Der Thron der Sonne - Christopher Ruocchio - E-Book

Der Thron der Sonne E-Book

Christopher Ruocchio

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Beschreibung

Seit vielen Jahrhunderten befindet sich das interstellare Imperium der Menschheit im Krieg. Die außerirdische Zivilisation der Cielcin hört nicht auf, Grenzwelten zu überfallen und auszuplündern. Hadrian Marlowe, ein verstoßener Adliger und Abenteurer, ist nun am Hof des Imperators angekommen – und muss sich gefährlicher Ränkespiele und tödlicher Anschläge erwehren. Doch dann erfährt er, dass die Cielcin einen neuen Herrscher haben, und Hadrian wittert seine Chance, den Feind endgültig zu besiegen …

  • Der dritte Band in Christopher Ruocchios gewaltiger Sonnenfresser-Saga
  • Um sein Ziel, die Rettung der Menschheit, zu erreichen, muss sich Hadrian Marlowe in die Höhle des Löwen begeben – an den Hof des Imperators selbst
  • »Christopher Ruocchios Romane haben das Wort ›episch‹ neu buchstabiert!« (James Corey, Autor von THE EXPANSE)

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Seitenzahl: 1580

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DASBUCH

Seit vielen Hundert Jahren dient Hadrian Marlowe, einst ein ausgestoßener Adliger, Abenteurer und Alien-Archäologe, nun schon dem Imperium. Seine Rote Kompanie hat für den Imperator viele Siege gegen die Cielcin errungen, eine Alien-Zivilisation, die eine Menschenwelt nach der anderen erobert und vernichtet. Nach seinem letzten überragenden Sieg hat sich ein Kult um Marlowe gebildet, der ihn als den »Halbsterblichen« verehrt. Das erregt Misstrauen am Hof des Imperators – was Marlowe beinahe mit seinem Leben bezahlt, als ein Anschlag auf ihn verübt wird. Um den Intrigen zu entkommen und Antworten zu erhalten, begibt er sich mit seiner Kompanie auf einen entlegenen Planeten, dessen uralte Bibliothek einen Hinweis enthalten soll: eine Spur, die vielleicht zum Ursprungsplaneten der Cielcin führen könnte …

Im dritten Band von Christopher Ruocchios Sonnenfresser-Saga setzt Hadrian Marlowe seinen einsamen, schicksalhaften Pfad durch die bewohnte Galaxie der Zukunft fort, ein Pfad, der nur in Blut und Feuer enden kann.

DIESONNENFRESSER-SAGA

Erster Roman: Das Imperium der Stille

Zweiter Roman: Die Finsternis zwischen den Sternen

Dritter Roman: Der Thron der Sonne

DERAUTOR

Christopher Ruocchio konnte lesen, bevor er zu sprechen begann. Als er feststellte, dass er kein Astronaut werden würde, beschloss er, Romanautor zu werden, und begann zu schreiben. Er ist Absolvent der North Carolina State University und arbeitet als Assistant Editor bei Baen Books. Mit Das Imperium der Stille, dem Auftakt der Sonnenfresser-Saga, veröffentlichte er seinen ersten Roman. Christopher Ruocchio lebt in Raleigh, North Carolina.

CHRISTOPHER RUOCCHIO

DER THRON DER SONNE

ROMAN

Aus dem Amerikanischen von Kirsten Borchardt

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

Titel der Originalausgabe:

DEMON IN WHITE – SUN EATER, BOOK THREE

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen.

Deutsche Erstausgabe 1/2023

Redaktion: Catherine Beck

Copyright © 2020 by Christopher Ruocchio

Copyright © 2023 der deutschsprachigen Ausgabe

und der Übersetzung by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Umschlaggestaltung: DAS ILLUSTRAT, München,

unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com

(Juan Manuel Rodriguez, BikerBarakuss)

Satz: Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-20183-8V001

diezukunft.de

Für meine Ehefrau

Jenna

Aus unserem ersten Jahr

auf all die Jahre, die noch kommen werden

1

SIEHE, EIN FAHLES PFERD

Stille.

Die Stille, die den Sonnenthron umgab, füllte den großen Saal wie Wasser, wie das tiefe Dunkel der See. Keine Seele rührte sich. Von dort, wo ich zwischen den Höflingen stand, konnte ich die beiden einfachen Soldaten sehen, die auf dem Mosaikboden knieten. Sie waren, flankiert von Mitgliedern der Marsianer-Garde, bäuchlings über die ganze Länge des Saals gekrochen, wie Skarabäen in ihren schwarzen Uniformen. Wie lange war es her, dass ein Mann und eine Frau von so niederer Herkunft diesen hohen Ort hatten betreten dürfen? Die weißen Gewölbe hatten sich seit über zehntausend Jahren wie der Olymp über die Wolken von Forum erhoben, aber ich hätte meine gesunde rechte Hand darauf verwettet, dass während dieser ganzen Zeit nicht mehr als hundert Unfreie vor unserem strahlenden Imperator hatten knien dürfen – die Handwerker nicht mitgerechnet, die diese Pracht errichtet hatten. Selbst sie wären von den Edelleuten, die mich umgaben, trotz der von ihnen erschaffenen Schönheit wie Insekten verscheucht worden.

Die Anwesenheit der Soldaten war schon ein deutliches Zeichen, dass sich die Welt verändert hatte. Dass aber Menschen wie sie an diesem Ort von Gold und Karneol, in diesem Saal aus schwärzestem Ebenholz, sogar ihre Stimme erheben durften, das kündete von einer geradezu dramatischen Veränderung.

Beide Soldaten hatten kniend Haltung angenommen, flankiert von Excubitores in spiegelweißen Rüstungen, und hielten die Augen starr auf den Sockel des Podests gerichtet, von dem vierundfünfzig Stufen zu dem schimmernden Thron hinaufführten.

An den Sternen auf den Schultern erkannte ich, dass die Frau Captain eines Schiffs war, aber es war der Mann, der das Wort ergriff; seine grobe Sprache gab ihn als gewöhnlichen Legionär zu erkennen. Zweifelsohne hatten ihn die Logotheten und der Eunuch Homunculi im Dienst des Imperators genau darauf vorbereitet, was er sagen sollte. Aber dennoch ging Angst wie in großen Wellen von ihm aus, als er sich unnötigerweise zum zehnten Mal verneigte und die Stirn auf die Fliesen drückte. »Euer Strahlende Herrlichkeit«, sagte er mit bebender Stimme. »Heiliger Imperator. Ich werfe mich vor Euch in den Staub. Ich bin Carax von Aramis, seit fast achthundert Jahren Euer getreuer Diener.« Seine Zunge stolperte über die unvertrauten Wörter, die er ganz offenkundig auswendig gelernt hatte. »Ich war bei Hermonassa, Euer Herrlichkeit. War auf der Inviolate, als sie zerstört wurde.«

Aus den Berichten über diese Schlacht wusste ich, dass die Inviolate das Flaggschiff der Verteidigungsflotte bei Hermonassa gewesen war. Ihr Name, der übersetzt »Die Unberührte« bedeutete, war bei der Eroberung geradezu ad absurdum geführt worden. Die Frau neben Carax hatte das Schiff befehligt. Nach einer derart vernichtenden Niederlage hätte sie eigentlich ihrem Leben ein Ende setzen müssen. Vielleicht beabsichtigte sie, genau das zu tun, wenn diese Audienz vorüber war.

Carax beschrieb nun den Cielcin-Angriff auf das Flaggschiff. »Die Bleichlinge kamen an Bord. Haben den Rumpf aufgeschnitten und sind reingeschwärmt. Das Schiff hatte ein Sauerstoffleck. Lebenserhaltende Systeme waren beschädigt. Von der Schlacht draußen hab ich nichts mitbekommen, aber unser Captain befahl den Rückzug, und wir sind zur Brücke, weil wir die ganze Sektion abkoppeln wollten, als …«

»Kommen Sie zum Punkt!«, entfuhr es dem Eunuchen, der in seinen Pantöffelchen neben dem Soldaten stand. Auf eine Geste des Androgynen hin trat einer der Marsianer vor, um den Legionär mit dem Schaft seiner Energielanze für seine Weitschweifigkeit zurechtzuweisen.

»Lassen Sie den Mann seine Geschichte auf seine Weise erzählen«, ertönte die imperiale Stimme, und der Androgyne und der Marsianer blieben wie angewurzelt stehen. Carax und der Captain drückten sofort die Gesichter auf den Boden wie Kinder, die bei einem Gewitter vom Blitz erschreckt wurden. Caesars Worte hallten vom Thron herab, verstärkt von verborgenen Lautsprechern, die in die filigranen Streben des Deckengewölbes eingearbeitet waren, sodass der Herrscher gottesgleich aus jedem Winkel des Saals zugleich sprach. Nicht unfreundlich fuhr er fort: »Er ist weit gereist und hat vieles gesehen, das uns interessiert. Wir möchten nicht, dass er in seiner Erzählung zur Eile getrieben wird.«

Carax stammelte Dankesworte und richtete sich kniend wieder auf.

»Aber Ihr wolltet von ihm erfahren.« Beinahe glaubte ich, Carax schlucken zu hören. »Vom König der Bleichlinge.« Vermutlich hatte der Mann seinen offiziellen Bericht abgeliefert, als die Überlebenden von Hermonassa auf Forum eingetroffen waren, und war aufgrund dessen ausgewählt worden, um vor den Imperator zu treten.

Ich warf Pallino, der neben mir stand, einen Seitenblick zu, aber mein alter Freund und Leibwächter zuckte mit keiner Wimper.

