Das Geheimnis des Lava-Prinzen - Leena Pulfer - E-Book

Das Geheimnis des Lava-Prinzen E-Book

Leena Pulfer

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Beschreibung

In diesem Buch geht es um Tuomas, einen finnischen Schuljungen mit sizilianischen Wurzeln. Tuomas lebt zwischen zwei Welten: als Erbprinz eines ewigen Lava-Volkes und gleichzeitig als Nachkomme der menschlichen Rasse, unfähig, sich zwischen beiden zu entscheiden. Mit seinen übernatürlichen Kräften könnte er viel Gutes in der Welt tun, wenn die Menschheit es verdient hätte. Seit dem Unfalltod seiner Mutter lebt er bei seiner Großmutter in einem Herrenhaus im finnischen Dorf Arvola. Immer wieder wird Tuomas von seinen außergewöhnlichen Fähigkeiten und Kräften überrascht. Nach und nach erfährt er, dass seine Wurzeln zu einem geheimnisvollen Lava-Volk führen, das im Vulkan Ätna in Sizilien lebt. Der Herr der Lavaströme gab Thomas einen wichtigen Rat mit auf seinen Weg: "Wähle weise, junger Prinz: Willst du zu den Menschen gehören, der niederen Rasse, die ihr kurzes, unbedeutendes Leben auf der Erde verbringt, mit ihrer Dummheit alles um sich herum zerstört und beim Tod zu Staub wird. Oder willst du dich deinem eigenen Volk anschließen, dem Lavavolk, das seit Anbeginn der Zeit existiert und das nichts zerstören kann. Wir können auf der Erde und in ihr leben, wir können jede Form annehmen, wir haben unendliche Kräfte zur Verfügung. Wähle weise."

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Seitenzahl: 252

Veröffentlichungsjahr: 2023

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Meiner Familie und meinem Heimatdorf gewidmet

Was in dieser Geschichte nicht erfunden ist, kann wahr sein. Vielleicht ist es aber auch nicht so. In der finnischen Region Savo, in der sich die Abenteuer des Lava-Prinzen grösstenteils abspielen, liegt die Verantwortung für die Interpretation bei den Zuhörern und Lesern.

Diese deutsche Ausgabe lehnt sich an das finnische Original «Laavaprinssin salaisuus» an. Die deutsche Übersetzung entstand in Gemeinschaftsarbeit mit meinem Mann Fritz

Etwaige Ähnlichkeiten mit lebenden Personen, Unternehmen oder Institutionen sind rein zufällig. Insbesondere die Figur der Gutsfrau, Irma Arkko, ist frei erfunden, als Gegenstück zur gutherzigen Gehilfin Alma. In Wirklichkeit waren Gutsfrauen bewundernswerte fleissige, gütige Frauen.

Arvola ist eine ländliche Ortschaft in Südfinnland. Das Dorf ist eigentlich ganz gewöhnlich, und der Halbwaise Tuomas im Gutshaus Arkko wäre gerne ein ganz gewöhnlicher Schuljunge, wenn nur seine unheimliche Herkunft ihn nicht immer wieder einholen würde.

Die Autorin widmet ihre Geschichte ihrem Heimatdorf, dem sie eine erfolgreichere und selbständigere Zukunft gewünscht hätte.

Leena Pulfer

Inhaltsverzeichnis

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

8.

9.

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11.

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43.

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45.

Orte

Personen

Band 2: Der Lava-Prinz und der Wunderstein

Über die Autorin

Schliesslich sprach der Herscher der Lava-Ströme:

Wähle mit Bedacht, junger Prinz: Willst du zu den Menschen gehören, zu jener niederen Spezies, die ein kurzes, unbedeutendes Leben auf Erden verbringt, durch ihre eigene Dummheit alles um sich herum zerstört und zu Staub zerfällt, wenn sie stirbt? Oder du schließt dich deinem eigenen Lava-Volk an, das seit Anbeginn der Zeit existiert und durch nichts zerstört werden kann. Wir können auf der Erde und in ihren Tiefen leben. Wir können jede Form annehmen, die wir wollen. Wir haben unendliche Kräfte. Wähle mit Bedacht.

1.

Zu Beginn der Naturwissensschafts-Stunde fragte die Lehrerin Paula Puntanen ihre Klasse: «Wer von euch hat gestern die Fernsehnachrichten über den Vulkanausbruch in Indonesien gesehen?». Viele Schüler streckten ihre Hand in die Höhe.

«Wer erinnert sich, wie der Vulkan heißt?» fuhr Paula fort. Die Schüler schauten sich um und schüttelten den Kopf.

«Nun, kein Wunder, wenn ihr euch nicht erinnert. Es war Anak Krakatau. Vulkane haben oft merkwürdige Namen, die ihnen von Anwohnern gegeben wurden. Anak Krakatau steht für ‹Krakataus Kind›. Rakata ist der Name der Vulkan.Insel. Aber in Europa gibt es leichtere Namen für Vulkane. Wer weiß welche?»

