltes Kuvert, das erst auf ein über Lautsprecher gegebenes Kommando geöffnet werden durfte. Das Kommando werde nach Ablauf der besonderen Sitzung gegeben, die – wie auch bei allen anderen üblich – in ausgewählten Sequenzen auf der Videowand des Raums mitzuverfolgen sei. In dem Kuvert befinde sich schriftlich ein für jeden/jede Akkreditierte/n spezieller Tablet-Code. Nach dessen Eingabe würden die auf der Festplatte abgespeicherten Inhalte gelöscht, der aktuelle automatisch durch zentrale Funkvermittlung aufgebracht und habe unverzüglich den akkreditierten Medien mitgeteilt zu werden. (Die spätere aktuelle Festplatten-Versorgung werde wieder zum gewohnten Termin erfolgen.)

Der Palast und der Konferenzsaal

Die Mitglieder des erweiterten Zentralkomitees hatten sich ebenfalls inzwischen eingefunden. Am Eingang des Konferenzsaales wurden die jüngeren „Fußläufigen“ mit Rollschuhen versehen, die Rollstuhl-Benutzer mit frischen Batterien ihrer Geräte ausgestattet, um keinen Leerlauf entstehen zu lassen (es handelte sich um verdiente Veteranen des „Großen Vaterländischen Kriegs“*, sie machten das Hauptkontingent der Komiteemitglieder aus). Alle wurden mit hochspezialisierten Lügendetektoren auf Integrität zum Prächtigen untersucht und dann aufgefordert, ihre Plätze am Tisch im Saal einzunehmen.

Die Plätze*waren in Abständen von jeweils 100 Metern voneinander positioniert. Dazu muss angemerkt werden, dass das Konferenzzentrum auf seiner Ebene die gesamte Fläche des riesigen Palasts einnahm, der Tisch – ein „runder“ wie in allen Konferenz-Einrichtungen in aller Welt so bezeichnet –, natürlich viereckig. Jede Seite maß einen Kilometer, das Platzangebot reichte also für 40 Delegierte, die exakte Delegiertenanzahl des erweiterten Zentralkomitees. Jeder Platz war mit einem Monitor und einem Mikrophon ausgestattet. Die Monitore – die sie speisenden Kameras zur Wiedergabe eingestellt auf den Platz des Vorsitzenden – waren logisch, da ja nicht allen Anwesenden die direkte Sicht auf den Vorsitzenden möglich war. Die Mikrophone konnten vom Protokollführer auf Weisung des Vorsitzenden bei Wortmeldungen einzeln ein- und ausgeschaltet werden. Mit dem Ausschaltmechanismus konnte die protokollarische Sitzungsordnung gesteuert werden. Jede Wortmeldung war auf 20 Sekunden beschränkt. Alle Teilnehmer waren mit dem Protokollführer verbunden, auf einer Zentralleinwand alle 40 präsent, jeder sich zu Wort Meldende wurde herausgezoomt. Ließ das Mienenspiel eines sich zu Wort Meldenden erkennen, dass ihm ein Tagesordnungspunkt in seiner vollen Tragweite nicht klar werde und er auf genauere Details Wert lege, werde sein Mikro nicht aktiviert, da der Sitzungsablauf reibungslos zu sein habe.

Zum Palast selbst*:

Der Prächtige gedachte zu Beginn seiner Amtszeit eine Architektur mit symbolischer Struktur zu errichten, welche die Hierarchie des Reiches und seiner Lenkung verdeutlichte. Eine Pyramide mit vergoldeter Spitze – eingearbeitet das weit über das Land hinweg sichtbare, zur Verehrung freigegebene heroische Antlitz des Prächtigen wäre passend gewesen.

Es gab ein Beispiel aus jüngerer Zeit aus dem großen Westreich. In die Flanke eines riesigen Massivs* wurden die – so sagen sie dort – verehrungswürdigen Antlitze mehrerer nach erfolgreicher Tätigkeit der Gestaltung des Staatswesens verblichener Staatspräsidenten aus dem Stein gehauen, so dass sie weit ins Land starrten und ihrem Starren mit bewunderndem Starren begegnet wurde. Da sie nach schneereichen Wintern und folgendem gelegentlich wieder vereisendem Schmelzwasser sozusagen Schnupfen bekamen, wurden deren Nasen (Detail-Gesamtfläche jeweils 100 m², Nasenlöcher in der Dimension von Tunnels für regionale Kleinbahnen) von Hochgebirgs-Kletterern geputzt.

Doch war das Land rund um den Palast im Laufe der Zeit zugewuchert (wie ein Biodepot durch Brennesseln, Schierling und Sonnenblumen) mit Bauwerken, die keineswegs den ästhetischen Ansprüchen der Stil-Vollkommenheit des Prächtigen entsprachen. Er hatte die Idee, der Pyramide und der Sicht auf sein Antlitz zuliebe die architektonischen Auswucherungen der Zeitläufe einzuebnen.

