Das Geheimnis des Cagliostro - Michael Schneider - E-Book

Das Geheimnis des Cagliostro E-Book

Michael Schneider

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Beschreibung

Michael Schneiders »virtuoser Schelmenroman« (SWR) über den Grafen Cagliostro Vom Gossenjungen aus Palermo zum gefeierten Heilkundigen und Logenvorsteher: Ein atemberaubender Roman über das Leben des Grafen Cagliostro und ein pralles Sittengemälde des 18. Jahrhunderts.Als Magier, Wunderheiler und Scharlatan gelingt dem selbst ernannten Grafen Cagliostro ein rasanter Aufstieg zu einem der berühmtesten und rätselhaftesten Männer des 18. Jahrhunderts. Mozart schuf »Sarastro« nach seinem Vorbild, Goethe machte sich in Sizilien auf die Suche nach seiner Familie. Michael Schneider erzählt das Leben des Grafen, der als Giuseppe Balsamo in Palermo zur Welt kommt und von dort zunächst Italien, dann seine Frau, die schöne junge Römerin Lorenza und spätere Gräfin Serafina, dann ganz Europa erobert. Cagliostro heilt zahlreiche Menschen, findet reiche Gönner und versorgt die Armen, lebt und wirkt in allen Metropolen – und fliegt immer wieder wegen Betruges auf und muss dann fliehen: ein Nomadenleben im Zeitalter des Rokoko.Gipfelpunkt seiner Karriere ist seine Beteiligung an der Pariser Halsbandaffäre, die wesentlich zum Ausbruch der Französischen Revolution beiträgt. Im Jahr 1791 schließlich macht der Großinquisitor Zelada ihm den Prozess – und auch er gerät in den Bann von Cagliostros Geheimnis.

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Michael Schneider

Das Geheimnis des Cagliostro

Roman

Kurzübersicht

Buch lesen

Titelseite

Inhaltsverzeichnis

Über Michael Schneider

Über dieses Buch

Impressum

Hinweise zur Darstellung dieses E-Books

Inhaltsverzeichnis

Widmung

Karte: Balsamos 2. Tour d´Europe (1763–1773)

Karte: Cagliostros 2. Tour d´Europe (1775–1789)

I. Cautio criminalis Cagliostro

Abbildung

Prolog

Kapitel 1 Ein echter Sohn Siziliens

Peppiiiino!

Der kleine Kobold

Die Magie im Harn

Um ein Haar

Im Seminar

Der Zauberlehrling

II. In dubio contra reo

Kapitel 2 Gott hat den Schalk nicht weniger inspiriert als den Propheten

Mein erster Heiligenschein

Der Apothekerlehrling

Die wundersame Welt der Alchemie

Platons Gastmahl

III. Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach

Kapitel 3 Krumm oder gerade – das ist hier die Frage

Armut ist eine Schande

Die hl. Rosalia und ihre irdische Schwester

Ein unsittliches Testament

Der Schatzgräber und die teuflische Flucht seines Kapitals

IV. Maleficus bonus?

Kapitel 4 Der Baccalaureus

Zunftgeheimnisse

V. Gaukler oder Hexenmeister?

Kapitel 5 Die römische Braut

Das Liebesorakel

VI. Nekromant und Teufelsbündler

Kapitel 6 Hochzeitsreise auf sizilianisch

Blaues Wunder

Mühsam nährt sich der Jakobspilger

VII. Der ägyptische Orden

Kapitel 7 Londoner Lehrjahre

Kleine und große Diebe

Du sollst nicht begehren deines Nächsten Weib!

Kings Bench

Verkanntes Genie

VIII. Adam vor dem Sündenfall

Kapitel 8 Ehekrise

Liebe um jeden Preis

Medizinisches Gesellenstück

Tätige Reue

IX. Memento (a)mori

Kapitel 9 Heimweh – teuer bezahlt

X. L. P. D.

Kapitel 10 Die zweite Taufe

Lux in tenebris

XI. Unmoral per Rezept

Kapitel 11 Der zweite Swedenborg

Primus inter pares

Neues Jerusalem

Per aspera ad astra

Unerwarteter Besuch

Kapitel 12 Morgenland im Abendland

Gewitzte Kuren

Isis und Osiris

XII. Tempel der Lüste

Kapitel 13 Durch deutsche Lande

Eine Loge findet ihren Meister

Die preußische Krankheit

Heilen durch den Geist

Die Mühlen des Teufels

Ausgleichende Gerechtigkeit

Examen über eine traurige Wissenschaft

XIII. Die Versuchung

Kapitel 14 Gastspiel im Reiche Katharinas

Eine Frau guter Hoffnung

Ein hoffnungsloser Fall

Ein Krankenhaus fürs Volk

Verrückte Kraftprobe

Potemkin und sein Adamsstab

Welch ein Gewese um das eigene Fleisch und Blut!

XIV. Opera Buffa Chymica

Kapitel 15 Wenn der Berg zum Propheten kommt

Unlautere Konkurrenz

Ein dicker Fisch

»Regeneration!« heißt die Zauberformel

Die Kur der Mme. Sarasin

Der Meister und sein Adept

Eine Kampagne

XV. Der Widergänger

Kapitel 16 Der Großkophta

Der Weg nach Damaskus

Revierkampf der »Erleuchteten«

Tod, wo ist dein Stachel?

Triumphierende Weisheit

XVI. Verlorene Seele

Kapitel 17 Das Halsband der Königin – ein Masterplan

Im Zeichen des Uranus

Der Masterplan

Jeanne de la Motte

Die Ausführung

XVII. Aschermittwoch

Kapitel 18 Amour fou

Die schöne Wespe

Tantalusqualen

Die Revanche

XVIII. Melancholia

Kapitel 19 Der Held der Nation

Aladin aus dem Wunderland

Eine Volkswallfahrt

XIX. Autodafé

XX. Dies irae

Zeittafel

Quellen (Auswahl)

Inhaltsverzeichnis

Für

Ingeborg und Margarete,

Andrea, Katja und Stefan,

Dunja, Hamun, Golna, Gubin,

Klara, Lia und Angelina

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

I.Cautio criminalis Cagliostro

Roma, Palazzo di Santi Ufficii, 27. Dezember 1789

Mit federndem Schritt durchmaß Francesco Valerio de Zelada die marmornen Hallen des Palazzo di Santi Ufficii. Er kam gerade aus der hl. Messe, die Seine Heiligkeit, Pius VI., selbst zelebriert hatte, denn es war der segensreiche Festtag des hl. Johannes. Die ihm entgegenkommenden Beamten und Geistlichen grüßten ihn mit ehrerbietigen Mienen. Erst vor kurzem hatte der Hl. Vater ihn zum Ersten Kardinal-Staatssekretär und Minister der vatikanischen Regierung berufen.

Wie lange hatte er nicht auf diesen Tag seiner Erhöhung gewartet! Nicht dass es ihm dabei um persönliche Ambitionen, gar um die Befriedigung sündhaften Ehrgeizes und eitler Machtgelüste gegangen wäre! O nein! Sein durch jahrelange Gewissensbefragung und strengste Beichtrituale geprüftes Herz war frei von solch niederen Beweggründen und jenen Versuchungen des Machttriebes, dem so viele weltliche Herrscher erlagen. Demut und Gottesfurcht, Gehorsam gegenüber den Geboten der hl. Kirche und Strenge gegenüber sich selbst – das waren die festen Prinzipien, auf denen er sein Leben gegründet hatte. Denn nur die wahrhaft Demütigen und Dienstfertigen erhöht der Herr.

Gleichwohl konnte er ein Gefühl stolzer Genugtuung nicht unterdrücken, dass er nunmehr den Gipfel seiner geistlichen Laufbahn erreicht und sich sein lange gehegter Lebenstraum endlich erfüllt hatte. Wer hätte das gedacht? Sein mürrischer Vater jedenfalls nicht, der wenig für seine Ausbildung getan und ihn lieber bei der königlich-spanischen Kriegsmarine als im Dienste des Vatikans gesehen hätte.

Zelada entstammte einem alten und angesehenen kastilianischen Adelsgeschlecht, das sich während der Reconquista, im Zuge der Rekatholisierung Spaniens und des Jahrhunderte währenden Kampfes gegen die Mauren, besonders hervorgetan und von der spanischen Krone mit entsprechenden Gütern und Lehen bedacht worden war. Doch als er im Jahre 1720 in Valencia das Licht der Welt erblickte, war von dem alten Glanze und Reichtum der Zeladas nicht mehr viel übrig geblieben. Seine Familie lebte in kaum mehr standesgemäßen Verhältnissen, er und seine sieben Geschwister wuchsen nicht in einem Palazzo auf, sondern in einem heruntergekommenen Patrizierhaus im Herzen der Stadt, wo der Putz von den Wänden bröckelte und der Schwamm an den feuchten Mauern fraß. Da sein Vater bei einer Seekanonade sein Bein verloren und hernach den Rest des ererbten Vermögens beim Spiel durchgebracht hatte, wurde ihm auch keine Erziehung zuteil, wie sie dem Spross eines spanischen Grande eigentlich gebührte. In einem ärmlichen Seminar der Benediktiner begann seine Ausbildung; und nur sein unermüdlicher Fleiß, seine Strebsamkeit, seine eiserne Selbstzucht, seine hervorragenden Kenntnisse der alten und neuen Sprachen, nicht zuletzt sein diplomatisches Geschick eröffneten ihm den Weg in die höhere geistliche Laufbahn. Als Titularerzbischof von Petra hatte er mehrere Jahre in Palästina verbracht, als Sekretär der Kongregation für das Tridentinische Konzil hatte er das Wohlwollen und die Wertschätzung seiner Heiligkeit Papst Clemens XIV. gewonnen, der ihn beim 11. Konsistorium im April 1773 schließlich zum Kardinal ernannte. Es traf sich gut und war eine glückliche Fügung, dass beim nächsten Konsistorium just Graf Giovanni Angelo Braschi, mit dem ihn eine alte Freundschaft verband, zum Generalschatzmeister der Apostolischen Kammer avancierte. Denn dieser sollte der nächste Papst werden. Auch ein Pontifex maximus weiß alte Freundschaftsdienste zu belohnen; und so war denn Zelada unter dem Pontifikat Pius VI. als Konsultor des Hl. Stuhls in den innersten Kreis der vatikanischen Machtzentrale vorgerückt. Als dann Kardinal Boncompagni, der Erste Kardinal-Staatssekretär, im Sommer 1789 schwer erkrankte, war es nur natürlich, dass er dessen Nachfolger im Amte wurde.

