Das Jahr danach - Bettina von Kleist - E-Book

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Bettina von Kleist

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Beschreibung

Mehr als 200 000 Ehen werden jedes Jahr in Deutschland und Österreich geschieden, Millionen von Beziehungen scheitern. Das Ende einer Partnerschaft bringt tiefgreifende Veränderungen mit sich. Lebenspläne werden durchkreuzt, Selbstbild und Rollenverständnis erschüttert, existenzielle und seelische Not stürzen Betroffene oft in eine tiefe Krise.
Das neue Buch von Bettina von Kleist zielt genau auf die Bruchstelle, wenn Vergangenes nicht mehr gilt und Künftiges sich noch nicht geordnet hat. Wie in einer Nahaufnahme leuchtet die Autorin Verhaltensweisen von Trennungspaaren aus, rollt typische Erosionsprozesse der Liebe auf, bezieht die unterschiedliche Sicht von Verlassenen und Verlassenden ein und berücksichtigt Expertenmeinungen. Narrative Interviews mit Personen zwischen Ende 20 und Ende 60 verdeutlichen, wie unterschiedlich Männer und Frauen die Abwärtsspirale ihrer Beziehungen wahrnehmen und wie anders ihre Bewältigungsstrategien sind.

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Seitenzahl: 382

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Bettina von Kleist

Das Jahr danach

Wenn Paare sich trennen

Ch. Links Verlag, Berlin

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese

Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage 2012 (entspricht der 1. Druck-Auflage von 2011)

© Christoph Links Verlag GmbH

Schönhauser Allee 36, 10435 Berlin, Tel. (030) 44 02 32-0

Internet: www.christoph-links-verlag.de; [email protected]

Titelgestaltung und Titelillustration: Burkhard Neie, www.blackpen.xix-berlin.de

unter Verwendung eines Fotos von Andrej Kuzmin,

Bildquelle: fotolia

Inhalt

Vorwort

Der Tag des Auszugs

Johanna L.: »In mir war ein einziger Trümmerhaufen.«

Luisa C.: »Ich vermisse die Lebensgeräusche von früher.«

Die Verlassenen: »Warum tust du mir das an?«

Trennungsschock

Protest und Leugnung

Taktiken des Rückgewinnens

Verzweiflung

Opferrolle

Trauerprozess

Akzeptanz und Neubeginn

Barbara S.: »Als ich nach Hause kam, war sein Schreibtisch leer geräumt.«

Die Verlassenden: »Nenne mich bloß nicht mehr Schatz!«

Bleiben oder gehen?

Trennungsgründe

Warum Frauen sich trennen

Warum Männer sich trennen

Das Finale

Befreiung oder Reue?

Saskia R.: »Ich habe gebrüllt, geheult, getobt.«

Pari L.: »Ich kann ihren Schmerz nicht heilen.«

Verklärung und Verketzerung

Anne S.: »Ich hatte das Gefühl, die Gute zu sein.« Konrad H.: »Brutto sind wir 17 Jahre zusammen,

netto etwas weniger.«

Paarbeziehungen zerbrechen leise

Entfremdung

Schweigen

Sexualität

Machtkämpfe

Süchte, die Schwefelsäure der Intimität

Gudrun G.: »In unserer Beziehung hatte sich ein Geschwür eingenistet.«

Rainer M.: »Ich fühlte mich wie ein Gefangener.«

Liebe versus Alltag

Sinkende Heiratszahlen – Steigende Scheidungsquoten

Krisengeschütteltes Österreich

Sandra M.: »Ich möchte ihn nicht zurückhaben, aber ich trauere um unser Familienleben.«

Das Ich besteht aus vielen Wirs – Scheidungsrisiko und familiäre Prägungen

Ererbtes Scheidungsrisiko

Falko M.: »Ich merkte, dass ich mit einer anderen Frau keine bessere Beziehung leben kann.«

Der Wahn ist kurz, die Chance lang – Die typischen Phasen einer Liebesbeziehung

Phase der romantischen Verliebtheit

Ernüchterung

Krise

Wiederannäherung oder Eskalation der Krise

Marcia D.: »Wir haben unsere Krise nicht genutzt.«

Gunnar P.: »Ich würde nicht mal mehr hallo zu ihr sagen.«

Er frönte seinem Trieb

Die Untreuen

Die Betrogenen

Nina S.: »Ich wollte die Trennung, doch dann war sie

Peter F.: »Ich habe sie gewarnt: Ich nehme die Nächstbeste, die mir zusagt.«

Marleen K.: »Sexuell bin ich bi.«

Iris L.: »Uns ist bewusster, was wir aneinander haben.«

Ehen vor Gericht

Lieber klare Verhältnisse?

