Das Geheimnis des Lebens berühren - Spiritualität bei Krankheit, Sterben, Tod - Erhard Weiher - E-Book

Das Geheimnis des Lebens berühren - Spiritualität bei Krankheit, Sterben, Tod E-Book

Erhard Weiher

4,6

Beschreibung

Wer in helfenden Berufen arbeitet, wer ehrenamtlich kranke Menschen begleitet, trifft auch auf die Spiritualität von Patienten und Angehörigen - ob in nichtreligiöser oder in religiöser Form: Die konkrete Not sucht Sprache und "Sinn". Hier sind alle Begleiter - Pflegende, Ärzte, Sozialarbeiter, Psychologen usw. - gefragt. Palliativ-Konzepte z. B. fordern ausdrücklich, dass Helfer und Helferinnen, Begleiterinnen und Begleiter mit der Spiritualität ihrer Klienten und Patienten kundig umgehen und sie bei ihrer Sinnsuche unterstützen können. Für sie bietet diese "Grammatik für Helfende" eine Verstehens- und Übersetzungshilfe. Auf der Basis langjähriger praktischer Erfahrung zeigt Weiher an vielen Modellen und Beispielen auf, wie die Kompetenz in spiritueller Begleitung vertieft werden kann und wie Helfende konkret kommunizieren und handeln können. "Diese erfahrungssatte und wissensreiche Studie "über" Spiritualität wünsche ich über alle Disziplinen hinweg in die Hand aller mit Kranken und Sterbenden Befassten. Sie werden verlässlich informiert, von Überforderungen entlastet und zur Selbstqualifikation ermutigt." Prof. Dr. Heribert Wahl, Trier

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Wer in helfenden Berufen arbeitet, wer ehrenamtlich kranke Menschen begleitet, trifft auch auf die Spiritualität von Patienten und Angehörigen - ob in nichtreligiöser oder in religiöser Form: Die konkrete Not sucht Sprache und 'Sinn'. Hier sind alle Begleiter - Pflegende, Ärzte, Sozialarbeiter, Psychologen usw. - gefragt. Palliativ-Konzepte z. B. fordern ausdrücklich, dass Helfer und Helferinnen, Begleiterinnen und Begleiter mit der Spiritualität ihrer Klienten und Patienten kundig umgehen und sie bei ihrer Sinnsuche unterstützen können. Für sie bietet diese 'Grammatik für Helfende' eine Verstehens- und Übersetzungshilfe. Auf der Basis langjähriger praktischer Erfahrung zeigt Weiher an vielen Modellen und Beispielen auf, wie die Kompetenz in spiritueller Begleitung vertieft werden kann und wie Helfende konkret kommunizieren und handeln können. Für die vierte Auflage wurde vor allem der Abschnitt 'Seelsorge' überarbeitet und neuere Literatur eingearbeitet. 'Diese erfahrungssatte und wissensreiche Studie über Spiritualität wünsche ich über alle Disziplinen hinweg in die Hand aller mit Kranken und Sterbenden Befassten. Sie werden verlässlich informiert, von Überforderungen entlastet und zur Selbstqualifikation ermutigt.' Prof. Dr. Heribert Wahl, Trier

Erhard Weiher, Diplomphysiker und Dr. theol., ist Pfarrer an den Universitätskliniken Mainz.

Erhard Weiher

Das Geheimnis des Lebens berühren - Spiritualität bei Krankheit, Sterben, Tod

Eine Grammatik für Helfende

Vierte, durchgesehene und aktualisierte Auflage

Verlag W. Kohlhammer

4. Auflage 2014

Alle Rechte vorbehalten © 2014 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Reproduktionsvorlage: Gabriele Damm-Busch, Mainz Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print: ISBN 978-3-17-025287-5

E-Book-Formate

pdf:

978-3-17-025288-2

epub:

978-3-17-025289-9

mobi:

978-3-17-025290-5

Inhaltsverzeichnis

Einleitung Anliegen und Ziel dieses Buches

1. Spiritualität im multiprofessionellen Feld

2. Wofür ein Seelsorger die anderen Berufe gewinnen will

3. Was Sie in diesem Buch erwartet

Teil I

Spiritualität: Kontexte und Verortungen

1.1 Zum Verständnis von Spiritualität und Religion

1.1.1 Annäherungen an das Phänomen Spiritualität

1.1.2 Spiritualität im postmodernen Diskurs

1.1.3 Merkmale von Spiritualität und Unterscheidungen

1.1.4 Spiritualität, Religion und Glaube – Unterscheidungen und Gemeinsamkeiten

Anhang: Wie Spiritualität derzeit verstanden wird – Eine Auswahl zur Orientierung

1.2 Moderne Medizin und Spiritualität – ein Vorschlag zur Beziehungsklärung

1.2.1 Medizin und Religion – eine kurze Beziehungsgeschichte

1.2.2 Die Idee von der ›Ganzheit‹ und was sie für einen Sinn macht

1.2.3 Wenn das ›Geheimnis die Lösung ist‹

1.2.4 Ein Leitsymbol für alle Berufe

1.3 Spiritualität als Ressource bei Krankheit und Sterben

1.3.1 Die integrative Funktion von Spiritualität

1.3.2 Was bei Spiritualität ›Wirkung‹ bedeutet

1.3.3 Positive und negative Wirkungen von Spiritualität

Exkurs (1): Was also heißt hier ›Heilung‹?

1.4 Ethik und Spiritualität

1.4.1 Ethik in der Postmoderne

1.4.2 Ethik und Spiritualität – ein zumindest heimliches Verhältnis

1.4.3 Ethik auf der Mikro-Ebene Das System: Patient und Angehörige

1.4.4 Ethik auf der Meso-Ebene: Station, Profession, Organisation

1.4.5 Ethik auf der Makro-Ebene

1.4.6 Die Perspektive von Religionen

Exkurs (2): Was es bedeutet, von der Seele zu reden

Teil II Konkretisierungen

2. Spirituelle Begleitung – wie geht das konkret?

2.1 Das grundlegende Medium: Die mitmenschliche Begleitung

2.2 Das zweite Medium: Spirituelle Kommunikation

2.2.1 Erster Zugang: Die explizite Befragung

2.2.1.1 Modelle der Erfassung spiritueller Einstellungen

2.2.1.2 Zur Kompetenz der Helfer in Spiritual Care

2.2.2 Zweiter Zugang zur spirituellen Innenseite: Die symbolische Kommunikation als Königsweg

2.2.2.1 Wie Menschen Spuren zu ihrem Inneren legen

2.2.2.2 Zu Sinn und Gebrauch von Symbolen

2.2.2.3 Symbol und Transzendenz

2.2.2.4 Wie ›Sinn‹ zur Sprache kommt

Exkurs (3): Was heißt hier ›heilig‹?

