Das Graveyard-Buch - Neil Gaiman - E-Book

Das Graveyard-Buch E-Book

Neil Gaiman

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Beschreibung

In einer finsteren Nacht ermordet ein Mann eine Familie in ihrem Haus. Nur das jüngste Kind kann bis zum Friedhof fliehen. Hier gehen gute Geister um, die den Waisenjungen prompt adoptieren. Sie taufen ihn Nobody und verbieten ihm, den Friedhof zu verlassen.

Über die Jahre sind die Geister, ein Vampir und eine Werwölfin seine Lehrmeister. Sie bereiten ihn auf einen Kampf vor. Denn der Mörder seiner Eltern hatte es auf Nobody abgesehen, und der Junge schwebt nach wie vor in Lebensgefahr ...

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Seitenzahl: 188

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NEIL GAIMAN
DAS
GRAVEYARD-
BUCH
DAS
GRAVEYARD-
BUCH
Nach dem Roman von NEIL GAIMAN
Adaptiert von P. CRAIG RUSSELL
Illustriert von KEVIN NOWLAN P. CRAIG RUSSELL
TONY HARRIS SCOTT HAMPTON GALEN SHOWMAN
JILL THOMPSON STEPHEN B. SCOTT DAVID LAFUENTE
Farben: LOVERN KINDZIERSKI
Lettering: MICHAEL MÖLLER
BASTEI ENTERTAINMENT
Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes
Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG
Titel der amerikanischen Originalausgabe:
„The Graveyard Book Volume 1“
„The Graveyard Book Volume 2“
Für die Originalausgabe:
Text Copyright © 2008 by Neil Gaiman
Illustrations Copyright © 2014 by P. Craig Russell
Published by arrangement with HarperCollins Children’s Books,
a division of HarperCollins Publishers.
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur
Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Für die deutschsprachige Ausgabe:
Copyright © 2015 by Bastei Lübbe AG, Köln
Textredaktion: Hanka Jobke
Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München
Einband-/Umschlagmotiv: Cover art © 2014 by P. Craig Russell
Cover design by Sarah Nichole Kaufman
Lettering: Michael Möller, Weimar
E-Book-Produktion: Lumina Datamatics GmbH
ISBN 978-3-7325-1324-6
www.bastei-entertainment.de
www.lesejury.de
Für Brooke und Andrew, Jadon und Josiah, Naomi und Emmeline
(und besonderen Dank an Galen Showman und Scott Hampton
für ihre Dienste über alle Grenzen hinaus)
— P. C. R.
1
Wie Nobody auf den Friedhof kam
Illustriert von Kevin Nowlan
DAS MESSER HATTE EINEN GRIFF AUS POLIERTEMSCHWARZEM KNOCHEN UND EINE SCHNEIDE, DIE FEINERUND SCHÄRFER WAR ALS JEDE RASIERKLINGE. SCHNITTES JEMANDEN, MERKTE DER VIELLEICHT GAR NICHT, DASSER VERLETZT WAR; NICHT SOFORT. DAS MESSER HATTEBEINAHE ALLES ERLEDIGT, WOZU ES INS HAUS GEBRACHTWORDEN WAR, UND KLINGE UND GRIFF WAREN FEUCHT.
... 7 ...
NOCH EINER, UND ES WÄRE VOLLBRACHT.
... 8 ...
DER MANNHIESS JACKUND WARIN ERSTERLINIE PROFI.DAS REDE-TE ER SICHZUMINDESTEIN. ER GE-STATTETESICH KEINLÄCHELN,EHE SEINJOB BEEN-DET WAR.
... 9 ...
DER KNIRPS.
MILCHGERUCH,WIE NACH SCHOKO-PLÄTZCHEN …
… HÖSCHEN-WINDEL …
… BABY-SHAMPOO …
… UNDETWAS KLEINESAUS GUMMI …
EIN SPIEL-ZEUG …
… NEIN,ETWAS ZUMNUCKELN.
DAS KINDWAR HIER.
VER-SCHWUNDEN… WOHIN?
... 10 ...