»Kramer gegen Kramer«

Einvernehmliche Scheidung – oder besser gar keine?

Der Rosenkrieg

Der Streit ums Geld

Aline F.: »Das Leben besteht nicht nur aus einem verflossenen Partner.«

Eli V.: »Ich habe eine Höllenangst, dass meine neue Partnerin fremdgehen könnte.«

Partner können sich trennen, Eltern nicht

Vollzeit- oder Freizeitvater?

Mütter: alleinerziehend oder allmächtig?

As time goes by … –Das Verhältnis zwischen Ex-Partnern

Die psychische Scheidung

In Freundschaft verbunden

Wiederheirat nicht ausgeschlossen

Bastian R.: »Meinen Auszug bereute ich bald.«

Marion E.: »Erst jetzt bin ich über den Berg.«

Lisa A.: »Wenn wir uns sehen, rücken Jungund

Sven K.: »Gemeinsam schleifen wir die Krallen

Gewinner und Verlierer

Neue Liebe, neues Glück?

Gesundheitsrisiken und Armutsfalle

Wandel des Selbstbildes

Ellen M.: »Ich kriege Bestätigung nicht mehr durch meine Familie, sondern durch meine Arbeit.«

Heike Graser, Michael Graser, Yoenia Graser: »Der Kompass ist: Was tut uns dreien gut?«

Anhang

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

Zur Autorin

Vorwort

»Wir haben Schluss gemacht.« Ach, was für ein wirklichkeitsferner Satz, allenfalls tauglich für eine kurze Beziehung, die wie eine Sternschnuppe verglühte. Nein, die Aufkündigung einer Liebe ist kein kurzer Prozess, sie ist ein Drama in vielen Akten. Wie kaum ein anderes Ereignis stürzt das Ende der Zweisamkeit Menschen in eine tiefe Krise. Während für junge Paare ein Traum zerplatzt, wird im mittleren Alter ein Lebensplan durchkreuzt. Das Scheitern einer langjährigen Ehe stellt auch den vergangenen gemeinsamen Weg in Frage. Dass die meisten Suizide und Suizidversuche nach Trennungen und Scheidungen erfolgen, wirft ein Licht auf die bodenlose Kränkung und Verzweiflung, wenn der bisherige Lebensrahmen zerbricht und Ungewissheit die Zukunft bedrohlich verschleiert.

Die von Turbulenzen und Orientierungssuche geprägte Übergangszeit steht im Fokus meines Buches. Sozusagen in Nahaufnahme beleuchtet es einen Zeitabschnitt, in dem Bisheriges nicht mehr gilt, sich das Ausmaß der Veränderung aber noch nicht abzeichnet. Manche Eheleute wurden gerade geschieden, bei anderen glimmt unverwüstlich die Hoffnung, den abtrünnigen Partner zurückzugewinnen, mitunter wagen Paare den Zweitversuch. Andere blicken nach einer freundschaftlichen Wiederannäherung auf den Zersetzungsprozess ihres einstigen Liebesverhältnisses zurück.

In diesem Buch berichten rund 30 Personen, darunter sieben ehemalige Paare, über eine Lebenswende, die einen Aufruhr von Gefühlen entfacht und Menschen mit Eigenschaften konfrontiert, die sie weder bei ihrem Partner noch bei sich selbst je vermutet hätten. Zwischen 29 und 67 Jahren alt, fächern meine Gesprächspartner Innen auf, wie sie das prekäre erste Trennungsjahr erlebten und durchlitten, und welche Strategien ihnen halfen, den Umbruch zu überstehen und ansatzweise zu meistern. Ob Menschen die Aufkündigung der Zusammengehörigkeit völlig aus der Bahn wirft oder vorübergehend aus dem Tritt bringt, hängt von objektiven Umständen ab. Doch der Zerfall einer Partnerschaft wird auch höchst subjektiv erlebt; auf ihren Trennungsprozess haben Ex-Paare eine unterschiedliche Sicht. Während über Verlassene die Lebenswende verhängt wurde, mit zunächst unübersehbaren Verlusten, steuern Verlassende erwartungsvoll Neues an, häufig gestärkt und weich gebettet von einer frischen Liebe. Schon der endgültige Beziehungsriss wird häufig nicht zeitgleich datiert. Ging der Partner nur deshalb fremd, weil der andere sich innerlich entfernt hatte? Besiegelte die räumliche Trennung oder erst die Scheidung das endgültige Aus?