2.2.3 Wie geben die helfenden Berufe spirituelle Unterstützung?

2.2.4 Die berufliche Rolle hat auch Symbolkraft

2.3 Ein drittes Medium: Rituale als spirituelle Begleitung

2.3.1 Rituale: nicht nur in der Religion

2.3.2 Rituale im medizinischen Alltag

2.3.3 Übergangsrituale – Brücken über den Abgrund

2.4 Statt einer Zusammenfassung: Ein Modell für die spirituelle Begleitung

3. Das Geheimnis deuten: Religion in der Begleitung

3.1 Was will und kann Religion?

3.2 Wie begleiten die Religionsbeauftragten?

3.2.1 (Klinik-)Seelsorge als spirituelle Begleitung

3.2.2 Zur Arbeitsweise der Seelsorge – eine Skizze

3.2.3 Die Symbolwirkung der Seelsorge-Rolle

Exkurs (4): Zum Verhältnis von Seelsorge und Spiritual Care - Ein Plädoyer in Thesenform -

3.3 Wie begleiten Nichtseelsorger religiöse Menschen?

3.3.1 Wie die Helfer Zugänge finden können

3.3.2 Wenn religiöse Themen und Nöte direkt zum Thema werden

3.3.3 Begegnung mit fremden Spiritualitäten und Religionen

3.4 Religiöse Rituale

3.4.1 Sinn und Bedeutung religiöser Rituale

3.4.2 Kleine Skizze christlicher Rituale

3.5 Beten als spirituelle Praxis

3.5.1 Zur Funktion des Betens

3.5.2 Wie passt das Beten in die Landschaft der helfenden Berufe?

3.5.3 Wie betet Seelsorge?

3.6 Segnen: Ein spiritueller Grundgestus

3.6.1 Zur Etymologie von ›Segen‹

3.6.2 Segnen: der religiöse Sinn

3.6.3 Konkretisierungen

3.7 Wenn Menschen außersinnliche Erlebnisse haben

3.7.1 Das Phänomen verstehen

3.7.2 Möglichkeiten für die Helfer

Teil III Themen der spirituellen Begleitung

4. Dem Leid anderer begegnen. Leidende trösten.

4.1 Die Helfer und das Leid

4.1.1 Was kann der Helfende ›gegen‹ das Leid aufbieten?

4.1.2 Ein Container für die Helferrolle

4.2 Die Helfer und das Mitleid

4.2.1 Mitleid versus Neutralität?

4.2.2 Mitleid: Was dient dem Patienten?

4.2.3 Die spirituelle Dimension des Mitleids

4.2.4 Mitleid als Tugend – eine Rehabilitation

4.3 Wie können die Begleiter trösten?

4.3.1 Zu Logik und Dynamik des Tröstens

4.3.2 Beispiele für die Trostpraxis

4.3.3 Wie tröstet Religion?

4.4 Wohin mit all dem Leid? Vorschläge für eine spirituelle Hygiene

4.4.1 Unzureichende Möglichkeiten

4.4.2 Die spirituelle Dimension in Anspruch nehmen

4.4.3 Einige Folgerungen für die spirituelle Hygiene

5. Spirituelles Leid

5.1 Spirituelle Schmerzen

5.1.1 Spirituelle Schmerzen: eine Phänomenologie

5.1.2 Was tröstet bei spirituellem Schmerz?

5.1.3 Schmerz und religiöse Begleitung

5.2 Angst und Ängsten begegnen

5.2.1 Dimensionen der Angsterfahrung

5.2.2 Begegnung mit Angst in der beruflichen Praxis

5.2.3 Die Angst und die Religion

5.2.4 Die Angst der Helfer

5.3 Die Erfahrung von Sinn und Sinnlosigkeit

5.3.1 Dimensionen der Sinnfrage

5.3.2 Drei Perspektiven der Rede von Sinn

5.3.3 Die Sinnfrage nicht überhöht sehen

5.3.4 Bei Erfahrungen von Sinnlosigkeit begleiten

5.4 Die Frage ›Warum?‹

5.4.1 Zur Phänomenologie

5.4.2 Das Warum? in der beruflichen Praxis

5.4.3 Die Religion und das ›Warum‹

5.5 Schuldgefühle entziffern

5.5.1 Zur Problemstellung

5.5.2 Krankheit, Sterben und Schuld

5.5.3 Kategorien von Schuld

5.5.4 Schuldempfinden als Symbol verstehen

5.5.5 Menschen mit Schuldvorwürfen verstehen und begleiten

5.5.6 Leitgedanken und Interventionen im Umgang mit Schuldgefühlen

5.5.7 Die Religion und die Schuld

5.6 Das Warum?, die Scham und die Schuld: Ein spirituelles Modell für die Selbstfindung

5.6.1 Die Idee von Erikson

5.6.2 Die Grunderfahrungen und ihre Gegenspieler

6. Spiritualität und Religion am Ende des Lebens

6.1 Die Trauer des Sterbenden verstehen

6.1.1 Sterbetrauer als Gesamtschmerz

6.1.2 Wie Patienten ihre Verlust- und Trauererfahrung äußern

6.1.3 Möglichkeiten der Begleitung

6.2 Die Angehörigen spirituell unterstützen

6.2.1 Es geht um ein ganzes System

6.2.2 Was bedeutet die (beziehungs-)systemische Sicht für die Begleitung der Angehörigen?

6.2.3 Begleitung als vorsorgende Trauerhilfe

6.2.4 Die explizit spirituelle und die religiöse Dimension

6.3 Die Wahrheit der Medizin – die Wahrheit des Patienten

6.3.1 Die Wahrheitsfrage auf dem Hintergrund von Medizin und Kultur

6.3.2 Was folgt aus all diesen Entwicklungen? Einige Thesen

6.3.3 Die Wahrheit und die Rolle der Begleiter

6.3.4 Möglichkeiten der Begleitung

6.4 Kann man Sterbenden Hoffnung machen?

6.4.1 Was ist Hoffnung?

6.4.2 Die drei Dimensionen der Hoffnung

6.4.3 Sterbenden Hoffnung eröffnen – Möglichkeiten für die Begleiter

6.4.4 Von der jenseitigen Hoffnung

6.4.5 Wie Seelsorge die Hoffnungsfindung begleitet

6.5 Sterbezeit und Todesstunde spirituell begleiten

6.5.1 Die Bedeutung der perimortalen Zeit

6.5.2 Kein Absturz, sondern eine ›Schleuse‹

6.5.3 Unterstützung in der Sterbestunde

6.5.4 Die Trauer beim Tod begleiten

6.5.5 Ein Ritual für den Abschied am Totenbett

6.5.6 Die Nach-dem-Tod-Trauer

6.5.7 Wie gehen die Helfer mit all den Verlusten um?

7. Eine Ars moriendi für heute? Statt einer Philosophie: eine Kultur des Sterbens

7.1 Die Landschaft, in der man heute stirbt

7.2 Auf dem Weg zu einer Kultur

7.3 Dimensionen einer Kultur des Sterbens

7.4 Eine Ars moriendi für die Helfenden?

Zu guter Letzt