Dass die Wahl des Pontifex maximus just auf ihn fiel, war allerdings auch eine politische Entscheidung gewesen. Seit die Pariser Volksmassen die Bastille gestürmt hatten, herrschte in Frankreich die Anarchie. Die Revolution drohte nicht nur die Throne, sondern auch die Altäre umzustürzen; sie schickte ihre Agenten und Sendboten bereits über die Grenzen – in die europäischen Nachbarländer. Überall wurden, meist unter dem Schirme geheimer Freimaurer-Gesellschaften, Komplotte gegen die Souveräne und geistlichen Oberhäupter geschmiedet, auch im römischen Kirchenstaat. Der Hl. Vater war über diese Entwicklung höchst beunruhigt und hatte ihn in den letzten Wochen des Öfteren konsultiert. Zelada wusste, was angesichts dieser historischen Herausforderung zu tun und was er seinem neuen Amte schuldig war. Er würde es mit einem Fanal beginnen lassen, dessen Widerhall in ganz Europa vernommen werden sollte.

Im Hochgefühl seiner neuen Berufung betrat er den Konferenzraum, in dem das Kriegskabinett des Hl. Vaters bereits versammelt war. Er begrüßte den Vorsitzenden der Propaganda-Kongregation, Kardinal Antonelli, den Ratspräfekten Kardinal Palotta, den Prodatar Kardinal Campanelli und Monsignore Rinuccini, den Gouverneur von Rom. Wenig später erschien auch der Hl. Vater. Zelada kniete als Erster vor ihm und küsste seine ausgestreckte Hand. Der greise, gleichwohl noch immer vital wirkende Pontifex schenkte ihm ein wohlwollendes Lächeln. Wie kommt es nur, dachte Zelada, als er in die Runde der betagten Kardinäle und Magnifizenzen blickte, die nach dem Begrüßungszeremoniell mit gravitätischen Mienen in ihren mit rotem Sammet ausgeschlagenen Prunkstühlen Platz genommen, dass so viele geistliche Würdenträger und Stellvertreter Petri ein solch methusalemisches Alter erreichen? Weil das Auge Gottes auf ihnen ruht oder weil der Glaube an ihre göttliche Sendung sie am Leben hält? Oder liegt es, wie der Leibarzt des Pontifex maximus behauptet, an der verjüngenden Wirkung des Zölibats, der sie davon abhält, ihre Lebenssäfte zu verausgaben oder nur in bekömmlichen Maßen beim gelegentlichen Besuch ihrer Mätressen?

Nachdem der Hl. Vater die Sitzung eröffnet und seiner Bestürzung über die Ereignisse in Frankreich Ausdruck verliehen, erteilte er dem Ersten Kardinal-Staatssekretär das Wort.

»Hl. Vater! Verehrte Magnifizenzen!«, begann Zelada mit der gebotenen Würde und Feierlichkeit: »Aus dringendem Anlass habe ich Sie zu dieser Sondersitzung einberufen. Nur eine Cautio steht heute auf der Tagesordnung: die Cautio criminalis Cagliostro! … Bekanntlich vermag der Teufel in vielerlei Gestalt, unter vielerlei Verkleidungen aufzutreten. Seine verführerischste und gefährlichste Gestalt aber ist die des Heilkünstlers, Magus und Propheten. Unter dieser täuschenden Maskerade und dem usurpierten Titel eines Grafen von Geblüt hat Cagliostro sich in allen Ländern Europas eine ungeheure Zelebrität verschafft, mit seinen angeblichen Wunderheilungen und Prophetien, seinen gottlosen und abergläubischen Doktrinen Abertausende von Menschen in seinen Bann gezogen und vergiftet. Vor allem in Frankreich hat er mit Erfolg seine Netze gespannt und vermittels eines weit verzweigten freimaurerischen Logensystems nach dem ägyptischen Ritus zahllose Proselyten gemacht. Selbst höchste geistliche Würdenträger, unter ihnen der Kardinal Rohan aus Straßburg und der Erzbischof von Bourges, huldigen diesem falschen Messias und seinem ketzerischen Ritus – eine Schande für die hl. Kirche und das Papsttum!«

Zelada hielt in seinem Vortrag inne, um den versammelten Magnifizenzen Gelegenheit zu geben, ihrer Empörung Ausdruck zu verleihen. Dann fuhr er fort:

»Nachdem Cagliostro im Zuge der ›Halsband-Affaire‹, die ganz Europa erschütterte, aus Frankreich ausgewiesen und allenthalben als gefährlicher Betrüger und Ränkeschmied erkannt worden, irrte er die letzten Jahre mit seiner Gattin durch halb Europa, von einem Land zum nächsten, denn keines wollte ihn mehr aufnehmen. Nur der Kirchenstaat war so gnädig, ihm freies Geleit nach Rom zu gewähren. Das hl. Offizium hat ihn zunächst als Informant zu gewinnen versucht, da er als weit gereister Mann eine unschätzbare Erfahrungsquelle bezüglich der freimaurerischen Geheimgesellschaften Europas darstellt, jedoch hat er sich der Zusammenarbeit verweigert. Stattdessen hat er in Rom eine geheime Loge nach dem ägyptischen Ritus gegründet – und damit wissentlich gegen die Verdammungsbullen Papst Clemens’ VII. und Benedikts XIV. gegen die freimaurerischen Zusammenkünfte und Logen verstoßen … Wie weit die Verschwörung bereits gediehen ist, beweist die Liste der Mitglieder jener ägyptischen Loge, in die sich zwei Mitarbeiter des hl. Offiziums zum Scheine aufnehmen ließen. Ihr gehören, neben fünf Franzosen, einem Amerikaner und einem Polen, auch einige hochrangige Persönlichkeiten an: unter ihnen der maltesische Komtur von Loras, der Marquis und die Marquise Vivaldi, der Herzog von San Demetrio und der Markgraf von Ansbach. Wenn Ihre Heiligkeit sich selbst überzeugen wollen …«

Zelada übergab die Liste dem Hl. Vater, der sie mit sorgenvoller Miene überflog und sie sodann an die anderen Mitglieder der Kongregation weiterreichte. Unterdes setzte der Erste Kardinal-Staatssekretär seinen Vortrag fort:

»Das hl. Offizium hat soeben ein Schreiben Cagliostros abgefangen, das dieser an die französischen Generalstände richtete. Darin heißt es:

 

Voller Bewunderung und Verbundenheit mit dem französischen Volk sowie aus Respekt gegenüber seinen Gesetzgebern und Volksrepräsentanten sehne ich mich danach, ohne Gefahr in das Land meines Herzens zurückzukehren und den Rest meines Lebens im Schoße einer Nation zu verbringen, aus dem mich ein willkürliches königliches Edikt verwiesen hat.

 

Nun könnte man meinen, hierbei handle es sich um eine bloße Ergebenheitsadresse an die französischen Generalstände. Doch weit gefehlt! Bei seiner letzten Logenversammlung im Haus des französischen Malers Belle hat Cagliostro, wie einer unserer Mitarbeiter protokollierte, eine Prophezeiung ausgesprochen, die keinen Zweifel mehr an seinen wahren Gesinnungen aufkommen lässt: Pius VI., hat er ausgerufen, wird der letzte Papst sein und der Vatikanstaat aufgelöst werden!«

Ausrufe des Entsetzens flogen durch den Raum. Kardinal Palotta glitt vor Schreck der Rosenkranz aus der Hand. Kardinal Campanelli saß wie erstarrt, mit glasigem Blick, als habe er soeben das offene Tor zur Hölle erschaut. Der Gouverneur Rinuccini murmelte grimmige Verwünschungen in seinen eisgrauen Bart. Der Hl. Vater hielt seine gefalteten Hände gegen die zerfurchte Stirn gepresst, als bitte er um den Schutz des Allmächtigen. Bestürzte Mienen, wohin Zelada auch blickte. Auch wenn keiner im Raume es aussprach, mit Schrecken erinnerte man sich an den spektakulären Fall der Bauernmagd Renzi, welche die letzte Stunde des vormaligen Papstes Clemens XIV. und die genauen Umstände seines Todes vorhergesagt hatte. Über die Prophezeiung, die das gotteslästerliche Mädchen auch unter der Folter wiederholte, hatte sich der Hl. Vater dermaßen aufgeregt, dass er schwer erkrankte und im Jahre darauf verschied.

»Aus zahlreichen Hinweisen und Zeugnissen, die seitens unserer ausländischen Diplomaten und Dienste eingegangen sind«, fuhr Zelada fort, »hat das hl. Offizium die Überzeugung gewonnen, dass dieser sogenannte Graf Cagliostro in Wahrheit ein Emissär der Französischen Revolution, der Kopf einer riesigen Armee geheimer Agenten, wenn nicht gar das Haupt jener berüchtigten Illuminatensekte ist, welche die vollständige Zerstörung der Monarchie und der katholischen Religion zum Ziele hat.