Viele Hände schnellten in die Höhe.

«Tuomas?»

«Ätna», antwortete Tuomas. «Er ist in Sizilien», fuhr er fort.

«Das wollte ich als Nächstes fragen, Danke, Tuomas.»

Tuomas war verärgert. Wieder hatte er sein Mund nicht gehalten und die Frage der Lehrerin beantwortet, bevor sie gestellt wurde. Aber was konnte er dafür, dass die Gedanken anderer Menschen mit ein wenig Konzentration so einfach zu lesen waren? Das war ganz natürlich. Oder nicht?

Zum Glück lachte niemand, denn Paula erzählte sofort, dass ihre Schwester gerade eine Gruppenreise nach Sizilien gemacht hatte. Als sie den Ätna besteigen wollten, brach plötzlich der Vulkan aus und alle mussten mit dem Bus zurück zum Hotel fahren. Sogar der Flughafen war geschlossen und die Rückreise verzögerte sich.

Paula zeigte Videos, die ihre Schwester aufgenommen hatte. Riesige Aschewolken stiegen tagsüber vom Vulkan in den blauen Himmel. Nachts zeigten die Bilder aus dem Hotelzimmerfenster Feuerstrahlen aus dem Krater.

«Die Einheimischen glaubten, im Vulkan lebten Götter, die einen Ausbruch verursachten, wenn sie wütend waren. Aber heute wissen wir, wie Vulkanausbrüche entstehen. Heute arbeiten wir in Gruppen zu diesem Thema.

Dann erzählt die Lehrerin von der bewegten Geschichte Siziliens: Dass es dort schon vor 5000 Jahren Kultur gab. Dass viele Völker die Insel erobert hatten, die Griechen und die Römer, die Vandalen und die Spanier.

«Was wisst ihr noch über Sizilien? Miralda?»

Das blonde, blauäugige Mädchen in der ersten Reihe hob die Hand.

«Da gibt es die Mafia und die Blutrache.»

Mirko, der neben Miranda an seinem Pult saß, sprang blitzschnell auf, noch bevor Paula Luft holen konnte, um STOPP zu rufen! Mirko hatte die geduckte Haltung eines Maschinengewehrschützen eingenommen und begann, sich auf der Stelle zu drehen und mit einem Lineal auf die Klasse zu schießen: «Pa-pa-pa-pa-pa-pa...».Mirko war ein Problemschüler, mühsam zu beruhigen und schwer zu verstehen, da er wegen seiner Hasenscharte eine feuchte Aussprache hatte. Auch jetzt sprühte er Speichel auf die Nahesitzenden.

«So haben sie alle ihre Feinde vernichtet! Das habe ich im Fernsehen gesehen», beendete er stolz seinen Vortrag und richtete sich auf.

«Mirko! Setz dich jetzt hin! Menschen zu erschießen ist kein Spiel.»

«Ich habe niemanden erschossen. Aber die Mafiabosse schießen wirklich. Die haben nicht mal Angst vor der Polizei.»

«Wir sind froh, dass es hier in Finnland eine andere Ordnung gibt. Und jetzt beruhigt euch alle und geht an die Arbeit.»

Die Lehrerin teilte die Schüler in Gruppen von vier bis fünf Kindern ein, die ihre Pulte und Stühle nebeneinander oder gegeneinander schoben. Jede Gruppe hatte die Aufgabe, mehr über die Entstehung und Funktionsweise von Vulkanen herauszufinden. Alle suchten auf ihren Tablets nach Informationen. Tuomas war mit Miralda, Väinö und Mirko in einer Gruppe. Die Gruppe beschloss, das Thema auf den Ätna zu beschränken, da Paula gerade darüber gesprochen hatte.

Die Diskussion war in der ganzen Klasse sehr lebhaft. Das Thema war für alle interessant, obwohl niemand die Vulkane wirklich gesehen hatte, da es in Finnland keine gibt.

«Der Ätna ist der größte aktive Vulkan in Europa. Er liegt in Südeuropa auf der italienischen Insel Sizilien ...» Miranda tippte die Sätze der Jungen in ihren Laptop. Wegen ihrer Blindheit konnte sie die Informationen nicht so finden wie die Jungs. Aber sie benutzte geschickt die Braille-Tasten und gleichzeitig wurde der Text in normaler Schrift übertragen.«Wie sieht es aus, wenn ein Vulkan ausbricht?», fragte Miranda.

«Hier sind Bilder... oh ja, du kannst sie nicht sehen», sagte Väinö.

«Aus der Mitte des Berges steigen Aschewolken und Rauch in den Himmel», erklärte Mirko.

«Was ist das für Rauch? Ich weiß nur, wie es riecht, wenn die Sauna angeheizt wird.»