HM …
JACK SCHNUPPERTE, DANN STIEG ER, OHNE EILE, DEN HÜGEL HINAUF.
... 11 ...
   Seit das Kind laufen gelernt hatte, ent-   zückte und entsetzte es seine Eltern,   denn nie war ein Junge so gernumhergestreift.
in dieser Nacht hatte ihn etwasaus dem Schlaf gerissen, daslaut auf den Boden gefallen war.
... 12 ...
... 13 ...
Owens!KommenSie undschauenSie sichdasan!
Ei der Daus,Mistress Owens,wenn das keinKleinkindist.
Natürlich ist es einKleinkind, doch esstellt sich die Frage,was wir mit ihmtun.
... 14 ...
ich räume ein, dass dieseine Frage ist, doch ist esnicht unsre Frage. Denn derBursche ist fraglos leben-dig, daher hat er nichts mituns zu tun und gehörtunsrer Weltnicht an.
Ach,wie erlächelt!
Schauen Sie,des Jungen Familie holtihn zurück an ihren liebe-vollen Busen. LassenSie den kleinen Mannin Ruh.
Der Mannwirkt nicht,als wäreer irgend-jemandesFamilie.
... 15 ...
Kommen Sie, MistressOwens, lassen Sie ihn.Seien Sie so gut.
SindSie … istdas … einGespenst?
Man möchte meinen, dass Mr Owens der Anblick eines Gespenstesnicht sehr erschütterte, verbrachte er doch sein gesellschaft-liches Leben zur Gänze mit den Toten, aber diese flackernde Er-scheinung wie das Flimmern eines Bildschirms, ganz Panik undEmotion, war ihm ungewohnt.
mein baby!er will meinembaby etwasantun!
Werbist du?Liegst duhier be-graben?
Natür-lich nicht!Man sieht esdoch, sie istfrisch ver-storben.
... 16 ...
schütztmeinensohn!
Aber meine Liebe,er ist lebendig.Wir nicht. Sie ahnen gewiss …
ssppllll
Gut! Wenn wir eskönnen, tun wir es. UndSie, Owens? WollenSie dem Knaben einVater sein?
Wasdenn,ich?
Wir hatten nieein Kind, und seineMutter wünscht, dasswir ihn beschützen.Stimmen Sie zu?
... 17 ...
Owenswusste, wases bedeu-tete, wennseine Gattindiesen Tonanschlug.Schliesslichwaren sieim Lebenund im Todvermählt,seit überzweihundert-fünfzigJahren.
Sind Sie sicher?Ganz sicher?
So sicher,wie ich nur seinkann.
Dann JA.Wenn Sieseine Muttersein wollen,bin ich seinVater.
HabenSie dasge-hÖrt?
Die flimmernde Gestalt, kaumnoch mehr als ein Umriss, ant-wortete etwas, was niemandverstand …
… unddannwar siefort.
Sie wirdnicht wieder-kehren. Dasnächste Malerwacht sieauf ihremeigenenFriedhof.
Komm her.Komm zuMama.
Dem Mann namensJack erschien es,als ringelte sich einNebelstreif um denJungen, dann wardas Kind verschwun-den. Nur feuchterNebel, Mondlicht undwiegendes Grasblieben zurück.
Hallo?
... 18 ...
Kann ich ihnenhelfen?
Der Mann namens Jack war gross. Derandere Mann war grösser. Der Mannnamens Jack trug dunkle Kleidung, dieKleidung des anderen war dunkler. Leute,die Jack bei seiner Arbeit bemerkten,waren immer nervös.
Jack hob den Blick zu dem Fremden, undnun war Jack der Nervöse.
ich suchejemanden.
Auf einemabgesperrtenFriedhof, beiNacht?
ich kamgerade vorbei,da hörte ichein Baby weinen.Was sollte ichda tun?
ich begrüsse ihrsoziales Engage-ment, doch wie wolltenSie mit dem Kind denFriedhof verlassen?Mit einem Baby im Armkönnten Sie nicht wie-der über die Mauerklettern.
ichhättegerufen,bis je-mand michhinaus-lässt.
Nun,derjenigewäre dannich gewe-sen.
ich hätte Sieherauslassenmüssen.