In meinem Kopf rührte sich ein Schatten, aber ich lauschte weiter konzentriert, als Carax fortfuhr. »Meiner Dekade war es übertragen worden, die Luftschleuse zu bewachen. Als letzte Verteidigungslinie. Auf der Inviolate führte ein langer Flur zum Brückenbereich, und Thailles – das war mein Dekurio –, Thailles hatte die Tür versiegelt. Eineinhalb Fuß solides Titanium, und sie sind trotzdem einfach durch.« Seine Stimme bebte bei diesem letzten Wort, und er kauerte sich jetzt zusammen, die Augen gesenkt. »Haben sich den Weg mit so ’nem Schwert freigeschnitten, wie unsere Ritter es benutzen. Hochmaterie. Ging durch den Rumpf wie nix, Euer Herrlichkeit. Lords und Ladys. Aber das war anders als alle Schwerter, die ich je gesehen hab. Viel zu groß. Und total … verdreht irgendwie. Ist jedenfalls durch den Rumpf, als ob da gar nix wär.« Offenbar merkte er, dass er sich wiederholte, und lief rot an. »Fuhr auch genauso durch Menschen. Ich hab noch nie so einen großen Bleichling gesehen. Das Vieh musste sich im Korridor ducken, als es über uns herfiel. Es war ganz schwarz und silbern. Und als es uns am Ende des Flurs stehen sah, hinter dem Schutzschild, da hat es die Zähne gefletscht. Irgendwie, als ob es lächelte.

›Ergebt euch‹, hat es gesagt, und Ehrwürdiger Caesar, ich schwöre bei der Heiligen Mutter Erde, es sprach unsere Sprache.« Er rieb sich die Arme. »Es hat gesagt, unser Schicksal sei besiegelt, sie hätten die Werften erobert. Die Flotte zerstört. Wir haben auf das Ungeheuer geschossen, aber sie hatten Schilde. Das habe ich auch noch nie zuvor gesehen. Bleichlinge mit Schilden. Sie haben uns ausgelacht, und ihr König, er sagte, er sei …« Der Mann kämpfte mit dem Namen.

Ich hörte ihm kaum zu.

Den Namen kannte ich.

Syriani Dorayaica.

Die Geißel der Erde.

Die Worte des Soldaten ließen mich verkrampfen, und wieder überkam mich eine Vision, die ich schon zweimal gesehen hatte. Zuerst in der Dunkelheit unter den Ruinen von Calagah, und dann wieder in den kalten Klauen Gebrüders auf Vorgossos. Ich sah die Cielcin in Schlachtaufstellung durch den Weltraum ziehen, in Reih und Glied, Schiffe und Soldaten und erhobene Schwerter, die den Himmel zerschrammten. Und an ihrer Spitze ging einer, der größer und schrecklicher war als der Rest. Schwarz war seine Kleidung, und schwarz war auch sein Mantel, und seine Hörner und die silberne Krone waren so schrecklich wie die glasartigen Zähne in dem lippenlosen Mund.

»Trug das Cielcin eine Krone?«

Wieder Schweigen.

Erst einen Augenblick später begriff ich, dass ich es gewesen war, der da gesprochen, die Luft verwirbelt und die perfekte Ordnung gestört hatte, die den Sonnenthron umgab. Die Höflinge um mich herum rückten ab, ließen Pallino und mich auf einer kleinen Insel zurück, zwischen den Säulen, die turmhoch über uns aufragten. Irgendjemand lachte nervös, und ich spürte, dass die Marsianer mich mit der Entoptik ihrer Helme ins Visier nahmen, obschon die gesichtslosen Masken keine Regung verrieten.

Carax wandte sich um, und unsere Blicke kreuzten sich, dann weiteten sich seine Augen. Kannte er mich? Ich kannte ihn nicht.

»Ruhe und Ordnung in diesem hohen Haus!«, rief der Zeremonienmeister.

Weil es von mir erwartet wurde, fiel ich auf ein Knie und senkte den Kopf. Aber ich drückte die Stirn nicht wie die Soldaten auf den Boden. Ich war ein Paladin und weitläufig mit dem Imperator verwandt. Die Augen Caesars ruhten auf mir, Doppelsmaragde in der Alabasterskulptur seines Gesichts. Bildete ich mir das nur ein, oder zupfte da ironische Erheiterung an seinem Mundwinkel? Um mich herum begann es zu flüstern.

»Das ist doch Marlowe, oder?«

»Hadrian Marlowe?«

»Das ist Sir Hadrian Marlowe, der Victoria-Ritter.«

»Das ist der Halbsterbliche?«

»Stimmt es, dass er nicht getötet werden kann?«

Der Zeremonienmeister schlug sein Fascis auf den Fliesenboden, und die Messingspitze traf hallend auf den Stein. »Ruhe! Ruhe und Ordnung in diesem hohen Haus!«

Der Imperator hob die Hand, und nun kehrte wieder Ruhe ein. Dann sprach Seine Strahlende Herrlichkeit, William XXIII. aus dem Haus Avent, mit einer Stimme, die an die Berührung einer Flamme und den Geruch alten Holzes denken ließ. »Beantworte die Frage unseres Dieners, Soldat.«

Sofort galt die Aufmerksamkeit aller Anwesenden wieder Carax und der Offizierin. Die Augen des Soldaten ruhten starr auf mir, als er mir antwortete, und er wandte sich vom Caesar ab, der umgeben von Samt und Gold dasaß. »Eine Krone?« Der Begriff schien dem Mann fremd, und er wiederholte ihn verwirrt. »Eine Krone? Ja. Sie war aus Silber.«

Für sich genommen bewies diese Enthüllung gar nichts. Fürst Aranata hatte einen silbernen Stirnreif getragen. Die Cielcin hatten ein Dutzend Fürsten, vielleicht sogar Hunderte, allesamt Herrscher über eine Nationsflotte, die durch die wasserlosen Meere des Weltalls pflügte. Es gab keinen Grund zu der Annahme, dass Syriani Dorayaica, den die Kantorei die Geißel der Erde nannte, das Geschöpf aus meiner Vision war.

Und dennoch wusste ich, dass es stimmte.

Aber Carax war noch nicht fertig. »Er nannte sich einen König«, sagte er und wandte sich dabei um, wobei er gegen das starre Protokoll des Thronsaals verstieß, indem er zum Gesicht des Imperators aufblickte. »Er sagte, er käme, um sich Eure Krone zu holen, Ehrwürdiger Caesar.« Als er nun aber Seine Herrlichkeit oben auf dem hohen Podest erblickte, brach ihm die Stimme, und er warf sich wieder zu Boden und presste sich der Länge nach auf die Fliesen. Da nun niemand mehr auf mich achtete, erhob ich mich und spähte über die Schultern der edel gewandeten Höflinge vor mir. »Euer Strahlende Herrlichkeit, er hat mich am Leben gelassen. Alle anderen aus meiner Dekade hat er umgebracht.«

Die Luft war erfüllt vom Duft des Weihrauchs, der in goldenen Fässchen über uns entzündet worden war, aber ich roch stattdessen den Rauch von Feuern und brennenden Menschen. Ich sah den Flur aus Carax’ Erzählung vor mir. Der Cielcin-König – wenn dieses Wesen denn ein König war – marschierte unaufhaltsam auf den Soldaten zu, und sein bleiches Schwert blitzte. Ich stellte mir vor, wie Plasmafeuer und Geschosse von seinem Schild abprallten, während sein Schwert grausame Ernte hielt, wie eine Sense in reifem Korn. Wie hell die Klinge blitzte! Wie schrecklich das glaszahnige Lächeln war! Und als es sein Werk vollbracht hatte, packte das Cielcin Carax, der auf dem blutverschmierten Boden zwischen den abgehackten Gliedmaßen seiner Kameraden stand, an der Kehle und riss ihn mit einer Hand in die Höhe. Ganz klar sah ich diesen Augenblick vor mir: Carax allein gegen den Feind. Meine Vision zeigte mir Stiefel, die hilflos über dem Boden zuckten, und den Cielcin-Lord, der diesen Mann fest in seinen Klauen hielt.

»Sag deinem Herrn, dass ich komme«, erklärte der Bleichling, und Carax erschauerte und wiederholte die Worte. Dann schleuderte das Alien ihn in die Trümmer im Innern des Schiffs und war verschwunden.

»Mir gefällt das überhaupt nicht, Had«, sagte Pallino, als die Audienz vorüber war.

»Ich weiß, Pal.« Ich rieb mir das Kinn und lehnte mich mit dem Kopf gegen die Säule hinter mir. Die Marsianer hatten dafür gesorgt, dass alle Höflinge den Saal des Sonnenkönigs verließen, nachdem der Imperator die Versammlung aufgehoben hatte; danach war sein riesiger Thron auf den Schultern von hundert Männern und flankiert von den Excubitores hinausgetragen worden. Der Vorraum des Thronsaals war größer als manche Paläste und so hoch, dass man das Deckengewölbe, das fünfzig Stockwerke über uns schwebte, für den Himmel hätte halten können. Tatsächlich hatte ich erzählen hören, dass es in der Decke Mechanismen gab, mit denen man die Feuchtigkeit aus der Luft ziehen konnte, um daraus Wolken zu bilden und es auf die versammelten Edelleute regnen zu lassen.