Auch zwischen männlichen und weiblichen Gefühlswelten und Verhaltensweisen tut sich ein Graben auf, wie die Einzelinterviews mit Ex-Paaren verdeutlichen. Nun, da Verschiedenheiten nicht mehr eingeebnet werden durch all die Angleichungen und Anpassungen, die ein Leben zu zweit erfordert, schälen sich wie nie zuvor geschlechtliche Differenzen heraus, kehren Frauen und Männer in ihr Stammland zurück. Fassungslos über die fremde Seite, die ihnen entgegenschlägt, teilen sich einstige Partner in zwei Lager auf: Was nur ist in den anderen gefahren, dass er so seltsam und unberechenbar tickt?

Mit Menschen über ihre intimste Beziehung zu sprechen, setzt einen großen Vertrauensvorschuss voraus, für den ich meinen Gesprächspartner Innen danke. Unter einem Pseudonym gewähren sie Einblick in die Krankheitsgeschichte ihrer Liebe, geben preis, welche Belastungen, Kommunikationsdefizite und sexuellen Probleme dieser den Todesstoß versetzten und schildern das Wechselbad von Zerstörung und Rettungsversuchen, bis die Würfel zur Trennung gefallen sind. Noch unsicher, wie sich ihr Leben wieder ordnen wird, spießen sie nicht nur die Fehler und Vergehen ihres Partners auf, sondern setzen sich mit eigenen Versäumnissen und Rachegelüsten auseinander und überprüfen ihr Selbstbild. Im Abschlussinterview erzählen Heike und Michael Graser unter ihrem richtigen Namen von einem ungewöhnlichen Weg, auch nach der Scheidung enge Vertraute zu bleiben. Dass ich viele Ältere befragt habe, weil ihre Trennung einen noch stärkeren Lebenseinschnitt bedeutet, korrespondiert mit der Scheidungsstatistik. Am häufigsten suchen die Mittvierziger woanders ihr Glück, doch immer mehr Paare geben sich nach der Silberhochzeit den Laufpass.

Um zu verstehen, woran Paare scheitern, werden im erläuternden Teil typische Erosionsprozesse der Liebe aufgerollt. In verblüffender Übereinstimmung beschreiben Rechtsanwälte für Familienrecht die stufenweise Eskalation von Konflikten zum Rosenkrieg. Psychotherapeuten und Paarexperten beleuchten die wechselseitigen Schuldzuschreibungen, die Paare oft über die Trennung hinaus aneinander fesseln, bis einer den Absprung aus der emotionalen Verstrickung schafft. Schließlich geben Erhebungen in Deutschland und Österreich Aufschluss über Prägungen und soziale Milieus, die das Scheidungsrisiko erhöhen. Langzeitstudien erhellen, wie Eltern die Trennungsfolgen für sich und ihre Kinder abmildern können.

Während der Arbeit an diesem Buch verfolgte ich mal aus der Nähe, mal von fern, wie es bei meinen Interviewpartner Innen weiterging nach dem ersten Trennungsjahr. Etliche fühlen sich im Aufwärtstrend, ihre Lebenssituation hat sich stabilisiert, auch finanziell, eine Frau ging ein rein sexuelles Verhältnis ein, drei Männer fanden eine neue Partnerin, einer von ihnen wurde inzwischen wieder verlassen. Andere berichten von gelegentlichen Rückfällen in Wut, Wehmut und Trauer und Phasen der Verzagtheit. Insgesamt zeigt sich, wie vieler kleiner Schritte es bedarf, bis eine Trennung überwunden ist. Doch irgendwann wird der Schmerz verstummen.

