Das Imperium der Stille - Christopher Ruocchio - E-Book
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Das Imperium der Stille E-Book

Christopher Ruocchio

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Beschreibung

In einer weit entfernten Zukunft hat die Menschheit die Galaxie besiedelt und ein gewaltiges Sternenreich errichtet. Seit vielen Hundert Jahren befindet sich das Imperium im Krieg gegen die außerirdische Zivilisation der Cielcin, die mit ihren gewaltigen Eisschiffen bereits Tausende Planeten zerstört haben - einem Krieg, in dem sich Hadrian Marlowe als Held hervorgetan hat. Umso schwerer wiegt sein Verrat, wegen dem er auf seine Hinrichtung wartet: Er hat ein ganzes Sonnensystem ausgelöscht. Nun, kurz vor seinem Tod, erinnert sich Hadrian an sein Leben. Dies ist seine Geschichte …

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Seitenzahl: 1371

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Das Buch

In einer weit entfernten Zukunft hat die Menschheit die Galaxie besiedelt und ein gewaltiges Sternenreich errichtet. Seit Jahrhunderten befindet sich das Imperium nun schon im Krieg gegen die außerirdische Zivilisation der Cielcin, die mit ihren Eisschiffen bereits Tausende Planeten zerstört und Milliarden von Menschen getötet und versklavt haben. Weder die genetisch optimierten Adligen noch die Imperiale Legion haben die Cielcin besiegen können, und niemand weiß, woher sie überhaupt kommen und was sie wollen. Als der junge Adlige Hadrian Marlowe dem Schicksal entfliehen will, das sein grausamer Vater für ihn vorgesehen hat, verschlägt es ihn an den Rand des Imperiums. Verraten und von allen verlassen muss er sich als Diener und Gladiator durchkämpfen – bis er eines Tages in den uralten Ruinen auf einer fremden Welt eine Entdeckung macht, die sein Schicksal und die Zukunft des Imperiums für immer wenden wird. Dies ist die Geschichte von Hadrian Marlowe, dem Sonnenfresser.

Der Autor

Christopher Ruocchio konnte lesen, bevor er zu sprechen begann. Als er feststellte, dass er kein Astronaut werden würde, beschloss er, Romanautor zu werden, und begann zu schreiben. Er ist Absolvent der North Carolina State University und arbeitet als Assistant Editor bei Baen Books. Mit »Imperium der Stille« veröffentlichte er seinen ersten Roman. Christopher Ruocchio lebt in Raleigh, North Carolina.

Mehr über den Autor und sein Werk auf:

diezukunft.de

CHRISTOPHER RUOCCHIO

DAS

IMPERIUM

DER STILLE

ROMAN

Aus dem Amerikanischenvon Kirsten Borchardt

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAGMÜNCHEN

Titel der Originalausgabe

EMPIRE OF SILENCE – SUN EATER, BOOK ONE

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Deutsche Erstausgabe 11/2018

Redaktion: Catherine Beck

Copyright © 2018 by Christopher Ruocchio

Copyright © 2018 der deutschsprachigen Ausgabe byWilhelm Heyne Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbH,Neumarkter Straße 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München,nach einer Gestaltung von Patrick Knowles / Orionbooks,unter Verwendung von Arcangel / COLLABORATION JS, Shutterstock

Satz: Schaber Datentechnik, Austria

ISBN: 978-3-641-20346-7V001

diezukunft.de

Für meine Großeltern:

Albert und Eleanor. Deslan und James.

Es hat zu lange gedauert, bis es fertig war.

Tut mir leid, dass es so spät kommt.

Dies ist der Bericht desSonnenfressers Hadrian Marlowe über denKrieg zwischen Menschen und Cielcin,ins klassische Englisch übersetztvon Tor Paulos von Nov Belgaer auf Colchis.

1

HADRIAN

Licht.

Das Licht der gemordeten Sonne verbrennt mich noch immer. Ich sehe es durch die Augenlider, wie es an jenem blutigen Tag hell lodernd aus der Geschichte herausbrannte und unbeschreibliche Feuer erahnen ließ. Es wirkte wie etwas Heiliges, als sei es das Licht aus Gottes eigenem Himmel, das die Welt verschlang und dabei Milliarden Leben mit sich riss. Dieses Licht trage ich immer in mir, eingebrannt in die Winkel meines Bewusstseins. Ich will mich für das, was ich tat, weder entschuldigen noch herausreden oder es gar leugnen. Ich weiß, was ich bin.

Die Scholastiker würden vielleicht ganz am Anfang beginnen, bei unseren entfernten Vorfahren, die sich in ihren wackligen Raumschiffen von der Alten Erde aus auf den Weg machten und in mehreren großen Peregrinationen zu neuen, lebenden Welten aufbrachen. Aber nein. Das würde mehr Bände füllen und mehr Tinte kosten, als meine großzügigen Gastgeber mir überlassen haben, und davon abgesehen hätte selbst ich, der mehr Zeit hat als jeder andere, dazu nicht genügend Jahre.

Sollte ich dann also eine Chronik des Kriegs verfassen? Damit beginnen, wie die außerirdischen Cielcin aus den Weiten der Galaxie über uns herfielen, mit Raumschiffen wie Schlössern aus Eis? Die Geschichten dieser Schlachten und die Zahl der Toten sind anderswo zu finden und zu lesen. Reine Statistik. Doch selbst wenn man sie im Kontext betrachtet, lässt sich nicht wirklich vergegenwärtigen, was dieser Krieg gekostet hat. Wie viele Städte dem Erdboden gleichgemacht und wie viele Planeten verbrannt wurden. Wie viele Milliarden unseres Volks aus ihren Welten herausgerissen wurden, um diesen Bleichling-Ungeheuern als Nahrung und Sklaven zu dienen. Familien so alt wie Imperien vergingen in Licht und Feuer. Zahllose Geschichten dieser Art gäbe es, doch so viele es auch sein mögen, auch sie sind nicht genug. Das Imperium hat seine offizielle Version der Ereignisse, und sie endet mit meiner Hinrichtung, wenn Hadrian Marlowe vor den Augen der ganzen Welt am Galgen baumeln wird.

Ich zweifle nicht, dass dieser dicke Band in dem Archiv, in dem ich ihn zurückgelassen habe, lediglich Staub ansetzen wird, eines von Milliarden Manuskripten auf Colchis. Vergessen. Vielleicht ist es auch gut so. Die Welten haben genug von Tyrannen, Mördern und der Vernichtung ganzer Völker gehört.

Aber ihr werdet weiterlesen, denn die Vorstellung, in die Gedanken eines solchen Monsters einzutauchen, wie es aus meinem Bild erschaffen wurde, ist viel zu verlockend. Ihr werdet nicht zulassen, dass man mich vergisst, denn ihr wollt wissen, wie es war, an Bord dieses unmöglichen Schiffs zu stehen und einem Stern das Herz herauszureißen. Ihr wollt wissen, wie sich die Hitze zweier brennender Zivilisationen anfühlt, und ihr wollt dem Drachen begegnen, dem Teufel, der den Namen trägt, den mir mein Vater gab.

Also wollen wir uns nicht mit der Geschichte aufhalten, und auch nicht mit der Politik und dem Stechschritt der Imperien. Vergesst die Anfänge der Menschheit im Feuer und der Asche der Alten Erde und ignoriert die Cielcin, die sich aus Kälte und Dunkelheit erhoben. All das wurde anderswo in allen Sprachen der Menschheit und ihrer Untertanen festgehalten. Begeben wir uns an den einzigen Anfang, der wahrlich mir gehört: an den Anfang meines Lebens. Geboren als der älteste Sohn und Erbe von Alistair Marlowe, Archon der Meidua-Präfektur, Schlächter von Linon und Herr von Devil’s Rest.

Wahrlich kein Ort für ein Kind, jener Palast aus dunklem Stein, doch eben nun einmal das Heim, in dem ich aufwuchs, umringt von den Logotheten und bewaffneten Peltasten, die im Dienst meines Vaters standen. Aber mein Vater wollte niemals ein Kind. Er wollte einen Erben, jemanden, der den Anspruch auf seinen Teil des Imperiums verteidigen und sein Werk in seinem Sinne fortführen würde. Er wollte keinen Menschen, sondern den Fortbestand unserer Familie. Er taufte mich auf den uralten Namen Hadrian, dem weiter keine Bedeutung innewohnte außer der Erinnerung an jene Männer, die ihn vor mir getragen hatten. Der Name eines Kaisers, ideal für Menschen, die regieren und denen man folgt.

Namen bergen eine gewisse Gefahr. Sie prägen uns von Beginn an, zum Guten oder zum Schlechten, führen uns in eine bestimmte Richtung oder fordern unseren Widerspruchsgeist heraus. Ich hatte ein langes Leben, länger als die genetischen Optimierungsmaßnahmen der Fürstenhäuser es gewähren können, und ich hatte viele Namen. Während des Kriegs war ich Hadrian der Halbsterbliche und Hadrian Ohnetod. Nach dem Krieg war ich der Sonnenfresser. Die armen Menschen von Borosevo kannten mich als einen Myrmidon namens Had. Für die Jaddi war ich Al Neroblis. Für die Cielcin Oimn Belu und Schlimmeres. Ich bin vieles gewesen: Soldat und Diener, Hauptmann und Gefangener, Zauberer und Gelehrter, auch einmal kaum mehr als ein Sklave.

Aber bevor ich all das wurde, war ich zunächst einmal ein Sohn.

