Das Haus vom Stein - Amy Ewing - E-Book

Das Haus vom Stein E-Book

Amy Ewing

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Beschreibung

Im ersten Band der Trilogie ›Das Juwel‹ folgten wir Violet, die der Herzogin vom See dienen muss. Nun erfahren wir die Geschichte ihrer Freundin Raven als Surrogat der Gräfin vom Stein in einer e-novella von Amy Ewing. Als Raven bei der Auktion ersteigert wird, weiß sie sofort, dass es nicht gutgehen wird. Und als sie im Palast der Gräfin ankommt, findet Raven bald heraus, dass die Gräfin weniger an einem Baby interessiert ist, als daran, mit Ravens Körper und Verstand zu experimentieren. Raven kann nur auf eine Fluchtmöglichkeit hoffen – und darauf, Violet wiederzusehen. Während all dessen, was sie durchleiden muss, erinnert sie sich selbst stets daran, dass sie Raven Stirling ist und niemandem gehört.

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Seitenzahl: 92

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Amy Ewing

Das Haus vom Stein

Das Juwel - Eine Story

Aus dem Amerikanischen von Andrea Fischer

FISCHER digiBook

Inhalt

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1

Ich bin Raven Stirling. Ich gehöre niemandem.

»Losnummer 191!«, ruft der Soldat. »Los 191!«

Das stämmige Mädchen, das nach mir hereingekommen ist, geht unsicheren Schrittes zur Tür. Ich kann verstehen, dass sie sich so schwerfällig bewegt – man hat ihr eine Frisur auf den Kopf gesetzt, die einem riesigen Kerzenleuchter gleicht. Violet presst meine Hand so fest, dass ihre Fingernägel bestimmt Abdrücke hinterlassen.

Als Nächste bin ich an der Reihe, aber ich werde meiner Freundin nicht zeigen, wie sehr ich mich fürchte. Sie hat genug Angst für uns beide.

Wieder geht die Tür auf.

»Ich werde dich nie vergessen«, sage ich. Violets Augen glühen in einem violetten Schwarz. Ist es die Beleuchtung oder die Angst, die sie so dunkel machen? »Ich werde dich nie vergessen, Violet.«

»Losnummer 192! Los 192!«

Abrupt wende ich mich ab und schreite erhobenen Hauptes davon, fort von meiner besten Freundin. Sie hat keine Möglichkeit mehr, noch etwas zu sagen. Ich will nicht, dass sie sich auch nur eine Sekunde um mich sorgt. Die Vorstellung, dass ich sie vielleicht niemals wiedersehe, macht mich fertig.

Den Soldaten, der mich aus dem schrecklichen Vorbereitungsraum geholt hat, würdige ich keines Blickes. Ich marschiere an ihm vorbei, bereit, jede Bühne zu erklimmen, doch dann fällt die Tür hinter mir zu, und ich bin gefangen in Dunkelheit.

Panik kriecht in mir hoch, ich schlucke sie hinunter, bevor sie mich überwältigt. Irgendwo summt es, mehrere Lampen gehen an, beleuchten einen langen Gang. Das grünliche Licht fällt nach oben, so dass ich das Ende des Korridors nicht erkennen kann. Der Soldat ist nurmehr ein schwarzer Umriss.

»Wohin gehen wir?«, frage ich, ohne eine Antwort zu erwarten. Als er mich aus dem Vorbereitungsraum abholte, habe ich ihm dieselbe Frage gestellt, vergeblich. Ob den Soldaten wohl antrainiert wird, die Surrogate zu ignorieren?

Er setzt sich in Bewegung, ich habe keine andere Wahl, als ihm zu folgen. Ich drücke die Schultern durch, recke den Kopf und spreche die beiden Sätze laut vor mich hin, die ich ständig wiederhole, seit man mir vor zwei Abenden meine Losnummer mitgeteilt hat.

»Ich bin Raven Stirling«, flüstere ich. »Ich gehöre niemandem.«

Der Gang scheint ewig lang zu sein. Ich konzentriere mich darauf, einen Fuß vor den anderen zu setzen, und bin dankbar für Violets festen Händedruck, denn ich spüre noch immer die kleinen Halbmonde ihrer Fingernägel in der Haut.

»Ich bin Raven Stirling«, sage ich wieder. »Ich gehöre niemandem.«

Der Soldat bleibt so abrupt stehen, dass ich beinahe in ihn hineinlaufe. Er wirkt angespannt. Ich habe das Gefühl, dass er auf etwas wartet. Vor uns liegt nichts als Dunkelheit.

»Was ist?«, fahre ich ihn an, denn es ist einfacher, wütend zu sein als ängstlich.

Geschlagene zwölf Sekunden schweigt er. Dann spricht er wider Erwarten doch: »Ich danke dir, Los 192, für deinen Dienst am Adel. Dein Platz ist markiert. Du musst allein weitergehen.« Er verneigt sich vor mir, als hätte ich eine Auszeichnung dafür verdient, dass ich an eine mir völlig fremde Person verkauft werde. Dann tritt er zurück und stellt sich hinter mich. Wahrscheinlich, damit ich nicht davonlaufe.