Literatur

Vorwort

Zeitbeobachter erkennen seit den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts einen ›Megatrend Spiritualität‹. Dies könnte suggerieren, es handele sich bei Spiritualität um ein Phänomen, das sich einer Modeströmung verdankt. Das vorliegende Buch geht jedoch von der Überzeugung aus, dass das Spirituelle zur Grundausstattung des Menschen gehört und ein universelles Phänomen ist. Die breite Verwendung des Begriffs Spiritualität hat einen Vorteil: Sie hat diese Dimension aus der Tabuzone geholt, in die die Moderne alles glaubte, verbannen zu können, was nicht in den Rahmen der instrumentellen Logik zu passen schien.

›Kein Mensch ist unspirituell‹. Diese Hypothese findet gerade die Krankenhausseelsorge in ihren Begegnungen mit Menschen unterschiedlichster Einstellungen und Ausdrucksformen immer neu bestätigt. So sehen sich die Überlegungen dieses Buches den Patienten und ihren mitbetroffenen Angehörigen verpflichtet: Es will eine Dimension weiter erschließen und methodisch zugänglich machen, die elementar zum Menschsein gehört und die erst recht bei Krankheit, Sterben und Tod besonders herausgefordert wird. So hat nicht zuletzt durch die Entwicklung der Palliativmedizin Spiritualität eine erhebliche Aufmerksamkeit und Wertschätzung in der medizinischen Welt erfahren.

Dieses Buch will als ›Grammatik‹, als Sprach- und Übersetzungshilfe für diese innerste Dimension im Menschen gesehen werden. Zugleich aber kann eine Hilfe, andere zu verstehen, auch zur Hilfe für die Helfer selbst werden: In der Aufmerksamkeit für den ›Geist‹ im Anderen können die Begegnenden ihrer eigenen Spiritualität mehr gewahr werden. Zudem können sie dann ihre berufliche und begleitende Tätigkeit nicht nur als funktionelle, sondern im Grunde auch als spirituelle Praxis erfahren.

Von einer weiteren Voraussetzung geht dieses Buch aus: Spirituelles Erleben findet bei weitem nicht erst in großen Höhen oder tiefen Versenkungen statt. Die hier entworfene ›Grammatik‹ stellt Sprachmuster auch und zuerst für die Alltagserfahrung vor, in der berufliche Begegnungen stattfinden. Bereits dort scheint der Geist durch, der Menschen inspiriert und ihnen eine Ahnung vom Höheren und Höchsten gibt, das dann vielleicht auch ihren großen existenziellen Fragen standhalten kann.

Viele Einsichten in dem vorliegenden Entwurf beruhen auf der Reflexion von unendlich vielen Begegnungen mit kranken Menschen. Zudem konnte ich in zahlreichen Seminaren und Symposien mit Angehörigen der verschiedenen Berufe im Gesundheitswesen und mit Ehrenamtlichen meine Ideen weiterentwickeln. Ich danke allen, mit denen ich diese Austauschmöglichkeiten haben konnte. Als Physiker von meinem ersten Studium her, der dann Theologe und Seelsorger geworden ist, bin ich besonders dankbar dafür, dass ich in vielen Bereichen des Gesundheitswesens mit verschiedenen Professionen und Disziplinen zusammentreffe. Ich habe mich immer als Grenzgänger zwischen unterschiedlichen Erfahrungsbereichen verstanden und in der Sprachvermittlung eine wichtige Aufgabe gesehen.

Einen besonderen Dank möchte ich Frau Dr. Ruthmarijke Smeding, ursprünglich meine Lehrerin, längst aber Kollegin, sagen. Ihre große Fachkenntnis, aber auch die gemeinsamen Kursentwicklungen und die Grundlagendiskussionen haben wesentlich zur Vertiefung meiner Spur beigetragen. Zudem haben sie den Theologen in mir mit immer wieder neuen konzeptionellen Sichtweisen konfrontiert und bereichert.

An dieser Stelle möchte ich auch ganz herzlich der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Mainz für die Verleihung der Ehrendoktorwürde danken. Ich sehe darin all die Einsichten von uns Seelsorgern akademisch gewürdigt, die wir mit der Spiritualität selten in hochtheologischen Gesprächen, vielmehr aber in Alltagsbegegnungen zu tun haben.

Danken möchte ich auch Herrn Kardinal Karl Lehmann für sein Interesse an meiner Arbeit und die großzügige Unterstützung bei der Drucklegung dieser Veröffentlichung.

Meine Kollegen und Kolleginnen im Team der Klinik-Seelsorge haben mir immer wieder den Rücken für die Nebentätigkeit ›Schreiben‹ freigehalten. Besonders erwähnen möchte ich Herrn Karl-Heinz Feldmann, mit dem ich viele hilfreiche Gespräche über Selbstverständnis und Praxis der Seelsorge führen konnte, und Herrn Hartwig von Papen, durch den sich mir in über zwanzigjähriger Zusammenarbeit fast unmerklich viele seelsorgliche Sichtweisen erschlossen haben. Ihnen allen gilt mein großer Dank.

Dr. Gotthard Fuchs bin ich dankbar für anregende Diskussionen und für das Gegenlesen dieser Arbeit.

Einen herzlichen Dank möchte ich Frau Reinhild Caelberg für ihre sensiblen Rückmeldungen sagen und nicht zuletzt meiner Schwester Frau Rita Goebel für das sorgfältige Korrekturlesen des Manuskripts. Frau Gabriele Damm-Busch hat mit großer Zuverlässigkeit und viel Engagement die druckfertige Fassung des Manuskripts besorgt. Ihr gilt ausdrücklich mein Dank.

Das vorliegende Buch möge das Verständnis für die Spiritualität allgemein – auch für die in Form der Religion – aber auch für all die spirituellen Einstellungen und die Bedürfnisse von Menschen vertiefen helfen.