«Der Rauch ... er ist weich ... wie ein Wattestäbchen», versuchte Tuomas. Es war schwer für ihn zu verstehen, wie Miranda ihre Umgebung oder die Welt oder den Raum wahrnahm, wenn sie nichts sehen konnte. Keine Farben, keine Formen, keine Entfernungen - nicht einmal ihr eigenes Spiegelbild. Miranda wusste nicht einmal, dass sie schön war. Für sie bedeuteten die Worte «schön» oder «hässlich» nichts.

«Es wäre ziemlich cool, an so einem Ort zu wohnen. Wie neben einem Atomkraftwerk. Man weiß nie, wann es explodiert. Echt aufregend», sagt Mirko verträumt.

«Aber sicher kein Spaß für die Leute, wenn du dein Leben oder dein Zuhause verlierst», sagte Väinö. Väinö war das genaue Gegenteil von seinem Freund Mirko: ruhig, etwas langsam, ein Sumo-Ringer wie sein Vater, nur einen halben Meter zu klein.

Mirko las vor:

«Die Lava ist hellrot, wenn sie den Boden erreicht, und über tausend Grad heiß. Sie fließt schnell wie ein Sprinter. Wenn sie abkühlt, wird die Rinde dunkelrot und härter und verlangsamt den Fluss. Der Lavastrom verbrennt alles Brennbare wie Bäume und hölzerne Gebäude. Nur Steinmauern und Steinkirchen können inmitten der Lava stehen bleiben. Die erstarrten Lava- und Gesteinsbrocken, die der Lavastrom mit sich führt, zermalmen alles.»

«Das ist schrecklich», hauchte Miranda.

«Zum Glück haben wir hier in Finnland nichts mit Vulkanen zu tun», sagte Tuomas. Da hatte er sich geirrt. Er wusste noch nicht, dass seine eigenen Wurzeln bis nach Sizilien reichten, genauer gesagt in die feurigen Höhlen des Ätna.

2.

Die Geschichte der Großeltern von Tuomas beginnt in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts.

Tuomas hatte geglaubt, dass seine Großeltern immer im Gutshaus der Familie Costa auf dem italienischen Festland gelebt hatten. Nonna hatte nie erwähnt, dass sie von der Insel Sizilien stammten. Sie hatte Grund gehabt, zu dieser Angelegenheit zu schweigen.

3.

An kleine Erdbeben und Lava-Eruptionen hatten sich die Bewohner des Gebiets nahe dem Ätna gewöhnt. Sie setzten ihr normales Leben fort, indem sie heruntergefallene Nippes in den Regalen neu anordneten, eine graue Asche-Schicht von den Gartenblättern sprühten und den Terrassentisch von der Asche reinigten.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts rechnete niemand mit einem großen Ausbruch, obwohl die Erde seit Wochen ungewöhnlich stark bebte und aus dem Krater immer mehr leichter Rauch in den klaren blauen Himmel aufstieg. Die Menschen bekreuzigten sich zum Schutz, wann immer ein stärkeres Beben an den Fußsohlen und in der Küche zu spüren war, wo Töpfe und Pfannen klirrten. Auch bei der Messe um sechs Uhr morgens waren viele dabei, die Pater Antonius seit Jahren nicht mehr in der Kirche gesehen hatte.

Aber niemand war wirklich beunruhigt, schließlich war der Berg zu ihren Lebzeiten schon mehrmals ausgebrochen und, wie die Aufzeichnungen zeigten, schon Hunderte von Jahren zuvor. Selbst bei den schlimmsten Ausbrüchen hatte das Tal nur unter der Asche gelitten, die wochenlang den Himmel verdunkelte, bevor sie sich auf die Dächer der weiß getünchten Häuser, auf gepflasterte Straßen, gewundene Wege, Autos und Gärten legte. Das Atmen fiel schwer, denn die Asche war mit winzigen Glassplittern vermischt, die aus dem geschmolzenen Gestein des Kraters stammten.

Die Bewohner fegten die Asche von den Straßen und trugen sie mit Karren aus dem Dorf oder häuften sie an den Gartenrändern auf. Die Männer putzten die Ascheschicht von Autodächern und Motorhauben, die Frauen wuschen immer wieder die kleinen verglasten Fenster. Die Wäsche konnte an solchen Tagen nicht draußen auf den Wäscheleinen zwischen den Häuserzeilen zum Trocknen aufgehängt werden.

Doch der nächste starke Regen wusch die Asche von der Straße. Die Blätter der Bäume und das Unterholz wurden wieder grün. Gras und Blumen wuchsen aus der Asche, und das mit Trockenfutter gefütterte Vieh konnte wieder draußen weiden. Die zerbrochenen Dachziegel wurden durch neue ersetzt, und die Kreuze und Madonnenbilder, die von den Wänden des Schlafzimmers gefallen waren, wurden wieder angebracht. Das Leben ging weiter, als ob nichts gewesen wäre.