Hl. Vater! Verehrte Magnifizenzen und Eminenzen! Die Französische Revolution droht die bisherige Ordnung der Welt umzustürzen. Man weiß, was in der Nacht des 4. August 1789 zu Paris geschah: Die Privilegien des Adels und des Klerus wurden mit einem Federstrich abgeschafft, in der Folge die Kirchen und Klöster geplündert und angezündet. Die geplante ›Zivilkonstitution des Klerus‹ sieht vor, alle Priester und geistlichen Würdenträger fortan dem Staate und nicht mehr ihrem geistlichen Oberhirten zu unterstellen. Dies ist die schlimmste Beleidigung für das Papsttum, der ärgste Angriff gegen die hl. Kirche seit den Tagen Martin Luthers. Darum muss jeder Versuch, die französischen Revolutionsideen im römischen Kirchenstaat einzuführen, im Keime erstickt werden. Ich plädiere dafür, an dem Sendboten der Revolution in Gestalt des Grafen Cagliostro ein Exemplum zu statuieren, indem wir selbigen einem hochnotpeinlichen Inquisitionsprozess unterwerfen. In diesen Zeiten gottloser Aberrationen und luziferischer Umwälzungen sind wir, als Diener der hl. Kirche und des Stuhls Petri, aufgerufen, unsere christliche Sendung und Wehrhaftigkeit zu beweisen. In Gloriam coeli Dei!«

 

Der Erste Kardinal-Staatssekretär konnte mit sich zufrieden sein. Dank seiner Beredsamkeit und stringenten Beweisführung hatte er es erreicht, dass die Cautio criminalis Cagliostro, die sein Vorgänger im Amte allzu lange hatte schleifen lassen, nun endlich zu einer Staatsangelegenheit von höchster Bedeutung geworden war. Das Kriegskabinett des Vatikans war sich einig. Pius VI. erteilte dem römischen Stadtkommandanten den Befehl, das Ehepaar Cagliostro und ihren Sekretär, den Pater François-Joseph, unverzüglich zu verhaften. Cagliostro wurde in das bestgesicherte Verlies der Engelsburg geschafft. Um zu seinem Kerker zu gelangen, musste man sieben verriegelte Bleitüren passieren. Die Wachen der Engelsburg wurden verdoppelt, alle Zufahrtswege gesperrt und die Zugbrücke hochgezogen.

Eine bessere Amtseinführung hätte sich Zelada nicht wünschen können. Der Hl. Vater hatte ihn mit allen nötigen Vollmachten ausgestattet, und die Hl. Kongregation der Römischen und Universalen Inquisition stand geschlossen hinter ihm. Nun konnte er einen exemplarischen Inquisitionsprozess führen – nicht gegen irgendeinen kleinen häretischen Dumm- oder Querkopf, sondern gegen den gefährlichsten und berüchtigsten Abenteurer, Magier, Ketzer und Illuminaten des Jahrhunderts. Er hatte genug Material gegen ihn in der Hand, denn die Beamten des hl. Offiziums hatten ganze Arbeit geleistet.

Dieser Prozess würde nicht nur eine heilsame und abschreckende Wirkung auf das gesamte europäische Freimaurer- und Illuminatenwesen haben, er würde auch, dessen war er gewiss, in die Annalen der Geschichte eingehen. Und damit – so flüsterte eine innere Stimme, die er jedoch nicht gehört haben wollte – auch er selbst: Seine Magnifizenz Frederico Saverio de Zelada, Erster Kardinal-Staatssekretär unter dem ruhmreichen Pontifikat Pius’ VI.

*

In seinem seidengefütterten Morgenrock stand Zelada, eine Tasse heißen Kakaos schlürfend, vor dem hohen Bogenfenster seines Kabinetts und schaute über den Campo Santo. Niedrig und schnell zogen die Wolken, die ein heftiger Wind wie eine graue Armada vor sich her trieb. Der Nieselregen hatte den ersten Schnee in eine schlammige Brache verwandelt, die den heiligen Platz mit einer grauen Schmutzschicht bedeckte.

Für den Beginn des Inquisitionsverfahrens gegen Cagliostro waren alle nötigen Vorbereitungen getroffen. War es nicht eine besondere Fügung des Himmels, dachte der Kardinal-Staatssekretär, indes seine dünnen Lippen sich zu einem maliziösen Lächeln kräuselten, dass just er dazu ausersehen ward, diesem ruchlosen Ketzer, Konspirateur und größten Mysterienschwindler des Jahrhunderts den Prozess zu machen? Und welch böse Überraschung für den Inquisiten, wenn er erst gewahr würde, wem er da auf dem Ketzerstuhle gegenübersaß und wer ihn verhörte!

Schon einmal nämlich – es war etliche Jahre her – hatte Zelada die Ehre mit Cagliostro gehabt – im Salon des Kardinals Rohan. Eine Dienstreise als päpstlicher Legationsrat hatte ihn damals auch ins Elsass geführt …

Strassburgo, 1781

Während der Kutschfahrt von Basel nach Straßburg lauschte Zelada mit halbem Ohr dem Gespräch einer mitreisenden vornehmen Dame mit ihrer Gouvernante. Dabei fiel immer wieder der Name ›Cagliostro‹, von dem die beiden wie von einem höheren Wesen sprachen. Schließlich fragte er die Dame, wer denn dieser Cagliostro sei.

»Wie, Monsignore, Sie wissen nicht, wer Cagliostro ist?« Die Dame sah ihn an, als lebe er hinter dem Mond. »Er ist ein Genius der Heilkunst, ein zweiter Paracelsus!«

Und dann sprudelte sie los. Aus der Schweiz, aus Deutschland, aus Frankreich kämen die Patienten angereist, ob zu Wasser oder zu Lande, um sich in die Hände dieses neuen Aeskulap zu begeben, welcher derzeit in Straßburg weile, um sein menschenfreundliches Werk zu vollbringen. Zahllosen Kranken habe er die Gesundheit und das Leben wiedergegeben, mit Vorliebe solchen, welche von den Medici als unheilbar aufgegeben worden. Und dieser von Gott begnadete Heiler nehme kein Honorar. Er kuriere umsonst, bezahle den Mittellosen gar noch die Medikamente und spende aus vollen Händen. »Nun wissen Sie, Eminenz, wer Cagliostro ist!«

»Zweifellos ein Heiliger!«, bemerkte Zelada trocken. Doch die schwärmerische Dame überhörte seinen ironischen Unterton.

 

Kaum in Straßburg angelangt, schallte ihm von allen Ecken und Enden das Lob des Grafen Cagliostro entgegen. Überall, in den Kanzleien, den geistlichen Seminaren, den Hotels, auf den Straßen und Marktplätzen sprach man von seinen überraschenden Heilungen, seiner Freigiebigkeit und vom Zulauf des Publikums, der sich an manchen Tagen auf mehr als fünfhundert Personen steigere. Auch sei der Graf ungeheuer reich und habe eine ausnehmend schöne Frau.

Als Zelada am nächsten Morgen in Begleitung eines Straßburger Prälaten über den Waffenplatz spazierte, sah er plötzlich eine elegante schwarze Kutsche vorfahren, deren Verschläge mit vergoldeten Emblemen und allerlei magischen und kabbalistischen Zeichen verziert waren. Eine große Schar von Bürgern jeglichen Alters begleitete sie, in der Hauptsache Menschen in ärmlicher Kleidung, mehrere humpelten auf Krücken. Der Kutsche entstieg ein kleiner, korpulenter Mann. An seinem grauen Rock und seinen Händen funkelten Diamanten. Den Kopf hielt er vornehm zurückgeworfen, sodass sein gewaltiges Kinn zur Geltung kam. In der einen Hand trug er einen schwarzen Arztkoffer, in der anderen einen Mousquetaire-Hut mit weißen Federn garniert; dieser Kopfschmuck musste, laut polizeilicher Vorschrift, von Theriakkrämern, Zahnreißern und ähnlichen Heilkünstlern getragen werden, die nicht durch den gelehrten Grad eines Doktors der Medizin approbiert waren.

»Ist das etwa jener Cagliostro?«, fragte Zelada seinen Begleiter.

Der Prälat nickte, und seine Miene nahm sogleich einen ehrfürchtigen Ausdruck an.

»Erzählen Sie mir von ihm!«

»Seine Kutsche hält vor den Häusern der vornehmen Patienten nicht länger als vor denen der Armen und Mittellosen. Er macht zwischen Reich und Arm keinen Unterschied, behandelt den gemeinen Mann mit derselben Akkuratesse wie den Vornehmen. Darum wird er von dem petit peuple angebetet. Er ist ein großer Physiognomiker, ein Weissager aus den Gesichtszügen. Aus dem Angesichte offenbart er die Geheimnisse und Laster eines jeden. Im Hause der Mme. Lamarche hat er auf eigene Kosten ein Maison de Santé eingerichtet. Sein Leben verbringt er unter den Kranken, vor allem den Armen, an die er seine Heilmittel kostenlos verteilt, dazu noch Suppe, die er aus eigener Tasche bezahlt. Er selbst isst wenig, oft nur im Stehen. Er schläft wenig, oft nur im Sessel mit einem großen Kissen. Stets ist er bereit, den Unglücklichen zu Hilfe zu eilen, gleich zu welcher Tages- oder Nachtstunde. Viele seiner heilkräftigen Tinkturen, Salben und Elixiere stellt er selbst her. Fast die ganze Nacht brennt die Kerze hinter dem Fenster seines alchemistischen Laboratoriums in der alten Gasse am Weinmarkt. Er scheint unermesslich reich zu sein. Man munkelt, er verfüge über die Kunst des Goldmachens und das Geheimnis, aus kleinen Diamanten riesengroße zu machen. Mit einem Wort: Er ist der gesuchteste Mann von Straßburg und ein Segen für diese Stadt.«

»Und woher kommt er?«

»Er selbst macht sich ein Vergnügen daraus, die Neugierde des Publikums hierüber unbefriedigt zu lassen. Die einen sagen, er stamme aus Alexandria und sei der Großmeister des Grand Orient in Medina. Er selbst gibt an, bei den größten arabischen Meistern der Alchemie und der Arzneikunst in die Schule gegangen zu sein. Andere sagen, er sei der Sohn eines portugiesischen Juden, der in den brasilianischen Silberminen sein Vermögen gemacht und es diesem vererbt habe. Seine Neider und Gegner wiederum behaupten, er sei ein Geheimagent der Jesuiten; diese hätten ihn ausgeschickt, um das Publikum durch seine Mirakel und wunderbaren Heilungen zu blenden und es wieder an die Kette des Aberglaubens und des geistlichen Despotismus zu legen. So viele Köpfe, so viele Meinungen! Sicher ist nur, dass er ein Freimaurer und Eingeweihter der höchsten Grade ist, der über geheime Wissenschaft verfügt, wenn nicht gar einer der Geheimen Oberen selbst!«

Zelada schwirrte der Kopf. So viele Antworten auf eine so einfache Frage. Dieser Graf Cagliostro schien es wohl darauf angelegt zu haben, seine Person partout mit Geheimnis zu umgeben und seine Herkunft zu verschleiern. Aber warum? Was bezweckte er damit? Was hatte er zu verbergen?