Mein Liktor verschränkte die Arme vor der Brust. »Diese Arschlöcher werden immer schlauer. Dieses hier zumindest.«

»Dorayaica.«

»Genau«, bestätigte Pallino und sagte dann wieder: »Mir gefällt das überhaupt nicht. Die Bleichlinge sind Tiere. Sie haben immer ohne Vorwarnung oder Schlachtordnung angegriffen, Städte niedergebrannt und Menschen als Nahrung verschleppt. Einfach nur schnell rein, alles zusammenraffen und abknallen und wieder raus. Aber dieser Drecksack … Hermonassa war ein militärisches Ziel. Er hat nicht einmal den Planeten geplündert, nur die Werften zerstört und der Flotte enormen Schaden zugefügt. Ich möchte wetten, der Überfall auf die Legionsbasis auf Gran Kor geht auch auf sein Konto.«

Ich rieb mir immer noch das Kinn und brummte: »Und Arae.« Pallino war auf Arae bei mir gewesen und ebenfalls Zeuge geworden, was für eine widerwärtige Kreuzung aus Cielcin und Maschinen die Extrasolarianer unter den Bergen jener verdorrten und luftlosen Welt gezüchtet hatten.

»Könnte sein. Du meinst, dieser Kerl steht auch mit den Extras im Bunde?«

»Er ist kein Kerl«, korrigierte ich. Bei den Cielcin gab es kein männlich oder weiblich. »Und ich hoffe nicht.« Eine Allianz zwischen den Cielcin und den Barbaren, die zwischen den Sternen hausten, war eine entsetzliche Vorstellung. Ich erschauerte. Selbst nach hundert Jahren Leben in wachem Zustand holte mich die Erinnerung an meine Gefangenschaft in den Kerkern von Vorgossos immer wieder ein, wie ein Film. »Es ist schlimm genug, sich einen Cielcin-Häuptling vorzustellen, der unsere Art der Kriegsführung begreift, auch ohne dass Kharn Sagara und seinesgleichen noch dazukommen.«

Pallino brummte etwas, und jetzt endlich senkte ich den Kopf und betrachtete den Mann, der mit mir aus den Kampfarenen von Emesh gekommen war, einen der wenigen Menschen, der mich noch als Had kannte, als Hadrian. Nicht als Sir Hadrian, den jüngsten Spross eines Hauses, das nicht direkt zur Familie des Imperators gehörte, der jemals in den Königlich Victorianischen Ritterorden berufen worden war, und auch nicht als den Halbsterblichen.

Mein Freund.

Bei unserer ersten Begegnung war Pallino ein alter Mann gewesen. Faltig, weißhaarig, einäugig. Das Auge hatte er beim Kampf gegen die Cielcin bei Argissa eingebüßt, ein Lebensalter zuvor. Trotz seiner Jahre verfügte er über diese zähe Kraft, wie alte Soldaten sie manchmal besitzen, und als ich ihn gefragt hatte, ob er in meine Dienste treten und das Leben eines Kolosseum-Myrmidonen gegen das eines Söldners eintauschen wollte, hatte er keinen Wimpernschlag seines verbliebenen Auges gezögert.

Jetzt hatte er zwei Augen, sein Haar war wieder schwarz, wenn auch nicht so schwarz wie meines, und die Haut an Gesicht und Händen – einst fleckig und ledrig von harter Arbeit und Alter – war wieder glatt und jugendlich, allerdings von einem an Silberdraht erinnerndem Netz feiner Narben überzogen, das vom Chirurgenmesser und den Gen-Tonika kündete, die seinen Körper neu aufgebaut und ihn in die Patrizierklasse erhoben hatten. Er hatte ein neues Leben bekommen, eine zweite Jugend, und das nur, weil ich darum gebeten und ihn zu meinem Gefolgsmann und einem Mitglied meines Hauses ernannt hatte, als mich der Imperator zum Ritter schlug.

Jetzt kniff er diese Augen zusammen und machte eine Schutzgeste, als er Kharns Namen hörte. »Meinst du, sie werden uns wieder losschicken?«

»Das werden wir früh genug erfahren …«, antwortete ich ahnungsvoll und beobachtete dabei die leuchtend gekleideten Adligen, die im Schatten der unmöglich hohen Säulen in kleinen Gruppen beieinanderstanden. Im Vergleich dazu kam ich mir schäbig vor mit meiner schwarzen Uniformjacke und den hohen Stiefeln und dem Wettermantel, dessen hoher Kragen mir bis unters Kinn reichte. Wieder lehnte ich mich gegen die Säule und verschränkte die Hände hinter dem Rücken.

»Lord Marlowe?«, ertönte eine leise Stimme.

Ich sah mich um und erwartete einen Bediensteten in imperialer Livree. Aber der Mann, der mich angesprochen hatte, trug nicht das Weiß der Dienerschaft, sondern schwarze Kleidung, die noch abgetragener aussah als meine eigene.

Es war der Soldat, Carax.

Bevor ich antworten konnte, trat er zögernd einen Schritt zurück, und der Mund stand ihm halb offen. »Sie sind es wirklich. Bei Gott und Erde und Imperator …« Er schlug das Zeichen der Sonnenscheibe, indem er Stirn, Brust und Lippen in schneller Folge berührte. »Sie sind es wirklich.« Seine Hand verharrte an seiner Brust, als ob er nach einem Amulett fasste, das er unter seiner Uniformjacke trug. »Ich dachte es mir schon dort drinnen. Als Sie mich angesprochen haben, da … da glaubte ich beinahe nicht, dass Sie echt sind.« Sein Blick glitt über die Edelleute, die uns umschwärmten. Über die Logotheten in ihren schwarzen und grauen Anzügen, über die Wachen in Weiß und Marsianer-Rot. Er wirkte wie ein Mann, der am liebsten unsichtbar gewesen wäre, was in der Ewigen Stadt unmöglich war. Zehntausend Augen beobachteten uns, zehnmal zehntausend. Kameras und Mikrofone, Schwebedrohnen und Spähstaub und Sensoren aller Art hielten ihre endlose Wacht, bespitzelten alle und jeden und schützten den Imperator und die Crème des Sollanischen Imperiums vor Verrat und Tod.

Niemand war unsichtbar. Nicht einmal ein niederer Legionär.

»Ich bin schon ziemlich echt«, sagte ich und löste mich von der Säule.

So leise, dass nur ich es hörte, brummte Pallino: »Echt genug, um einem echt auf die Nerven zu gehen.«

Ich warf dem alten Soldaten einen kurzen Blick zu, und er grinste entschuldigend. Zu Carax sagte ich: »Sie haben heute gut gesprochen. Ich habe viele große Lords erlebt, die sich dort schlechter geschlagen haben.« Wir standen uns einen langen Moment gegenüber, und keiner von uns sprach. Der Legionär war kahl, wie alle, die sich zum Armeedienst verpflichtet hatten, und seine Identifikations-Tätowierung hob sich schwarz von der dunklen Haut seines Nackens ab. Mehrmals schien er kurz davor, etwas sagen zu wollen, bremste sich aber jedes Mal wieder. Derartige Hemmungen mir gegenüber hatte ich öfter schon erlebt, seit ich in den Ritterstand erhoben worden war. Daher zeigte ich ihm mein bestes und schiefstes Lächeln und sagte: »Ihr Name war … Carax, nicht wahr?«

»Jawohl, Sir! Ich … Mylord.« Er richtete sich etwas mehr auf und nahm beinahe Haltung an. »Carax von Aramis, Sir. Triaster. Zweite Kohorte der 319. Centauri-Legion, Sir. Mylord. Sir.« Erst dann kam ihm der Gedanke zu salutieren, und er schlug sich mit der Faust gegen die Brust.

Ich tat dasselbe und sagte: »Sir genügt, Carax. Wir sind beide Soldaten.«

Wann war das geschehen? Wann war ich Soldat geworden? Das hatte ich niemals beabsichtigt. Ich hatte meine Heimat verlassen, um Sprachen zu studieren – um Scholastiker zu werden. Nicht, um zu kämpfen. Und ganz sicher nicht, um zu töten.

Zu sterben.

»Stimmt es?«, fragte er.

Ich wusste, was er wissen wollte, ließ ihn die Frage aber trotzdem aussprechen.

»Es heißt, Sie können nicht getötet werden.«

Da ich mir der vielen Kameras um uns herum nur zu bewusst war, konnte ich ihm nicht die Wahrheit sagen. Und selbst wenn ich es gekonnt hätte – was auch immer ich sagte, er hätte es nicht geglaubt. Sagte ich Ja, würde er mich für einen Betrüger halten. Sagte ich Nein, für einen Lügner.

»Das erzählt man wohl.«

Carax nickte, als hätte ich seine Frage beantwortet. »Es heißt auch, Sie hätten einen ihrer Könige mit bloßen Händen umgebracht.«

»Fürsten«, verbesserte ich ihn und hob zwei Finger. »Zwei. Allerdings hatte ich ein Schwert.« Unwillkürlich griff ich zu dem Ring an meinem linken Daumen, jenem Ring, den ich Fürst Aranata, als er tot war, von der Hand gezogen hatte, und ballte dann die Fäuste, um nicht nervös daran herumzuspielen. Ich hatte dem Cielcin den Kopf abgeschlagen, nachdem es mich enthauptet hatte. Noch immer stand mir der Anblick meines kopflosen Körpers vor Augen, wie er zusammenbrach, bevor mich die Dunkelheit umfing. Bevor ich zurückkehrte. Pallino rührte sich neben mir. Er hatte alles mit angesehen. Er kannte die Wahrheit.

»Wird der Krieg bald enden, Sir?«, fragte Carax und hielt die Augen niedergeschlagen, als ob er sich fürchtete, mich anzublicken. »Es ist nur … Ich stand schon in den Diensten des Imperators, bevor der Krieg begann. So viel Zeit im Eis, wissen Sie? Ich war nicht mehr zu Hause seit … ich weiß gar nicht mehr, wann. Siebenhundert Jahre? Wahrscheinlich bin ich schon hundertfacher Großvater. Die Familie würde mich nicht einmal erkennen, wenn ich jetzt zurückkehrte. Es geht vielen in der Armee so wie mir. Jungs, die nie nach Hause zurückkommen. Jungs, die kein Zuhause haben. Die einfach nur wollen, dass mit den Kämpfen Schluss ist.« Seine Hand umschloss wieder, was auch immer er unter seinem Hemd trug.