Diesmal brach der Vulkan spät in der Nacht aus. Ein gewaltiger Knall und gleichzeitig ein starkes Erdbeben weckten alle. Sie gingen auf die Straße, wo es sicherer war, wenn die Häuser einstürzten. Trotz des Schreckens konnten die Talbewohner das Feuerwerk des Vulkans bewundern: Feuerfontänen schossen aus dem Krater in den Nachthimmel und erleuchteten die mächtigen Aschewolken. Die Erde unter ihren nackten Füßen bebte und ächzte. Jugendliche und Kinder, die noch nie in ihrem Leben einen so heftigen Ausbruch erlebt hatten, schrien vor Begeisterung, wenn wieder eine Explosion die Talhänge hinunter hallte und die Feuerbögen kilometerweit flogen. Nur die Jüngsten suchten weinend Schutz an den Röcken ihrer Mütter und Großmütter.

Der alte Ettore, ein Wilderer, der am Rande der Stadt im Haus seines Bruders wohnte und nun auf die Straße gelaufen war, um das nächtliche Spiel zu beobachten, hatte das Fernglas mitgenommen, das er sonst bei der unerlaubten Jagd auf Kaninchen und Vögel an den Hängen des Vulkans benutzte. Neben Ettore stand ein aufgeregter und knurrender brauner Jagdhund, der schlanke und langbeinige Bono, ein alter sizilianischer Windhund. Die Landschaft war Ettore Tag und Nacht vertraut. Mit dem Fernglas blickte er auf den vom Feuer erleuchteten Berghang. Plötzlich erschrak er.

«Lava! Da kommt Lava aus dem Hang!»

«Red keinen Unsinn, du Waldräuber», der Mann, der neben ihm stand, nahm das Fernglas und richtete es auf den Berg.

«Porca miseria! Der Schurke hat recht! Von dort fließt Lava ins Tal!» Jetzt ging das Fernglas von Hand zu Hand. Die Rufe wurden lauter und breiteten sich in der Menge aus:

«Lava kommt!»

Die Lava kam! Ein kilometerbreiter Riss klaffte tatsächlich in der Flanke des Vulkans und glühende Lava floss durch die Öffnung ins Tal, direkt auf das kleine Städtchen Mascali zu. Früher war die Lava immer aus dem Hauptkrater ausgebrochen und hatte sich ihren Weg an der Rückseite des Vulkans entlang gebahnt, wo sie schließlich ins Meer floss und sich am Ufer zu einer meterhohen schwarzen Zone verfestigte.

Die Menschen standen wie erstarrt da, wie in einem Theater, wo man auf den Fortgang der Vorstellung wartet. Der Krater spuckte immer neue Feuerfontänen in den Himmel und schleuderte große Felsbrocken weit in den dunklen unteren Abhang, wo sie weiter rollten, bis sie stecken blieben und auf die Ankunft der Lava warteten, um ihre Reise fortzusetzen. In der Nacht schien der glühende, feurige Strom immer breiter zu werden. Wie lange würde die Lava noch fließen? Wie schnell würde sie den Hang hinunterfließen? Würde sie diesmal die kleinen Dörfer am Hang, die einzelnen Häuser und schließlich den Talgrund und die Stadt erreichen?

«Lauf Aldo, sag dem Küster Filippo, er soll die Alarmglocken läuten», rief Ettore seinem Neffen Aldo zu, der mit weit aufgerissenem Mund auf der Straße stand. «Das könnte eine heiße Sache werden!»

«Oh Nonna, werden wir alle sterben?» Die kleine Livia, die Ettores Worte gehört hatte, begann auf dem Schoß ihrer Großmutter zu wimmern.

"Hab keine Angst, Bambina, der Herr des Vulkans ist nur zornig, aber er wird sich beruhigen, wenn wir von ganzem Herzen beten.

Das eilige Läuten der Glocken mitten in der Nacht füllte die Kirche mit Gläubigen. Pater Antonius versuchte im Namen aller Heiligen und der Jungfrau Maria, allen das Vertrauen auf das Heil in dieser Welt und nach dem Tod einzuflößen. Obwohl Pater Antonius selbst nicht sehr vertrauenserweckend aussah, da er im Dunkeln und in Eile mit einer Schlafmütze und dem seidenen Morgenmantel seiner Haushälterin zur Kirche eilte, hatte niemand Lust, ihn auszulachen.

Auch der Polizeichef des Dorfes, Commissario di Polizia, und der Feuerwehrkommandant waren in der Kirche. Nach der Messe berieten sie sich mit Pater Antonius und beschlossen, bis zum Morgengrauen zu warten, um sich ein klareres Bild von der Lage machen zu können. Vielleicht würde der Lavastrom von selbst aufhören oder einen anderen Weg um die Stadt herum nehmen. Immerhin hatten alle Einwohner inbrünstig gebetet.