Berlin, im Januar 2011

Der Tag des Auszugs

Sie hatten wie immer gemeinsam gefrühstückt, er hatte den Tisch gedeckt, sie hatte Kaffee aufgesetzt, in angestrengter Höflichkeit hatten sie und ihr Noch-Ehemann ein paar Sätze gewechselt. Doch als Sven die Tageszeitung aufschlug, hielt sie die bemühte Normalität nicht mehr aus. Ihre Henkersmahlzeit! Nach 17-jähriger Ehe das letzte Frühstück unter einem gemeinsamen Dach. Und Sven vertiefte sich in einen Artikel, als brächte ihn nichts, auch nicht ihre gepackten Umzugskisten, aus dem Tritt. Voller Wut schleuderte sie ihren Kaffeebecher gegen seine ausgefaltete F.A.Z. Der verächtliche Blick ihres Mannes begleitete Anna B. noch lange: »Danach blieb ich sitzen und stierte apathisch vor mich hin, bis die Möbelpacker klingelten.«

Fast alle meine Gesprächspartner Innen erinnerten sich auf Anhieb an das Datum, als sie selbst oder ihr Partner auszogen und der Möbelwagen vor der Tür das Scheitern ihrer Beziehung bekundete. Auch wenn beide Partner die Trennung als unvermeidlich ansehen, löst die Aufkündigung der gemeinsamen Postanschrift zumeist einen Tumult von Gefühlen aus. »Ich hatte den Tag herbeigesehnt. Aber in meine Erleichterung mischte sich auch Trauer. Ein Auszug ist ja der dingliche Abschied von einem Traum«, beschreibt Manfred K., 55, die emotional hoch aufgeladene Situation, in der der gemeinsame Hausrat in »mein« und »dein« zerlegt wird und das ehemalige »wir« und »unser« wieder in zwei Hälften zerfällt. Die mitunter erbitterte Auseinandersetzung, wer was bekommt, lässt sich mit materiellem Besitzanspruch nicht erklären. In der Verteilung des Hab und Guts handeln Paare auch aus, welchen Stellenwert sie der vergangenen Gemeinsamkeit einräumen und wie viel Wertschätzung sie sich gegenseitig (noch) entgegenbringen.

Unabhängig davon, ob sie verlassen wurden oder ihren Partner verließen, schildern Frauen ihren Auszug oft als einen dramatischen Vorgang, der mit dem Gefühl von Entwurzelung, Heimatlosigkeit oder gar Vertriebensein verbunden ist. Wie Flüchtlinge brechen einige auf in eine ungewisse Lebenswende. Falls eine andere Frau der Trennungsgrund ist, verstärkt das Bewusstsein, dass sie zugunsten der Neuen das Feld räumen, das Gefühl, ohnmächtig Veränderungen ausgesetzt zu sein, die erst einmal nur Verlust bedeuten.

Doch auch wenn sie in der vertrauten Umgebung bleiben, empfinden Frauen die Aufteilung des Besitzstandes oft als eine Amputation. Während Männer häufig den Sachwert zum Maßstab erheben mit dem juristischen Besitzanspruch: »Wer hat es denn bezahlt?«, oder rein pragmatisch den Hausrat nach Notwendigem durchsieben, versinnbildlicht die auseinander gerissene Einrichtung für Frauen die Auflösung des bisherigen Lebensgefüges. Jahrelang hauptsächlich zuständig für den Familienalltag, laden sie mehr als Männer Möbel und Wohnaccessoires mit Gefühlen auf und heften an Gegenstände stärker (Beziehungs-) Erinnerungen. Was auch zur Folge hat, dass Frauen die Wut über ihren abtrünnigen Partner oft an dessen Besitztümern ausagieren, sofern sie derer noch habhaft werden. Geniert erinnern sich etliche meiner Gesprächspartnerinnen an ihre unkontrollierten Ausbrüche, in denen sie vorzugsweise die Lieblingsstücke ihres Noch-Partners misshandelten oder vernichteten. »Nachts tigerte ich durchs Haus und zertrümmerte Sachen, die ihm gehörten«, gibt eine 51-Jährige eruptive Racheaktionen preis, die kurz Erleichterung schaffen. Auch die Vorenthaltung unersetzlicher Erinnerungsstücke, zum Beispiel Fotoalben, gehört eher zu weiblichen Strafmaßnahmen.