 

Tags darauf stattete er Kardinal Rohan auf Schloss Zabern seinen Besuch ab. Die »schöne Eminenz«, wie der Fürstbischof wegen seiner vielen galanten Abenteuer im Volksmund genannt wurde, empfing ihn in bester Laune. Er war eine soignierte und elegante Erscheinung, von hoher Statur und ziemlich beleibt. Sein Haar schimmerte silbergrau über der hohen gelichteten Stirn. Trotz des lebhaften Ausdrucks seiner Augen wirkte sein Gesicht in seiner rundlichen Gepflegtheit ein wenig kindlich.

Der Fürstbischof führte den hohen Gast durch seinen weitläufigen Sandsteinpalast, zeigte ihm seine reichhaltigen Sammlungen zur Physik und Naturgeschichte und die wundervolle Bibliothek aus herrlich gebundenen Bänden, die in Gold das Kardinalswappen mit der Aufschrift »ex bibliotheca Tabernensis« wiesen. Lange verharrten sie vor der Sammlung alter Gebet- und Messbücher. Es waren kostbare und ganz einzigartige handschriftliche Breviere darunter mit schönen Malereien und Verzierungen, fromm in Gold und Zinnober.

Schließlich führte Rohan ihn in sein Kabinett und wies auf eine Marmorbüste, die der berühmte Houdon, Bildhauer und Hofmaler Seiner Majestät, des Königs, für ihn angefertigt hatte. Die Büste stellte den stolz zurückgeworfenen Kopf eines wild blickenden Mannes dar mit breitem Schädel, viereckigem Gesicht, tief liegenden himmelwärts gerichteten Augen und großem eindrucksvollen Kinn; auf dem Sockel aber stand in goldenen Lettern zu lesen: Der göttliche Cagliostro.

»Wie gefällt Ihnen diese Büste?«, fragte Rohan lächelnd.

»Ihre neue Passion, Eminenz? … Ich habe schon davon munkeln hören.«

Lachend fiel der Fürstbischof ein. »Mir scheint, Sie haben etwas gegen Cagliostro?«

»Wie könnte ich etwas gegen ihn haben, mon prince, da ich ihn ja bloß vom Hörensagen kenne? Doch habe ich immer einen gewissen Widerwillen gegen die geheimen Wissenschaften. Sie riechen allzu sehr nach der großen Trommel des Jahrmarktes!«

»Wenn Sie heute Abend mein Gast sein wollen, werden Sie Cagliostro und sein Genie kennen lernen.« Mit Inbrunst fügte Rohan hinzu: »Er ist mein Freund, mein Meister, wenn Sie so wollen.«

 

Es war eine illustre Gesellschaft von etwa fünfzehn Personen, die sich an diesem Abend die Ehre im festlich beleuchteten Schloss des Fürstbischofs gab: unter ihnen Marschall Contades, der militärische Oberbefehlshaber des Elsass, der Straßburger Stadtkommandant Marquis de la Salle, dessen Sekretär Cagliostro von einem schweren Leiden geheilt hatte, die Marquise de la Salle und ihre beiden Töchter, die Baroness Flachsland, die Baroness Oberkirch, Graf und Gräfin Salm-Manderscheid, Fürst und Fürstin von Hohenlohe und der Abbé Georgel, Rohans Privatsekretär und Faktotum. Gespeist wurde nach der hübschen Sitte, die der Kardinal bereits während seiner Gesandtschaft in Wien eingeführt hatte, an kleinen Tischen, damit es lustiger und lebhafter zuginge. Zeladas Tischnachbarin war die Baroness Oberkirch, eine gebildete und weltgewandte Dame aus dem elsässischen Adel, die eine alte Freundin des Fürstbischofs war.

Nur der Meister ließ auf sich warten. Indes war er hier, auch ohne anwesend zu sein, das Gesprächsthema Nummer eins. Gegen neun Uhr – man war längst beim Souper – betrat, ganz außer Atem, Mr. de la Borde, Steuerpächter des Elsass, den kleinen Bankettsaal, um dem Gastgeber mitzuteilen, Graf Cagliostro bitte seine Verspätung zu entschuldigen, doch seine ärztlichen Pflichten hätten für ihn nun einmal Vorrang vor dem Vergnügen, der Gast Seiner Eminenz, des Kardinals, zu sein. Das Herz des Boten war so voll des eben Erlebten, dass es förmlich überfloss. Während sich die Gäste mit allen Zeichen der Labsal den Tafelfreuden hingaben – es gab Austernpastete, gebratene Rebhuhnflügel, Truthahn in feinster Burgundersauce und andere Köstlichkeiten mehr –, schilderte Mr. de la Borde in bewegten Worten, was er soeben erlebt und gesehen:

»Ich komme gerade vom Maison de Santé. Stellen Sie sich einen riesigen Saal voll unglücklicher, meist hilfloser Geschöpfe vor, die mit emporgereckten Armen den Grafen um Mitleid anflehen. Er hört sich einen nach dem anderen an, merkt sich jedes Wort, verlässt kurz das Zimmer, kehrt aber sogleich wieder zurück mit einer Unmenge von Heilmitteln, die er an diese Geschlagenen verteilt, wobei er jedem wiederholt, was ihm dieser über seine Krankheit gesagt hat, und allen eine baldige Genesung zusichert, wenn sie sich genau an seine Verordnungen halten. Aber mit den Arzneien allein ist es nicht getan. Sie brauchen auch kräftigende Suppen; doch nur wenige dieser Unglücklichen haben die Mittel dazu; der mitfühlende Graf teilt den Inhalt seiner Börse unter die Armen auf. Sie scheint unerschöpflich. Es bereitet ihm mehr Freude, zu geben als zu nehmen, was sich an seinem Mitleid erweist. Die Unglücklichen werfen sich, von Dankbarkeit, Liebe und Achtung durchdrungen, ihm zu Füßen, umfassen seine Knie, nennen ihn ihren Retter, ihren Vater, ihren Gott. Das rührt den braven Mann, Tränen stürzen ihm aus den Augen. Er versucht sie zu verbergen, vermag es aber nicht. Er weint, und die ganze Versammlung bricht in Tränen aus. Köstliche Tränen, eine Labsal fürs Herz, deren Zauber man sich leicht vorstellen kann, wenn man noch nie das Glück gehabt, ähnliche zu vergießen!«

Dieser bewegende Bericht verfehlte nicht seine Wirkung auf die Gäste; trotz ihrer köstlich beschwerten Mägen schien eine feierliche Ergriffenheit alle Gemüter zu heben. Elogen auf den »edlen Mann« und »selbstlosen Helfer der Armen und Bedürftigen« wurden ausgerufen. »Sein Gesicht strahlt Geist, ja, Genie aus«, verkündete die Fürstin von Hohenlohe. »Seine feurigen Augen lesen auf dem Grund der Seele.« Und die Marquise de la Salle erklärte bewegt: »Er lässt uns wieder an das Gute im Menschen glauben. Sein Beispiel erweckt überall die Tugend und den edlen Trieb der Wohltätigkeit.« Sie habe sich gerade von ihrer alten Wintergarderobe getrennt und dem Maison de Santé gespendet, warf die Gräfin Salm-Manderscheid mit gezierter Bescheidenheit ein. Er habe soeben seinen Verwalter angewiesen, bemerkte wie beiläufig Marschall Contades, aus den Magazinen der Armee Pferdedecken, Kleider und Holzpantinen zu sammeln – zum Nutzen des neuen Volkskrankenhauses.

»Ich konstatiere«, bemerkte Abbé Georgel mit feiner Ironie, »Cagliostro macht aus uns allen bessere Menschen.«

Gegen zehn Uhr abends war es endlich so weit. Der Kammerdiener öffnete die Flügeltür und verkündete laut: »Seine Eminenz, der Graf Cagliostro, und die Gräfin Serafina Cagliostro!« Unter dem Beifall der Gäste betrat das Paar den Bankettsaal. Kardinal Rohan erhob sich sogleich und eilte dem Meister entgegen. Er umarmte ihn und küsste sodann der »kleinen Gräfin«, wie er die Gattin des Meisters liebevoll nannte, die Hand.

Zelada war erstaunt über diesen pompösen Empfang und die alle Etikette missachtende Selbstvergessenheit des Fürstbischofs; hätte diese es doch verlangt, dass die »kleine Gräfin« ihm die Hand küsst – statt umgekehrt. Nun endlich hatte er Gelegenheit, den neuen Heiligen Straßburgs, der am schräg gegenüberliegenden Tisch neben der Marquise de la Salle Platz nahm, genauer zu betrachten. Auf den ersten Blick schien der kleine ›große Mann‹ mit dem stattlichen Embonpoint, dem kurzen Hals und dem olivfarbenen Teint für die Rolle des ›Signor Tulipan‹ in der italienischen Komödie wie geschaffen. Sein rundes Gesicht mit der Stupsnase, den breiten Nasenlöchern und den wulstigen Lippen hatte etwas von einer heiteren Bulldogge. Seine Haartracht war neuartig für Frankreich, das Haar war in mehrere kleine Zöpfe geflochten, die am Hinterkopf in einem Haarbeutel zusammenliefen. Er trug einen stahlgrauen Rock nach französischem Schnitt, der mit Goldtressen besetzt war, eine scharlachrote Weste mit spanischer Stickerei, eine rote Hose, den Degen in den Rockschößen. Dieses Kostüm schmückte er noch durch Spitzenstulpen und Schuhspangen, die so glitzerten, dass man sie für Diamanten halten konnte. Auch an seiner Uhrkette und seinen Fingern funkelten Diamanten, die, wenn sie so viel Wert gehabt hätten, wie sie schienen, das Vermögen eines Königs gekostet haben würden.