FolgenSie mir.
Dann sindSie hierder Wäch-ter?
ich?
in gewisserWeise sicher-lich.
... 19 ...
Falls Siewirklich einBaby hörten,dann nicht aufdiesem Fried-hof.
Weit eher haben Sie einenNachtvogel vernommen und eineKatze gesehen, oder einen Fuchs.Der Friedhof wurde vor dreissigJahren zum Naturschutzgebieterklärt, und so lange liegtauch die letzte Beisetzungzurück.
Vermut-lich habenSie sich geirrt.
Nun denken Siegut nach, und dannsagen Sie mir: SindSie sicher, dass Sie ein Kind gehörthaben?
Füchse. Sie geben dieseltsamsten Laute vonsich, nicht unähnlich demWeinen eines Babys.
ihr Besuch aufdem Friedhof warvergebens. irgendwoerwartet Sie das Kind,das Sie suchen …
… doch hierist es nicht.
... 20 ...
Entzückt, ihre Bekanntschaft gemacht zu haben. Gewiss finden Sie alles, was Sie brauchen, dort draussen.
Wohin gehen Sie?
Es gibt noch mehr solcher Tore. Achten Sie nicht auf mich.
Sie müssen sich nicht ein- mal an unser Gespräch erinnern.
Nein, muss ich nicht.
Nun, gute Nacht.
Der Mann namens Jack ging den Hügel hinab, dem Kind auf der Spur.
... 21 ...
Der Fremde sah Jack aus dem Dunkel nach, bis der fort war.
Dann streifte er durch die Nacht, immer weiter hinauf, bis zu der Stelle, an der ein grosser Obelisk stand. Er war Baronet Josiah Worthington gewidmet, der vor dreihundert Jahren den alten Friedhof und das umgebende Land gekauft und für alle Zeit der Stadt gestiftet hatte.
Alles in allem ruhten auf dem Friedhof gut zehntausend Seelen, aber die meisten davon schliefen tief, und jetzt, im Mondlicht, waren weniger als dreihundert von ihnen wach.
Der Fremde erreichte sie so leise wie der Nebel, und aus dem Dunkel beobachtete er, was sich zutrug.
Und er sagte nichts.
Meine liebe gnädige Frau, Eure Verstocktheit ist höchst ... ist ... nun, seht ihr denn nicht, wie absurd Euer Ansinnen ist?
Nein.sehe ichnicht.
... 22 ...
Was Mistress Owens zu sagen versucht, Sir ...
Mit Euer Ehren Erlaub- nis ...
... sie ist an- derer Ansicht. Sie meint, dass sie ihre Pflicht erfülle.
ihrePflicht ?
Verpflichtet, Ma’am, seid ihr dem Friedhof und all jenen, die aus körper- losen Geistern, Wieder- gängern und ähnlichen Erscheinungen ihre Be- völkerung bilden.
Und daher ist es Eure Pflicht, dieses Ge- schöpf so bald als möglich in seine natürliche Heimat zurückzu- bringen – die nicht hier ist.
Seine Mutter hat mir den Knaben an- vertraut.
Meineliebe Frau ...
ich  bin nicht ihre liebe Frau.
Ehrlich gesagt, weiss ich nicht, weshalb ich mich mit haarbuschigen Dösköppen herumstreite, wo doch der Knabe hier gleich hungrig er- wacht. Wo auf dem Friedhof finde ich etwas, womit ich ihn füttern kann, das wüsste ich viel lieber!
Genau darum geht es ja. Womit wollt ihr ihn füttern? Wie wollt ihr Euch um ihn kümmern?
ich kann mich um ihn kümmern. Schliesslich kann ich ihn auch halten. Nicht wahr?
So nimm doch Vernunft an, Betsy. Wo soll er wohnen?
hier.
... 23 ...
Wir könnten ihn zum Ehren- bürger des Friedhofs er- klären.
Ach, wirklich? Es wäre nicht das erste Mal, dass wir jemanden zum Ehrenbürger des Friedhofs machten, der keiner von uns ist.
Das istja uner-hört!