Für die dritte Auflage wurde der Text um folgende Themen ergänzt: die neue Diskussion um spirituelle Anamnese, um die Fähigkeiten der Helfer zu spiritual care und die derzeitigen Auffassungen von »Spiritualität«; des weiteren die Kommunikation religiöser Fragen und Nöte durch die Nichtseelsorger sowie die Begegnung mit Angst und Ängsten. Für die neue Auflage wurde vor allem der Abschnitt ››Seelsorge« überarbeitet und spezifischer gefasst. Außerdem habe ich bei einigen Themen neuere Literatur eingearbeitet und sowie Ergänzungen und Korrekturen formaler Fehler vorgenommen.

Mainz, November 2013

Erhard Weiher

Ein junger Mann kommt zu einem Rabbi und fragt: »Was kann ich tun, um die Welt zu retten?« Der Rabbi antwortet: »Soviel wie du tun kannst, dass morgens die Sonne aufgeht.« »Aber was sollen dann alle meine Gebete und meine guten Werke?« fragt der junge Mann. Darauf der Rabbi: »Sie helfen dir, wach zu sein, wenn die Sonne aufgeht.«

EinleitungAnliegen und Ziel dieses Buches

Es geht um etwas elementar Menschliches

Vielleicht sind Sie am Thema Spiritualität bei Krankheit und Sterben interessiert, haben aber als nüchterner Zeitgenosse zugleich Zweifel, ob das nicht ein Spezialthema ist, das sich mit Ihrer Tätigkeit nicht verbinden lässt. Wenn Sie denken, dass es bei Spiritualität um etwas Weltfremdes, nur ›Jenseitiges‹ geht, dann möchte dieses Buch Sie davon überzeugen, dass Spiritualität eine elementare Dimension des Menschlichen ist.

Genauso wie Gefühle zur Wirklichkeit des Menschen gehören, ist Spiritualität ein wichtiges innerstes Motiv, das das ganze Leben eines Menschen, erst recht in Krankheit und beim Sterben mitbestimmt. Patienten, Bewohner im Altenheim, Sterbende und die Angehörigen bringen ja außer ihrer körperlichen Verfassung auch ihre emotionale, soziale, mentale und kulturelle, aber auch spirituelle Wirklichkeit mit in die Arztpraxis, das Krankenhaus, das Pflegeheim oder Hospiz. Daher sollten alle Behandler und Begleiter prinzipiell etwas davon verstehen, wie sie der Innenwelt ihrer Patienten begegnen können. Sie sollten offen und aufmerksam sein dafür, was die Spiritualität eines Menschen für dessen Krankheitsverarbeitung bedeutet.

Dieses Buch sieht sich der Frage verpflichtet, wie die spirituelle ›Innenseite‹ in der beruflichen und ehrenamtlichen Begegnungspraxis überhaupt vorkommt und was die Helfer damit anfangen können, auch dann, wenn sie vielleicht selbst keine ausgeprägte Spiritualität oder Religion haben. Es wird sich herausstellen, dass die Dimension Spiritualität keiner absonderlichen Binnenwelt angehört und auch keiner ausgeprägten Fachsprache bedarf, die nur Eingeweihten zugänglich wäre. Vielmehr will dieses Buch zeigen, dass es in gewissem Sinn ganz einfach ist, auf die Spiritualität der Menschen einzugehen und so diese Dimension in den Umgang mit Leiden, Sterben und Trauer einzubeziehen.

Wovon ein Mensch beseelt ist

Die wichtigste Lektion, die ich in meiner langen Kliniktätigkeit von meinen Patienten gelernt habe ist die, dass deren Innenwelt gar nicht so total verschieden ist von meiner. Wenn ich mir meiner eigenen inneren Welt einigermaßen bewusst bin und mich, weil ich zurzeit gerade nicht krank bin, nicht in ein unbetroffenes Gegenüber begebe, dann bin ich dem elementar Menschlichen nahe, das alle Menschen dieser Welt bewegt, wenn sie leben, krank werden oder von Tod bedroht sind.

Was mich zu diesem Buch nötigt, sind die Erfahrungen aus unendlich vielen Begegnungen und Gesprächen mit Patienten und Angehörigen, aber auch mit professionellen und anderen Helfern. Im Menschen klingen – angestoßen durch die Widerfahrnisse des Lebens – Töne an, die aus ihrem inneren Raum kommen, der auf den ersten Blick schwer zugänglich erscheint. Hört man aber einen Moment genauer hin, dann formen sich die Töne zu kleinen oder großen Melodien: Was der Mensch befürchtet, was er liebt, wie er »das alles verstehen« soll, warum ihm »so etwas passiert«, was er sich wünscht und ersehnt, womit er sich besonders verbunden weiß, was ihn schmerzt und was ihn freut, wovon er enttäuscht und wovon er begeistert ist, was ihm zutiefst wichtig ist – kurz: wovon er ›beseelt‹ ist, ist eine grundlegende Wirklichkeit im Menschen. Es sei gleich hier bemerkt, dass es bei solchen Äußerungen nicht einfach nur um Gefühle und nur um die mentale Welt dieses Menschen geht, sondern zugleich um den inneren ›Geist‹, den ›spiritus‹, der auf seine Spiritualität verweist. Dabei spiegeln die ›kleinen‹ Melodien eher die in den Alltag der Menschen eingewobene Spiritualität wider; die ›großen‹ aber künden vom inneren Geist, in dem sich die zentralen Dramen der Existenz, der tiefsten Fragen des Menschen angesichts des Schicksals abspielen.

Spiritualität ist die meist alltägliche, oft aber auch dramatische Weise, wie Menschen sich »der Wirklichkeit des Lebens stellen, sie erleiden, ertragen oder gestalten« (Karrer 2006: 385) und wovon sie sich dabei inspiriert fühlen.

Ein lohnendes Unternehmen

Einerseits ist es nicht verwunderlich, dass Spiritualität schwer zu ›fassen‹ ist: »Ich kann es zwar nicht definieren, aber ich weiß, wann es stattgefunden hat«, sagen die Begleiter manchmal. Das heißt andererseits aber: Es spielt sich in Menschen, die uns als Patienten begegnen, etwas Wichtiges und Zentrales ab, dem zu begegnen vielleicht schwierig, aber allemal spannend und lohnend und sogar lebensnotwendig ist. Dieser Dimension Raum zu geben (d. h. nicht notwendig, mit ihr zu ›arbeiten‹), ist für den heilsamen Umgang mit Krankheit und Sterben wesentlich; und zwar für die unmittelbar Betroffenen, die Kranken und Sterbenden, wie auch für die mittelbar Betroffenen, die Helfer. Spiritualität muss endlich nach der langen Zeit der Abstinenz oder gar Vernachlässigung in Medizin und Therapie als integraler Bestandteil der Patientenversorgung – und nicht nur sterbender und palliativer Patienten – berücksichtigt werden.