Zelada wusste nicht, was er von dieser Aufmachung halten sollte, die eher an den Protz eines Parvenus denn an die stilvolle Garderobe eines Grafen von Geblüt gemahnte. Auch des Grafen Tischmanieren – er redete, während er kaute, schmatzte wie ein Fuhrknecht und wischte sich, statt mit der Serviette, mit dem Handrücken über den Mund – waren nicht gerade eines Edelmannes würdig. Doch am meisten irritierte ihn der ständig changierende Ausdruck seiner hervorstechenden, dunkel schimmernden Augen, der kaum zu beschreiben war. Bald war sein Blick scharf und durchdringend, bald undurchdringlich und verschlossen, bald offen und warm, bald abweisend und kalt – wie eine Mischung aus Feuer und Eis. Bald sprach aus seiner Miene wie aus seinen Reden der Schalk des erfahrenen Volksarztes, bald der erhabene Dünkel des Meisters und Eingeweihten. Jedenfalls schien er vor Selbstbewusstsein zu strotzen. Dieses Gesicht, diese Augen, der ganze Mensch war Zelada nicht geheuer – und beeindruckte ihn doch wider Willen.

Im Gegensatz zu ihrem beleibten Gatten war die Gräfin Serafina eine zierliche und liebreizende Erscheinung. Sie war von mittlerer Größe, hatte eine ovale Gesichtsbildung und einen cremefarbenen Teint. Schön wölbten sich die dunklen Brauen über ihren himmelblauen Augen, die gleichwohl ein wenig verschattet waren und eine gewisse Melancholie verströmten. Ihre üppigen blonden Haare umrahmten ihr Gesicht wie ein Lockenfächer, der mit Schleifchen und winzigen Spiegelchen garniert war. Sie trug ein langes roséfarbenes »Chemise à la reine« aus Musselin, das die elastische Fülle ihrer Figur und die Geschmeidigkeit ihrer Bewegungen noch betonte. Ihr Alter war schwer zu schätzen, sie hatte den makellosen Teint und die vollen roten Lippen einer Zwanzigjährigen – und wirkte doch wie eine Beauté im Stadium ihrer Reife. Nicht ohne Bosheit bemerkte die Baroness Oberkirch, die Gräfin Serafina Cagliostro sei in Wahrheit viel älter, als sie aussehe; ihre »scheinbare Jugendfrische« verdanke sich nur den alchemistischen Verjüngungsmitteln ihres Gatten. Jedenfalls war ihre ganze Erscheinung wohl geeignet, Begierden zu erwecken.

Kaum war das Souper beendet, begab sich die Gesellschaft in den angrenzenden Salon; dieser war nur spärlich durch Kerzen erhellt, die unter grünen seidenen Lampenschirmen brannten, und mit kostbaren Boulemöbeln ausgestattet. Ungeachtet seiner Korpulenz bewegte sich Cagliostro mit einer tänzelnden Leichtigkeit, als schlage er der Schwerkraft ein Schnippchen. Sogleich bildete sich um ihn ein Kreis von Bewunderern. Er schien es gewohnt, Mittelpunkt der Gesellschaft und Magnet der Damen zu sein, welche bald wie gebannt an seinen Lippen hingen. Er sprach in einem seltsamen, halb italienischen, halb französischen Kauderwelsch, mischte gewaltig viele arabisch klingende Zitate darunter, fand es jedoch nicht der Mühe wert, sie zu übersetzen. Selbst in den Ohren Zeladas, der des Arabischen mächtig war, klangen diese Arabesken fremd und unverständlich. Der Meister redete ununterbrochen, sprang von einem Gegenstand zum anderen und handelte wohl zehn verschiedene Themen ab, jedoch nur, solange es ihm beliebte. Alle Augenblicke fragte er, ob man ihn verstanden habe, und alle verbeugten sich zustimmend. Wenn ihn ein Thema berührte, schien es ihn fortzureißen, er steigerte sich mit Gesten hinein, erhob seine gewaltige Stimme, seine Augen begannen zu leuchten, sein Geist schien in höhere Sphären zu entschweben, als gliche er einem Inspirierten. Doch ebenso plötzlich, wie seine rauschhafte Suada anhob, brach sie auch wieder ab, indem er sich unvermittelt der einen oder anderen Dame zuwandte, sie mit seiner Stimme umschmeichelte wie eine in Seide gehüllte Trompete und ihr höchst galante und drollige Komplimente machte. Der rasche Wechsel vom hohen Ton des Inspirierten zum profanen Gestus des galanten Unterhalters war recht sonderbar und irritierend.

»Ist es nicht verrückt«, wandte sich die Baroness Oberkirch an den päpstlichen Gesandten, »wie all die Leute hier den Magier anbeten? Schauen Sie nur, wie man ihn umzingelt und bedrängt und wie glücklich ein jeder ist, auf den nur der Blick des Meisters fällt.«

Mit einer gewissen Erleichterung konstatierte Zelada, dass wenigstens eine Dame in dieser illustren Runde noch nicht vom »Cagliostro-Fieber« angesteckt war.

»Und was halten Sie selbst von ihm, Baroness?«

»Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht. Es geht etwas Verwirrendes von ihm aus. Er fasziniert den Verstand und betäubt gleichsam die Denkfähigkeit. Doch scheint er mit außergewöhnlichen, ja, übernatürlichen Kräften begabt. Ich war während jener Soiree zugegen, als er plötzlich in seiner Rede wie erstarrt innehielt, als habe er eine Vision, und nach minutenlangem Schweigen mit Grabesstimme verkündete: ›Maria Theresa ist tot!‹ Fünf Tage später traf in Straßburg die Nachricht ein, dass die Kaiserin just an jenem Tag und in derselben Stunde verschieden war, da Cagliostro seine betrübliche Erscheinung gehabt.«

Zelada wurde es zunehmend unbehaglich. Nicht genug damit, dass dieser sonderbare Heilige allenthalben als Heilkünstler Triumphe feierte und als »Wohltäter der Armen« gerühmt wurde – er wusste dem Publico auch noch als Magus und Hellseher zu imponieren!

»Ganz im Vertrauen, Eminenz!«, sagte die Baroness Oberkirch mit bekümmerter Miene. »Ich fürchte um das Seelenheil des Fürstbischofs. Seit er mit dem Zauberer verkehrt, ist er von ihm wie behext.«

Lautes Gelächter erschallte aus dem Kreis, der den Meister umgab. Er gab gerade einige Schnurren aus seiner ärztlichen Praxis zum Besten, wobei seine erstaunlich kleinen Hände mit den goldberingten Fingern so flink auf und ab tanzten wie die eines Puppenspielers.

»In Venedig war ein sehr kluger Mann, und hatte nur die eine Narrheit: nämlich zu glauben, alle Schiffe, die im Hafen ankämen, gehörten ihm. Nun, ich habe ihn von diesem Wahne glücklich kuriert. Aber dann geht doch der Kerl vor Gericht, um mich auf Schadensersatz zu verklagen: Zwar sei er jetzt von seiner Krankheit kuriert, erklärt er dem Richter, aber dafür habe er auch all seine Schiffe verloren!«

Die kleine Gesellschaft wieherte vor Vergnügen, und der Graf reckte die Brust wie ein Applaus gewohnter Salonlöwe. Auch Zelada musste schmunzeln – dieser »Wundermann« hatte zudem noch Esprit!

Mit erhobenen Brauen und tönendem Bass sprach er dann wieder von dunklen und hohen Dingen, von der heiligen Mystik, den sieben Engeln der Sphären, vom Großen Arcanum, der transzendentalen Chemie, von Memphis und den Pyramiden, in deren unterirdischen Schatzkammern das geheime Wissen der ägyptischen Priester aufbewahrt sei. Er sprach von Hermes Trismegistos, dem Urvater der hermetischen Wissenschaften und Geheimlehren, welche auf dem Wege der Initiation von Generation zu Generation, von Meister zu Meister weitergegeben worden, und von den vergessenen Heilmethoden der alten Ägypter, dem Zustand des Schlafwachens und dem Tempelschlaf: Aus den Träumen und Hellgesichten der Kranken zogen die Priester die Diagnose und bezeichneten den Weg und die Mittel zu ihrer Heilung. Die Kur aber sei immer ein göttlicher Auftrag an den Patienten gewesen, sein Leben zu ändern … Die besondere Empfänglichkeit der Seele im Zustand des Schlafwachens hätten die ägyptischen Priester auch für ihre berühmten Orakel genutzt, wobei ihnen junge Knaben und Mädchen, sogenannte »Waisen« und »Tauben«, welche die ersten Stadien der Initiation durchlaufen, als Medium gedient – eine Methode der Divination, die heute nur noch wenigen Erwählten, den Freimaurern der höchsten Grade und Großmeistern des ägyptischen Ritus, bekannt sei.

Hier brach die Suada des Meisters plötzlich ab, zweifelnd und ein wenig schuldbewusst blickte er in die Runde, als habe er eigentlich schon zu viel von seinem erhabenen Wissen verraten. Aber natürlich war nun erst recht die Neugierde der kleinen Gesellschaft geweckt. Man bat, bettelte und bedrängte ihn, ob er nicht hier und jetzt einige Proben seiner Hellsichtigkeit geben könne. Er schüttelte den Kopf, er bedauere sehr, doch sei es ihm nicht erlaubt, den Profanen solche Geheimnisse mitzuteilen. Indes gaben die Gäste keine Ruhe, man bat und bettelte weiter, der Meister zierte sich noch eine Weile, bis er sich endlich erweichen ließ.

Er werde sich jetzt zwar nicht der ägyptischen Methode der Divination bedienen – denn dies dürfe er nur vor Eingeweihten und Logenbrüdern –, doch wolle er mit dem folgenden Experiment demonstrieren, zu welch hohem Grade der Hellsichtigkeit, der Clairvoyance, der Mensch gelangen könne, wenn er sich vertrauensvoll seinen »inneren Gesichten« überlasse, die ja im somnambulen und desorganisierten Zustand der Seele besonders deutlich hervorträten. Dann ließ er seinen forschenden Blick über die Gäste schweifen und forderte den Marschall Contades, die Marquise de la Salle und die Baroness Oberkirch auf, ihm einen persönlichen Gegenstand auszuhändigen, ein Medaillon, einen Ring, eine Brosche, eine Taschenuhr oder dergleichen. Anhand dieser Gegenstände, welche das unsichtbare Siegel der Persönlichkeit ihres jeweiligen Besitzers trügen, werde er ein prägendes Bild oder Ereignis aus ihrem Leben in sich aufsteigen lassen. Dann bat er die Gäste, die Gespräche einzustellen und alle unnötigen Geräusche zu vermeiden.

Eine gespannte Erwartung legte sich über die kleine Gesellschaft.