Das ist wahr, aber er ist nicht lebendig.
Da begriff der Fremde, dass er, ob er es wollte oder nicht, Teil der Diskussion war.
Nein, das bin ich nicht. Dennoch stimme ich Mrs Owens zu.
Wirk-lich, Silas?
Ja. Sei es nun gut oder schlecht – und ich bin überzeugt, dass es gut ist –, Mrs Owens und ihr Gatte haben sich dieses Knaben angenommen. Es bedarf aber mehr als zweier gut- herziger Seelen, um das Kind aufzuziehen.
Es bedarf eines ganzen Fried- hofs.
... 24 ...
Und was ist mit Nahrung und allem anderen?
ich gehe im Friedhof ein und aus. ich kann ihm Essen bringen.
Das sind ja schöne Worte von ihnen, aber Sie kommen und gehen, wie es ihnen gefällt. Wenn Sie einmal für eine Woche verschwinden, könnte der Jungesterben.
Sie sind eine weise Frau. ich verstehe, wes- halb Sie so ange- sehen sind.
Silas vermochte die Toten nicht so zu manipulieren wie die Lebenden, doch er konnte alle Kniffe der Schmeichelei und Überredung anwenden, denn hierfür waren auch die Toten empfänglich.
Nun gut, wenn Mr und Mrs Owens seine Eltern sein wollen, so will ich sein Vormund sein. ich werde hierbleiben, und wenn ich den Friedhof verlassen muss, werde ich dafür sorgen, dass sich jemand an meiner Statt um den Knaben kümmert. Wir können die Krypta der Kapelle be- nutzen.
Aber ...
Aber ...
Bedenkt doch, ein Menschenkind. ich meine ... das hier ist ein Friedhof, kein Kinderheim, zum Kuckuck.
Genau!
ich hätte es nicht besser formulieren können. Es ist wichtig, dass die Erziehung des Jungen das – verzeihen Sie den Aus- druck – dasLeben auf dem Friedhof so wenig stört wie mög- lich.
... 25 ...
Hat er einen Namen, Mrs Owens?
Seine Mutter nannte mir keinen.
Nun, dann müssen wohl wir einen Namen für ihn finden.
Ein wenig gleicht er mei- nem Prokonsul Marcus.
Er sieht aus wie mein Neffe Harry.
Er ähnelt meinem alten Gärtner, Stebbins hiess er.
Er gleicht niemandem ausser sich selbst.
Er sieht aus wie niemand sonst.
Dann nennen wir ihn Nobody ...
... 26 ...
... Nobody Owens.
... 27 ...
Was ist denn das für ein Name ...Nobody?
Sein Name. Ein guter Name. Er wird helfen, ihn zu beschützen.
Beschüt-zen?!
Hmm ...
ich wünsche keinerleiSchere-reien.
Hick
A-Hick
Äh
Äh
Geh nur, Mrs Owens. Wir besprechen es ohne dich.
... 28 ...
Mrs Owens wartete vor der Friedhofskapelle, einer kleinen veralteten Kirche auf einem überwucherten Gottesacker. Der Stadtrat hatte sie abschliessen lassen und wartete nun darauf, dass sie einstürzte.
Schlaf, Kindchen, schlaf ... Bist du erst mal er- wacht, siehst du die Welt in ihrer Pracht ...
... guten Abend, gute Nacht ...
tada-daa-da
... und dazu ein Schaf.
Da wäre ich, Mistress Owens. Mit vielen guten Dingen für einen heranwachsenden Jungen.
Am besten bringen wir ihn in die Krypta, hm?
... 29 ...
Die Nahrung können wir hier lagern. Es ist kühl, das Essen hält sich län- ger.
Undwas soll das sein?
  Eine  Banane. Eine Frucht aus den Tropen. Man muss sie schälen, sehen Sie?
Ba...
nar... ne
Niemals davon ge- hört. Wie schmeckt so etwas?
ich habe nicht die leiseste Ahnung.
Silas ver- zehrte nur eine Art von Nahrung, und das waren keine Bana- nen.
Sie könnten dem Jungen hier drin ein Bett auf- stellen.