Vor den Altären brannten Kerzen. Ungewöhnlich viele hatten sogar eine Münze in die Kirchenkasse fallen lassen, bevor sie ihre Kerzen vor dem Bild der Jungfrau Maria anzündeten. Diese plötzliche Ehrlichkeit könnte vielleicht auf die Anwesenheit des Polizeichefs zurückzuführen sein. Jedenfalls hatte man versucht, den Vulkan zu besänftigen, und auch Gott Vater und die Heiligen sollten etwas tun. Es habe keinen Sinn, die Menschen zu verängstigen und zu evakuieren, entschied der Polizeichef.

Selbst wenn der Ausbruch länger dauerte, würde es Tage dauern, bis der Lavastrom die Stadt erreichte. Die Entscheidung der Behörden, sich nicht zu beeilen, war an sich gerechtfertigt.

In dieser Nacht schliefen nur kleine Kinder und kranke Alte in der Stadt. Die langsame Bewegung der Lava wurde mit Ferngläsern und bald auch mit bloßem Auge verfolgt. Hurra-Rufe ertönten, wenn der Strom in einigen Kilometern Entfernung hinter einem hohen Felsblock zum Stillstand gekommen zu sein schien, ‒ bis auf beiden Seiten des Hindernisses der rotglühende Lavakopf erschien, gefolgt von einem Strom aus zwei roten Lichtlinien. Dann vereinigten sich die Linien und die Lava setzte ihren Weg fort.

4.

Die Wände und sogar das Dach des bescheidenen Hauses von Costas Familie bestanden aus dem grauen Schiefer des Vulkans. Von weitem war das Haus kaum von seiner Umgebung zu unterscheiden. Am anderen Ende des Gebäudes befand sich der Stall für ein paar Ziegen und Hühner. Hinter der Trennwand hatten Vater Luigi und sein erwachsener Sohn Maurizio eine Küche und eine Schlafkammer.

Mutter Giulia lag seit drei Monaten im Krankenhaus der 20 Kilometer entfernten Stadt Catania. Es gab keine Hoffnung auf Heilung. Der Krebs war zu weit fortgeschritten, an eine Operation war nicht zu denken und sie hätten sie sich auch nicht leisten können. Die beiden Männer der Familie besuchten Giulia abwechselnd und versuchten, sie dazu zu bringen, wenigstens die Weintrauben zu essen, die reif und nach Muskat duftend an den Steinmauern ihres Hauses hingen.

In der Nacht vor dem Ausbruch war Maurizio nach einem deprimierenden Krankenhausbesuch in die Trattoria gegangen, um ein paar Gläser Vino Rosso zu trinken, bevor er mit seinem alten Fahrrad in Richtung Heimattal fuhr. Zu Hause hatte Vater Luigi Trost im Hauswein gesucht, aber statt eines Glases leerte er die ganze Flasche und schlief auf der warmen Steinbank neben der Hausmauer ein.

Bruno, der alte Schäferhund der Familie, war den ganzen Abend unruhig gewesen und hatte seinem Herrn zu Füßen gelegen, bis dieser genug hatte und Bruno in den Stall zu den Ziegen und Hühnern sperrte. Da der Hund schlau war und wusste, wie man die Stalltür öffnete, befestigte Luigi eine Kette an seinem Halsband, die wiederum an der Wand befestigt war.

Oben am Berghang wohnte Luigis nächster Nachbar, der Schäfer Nino, der sein Haus mit einem Dutzend Schafen teilte. Nino spürte schon seit Tagen die Unruhe im Hang unter seinen Füßen, aber das war schon oft passiert. Jetzt hörte er auch die Explosionen von oben. Als er den Hang hinaufblickte, sah er die Feuerfontäne, die aus dem Krater in den Nachthimmel schoss, und die großen Rauchund Aschewolken. Obwohl er die Lavaströme wegen der dichten Vegetation rund um die Hütte nicht sehen konnte, hörte er ein entferntes Knacken und Krachen, als die Felsen am Hang zusammenstießen und Baumstämme fällten.

Nino kletterte auf seinen kleinen Traktor, überlegte aber noch, ob er die Schafe in den Anhänger des Traktors laden sollte, um sie in Sicherheit zu bringen. Wahrscheinlich waren die Tiere so verängstigt, dass es zu lange dauern würde, sie einzufangen. Doch der Lärm und das Rumpeln am Hang wurden immer unheimlicher. Nino sprang von seinem Sitz, rannte zu seiner Hütte, öffnete die Tür, trieb die Schafe hastig hinaus und startete den Motor. Husso, ein verfilzter Mischlings Schäferhund, bekam keinen klaren Befehl, ob er auf seine Herde aufpassen oder seinem Herrn folgen sollte, und so rannte er zwischen den Schafen und dem Traktor hin und her, bis er sich entschied, bei seiner Herde zu bleiben.

Der Weg von Ninos Haus ins Tal schlängelte sich in Serpentinen den Hang hinunter und führte nach einigen Kilometern am Haus der Familie Costa vorbei. Nino hielt den Traktor vor dem Tor an.