Allmählich erkenne ich eine goldene Tür mit abgerundeten Kanten, die mit unzähligen albernen Adelswappen verziert ist. Meine Hände zittern, doch ich will keine Schwäche zeigen.

Tief Luft holend drücke ich dagegen. Die Tür schwingt auf, als hätte sie auf mich gewartet. Im ersten Moment blendet mich helles Licht. Ich blinzele, bis sich meine Augen daran gewöhnt haben.

»Als Nächstes, meine Damen, haben wir Losnummer 192. Los 192, bitte nehmen Sie Ihren Platz ein.«

Schnell setzt sich alles, was ich sehe, in meinem Kopf zusammen, wie Puzzlesteine, die ihren Platz finden. Links von mir steht der Auktionator, ein blasser Mann in einem Smoking. Vor mir sind halbkreisförmige Sitzreihen angeordnet, in denen Frauen in ausgefallenen, teuren Kleidern sitzen und an ebenso teuren Getränken nippen. In der Mitte der Bühne ist ein Kreuz auf dem Boden.

Der Mann im Smoking öffnet den Mund, wahrscheinlich um mich anzuweisen, den markierten Platz einzunehmen. Noch bevor er die Gelegenheit hat, mich herumzukommandieren, marschiere ich mit strafendem Blick los. Ich bin nicht dumm. Ich bin keine Nummer. Ich bin Raven Stirling.

Dann stehe ich dort in diesem lächerlichen Kleid, übertrieben geschminkt und affig frisiert. Mit Nachdruck sehe ich jede einzelne Frau an, schaue ihnen in die Augen. Ich lasse mir von denen nicht das Gefühl vermitteln, ein Gegenstand zu sein.

Eine der Frauen ist derart fett, dass ich mich frage, wie sie sich in das enge schwarze Satinkleid gezwängt hat, das sie trägt. Als sich unsere Blicke treffen, lächelt sie kaum merklich.

Mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken.

Okay, denke ich. Alle, nur nicht die.

»Los 192«, beginnt der Versteigerer. Er hat eine dünne weiße Kerze angezündet und auf sein Podest gestellt. Die Flamme leuchtet strahlend blau. »Siebzehn Jahre, eins achtundsiebzig groß, Gewicht: neunundfünfzig Kilo. Fünf Jahre Ausbildung, Ergebnis im ersten Auspizium 9,5, im zweiten 9,8 und 9,6 im dritten. Besonders gut in Mathematik, überragende Bewertungen in allen diagnostischen Untersuchungen seit Beginn des Aufenthalts in der Anstalt. Das Gebot beginnt bei 200000 Diamantinen. Höre ich 200000?«

Wenn ich gerade etwas trinken würde, hätte ich mich jetzt verschluckt. 200000 Diamantinen? Damit könnte man ganz Southgate kaufen! Sind diese Leute nicht mehr bei Trost? Wissen sie nicht, dass die Kinder im Sumpf hungern? Ich muss an meinen gestrigen Besuch in meinem Elternhaus denken – an meine Schwestern mit ihren Männern und Kindern, die alle unter einem Dach leben. Mein Vater dämmerte dahin, mein Bruder Crow war so dünn, sein Gesicht geschwärzt vom Ruß im Schlot. Und meine Mutter hat mich behandelt, als sei ich die Fürstin persönlich. Was alles nur noch schlimmer machte.

»200000 für die Lady von der Kiefer.« Die Stimme des Versteigerers holt mich in die Gegenwart zurück. Eine Frau mittleren Alters in der dritten Reihe hebt einen kupferfarbenen Farnwedel hoch. »Höre ich 250?«

Mein Magen zieht sich zusammen, als die dicke Frau mit dem grausamen Lächeln einen silbernen Klotz an einem dünnen Stab emporreckt.

»250000 für die Gräfin vom Stein. Höre ich 300000?«

Das Bieten geht weiter. Ich achte nicht auf die Zahlen, sondern verfolge nur, welche Frau mitsteigert.

Die fette Gräfin vom Stein kämpft mit Zähnen und Klauen um mich. Mit träger Selbstsicherheit reckt sie ein ums andere Mal ihren Klotz in die Höhe. Ich fühle mich unwohl in meiner Haut.