Das werde ich nicht tun, denn Owens und ich ha- ben ein hübsches Grabmal drüben am Narzissen- beet.
Narne.
Was für ein kluger kleiner Kerl. Und was hat er sich be- kleckert.
Wie werden sie entschei- den, was meinen Sie?
ich weiss es nicht.
... 30 ...
ich werde ihn nicht hergeben. ich habe es seiner Mutter versprochen.
Glauben Sie, wir müssen noch lange warten?
Nein, nicht lange.
Doch er irrte sich.
Ein Friedhof ist normalerweise nicht demokratisch, doch vor dem Tod sind alle gleich, und jeder Verstorbene hatte eine Meinung darüber, ob dem lebenden Kind erlaubt werden sollte, zu bleiben.
Wir müssen berücksichtigen, dass uns die Owens in diesen Unsinn hinein- gezogen haben.
Einfachunerhört.
Sehr dün-nes Eis.
na,wiesonicht?
  es be-reuen.
Nie dage-wesen.
Und das sind keine flatter- haften Neuan- kömmlinge.
Sie sindrespektabel.
Das müssen wir berück- sichtigen.
dennoch ...dennoch ...
Richtig.
Richtig.
Es gibt immer ein erstes Mal.
Silas hat sich bereit erklärt, sein Vormund zu sein.
Dennoch  ist Silas keiner von uns.
Nehemiah Trot, der Dichter, schickte sich an, seinen Standpunkt dar- zulegen …
Ähem.
... als etwas geschah.
Etwas, das jeden zänkischen Mund zum Schweigen brachte.
Etwas, das sich in der Geschichte des Friedhofs noch nie ereignet hatte.
... 31 ...
Das Fried- hofsvolk kannte sie, denn jeder von uns be- gegnet am Ende seiner Tage der Dame auf dem Grau- schimmel, und niemand vergisst sie je.
Die Toten sind für gewöhnlich nicht aber- gläubisch, doch sie be- obachteten die Dame, wie ein römischer Augur das Kreisen der heiligen Raben beobachtet haben mag: auf der Suche nach Weisheit, nach einem Hin- weis.
... 32 ...
Dann, mit einer Stimme wie dem Klingeln von hundert Silber- glöckchen, sagte sie:
Die Toten sollten milde sein.
Und sie lächelte.
So zumindest schildern es die Bewohner des Friedhofs,die in dieser Nacht auf dem Hügel waren.
Die Debatte war vorbei, und die Entscheidung fiel ohne Handzeichen. Dem Kna- ben namens Nobody Owens sollte die Ehrenbürger- schaft des Friedhofs gewährt werden.
... 33 ...
Mutter Slaughter und ba- ronet Josiah Worthington begleiteten Mr Owens in die Krypta der alten Kapelle und berichteten von dem Wunder. Mrs Owens wirkte nicht überrascht.
So ist es richtig. Einige von denen ha- ben für keinen Penny Verstand im Kopf, aber sie hat ihn. Natürlich hat sie ihn.
Ehe am stürmischen grauen Morgen die Sonne wieder aufging, schlief das Kind im hübschen kleinen Grabmal der Owens.
Silas ging auf einen letzten Streifzug vor Sonnenaufgang. Er fand das hohe Haus am Fusse des Hügels.
Er untersuchte die drei Leichen, die dort lagen, und begutach- tete ihre Messerwunden.
Als er genug gesehen hatte, trat er hin- aus in die morgendliche Dunkelheit. im Kopf wälzte er unerfreuliche Möglichkeiten, während er zum Friedhof zurückkehrte ...
... in den Turm der Kapel- le, wo er die Tage ver- schlief.
... 34 ...
in der kleinen Stadt am Fusse des Hügels wurde der Mann namens Jack immer ärgerlicher. So lange hatte er sich auf die- se Nacht gefreut, den krönen- den Abschluss ...
... monate- langer, jahre- langer Arbeit. Und es hat so vielver- sprechend an- gefangen.
Drei am Boden, bevor auch nur einer von ihnen die Chance hatte zu schreien.
“Und dann ...
... dann ging auf einmal alles furchtbar schief.”