1. Spiritualität im multiprofessionellen Feld

Das Leben in einen größeren Horizont stellen

Ich bin zutiefst davon überzeugt – und meine beruflichen Begegnungen bestätigen das immer wieder neu – dass Spiritualität hilft, Leben und Welt weiträumiger zu denken und Leben, Leiden und Sterben in einen größeren Horizont zu stellen. Das ist Sinn und Ziel von spiritueller Begleitung: Es geht darum, den Menschen diesseits und jenseits der Grenze des Machbaren mit dem Geheimnis von Leben und Sterben in Berührung zu bringen und so das Leben von seinem Geheimnis her verstehen zu lernen.

Aber auch das medizinische Gesamtsystem kann von der spirituellen Dimension her einen größeren Horizont bekommen. Die Basis, auf der die medizinischen und therapeutischen Berufe arbeiten, auf der sie mit Leiden und Sterben umgehen, wird dann breiter, als es die instrumentelle Vernunft erlaubt.

Beim Verfolgen dieses Zieles fühle ich mich natürlich in erster Linie den von Krankheit betroffenen und den vom Tod bedrohten Menschen und ihren Angehörigen verpflichtet. Die existenzielle Situation und die Anliegen dieser Patienten und der ihnen Nahestehenden sind durchgehend Hinter- und oft auch Vordergrund bei allen folgenden Ausführungen.

›Sorge für die Seele‹ – eine Aufgabe für alle Helfer

Der methodische Focus dieses Buches aber liegt bei den Helfenden, die im Raum von Medizin und Pflege den Patienten begegnen. Mein Hauptanliegen ist es, ein viel benutztes Wort für eine tief im Menschen verankerte Wirklichkeit für die Fachleute und die Begleiter zugänglich zu machen. Vor allem soll dabei das mit ›Spiritualität‹ Gemeinte anthropologisch reflektiert, für die berufliche Praxis erschlossen und die seelsorgliche Erfahrung für die Nicht-Seelsorger genutzt werden. Viele Helfer in den Einrichtungen des Gesundheitswesens fühlen sich für diese multiprofessionell zu leistende Aufgabe nicht ausgebildet und trainiert. Überdies ist die Frage, ob in dem heute ökonomisch, wissenschaftlich und organisatorisch durchstrukturierten medizinischen Feld Räume und Zeiten für die Beachtung der spirituellen Dimension zur Verfügung stehen.

Die instrumentelle Vernunft genügt nicht

Auf der anderen Seite – und sicher auch als Reaktion auf die rein instrumentelle Vernunft der Neuzeit – ist Spiritualität nicht umsonst Thema der Postmoderne geworden. Viele Menschen geben sich mit den rationalen Deutungen der naturwissenschaftlichen Medizin nicht mehr zufrieden, auch nicht mit den ›Sinn‹-Angeboten einer Kauf- und Konsumgesellschaft. Das gilt erst recht bei der existenziellen Bedrohung durch Krankheit und Sterben. Zugleich gehören natürlich auch die Ärzte, die Pflegenden und die anderen therapeutisch oder begleitend Tätigen derselben modernen Zivilisation an, in der sie für ihre Patienten und letztlich für sich selbst Sinnstrukturen finden müssen, denen sie Menschen bei Krankheit, Sterben, Tod und Trauer anvertrauen können. Denn schließlich ist vieles, was Menschen bei schwerer Krankheit bewegt, nicht mit den Mitteln der Medizin behandelbar.

Spiritualität aber öffnet gerade die Grenzen der Machbarkeit und die Sicht auf den Menschen: Die Helfer dürfen Kranke und Sterbende einem größeren Horizont anvertrauen, als sie selbst einlösen können.

Mit einer spirituellen Perspektive im Hintergrund lässt sich die scharfe Alternative, entweder wir haben alles getan oder wir haben gegenüber den Heilungsversprechungen der Medizin versagt, auf humane Weise überwinden.

Hier will dieses Buch Übersetzungshilfe leisten und damit die getrennten Bereiche Medizin, die für den Körper – und Seelsorge, die für die Spiritualität da ist, wieder zusammenführen.

Die Professionellen neigen dazu, das Spirituelle gänzlich an die Seelsorge abzugeben, vermutlich auch, weil sie Spiritualität nur als Religion interpretieren, auf die einzugehen ihnen nicht zusteht und nicht möglich scheint. Arzt, Pflegekraft, Sozialarbeiter greifen aber zwangsläufig auch in das Innere des Menschen ein. Sie gehen zwar von ›außen‹ an die Probleme der Menschen heran.

Aber bei allen ›äußeren‹ Diagnosen, Behandlungen und Maßnahmen wird die existenzielle Innenseite des Menschen nicht nur berührt, sondern in höchstem Maß in Mitleidenschaft gezogen.

Menschen brauchen dann nicht nur ›Seelsorge‹ im spezifischen, sondern ›Sorge für die Seele‹ im weitesten Sinn. Pflegekräfte verstehen sich schon immer – im Unterschied zur naturwissenschaftlichen Medizin – als Seelsorgende in dieser weiten Bedeutung.

Menschen wollen tiefer verstanden werden

Heutige Patienten und Angehörige erwarten, dass sie auch bei ihren Ärzten tiefergehende Fragen und Sorgen ansprechen können. Schließlich vertrauen sie sich mit ihrer ganzen Existenz, in gewisser Weise mit Leib und Seele, den Ärzten und anderen Helfern an. Sie wollen auch mit ihren spirituellen Fragen und Sorgen – zumindest – verstanden und respektiert werden. Wie Untersuchungen zeigen (vgl. die Erörterungen bei Büssing, Ostermann, Matthiessen 2005 a: 20), wünschen sich viele Menschen, wenn sie schwer krank werden, durchaus das Gespräch auch über spirituelle Belange. Sie sind aber sehr unsicher, wie sie darüber mit den Fachkräften in Beziehung kommen können. Ebenso fühlen sich viele Helfer nicht darauf vorbereitet, auf solche Bedürfnisse einzugehen, erst recht nicht, selbst initiativ zu werden.

Sind Spiritualität und Berufsrolle vereinbar?