»Was glauben Sie«, wandte sich Zelada im Flüsterton an die Baroness Oberkirch, »werden wir nun Zeugen eines echten Mirakels oder einer durchtriebenen Buffonerie?«

»Warten wir’s ab!«, flüsterte die Baroness. »Doch werde ich ihm ein Anhängsel überreichen, das mit Sicherheit nicht den ›Siegel meiner Persönlichkeit‹ trägt!«

Cagliostro hatte inzwischen in einem Louis-quinze-Stuhl Platz genommen und lehnte sich entspannt zurück. Indem er nun den funkelnden Diamanten an seiner Uhrkette fixierte, schien er sich selbst in eine Art Zustand des Schlafwachens zu versetzen. Dabei murmelte er unverständliche magische Formeln, die wohl der Zitation seiner Hilfsgeister dienen sollten. Während dieser Selbstversenkung, die gut zehn Minuten dauerte, legte sich eine weihevolle Stille über das Publikum. Langsam hob der Meister den Kopf, sein glasig-starrer Blick und der verlangsamte Schlag seiner Lider schienen anzuzeigen, dass er sich nun in jener höheren geistigen Sphäre befand, in der er seine Hellgesichte empfing. All seine Bewegungen hatten von nun an etwas Verlangsamtes, Verzögertes und Schlafwandlerisches an sich.

Der schon recht betagte Marschall Contades hatte ihm ein zierliches, in Gold gefasstes Medaillon überreicht. Cagliostro wog es in seiner Hand, betrachtete es eindringlich, versenkte sich förmlich in das ovale Miniaturportrait, drückte es sodann an die Stirn, um es in seinen Geist aufzunehmen. Endlich begann er stockend, mit einzelnen Worten und Halbsätzen, als wenn er das gesuchte Bild aus den dunklen Archiven der Vergangenheit erst mühsam hervorholen müsse:

»Ich sehe einen Hügel … höre den Donner von Geschützen … Überall Pulverdampf … Kaum kann ich die Uniformen erkennen … Sind es französische, sind es preußische? … Ein junger Reiter in Uniform … ist es ein Offizier? … Er jagt den Hügel hinauf, nur wenige seiner Männer folgen ihm durch den Kugelhagel … Jetzt stürzt er vom Pferd … rollt ein Stück abwärts … bleibt liegen … Er krümmt sich am Boden vor Schmerz … fasst sich an die Brust … sie ist voll Blut … Er ruft um Hilfe, doch keiner hört ihn … Er sucht, sich aufzuraffen, doch er strauchelt und fällt … Mit letzter Kraft öffnet er sein Hemd … zieht eine goldene Halskette hervor … mit einem Medaillon … Er drückt es an den Mund … küsst das Bildnis seiner Verlobten … ruft einmal noch ihren Namen: Madelaine! … Dann versagt ihm die Stimme, er verliert die Besinnung.«

Mit wachsender Ergriffenheit war Marschall Contades der Offenbarung des Hellsehers gefolgt, Tränen rollten über sein runzeliges Gesicht. Auch die Damen hatten ihre Sacktüchlein gezückt, so gerührt waren sie.

»Genauso war es!«, sagte der Marschall, nachdem er seine Fassung halbwegs wiedergewonnen: »In der Schlacht von Kunersdorf wurde ich verwundet. Und das Medaillon mit dem Bildnis meiner Madelaine war das Letzte, was ich sah, bevor ich die Besinnung verlor.«

Eine Art ehrfürchtiger Scheu bemächtigte sich der kleinen Gesellschaft. Alles starrte gebannt auf den Hell- und Geisterseher, der reglos mit weit geöffneten Augen, als habe er die Grenzen von Raum und Zeit überschritten, in seinem Lehnstuhl saß. Obschon Zelada als Mann der Kirche eine tiefe Abneigung gegen solche okkulten Schaustellungen hatte, war er fasziniert. Wie war es möglich, eine solche Szene, die mehr als zwanzig Jahre zurücklag, in allen Einzelheiten zu rekapitulieren, als sei der Hellseher damals selbst dabei gewesen? War dies echtes Sehertum, wie man es den jüdischen Kabbalisten nachsagte, oder war hier irgendein raffinierter Betrug im Spiel?

Cagliostro nahm den zweiten Gegenstand in die Hand, den ihm die Marquise de la Salle übergeben hatte. Es war eine kleine Haarspange mit einem Bügel aus geschnitztem Elfenbein. Er betrachtete sie lange und ließ sie ebenso meditativ auf sich wirken wie zuvor das Medaillon. Dann hob er langsam an:

»Ich sehe ein Zimmer mit Tapete … eine geblümte Tapete … eine leere Wiege … einen Kamin … Vor dem warmen Kamin steht ein Stuhl … Eine Dame in weißem Nachthemd sitzt darin … Sie fiebert, schwitzt und presst aus Leibeskräften … Mit ihren Händen drückt sie große Salzbrocken zu Puder … Neben ihr kniet die Hebamme … Sie drückt mit beiden Händen gegen den Bauch der werdenden Mutter … Doch das Kind will und will nicht heraus … Jetzt betritt ein schwarzgewandeter Herr das Zimmer … Ist es der Arzt, ist es der Priester? … Er beugt sich über die Gebärende, macht eine besorgte Miene … Das Bild wird wieder dunkel, verschwimmt … Jetzt sehe ich ein kleines Mädchen im weißen Kleidchen, freudig hüpft es seiner Mutter entgegen … Im Haar trägt es eine Spange aus Elfenbein. Sie heißt Elisa.«

Aus seinem Zustand des Schlafwachens erwachend, wandte sich Cagliostro an die Tochter der Marquise de la Salle: »Es ist Ihre Haarspange, nicht wahr, Mademoiselle?«

Errötend gestand die junge Dame dies ein. Hingerissen stammelte ihre Mutter: »Es ist unfassbar! Die gelbgeblümte Tapete, der Gebärstuhl vor dem Kamin, die Salzbröckchen in meinen Händen, die ich zerbröselte, um die Schmerzen zu lindern und die Wehen zu befördern – alles ist genau so gewesen. Ich hatte wirklich eine sehr schwere Geburt und fürchtete schon, ich überlebe sie nicht. Man hatte bereits den Priester gerufen.«

»Und warum gaben Sie mir die Haarspange Ihrer Tochter«, fragte Cagliostro mit leisem Tadel, »und nicht einen Ihrer persönlichen Gegenstände?«

»Ich bekenne, ich wollte Sie prüfen, Monsieur le Comte! Um Sie in die Irre zu führen, übergab ich Ihnen die Haarspange meiner Tochter. Doch jetzt haben Sie mich bekehrt.«

Verblüfft wandte Zelada sich an den Hellseher: »Und Sie haben das Haus der Marquise und das Zimmer, in welchem sie niederkam, wirklich noch nie betreten?«

Cagliostro lächelte nachsichtig. »Sie ungläubiger Thomas, Sie!«

»Er kann es gar nicht gesehen haben«, entkräftete die Marquise sogleich seinen skeptischen Einwand, »denn ich kam im Haus meiner Großtante nieder, und das steht in Den Haag.«

Zelada gab sich geschlagen, zumal der Triumph des Hellsehers noch vollkommener wurde durch die vorwitzige Frage der Baroness Flachsland:

»Monsieur le Comte! Da Sie so viel über die Vergangenheit eines Menschen wissen, lesen Sie gewiss auch in der Zukunft wie in einem offenen Buche. Wie alt ist mein Mann, und wann werde ich mit meinem zweiten Kind niederkommen?«

Cagliostro zögerte mit der Antwort. Er räusperte sich, strich sich verlegen über die wulstigen Lippen, kratzte sich an der Nase – war er mit seiner Weisheit etwa am Ende? Nachdem er die Gräfin lange eindringlich gemustert, sagte er mit verschmitztem Lächeln:

»Baroness! Sie sind unverheiratet, und Ihre zweite Frage erübrigt sich, da Sie Ihre erste Geburt noch vor sich haben.«

»Er weiß wirklich alles!«, wandte sich die verblüffte Baroness an die lachenden Gäste. »Man kann diesen Mann einfach nicht täuschen!« Dann adressierte sie die Gräfin Cagliostro: »Nicht wahr, Serafina, Sie haben es nicht leicht mit diesem Mann. Man kann wohl gar nichts vor ihm verbergen. Auch nicht die kleinste Affaire!«

Die Gräfin Serafina lächelte vielsagend – und schwieg.

Kaum war das amüsante Interlude zu Ende, heftete der Hellseher seinen Blick auf die Baroness Oberkirch. »Sie haben mir, Baroness, eine Nagelfeile gegeben, einen sehr gewöhnlichen und gleichgültigen Gegenstand, der kaum etwas über seine Eigentümerin aussagt. Sie trauen mir wohl nicht?«

Die Baroness hielt seinem bohrenden Blick nicht stand und senkte verlegen die Augen.

»Wie Sie vielleicht gehört haben!«, fuhr Cagliostro fort, »besitze ich die Gabe, die verborgenen Leiden, Wünsche und Laster der Menschen aus ihren Gesichtszügen zu lesen.«

»Wäre ich aus Glas«, versetzte die Baroness spitz, »möchte Ihnen dies wohl gelingen. Doch da ich aus Fleisch und soliden Knochen bin …«

»Nun, wir werden sehen!«

Der Meister erhob sich von seinem Stuhl und trat nahe an die Baroness heran. Er musterte sie lange mit unbewegter Miene. Dann sagte er:

»Madame, schon als Kind ist Ihnen ein großes Unglück widerfahren. Sie verloren Ihre Mutter. Sie haben sie kaum gekannt und fühlten sich sehr verlassen … Sie sind die einzige Tochter Ihrer Familie. Sie selbst haben eine Tochter. Sie werden keine weiteren Kinder mehr bekommen.«

Die Baroness wurde rot, sei es vor Scham, sei es vor Zorn, sich in dieser illustren Gesellschaft derart bloßgestellt zu sehen. Hilfesuchend blickte sie sich um, dann erhob sie sich brüsk und strebte zur Tür. Sogleich ging Kardinal Rohan ihr nach:

»So bleiben Sie doch, Baroness! Graf Cagliostro ist ein sehr gelehrter Mann, wir sollten ihn nicht als gewöhnliche Person behandeln. Ich versichere Ihnen, es ist weder Sünde noch unziemliches Verhalten … Bitte bleiben Sie, meine liebe Baroness! Sagen Sie uns, ob der Graf sich geirrt hat!«

Die Baroness Oberkirch wandte sich um und sagte mit bitterer Miene: »Er hat sich nicht geirrt – zumindest, was die Vergangenheit betrifft.«

»Und ich irre mich genauso wenig, was die Zukunft betrifft«, sagte Cagliostro in einem derart metallischen Ton, dass seine Worte widerhallten wie aus einer Trompete.