Zu welchen Zerstörungsorgien verlassene Männer fähig sind, dokumentiert die Kriminalstatistik. Auch in sogenannten geordneten Verhältnissen geht es im Zuge der Trennung oft hoch her. So zersägte ein Mann kurzerhand das Ehebett, nachdem seine Frau für sich eine Wohnung gemietet hatte, weil sie seine cholerischen Attacken nicht mehr ertrug. Es sind mehrheitlich Männer, die ganze Einrichtungen zu Kleinholz machen, Häuser abfackeln und versuchen, ihre Ex auszulöschen, damit kein anderer sie besitzen wird. In meinen Interviews aber schlagen Männer einen weniger dramatischen und weniger kriegerischen Ton an als Frauen. Das Wort »Rauswurf« gehört in meinen Gesprächen eindeutig zum weiblichen Vokabular.

Dass Männer häufig übergangslos bei einer neuen Partnerin unterschlüpfen, ist eine Erklärung, warum ihnen der Abschied von Bisherigem offenbar leichter fällt. Doch auch wenn ihr Junggesellenhaushalt nicht nur ein Provisorium ist, bezeichnen etliche es als Befreiungsakt, künftig nicht mehr durch überflüssigen »Krimskrams« belastet zu sein. Während Frauen ihren abhandengekommenen Partner in Endlosschleifen umkreisen und zunächst das Gefühl hegen, im Niemandsland zu landen, vollzieht sich für Männer mit der räumlichen Trennung häufig ein klarer Schnitt, viele geraten zunächst in Aufbruchstimmung. Nun da mit dem Auszug Fakten geschaffen werden, bietet das Mitanpacken eine Erholungspause von all dem Beziehungstrouble. Während Frauen am Abend des Umzugs häufig von beklemmender Stille angefallen werden, genießen Männer aufatmend die Ruhe und Leere. Niemand redet ihnen mehr rein!

Aber es kommt auch vor, dass Männer nach dem Auszug ihrer Frau nicht ein Möbelstück verschieben. Als könnten sie so gegen die unfreiwillige Veränderung Einspruch erheben und Vergangenes konservieren, richten sie sich in der gewohnten, aber nunmehr solo bespielten Kulisse ein.

In Quadratmetern gemessen, sind Männer nach der Trennung meist auf der Gewinnerseite. Auch wenn sie mitunter ihrer Frau das Haus oder die gemeinsame Wohnung überlassen, können Frauen häufig die Kosten auf Dauer nicht finanzieren und treten ihrem Ex-Partner das vertraute Umfeld wieder ab, um sich räumlich zu verkleinern. Offenbar gar nicht so selten, bestellen Frauen trotzdem weiter den sonst verwildernden Garten und greifen ihm – gratis oder bezahlt – bei der Haushaltsführung unter die Arme. Als ich eine 48-jährige arbeitslose Arzthelferin frage, ob es ihr etwas ausmache, dass sie die Wohnung ihres Ex-Freundes putzt, schüttelt sie den Kopf: »Ich habe nicht das Gefühl, ihn zu bedienen. Aber bis ich diese Einstellung hatte, war es ein langer Prozess. Es ist ein Geben und Nehmen. Ich mache einmal pro Woche klar Schiff, und er bezahlt mich gut.«

Johanna L.: »In mir war ein einziger Trümmerhaufen.«

»Man kann dieses Durcheinander im Kopf nur aushalten, indemman es aufschreibt. Ich habe damit begonnen, als ich nachmeinem Auszug zum ersten Mal allein in unserem Ferienhauswar.« Nach unserem Gespräch gibt mir Johanna L. ihre Aufzeichnungenmit: im Grunde ein Aufschrei. Wir kennen uns seitlangem. Im Album finde ich das Hochzeitsfoto der heute Mitte60-Jährigen, die ihre erste Liebe heiratete. Binnen kurzem folgtendie Geburtsanzeigen ihrer drei Söhne. Eine Familie comme ilfaut: gesund, christlich, gut situiert. Bei unserem Wiedersehennach langer Pause lebt Johanna allein, doch seit langem hegt siedie Hoffnung, dass ihr Mann sich besinnen und zu ihr zurückkehrenwird. Das Interview erfolgt kurz nach ihrer Scheidung.Die schlanke Frau mit weißem Bubikopf ist gerade von einerlangwierigen Grippe genesen.