Ich lasse den Blick ins Ungewisse schweifen, und die Frauen verschwimmen zu einem bunten Nebel. Ich versuche mir vorzustellen, dass ich woanders bin. Denke an Violet. Wenn sie ihr Cello bei sich hätte, würde sie sich auf dieser Bühne bestimmt wohl fühlen. Ich rufe mir in Erinnerung, wie ich sie kennengelernt habe. Sie war so ein zartes Ding mit wilden schwarzen Haaren und großen violettblauen Augen. Als Amber Lockring meinte, sie wäre nicht ganz dicht, habe ich Amber den Arm so lange auf den Rücken gedreht, bis sie es zurückgenommen hat. Weiß gar nicht, ob ich das Violet je erzählt habe. Sie war so verängstigt, wie alle Neuankömmlinge, und ich wollte verhindern, dass sie sich noch stärker als Außenseiterin fühlt. Am Anfang ging es uns allen so. Verglichen mit dem Rest des Sumpfes hätte Southgate ein völlig anderes Universum sein können. Ich erblickte Violet und wusste, dass ich sie beschützen wollte. Dass wir Freundinnen sein würden.

Aber vor dem hier kann ich sie nicht bewahren. Ich kann mir ja nicht einmal selbst helfen. »Verkauft!« Der Ruf des Auktionators reißt mich zurück ins Hier und Jetzt. »Verkauft für drei Millionen fünfhunderttausend Diamantinen. An die Gräfin vom Stein.«

Nein! Ich kann es nicht glauben! Warum muss es von allen Adeligen in diesem Saal ausgerechnet sie sein?

Das Kreuz, auf dem ich stehe, sinkt langsam nach unten. Als letztes blicke ich in die Augen der Gräfin. In ihnen funkelt eine kranke Lust.

»Ich bin Raven Stirling«, sage ich, aber ich könnte genauso gut mit der Wand reden. Niemand hört mich. Niemanden interessiert es.

Die Plattform fährt mit mir tief unter die Bühne. Als ich hochschaue, sehe ich einen Kreis von Licht, wo vorher das Kreuz aufgezeichnet war. Dann schiebt sich eine andere Platte davor, und ich stehe in völliger Dunkelheit da. Doch ich höre den Versteigerer noch rufen: »Und als Nächstes, meine Damen, haben wir Losnummer 193. Los 193, bitte nehmen Sie Ihren Platz ein.«

Wer wohl Los 193 ist? Vielleicht das blonde Mädchen, dessen Haare aussahen, als hätte sie ihre Finger in die Steckdose geschoben?

Reglos stehe ich in einem leeren Raum mit nackten Betonwänden, die ebenso rund sind wie die Bühne über mir. Viele Türen gehen davon ab, sämtlich geschlossen. Wer weiß, wohin sie führen? Ich presse die Zähne so fest aufeinander, dass ich Kopfschmerzen bekomme.

Plötzlich erscheint eine Frau in einem grauen Kleid. »Los 192?« Ihre Augen huschen zwischen mir und dem Klemmbrett in ihren Händen hin und her.

Ich nicke.

»Zur Gräfin vom Stein«, sagt sie. »Hier entlang.«

Ich folge ihr durch eine der Türen einen Gang entlang, der von flackernden Fackeln beleuchtet wird. Wir betreten einen kleinen kuppelförmigen Raum aus achteckigen Steinen. Möbliert ist er lediglich mit einem schlichten Tisch und einem Stuhl. Links von mir brennt ein Feuer in einem Kamin. Auf dem Tisch liegt etwas unter einem schwarzen Tuch. Es fesselt meine Aufmerksamkeit.

»Hinsetzen!«, sagt die Frau.

»Ich bleibe stehen.« Ich hasse das Zittern in meiner Stimme. Die Wirklichkeit versucht, sich an die Oberfläche durchzukämpfen, doch ich dränge sie zurück. Dies ist ein ganz normaler Raum. Mit einem Tisch und einem Kamin. Nichts, wovor man Angst haben müsste.

Die Frau runzelt die Stirn.

»Nun gut.« Sie schlägt das Tuch zur Seite, eine blaue Ampulle und eine Spritze kommen zum Vorschein. »Der Adel verlangt, dass kein Surrogat sehen darf, wie man ins Auktionshaus hinein- oder herauskommt. Ich verspreche, dass es nicht weh tut.«

»Super«, sage ich mit deutlich vernehmbarem Sarkasmus. Jetzt ist mir selbst die Illusion von Selbstbestimmung recht. Es will mir nicht gelingen, den Blick von der Spritze abzuwenden.

Meine Antwort scheint die Frau weder besonders zu wundern noch zu verletzen. Sie sieht mich einfach nur an, wie eine Mutter, die abwartet, bis der Wutanfall ihres Kindes vorbei ist. Ich beiße die Zähne noch fester aufeinander, meine Stirn pocht.

Als ich nichts mehr sage, fährt sie fort: »Wir können das auf die einfache oder auf die harte Tour machen, das liegt ganz bei dir. Ich weiß, dass ihr auf dem Weg hierher keine Wahl hattet. Am einfachsten ist es, wenn du mir gestattest, dich schlafen zu legen. Die harte Tour bedeutet, dass ich auf einen Knopf drücke, vier Soldaten durch diese Tür kommen und dich festhalten, dann schicke ich dich trotzdem schlafen. Hast du verstanden?«

Ich verstehe.

Ich bin verkauft.

Verkauft