Mich überkam Mitleid für den armen Kerl. Wie viel Zeit hatte er in kryonischem Torpor verbracht, schlummernd zwischen den Sternen? Er teilte das Schicksal vieler Soldaten: eingeschlossen in einer Eisbox auf den Einsatz zu warten und den Dienst stückweise abzuleisten. Alle zehn Jahre einmal für einen oder zwei Monate aufgetaut zu werden. Es war nicht gerecht, aber das ist das Universum nun einmal nicht.

»Ich weiß nicht«, sagte ich und trat näher an ihn heran.

Er wich zurück, als hätte er Angst, sich an mir zu verbrennen. »Aber die Leute sagen, Sie können in die Zukunft sehen.«

»Die Leute sagen viele Dinge«, bemerkte ich. Tatsächlich konnte ich es nicht. Mir war die Zukunft nur gezeigt worden, ich selbst hatte keinerlei Einfluss auf meine Visionen. Es heißt, man sollte seinen Helden niemals begegnen, und tatsächlich fürchtete ich, der Soldat würde von mir enttäuscht sein, aber ich konnte ihm nicht die Wahrheit sagen. Zwar stand ich in der Gunst des Imperators, und das gewährte mir einen gewissen Schutz, aber wer an diesem Ort allzu offen sprach, forderte damit das Schicksal heraus. »Aber der Krieg wird enden, Carax. Eines Tages. Und vielleicht werden wir uns dann wieder begegnen, wer weiß?«

Ich hatte erwartet, der Mann würde in sich zusammensinken und nach meiner wenig erhellenden Antwort niedergeschlagen davonschleichen, aber seine Miene hellte sich auf, und er streckte sich noch ein wenig. »Ich wollte Ihnen was geben, Sir. Wenn ich darf.« Es hörte sich an, als ob ihm der Gedanke gerade erst gekommen war, und nun zog er sich eine dünne Kette über den Kopf und hielt mir auf der ausgestreckten Hand eine kleine Silbermedaille hin. »Ich war bei Aptucca dabei, Sir. Vor fünfzig Jahren. Ich wünschte nur, es wäre was Besseres, aber ich besitze nicht viel.«

Es war eine Gebetsmedaille, auf deren Vorderseite die Ikone der Tapferkeit geprägt war. Ich nahm sie und hielt sie in meiner Hand, während ich versuchte, mir meine Gedanken nicht anmerken zu lassen. Damals wie heute glaubte ich nicht an die Religion der Kantorei. Aber ich lächelte. »Ich danke Ihnen, Soldat. Ich freue mich, dass Sie bei Aptucca dabei waren, ich …«

»Wie haben Sie das gemacht?« Es brach geradezu aus ihm heraus. »Wie haben Sie die Bleichlinge zum Rückzug bewegt, ohne auch nur einen Schuss abzufeuern?«

»Ich …« Meine Stimme erstarb, als ich die Medaille umdrehte. Es war ein kleines Ding, nicht größer als meine Daumenspitze und rund wie eine Münze. Auf der Rückseite war die imperiale Sonne eingraviert, mit zwölf gedrehten Strahlen. Aber darüber war etwas anderes eingekratzt worden, grob und ungeschlacht, wie mit einer Messerspitze. Es war ein Dreizack, wie ihn ein Teufel tragen mochte. Sein Schaft führte direkt durch das Herz der imperialen Sonne, genau wie der Dreizack des Wappens auf meiner Brust durch einen fünfzackigen Stern verlief. »Ich habe ihren Fürsten getötet.« Wieder lächelte ich, obwohl es nicht die ganze Wahrheit war. Die Cielcin hatten mich an Bord ihres Schiffs gebracht, nachdem ich Fürst Ulurani zum Zweikampf herausgefordert hatte, und der Fürst hatte angenommen – in der Hoffnung, seinen Genossen Aranata rächen zu können. Während ich die Cielcin mit dem Duell ablenkte, war es Pallino und Lieutenant Commander Garone gelungen, überall im Innern ihres Schiffs Sprengladungen anzubringen. Daraufhin hatten wir sie in der Hand, und sie flohen.

Die Cielcin waren nicht menschlich. Man konnte mit ihnen nicht verhandeln wie mit Menschen. Das hatte ich fast drei Jahrhunderte zuvor auf Vorgossos durch Aranata gelernt.

Ich merkte, wie Carax mich ansah und offenbar auf eine Geschichte hoffte. Achselzuckend versuchte ich, nicht an das verräterische, blasphemische Amulett zu denken, das er mir gegeben hatte. »Die Cielcin haben nicht direkt Gesetze. Sie haben Herrscher – und wenn man den tötet, dann wissen die anderen nicht mehr, was sie tun sollen. Als ich ihren Fürsten bei Aptucca besiegt habe, zogen sie sich zurück, um einen neuen Anführer zu wählen.«

»Ein unblutiger Sieg«, sagte der Soldat und grinste von einem Ohr zum anderen.

»Beinahe«, sagte ich, aber ich dachte an Aranata, dessen schwarzes Blut das bleiche Gras in den Gärten Kharn Sagaras befleckte.

»Würden Sie mich segnen, Sir?«, stieß Carax nun stammelnd hervor. »Mylord? Jeden Tag danke ich der Erde dafür, dass Sie zu uns gesandt worden sind. Ich hätte bei Aptucca sterben können, das weiß ich. Ich habe wochenlang davon geträumt. Aber Sie haben mich gerettet. Uns alle.« Dann fiel er auf ein Knie, beugte den Nacken, als ob er zum Ritter geschlagen werden sollte, und verschränkte die Hände über dem Kopf.

»Ach, steh doch auf«, brummte Pallino, aber Carax hörte ihn nicht.

»Halbsterblicher Erdensohn, beschütze uns.«

Die Ränder des Medaillons bohrten sich in meine Hand. Zwar hatte ich schon lange gewusst, dass es in der Legion Soldaten gab, die so über mich dachten, aber getroffen hatte ich bisher noch keinen von ihnen. Meine eigenen Leute kannten mich gut genug, um zu wissen, dass ich nur ein Mensch war, obwohl viele von ihnen meinen Tod mit eigenen Augen gesehen hatten. Doch die Legende hatte mich längst überholt, war mit Bassander Lin und seinen Soldaten ins Universum hinausgereist und hatte sich unter den Legionen ausgebreitet.

Unter Soldaten gab es immer den einen oder anderen Kult, obwohl es verboten war, andere Götter als die Mutter Erde und den Göttlichen Imperator anzubeten. Wie früher im alten Rom, als die Soldaten Mithras und die Unbesiegte Sonne verehrten, verneigten sich unsere Soldaten vor Cid Arthur und – wie mein Freund Edouard und die alten Römer – vor dem Christus der alten Zeit.

Dieser einsame Soldat verehrte mich, und ich hatte nicht die Macht, um einen Segen auszusprechen oder Hoffnung zu machen.

Plötzlich fühlte ich mich sehr, sehr müde.

Dann nahm ich seine Hände. Er packte mich mit einer Energie, die ich nicht erwartet und seit langer Zeit bei keinem Menschen mehr gespürt hatte, von Valka einmal abgesehen. »Stehen Sie auf«, sagte ich und drückte ihm das Medaillon wieder in die Hand, da ich vermutete, es würde nun, da ich es festgehalten hatte, für ihn eine besondere Bedeutung haben.

Jetzt war es eine Reliquie.

Der Soldat hatte Tränen in den Augen, als er sich erhob. »Die Leute sagen alle, es sei hoffnungslos, Herr. Der Krieg.«

Herr. Das Wort hallte in meinen Ohren.

»Die Leute sagen eine Menge«, sagte ich wieder und trat dann zurück. »Es gibt immer Hoffnung.« Damit klopfte ich dem Mann abschließend auf die Schulter. Als er davonging, drehte er sich immer wieder um, stieß gegen Hof-Logotheten und Frauen in leuchtenden Gewändern, bis er schließlich in der Menge unterging.

Ich sah ihn nie wieder.

2

DER ERSTGEBORENE SOHN DER ERDE

Zwei komplette Dekaden Excubitores marschierten neben mir, zehn an jeder Seite, während ich die Spitze ihrer Kolonne bildete. Vermutlich wirkte ich sehr deplatziert zwischen ihren verspiegelten Rüstungen und den roten Mänteln, wie ein grimmiger Schatten inmitten all dieser leuchtenden Pracht. Wie es bei ihnen üblich war, marschierten sie mit aktivierten Hochmaterie-Schwertern, die sie mit beiden Händen vor ihren Gesichtern ausstreckten – bereit, mich zu töten, falls ich womöglich plötzlich eine unerwartete Bewegung machte. Mir war deutlich bewusst, dass ich selbst keine Waffe trug. Mein Schwert war auf meinem Schiff geblieben, und es war nicht einmal Pallino erlaubt worden, mich zu begleiten, was auch kein Wunder war.

Wir marschierten einen vergoldeten Korridor nach dem anderen entlang, über gemusterte Teppiche, dick wie Jahrhunderte, und schritten unter Rokoko-Ornamenten und barocken Bildern dahin, die vielleicht so alt waren wie die Erde selbst. Goldenes Licht strömte durch Kristallfenster, die in schmalen Schlitzen die schimmernden Türme und den Himmel dahinter offenbarten, der sich endlos nach oben und unten ausdehnte.