Meine Mutter kam zu meiner Geburt zu spät, aber dann sahen meine Eltern beide von einer Plattform über dem Geburtssaal zu, wie man mich aus dem Aufzuchtbottich dekantierte. Es heißt, ich hätte geschrien, als mich die Scholastiker auf die Welt holten, und dass ich von Anfang an schon alle Zähne besaß. Doch so werden alle Menschen von Stand geboren: Ohne die Mutter körperlich zu belasten und sorgsam überwacht von den kritischen Augen des Imperialen Hochkollegs, das dafür Sorge trägt, dass sich unsere genetischen Abweichungen nicht in Defekte verwandeln und unser Blut nicht verunreinigt wird. Davon abgesehen hätte die althergebrachte Art der Schwangerschaft es erfordert, dass meine Eltern das Bett miteinander teilten, wozu keiner von beiden bereit gewesen wäre. Wie die meisten Aristos hatten auch meine Eltern aus politischem Kalkül geheiratet.

Meine Mutter zog, wie ich später erfuhr, die Gesellschaft von Frauen der Nähe meines Vaters vor und verbrachte nur wenig Zeit auf dem Familiensitz; sie war ausschließlich bei gesellschaftlichen Anlässen an der Seite meines Vaters zu sehen. Er hingegen stellte seine Arbeit über alles. Lord Alistair Marlowe war kein Mensch, der sich seinen Lastern hingegeben hätte. Das fing schon damit an, dass er keine Laster hatte. Er war besessen von seinem Amt und vom guten Namen unseres Hauses.

Als ich geboren wurde, wütete der Kreuzzug schon dreihundert Jahre, seit der ersten Schlacht mit den Cielcin bei Cressgard, aber das alles war weit weg: Der Krieg tobte etwa zwanzigtausend Lichtjahre durch Imperium und Raum entfernt, dort, wo sich der Schleier zum Norma-Spiralarm hin öffnete. Zwar gab sich mein Vater alle Mühe, mir den Ernst der Lage zu vermitteln, aber zu Hause war das Leben ruhig, wenn man einmal davon absah, dass alle zehn Jahre unter dem einfachen Volk wieder neue Truppen für die Imperialen Legionen ausgehoben wurden. Selbst mit den schnellsten Schiffen waren wir Jahrzehnte von den Schauplätzen des Kriegs entfernt, und trotz der Tatsache, dass die Cielcin für unsere Art die größte Bedrohung darstellten, die es seit dem Ende der Alten Erde gegeben hatte, war die Lage gar nicht einmal so übel.

Wie man in einem Elternhaus wie dem meinen erwarten konnte, wurde ich fast sofort nach der Geburt den Bediensteten meines Vaters übergeben. Zweifelsohne war Vater keine Stunde nach meiner Geburt wieder zu seiner Arbeit zurückgekehrt, in der festen Überzeugung, schon mehr als genug Zeit mit einer so störenden Ablenkung wie einem Kind verschwendet zu haben. Meine Mutter hingegen kehrte in das Haus ihrer Mutter zurück, zu ihren Geschwistern und Geliebten – sie hielt sich, wie ich schon erwähnte, von den düsteren Geschäften meiner Familie fern.

Dabei ging es um Uran. Auf den Besitzungen meines Vaters befanden sich einige der reichsten Abbaugebiete im Sektor, und unsere Familie kontrollierte die Förderung schon seit Generationen. Das Geld, das meinem Vater durch die Geschäfte mit dem Wong-Hopper-Konsortium und der Freihandelsunion zufloss, hatte ihn zum reichsten Mann von ganz Delos gemacht; er war sogar wohlhabender als die Vizekönigin, meine Großmutter.

Ich war vier, als Crispin zur Welt kam, und mein kleiner Bruder erwies sich von Anfang an schon allein deswegen als perfekter Erbe, weil er meinem Vater, wenn auch sonst niemandem, in jeder Hinsicht gehorchte. Mit zwei Jahren war er schon fast so groß wie ich mit sechs, und mit fünf überragte er mich um einen Kopf – ein Größenunterschied, den ich nie wieder aufholte.

Man ließ mir die Erziehung angedeihen, wie sie wohl dem Sohn des Archons einer Präfektur zukam. Der Kastellan meines Vaters, Sir Felix Martyn, brachte mir den Kampf mit Schwert, Schildgurt und Handfeuerwaffen bei, zeigte mir, wie man eine Lanze abfeuert, und stählte meinen Körper gegen jegliche Trägheit. Von Helene, der Haushofmeisterin der Burg, lernte ich Haltung und Benehmen: wie man sich elegant verbeugt, anderen die Hand gibt und sie formvollendet anspricht. Man brachte mir bei, wie man tanzt, ein Pferd reitet, eine Jolle segelt und eine Raumfähre fliegt. Von Abiatha, dem alten Kantor, der den Glockenturm und den Altar der Kantorei pflegte, lernte ich nicht nur Gebete, sondern auch Skeptizismus, und ich erfuhr, dass auch Priester zweifeln. Von seinen Vorgesetzten, den Prioren der Heiligen Terranen Kantorei, lernte ich solche Gedanken zu verbergen; sie waren schließlich Ketzerei. Und natürlich war da noch meine Mutter, die mir Geschichten erzählte – die Legenden von Simeon dem Roten, Cid Arthur und Kasia Soulier. Oder von Kharn Sagara. Ihr lacht, aber diesen Geschichten wohnt ein Zauber inne, dem man sich nicht entziehen kann.

Doch es war vor allem Tor Gibson, der mich zu dem Mann werden ließ, der ich heute bin. Er lehrte mich die erste wichtige Lektion: »Wissen ist die Mutter der Narren«, erklärte er. »Vergiss nicht: Weisheit besteht in erster Linie darin, deine eigene Unwissenheit zu erkennen.« Solche Dinge sagte er immer. Er unterrichtete mich in Rhetorik, Arithmetik und Geschichte. Er schulte mich in Biologie, Mechanik, Astrophysik und Philosophie. Er brachte mir Sprachen bei und weckte meine Liebe für Worte. Mit zehn beherrschte ich Mandar ebenso gut wie jedes Kind der Weltraum-Korporationen, und die Feuerdichtung von Jadd las ich so fließend, als sei ich selbst ein treuer Anhänger dieses Glaubens. Vor allem aber lehrte Gibson mich vieles über die außerirdischen Cielcin, jene mörderische, plündernde Geißel der Menschheit, die am Rand unserer Zivilisation lauerte. Er weckte in mir die Faszination für die außerirdischen Xenobiten und ihre Kulturen.

Ich kann nur hoffen, dass ihn die Geschichtsschreibung dafür nicht verdammen wird.

»Du siehst entspannt aus«, sagte Tor Gibson, dessen Stimme wie ein trockener Wind durch die stille Luft der Übungshalle fuhr.

Mit langsamen Bewegungen löste ich mich aus der komplizierten Haltung, die ich zur Dehnung meiner Muskeln eingenommen hatte, und glitt geschmeidig in die nächste Position, bei der ich mein Rückgrat ein wenig verdrehte. »Sir Felix und Crispin werden bald hier sein, darauf möchte ich mich vorbereiten.« Durch die kleinen Bogenfenster, die hoch oben in den steinernen Wänden eingelassen waren, konnte ich leise den Ruf von Seevögeln wahrnehmen, die allerdings durch den Energieschild des Hauses gedämpft wurden.

Der alte Scholastiker tat einige Schritte, die Miene steinern und unbewegt, und trat in mein Blickfeld; die Filzschlappen an seinen Füßen scharrten leise über den Mosaikboden. Zwar war er vom Alter gebeugt, aber er überragte mich dennoch. Ein Lächeln lag auf seinem kantigen Gesicht, das von einer Mähne weißen Haars umrahmt wurde, und durch die langen Koteletten erinnerte er an einen der Löwen von jener Art, wie sie die Vizekönigin in ihrer Menagerie hielt. »Du hoffst wohl darauf, dass sich der kleine Herr nach einem gut gezielten Stoß deinerseits mit Schwung auf den Hintern setzt?«

»Auf welchen Hintern?«, fragte ich grinsend, und meine Stimme knarrte ein wenig vor Anstrengung, da ich mich gerade hinunterbeugte, um nach meinen Zehen zu fassen. »Den zwischen seinen Ohren?«

Gibsons dünnes Lächeln verschwand. »Du solltest nicht so von deinem Bruder sprechen.«

Ich zuckte die Achseln und rückte einen der dünnen Riemen zurecht, die mein Duellwams über dem Hemd straffzogen. Dann ließ ich Gibson stehen und ging zu dem Gestell hinüber, an dem die Übungswaffen hingen. Direkt daneben befand sich der Fechtkreis, eine leicht erhöhte Holzplattform von etwa sieben Metern Durchmesser, die mit Markierungen für Zweikämpfe versehen war. »Hatten wir heute eine Lehrstunde, Gibson? Ich dachte, sie sei erst für den Nachmittag vereinbart.«

»Was?« Er neigte den Kopf und schlurfte ein wenig näher, was mich daran erinnerte, dass er sich zwar noch sehr geschmeidig bewegte, aber eben doch kein junger Mann mehr war. Er war schon nicht mehr jung gewesen, als sein Orden ihn zum Tutor meines eigenen Vaters bestimmt hatte, und Vater war inzwischen schon fast dreihundert Standardjahre alt. Gibson legte die Hand hinters Ohr. »Wie war das?«

Wieder ihm zugewandt, wiederholte ich meine Frage in klareren Worten; außerdem richtete ich mich gerade auf, so wie man es mir zur besseren Vermittlung des Gesprochenen beigebracht hatte. Eines Tages würde ich Archon dieser alten Burg sein, und eine perfekte Beherrschung der Redekunst zählt zu den wichtigsten Werkzeugen eines Paladins. »Ich dachte, unsere Stunde sei erst später.«