«Luigi! Maurizio! Seid ihr noch zu Hause? Ihr müsst jetzt kommen!» Als Antwort kam Brunos dumpfes Bellen aus dem Stall. Nino sprang von seinem Sitz, rannte zur Haustür und klopfte heftig.

«Luigi! Maurizio! Schläft ihr in diesem Vorhof zur Hölle?»

«Bist du das, Nino? Was machst du mitten in der Nacht?» rief Luigi und erhob sich von seinem harten Lager.

Zwischen den schwarzen Baumstämmen oben am Hang leuchtete der rote Schein der Lava. Selbst dem verkaterten Luigi war klar, dass er sich sofort auf den Weg machen musste. Luigi kletterte hinter Nino auf den Traktor und gemeinsam setzten sie ihre Flucht fort. Obwohl der Traktor alt und langsam war, tuckerte er zuverlässig und hätte seine Insassen gerettet, wäre nicht ein Steinbrocken aus dem Krater geschleudert worden, der den Traktor wie gezielt traf und ihn vom Weg warf. Traktor und Anhänger rollten den Hang hinunter und begruben die beiden Männer unter sich. Beide waren schwer verletzt und bewusstlos, was sich schließlich als ihr Glück erwies, als in den Morgenstunden die brennende Lava eintraf.

Bruno hatte sich inzwischen von seiner Kette befreit, die Tür geöffnet und war dem Traktor nachgelaufen. Er fand sein Herrchen, dessen Füße von einem Traktorrad zerquetscht worden waren. Bruno rannte um den Traktor herum und kroch schließlich unter den Traktor - mit der Folge, dass sich die mitgeschleppte Kette zwischen Rad und Boden verkeilte. Der Hund versuchte sich zu befreien, bis er es für sinnlos hielt und aufgab. Er legte sich neben sein bewusstloses Herrchen, leckte ihm das Gesicht und wartete.

Geklapper und klägliches Blöken waren auf der vom Vulkan beleuchteten Straße zu hören. Husso hatte beschlossen, seine Herde talwärts in Sicherheit zu bringen. Er hörte das Bellen seines alten Freundes Bruno und sah den umgestürzten Traktor und die Männer darunter. Die Schafherde lief weiter, aber Husso sprang von der Straße, um zu sehen, was passiert war. Er roch den Tod seines Herrn, der unter dem Traktor eingeklemmt war, und heulte traurig auf. Er erkannte auch Brunos hoffnungslose Lage, leckte seinem Kameraden nur die Schnauze und rannte zurück auf die Straße und hinter der Herde her..

5.

Maurizio wachte am frühen Morgen auf einer Parkbank auf und hörte seinen eigenen Husten. Er versuchte, sich an den Abend zu erinnern: Er hatte die Trattoria später verlassen als geplant, er hatte nach dem Wein mehr Grappa getrunken als vorgesehen, aber anscheinend war er vernünftig genug gewesen, nicht nach Hause zu gehen, sondern in den Park, um sich im Schlaf zu ernüchtern. Es wäre nicht schön gewesen, jetzt, wo Mutter im Sterben lag, einen Unfall zu haben oder verhaftet zu werden.

Aber was hustete er? Es war Asche in der Luft, im Gesicht und auf dem Sattel des Fahrrads, das neben der Bank stand. Maurizio band sich den Schal vors Gesicht, den er immer um den Hals trug, wenn er in die Stadt ging, versnobt wie immer, und machte sich auf den Weg nach Hause.

Der Gegenverkehr war erstaunlich. Inmitten von Rauch und Aschewolken tauchten Lastwagen auf, auf denen Menschen auf Bergen von Waren saßen. Da waren voll beladene Personenwagen, Traktoren, deren Anhänger das gesamte Mobiliar des Hauses zu tragen schienen. Pferdeund Eselskarren versperrten manchmal die ganze Straße. Männer schoben voll beladene Karren vor sich her, während die ganze Familie nebenherlief. An einer Kreuzung vor der Stadt Mascali wurde Maurizio von einem bewaffneten Polizisten angehalten, aber zum Glück war es nur Enrico, ein alter Schulfreund.

«Halt! Kehrt um! Niemand darf in die Stadt!»

«Ich bin es, Maurizio.» Maurizio zog sich das Tuch aus dem Gesicht. Warum sollte er nicht in die Stadt fahren?

«Wenn die Häuser leer sind, fangen einige an zu plündern.»

«Warum leer?»

«Bist du vom Mond gefallen, wenn du nichts weißt? Der Vulkan bricht am Südhang aus und die Lava scheint bis in die Stadt zu fließen.»

«Ich muss nach Hause. Vater und die Tiere müssen in Sicherheit gebracht werden.»