Vielleicht habt ihr sie auch schon einmal gesehen, liebe Leser, wenn auch nur im Traum? Die Ewige Stadt mit ihren schönen Türmen, die in der Sonne leuchten. Ihre Paläste, groß wie Städte, die ihre mächtigen Antlitze durch rosige Wolkenbänke schieben. Kolossale Statuen, die wie schattenhafte Riesen auf windige Straßen und luftige Plätze blicken. Hängende Gärten wie einst im alten Babylon, die auf Terrassen über einem Himmel erblühen, der sich zehntausend Meilen in die Tiefe erstreckt. Die Ewige Stadt, alt und ehrwürdig wie die Weisen, stolz und schön wie eine Königin. Sie war das Herz und das Auge der Galaxis. Die Achse, um die sich unsere ganze Welt drehte.

Wir kamen an einem Bogenfenster vorbei, und weit unten sah ich die Gleiter mit ihren wie Messerklingen geformten Flügeln, die den Himmel patrouillierten. Sie segelten unter den gebogenen Schatten eines weißen Aquädukts dahin, der Wasser von einer schwebenden Insel zur nächsten beförderte.

Ich wäre stehen geblieben, wenn die Excubitores es gestattet hätten.

Das taten sie nicht.

Der Imperator wartete.

Auf unserem Weg zu den imperialen Gemächern des Peronin-Palasts kamen wir schließlich auch zu den Wolkengärten, in denen unter nebelverhangenen Ästen die Silberfontänen sprudelten, von Glühkugeln auch jetzt bei Tageslicht angestrahlt wie ferne Sterne. Ich war hier schon einmal entlanggeschritten, am Tag meiner Investitur, als seine Strahlende Herrlichkeit mich zum Ritter geschlagen und wieder in den Adelsstand erhoben hatte. Zuvor war ich ein Geächteter gewesen, von meinem Vater verstoßen, ohne Namen oder Titel.

Die Erinnerung an diesen anderen Tag verlangsamte meinen Schritt. Es war direkt nach meiner Ankunft auf Forum gewesen, kurz, nachdem ich Fürst Aranata an Bord der Demiurge gegenübergetreten war. Beinahe dreihundert Jahre waren seitdem vergangen, von denen ich achtzig in wachem Zustand verbracht hatte. Es war so lange her, und dennoch hatte ich es noch im Ohr, wie die Stimme seiner Strahlenden Herrlichkeit durch die Kuppel der Georgianischen Kapelle schallte:

»Im Namen der Heiligen Mutter Erde und im Lichte ihrer Sonne befehle ich, der sollanische Imperator William aus dem Haus Avent, Dreiundzwanzigster dieses Namens, Erstgeborener Sohn der Erde, König von Avalon, Herrscher des Königreichs Windsor-im-Exil, Fürst-Imperator der Spiralarme des Orion, Sagittarius, Perseus und Centaurus, Primarch des Orion-Arms, Eroberer des Norma-Arms, Großstrategos der Legionen der Sonne, Oberster Herrscher der Forum-Städte, Nordstern der Konstellationen paladinischen Bluts, Verteidiger der Kinder des Menschengeschlechts und Diener der Diener der Erde: Knie nieder.«

Ich sank vor den Altarstufen auf die Knie, wie es mir befohlen war. Es brannten Weihrauch und Votivkerzen, und in der Nische über dem Altar tanzten unwirkliche Schatten um eine Statue des triumphierenden Gott-Imperators, der einen Marmorwürfel unter dem Fuß zertrat. Sein lebender Nachfahre erhob sich über mir, einen uralten Säbel in den Händen. Keine Hochmaterie, sondern gewöhnlicher Stahl und so vom Zahn der Zeit geschwärzt, dass ich es zuerst für Roheisen hielt. Die pompöse Wucht der Titelaufzählung hing noch immer in der Luft. Caesar hielt kurz inne. Hinter ihm stand ein Lobsänger in einer Robe aus Zobelpelz und Goldfaden und verkündete in Klassischem Englisch: »Im Namen der Heiligen Mutter Erde und Lichte ihrer Sonne beten wir! Möge die Mutter ihren Diener segnen.«

Die Soldaten und Höflinge hinter mir – meine versammelten Freunde und Feinde – raunten: »O Mutter, segne uns alle.«

Dann sprach Caesar. »Verpflichtest du dich, Hadrian Marlowe, jetzt und auf ewig meinem Dienst? Dem Dienst an deinem Imperator und dem Imperium, dessen Diener er ist?«

Da ich wusste, was von mir erwartet wurde, sagte ich: »Das tue ich.«

»Glaubst du an unsere Schöpferin, die Heilige Mutter Erde? Glaubst du an den Gott-Imperator, ihren erstgeborenen Sohn und Erben, unseren Vorfahren? An ihn, der die Mericanii und die Maschinen besiegte und das Universum wieder in die Hände der Menschen legte?«

»Das tue ich«, erklärte ich, obwohl ich das ganz sicher nicht tat.

»Stellst du dein Schwert, deinen Besitz, deine Kraft und deine Fähigkeiten – ja, dein Leben – in den Dienst der Verteidigung unseres Imperiums?«

»Das tue ich.«

»Schwörst du feierlich, der Belohnung zu entsagen und nach Gerechtigkeit um ihrer selbst willen zu streben?«

Ich hielt den Kopf die ganze Zeit über gesenkt und verbarg mein Gesicht, da ich fürchtete, dass Seine Strahlende Herrlichkeit sonst vielleicht meine Unsicherheit oder Unbehagen an meiner Miene hätte ablesen können. »Das tue ich.«

»In Mäßigung zu leben, in fetten wie in mageren Jahren?«

»Das tue ich.«

»Vorausschauend zu handeln, in kleinen wie in großen Angelegenheiten?«

»Das tue ich.«

»Im Angesicht von Bedrängnis Tapferkeit zu beweisen?«

»Das tue ich.«

»Die Ehre deiner Kameraden zu bewahren?«

Wenn sie denn welche haben, dachte ich, sagte aber nur: »Das tue ich.«

»Und die jener, die über dir stehen?«

Ich zögerte nur eine Sekunde und dachte dabei an meinen hochwohlgeborenen Vater, an Balian Mataro und die Lords, die ich im Vorzimmer von Vorgossos kennengelernt hatte. Dann dachte ich an Valka, Pallino und die anderen. Meine Freunde. Meine Familie. Und daher war es keine Lüge, als ich antwortete: »Das tue ich.«

»Schwörst du, die Ehre einer jeden Person zu respektieren, ganz gleich, ob Mann, Frau oder Kind?«

»Das tue ich.«

»Und sie zu verteidigen?«

»Das tue ich.«

»Niemals die Herausforderung eines Gleichrangigen abzuweisen?«

Es gab so viele Schwüre. Zu viele, und ich gebe zu, dass ich erst ein Buch finden musste, in dem sie aufgelistet waren, um sie hier allesamt korrekt wiedergeben zu können. Aber ich antwortete: »Das tue ich.«

»Schwörst du, dich voll Abscheu von Grausamkeit, Täuschung und Ungerechtigkeit abzuwenden?«

»Das tue ich!«

»Schwörst du, jeden einmal eingeschlagenen Weg bis zu seinem Ende zu verfolgen?«

Diesen Eid habe ich mehr bereut als alle anderen, aber damals hielt ich ihn für nicht so entscheidend und antwortete daher: »Das tue ich.«

»Und schwörst du, treu zu deinem Eid zu stehen, von heute an bis zum Tag deines Todes, im Namen des Imperators und des Gott-Imperators und der Erde, die Mutter und Opfer von uns allen ist?« An dieser Stelle hatte der Imperator das Zeichen der Sonnenscheibe geschlagen, den Säbel aufrecht vor sich ausgestreckt und die Stirn, das Herz und die Lippen berührt. In der Stille, die durch das leise Klappern der Edelsteine und das Rascheln von Bewegungen gleichzeitig gestört und vertieft wurde, erkannte ich an diesen kleinen Geräuschen, dass jeder hinter mir genau dieselbe Geste vollführte.

Während ich das ebenfalls tat, sagte ich wieder: »Das tue ich.«

Der Imperator senkte seinen Säbel, berührte mich damit erst auf der linken, dann auf der rechten Schulter und verkündete: »Dann erhebe dich in Anerkennung deiner Taten als Ritter, Sir Hadrian und Lord Marlowe.« Er streckte mir die linke Hand hin, und ich küsste den Ring an seinem Daumen, der das Zeichen seines Hauses zeigte, die zwölfstrahlige Sonne.

Es liegt eine gewisse Kraft in Zeremonien und Ritualen, die auch dann zum Tragen kommt, wenn man gar nicht an die Prinzipien glaubt, auf die sich diese Rituale gründen. Und so wallte trotz meiner zynischen Haltung ein warmes Gefühl tiefer Liebe in mir auf, als ich mich erhob, und Stolz durchflutete mich. Ich war ein Ritter, und zwar nicht nur ein einfacher, sondern einer des Königlich-Victorianischen Ordens, der dem Imperator selbst unterstand.

Es gibt nicht viele Menschen in der Galaxis, die sich brüsten können, den Peronin-Palast besucht zu haben, jenen Komplex im Zentrum der Ewigen Stadt, den die Königliche Familie ihr Zuhause nennt. Noch weniger können von sich sagen, ihn mehr als einmal betreten zu haben.

Bei diesem zweiten Besuch schwangen die großen Tore geräuschlos auf, und von drinnen erklang der Mechanismus einer großen Uhr. Mit dem Übertreten der Schwelle veränderte sich das Tempo der Excubitores, das nahtlos von kernigem Marschieren in einen langsamen, gleichmäßigen Paradeschritt überging. Der Klang ihrer Stiefel auf den Fliesen war genau an das Ticken der Uhr angepasst, deren Pendel frei und mächtig über den Spitzbögen vor uns schwang.