Er konnte das doch nicht vergessen haben. Er vergaß nie etwas. Das wäre an und für sich äußerst erstaunlich, wäre diese Fähigkeit nicht grundsätzlich erforderlich für das, was er war: ein Scholastiker, ein menschlicher Computer, dessen Verstand so trainiert war, dass er die daimonischen Maschinen ersetzen konnte, deren Einsatz das heiligste Gesetz der Kantorei verbot. »So ist es, Hadrian. Später, genau.« Er hustete in seinen grünen Ärmel und betrachtete sinnend die Kameradrohne, die unter dem Deckengewölbe lauerte. »Ich hatte gehofft, dich kurz unter vier Augen sprechen zu können.«

Das für den Übungsgebrauch abgestumpfte Korbschwert wollte mir kurz aus der Hand rutschen, aber ich packte es wieder fest. »Jetzt?«

»Bevor dein Bruder und der Kastellan hier erscheinen, ja.«

Ich schob das Schwert zurück an seinen Platz zwischen den Rapieren und Säbeln und warf selbst einen kurzen Blick auf die Drohne, deren Linse, wie ich wusste, darauf ausgerichtet war, mich im Blick zu behalten. Immerhin war ich der älteste Sohn des Archons und wurde daher ebenso geschützt – und überwacht – wie Vater selbst. Es gab zwar Orte in Devil’s Rest, in denen man ein wirklich privates Gespräch hätte führen können, aber keiner davon befand sich in der Nähe der Übungshalle. »Hier?«

»In der Klausur.« Der Anblick meiner nackten Füße schien Gibson kurz abzulenken. »Keine Schuhe?«

Meine Füße waren nicht die eines verwöhnten Edlen. Sie sahen eher aus wie die eines Leibeigenen, und die Hornhaut an den Sohlen war so dick, dass ich die Gelenke meiner größeren Zehen fest mit Pflaster umwickelt hatte, damit die Haut nicht riss. »Sir Felix meint, mit nackten Füßen ließe es sich am besten trainieren.«

»Ach, tatsächlich?«

»Seiner Meinung nach verrenkt man sich dann seltener die Knöchel.« Doch dann unterbrach ich mich, weil mir nur zu bewusst war, dass wir nicht viel Zeit hatten. »Unsere Unterhaltung … kann das warten? Sie werden sicher gleich hier sein.«

»Wenn es sein muss.« Gibson ließ den Kopf hängen und strich mit kurzfingrigen Händen sein Gewand und die bronzefarbene Schärpe glatt. Mit meiner Duellkleidung kam ich mir im Vergleich schäbig vor, obwohl seine Sachen eigentlich ganz schlicht waren. Es war ein einfacher Baumwollstoff, allerdings schön gefärbt in jenem Ton, der grüner ist als das Leben selbst.

Der alte Scholastiker schien gerade noch etwas sagen zu wollen, als die Flügeltür der Halle krachend aufschlug und mein Bruder erschien, wie immer ein wölfisches Grinsen auf den Lippen. Crispin war in jeder Hinsicht mein genaues Gegenteil: Er war hochgewachsen, ich klein, er war stark gebaut, ich hingegen dünn wie eine Reitgerte, und im Vergleich zu seinem eckigen Gesicht wirkte meines schmal. Dennoch war unsere Verwandtschaft nicht zu übersehen. Wir hatten beide dasselbe tintenschwarze Marlowe-Haar, dieselbe marmorne Gesichtsfarbe, dieselbe gebogene Nase und dieselben hervortretenden Brauen über unseren violetten Augen. Unübersehbar waren wir beide das Produkt derselben genetischen Konstellation, und unsere Genome waren auf dieselbe Weise verändert worden, um demselben Muster zu entsprechen. Die edlen und auch die nicht ganz so edlen Fürstenfamilien ließen es sich sehr viel kosten, dass ihre Nachkommen bestimmte Äußerlichkeiten aufwiesen, damit dem kundigen Auge schon die genetischen Kennzeichen von Körper und Gesicht die Zugehörigkeit zu einem Adelsgeschlecht verrieten, nicht nur die Symbole auf den Uniformen und Bannern.

Der knorrige Kastellan, Sir Felix Martyn, folgte in Crispins Kielwasser; er trug lederne Duellkleidung und hatte die Ärmel bis zu den Ellenbogen aufgerollt. »Nanu! Schon zur Stelle?«

Ich ging an Gibson vorbei auf die beiden zu. »Nur Dehnungsübungen, Sir.«

Der Kastellan neigte den Kopf ein wenig und kratzte sich im verworrenen grauschwarzen Haar. »Na dann.« Dann erst fiel sein Blick auf den Scholastiker. »Tor Gibson! Wie ungewöhnlich, Sie um diese Zeit außerhalb der Klausur zu sehen!«

»Ich hatte Hadrian gesucht.«

»Brauchen Sie ihn?« Der Ritter schob sich die Daumen in den Gürtel. »Wir haben jetzt eine Übungsstunde.«

Gibson schüttelte schnell den Kopf und vollführte eine angedeutete Verbeugung vor dem Kastellan. »Das kann warten.« Still und schnell verließ er den Saal. Die Türen fielen hinter ihm ins Schloss und schickten ein gedämpftes Wumm durch die überwölbte Halle. Ganz kurz machte Crispin den gebeugten, leicht hinkenden Gang Gibsons nach. Ich warf ihm einen bösen Blick zu, und mein Bruder hatte zumindest den Anstand, ein wenig verlegen auszusehen, während er sich mit den Handflächen das ziegenschwarze Stoppelhaar glättete.

»Schilde vollständig aufgeladen?«, fragte Sir Felix, der die Hände mit einem dumpfen, ledernen Klatschen zusammenschlug. »Sehr gut.«

In den Legenden erlernen die Helden die Kampfkunst fast immer von einem Eremiten mit Sonnenstich, der sie erst einmal Katzen jagen, Fahrzeuge säubern und Gedichte schreiben lässt. In Jadd leisten die Schwertmeister, die Maeskoloi, tatsächlich all diese Dinge, manchmal jahrelang, bevor sie überhaupt ein Schwert in die Hand bekommen – zumindest erzählt man sich das. Bei mir war das anders. Unter Sir Felix durchlief ich eine harte Ausbildung unaufhörlichen Drills. Täglich verbrachte ich viele Stunden in seiner Obhut und lernte dabei, mich körperlich zu behaupten. Statt auf Mystik setzte er auf Wiederholung und ließ uns so lange immer wieder dieselben anstrengenden Übungen ausführen, bis uns Bewegungen wie Zustoßen und Parieren so leichtfielen wie das Atmen. Denn bei den Angehörigen der Fürstenfamilien im Sollanischen Imperium – Männern wie Frauen – gilt Kampfgeschick als wichtige Tugend, und zwar nicht nur, weil einige von uns eventuell den Ritterstand oder den Dienst in einer der Legionen anstreben, sondern auch, weil das Duellieren als Sicherheitsventil betrachtet wird, um Spannungen abzubauen, die sonst in Vendetten münden könnten. Daher wird von jedem Nachkommen eines Fürstenhauses erwartet, dass er oder sie bereits früh den Umgang mit Waffen lernt, um die Ehre des Familiennamens, wenn nötig, zu verteidigen.

»Ich habe vom letzten Mal noch eine Rechnung mit dir offen, weißt du«, erklärte Crispin, als wir unser Training beendet hatten und uns im Fechtkreis gegenüberstanden. Seine dicken Lippen verzogen sich zu einem verzerrten Lächeln und ließen ihn genau wie die stumpfe Schlagwaffe aussehen, die er war.

Ich lächelte ebenfalls, hoffte aber, dabei nicht ebenso großmäulig auszusehen. »Dazu müsstest du mich erst einmal erwischen.« Schlagbereit richtete ich die Spitze meiner Schwertklinge nach vorn und wartete auf Sir Felix’ Signal. Irgendwo draußen über unseren Köpfen war das Heulen eines Fliegers zu hören, der tief über die Burg hinwegzog. Das Geräusch ließ das durchsichtige Aluminium der Fensterscheiben erzittern, und ich spürte, wie sich mir alle Härchen aufrichteten. Gleichzeitig legte ich eine Hand auf den Schnapper des dicken Gürtels, der den Energieschild aktivieren würde. Crispin tat es mir nach und ließ dabei die Breitseite seiner Klinge auf seiner Schulter ruhen.

»Crispin, was tust du da?« Die Stimme des Kastellans zerriss den Augenblick wie ein Peitschenknall.

»Was?«

Wie jeder gute Lehrer wartete Sir Felix darauf, dass Crispin selbst merkte, was er falsch gemacht hatte. Als das jedoch nicht geschah, versetzte er dem Jungen mit seinem Übungsschwert einen Schlag gegen den Arm. Crispin schrie auf und starrte unseren Lehrer böse an. »Wenn das ein Hochmaterie-Schwert gewesen wäre, das du so gegen deine Schulter lehnst, hättest du dir damit den Arm abgetrennt. Die Klinge muss vom Körper weg zeigen, Junge. Wie oft muss ich dir das noch sagen?«

Verlegen korrigierte auch ich meine Haltung.

»Wenn es Hochmaterie wäre, hätte ich das schon nicht vergessen«, gab Crispin als schwache Entschuldigung zurück. Das stimmte. Er war kein Narr, ihm fehlte nur die Ernsthaftigkeit, die wahrer Größe vorausgeht.