«Ich glaube, es ist eine vergebliche Reise. Die Lava ist schon an deinem Haus vorbeigeflossen. Wahrscheinlich sind alle weg. Der Zirkus war so laut, dass niemand ihn hätte überhören können. Aber natürlich kannst du nach deinem Vater suchen, vielleicht ist er noch in der Stadt.»

Maurizio blieb nicht in der Stadt, sondern fuhr auf der vertrauten Straße den Talhang hinauf. Die Aschewolke wurde immer dichter, die Hitze immer größer – hinter der nächsten Kurve war bereits der Lavakopf zu sehen. Es war ein beängstigender, aber auch bezaubernder Anblick: Der gesamte Berghang war mit rauchender, glühender Masse bedeckt, die Oberfläche brodelte und war von Rissen durchzogen. Mitten im roten Strom trieben große Felsbrocken und verkohlte Baumstämme. Langsam, für das Auge kaum wahrnehmbar, rutschte der Rand der Masse immer tiefer und bedeckte den darunter liegenden Hang. Maurizios Elternhaus lag weiter oben und war mit Sicherheit verloren. Maurizio wendete sein Fahrrad und fuhr zurück in die Stadt. Der Vater musste zu Tante Teodora gegangen sein und machte sich Sorgen um Maurizio.

Obwohl schon viele geflohen waren, herrschte in der Stadt noch Chaos, verstärkt durch die Lautsprecher eines Polizeiwagens, der durch die engen Gassen fuhr: «Es gibt keinen Grund zur Panik, ... der Ausbruch wird bald vorbei sein und die Stadt wird von der Lava verschont bleiben ... und für alle Fälle kommen Armeelaster, falls man evakuieren muss ... und für diesen Fall sollte man die wichtigsten Dinge für ein paar Tage mitnehmen. Und man sollte die Häuser abschließen, damit nichts gestohlen wird, während die Bewohner weg sind. Die Polizei würde die leere Stadt für alle Fälle bewachen. Man braucht sich also keine Sorgen zu machen. Nur für alle Fälle!»

Zia Teodora, hast du Papa gesehen?», rief Maurizio von der Tür aus, als er zum Haus seiner Tante eilte.

Tante Teodora hatte kein Ohr für Maurizios Frage. Sie wanderte in ihrem Zimmer umher und suchte die Sachen aus, die sie mitnehmen wollte.«Was nehme ich mit? Was nehme ich mit? Ach, als Paolo noch lebte - er konnte mir immer sagen, was ich tun soll», jammerte seine Tante, die all ihre Schätze und zwei Koffer auf dem großen Doppelbett verteilt hatte. Sie packte wahllos Dinge in die Koffer, nahm sie wieder heraus und ersetzte sie durch andere. Schmuckkästchen, Tafelsilber, Kristallgläser (Hochzeitsgeschenk, 12 Stück), alle Fotos der Kinder und Enkelkinder aus der Kommode (ca. 40), Alben, der beste schwarze Anzug des Verstorbenen, Pantoffeln, Kupfertöpfe, Nachttöpfe, ein Marienbild und ein vergoldetes Kreuz, handbestickte Sofakissen, Porzellanfiguren – alles wanderte wild zwischen den Koffern und der Bettdecke hin und her.

«Arrivederci, Zia Teodora», rief Maurizio von der Schlafzimmertür. Die Tante bemerkte nicht einmal, dass er gegangen war.

Im Hof eines Nachbarhauses gab es einen heftigen Streit. Ein Mann schreit, ein Kind weint. Maurizio spähte über die niedrige Mauer: Ein kleines Mädchen hielt ein großes, buntes Kaninchen auf dem Arm, ein Mann mit einer blutigen Axt in der Hand, offenbar der Vater des Mädchens, versuchte, das Tier an den Ohren zu sich zu ziehen.

«Balbina! Balbina! Mama Hilfe!» Das Kind schluchzte.

«Du kannst das Vieh nicht mitnehmen, du kannst es nicht hier lassen. Wir brauchen unterwegs Fleisch!»

Die Mutter des Mädchens schien den Streit nicht zu bemerken, denn sie zog neben der Hauswand große Blumenstöcke aus dem Boden. Zwei Eimer waren schon voll. «Frau, bist du verrückt? Lass das Gestrüpp liegen, ich nehme es nicht mit», rief der Mann. Das Kaninchen erschrak und zuckte, und der Mann verlor den Halt an den langen Ohren. Das Tier riss sich von den Armen des Mädchens los und sprang aus dem Garten auf die Straße.

Rufe hallten durch die engen Gassen. Vor den Haustüren stapelten sich die Güter, die abtransportiert werden sollten. Koffer, Matratzen, Möbel, die man auf den Autodächern zu befestigen versuchte. Maurizio kannte viele Bewohner und blieb immer wieder stehen, um zu fragen, ob jemand seinen Vater gesehen habe. Die Antwort war ein hastiges Kopfschütteln. Keine der älteren Frauen fragte wie sonst, wie es Mutter Giulia im Krankenhaus gehe. Aber wenn der Vater schon nach Catania gefahren wäre und dort neben dem Bett der Mutter auf seinen Sohn wartete?