Nach einem längeren Weg, bei dem wir mehrfach abgebogen waren, kamen wir endlich an einen Wassergarten, der aus weißestem Marmor gestaltet worden war. Funkelnde Springbrunnen spielten auf Gewässern, die dicht mit bleichen Lotusblumen und azurblau blühenden Teichrosen bewachsen waren. Zwei Frauen saßen in einer Ecke und zupften sanft die Saiten ihrer Harfen, während seine Strahlende Herrlichkeit auf einem bescheidenen Platz an einem kleinen Tisch saß. Vier seiner Excubitores standen in der Nähe und beobachteten mich hinter ihren verspiegelten Masken. Meine Garde salutierte, und ich verneigte mich, die rechte Hand auf dem Herzen, die Linke weit ausgestreckt. »Euer Strahlende Herrlichkeit«, sagte ich, »es ist mir eine Ehre, dass Sie mich zu sich befohlen haben.«

Caesar William erhob sich von seinem Stuhl, legte das kleine, schwarze Büchlein, in dem er gelesen hatte, beiseite und kam mit einer jovialen Handbewegung und einem warmen Lächeln auf mich zu. »Sir Hadrian! Es ist schön, Sie wiederzusehen.«

Ich blickte zu Boden. »Ich möchte mich entschuldigen, Euer Herrlichkeit, dass ich bei der Audienz der Soldaten vorhin ohne Aufforderung das Wort ergriff.«

»Schon vergessen, Cousin! Bitte! Stehen Sie bequem, damit wir Sie ansehen können.« Der Imperator lächelte, als ich mich aufrichtete, und bedeutete meiner Eskorte, uns allein zu lassen. Die Excubitores zogen sich im Rückwärtsgang zurück und verschwanden zwischen bemalten Säulen, wenngleich ich vermutete, dass sie sich nicht wirklich entfernten, sondern nur verborgen zwischen den Pfeilern warteten. »Wir hatten noch keine Gelegenheit, Ihnen für Ihre Dienste bei Aptucca zu danken. Damit haben Sie schon zweien dieser Cielcin-Fürsten den Garaus gemacht.«

Ich neigte den Kopf. »Sie erweisen mir erneut große Ehre, Euer Herrlichkeit.«

»Diese Ehre steht Ihnen zu.« Der Imperator machte eine kleine Bewegung mit der samtbehandschuhten Rechten, dass die Ringe glitzerten, und forderte mich damit auf, ein Stück mit ihm zu gehen. »Wenn doch nur all unsere Diener so effektiv wären.«

Darauf hatte ich keine Antwort, daher blieb ich stumm, spazierte aber im Gleichschritt mit Seiner Herrlichkeit um die kleinen Teiche, dem Weg folgend, den uns unsere Schatten wiesen. Der Imperator war größer als ich, und obwohl ich wusste, dass er ein Vierfaches meiner Jahrhunderte gelebt hatte, war kein bisschen Silber in seinem roten Haar. Abgesehen vom roten Samt seiner langen Handschuhe und Pantoffel war er in strahlendstes, golddurchwirktes Weiß gekleidet. Wenn ich schon vor der Halle des Sonnenkönigs das Gefühl gehabt hatte, dem Anlass entsprechend nicht gut genug gekleidet zu sein, kam ich mir in der Gegenwart Caesars geradezu schäbig vor. Allein seine Ringe mochten dem Wert eines Planeten entsprechen – nicht aufgrund der darin verarbeiteten Edelsteine, oder weil sie so kunstvoll gefertigt waren, nein – allein durch ihr Alter. Ich hatte keinen Zweifel, dass jeder von ihnen vor der Zerstörung der Alten Erde in Sicherheit gebracht worden war.

»Allerorten im Imperium singt man das Hohelied auf Sie, wussten Sie das? Weil Sie die Bleichlinge bei Aptucca besiegten, ohne dass ein Tropfen Menschenblut vergossen wurde.«

»Wenn es doch so wäre«, bemerkte ich nüchtern.

Der Imperator hielt in seinem gemessenen Voranschreiten inne. Ich fühlte seinen Blick auf mir, als ob seine Augen ein Loch in meine Wange brannten. »So ist es. Wir haben verfügt, dass es so ist, und Sie würden gut daran tun, sich an die offizielle Version der Geschichte zu halten.«

»Wie Sie es verlangen, Euer Majestät.« Ich wagte es nicht, den Kopf zu wenden und ihm in die Augen zu sehen, sondern riskierte nur einen Seitenblick. Seine Strahlende Herrlichkeit, William XXIII., runzelte die Stirn, und eine leichte Falte erschien zwischen seinen Brauen. Dann war sie wieder verschwunden, und sein Gesichtsausdruck zeigte wieder pharaonische Gelassenheit. Ich halte immer noch kurz inne, wenn ich mir diese Miene heute in Erinnerung rufe. Aptucca war ein überwältigender Sieg, aber die Lügen, mit denen das Ministerium für die Erleuchtung der Öffentlichkeit die Wahrheit garniert hatte, ließen ihn noch gleißender erscheinen.

»Sie sind sicher, dass der Fürst tot ist?«, fragte Caesar, der jetzt seine Runden um den Teich wieder aufnahm.

Zwischen den Säulen erspähte ich kurz einen der Excubitores, der uns durch die leeren Augen seiner Maske beobachtete. »Sehr sicher, Euer Herrlichkeit. Ich habe Ulurani selbst getötet.«

Seine Strahlende Herrlichkeit nickte und zeichnete geistesabwesend mit einem samtumhüllten Finger seine Kinnlinie nach. Ganz offensichtlich beschäftigte ihn etwas, aber wir spazierten schweigend noch einen Augenblick weiter und kamen an filigranen Fresken vorüber, die fantastische Darstellungen von Nymphen und Engeln zeigten.

»Beantworten Sie mir eine Frage, Hadrian«, sagte der Imperator. In seiner Stimme schwang ein Unterton mit, der mich aufhorchen ließ, und ich sah ihn an. »Sind Sie mir treu ergeben?« Er sprach nicht mehr vom königlichen Wir und zeigte sich damit – und ich weiß, dass es Blasphemie ist, diese Worte niederzuschreiben – als bloßer Mensch, noch dazu als einer, dem das Gewicht der Krone und seiner Position schwer auf den zu schmalen Schultern lastete.

Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte. »Euer Herrlichkeit?«

»Lassen Sie die Herrlichkeit einmal beiseite. Antworten Sie. Wem dienen Sie?«

Hatte er gesehen, welches Verräterzeichen sich auf dem Medaillon befunden hatte, das Carax mir hatte geben wollen? Glaubte er, dass ich einer Verschwörung gegen seinen Thron und seine Familie angehörte? Ich spürte, wie sich meine Knie beugen wollten, und verfluchte mich dafür. Wenn ich jetzt niederkniete, würde ich verlogen und schuldig erscheinen. Also tat ich es nicht, obwohl ich spürte, dass sehr, sehr viel von meiner Antwort abhing, nicht zuletzt mein Leben. »Ich bin ein Soldat des Imperiums«, erklärte ich. Was sonst hätte ich entgegnen können? Ich hatte es nicht werden wollen, aber die Zahl jener, die ihr Leben so führen, wie sie es sich gewünscht haben, ist klein.

Seine Strahlende Herrlichkeit schnaubte. »Das Imperium … sehr schön. Wenn das so ist, habe ich eine Aufgabe für Sie.« Sein Ärger wich leiser Erheiterung, während er sich von mir abwandte und eines der Fresken genauer in Augenschein nahm. Es zeigte eine Ikone der Schönheit, wie sie aus dem Meer stieg, mit festen Brüsten und goldenem Haar. »Haben Sie von dieser Sache auf Gododdin gehört?«

»Gododdin?«, wiederholte ich, weil ich nicht sicher war, ob ich den Namen richtig verstanden hatte.

Es war das erste Mal, dass ich diesen Namen hörte. Den Namen des Planeten, den ich eines Tages zerstören sollte. Wie unbedeutend erschien er mir in jenem Augenblick! Ein bedeutungsloses Wort, eine bedeutungslose Welt.

»Es handelt sich um eine Legionsbasis zwischen dem Sagittarius- und dem Centaurus-Arm der Galaxis. Wir haben sie bisher eingesetzt, um von dort aus Truppen in den Centaurus zu entsenden, da die Cielcin dort weiter vorrücken. Der Geheimdienst hatte eine Legion nach Nemavand in der Provinz Ramannu entsandt, aber sie ist dort nie angekommen.«

Kälte breitete sich in meinem Magen aus. »Noch eine verlorene Legion?« Mehr als ein Dutzend waren in den letzten hundert Jahren verschwunden; die Konvois wurden überfallen, während sie im Warp unterwegs waren, die Soldaten geraubt oder noch in ihrem eisigen Schlaf getötet. Einige Jahrzehnte zuvor war ich ausgesandt worden, um die 378. Legion auf Arae aufzuspüren, was mir, von einigen Überlebenden abgesehen, nicht gelungen war. »Die Cielcin?« Auf Arae waren nicht die Xenobiten für die verübten Gräueltaten verantwortlich gewesen, sondern Extrasolarianer.