»Jetzt hört ihr mir beide einmal zu«, raunzte Felix, damit Crispin gar nicht erst weitersprach. »Euer Vater wird mich den Katharern überantworten, wenn ich keine erstklassigen Kämpfer aus euch mache. Ihr wehrt euch bisher ganz ordentlich, aber ordentlich nützt euch in einem echten Kampf überhaupt nichts. Crispin, du musst deine Haltung straffen. Du bietest nach jedem Angriff einladend viele Kontermöglichkeiten, und du!« Jetzt deutete er mit dem Übungsschwert auf mich. »Deine Haltung ist gut, Hadrian, aber du brauchst mehr Entschlossenheit. Du gibst deinen Gegnern zu viel Zeit, sich wieder zu erholen.«

Ich nahm seine Kritik ohne Widerspruch hin.

»En garde!«, rief Felix jetzt und streckte seine Klinge flach zwischen uns hin. »Schilde!«

Gleichzeitig zogen wir an den Schnappern, um die Schutzschilde zu aktivieren. Die Energiemäntel, die uns nun umgaben, waren zwar nutzlos, solange es um einen Schwertkampf in menschlicher Geschwindigkeit und Schlagkraft ging, aber es war gut, sich frühzeitig an sie zu gewöhnen, beispielsweise an das leicht verzerrte Licht, das durch die durchlässige Membran fiel. Die durch ein Royse-Feld erzeugte Barriere wehrte Hochgeschwindigkeitseinschläge ohne große Schwierigkeiten ab, sie hielt Kugeln auf, stoppte Plasmaexplosionen und neutralisierte die elektrische Spannung von Nervendisruptoren. Gegen ein Schwert richtete sie allerdings überhaupt nichts aus. Felix ließ die Klinge heruntersausen, eine Bewegung, die daran erinnerte, dass er gelegentlich auch als Scharfrichter fungierte, und die stumpfe Spitze schlug auf den Boden. »Los!«

Crispin federte von seiner Linie ab und riss die Klinge leicht nach hinten, um die ganze Kraft aus Ellenbogen und Schulter in den Stoß zu legen. Ich hatte diese Bewegung schon lange vorher kommen sehen und duckte mich rechtzeitig; das Schwert pfiff über meinen Kopf hinweg. Crispin vollführte eine Drehung, nach der er mir seine rechte Seite schutzlos darbot, und ich hatte genau den richtigen Winkel, um seinen ungedeckten Rücken und die Schulter zu treffen. Stattdessen schubste ich ihn lediglich.

»Stopp!«, bellte Felix. »Du hattest eine perfekte Gelegenheit zum Stoß, Hadrian!«

So ging es weiter, gefühlt stundenlang. Zwischendurch griff uns Sir Felix immer noch einmal selbst an. Crispin kämpfte wie ein Wirbelwind, schlug wild von oben oder von der Seite zu, um möglichst auszunutzen, dass er eine größere Reichweite und zudem sehr viel Kraft hatte. Ich war immer schneller. Stets fing ich seine Klinge mit meiner ab und wich dann zum Rand des Fechtkreises zurück. In all den Jahren, die seitdem verstrichen sind, war ich stets dankbar, dass Crispin mein erster Gegner war. Er kämpfte wie ein Frachter, wie einer dieser riesigen Drohnen-Mähdrescher, die mit ihren Auslegern ganze Felder abernten können. Dass er mir durch seine Körpergröße und Kraft überlegen war, bereitete mich auf die Kämpfe mit den Cielcin vor, von denen die kleinsten beinahe zwei Meter messen.

Crispin versuchte, mein Schwert zu blockieren und gegen den Boden zu drücken, damit er Zeit bekam, um nach meinen Rippen zu schlagen. Einmal war ich darauf schon hereingefallen, und ich spürte bereits, wie die Prellung unter meinem Duellwams anschwoll. Meine Füße kratzten über das Holz, und ich ließ Crispin seinen Streich scheinbar ungehindert ausführen. Er hingegen hatte mit Widerstand gerechnet, und durch die Kraft, die er in seinen Schlag gelegt hatte, rutschte er aus; das gab mir die Gelegenheit, ihm mit der flachen Hand eine Ohrfeige zu versetzen. Er stolperte, und nun ließ ich einen Schwerthieb folgen. Felix klatschte in die Hände und hieß uns innehalten. »Sehr gut. Etwas weniger konzentriert als sonst, Hadrian, aber du hast ihn tatsächlich getroffen.«

»Zweimal«, brummte Crispin, der sich das Ohr rieb, während er sich wieder aufrappelte. »Das hat verdammt wehgetan.« Ich bot ihm meine Hand, aber er schlug sie weg und stand stöhnend auf.

Felix gab uns kurz Zeit zum Ausruhen, dann ließ er uns wieder gegeneinander antreten. »Los!« Seine Klinge schlug auf den Boden, und wir gingen in die nächste Runde. Crispin griff an, ich wich zur rechten Seite aus und parierte seinen Schlag, während er an mir vorüberschoss. Mit zusammengebissenen Zähnen wirbelte ich herum, um ihn am Rücken zu treffen, aber zu spät. Felix stieß hörbar den Atem durch die Zähne aus.

Crispin fuhr herum und schlug in weitem Bogen zu, um zwischen uns Raum zu schaffen. Das hatte ich vorausgesehen und konnte rechtzeitig beiseitespringen. Mit tief geführtem Schwert stieß ich zu. Crispin schlug meine Klinge nach unten und versuchte, mich an der rechten Schulter zu treffen, aber ich fing mich schnell, parierte mit einer kleinen Drehung meines Handgelenks und konnte Crispins Schwert mit meinem blockieren. Er behielt die Klinge fest im Griff, drehte sich aber leicht und zeigte mir den ungedeckten Rücken.

»Crispin!« Der Kastellan lief vor Ärger tiefrot an. »Was zur Hölle tust du da?«

Der laute Ruf ließ Crispin innehalten, und ich versetzte ihm einen kräftigen Schlag in den Bauch. Mein Bruder schnaufte und starrte mich unter seinen schweren dicken Brauen böse an. Nun trat der Ritter-Kastellan in den Fechtkreis und betrachtete meinen Bruder mit seinen dunklen Augen. »Was an der Anweisung ›die Haltung straffen‹ hast du nicht verstanden?«

»Sie haben mich abgelenkt!« Crispins Stimme wurde schrill. »Ich wollte mich gerade befreien!«

»Du hattest ein Schwert!« Sir Felix schüttelte die geöffneten, mit den Flächen nach oben zeigenden Hände. »Du hattest eine zweite Hand! Versucht es noch einmal.«

Dieses Mal wartete Crispin, bis Sir Felix »los!« rief. Dann sprang er mir von der Startposition entgegen, das Schwert hoch erhoben. Ich schoss nach rechts und sprang sofort wieder nach links, um den wilden Schlag meines Bruders abzufangen. Dann versuchte ich es mit einem Hieb gegen Crispins Rücken, aber er hatte sich schon wieder umgewandt und begegnete meiner Riposte mit seiner eigenen Parade. Seine Augen blitzten, er zeigte die Zähne. Dann schlug er mir das Schwert beiseite und rammte mir seine Schulter gegen die Brust, bückte sich leicht, hob mich hoch und schleuderte mich dann in den Fechtkreis. Der Aufprall trieb mir die Luft aus den Lungen. Crispin, eins achtzig zornige und ganz in Schwarz gekleidete Muskelmasse, sah auf mich herunter.

»Du hast Glück gehabt, Bruder.« Seine dicken Lippen verzogen sich wieder zu diesem gerissenen Lächeln. Sie sahen aus wie Würmer, die man aus einem See gezogen hatte, rosa und feucht. Unerwartet versetzte er mir einen Tritt gegen die Rippen, und ich fuhr zusammen und rang nach Luft. Als er weiterredete und behauptete, dass ich ihn nie hätte treffen können, wenn ich fair gekämpft hätte, überhörte ich das. Falls Sir Felix überhaupt etwas sagte, achtete ich nicht darauf. Crispin war mir nahe, überragte mich. Schließlich hatte er offenbar aufgehört zu reden und wandte sich zum Gehen. In diesem Augenblick schlang ich meinen Fuß um seinen Knöchel und riss ihn nach hinten. Mit einem Ruck kam Crispin zu Fall und landete bäuchlings am Rand des Fechtkreises. Sofort war ich wieder auf den Beinen und riss mein Schwert an mich. Dann setzte ich ihm einen nackten Fuß auf den Rücken und tippte ihm mit der Schneide meiner Waffe seitlich gegen den Kopf.

»Das reicht«, stieß Sir Felix hervor. »Und noch einmal.«

2

WIE ENTFERNTER DONNER

Die schmalen Fenster in Gibsons Klausur standen offen. Sie blickten aus dem zwölften Stock auf einen Innenhof hinab, in dem Bedienstete gerade den Formschnitt der Hecken des Steingartens pflegten. Weißes Sonnenlicht strömte vom eierschalenfarbenen Himmel und warf Lichtflecken über das Durcheinander in Gibsons Arbeitszimmer. An den Wänden standen Bücherregale, die so vollgestopft waren, dass einzelne Blätter wie Schnee herunterrieselten und auf dem Boden zwischen hohen Stapeln weiterer Bücher liegen blieben. Auf manchen Brettern standen und lagen auch Datenkristalle und Rollen mit Mikrofilm, doch das Papier war hundertfach in der Überzahl.

Die Scholastiker lesen.