Plötzlich sprang ein Hund gegen das Fahrrad und hätte Maurizio fast umgeworfen. War das nicht Dinos alter Husso? Hussos Schafherde hatte die Stadt erreicht, doch als die Menschen rannten und schrien, gerieten die Tiere in Panik und rannten davon. Für Husso war es unmöglich, die ihm anvertrauten Schafe wieder zusammenzutreiben. Der arme Husso war verzweifelt, als er seinen Nachbarn traf. Maurizio streichelte den alten Hund, und in ihm keimte Hoffnung auf: Husso war wohl mit seinem Herrn in die Stadt gekommen, und dann auch Vater und Bruno, denn Dino hätte seine Freunde nicht im Stich gelassen.

«Wo ist Dino? Wo ist Bruno? Such Dino, Husso!», befahl Maurizio. Der Hund bellte kurz auf, um zu zeigen, dass er den Befehl verstanden hatte. Doch dann legte er sich auf den Boden und senkte seinen zotteligen Kopf auf die Vorderpfoten. In seinen Augen spiegelten sich Trauer und Sorge. Maurizio verstand die Sprache des Hundes, denn er hatte sich sein ganzes Leben lang um Tiere gekümmert. Er stieg auf sein Fahrrad und verließ das Chaos der Stadt. Husso rannte ihm noch eine Weile hinterher, dann heulte er zum Abschied und kehrte in die Stadt zurück. Bald schloss er sich der Horde anderer verlassener Hunde an, die am Stadtrand zurückblieben und immer weiter vordrangen, während die Lava das Tal eroberte.

In den Gassen der Stadt fingen einige Einwohner Dinos entlaufene Schafe, indem sie sie am Rücken packten. Sie hoben ihre Beute auf Traktoren oder schoben sie zu den Kindern auf den Rücksitzen der Autos. Der Schaftraten wird in den kommenden schweren Zeiten auf dem Tisch willkommen sein.

6.

Als alles vorbei war und der Berg sich wieder etwas beruhigt hatte, wurde die Luft klarer. Aus einem tief fliegenden Kleinflugzeug sah man, wie der gesamte Südhang des Vulkans und die kleine Stadt am Fuße des Tals mit erstarrender Lava und Asche bedeckt waren. Nur ein einziges Gebäude hatte am Hang überlebt. Die alten Olivenbäume, die rund um das Haus wuchsen, reckten sich noch immer in den Himmel. Unter der Ascheschicht der Blätter war Grün zu sehen, während überall nur noch verkohlte Stümpfe aus der Lava ragten.

Das Flugzeug kreiste kurz über dem Haus aus grauem Stein, aber da kein Lebewesen, weder Mensch noch Tier, zu sehen war, setzte das Flugzeug mit seiner Rettungsmannschaft die Reise fort.

Nachdem die Lava erstarrt war, kehrte Maurizio mit vielen anderen Evakuierten zurück, um sich die Folgen des Ausbruchs anzusehen. In der Stadt stand noch eine Steinkirche, die teilweise mit Lava gefüllt war. Bei niedrigeren Gebäuden konnte man die Dächer und Mauern unter der Lava nur erahnen. Auch der Weg, der aus der Stadt zu Maurizios Haus führte, war unter der Lava verschwunden. Maurizio ließ sein Fahrrad stehen und ging zu Fuß weiter über das holprige Lavafeld. Obwohl alle Orientierungspunkte verschwunden waren – vertraute Bäume, Felsformationen, kleine Steinställe – kannte er den Weg nach Hause.

Dann – plötzlich – tauchte in der Ferne zwischen all der Zerstörung und Asche etwas Grünes auf: der Garten des Heims, die großen Olivenbäume! Maurizio rannte los. Es stimmte, es war keine Illusion, die durch Wunschdenken entstanden war. Sein Zuhause war erhalten geblieben!

Rings um das Grundstück hatte die Lava einen hohen Wall aus Felsbrocken und Lavasteinen aufgetürmt. Die neue Mauer umschloss den Garten auf drei Seiten. Nur vom Tal aus konnte man das Haus erreichen, ohne über riesige Felsformationen klettern zu müssen. Maurizio hatte Angst, den vertrauten Garten zu betreten und von dort zum Haus zu gelangen.

Auf den Blättern der Olivenbäume und auf dem Gras lag noch Asche, aber sonst schien alles wie immer. Und doch ganz anders. Es war zu still. Die Ziegen meckerten nicht, die Hühner gackerten nicht, Bruno stürzte sich nicht bellend auf den Eintretenden. Niemand saß auf der Mauerbank, die knarrende Haustür öffnete sich nicht. Alle waren weg – Mutter, Vater, Bruno, die Tiere.