Mit Entrüstung hatte Zelada diese Szene verfolgt. Woher auch immer dieser anmaßende Mensch seine verblüffende Hellsichtigkeit bezog – ob aus der Kabbala oder der schwarzen Magie –, die Impertinenz, mit der er hier eine gebürtige Baroness und Dame von Ruf bloßstellte, war unerträglich. Nicht minder empörte es ihn, dass keiner in dieser illustren Runde es wagte, den Magier in seine Schranken zu weisen und ihm eine gebührende Antwort zu geben, als habe er sie bereits alle unter der Fuchtel.

Schon in den geistlichen Seminaren, erst recht im diplomatischen Dienste des Vatikans hatte es Zelada gelernt, auch in den heikelsten und angespanntesten Situationen kühlen Kopf zu bewahren und seinen Blick auf die Schwächen des jeweiligen Gegners zu heften, seien diese auch noch so verdeckt. Und die Achillesferse dieses Magus und Wundermannes, der angeblich mit allen geheimen Wissenschaften Arabiens vertraut war, hatte er nur zu gut erkannt.

Nachdem die vom Gastgeber mühsam beschwichtigte Baroness Oberkirch wieder Platz genommen, wandte sich Zelada in höflichem Ton an Cagliostro. Er stellte ihm eine ganz nebensächliche Frage – in arabischer Sprache. Dieser stutzte, kniff die Augen zusammen und wandte sich rasch wieder dem neben ihm stehenden Kardinal Rohan zu. Offenbar hatte er nicht das Geringste verstanden. Zelada wiederholte seine Frage auf Arabisch; doch der Meister tat so, als habe er sie überhört. Noch einmal, diesmal mit unüberhörbarer Lautstärke, setzte Zelada nach, sodass alle Gäste aufmerksam wurden. Cagliostro sah ihn missmutig an:

»Wir sind in Frankreich, Eminenz! Hier spricht man kein Arabisch.«

»Gewiss, aber da Sie des Arabischen mächtig sind, verschlägt es doch nichts, wenn wir uns zur Abwechselung einmal dieser Sprache bedienen.« Und dann parlierte er, dem vor ihm flüchtenden Meister immer auf den Fersen, in fließendem Arabisch weiter, ohne dass ihn dieser einer Antwort würdigte. Endlich sagte Zelada – nun wieder auf Französisch:

»Aber Monsieur le Comte! Mir scheint, Sie verstehen die arabische Sprache gar nicht, obwohl Sie sich doch den Anschein geben, mit ihr bestens vertraut zu sein?«

Aufbrausend gab dieser zurück: »Was erlauben Sie sich, mein Herr! Ich habe viele Jahre in Medina und Mekka studiert.«

»Umso verwunderlicher, dass Sie meine Frage weder verstehen noch auf sie antworten können!«

»Das mag wohl daran liegen«, gab Cagliostro mit frecher Effronterie zurück, »dass Sie einen arabischen Dialekt sprechen, der längst ausgestorben ist.«

»Aber Monsieur! Ich war fünf Jahre lang Titular-Erzbischof von Petra in Palästina und spreche die gewöhnliche arabische Sprache, die noch heute dort, ebenso wie in Medina und Mekka, in Gebrauch ist.«

Verwundert folgten die Gäste diesem Disput. Ihre fragenden Mienen wohl registrierend, wandte sich Cagliostro brüsk um und verließ wortlos den Salon. Wenig später ließ er, zum Erstaunen der Gäste und zum größten Bedauern des Gastgebers, seine Kutsche vorfahren.

 

Als sich Zelada von Kardinal Rohan verabschiedete, fragte ihn dieser, ob er noch immer an Cagliostro zweifle.

Höflich, aber bestimmt antwortete er. »Welche Mirakel er auch immer vollbringt, Arabisch spricht er jedenfalls nicht. Und seiner ganzen Aufführung nach ist er gewiss kein Edelmann!«

»Sie sind wirklich zu skeptisch, Eminenz! Einen Edelmann, der im Orient aufgewachsen ist, dürfen wir nicht nach unseren europäischen Maßstäben beurteilen. Und es ist ja schon lange her, dass er Arabien bereiste. Da verlernt sich auch die Sprache wieder. Hat Sie denn, was Sie heute Abend sahen und hörten, nicht von seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten überzeugt?«

»Mit gutem Grund hat schon der hl. Petrus seine Landsleute vor Simon dem Magier gewarnt und ihn in den Bann getan.«

»Ich hoffe doch, die Zeiten, da die Hl. Inquisition die Hexer und Magier verbrannte, sind endgültig vorbei. Sind denn nicht Magie, Theologie und Wissenschaft seit alters her verschwistert? Denken Sie nur an Albertus Magnus, an Roger Francis Bacon, an Hellmund, an Agrippa von Nettesheim und all die anderen großen Gelehrten! Alle haben die Magie, die Magia naturalis, als Werkzeug der Erkenntnis benutzt!«

»Wir leben nicht mehr im Mittelalter, mon prince. Heute gehen Magie und Wissenschaft getrennte Wege!«

»Kommen Sie«, sagte der Kardinal leutselig und zog ihn in sein Kabinett. »Ich werde Ihnen ein wichtiges Geheimnis entdecken! … Sehen Sie das?«

Er streckte ihm seine weiße feingliedrige Hand entgegen und zeigte ihm den schweren Ring, den er am kleinen Finger trug. In dem mit dem Wappen der Rohans verzierten Siegelring war ein außergewöhnlich großer Diamant eingefasst.

»Ein schöner Stein, Monsignore. Ich habe ihn schon bewundert«, sagte Zelada höflich.

»Sehen Sie! Und er stammt von ihm. Er hat ihn hergestellt, fast aus nichts. Ich war selbst dabei und habe den Schmelztiegel keinen Augenblick aus den Augen gelassen. Ist das nun Wissenschaft? Was meinen Sie? Niemand soll behaupten, dass er mir etwas vormacht, dass er mich ausnützt: Der Juwelier und der Graveur haben den Brillanten auf 25000 Pfund geschätzt. Sie müssen doch zumindest zugeben, dass einer, der solche Geschenke macht, ein merkwürdiger Betrüger wäre!«

Zelada zeigte noch immer eine ungläubige Miene, und so fügte Rohan hinzu: »Aber das ist noch nicht alles, er macht auch Gold. Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie er aus Blei Goldbarren im Werte von 5000 oder 6000 Pfund hergestellt hat. Und ich werde bald noch mehr davon bekommen. Wenn es ihm beliebt, kann er mich zum reichsten Mann Europas machen … Das sind keine Träume, das sind Beweise. Denken Sie dazu an all die wunderbaren Heilungen, die er vollbracht hat! Und an seine Prophezeiungen, die sämtlich in Erfüllung gegangen. Und dieser Mann soll ein Scharlatan, ein Betrüger sein? Ich versichere Ihnen, er ist der außergewöhnlichste, der prächtigste Mensch, und seinem Wissen kommt nur seine Güte gleich. Wie viele Almosen teilt er aus! Und wie viel Gutes hat er nicht schon getan! Es übersteigt jede Vorstellung.«

Die Miene des Kardinals hatte einen verklärten, einen Ausdruck von Verzückung angenommen. Zelada mochte sich die Gefahr gar nicht ausmalen, die aus dieser blinden Hingabe erwachsen konnte. Rohan war ja nicht nur Kardinal und Titularbischof des Bistums Straßburg, des reichsten in Frankreich, als Provisor der Sorbonne und Groß-Almosenier von Frankreich stand er an der Spitze der Staatsverwaltung. Nicht auszudenken, wenn einer der angesehensten, mächtigsten und reichsten Kirchenfürsten Europas zur Beute des Magiers, zur Marionette dieses Großmeisters der ägyptischen Freimaurerei würde!

Bevor er seine Dienstreise fortsetzte, beauftragte Zelada den in Straßburg ansässigen Pater Bernardo, der ihm als verlässlicher Diener der hl. Kirche bekannt war, ihm regelmäßig über Cagliostros Treiben und dessen Beziehungen zu Kardinal Rohan Bericht zu erstatten. Auch instruierte er unverzüglich das hl. Offizium in Rom.

Palazzo di Santi Ufficii, 2. Januar 1790

Der Raum, in dem die Verhöre stattfanden, lag eine Etage über der Folterkammer. Nach hinten zu erweiterte er sich zu einem kleinen Amphitheater, in dem die anderen Mitglieder der Hl. Kongregation Platz genommen hatten. Zelada und seine Inquisitoren-Kollegen, der Advokat Paradisi und der Abbé Domenico Cavazzi, saßen, dem Inquisiten direkt gegenüber, vor einem Tisch, auf dem griffbereit die Akten lagen. Der Abbé Giuseppe Lelli führte als Notar das Protokoll.

Schweigend, mit leerem Blick saß Cagliostro auf dem Ketzerstuhle, auf dem schon Giordano Bruno und Galileo Galilei gesessen hatten – genau im Kegel des Lichtstrahls, der durch die obere Fensterluke fiel, damit den Inquisitoren auch ja kein verräterisches Spiel seiner Miene, kein verdächtiges Zucken der Mundwinkel, kein unwillkürlicher Hinweis auf Verstellung und Lüge entging. Denn dass der Inquisite ein geborener Mime war und mit allen Schlichen und Finten seines betrügerischen Berufes vertraut, ein Meister in der Kunst der Verstellung, ein Virtuose der Hinterlist und der Täuschung, davon zeugte seine gesamte schändliche Vita.