Die technologischen Beschränkungen, die ihrem Orden zur Strafe für die Ketzerei in früheren Zeiten auferlegt wurden, verbieten den Scholastikern den ungehinderten Zugang sogar zu den beschränkten Technologien, die den imperialen Fürstenhäusern von der Heiligen Kantorei der Erde zugestanden werden. Sie dürfen sich lediglich rein gedanklichen Vergnügungen hingeben, und das ist der Grund, aus dem Bücher – die für Gedanken etwas Ähnliches darstellen wie Bernstein für eine gefangene Fliege – ihre größten Schätze darstellen. Genauso lebte auch Gibson, ein gebeugter alter Mann in seinem durchgesessenen Lehnstuhl, dem Sonnenlicht zugewandt. Mir erschien er wie ein Magier aus den alten Geschichten, als würde Merlins Schatten bis in die Zukunft reichen. Es war allein das Wissen, das seine Schultern gekrümmt hatte, nicht der Lauf langer Jahre. Er war mehr als nur ein Tutor, er war der Repräsentant eines uralten Ordens von Philosophenpriestern, der sich bis zur Gründung des Imperiums und noch weiter zurückverfolgen ließ – bis zu den Mericanii-Maschinenherrschern, die seit sechzehntausend Jahren tot waren. Die Scholastiker berieten die Imperatoren, sie segelten zu dunklen Orten jenseits des Lichts der Sonnen und zu fremden Planeten. Sie dienten in Forscherteams, die der Welt neue Erfindungen und neues Wissen brachten, und sie beherrschten Erinnerungs- und Wahrnehmungstechniken, die über das menschliche Maß weit hinausgingen.

Ich wollte einer von ihnen sein, einer wie Simeon der Rote. Ich wollte die Antworten auf all meine Fragen erfahren und die Beherrschung aller geheimen und arkanen Dinge erlernen. Aus diesem Grund hatte ich Gibson gebeten, mir die Sprache der Cielcin beizubringen. Die Sterne sind zahllos viele, aber damals glaubte ich, dass Gibson sie alle beim Namen kannte. Daher dachte ich, wenn ich denselben Weg einschlug und Scholastiker würde, so wie er, dann könnte ich die Geheimnisse erfahren, die hinter jenen Sternen lagen, und wie der legendäre Simeon dorthin reisen, um vielleicht Orte zu finden, auf die der lange Arm meines Vaters keinen Zugriff hatte.

Schwerhörig, wie er war, hatte Gibson mich nicht bemerkt, als ich eintrat, und daher fuhr er zusammen, als ich ihn aus direkter Nähe ansprach.

»Hadrian! Bei den Knochen der Erde, Junge! Wie lange stehst du schon da?«

Da ich mich in der Rolle des Schülers befand, der vor seinem Lehrer steht, vollführte ich aus Respekt die angedeutete Verbeugung, die mir mein Tanzlehrer einst beigebracht hatte. »Erst einen Augenblick, Mister Gibson. Sie wollten mich sehen?«

»Was? Oh! Ja, ja …« Der Alte bedeutete mir, dass ich die Tür hinter mir schließen sollte, und drückte das Kinn gegen die Brust. Ich wusste, dass diese Bewegung die tief verwurzelte Paranoia des altgedienten Palastbewohners erkennen ließ, den unterdrückten Impuls, sich nach Kameradrohnen und Wanzen umzusehen. In der Zelle eines Scholastikers hätte es zwar keine geben sollen, aber man konnte dessen nie sicher sein. Privatsphäre und Geheimnisse waren die wahren Kostbarkeiten in einem Fürstenhaus. Sehr selten und daher ausgesprochen wertvoll. Gibson behielt mit einem meergrauen Auge den Messingtürknauf im Blick und wechselte vom Galaktischen Standard ins gutturale Lothrianisch, von dem er wusste, dass es keiner der Palastdiener verstand. »Das hier sollte nicht gesagt werden. Es gab entsprechende Anweisungen, verstehst du? Es ist verboten, darüber zu sprechen.«

Das weckte meine Aufmerksamkeit. Ich nahm auf einem niedrigen Hocker Platz, nachdem ich einen Stapel Bücher heruntergeräumt hatte, dann sagte ich, ebenfalls auf Lothrianisch: »Hier herrscht ja ein Durcheinander.«

»Es gibt keinen Zusammenhang zwischen der Ordnung am Arbeitsplatz eines Menschen und der Ordnung in seinem Kopf.« Der Scholastiker versuchte, sein widerspenstiges graues Haar mit einer Hand zu glätten. Es gelang ihm nicht.

»Ist nicht Sauberkeit nahe bei Göttlichkeit?« Mir fiel es schwer, mich in der fremden Sprache auszudrücken. Im Lothrianischen gab es keine Personalpronomen, und das Konzept von Identität war unbekannt. Ich hatte gehört, dass die Menschen dort nicht einmal Namen hatten.

Der Alte schnaubte. »Wir sind aber heute aufmüpfig, wie?« Dann hustete er leise und kratzte sich die buschigen Koteletten. »Nun, dennoch. Diese Nachricht duldet keinen Aufschub. Sie wurde erst letzte Nacht empfangen, sonst wäre sie früher geteilt worden.« Er holte tief Luft und sagte dann in gemessenem Ton: »Eine Abordnung des Wong-Hopper-Konsortiums soll noch binnen dieser Woche hier eintreffen.«

»Binnen dieser Woche?« Ich war so verblüfft, dass ich kurz in meine Muttersprache verfiel: »Wie kann es sein, dass ich nichts davon erfahren habe?«

Der Scholastiker sah mich sinnend an und antwortete wieder auf Lothrianisch: »Die QET-Welle kam erst vor einigen Monaten an, das Konsortium ist für diese Reise von der üblichen Handelsroute abgewichen.« Die nächsten Worte folgten ohne Vorwarnung oder Abmilderung. »Cai Shen wurde getroffen. Von den Cielcin zerstört.«

»Was?« Das Wort entschlüpfte mir auf Galstani, und ich verbesserte mich schnell und wiederholte auf Lothrianisch: »Luge?«

Gibson sah mich weiter an, die Augen so starr auf mein Gesicht gerichtet, als sei ich eine Amöbe in der Petrischale eines Magiers. »Die Flotte des Konsortiums erhielt das Telegramm aus dem Cai-Shen-System, direkt bevor der Planet fiel.«

Ist es nicht seltsam, dass man die größten Katastrophen in der Geschichte oft so leer und abstrakt erlebt wie weit entfernten Donner? Ein einzelner Tod, schrieb einmal ein König in alter Zeit, ist eine Tragödie, aber ein Völkermord ist nur als Statistik wahrnehmbar. Ich war nie auf Cai Shen gewesen, hatte meinen Heimatplaneten Delos bisher nie verlassen. Cai Shen war für mich nicht mehr als ein Name. Gibsons Worte trugen das Gewicht von Millionen Menschen, aber meine Schultern spürten nichts davon. Vielleicht haltet ihr mich deswegen für ein Monster, aber kein Gebet und keine Tat meinerseits hätte diese Menschen zurückholen oder das Feuer ihrer Welt löschen können. Ebenso wenig konnte ich schließlich all jene heilen, die von der Kantorei verstümmelt worden waren. Die Macht, die ich als Sohn meines Vaters genoss, hatte ihre Grenzen und lag lediglich in dem Rahmen, den er mir zumaß. Daher nahm ich die Nachricht ohne Trauer auf, und der Schock, den ich zuerst empfunden hatte, wich einer dumpfen Schicksalsergebenheit. Dann überkam mich etwas Tieferes, etwas, das kalt und pragmatisch war, und ich sagte: »Sie suchen nach einer neuen Uranquelle.« Ich klang wie mein Vater.

Der Hauch des Lächelns auf den Zügen des Scholastikers verriet mir noch vor seinen nächsten Worten, dass ich recht hatte. »Sehr gut!«

»Nun ja, was könnte es sonst sein?«

Gibson rutschte geräuschvoll auf seinem Sessel hin und her und versuchte seine alten Knochen seufzend in eine bequeme Position zu bringen. »Nun, da Cai Shen zerstört wurde, ist das Haus Marlowe der größte lizenzierte Uranlieferant des gesamten Sektors.«

Ich schluckte und beugte mich vor, um mein Kinn auf die gefalteten Hände zu stützen. »Das heißt, sie wollen einen Handel abschließen? Über die Minen?« Doch bevor Gibson eine Antwort formulierte, stieg eine dunklere Frage in mir auf, die ich auf Lothrianisch nicht stellen konnte, daher flüsterte ich: »Wieso hat man mich nicht darüber informiert?« Als Gibson nicht reagierte, fiel mir die Bemerkung zu Beginn unseres Gesprächs wieder ein, und ich raunte: »Weil es entsprechende Anweisungen gab.«

»Da.« Er nickte und versuchte, mich wieder zum Lothrianischen zurückkehren zu lassen.