Die Überlegungen dieses Buches verfolgen nun genau das Ziel, die spirituellen Themen so aufzubereiten, dass sie für die Professionellen in ihrem alltäglichen Beruf praxistauglich sind. Beim Thema Spiritualität wird z. B. auf jeden Fall die Felddynamik zu beachten sein: Spirituelle Fragen und Themen (z. B. die Warum-Frage oder die nach der Hoffnung) wachen im Feld des Arztes in anderer Weise auf, stehen in einer anderen Dynamik und wollen in dessen Rolle anders behandelt werden als bei der Pflegekraft, und da wieder anders als bei der Seelsorge oder dem ehrenamtlichen Begleiter.

Es wird sich zeigen, dass spirituelle Kommunikation und Begleitung nicht eine Sache ausgedehnter und inhaltsreicher Gespräche sein müssen.

Es kommt wesentlich mehr auf die Haltung und die Präsenz im Augenblick der Begegnung und auf die Art der Reaktion an als auf lange Zeiten am Krankenbett. Wie viele meiner beruflichen Begegnungen im Krankenhaus und bei Fortbildungen zeigen, muss die Aufmerksamkeit für Spiritualität und der rollenspezifische Umgang damit gelernt werden. Als gute Hin- und Einführung dazu versteht sich dieses Buch auf jeden Fall.

Wie im Verlauf der folgenden Kapitel gezeigt wird, hilft die spirituelle Dimension nicht nur dem Patienten, sondern auch den Helfenden: Wenn der nicht-seelsorgliche Begleiter in der Regel mit der spirituellen Dimension auch nicht explizit arbeitet, wenn seine eigene spirituelle Innenseite aber mitschwingen darf, wird auch die berufliche Tätigkeit befriedigender. So ist die Möglichkeit der spirituellen Kommunikation eine wichtige Hilfe, die Helfenden vor dem burn out zu bewahren.

2. Wofür ein Seelsorger die anderen Berufe gewinnen will

Beim Entdecken helfen

Wenn Seelsorge anderen Berufen und Tätigkeiten den Umgang mit Spiritualität erschließen will, muss sie ihre eigene religiöse und fachliche Begriffswelt öffnen und gelegentlich auch verlassen. Ich werde daher meinen Überlegungen keinen systematischen oder normativen Begriff von Spiritualität zugrundelegen. Vielmehr werde ich phänomenologisch und kontextuell vorgehen: Entscheidend für die therapeutische und begegnende Praxis ist, was wir Helfer bei den Betroffenen an Einstellungen vorfinden. Denn damit leben diese; ihre Einstellungen belasten sie oder helfen ihnen; die lassen sie im Stich oder erfüllen sie mit Sinn. Bei all dem haben wir die Menschen zu begleiten. Für den phänomenologischen Zugang spricht auch, dass der Begriff Spiritualität in der säkularen Welt in ganz diffuser Weise und in vielen Bedeutungsvarianten benutzt wird und dennoch von allen verstanden zu werden scheint. Wenn Spiritualität ein eigener Faktor in der Innenwelt von Patienten und Klienten ist, dann können die Helfer zu Entdeckern werden: Auch wir Begleiter werden vom vielfältigen spirituellen Reichtum der Menschen beschenkt, denen wir begegnen.

Es geht nicht in erster Linie um Religion

Dieses Buch wird in seinen grundsätzlichen Reflexionen vorwiegend anthropologisch und zunächst bewusst nicht von der Religion her argumentieren. Der Begriff Spiritualität hat, ebenso wie der der Religiosität, längst Eingang in das postmoderne Zeitgespräch gefunden. Ich werde also bei allen spirituellen Themen immer zuerst von den Konstanten ausgehen, die den meisten spirituellen Systemen und Religionen zugrunde liegen. Ich bin mir bewusst, dass dieses Vorgehen nicht ganz unproblematisch ist: In einer Zeit hoher Sensibilität für religiöse und kulturelle Unterschiede darf der ›ureigene Geist‹, das Heilige einer spirituellen oder religiösen Einstellung nicht übergangen werden. Dennoch werde ich eher vom allgemein Verbindenden her argumentieren als vom kulturell Verschiedenen. Damit ist die Gefahr gegeben, dass Spiritualität und Religion abstrakt bleiben und nicht in ihrem inhaltlichen Reichtum sichtbar werden. Diese Gefahr ist erst recht in einer Zeit gegeben, in der vielen Menschen ein solcher Reichtum fremd geworden oder nur in oberflächlicher Form begegnet ist. Spiritualität aber ist nicht eine allgemeine Haltung, sondern eine sehr persönlich angeeignete und ins Leben eingewobene ›Geistigkeit‹. Wir Helfer müssen fähig sein, den unterschiedlichsten Spiritualitäten und der Vielsprachigkeit der heutigen religiösen Landschaft zu begegnen.

Dennoch: Meine eigene Religion wird durchklingen.

Das kann nun aber nicht heißen, dass die Helfer sich in allen religiösen Sprachen und spirituellen Dialekten der Welt auskennen müssen. Auch ich werde mich nicht einer neutralen Kunstsprache bedienen (als ob es ein ›Esperanto‹ für Spiritualität gäbe), sondern meinen eigenen Dialekt und Akzent durchklingen lassen. Der Seelsorger kann bei der Darstellung des grundsätzlich Spirituellen – anders als der Religionswissenschaftler – nicht ein neutraler Spiegel sein. Meine Überlegungen werden immer auch gefärbt sein von dem, was mir selbst in meiner Lebens- und Berufsgeschichte als ›spirituell‹ aufgegangen ist.

Von Spiritualität und Religion authentisch reden

Der Schatz einer Religion und eines spirituellen Ansatzes lassen sich authentisch nur in der ›Muttersprache‹ zum Strahlen bringen, von dem her, was man selbst verinnerlicht, durchfühlt und durchlebt hat. Man kann einen fremden Dialekt nur nachahmen, aber kaum glaubwürdig sprechen. Um verstehbar zu machen, was eine spirituelle Einstellung zutiefst bedeutet, braucht es daher auch das lebensbezogene und authentische Zeugnis. So kann einem Außenstehenden z.B. das, was ein Muslim oder ein Buddhist glaubt und wovon er erfüllt ist, durch das Aufzählen einiger religiöser Vorschriften nicht verstehbar gemacht werden. Ich werde also gelegentlich meinen christlichen Dialekt sprechen und religiöse Ideen exemplarisch andeuten. Das versteht sich dann nicht als Abwertung anderer Akzente und ›Sprachen‹, sondern im Gegenteil: Es dient der Betonung der Würde einer jeden Religion. Es ist der Tatsache geschuldet, dass man religiöse Einstellungen nicht ›mal gerade‹ aus ihrem biografischen und kulturellen Kontext lösen und sich ihrer bedienen kann. Das ist anders bei z. B. philosophischen oder wissenschaftlichen Systemen: Diese zielen geradezu auf objektive Sachverhalte und intersubjektive Verständigung ab. Es ist nie unproblematisch, wenn ›Fremde‹ eine andere Kultur oder Religion darstellen, in der sie nie gelebt und die sie nie in existenziellen Situationen erproben und vertiefen mussten.