»Höchstwahrscheinlich. Die Provinz Ramannu braucht dringend Verstärkung und Vorräte, und der Verlust der Karawane mag dort böse Folgen haben. Wir möchten nicht noch eine Provinz verlieren, Cousin. Daher wünschen wir, dass Sie sich so schnell wie möglich nach Gododdin aufmachen, klären, was mit unserer Legion geschehen ist, und sie, wenn möglich, zurückholen.«

Ich fühlte, wie die Falle zuschnappte. Es war eine unmögliche Aufgabe. Auf Arae war wenigstens ein Planet in der Nähe gewesen, ein Ort, den man absuchen konnte. Auch dort waren unsere Chancen klein gewesen, aber wir hatten zumindest eine Spur verfolgen können. Es mochte ja sein, dass man im ganzen Imperium das Hohelied auf mich sang, aber offenbar sang man zu laut. Ich war zu nahe an die Sonne geflogen – und stand nun so nahe beim Imperator, dem Erstgeborenen Sohn der Sonne. Bei dem Gedanken verzog sich meine grimmige Miene beinahe zu einem Lächeln.

Die Sonne, ganz genau.

Ich sollte scheitern, um gedemütigt zurückzukehren und mich vor dem Sonnenthron in den Staub zu werfen, um auf Knien die unermesslich lange Strecke quer durch den Thronsaal zu robben, begleitet von den Blicken und dem nervösen Gelächter der hochwohlgeborenen Lords und Ladys aus einer halben Milliarde Welten.

Aber da musste noch etwas anderes sein. Der Imperator hätte keine Privataudienz anberaumt, um mir etwas zu sagen, das mir jeder seiner Dienstboten und Logotheten hätte mitteilen können. Wieder sah ich mich im Garten um, betrachtete die Lotusblumen und die Teichrosen und die Ikone der Schönheit, die sich auf ihrer Muschel ausstreckte. Sah zu den Excubitores und Eunuchenbeamten, die in den Schatten lauerten und nur auf einen Befehl des Imperators warteten, um sich zu nähern und nützlich zu machen.

Nach einem weiteren Blick zum Imperator erklärte ich, weil es von mir erwartet wurde: »Wie Sie befehlen, Ehrwürdiger Caesar.«

Seine Strahlende Herrlichkeit sprach nicht gleich weiter, sondern wandte mir noch den Rücken zu. »Seit mehr als siebenhundert Jahren führen wir nun schon Krieg. Zu lange.« Er hob die Hand und streckte zwei beringte Finger aus, wie ein Priester, der einen Segen ausspricht. »Wir werden Ihnen etwas verraten, Sir Hadrian. Etwas, das diesen Garten nicht verlassen soll.« Und nun wandte er sich um, die Hand noch immer erhoben und die Augen leicht zusammengekniffen. »Immer vorausgesetzt natürlich, dass Sie uns wirklich treu ergeben sind.«

Ich wusste, dass ich darauf schweigen musste, um den erhabenen Herrscher auf keinen Fall zu unterbrechen. Dennoch machte Seine Strahlende Herrlichkeit eine Pause, als ob er eine Antwort erwartete. Aber ich hatte vor dem Thron des Ewigwährenden in Vorgossos gestanden, wo die Stunden wie Sekunden verstrichen und verloren waren. Bei Kharn Sagara hatte ich das Aussitzen gelernt. Ich würde auch den Imperator aussitzen. Auf seinem ruhigen Gesicht deutete sich das kleinste Lächeln an, das ich je erblickte.

»Nun gut.« Er ließ die Hand sinken und fuhr ohne weitere Vorrede fort: »Ich bin alt, Cousin. Ich möchte, dass dieser Krieg zu Ende geht, bevor meine Regentschaft vorüber ist.« Das königliche Wir war erneut verschwunden, doch dieser Moment währte nur kurz. »Sie denken sicher, dass wir nicht alt aussehen, aber Sie sind ein Paladin. Sie wissen, wie schnell das Ende für uns kommt, wenn es so weit ist. Wir müssen an die Welt denken, die wir unseren Kindern hinterlassen wollen – und an die Kinder, die wir unseren Untertanen hinterlassen wollen. Und daher haben wir eine Bitte – eine, die Sie nicht erfüllen müssen.« Das glaubte ich keine Sekunde, da die kleinste Bitte des Imperators immer einem Befehl gleichkam. »Auf Ihre Reise nach Gododdin werden Sie unseren Sohn Alexander mitnehmen. Er ist einer Ihrer Bewunderer und braucht etwas Erfahrung.«

Sie werden unseren Sohn mitnehmen, dachte ich. Was für eine Bitte.

»Wie Sie wünschen, Euer Strahlende Majestät.«

»Nemavand liegt an der Grenze zwischen dem Centaurus und der Normesischen Weite. Wir sind nicht willens, diese Provinz zu verlieren, Sir Hadrian, oder zu riskieren, dass die Cielcin von dort aus in unser Imperium einfallen können.« Der Imperator sah mich über die Schulter hinweg an. Er verschränkte die Hände hinter dem Rücken, und das Rot seiner langen Handschuhe hob sich leuchtend vom Weiß seiner Jackenschöße ab. »Wir verlassen uns darauf, dass der Halbsterbliche Held von Aptucca uns nicht enttäuschen wird.«

»Natürlich nicht, Euer Strahlende Majestät«, sagte ich und ließ die Falle zuschnappen. Jetzt zu scheitern, das hieß, den Imperator anzulügen. Und den Imperator anzulügen, das bedeutete den Tod. Ich senkte den Kopf und hoffte, dass diese Haltung und mein tintenschwarzes Haar meinen Gesichtsausdruck verbargen. Drohte mir der Imperator? Oder verspottete er mich nur?

Er machte eine auffordernde, goldschimmernde Geste. »Dann gehen Sie jetzt. Unsere Logotheten werden Ihnen die Einzelheiten der Gododdin-Mission mitteilen, und ein Bote wird zu Ihnen gesandt werden, wenn es an der Zeit ist, Alexander abzuholen. Sie müssen natürlich für seine Sicherheit sorgen, aber behandeln Sie ihn wie jeden anderen Knappen.«

»Wie Sie wünschen, Euer Majestät.« Und obwohl ich mir der Anwesenheit der Excubitores bewusst war, unternahm ich dennoch einen mutigen Schritt. »Dürfte ich eine Frage an Seine Strahlende Herrlichkeit richten?«

Der Heilige Sollanische Imperator antwortete: »Aber natürlich, Cousin.«

Ich holte scharf Luft. »Ich habe vor fünfzig Jahren darum gebeten, in der Imperialen Bibliothek auf Colchis recherchieren zu dürfen.« Genauer gesagt war es sogar dreiundfünfzig Jahre her, aber das hier war nicht der rechte Augenblick für solche Kleinigkeiten. »Ich hätte gern Zugang zu den Archiven.«

Seine Strahlende Herrlichkeit runzelte leicht die Stirn. »Zu den Archiven? Wozu denn das?« Die Imperiale Bibliothek in Nov Belgaer durfte nur von den Scholastikern betreten werden, die dort arbeiteten. Nicht einmal mein Rang als Victoria-Ritter vermochte mir diese Tür zu öffnen; dafür war ein Erlaubnisschreiben der Imperialverwaltung nötig.

Was konnte ich dem Imperator darauf antworten? Die Wahrheit kam nicht infrage – nämlich, dass ich herauszufinden suchte, was an Bord der Demiurge mit mir geschehen war. Dass ich mehr über das heulende Dunkel jenseits des Todes wissen wollte. Über das Stille Volk. Kharn Sagara hatte mir erzählt, dass die Mericanii-Maschinen glaubten, der Gott-Imperator der alten Zeit sei von denselben Kräften unterstützt worden, die mich vom Tod errettet hatten. Es war zu vermuten, dass es irgendwo, vergraben in einem vergessenen Winkel jener urältesten Bibliothek, einen Hinweis dazu geben mochte, ein winziger Beweis dafür, dass es stimmte, und der mir auf meiner Suche weiterhelfen konnte. Aber davon auszugehen, dass es im Universum außerirdische Kräfte gab, die älter und vielleicht auch größer waren als die Menschen, das war Ketzerei, die unweigerlich mit der Todesstrafe geahndet wurde. Überhaupt nur zuzugeben, dass ich von den Stillen wusste, hätte genügt, um eine Katastrophe heraufzubeschwören – und zwar nicht nur für mich, sondern auch für Valka, für Pallino und Crim und all die anderen, die wussten, dass die Geschichten von Hadrian dem Halbsterblichen keine reine Erfindung waren.

Aber die Augenbrauen des Imperators hoben sich mit jeder Mikrosekunde, die verging, ein Stückchen mehr, daher musste ich etwas sagen. »Auf Vorgossos sagte der Ewigwährende, die Cielcin hätten unsere Welten schon viel länger geplündert, als wir glauben, und dieser Krieg sei jetzt nur die groß angelegte Invasion, die als Konsequenz auf Jahrhunderte kleiner Angriffe wie jene erste Schlacht bei Cressgard folgt. Die Bibliothek von Colchis besitzt angeblich eine Kopie aller Texte, die es im ganzen Imperium gibt. Es könnte doch sein, dass ein Bericht über diese früheren Überfälle existiert, aber vielleicht übersehen wurde, weil er sich nicht direkt auf die Bleichlinge bezieht. Ich bin nicht nur ein Ritter, Strahlende Herrlichkeit, sondern auch Gelehrter. Wenn es in diesen Berichten etwas gäbe, das uns bei der aktuellen Kriegsführung helfen könnte, dann wäre es mir einige Jahre meiner Zeit wert, das herauszufinden.«

»Tatsächlich?«, fragte der Imperator und verschränkte wieder die Hände hinter dem Rücken. »Es ist an uns zu bestimmen, was die Jahre Ihres Lebens wert sind, Sir Hadrian.« Er stieß die Worte recht scharf hervor, und es schien, als ob ein Schatten hinter seinem maskenartigen Gesicht vorüberglitt. »Aber vielleicht … Diese Ihre Bitte ist uns neu! Sie war uns in den vergangenen Jahren nicht vorgelegt worden«, fuhr er fort. Das, dachte ich, war eine Lüge. Eine Bitte eines seiner Victoria-Ritter – bei dem es sich noch dazu um seinen jüngsten und am häufigsten mit entscheidenden Aufgaben betrauten Ritter handelte – war sicherlich sofort auf seinem Schreibtisch gelandet. Er hatte sie ignoriert. »Wir werden bei Ihrer Rückkehr darüber nachdenken.«

3

DAS IMPERIUM DER WOLKEN

»Bei allem Respekt, meine Herren, das hier bietet kaum Anhaltspunkte«, sagte ich, stützte die Ellenbogen auf die polierte Oberfläche des schwarzen Glastischs und fügte meine Finger zu einem Dach zusammen. Dann ließ ich den Blick über die eklektische Mischung aus militärischen und ministerialen Würdenträgern schweifen, die sich für dieses Briefing hier versammelt hatten, darunter hohe Paladine ebenso wie Emporkömmlinge einfacher Herkunft.