»Ausdrückliche Anweisungen?« Mit einem Ruck lehnte ich mich zurück. »Hat er ausdrücklich gesagt, ich dürfte nichts davon erfahren?«

»Uns wurde befohlen, die Nachrichten niemandem mitzuteilen, der nicht vom Propagandakorps dazu berechtigt ist, und selbst dann nur nach der Freigabe durch den Archon.«

Ich erhob mich, so entsetzt, dass ich auf Galstani weitersprach: »Aber ich bin sein Erbe, Gibson. Er sollte nicht …« Nun fing ich seinen brennenden Blick ein und besann mich wieder auf die Fremdsprache. »Eine solche Sache sollte nicht verborgen werden.«

»Ich weiß nicht, was ich dir sagen soll, mein Junge, ich weiß es wirklich nicht.« Mühelos wechselte er ins Jaddische, während er aus dem Fenster sah. Draußen stieg ein Arbeiter auf einem Gerüst zu einem Fenster mit Buntglas empor, das sich in der pfeilergestützten Mauer öffnete. Hätte ich den Hals gereckt, hätte ich hinter dem Energieschild von hier aus sogar die riesige graue Fläche des Apollanischen Ozeans sehen können, die sich nach Osten zur Krümmung der Welt hin erstreckte. »Tu weiter so, als wüsstest du von nichts, aber bereite dich vor. Du weißt, wie diese Besprechungen sind.«

Nachdenklich saugte ich an der Innenseite meine Wange, dann fuhr ich ebenfalls auf Jaddisch fort: »Aber die Cielcin? Steht es fest, dass es ein Angriff war?«

»Ich habe die Aufzeichnung selbst gesehen, das Konsortium sendet diese letzten Nachrichtenpakete aus Cai Shen ebenso wie die Ankündigung ihres Besuchs über die Welle. Dein Vater ließ Alcuin und mich die ganze Nacht an der Seite der Logotheten übersetzen. Es waren die Cielcin, daran besteht kein Zweifel.«

Wir saßen lange Zeit unbeweglich da. »Cai Shen befindet sich nicht innerhalb des Schleiers«, sagte ich schließlich und bezog mich damit auf den Teil der Galaxie jenseits des Centaurus-Arms, wo sich der größte Teil der Front gegen die Cielcin befand. Ich sah auf meine Hände. »Sie werden kühner.«

»Den letzten Informationen zufolge läuft es mit dem Krieg nicht gerade besser.« Gibson wandte seinen verschwommenen Blick wieder von mir ab, sah aus dem Fenster und hinüber zu den auf antik getrimmten Zinnen und Brustwehren, die das Haus meiner Familie krönten. Der Bedienstete war immer noch dort draußen und polierte mit der Hand das Glas.

Wieder breitete sich Schweigen aus, bis ich es brach. »Meinen Sie, dass sie hierherkommen werden?«

»Nach Delos? Zum Sporn des Orion?« Gibson betrachtete mich konzentriert, und seine buschigen Brauen zogen sich zusammen. »Die Front ist beinahe zweiundzwanzigtausend Lichtjahre entfernt. Ich würde sagen, wir sind im Augenblick in Sicherheit.«

Wieder auf Jaddisch fragte ich: »Wieso will Vater Geheimnisse vor mir hüten? Wie stellt er sich vor, dass ich die Präfektur regieren soll, wenn er mich nicht beteiligt?« Gibson antwortete nicht, und da es die Angewohnheit der Jugend ist, Schweigen großzügig zu überhören, verstand ich nicht, was er mir damit sagen wollte. Stattdessen überwältigte mich die Schwere einer weiteren Frage, die sich nun aufdrängte und die ich nicht länger wegschieben konnte. »Weiß Crispin Bescheid? Über das Konsortium?«

Gibson sah mich mitleidig an. Dann nickte er.

3

DAS KONSORTIUM

Als der Tag kam, an dem das Konsortium eintreffen sollte, waren die Anzeichen für die Vorbereitung in der Burg nicht mehr geheim zu halten. Wong-Hopper, Yamato Interstellar, die Rothsbank und die Freihandelsunion … diese Institutionen überwanden die Grenzen unseres Imperiums und bildeten sozusagen den Kitt des menschlichen Universums. Selbst im weit entfernten Jadd beugten sich die Satrapen und Prinzen den Forderungen der Unternehmen, und so groß mein Vater auch erscheinen mochte, letztlich war er nur ein kleiner Machthaber. Jeder Stein und jede Fliese der schwarzen Burg, die ich mein Zuhause nannte, wurde poliert, und die Uniformen sämtlicher Bediensteter und Peltasten der Leibwache glänzten makellos. Jede Vorbereitung, die hätte getroffen werden können, war getroffen worden: Die Gärten waren in Form geschnitten, die Wandteppiche ausgeklopft, die Flure gewachst, die Soldaten gedrillt, die Gästequartiere vorbereitet. Besonders verräterisch war jedoch, dass ich aus dem Haus verbannt worden war.

»Wir haben einfach nicht die Ausrüstung dafür, Mylord«, erklärte die Vertreterin der Bergbaugilde. Lena Balem legte die Hände flach auf den Tisch, und die weinfarbenen Nägel schimmerten im rötlichen Licht. »Die Aufbereitungsanlage von Redtine Point ist stark reparaturbedürftig, und ohne eine Verbesserung der Schutzmaßnahmen ist damit zu rechnen, dass die Todesrate unter den Arbeitern zum Ende des Standardhalbjahrs bei über fünf Prozent liegen wird.« Aus Balems Akte wusste ich, dass sie ungefähr doppelt so alt war wie ich, knapp über vierzig Standardjahre. Ihr plebejisches Blut, das nicht vom Hochkolleg optimiert worden war, zeigte sich am Grau in ihrem goldenen Haar, an den Falten um die Mund- und Augenwinkel und an den weicher werdenden Konturen der Kinnpartie. Die Zeit forderte bereits ihren Tribut, obgleich Balem, gemessen an den Jahrhunderten, die ich zu leben erwarten konnte, erst ein Kind war. Offenbar hatte ich sie angestarrt oder zu lange geschwiegen, denn sie hielt abrupt inne und sagte: »Entschuldigung, aber ich dachte, ich sollte Ihren Herrn Vater über diese Dinge informieren.«

Ich riss mich zusammen und warf einen kurzen Blick auf den Spiegel über und hinter ihrem Schreibtisch, der die Peltasten in ihren schwarzen Rüstungen zeigte, die an den grauen Metalltüren auf mich warteten, auf den Schaft von Energielanzen gestützt, die länger war als sie selbst. Ihre stumme Anwesenheit ließ mich innehalten, und mühsam konnte ich das schiefe Lächeln zurückhalten, das sich auf meinem Gesicht ausbreiten wollte. »Mein Vater ist unabkömmlich, Mrs. Balem, aber ich werde mich gern mit Ihren Sorgen auseinandersetzen. Wenn Sie allerdings lieber warten möchten, dann kann ich ihm Ihre Probleme später gern darlegen.«

Die braunen Augen der Gildenvertreterin wurden schmal. »Das genügt nicht.«

»Wie bitte?«

»Es muss doch Geld vorhanden sein, um einige dieser Maschinen zu ersetzen!« Sie schlug mit einer Hand auf den Tisch und brachte damit einen unordentlichen Haufen Speicherchips ins Rutschen. Einer fiel vom Tisch vor meine Füße. Instinktiv bückte ich mich, um ihn aufzuheben. Es war ein Fehler: Ein Mann meines Rangs sollte so etwas nicht tun, und ich stellte mir vor, wie sehr mein Vater erbleicht wäre, hätte er mitbekommen, dass sich sein Sohn dazu herabließ, einer Plebejerin zu helfen. Lena Balem kommentierte meine Geste nicht und schien auch nicht besänftigt. Sie beugte sich mir über den Schreibtisch entgegen. »Einige der Strahlenschutzanzüge unserer Arbeiter sind zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre alt. Sie bieten den Bergleuten keinen Schutz, Mr. Marlowe.«

Ohne Aufforderung trat eine der Leibwächterinnen hinter mir einen halben Schritt vor. »Sie werden den Sohn des Archons als Sire oder Lord ansprechen.« Das Visier ihres gehörnten Helms dämpfte ihre Stimme, die trotz der impliziten Drohung vage und unpersönlich blieb.

Balems vorzeitig erschlafftes Gesicht wurde weiß, als sie ihre Verfehlung erkannte. Ich spürte den starken Drang, die Soldatin mit einer Geste zum Schweigen zu bringen, aber innerlich wusste ich, dass sie recht hatte. Vater hätte die Bergbauvertreterin für dieses Vergehen schlagen lassen, aber ich war nicht mein Vater. »Ich verstehe Ihre Sorge, Mrs. Balem«, sagte ich vorsichtig und richtete meine Aufmerksamkeit auf einen Punkt direkt über den hängenden Schultern meines Gegenübers. »Aber Ihre Organisation hat präzise Aufträge. Wir benötigen Ergebnisse.« Vater hatte mir minutiös erklärt, was ich in dieser Besprechung sagen und wie weit ich gehen durfte, um uns des Gehorsams dieser Frau zu versichern. Ich hatte bereits alle diese Mittel ausgeschöpft.

»Ihr Haus, Sire, hat die Förderquoten in den letzten zweihundert Jahren unverändert beibehalten, aber nichts in die Erneuerung der Ausrüstung investiert. Wir kämpfen auf verlorenem Posten, und je mehr Uran wir aus den höheren Lagen fördern, desto tiefer müssen wir irgendwann gehen. Wir haben eine komplette Bohreinheit bei Schachteinstürzen entlang des Flusses verloren.«

»Wie viele Arbeiter?«

»Entschuldigung?«

Ich legte den Datenspeicher, den ich aufgehoben hatte, mit größter Sorgfalt auf das Holzimitat der Tischplatte, sodass die bedruckte Seite nach oben zeigte. »Wie viele Arbeiter haben Sie bei dem Einsturz verloren?«

»Siebzehn.«

»Sie haben mein tiefstes Mitgefühl.«

Überraschung flackerte in den Augen der einfachen Frau auf, als sei der bloße Hauch einer menschlichen Regung das Letzte gewesen, was sie von mir erwartet hatte, so hohl und bedeutungslos sie auch geklungen haben mochte. Mit Worten ist es schließlich oft so. Dennoch war es mir ein Bedürfnis gewesen, sie zu äußern. Hier handelte es sich um eine Tragödie, nicht um eine Statistik, und eine Frau, die mir gegenübersaß, hatte Menschen verloren, die ihr nahestanden. Kurz blieb ihr der Mund vor Verblüffung offen.

Doch das ging schnell vorüber.

»Was nützt Ihr Mitgefühl den Familien der Toten? Sie müssen etwas tun!«

Ich hörte die Peltaste, die sich vorhin zu Wort gemeldet hatte, hinter mir einen Schritt nach vorn treten, und ich stoppte sie mit einer Geste, die Balem nicht wahrnehmen konnte.