Wieso nur bin ich den Hügel hochge- stiegen, wo der Junge doch offensichtlich runterging?
Als ich endlich wieder unten war, war die Spur längst kalt.
Jemand muss den Jungen gefunden, mitgenom- men und versteckt haben. Eine andere Erklärung gibt es nicht.
... 35 ...
Ein Donnerschlag krachte so laut und plötzlich wie ein Pistolenschuss, und Regen prasselte herab. Der Mann namens Jack war ein methodischer Mensch und machte sich an die Planung seines nächsten Schritts.
ich benötige Augen und Oh- ren in dieser Stadt.
Zeit für ein paar Anrufe bei gewissen Leuten.
ich brauche der Versamm- lung nicht zu sagen, dass ich versagt habe.
Ausserdem habe ich nicht versagt.
Nochnicht.
Noch langenicht.
Es ist genügend Zeit.
“Zeit, diese letzte Sache zu erledigen.”
Zeit, den letzten Faden zu durch- trennen.
Jack senkte den Kopf und ging in den Morgen. Das Messer steckte in seiner Tasche, trocken und sicher, geborgen vor dem Elend der Elemente.
... 36 ...
2
Eine neue Freundschaft
Illustriert von P. Craig Russell
Bod war ein ruhiges Kind mit nüch- ternen grauen Augen und einem zerzausten mausbraunen Haar- schopf. Er war – meistens – gehorsam. Er lernte sprechen, und kaum hatte er es gelernt, plagte er den ganzen Friedhof mit seinen Fragen.
Wieso bin ich nicht befugt, den Friedhof zu verlassen?
... 37 ...
Er fragte Dinge wie:
Wie mache ich das auch?
Oder:
Wer wohnt da?
Die Erwachsenen gaben ihr Bestes, aber ihre Ant- worten waren oft vage, verwirrend oder wider- sprüchlich.
Dann ging Bod hinüber zur alten Kapelle, um mit Silas zu sprechen.
Er wartete dort bei Sonnen- unter- gang, bis Silas erwachte. Bod konnte sich darauf verlas- sen, dass sein Vor- mund ihm die Dinge deut- lich und durch- schau- bar er- klärte, damit er sie verstand.
Du darfst den Friedhof nicht verlassen – und man sagt heutzutage dürfen, nicht befugt sein –, weil wir dich nur auf dem Friedhof beschützen können. Draussen wärst du nicht sicher. Noch nicht.
Du gehst aber raus, du gehst jede Nacht raus.
... 38 ...
ich bin viel älter als du, Junge. Und ich bin sicher, wo immer ich bin.
ich bin dort auch sicher.
ich wünschte, so wäre es. Doch nur solange du hierbleibst, bist du sicher.
Oder:
Wie machst du das?
Das Schwinden, das Gleiten und das Traumwandeln be- herrschst du noch früh genug. Einige Dinge können Lebende jedoch nicht erlernen, und mit ihnen musst du warten.
immerhin wurde dir die Ehren- bürgerschaft des Friedhofs gewährt. Daher sorgt der Friedhof für dich. Solange du hier bist, kannst du in der Dunkelheit sehen, und der Blick der Lebenden gleitet von dir ab.
Auch ich erhielt die Ehrenbürgerschaft des Friedhofs, auch wenn sie in meinem Fall nur das Recht umfasst, mich hier aufzuhalten.
ich möchte werden wie du.
Nein. Das möch- test du nicht.
Oder:
... 39 ...
Wer hier liegt? Nun, Bod, in vielen Fällen steht es auf dem Grabstein. Kannst du schon lesen? Kennst du das Alpha- bet?
Daswas?
in der nächsten Nacht erschien Silas an der gemütlichen Gruft der Owens und brachte zwei bunte Lesebücher (A für Apfel, B für Ball) und ein Exemplar von Der Kater mit Hut.
Dann führte er Bod auf dem Friedhof umher und zeigte ihm die Buchstaben des Alphabets in ihrer Reihenfolge, ange- fangen mit dem spitzen hohen Dach des …
Silas stellte Bod eine Aufgabe.