Mit aristokratischer Abfälligkeit gab Sir Lorcan Breathnach zurück: »Ich bin äußerst zuversichtlich, dass sich der große Teufel von Meidua als dieser Aufgabe gewachsen erweisen wird.«

Ein leises Kichern entrang sich daraufhin einigen der älteren Herren auf der Bank, und ich stellte frustriert, aber wenig überrascht fest, dass sich darunter auch Lord Augustin Bourbon befand, der Kriegsminister persönlich.

»Wir alle schlafen nachts wieder ruhiger, Sir Hadrian, seit wir wissen, dass Sie die Tür bewachen.«

Und das solltet ihr auch, dachte ich, aber ich zeigte nur ein knappes Lächeln. Breathnach leitete seit mehr als dreihundert Jahren den Geheimdienst der Legion, und trotz der Narben, die noch immer an seinem Hals und seinen Händen zu sehen waren, neigte sich die Lebensverlängerung, die er als Patrizier genossen hatte, jetzt ihrem Ende entgegen. Sein braunes Haar war mit Grau durchsetzt, das Schläfen und Stirnlocke bereifte, und die tiefen Falten seines Gesichts wirkten wie von endlosen Winden zerklüftet. Er war, jedenfalls vermutete ich das, ein Selfmade-Man, der jemanden wie mich, einen Adelsspross aus einem alten Fürstengeschlecht, zutiefst verabscheute und der festen Überzeugung war, dass wir die hohen Positionen, die wir innehatten, nicht annähernd verdienten.

»Ich freue mich zu hören, Sir, dass Sie trotz der vielen Aufgaben, denen Sie Ihre Aufmerksamkeit widmen müssen, in der Nacht noch Zeit zum Schlafen finden«, sagte ich. Ein Mann meines Rangs hätte auf eine solche Spitze zwar vielleicht auch verzichten können, aber als Victoria-Ritter war ich dem Geheimdienstchef keine Rechenschaft schuldig.

Breathnachs Kinnmuskeln versteiften sich, aber bevor er mir etwas entgegnen konnte, unterbrach ihn einer seiner Junior-Adjutanten. »Die Ortungsdaten des Konvois sind noch nicht im Datennetz angekommen. Sobald das geschehen ist, werden wir das Gebiet eingrenzen können, in dem wir suchen müssen.«

»Immer vorausgesetzt, dass das Ortungsgerät überhaupt Daten übertragen hat«, wandte Captain Otavia Corvo ein, die direkt zu meiner Rechten saß. Meine normesische Schiffsführerin deutete auf das Sternenkarten-Hologramm, das über dem Konferenztisch schwebte, und auf die rote Linie, die sich vom Gododdin-System bis nach Nemavand an der normesischen Grenze zog. »Wir werden ihre Flugroute genau nachverfolgen müssen und können dann nur hoffen, dass unsere Sensoren etwas aufspüren.« Sie drückte die Fingerspitzen einer Hand fest auf die Tischplatte, um ihren nächsten Gedanken zu unterstreichen. »Entschuldigung, aber wieso machen wir das? Das ist eine Aufgabe für den Interstellaren Patrouillendienst, nicht für eine Sonderkompanie.«

Bevor Breathnach oder einer der anderen darauf antworten konnte, sagte ich: »Weil der Imperator es befohlen hat, Captain.«

»Und Sie werden Ihre Pflicht tun!«, fuhr Lord Bourbon uns an.

»Wie Sie wünschen«, entgegnete ich und versuchte, den Zorn des Rats von meiner Offizierin auf mich selbst zu lenken. »Aber meine Herren, Sie müssen das verstehen. Sie haben uns sehr wenige Informationen gegeben. Wir wollen doch Frieden halten.« Ich bat mit erhobener Hand um Ruhe und betrachtete wieder die Karte. Das Sollanische Imperium hatte sich seit mehr als sechstausend Jahren immer weiter vergrößert und seinen Einflussbereich auf einen immer breiteren und längeren Keil innerhalb der Galaxis ausgedehnt. Zunächst war die Besiedlung entlang der Spiralarme erfolgt, bis tapfere Pioniere endlich den Sprung über die leeren Weiten gewagt hatten, die einen Arm vom nächsten trennten. Erst Perseus am äußeren Rand der Galaxis, dann Orion, in dem sich die rauchenden Trümmer der Erde befanden, auf der die Menschheit geboren worden war, dann Sagittarius, Centaurus und schließlich der Ursprung des Norma-Arms nahe am galaktischen Kern. Hier waren wir zuerst auf die Cielcin gestoßen. Gododdin leuchtete hellrot, ein einsamer Lichtfleck in der Mitte der Weite zwischen den mächtigen Wirbeln des Sagittarius und Centaurus. Ich folgte dem Weg der verlorenen Legion: ein flammender Faden, der sich über die leere Weite in den Centaurus hineinfädelte und sich dann direkt auf den Kern und den galaktischen Norden zubewegte. Das Ziel, Nemavand, lag am äußeren Rand des Centaurus-Arms in der Nähe des Kerns, nahe der Besiedlungsgrenze und den Freistätten der Normesischen Weite, wo ich einen großen Teil meiner Jugend zugebracht hatte. Irgendwo dort draußen – beinahe zwanzigtausend Lichtjahre von Forum entfernt und ganz am Rand des imperialen Herrschaftsbereichs – lag Emesh. Und dahinter Pharos und Rustam und Nagramma. Selbst mit der Tamerlane, die aufgrund ihrer Bauweise zu den schnellsten Schiffen des Imperiums zählte, würden wir Jahrzehnte, vielleicht sogar ein Jahrhundert unterwegs sein.

Selbst wenn ich diese schreckliche Aufgabe meisterte, würde ich so viel Zeit abseits des höfischen Lebens und außer Sichtweite des Imperiums verbracht haben, dass meine Rückkehr einer Wiedergeburt gleichkäme. In hundert Jahren konnte sich viel verändern, vor allem, wenn man den eisigen Schlaf der Raumfahrer schlief und daher selbst unverändert blieb. Die Freunde, die ich jetzt bei Hofe hatte, und der Einfluss, den mir mein augenblicklicher Ruhm dank Aptucca verlieh, würden vergangen sein. Ich würde niemals Zugang zur Imperialen Bibliothek erhalten, und all meine Bemühungen im imperialen Dienst wären umsonst gewesen.

Es war eine Art Todesurteil, und ich bezweifelte nicht, dass einer dieser feinen Herren dem Imperator diese Idee eingegeben hatte. Bourbon vielleicht? Ich stellte mir vor, wie der alte Minister mit seinem Vollmondgesicht flüsternd neben dem Imperator saß. Wie Bourbon es fertigbrachte, als erhabener Paladin so korpulent zu sein, war sein Geheimnis, aber so war es: Sein Körper war so rund wie sein Gesicht, und die dicken Koteletten und der noch dickere Schnauzbart ließen an eine Art Walross oder Seekuh denken, wie sie in den königlichen Aquarien schwammen. Er war ein Mann von üblem Ruf, verräterisch und korrupt. Ich hatte sagen hören, dass er seinen eigenen Vater, Philippe, verraten hatte, als das Haus Bourbon vor Jahrhunderten mit sich selbst im Streit lag, und dass er danach seinen Onkel – Prinz Charles LIV. – bei seinem Anspruch auf den Thron unterstützt hatte. Jetzt tuschelte er leise mit dem hageren Mann, der neben ihm saß, einem ranghohen Logotheten, dessen Namen ich nicht kannte.

Sir Friedrich Oberlin, der junge Offizier, der gerade eben Breathnach unterbrochen hatte, räusperte sich. »Nemavand ist von entscheidender Bedeutung für die Verteidigung der Centauri-Grenzen. Bis zum Überfall auf Hermonassa hatten die Cielcin die leere Weite seit vier Jahrhunderten nicht mehr in großer Zahl überquert; damals waren sie südlich bis zum Sagittarius vorgedrungen.« Er deutete auf einen Sternengürtel, der weit näher an Forum und dem Herzen des Imperiums lag.

Ich erinnerte mich gut an diese Überfälle. Sie hatten sich ereignet, als ich noch ein Junge war und auf Delos lebte. Einer dieser Angriffe hatte Cai Shen zerstört, eine Bergbaukolonie des Konsortiums, und meinen Vater noch viel reicher gemacht, als er schon zuvor gewesen war.

»Seitdem fand der Großteil ihrer Aktionen vor allem in der Normesischen Weite statt, und wir glauben, der Grund liegt darin, dass sie dort Territorien besitzen.«