Die Bergbauvertreterin fuhr fort: »Es sind ja auch nicht nur die Unfälle, Mylord. Die Maschinen sind uralt, manche waren schon im Einsatz, als mein Großvater noch lebte, die Erde habe ihn selig. Und auch da betrifft es nicht nur Bohrraupen, sondern, wie gesagt, die Raffinerien und die Lastkähne, mit denen wir den Yellowcake den Fluss hinabtransportieren. Jeder Bereich der Produktion steht kurz vor dem Zusammenbruch.«

»Vater legt viel Wert auf seinen Gewinn.« Das Pathos und die Bitterkeit in meiner Stimme überraschten mich selbst. »Aber Sie müssen verstehen, dass ich im Augenblick nicht befugt bin, Ihnen Mittel zum Ersatz von Materialien zur Verfügung zu stellen.«

»Dann muss aber doch zumindest etwas Geld da sein, um einen Teil dieser Maschinen auszutauschen, Mylord.« Sie griff über ihren Schreibtisch und ließ einen kleinen Kubus über einige Papierstapel gleiten. »Im Augenblick arbeiten die Bergleute in den Tunneln mit Äxten und Spaten. Und zwar in Schichten von dreizehn Stunden.« Ihre Stimme wurde lauter. »Haben Sie eine Vorstellung davon, wie viele Arbeiter benötigt werden, um die Leistung dieser Maschinen auszugleichen?«

Mein Lächeln verblasste, und spätestens jetzt wurde Balem bewusst, dass sie gerade die Stimme gegenüber einem Paladin erhoben hatte. Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie Crispin seinen Wachleuten befahl, die Bergbauvertreterin zu schlagen, und hob das Kinn. Ich war weder Crispin noch mein Vater. »Mrs. Balem, diese Maschinen werden nicht in unserem System gefertigt.« Wo sie stattdessen produziert wurden, wusste ich nicht. »Und da die Cielcin die Kolonien innerhalb des Schleiers heimsuchen, ist der interstellare Handel stark unter Druck. Es ist sehr schwer …«

»Es muss doch irgendeine Möglichkeit geben«, unterbrach sie mich und drehte den Würfel in den Händen. Es war nur ein Briefbeschwerer, wie ich jetzt erkannte. Anfangs hatte ich vermutet, es sei ein Speicherkristall von der Art, wie sie oft für Simulationsspiele und virtuelle Umgebungen benutzt wurden. Aber über solche Dinge durften die unteren Klassen nicht verfügen. Man gewährte ihnen nicht einmal Zugang zu dem grundlegenden technischen Wissen, das es ihnen ermöglicht hätte, die altersschwachen Bergbaumaschinen zu ersetzen. Die Produktionsmittel lagen allein in den Händen der Fürstenhäuser und der wenigen spezialisierten Hersteller, die für sie arbeiteten. Hochtechnologie stand nur der Elite zur Verfügung, selbst wenn sie, wie bei den Simulationsspielen, lediglich zu Unterhaltungszwecken diente. Das hier war ein Briefbeschwerer, weiter nichts.

»Höchstwahrscheinlich schon.« Ich sprach mit sanfter Stimme weiter und wich dem Stahl in ihrem Blick aus. Bevor ich meinen Gedanken weiter ausführen konnte, unterbrach mich Lena Balem erneut.

»Und die jetzigen Minen werden sich nur noch eine gewisse Zeit ausbeuten lassen, Mylord. Ohne Bohrer können wir keine neuen Schächte ins Gestein treiben, es sei denn, Ihr Vater wünscht, dass wir unsere Hände verlieren.«

Vielleicht tut er das, dachte ich und schluckte. »Ich verstehe, Mrs. Balem«, erklärte ich und holte wieder tief Luft.

»Wieso wird dann nichts getan, um das Problem zu beheben?« Wieder wurde ihre Stimme lauter.

Jetzt verlor ich endgültig die Kontrolle über dieses Gespräch. Lena Balem hatte eine Hand um den Stahlwürfel geschlossen, und die roten Nägel wirkten wie Krallen, die sich in ein Herz schlugen.

»Die Vertreterin der Gilde sollte sich darauf besinnen, dass sie mit dem Sohn von Lord Alistair Marlowe spricht.« Die andere der beiden Peltasten meldete sich zu Wort. Alle zwei waren sie Wachhunde in Vaters Diensten.

Die Farbe wich aus Lena Balems Wangen, und sie sank auf ihrem Stuhl ein wenig zusammen. Der Name meines Vaters hatte auf seinem Grund und Boden und auch sonst überall auf Delos diese Wirkung. Zwar zählte unsere Familie zu den hundertsechsundzwanzig weniger einflussreichen Häusern, die der Vizekönigin und Herzogin des Planeten die Treue geschworen hatten, war jedoch unter ihnen die reichste und edelste. Zudem standen wir Lady Elmira in ihrem Rat am nächsten; Vater hatte in den letzten Jahren immer mehr Zeit auf dem Schloss der Vizekönigin in Artemia verbracht und sogar eine Weile als ihr Executor gedient, wenn sie auf Kriegszügen unterwegs war. Es bestand durchaus die Möglichkeit, dass man uns eines Tages antragen würde, Meidua und Devil’s Rest zu verlassen, um ein Lehen und einen Titel in einer neuen Welt zu übernehmen, die dann ganz und gar uns gehören würde.

»Ich bitte um Verzeihung, Mylord.« Sie legte den Briefbeschwerer hin, als hätte sie sich daran verbrannt. »Vergeben Sie mir.«

Mit einer Geste wischte ich ihre Entschuldigung beiseite und zeigte ihr wieder mein höflichstes Lächeln. »Da gibt es nichts zu vergeben, Mrs. Balem.« Als mir einfiel, dass die beiden Soldatinnen hinter mir durchaus anderer Meinung gewesen waren, biss ich mir auf die Lippe. »Ich werde Ihre Beschwerden natürlich meinem Vater mitteilen. Falls Sie Unterlagen über Kosten und Nutzen der genannten Ersatzausrüstung haben, würden Lord Alistair und seine Berater diese sicherlich gern sehen.« Mit einem kurzen Blick erfasste ich die Zeit auf dem Terminal an meinem Handgelenk. Wenn ich mich beeilte, konnte ich es vielleicht noch schaffen, bei der Ankunft der Mandari-Besucher zugegen zu sein. »Mrs. Balem, ich würde außerdem vorschlagen, dass Sie eine Prioritätenliste aufstellen, bevor diese Sache an meinen Vater und seine Berater geht. Aber jetzt muss ich mich entschuldigen.« Demonstrativ sah ich wieder auf das Terminal. »Ich habe noch einen Termin.« Die Stuhlbeine scharrten über den Fliesenboden, als ich aufstand.

»Damit kann ich mich nicht zufriedengeben, Mylord.« Lena Balem erhob sich ebenfalls und sah an ihrer übergroßen Nase vorbei auf mich herab. »In den Minen sterben regelmäßig Menschen. Sie brauchen zumindest ausreichend isolierte Umweltanzüge. Meine Leute sterben an Radon, an Strahlenschäden … ich habe Fotos davon …« Sie wühlte in den Stapeln von Ausdrucken auf ihrem Schreibtisch, die Hochglanzfotos von verletzten Oberkörpern und wundem Fleisch zeigten.

»Ich weiß.« Während ich mich abwandte, traten die beiden Wächterinnen vor, um mich in ihre Mitte zu nehmen. Ich fühlte, wie die Spitze meines Parierdolchs gegen mein Bein stieß, und mir kam der Gedanke, dass diese Frau mich möglicherweise hätte angreifen können. In Vaters Gegenwart hätte sie nie getraut, sich so aufzuführen. Ich war zu weich gewesen. Vater hätte sie auspeitschen lassen und sie auf der Hauptstraße von Meidua an den Pranger gestellt, nackt. Crispin hätte sie selbst geschlagen.

Ich verließ lediglich den Raum.

»Eine erfolgreiche Besprechung, Mylord?«, fragte die junge Pilotin, als unser Flieger vom Gildenkomplex in der Unterstadt am Fuß der Kalksteinklippen abhob. Wir gewannen schnell an Höhe, waren schon bald über den Ziegeldächern und Himmelstürmchen der Niederstadt und würden uns gleich in den nicht besonders dichten Luftverkehr einfädeln. Unter uns erstreckte sich die Stadt Meidua wie eine Anatomiezeichnung, wie ein menschlicher Körper, der sich von der Küstenlinie ausgefranst unterhalb der mächtigen Akropolis erstreckte, auf der meine Vorfahren ihre uralte Festung errichtet hatten, die nun unser Heim war.

Ich riskierte einen kurzen Blick auf die Offizierin und schüttelte den Kopf. »Ich fürchte nein, Kyra.« Das Shuttle flog durch ein Wölkchen aus weißem Dampf, der von einem Atomkraftwerk an der Küste aufstieg, während es einen weiten Bogen über das Wasser beschrieb, um sich Devil’s Rest von Osten zu nähern. Oberhalb der aus weißem Stein bestehenden Akropolis erhob sich der schwarze Granit der Schildmauer, und die gotischen Türmchen dahinter saugten das graue Sonnenlicht geradezu auf. Sie wirkten auf diesem Bett aus Kalkstein völlig fehl am Platze, als hätte eine unmenschliche Kraft diese Steine noch rauchend aus dem Herzen des Planeten gerissen – so war es schließlich auch gewesen.

»Tut mir leid, das zu hören, Sire.« Lieutenant Kyra schob sich eine bronzefarbene Locke unter den Schirm ihrer Fliegermütze. Ich warf einen kurzen Blick zu den beiden Peltasten, die im hinteren Bereich der Kabine saßen, und spürte ihre Augen auf mir ruhen.

