Das Herz der Erde - Petra Pribitzer - E-Book

Das Herz der Erde E-Book

Petra Pribitzer

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Beschreibung

Das Volk der Serpenta liegt seit Generationen im Krieg mit den Arachna. Um sich einen Vorteil für die bevorstehende Schlacht zu sichern, beschließen die Matriarchinnen, das Herz der Erde zu suchen, ein legendäres Artefakt mit zerstörerischen Kräften. Die einäugige Serpenta Ithliss begibt sich heimlich auf die Suche, um sich als Kriegerin zu beweisen. Unterwegs trifft sie auf eine unerwartete Verbündete, die ihre Sicht auf den Krieg völlig auf den Kopf stellt.

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Petra Pribitzer Das Herz der Erde

© 2020 Petra Pribitzer, 1 Auflage Verlag: Littera Magia, Inhaberin Martina Mozelt A-1160 WienLektorat: Katherina Ushachov Korrektorat: Julia K. Hilgenberg Cover: Shutterstock/ Svetlana_Smirnova

Kapitel 1

Stille senkte sich über die Versammlungshöhle, wo die Matriarchinnen der Serpenta auf steinernen Sitzen um einen großen Basalttisch saßen.

Aylalass, die zuletzt gesprochen hatte, faltete die Hände vor der Brust und lehnte sich zurück, ein Sinnbild der Ruhe und Gelassenheit.

Ithliss aber konnte aus ihrem Versteck an der Decke sehen, wie sich die Windungen ihres braungebänderten Schlangenleibs zusammenzogen, ein deutliches Zeichen für die Angespanntheit der Matriarchin.

Einen langen Moment hing das Schweigen in der Luft, während Aylalass im Schein leuchtender Varai-Kristalle auf dem Tisch ihren Blick über die Anwesenden gleiten ließ.

Naganith meldete sich schließlich zu Wort. "Es ist zu gefährlich."

Die Stimme der ältesten Matriarchin, deren Stamm am weitesten von Shurunsha, der Hauptstadt des Reiches, entfernt lebte, hatte Gewicht unter den anderen Anführerinnen. Sie blickten die weißhaarige Serpenta abwartend an.

Naganith leckte sich über die dünnen Lippen, wobei die Enden der gespaltenen Zunge zuckten. "Das Herz der Erde wurde seit Generationen nicht gesehen. Die Legenden sagen, dass beide Seiten im Großen Krieg nur knapp der Vernichtung entgingen. Das Herz verschwand aus gutem Grund, und es sollte verschwunden bleiben. Sucht nicht danach."

Eine andere Matriarchin, die Ithliss nicht kannte, fauchte abfällig. "Sollen wir uns wie Frischgeschlüpfte vor Legenden fürchten?"

Im Schutz des aufgeregten Zischens, das auf diese Worte folgte, schob Ithliss ihren Körper noch ein Stück weiter nach vorne. Ein winziger Stein löste sich unter ihren Schuppen und glitt am Fels entlang nach unten. Sie hatte es ihren Reflexen zu verdanken, dass sie ihn fing, bevor er in die Tiefe stürzen konnte, direkt auf den Versammlungstisch.

Ithliss atmete tief durch, bis das Zittern abklang, das von ihren Fingern bis in die Schwanzspitze lief. Als sie sich wieder auf das Geschehen unter sich konzentrieren konnte, war in der hitzigen Diskussion kein Wort auszumachen. Der heiße Geruch von Ärger und Empörung stieg bis zu Ithliss hoch.

Erst als Matriarchin Sisslith mit der Hand auf den Tisch schlug und ein lautes Zischen ausstieß, kehrte so etwas wie Ruhe ein. "Respekt! Das ist es, was uns von den Arachna unterscheidet!"

Die Matriarchinnen warfen Sisslith pikierte Blicke zu und ein Gemurmel erhob sich, bis Aylalass die Hand hob. Mehrere Kiefer schnappten geräuschvoll zu.

"Ich lasse nicht zu, dass die ehrenwerte Naganith, oder ein anderer Gast in meiner Höhle, respektlos behandelt wird. Wir diskutieren alle Ansichten mit Liebe und Achtung." Aylalass sah in die Runde, bis die Matriarchinnen, einige unter mürrischem Knurren, nickten. "Schön, dass wir uns einig sind."

Ithliss konnte riechen, wie die Spannung am Tisch stieg. Vorsichtig schob sie sich noch ein wenig weiter vor, bis ihr Scheitel aus dem Spalt lugte und ihr schwarzes Haar, zu einem Zopf geflochten, über ihre Schulter nach unten fiel. Nur ihr schuppiger, graugrüner Unterleib, dessen muskulöse Schlingen gegen den Stein pressten, bewahrte sie vor dem Absturz.

Auf ein Fingerschnippen von Aylalass schlängelte hastig eine Adjutantin herbei, die eine Rolle an sich gedrückt hielt. Unter den ungeduldigen Blicken der Matriarchinnen breitete die junge Serpenta eine Karte auf dem Tisch aus.

"Die Arachna sind bis hierher vorgedrungen", sagte Aylalass und deutete auf einen Punkt der Karte. "Scharmützel in den vorgelagerten Höhlen, hier, hier und hier, zeigen, wie selbstsicher sie sind. Sie versuchen, uns zu provozieren, was Arachna nie leichtfertig tun. Wenn wir sie verfolgen, werden ohne Zweifel Netze und Hinterhalte auf uns warten."

Allgemeines Murren ertönte, bis Aylalass erneut die Hand hob.

Ithliss wand sich noch weiter aus ihrem Versteck hervor, aber sie konnte keine Details auf der Karte erkennen. Mit einem frustrierten Züngeln zog sie sich wieder zurück.