Er hatte tiefe Ringe unter den Augen, seine schwarzen, gleichwohl an vielen Stellen ergrauten Haare hingen in wirren Strähnen; kein Gold, kein Diamant glitzerte mehr an seinen kleinen, feingliedrigen Händen. Da es auch keinem Barbier erlaubt war, seinen Kerker zu betreten, war ihm ein struppiger Backenbart gewachsen, waren auch seine gewaltigen Kinnladen mit Stoppeln bedeckt. Er trug einen grauen, von Suppe und sonstigen Essensresten befleckten Rock, denselben, den er bei seiner Verhaftung getragen, und löchrige Strümpfe, die in einfachen Sandalen steckten, wie man sie von den Bettelmönchen kennt, denn seine glitzernden Schnallenschuhe hatte man ihm ausgezogen. Auch roch er nach übler Kerkerluft und fauligem Stroh. Hätte Zelada nicht gewusst, dass hier Cagliostro, einer der berühmtesten Männer Europas, vor ihm saß, er hätte wohl geglaubt, einen verwahrlosten Räuber oder entlaufenen Mönch vor sich zu haben.

Er begann das erste Verhör mit einer förmlichen Bosheit: Er sprach den Inquisiten auf Arabisch an. Dieser kniff, wie damals im Salon des Kardinal Rohan, die Augen zusammen, blickte ihn einen Moment verständnislos an. Dann verzog er sein Bulldoggen-Gesicht zu einem trotzig-abschätzigen Grinsen. Jetzt wusste er, wen er vor sich hatte.

»Wie man sieht«, sagte Zelada mit genüsslichem Sarkasmus zu seinen Kollegen, »ist der Großkophta[1] und Großmeister der ägyptischen Freimaurerei des Arabischen noch immer nicht mächtig.«

Die Magnifizenzen und Inquisitoren lachten.

»Beginnen wir mit den Personalien! … Wie heißt Er?«

Der Inquisite starrte ihn schweigend an.

»Nun, wir verstehen natürlich«, sagte Zelada mit ätzender Ironie, »dass Ihm bei den verschiedenen Namen, die Er zu verschiedenen Zeiten geführt, die Antwort nicht leichtfällt.«

Cagliostro warf den Kopf in den Nacken und sagte mit bleierner Stimme: »Ich bin, der ich bin!«

»Ich konstatiere«, wandte sich Zelada an den Notar: »Der Inquisite lästert Gott, den Allmächtigen, indem er sich mit dem Attribute Jehowas schmückt! … Noch einmal: Wie heißt Er mit seinem wirklichen Namen?«

Mit hohlem Blick und einer Stimme, die wie aus einer anderen Welt zu kommen schien, sagte Cagliostro: »Ich bin das Gestern. Ich bin das Heute. Ich bin das Morgen. Mein Name ist Geheimnis!«

»Seine ägyptischen Orakelsprüche kann Er sich sparen! … Zum dritten und letzten Mal: Wie heißt Er, und wo ist Er geboren?«

Doch das Orakel kündete weiter: »Ich stamme aus keiner Epoche und von keinem Ort. Jenseits der Zeit und des Raumes lebt mein geistiges Wesen seine ewige Existenz.«

Irritiert sahen die Kollegen den Kardinal-Staatssekretär an. Hatte der Inquisite den Verstand verloren? Oder wollte er sie alle zum Narren halten?

Nun platzte Zelada der Kragen. Er solle sich ja nicht einbilden, herrschte er ihn an, er könne mit dem hl. Offizium dasselbe Spiel treiben wie im Zuge der »Halsband-Affaire« mit dem französischen Parlament. Wenn er sich aber der Kooperation mit Ihren Eminenzen, den Inquisitoren, verweigere, dann werde man andere Seiten aufziehen!

Schweigend wie ein Ölgötze saß Cagliostro da, kein Muskel rührte sich in seinem Gesicht, er hielt seinen bohrenden Blick auf Zelada gerichtet, als wolle er ihn verhexen. Dieser suchte diesem sphinxhaften Blick standzuhalten, doch der Inquisite sah ihm nicht direkt in die Augen, fixierte vielmehr einen Punkt oberhalb seiner Augen, etwa dort, wo die Stirnmitte war – und dies war ungemein irritierend. Zelada fing unwillkürlich zu blinzeln an, fühlte eine plötzliche Mattigkeit. Doch dann riss er sich zusammen und griff nach der vor ihm liegenden Akte:

»Wenn Er uns nicht sagen will, wie Er mit richtigem Namen heißt und wo Er geboren, dann werden wir es Ihm sagen: Der angebliche Spross eines arabischen Sultans, der unter dem Namen Acharat am Hofe des Großmufti in Medina erzogen wurde und der später unter dem erlauchten Titel Graf Alessandro di Cagliostro ganz Europa heimsuchte – dieses den Märchen von ›Tausendundeiner Nacht‹ entsprungene Fabelwesen heißt mit bürgerlichem Namen Giuseppe Balsamo, von Beruf Federzeichner, geboren am 2. Juni 1743 in Palermo, Sohn der Wäscherin Felicia Balsamo, geborene Bracconieri, und des Krämers Pedro Balsamo. Uns liegen vor: die Abschrift seines Taufscheins samt Adresse und Unterschrift der Taufpaten, das vollständige Ahnenregister seiner Familie väterlicher- und mütterlicherseits, die Anzeige und eidesstattliche Erklärung seines Onkels Antonio Bracconieri, die Anzeigen und eidesstattlichen Erklärungen seiner Frau Lorenza Feliciani und seines Schwiegervaters Giuseppe Feliciani sowie das Dossier der französischen Regierung, das die Enthüllungen des Courrier de L’Europe in allen Punkten bestätigt … Will Er jetzt noch immer Seine wahre Herkunft leugnen?«

Hatte Zelada geglaubt, den Inquisiten durch die geballte Aufzählung und Vorhaltung all dieser Dokumente, die seine wahre Identität unabweisbar belegten, aus der Fassung zu bringen, ihn gar am Boden zerstört zu sehen, so hatte er sich getäuscht. In ruhigem, fast sanften Tone, als sei ihm diese Entlarvung vollkommen gleichgültig, antwortete Cagliostro:

»Was liegt daran, wo ich geboren und woher ich komme? Wen kümmert mein Taufschein und meine Abstammung? Hat man Jesus oder seine Jünger jemals nach ihrem Taufschein gefragt? Was bedeuten schon Name, Titel und Stand eines Menschen? Man beurteile mich nach dem, was ich an Gutem für meine Mitmenschen gewirkt – gleichviel unter welchem Namen, Rang oder Titel. Ich verlange eine Audienz beim Hl. Vater, dann wird sich rasch alles aufklären.«

Die Inquisitoren wechselten ratlose Blicke. War dieser Mensch, der die Stirn hatte, sich mit dem Erlöser zu vergleichen und eine Audienz beim Hl. Vater zu verlangen, noch bei Sinnen? War er ein scheinheiliger Schurke oder ein größenwahnsinniger Narr, ein blasphemischer Ketzer, den man verbrennen musste, oder ein Fall für das Tollhaus? Auch Zelada hatte es die Sprache verschlagen. Doch dann, der Bedeutung des Falles und der hohen Verpflichtung seines Amtes eingedenk, entschied er mit schneidender Stimme:

»Giuseppe Balsamo! Sein Hochmut kennt keine Grenzen. Doch verlass Er sich drauf: Wir haben Mittel genug, Ihn wieder die Demut des Christen und die Zerknirschung des reuigen Sünders zu lehren. Abführen!«

Dem Kerkermeister befahl er sogleich, den Inquisiten in das schwere Halseisen zu legen und auf halbe Ration zu setzen.

 

Die Glocken des St. Petersdoms läuteten gerade die neunte Nachtstunde ein. Im Marmorkamin prasselten Holzscheite, denn Fröste und Meerwinde hatten das Tauwetter wieder vertrieben. Beim Schein einer Öllampe saß Zelada an seinem Mahagoni-Schreibtisch, der auf geschnitzten Löwenpranken ruhte, und stöberte in der Akte Cagliostro – einer umfangreichen Sammlung von Dokumenten und Schriftstücken, die seine fleißigen Beamten in jahrelanger Arbeit zusammengetragen und nach verschiedenen Rubriken geordnet hatten: Geheimdossier der vatikanischen Informanten – Anzeigen ehrlicher Bürger – Cagliostros freimaurerische Logentätigkeiten und andere Zeugnisse seines ketzerischen Treibens – Berichte über Cagliostros Kuren und Wunder – Cagliostros alchemistische Operationen – Der Großkophta und die ägyptische Bewegung – Cagliostro und die »Halsband-Affaire« – Mémoire justificatif pour le comte Cagliostro – Cagliostros Privatkorrespondenz – Enthüllungsschriften über Cagliostro-Balsamo etc. pp.

Je mehr sich der Kardinal in das Studium der Akten und Dokumente vertiefte, desto mehr nahm seine Verwunderung zu … Wie war es möglich gewesen, dass der kleine Federzeichner und Betrüger aus Palermo sich in fast allen Ländern Europas, bei Hoch und Niedrig, Arm und Reich einen solch ungeheuren Nimbus hatte verschaffen können? Wie ging es zu – mit rechten Dingen wohl kaum –, dass just ein Mann von solch krimineller Energie, der die Zehn Gebote mit Füßen getreten, zum Idol seiner Epoche geworden und wie ein »neuer Messias« verehrt und angebetet wurde? Hatte er doch Barone, Grafen, Herzöge, Minister und Gelehrte von Rang in seinen Bann gezogen. Die ersten Damen und Herren des Pariser Adels strömten in seine ägyptischen Logen und priesen seinen »Genius«. Dieser Teufelskerl, dem sogar gekrönte Häupter und Kirchenfürsten gehuldigt, hatte in der Tat die unwahrscheinlichste, die stupendeste Karriere des Jahrhunderts gemacht.

Was aber war das Geheimnis seines ungeheuren Erfolgs und seiner geradezu unheimlichen Wirkung auf die Zeitgenossen? War er nur ein ausgekochter und raffinierter Betrüger, oder verdankte er seine spektakulären Heilungen, Wunder und Prophetien, die seinen Ruhm begründet hatten, auch schwarzmagischen Künsten, respektive der Wirkung dämonischer und satanischer Mächte, wie Zeladas Kollegen von der Heiligen Kongregation glaubten?