Es geht um Anschlussfähigkeit

Es wäre eine Anmaßung, zu fordern, dass die Helfer an alle kulturell erworbenen und persönlich gelebten Überzeugungen von Menschen Anschluss finden müssten. Wohl aber müssen sie fähig sein zu erkennen, welchen Wert eine Einstellung für den betreffenden Menschen hat und wie sie diesen daher unterstützen können. Es wird bei der spirituellen Begleitung durch medizinische Berufe nicht darum gehen können, dass die Helfer selbst ein spirituelles oder religiöses System lernen oder vertreten müssen. In diesem Buch werden ihnen auch keine religiösen Antworten für ihre Patienten an die Hand gegeben. Vielmehr sollen sie so Anschluss an die Spiritualität des Patienten finden können, dass dieser sich mit seiner Innenwelt wahrgenommen, respektiert und begleitet fühlt. Dafür gilt es, ein Basisverständnis für Spiritualität und Religion und Basishaltungen zu entwickeln und zu lernen. Dieses Buch wird Wege aufzeigen, wie die Begleiter in ihrer jeweiligen Rolle mit der Spiritualität der Patienten in Beziehung kommen und konkret damit umgehen können.

Was dies für die Seelsorge selbst bedeutet

Für alle Quellen von Sinn offen sein. Auf die spirituellen Bedürfnisse von Kranken und Sterbenden einzugehen, ist natürlich das Kerngeschäft der Seelsorge. Aber auch die Seelsorge muss sich in den letzten Jahren damit auseinandersetzen, dass das mit Spiritualität Gemeinte längst nicht mehr auf die Binnenwelt von Kirche und Religion beschränkt, sondern in der Postmoderne zu einem Begriff für viele Einstellungen und Haltungen von Menschen geworden ist. Die Seelsorgenden sind aber den spirituellen und religiösen Innenwelten verpflichtet, die die Menschen heute in Krankenhaus, Altenheim und Hospiz mitbringen. Es gehört geradezu zu ihrer Professionalität, das, was in der Übertragung zwischen ihnen und den Patienten geschieht, in spiritueller Perspektive zu lesen und dafür einen weiten Horizont mitzubringen: »Müsste eine ›Theologie des Volkes‹ nicht mit all diesen Spuren menschlicher Sehnsüchte ohne Überheblichkeit ins Gespräch kommen?« (Karrer 2006: 382) Seelsorgende müssen heute zunehmend darauf eingestellt sein, in diesem offenen Raum den Geist Gottes anwesend zu sehen.

Sich im multidisziplinären Kontext bewegen. Auf diesem Hintergrund muss also auch Seelsorge ihr Verständnis von Spiritualität und Religiosität immer neu reflektieren. Sie muss diese Reflexion aber auch leisten, weil sie ständig in der Begegnung mit anderen Fachberufen und den Human- und Geisteswissenschaften steht. Mir selbst sind gerade im Dialog mit den anderen Berufen viele meiner seelsorglichen Themen klarer geworden. Was es z.B. heißt, Hoffnung zu machen, Sinn zu erschließen oder auf Trauer einzugehen; wovon ich oft nur abstrakte Ideen oder uneinlösbare Ideale hatte, wurde im Konzert aller patientennahen Tätigkeiten mehr geerdet und zugleich schärfer profiliert. Die Begegnungen gerade mit der säkularen Welt der medizinischen Zivilisation haben mich herausgefordert, meine Binnensprache zu öffnen und meine Basis zu verbreitern. Dies hat nicht etwa mein Profil als Seelsorger und mit der christlichen Religion verwachsener Mensch verschwommener gemacht. Im Gegenteil: Ich denke, das hat das Profil meiner Profession geschärft und meine Stimme im multidisziplinären Konzert sicherer und voller, aber zugleich auch anschlussfähiger gemacht.

Im Dialog bleiben. So fühlt sich dieses Buch auch meiner eigenen Profession verpflichtet: allen seelsorglichen Berufen im kirchlichen Bereich und anderen Religionsbeauftragten. Es ist allerdings bewusst mit Rücksicht auf die nichtseelsorglichen Begleiter konzipiert. Für die seelsorglichen Fachleute gibt es genügend eigene Fachliteratur und Trainings. Seelsorgende und Religionsbeauftragte müssen fähig sein, mit der Gegenwartskultur – also auch der nichtkirchlichen, andersgläubigen, nichtreligiösen Welt – spirituell zu kommunizieren. In diesem Anliegen möchte dieses Buch meine seelsorglichen Berufskollegen und -kolleginnen unterstützen und sie zugleich ermuntern, mutig und offen zu sein und die Übersetzer-Tätigkeit immer wieder zu wagen.

3. Was Sie in diesem Buch erwartet

Spiritualität ist ein sehr komplexes Phänomen: Die geistliche Dimension ist eine ›Farbe‹, die alle Lebensvollzüge eines Menschen prägt und im Grunde genommen nicht davon zu isolieren ist. Dennoch muss diese Dimension aus methodischen Gründen als eigene Säule herausgearbeitet und von anderen Aspekten unterschieden werden – genauso wie es etwa für die Emotionen und Motivationen des Menschen eine ›Psycho-Logik‹ und für die körperlichen Funktionen eine ›Physio-Logik‹ gibt.

Durchgehendes methodisches Anliegen der Überlegungen dieses Buches ist es, für die hohe Idee der Spiritualität niederschwellige Zugänge zu beschreiben und dafür eine ›Logik‹ zu finden.