Ein früherer Machthaber* eines zur Eingemeindung vorgesehen Landes hatte solche Projekte mit Erfolg erledigt. Dessen Verdienste um Erneuerungen des Landes wurden ihm allerdings mit der Begründung, er habe sich gegen Volk und Vaterland vergangen, mit einer Kugel in den Kopf – jenen seiner Gattin gleich mit, um ihr Trauerzeit zu ersparen – bedankt.

Der Prächtige wurde daran erinnert, dass Teile der hinderlichen Architektur-Wucherungen zum sogenannten „Weltkulturerbe“ erklärt worden waren, welche Klassifizierung er selbst angeregt und mittels geeigneter Stimmungslenkungs-Bedarfsmittel auf globaler Bestimmungsebene selbst mit bestätigt hatte.

So gedachte er in Abänderung des Plans einen seiner Bedeutung entsprechend „übergeordneten“ Thron in den Palast einzubauen. Der sollte aus bestem Marmor* aus der Kernregion eines Südlandes des zentralen Kontinents bestehen (den die besten Bildhauer aller Zeiten zu deren und des Materials Ruhm benutzt hatten) und die höchste Ebene einer miniaturisierten Stufenpyramide sein, zu der 70 Stufen von jeweils einem Meter Stufenhöhe hochführten. Die Stiege sollte flankiert werden von 2,10 Meter hohen Angehörigen einer Palastgarde, deren Dienstzeit zwecks Material- und Zeit-Effizienz jeweils 48 Stunden dauern sollte, wonach ihnen zwei Stunden Sitz- und Nachdenkpause gewährt würden. Die 70 Stufen bedeuteten 70 Rangstufen, zu benutzen von Mitarbeitern des Staates und seiner Verwaltung bei Beratungen von Reichs-Bedeutung, also über das Kernland, das heilige Land Sib hinaus: Beginnend mit Stufe eins für verdienstvolle Verwalter von Wohneinheiten der Inseln Terlag bis zu Ministern des Heeres und Hauptverantwortlichen der „Inneren Sicherheit“. Je nach Verdienst, Arbeitserfolg und Beratungsqualität konnte man sich von der Stufe eins weiter hocharbeiten. Wem es gelänge, nach der Stufe 70 die höchste Entscheidungsebene zu erreichen, sollte vom Prächtigen als zum Nachfolger Ausersehener auf einem Nebenthron Platz nehmen dürfen. Wer auf einer Stufe strauchelte, wäre ungeeignet zu weiterer verantwortungsvoller Mitarbeit und würde zur für ihn geeigneten künftigen Tätigkeit in den Heizkeller des Palasts zum Befeuern der Heizöfen mit preiswerter Kohle abgeführt. Von solcher Kohle quoll ein Nachbarland* der Reichs-Kernregion förmlich über, deshalb war es auch zur Gebiets-Arrondierung und Gold-ertragreichen Nutzung auf jeden Fall auf einem oberen Platz der Sonderaktions-Rangliste eingetragen. An der totalen Eingemeindung werde gearbeitet.

Der Palast verfügte allerdings erstens über keine Freiflächen der Gesamtanlage und der Thron sollte ja zweitens der wichtigste Teil der Audienzhalle sein.

Dem Plan des Prächtigen traten Fachleute mit Bedenken entgegen. Es war für unbeschädigt bleiben sollende Körpersubstanz und weitere Existenz zwar ungünstig, dem Prächtigen in seine Vorstellungen dreinzureden. Zwei aus seiner Schulzeit und aus dann gemeinsamer Tätigkeit für die Innere Sicherheit bekannte loyale Teamkollegen, ihm auch behilflich gewesen bei manchen Aktionen, bei denen es auf ruhige Hand, Treffsicherheit und/oder fachmännisches Mischen von Spezial-Cocktails zu humansubstanzieller Flurbereinigung ankam, berieten ihn, ohne Konsequenzen bei Widerspruch gewärtigen zu müssen. Die beiden waren Fachleute für Denkmalschutz sowie für Gebäudekunde, was Statik, Tragfähigkeit des Unter- sowie des konstruierten Oberbaus anlangte, geworden.

Der Experte für Denkmalschutz erinnerte daran, dass der Palast ebenfalls zum Weltkulturerbe zählte, das zu missachten wenig opportun sei. Dies könne zwar ohne Schaden für Volk und Führer geschehen, aber durch das Berücksichtigen werde der Weltgemeinschaft ein gutes Beispiel für Vertragstreue und Bündnisfähigkeit vor Augen geführt. Dies verbessere die diesbezügliche Bilanz, was ab und an vielleicht vonnöten wäre. Das Errichten des Throns im Zentrum wäre ein derart gravierender Eingriff in die weltbekannte Materie, dass künftig die internationalen Reiseveranstalter die Anlage aus ihren Besichtigungsprogrammen strichen. Dadurch entstünden jährliche Einnahmenverluste von Millionen SU.