"Mehrere Späherinnen sind nicht zurückgekehrt, andere berichten von Truppenbewegungen nördlich der Siedlung Shishii."

Matriarchin Sisslith fauchte. "Das ist keine zwei Tagesreisen von der Hauptstadt entfernt."

Leises Gemurmel erhob sich, in dem ein beunruhigter Unterton mitschwang.

Ithliss hielt den Atem an. Es war nicht allgemein bekannt, wie schlimm es um den Krieg stand. Wenn die Spinnen schon so nahe waren, befand sich Shurunsha in Gefahr. Jeden Tag könnte die Hauptstadt der Serpenta fallen, und was dann auf sie wartete, kannten alle aus Geschichten.

Einen Moment lang von ihren Gedanken abgelenkt, wandte Ithliss ihre Aufmerksamkeit wieder dem Kriegsrat zu, der sich inzwischen in einer hitzigen Diskussion befand. Drei Matriarchinnen gestikulierten wild und zischten einander an, während die anderen sechs die Köpfe zusammengesteckt hatten und tuschelten.

Matriarchin Naganith richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, eine Geste, die unter den Serpenta höchste Wichtigkeit symbolisierte - oder eine Herausforderung zum Zweikampf.

Augenblicklich senkte sich Stille über den Tisch.

"Angesichts dieser großen Gefahr", sagte die alte Matriarchin, "ist es unsere Pflicht, nach dem Herzen zu suchen. Es ist unsere Pflicht, uns und unsere Kinder zu verteidigen. Mit allen Mitteln."

Rings um den Tisch richteten sich die Matriarchinnen auf ihren Schlangenleibern auf, wanden sich, als wollten sie jeden Moment zu tanzen beginnen. Zuerst bewegte sich jede Serpenta in ihrem eigenen Rhythmus, aber mehr und mehr glichen sie sich aneinander an, bis sie alle gemeinsam wogten wie Gras im Wind.

Ithliss hatte genug gesehen. Die Matriarchinnen waren sich einig. Das kam nicht oft vor. Als nächstes würden sie Kriegerinnen auswählen, um das Herz der Erde zu suchen, und ganz bestimmt würden sie dabei nicht an die einäugige Ithliss denken.

Sie hatte aber nicht vor, auf Erlaubnis zu warten.

Hastig zog sie sich in den engen Gang zurück. Sie musste sich vorbereiten.

Kapitel 2

Eine gute Stunde später stahl Ithliss sich aus der Wohnhöhle, bevor ihre Mutter heimkehren und sie von ihrem Vorhaben abhalten konnte. Sie schob den dünnen Vorhang aus abgeworfenen Häuten zur Seite und spähte hinaus, dann glitt sie auf die Straße, hinein in das pulsierende Leben von Shurunsha.

Im weißgelben Licht gigantischer Varai-Kristalle an der entfernten Höhlendecke schlängelten Serpenta jeden Alters und Standes vorbei. Einige waren in schmucklose Kleider oder lose Tuniken gehüllt, andere mit kostbaren Geschmeiden behangen. Vier kräftige junge Männer trugen eine Sänfte durch die Menge, aus der, verborgen von Seidenvorhängen, ein schwarzglänzender Schlangenschwanz hervorlugte. Ein Stück die Straße hinunter priesen Verkäufer lautstark ihre Waren auf einem kleinen Markt an.

Bewaffnet mit Hornbogen und Speer machte Ithliss sich auf in die Richtung des westlichen Stadttores. Sie war noch keine hundert Meter von ihrer Wohnhöhle entfernt, als ein Trupp gerüsteter Kriegerinnen aus einer Seitengasse glitt, an ihrer Spitze eine Dekuria mit verzierten Schulterplatten.

Ithliss verbarg notdürftig die Waffen hinter ihrem Rücken, aber die Serpenta eilten Richtung Versammlungshöhle, ohne sich nach ihr umzudrehen.

Auf dem großen Markt am Hauptplatz kaufte Ithliss Proviant: Trockenpilze, die viele Sonnenzyklen halten würden, Echseneier in einer mit Stroh ausgelegten Schachtel, ein Säckchen getrockneter Insekten und Würmer sowie einen Wasserbeutel, den sie am Brunnen füllte.

Der Geruch der Nahrung war so intensiv, dass Ithliss die Geruchskünstlerin erst bemerkte, als sie ihre Vorräte in dem Lederbeutel verstaute, den sie um ihre Schulter schlang.

Die hochgewachsene Serpenta, deren Unterleib im Licht mehrerer Fackeln wie Smaragde schimmerte, hatte vor sich ein Arsenal an Tonkrügen aufgebaut. An jedem der Deckel war eine Schnur befestigt, mit der die Künstlerin die Krüge öffnen konnte. In ihren Händen hielt sie Dutzende Fäden und wob mit ihnen Harmonien aus Düften.

Ithliss näherte sich neugierig. Ohne ihr Zutun fuhr ihre Zunge hervor, um die Gerüche besser wahrzunehmen. Sie roch Blüten aus den oberen, lichtdurchfluteten Höhlen, verschiedene Pilze, Hölzer, Steine und Mineralien, Wurzeln, Fleisch in mehreren Stadien der Verwesung, Wasser aus unterschiedlichen Regionen des gewaltigen Höhlensystems.

Unter gewöhnlichen Umständen hätte sie sich der Traube angeschlossen, die sich vor der Geruchskünstlerin versammelt hatte, um ihre mit Düften erzählte Geschichte zu verfolgen. Aber Ithliss hatte keine Zeit zu verlieren.