Finde jeden der sechsund- zwanzig Buch- staben auf dem Fried- hof.
Bod löste sie stolz mit dem Auffinden von ...
Sein Vormund war zufrieden mit ihm.
... 40 ...
Jeden Tag ging Bod mit Papier und Buntstiften auf den Fried- hof und schrieb Namen, Wörter und Zahlen so gut ab, wie er konnte.
Und an jedem Abend liess er sich von Silas erklären, was er geschrieben hatte, und die lateinischen Bruch- stücke übersetzen, an denen die Owens meist scheiterten.
Ein sonniger Tag: Hummeln er- kundeten die Wildblumen, die in der Ecke des Friedhofs wuch- sen, während Bod in der Früh- lingssonne lag und einen bron- zefarbenen Käfer betrachtete, der über eine Grabplatte kroch.
Bod hatte die in- schrift kopiert.
Nun dachte er nur über den Käfer nach, als jemand rief:
Was machst du da?
... 41 ...
Nix.
Das war gut.
ich kann gute Grimas- sen machen. Weisst du, was das war?
Nein.
Na, ein Schwein, du Blödi !
Ach, du meinst wie in “S für Schwein”?
Na klar. Warte.
Wie alt bist du?
Was machst du hier?
Wohnst du hier?
Wie heisst du?
Weiss ich nicht.
Du weisst deinen na-
men nicht?
’türlich weisst du den.
Jeder kennt seinen Namen.
Schwind-ler.
... 42 ...
ich weiss meinen Namen, und ich weiss, was ich hier mache, aber das andere weiss ich nicht.
Na, wann war denn dein letzter Geburts-tag?
Wie alt du bist?
Hatte ich nie.
Jeder hat Geburtstag. Du meinst, du hattest nie einen Kuchen mit Kerzen und so?
Nein.
Armer Kerl. ich bin fünf. ich wette, du bist auch fünf.
Okay.
Mein Name ist Scarlett Amber Perkins.
ich wohne in einer woh- nung ohne Garten.
Meine Mutter sitzt unten an der Kapelle auf einer Bank und liest.
Sie hat ge- sagt, ich soll in einer halben Stunde zurück sein, keine Dummheiten anstellen und nicht mit Fremden reden.
Bist du nicht. Du bist ein kleiner Junge. Und mein Freund. Alsokannst du gar kein Fremder sein.
ichbin einFremder.
... 43 ...
Wie heisst du also?
Bod.
Das ist kurz für Nobody.
Niemand! Lustiger Name. Was machst du gerade?
HA!
ich schreibe das alpha- bet von denGrabsteinen ab.
Kann ich mit- machen?
im ersten Moment wollte Bod sie abwei- sen – die Grabsteine gehörten schliesslichihm, oder? –, doch dann dachte er sich, dass vieles mehr Spass machen könnte, wenn man es mit einer Freundin in der Sonne tat, und er sagte:
Ja.
Sie schrieben Namen von Grabsteinen ab, und scar- lett half Bod, unver- traute Namen und Wörter auszuspre- chen. Bod erklärte Scarlett, was die la- teinischeninschriften bedeuteten, soweit er sie schon kannte, und viel zu bald hörten sie eine Stim- me, die vom Fuss des Hü- gels rief:
Scarrrlett ...!
ich muss los.
Nächstes Mal sehen wir uns wieder, oder?
Wo wohnst du?
Hier.
Und er stand da und sah ihr nach, wie sie den Hügel hinab-eilte.
... 44 ...
Auf dem Nachhause- weg erzählte Scarlett ihrer Mutter von dem Jungen namens Nobody, der auf dem Friedhof lebte und mit ihr gespielt hatte, und am Abend erwähnte Scar- letts Mutter es gegenüber Scarletts Vater, der sagte:
Fantasie- freunde sind in die- sem Alter verbreitet und nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste.
Nach ihrer ers- ten Begegnung entdeckte Scarlett nie- mals Bod als   Erste.
An Tagen, an denen es nicht regnete, begleitete einer ihrer Eltern sie zum Friedhof und las, während Scarlett umherstreifte.
Dann, eher frü- her als später, entdeckte sie