Mein Gurt straffte sich, als ich mich leicht vorbeugte und fragte: »Sie sind jetzt schon eine Weile bei uns, nicht wahr, Lieutenant?«

»Ja, Sire«, antwortete sie über ihre Schulter hinweg und sah mich kurz an. »Inzwischen sind es vier Jahre!«

Die Nachmittagssonne, die durch die Fenster der Pilotenkanzel schien, rahmte ihr Gesicht in schneeiges Licht, und ich spürte plötzlich eine seltsame Nähe. Es war etwas an ihr, das sie wahrhaftiger, echter erschienen ließ als die hochwohlgeborenen Ladys, denen man mich gewöhnlich vorstellte. Lebendiger. Vielleicht auch … menschlicher.

»Vier Jahre«, wiederholte ich und wandte mich wieder um, damit ich den Umriss ihres Gesichts erkennen konnte, soweit das von meinem Platz auf der hinteren Bank möglich war. »Wollten Sie schon immer eine militärische Laufbahn einschlagen?«

Sie versteifte sich, als ob etwas in meiner Stimme sie wachsam werden ließ. Vielleicht war es der Akzent. Man hat mir öfter schon gesagt, dass ich mich anhöre wie der typische Schurke einer eudoranischen Oper. »Ich wollte unbedingt fliegen, Sire.«

»Dann freue ich mich für Sie.« Meine Aufmerksamkeit durfte nicht so lange auf ihren Zügen ruhen, und errötend blickte ich durch die Fenster auf die Stadt – meine Stadt. Das Gewirr der Straßen, die sich wie Spinnweben über die Klippe zwischen Devil’s Rest und dem Meer erstreckten. Ich sah die grüne Kupferkuppel der Kantorei mit ihren neun Minaretten, die sich wie Lanzen in den Himmel bohrten, und am anderen Ende der Hauptstraße die große Ellipse des Kolosseums, die heute offen dalag, den Elementen schutzlos ausgeliefert. »Es ist schön hier oben.« Ich wusste, dass ich Unsinn plapperte, aber immerhin lenkte mich das von dem ab, was mich am Ende unseres Flugs erwartete: mein Vater und die Mandari-Gäste, die er mir hatte verheimlichen wollen. Ich dachte an Crispin und sein schroffes Lächeln. »Nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste.«

»Außer über die anderen Flieger, Mylord.« Ihr Mundwinkel hob sich und gab kurz den Blick auf milchweißen Zähne frei. Sie lächelte.

Ich lächelte auch. »Ja, natürlich.«

»Fliegen Sie auch, Sire?«, fragte sie, bevor sie dann leise hinzufügte: »Wenn meine Frage Eurer Lordschaft nicht unangenehm ist.«

Ich wandte mich auf meinem Sitz um und sah demonstrativ zu den beiden Peltasten, die an der Ausgangsrampe im hinteren Teil des Fliegers saßen und sich mit den behandschuhten Händen an die Halteschlaufen klammerten, die von der grau verkleideten Decke hingen. »Ist sie mir nicht. Und ja, ich fliege auch. Nicht so gut wie Sie allerdings. Fragen Sie Sir Ardian bei Gelegenheit einmal danach.«

Sie lachte. »Das werde ich tun.«

Es wollte mir nicht gelingen, die dunkle Wolke zu verjagen, die mich einzuhüllen drohte, daher wechselte ich das Thema, den Blick konzentriert auf den kurzflorigen Teppichboden in der Kabine gerichtet: »Ist die Delegation schon in der Burg angekommen?«

»Ja, Mylord«, antwortete Lieutenant Kyra, die unseren Flieger jetzt in einen steilen Sinkflug gehen und ihn dann wieder ein wenig an Höhe gewinnen ließ, bis wir am Rand der Klippen dahinschossen, wo der lebende Fels aufhörte und der importierte schwarze Granit anfing. Jedes Mal, wenn ich die alte Burg aus dieser Perspektive betrachtete, hatte ich das Gefühl, dass es gleich blitzen und donnern müsste. »Vor einigen Stunden.«

Es war, wie ich befürchtet und erwartet hatte – ich würde die Zeremonie verpassen. »Was macht Ihr Vater, Kyra?« Eigentlich hatte ich diese Worte gar nicht laut aussprechen wollen, aber nun waren sie mir entschlüpft, klein und gefährlich, wie sie waren.

»Sire?«

»Ihr Vater«, wiederholte ich, »was macht er?«

»Er arbeitet für das Lichtraster der Stadt, Sire.«

Meine Lippen zuckten und formulierten einen schlechten Witz: »Wollen wir tauschen?«

Die Burg Devil’s Rest, einst entstanden in einer Zeit, die großartiger war als die unsrige, war selbst so groß wie eine Stadt, wenn auch nur ein Zehntel so viele Seelen in und unter ihren Mauern unterwegs waren. Als die ersten Wälle errichtet worden waren, hatte das Sollanische Imperium die Sterne noch in seinem festen Griff gehabt, unangefochten in seiner Macht und Majestät, die einzige menschliche Macht im ganzen Kosmos. Nun waren die großen Tage von Blut und Donner lange vergangen, aber die Festung war geblieben, ein Durcheinander aus zinnenbewehrten Türmchen und knorrigen Mauern, die sich wie wettergebleichte Knochen aus dem Berg über Meidua erhoben. Doch so großartig sie auch erschien, gemessen am heutigen Standard war die Festung klein. Der große Bergfried, eine massive, eckige Bastion aus Stahl, die mit dunklem Stein ummantelt war, erhob sich nur fünfzig Stockwerke über die Plaza an seinem Sockel. Dennoch überragte er die anderen Bauwerke der Burg, sogar die Minarette unserer eigenen Kantorei. Der kleine Klausurturm der Scholastiker wirkte mit seinen zwölf Ebenen geradezu mickrig, wie er so in die äußerste Ecke gedrängt zwischen den Gärten und der äußeren Mauer dastand. Ich marschierte zum Bergfried und durchquerte dabei den Schatten einer Kolonnade. Klappernd schlugen meine Stiefelabsätze auf die Mosaikfliesen.

Meine zwei Wächterinnen hatte ich im Landehangar zurückgelassen, und Kyra war damit beschäftigt, den Flieger herunterzufahren. Aber ich war nicht allein; leicht bewaffnete Peltasten und Hopliten mit Körperschilden und kompletten Keramikpanzern waren in regelmäßigen Abständen entlang der Kolonnade postiert und säumten auch die große Treppe, die zum Viadukt führte, der schließlich in die Plaza vor dem Bergfried mündete. Dort umringte mich eine Gruppe Logotheten von der Dienerschaft, die unser kleines Stück vom Imperium verwaltete. Selbst wenn ich diesen Weg ohne Begleitung entlanggeschritten wäre, ich wäre nicht allein gewesen. Niemand von uns war je allein. Die Kameras waren ständig wachsam.

Ich kam an der Statue des lange schon verstorbenen Julian Marlowe vorüber, der hoch zu Ross das Schwert zum Himmel emporreckte, und stieg dann die weite Marmortreppe zum Haupttor hinauf, wo ich kurz innehielt, um Ritter-Liktorin Uma Sylvia zu grüßen, die an der Tür wachte.

»Mein Vater?« Klar hallte meine Frage durch die Nachmittagsluft.

»Noch im Thronsaal, junger Master!«, gab Sylvia zurück, ohne ihre perfekte Haltung auch nur für eine Sekunde aufzugeben.

Erst überquerte ich die schwarz-weißen Fliesen, dann das flammende Kupfer des imperialen Siegels, schließlich hielt ich auf die innere Treppe zu. Schwarze Banner hingen schwer von den hohen Wänden, zogen sich den hohlen Schacht hinauf, der sich aus der Mitte dieses Raums über dreißig der fünfzig Stockwerke des Bergfrieds erstreckte. Dieses edle Banner, Wappen meiner Väter seit den Tiefen unserer Zeit, jetzt befleckt durch meine Hand. Vielleicht habt ihr es einmal gesehen? Schwärzer als das Schwarz des Raums, darauf der springende rote Teufel und über dessen Dreizack unser Motto: Das Schwert, unser Redner. Zwei solcher Teufel standen sich seitlich neben den schmiedeeisernen Türen zum Saal meines Vaters gegenüber; sie überragten den Spitzbogen des Durchgangs und ließen die Männer, die davor Wache standen, wie Zwerge erscheinen.

Seltsame Vorrichtungen, diese Türen – schwere Flächen aus gegossenem Stahl, rau und mit einem dunklen Firnis behandelt, um sie vor Rost zu schützen. Beide Flügel waren gut dreimal mannshoch und mehrere Zoll dick, sodass das Durcheinander der vielen menschlichen Gestalten, deren Relief die Oberflächen schmückte, scharf hervortrat. Sie wogen einzeln mehrere Tonnen, schwangen aber sanft und mit gnadenloser Leichtigkeit auf, da man sie mit Gegengewichten so perfekt ausbalanciert hatte, dass selbst ein Kind sie hätte öffnen können.

»Master Hadrian!«, begrüßte mich Sir Roban Milosh, ein verschlagen wirkender, dunkelhäutiger Mann mit kleinen Locken. »Sie kommen spät.«

Meine Augen wurden schmal, und kurz musste ich mich sammeln und leise einen Aphorismus der Scholastiker aufsagen. »Zorn ist Blindheit«, murmelte ich. Zorn ist Blindheit. Zu Roban sagte ich: »Ein Gespräch mit der Bergbaugilde, das ich auf Vaters Anweisung hin übernahm, hielt mich auf. Sind sie dort drinnen?«

»Seit einer halben Stunde.«