Das sei keine nostalgische Erinnerung an gute alte Zeiten, sondern die im Reich geltende Bezeichnung „Special Unit“ für die internationale „Weltwährung“*. Doch wolle man jede Erwähnung des global gebräuchlichen Originalbegriffs unterlassen, weil der Begriff eine unleidliche geopolitische Materie bezeichnete, die erst mit deren Eingemeindung ihre Bezeichnung ändern würde. Vorbereitungen dazu würden schon getroffen, es müssten nur noch einige technische Verbesserungen an den Gerätschaften für weitreichende Arrondierungs-Unternehmungen vorgenommen werden.

Die SU-Einheiten in Millionenhöhe dienten ja in erster Linie der Teilrechtsfähigkeit der musealen Nebengebäude des Palasts, also der finanziellen Unabhängigkeit von staatlichen Budgets, die anderweitig ohnehin voll in Anspruch genommen seien.

Auch der Statik-Experte äußerte Bedenken. Er hatte im Auftrag des Prächtigen auf Dienstreisen in Länder, in denen vorzeitliche bis antike Pyramiden die Haltbarkeit alter Systeme symbolisierten, die Pyramiden studiert – mit Respekt für die ungeheuren bautechnischen Projekte, bei deren Realisierung schnelle Sklaven-Abnutzung durch Materialergänzung bei erfolgreichen Gebietserweiterungen ausgeglichen wurde. Er sei aber zur Überzeugung gekommen, dass der Thron des Prächtigen in seinem Palast nicht nur das ästhetische Empfinden seiner zu hundert Prozent kulturverständigen Staatsbürger überbeanspruchen und sie verdrießen würde. Das wäre freilich eine vernachlässigbare Größe, anderes weniger. Die Thronanlage würde das Herausreißen von tragenden Wänden und Decken bedingen, was zu einem Einsinken der Gesamtanlage zu unansehnlicher Gestaltung führte und außerdem die Höhennormierung des Palasts, von den Vorgängern des Prächtigen als immerwährendes unwandelbares Baurecht in die Pläne eingetragen, weit überschritte. Da der Prächtige ja für das Respektieren immerwährender unwandelbarer Rechtsmaterien im Inneren und in Angelegenheiten des Äußeren bekannt sei, solle er auch in dieser Sache von dem Prinzip nicht abgehen.

So änderte der Prächtige den Plan und wandelte die Symbolhaftigkeit von der Vertikalen in die Horizontale, um den Abstand zwischen Oben und Unten eben auf diese Weise zu verdeutlichen. Möglich war die Entfernung von dünnen Zwischenwänden der horizontalen Saalfluchten, die Prunk-, Repräsentations- und Empfangsräume früheren Gebrauchs voneinander trennten, die aber funktional nicht mehr nötig waren.

Nun weiter im Verfahrensbericht.

Beginn der Sitzung

Der Vorsitzende: „Ich bestätige die protokollarisch geforderte Vollzähligkeit zur Beschlussfähigkeit. Bestätigt wird auch der letzte durchgeführte Integritätstest.

Durch verstärkten Einsatz des Tests, der sich inzwischen auch auf Straßenarbeiter, Briefträger und Sozialarbeiterinnen erstreckte (männliche des besonderen Sektors waren durch die außer für Zuchtzwecke vorgenommene Sterilisation bis auf geringe Restbestände funktionslos geworden), kam es allerdings zu Überlastungen der Testauswertungen. So gelangten Bescheide auf die Handtelefone der Getesteten erst nach 56 Stunden. Das bedeutete, dass vorgeschriebene Bestätigungen zur Berechtigung zuvor terminisierten Zutritts zu Supermärkten, Alters- sowie Invalidenheimen, Spitälern wegen Ablaufs der Gültigkeitszeit von 48 Stunden neu eingeholt werden mussten. Dies konnte aktuell infolge der Überlastungen im Einzelfall bis zu zwei Jahren regelmäßiger Neubestätigungen dauern. Sollten während dieser Zeit automatische Abgänge (z. B. wegen nicht möglicher Bearbeitung extremer Gesundheitsschäden) erfolgen, würden die Kosten für Entsorgung und Deponierung vom Staatsschatz übernommen.

Dies war auch für die Vorbereitung zu dieser Sitzung für 97 von hundert Prozent der Teilnehmenden der Fall. Doch wurde wegen extremer Dringlichkeit der Sitzung der Antrag an das Ministerium für Volksgesundheit und Reinhaltung der Volksgesinnung auf außerordentliche Genehmigung des letzten zuvor eingeholten und den Gesinnungsvirusfreien Status bestätigenden Tests gestellt. Die Genehmigung erreichte das Präsidium fünf Minuten vor dem anberaumten Sitzungsbeginn. Damit war auch die gesetzliche Voraussetzung für ordentlichen Sitzungsverlauf gegeben.

Nun treten wir in die Tagesordnung ein.

TOP eins: Staatlicher anteilmäßiger Kostenersatz für Sonderreisen mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu den jährlichen Geburtstagsfeiern des Zaren auf dem früher rot genannten, jetzt reinweißen Platz in der Hauptstadt der Kernzone des Reiches, insbesondere zu dem bevorstehenden siebzigsten.