Wie dieses Buch nicht zu verstehen ist

Methodisch gesehen will diese Abhandlung in erster Linie Einsichten erzielen. Die Beispiele und Formulierungsvorschläge in den einzelnen Abschnitten wollen vor allem erläutern, wie ein Thema gemeint ist; sie verstehen sich nicht als Rezepte, die unmittelbar anzuwenden sind. Bildlich gesprochen ist dies kein Wörterbuch mit Vokabeln, die man ohne Grundlagen verwenden könnte. Spirituelle Begleitung ist keine Technik, die man neutral einsetzen kann. Die Methoden müssen vielmehr in Beziehungen eingebettet sein. Kommunikationsbeispiele sind nur sinnvoll im Feld des ›Geistes‹. Sie setzen ihrerseits eine geistliche Haltung voraus, durch die die ›Wörter‹ zur Sprache finden und dort einen Sinn ergeben.

Eine Lesehilfe

Das erste Kapitel dieses Buches bilden für die Begegnungspraxis taugliche Bestimmungen von ›Spiritualität‹, ›Religion‹, ›Religiosität‹ und ›Glaube‹. Diese Unterscheidungen und Zuordnungen sollen helfen, sich in der vielfarbigen Landschaft von heutiger Diskussion und des Zeitgesprächs zurechtzufinden. Ebenso ist es wichtig, dass sich die Helfer die Verortung der spirituellen Dimension im medizinischen Kontext bewusst machen. Dem Bezug zum medizinisch-therapeutischen Feld dienen auch die Diskussion neuerer Untersuchungen zur Bedeutung der Spiritualität bei der Verarbeitung von Krankheit, Sterben und Trauer und die Überlegungen, was es bedeutet, dass Spiritualität und Ethik zusammenhängen. – Vielleicht interessiert Sie aber auch, wie heute plausibel von der ›Seele‹ gesprochen werden kann.

Als an der Praxis interessierter Leser können Sie dieses erste Kapitel überschlagen; gut wäre es jedoch, wenn Sie sich an den Unterscheidungen von Spiritualität – Religion – Glaube orientieren würden. Man muss nicht das ganze Buch in der vorgelegten Reihenfolge lesen. Das zweite Kapitel ›Spirituelle Begleitung‹ ist allerdings der zentrale Anker und Pfeiler der Argumentation dieses Buches: Hier werden die Basismethoden der spirituellen Kommunikation vorgestellt, die auch den praktischen Umgang mit den weiteren Themen erschließen.

In Auswahl lesbar. Auf dieser Grundlage können Sie dann die Themen auswählen, die Sie interessieren: wie die Nicht-Seelsorger der religiösen Einstellung ihrer Patienten – auch z. B. Visionen und außersinnlichen Wahrnehmungen – begegnen können (Kapitel 3) und welche beruflichen Rituale ihnen möglich sind. Kapitel 4 erörtert, was den täglichen Umgang der Helfer mit Leid und Sterben möglich macht und wie ›Trösten‹ geht.

Den weiteren Teil dieses Buches bilden Themen und Herausforderungen, bei denen viele Helfer oft hilflos und für die viele nicht trainiert sind: der Umgang mit Angst und Ängsten, mit der Warum-Frage, mit Schuld- und Schamäußerungen von Patienten und überhaupt mit spirituellen Schmerzen (Kapitel 5). Kapitel 6 legt dar, wie die Sterbetrauer des Patienten und seiner Angehörigen, die Frage der Wahrheit und der Hoffnung begleitet werden können. Den letzten Abschnitt bilden die spirituelle Begleitung und Unterstützung in der Sterbe- und Todesstunde.

Alle genannten Themen sind so konzipiert, dass sie als jeweils eigener Komplex für die Berufspraxis aufgeschlossen werden. Sie können daher weitgehend auch als abgegrenzte Themen gelesen werden.

Ich wünsche Ihnen viele gute Erkenntnisse, den Mut, sich auch spirituellen Fragen und Nöten zu stellen, aber auch die notwendige Achtung und Zurückhaltung, wenn es um das Geheimnis des Menschen geht, das man genauso sensibel ›behandeln‹ muss wie alles, was am Menschen lebendig und zugleich verletzlich ist. Es wird mir bei allen Bemühungen um Anschlussfähigkeit an die Möglichkeiten und Rollen der jeweiligen Berufe sicher nicht immer gelingen, dies zu erreichen. Bei aller Interprofessionalität sind die Bedingungen und Rollen der einzelnen Tätigkeiten doch auch sehr unterschiedlich. Ich bitte um hilfreiche und weiterführende kritische Diskussion.

NB Im Verlauf dieses Buches wechsele ich gelegentlich zwischen der männlichen und der weiblichen Form, um deutlich zu machen, dass in der Regel beide Geschlechter gemeint sind.

Teil I

Spiritualität: Kontexte und Verortungen

1.1 Zum Verständnis von Spiritualität und Religion

»Spiritualität ist ein enorm reiches und vielschichtiges Konstrukt, das sich einer simplen Definition ebenso entzieht wie einer leichten Messbarkeit.« (R. A. Emons 2000)

»Ich gehöre zwar keiner bestimmten Religion an, aber ich habe meinen Glauben …« (Eine Patientin)

1.1.1 Annäherungen an das Phänomen Spiritualität

Wer im Krankenhaus, im Hospiz oder in anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens arbeitet, der macht in der Begegnung mit Patienten oder ihren Angehörigen öfter die Erfahrung: Das, was mir da eben begegnet ist, hat etwas mit Spiritualität zu tun. Was der Patient eben gesagt hat, die Geste, die er gemacht hat, das Schweigen in diesem Augenblick hat eine andere Atmosphäre als sonstige Alltagsaussagen und berufliche Handlungen. Solche Momente haben meist wenig Dramatisches oder pathetisch Erhabenes an sich. Sie müssen auch nicht erst in der Nähe des Todes oder in Verbindung mit großer Lebensnot stehen; sie müssen auch nicht direkt mit den großen Lebensthemen, z. B. Hoffnung auf ein Weiterleben nach dem Tod, Beziehung zu einem höchsten Sinn oder dem Göttlichen in Verbindung stehen. Sie ereignen sich in ganz normalen Situationen und übersteigen diese doch in bemerkenswerter Weise. Natürlich gibt es auch die ›großen‹ Momente von tiefer Ergriffenheit und Erhabenheit; und wir begegnen auch tief religiösen Aussagen und Haltungen. Aber genau diese große Spielbreite von kleinen – eher alltäglichen – bis zu großen Erfahrungen muss heute unter dem Begriff ›Spiritualität‹ Platz finden.

Assoziationen zu Spiritualität

Ein Medizinstudent, der gefragt wird, was er unter Spiritualität versteht, antwortet: »Ist das nicht Voodoo oder so?« Ein anderer: »Wenn ein Mensch betet.«

Pflegekräfte, die gefragt werden, was für ein Bild in ihnen bei dem Wort Spiritualität entsteht, äußern:

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