In der Kombination von antiken und Ikea-Möbeln ist jederQuadratmeter ihrer Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung genutzt,auf dem Bücherregal stehen dutzende Familienfotos. WährendJohanna Tee aufsetzt, berichtet sie freudig, eine Bekannte ausWuppertal habe sie angerufen und ihr von einer Begegnung mitihrem geschiedenen Mann Gerald erzählt. Er habe gesagt: »Es tutmir unendlich leid, dass ich Johanna so verletzt habe.« Als ichsie ein dreiviertel Jahr später wiedersehe, wirkt Johanna gefestigt,die nächste Zeit sei nicht mehr so rastlos verplant. Noch immermüsse sie aufpassen, nicht in eine Depression zu rutschen, aberlangsam gehe es ihr besser: »Es kehrt Ruhe ein.«

Es war ein Auszug ins Nichts. Ich habe nur zwei Koffer mitgenommen, es war wie auf der Flucht. Gerald wusste, dass ich gehe. Ich hatte es ja angekündigt. In den Nächten vor meinem Auszug bin ich oft aufgestanden und habe zu ihm gesagt: »Ich schaffe es nicht.« Ich hoffte, dass er sagt: »Bleib!« Aber es kam nichts, kein Wort, keine Geste. Er ließ alles laufen, sagte nur: »So leicht fällt es mir ja auch nicht.« An einem Novembermorgen stieg ich ins Auto und fuhr los. Ich hatte Angst, die Straße nicht zu sehen, weil mir immerzu die Tränen liefen. Als ich die Tür zu einer Studentenbude mit Matratze auf dem Boden aufschloss, die ich vorübergehend gemietet hatte, überfiel mich das Gefühl: Das ist das Ende. Ich war verzweifelt und voller Angst. In mir und um mich herum war ein einziger Trümmerhaufen. Morgens war es am allerschlimmsten. Ich zwang mich, eine Zeitung zu kaufen, danach lag ich mit dem Stadtplan auf dem Boden und strich Wohnungsangebote an. Als ich beschloss, ich muss aus Wuppertal weg, überlegte ich: Ziehe ich zu meinen Geschwistern oder in die Nähe meiner Mutter? Aber dann dachte ich: Ohne einen Sohn in Reichweite kann ich nicht existieren. Ich ging nach Berlin, wo der mittlere wohnt. An meinem ersten Abend dort kam er dann auch. Ich war außer mir. Dass man in diesem Zustand nicht zum Strick greift, ist erstaunlich.

Nach einem Monat erzählte mir eine Kusine, dass bei ihr im Haus in Potsdam eine Wohnung frei sei. Gerald bestellte den Möbeltransport so, dass ich alles an einem Tag packen musste. Beim Sortieren halfen mir Freundinnen. Ich war wie in Trance. Eine Freundin sagte: »Was du jetzt nicht mitnimmst, siehst du nie wieder.« Ich nahm wenig mit. Unsere großen Möbel passten in meine Wohnung gar nicht hinein. In unserem Haus übernachtete ich im Gästezimmer, das war ein merkwürdiges Gefühl. Aber ich war damals ja fest überzeugt: In einem Jahr bin ich wieder zurück.

Bei meinem Umzug begleitete mich Gerald; gemeinsam fuhren wir hinter dem Möbelwagen her. Auf der Fahrt klagte er, alle würden ihn jetzt verurteilen. Über meine Situation verlor er kein Wort. Wir packten gemeinsam aus, kauften Regale, wie immer waren wir uns einig, was zu mir passt. Gerald war ungeheuer busy, der Tag verlief so glatt und gut, wir lachten auch, ich war in einer ähnlichen Stimmung wie vor zehn Jahren, als wir gemeinsam unser Ferienhaus in Italien einrichteten. Als wir uns beim Essen gegenüber saßen, sagte ich: »Eigentlich habe ich Vertrauen zu dir.« Er guckte mich nur groß an und sagte: »Vertrauen?«

Das war im November. Im Dezember haben wir das erste Weihnachten in meiner Wohnung gefeiert. Vor Heiligabend war bei uns stets Mittagsruhe, und da unsere Söhne das Gästezimmer okkupierten, legten Gerald und ich uns auf mein Bett. Ich kuschelte mich an seinen Rücken und dachte: Er muss doch was empfinden. In meinem Hinterkopf spukte ja noch die Überlegung: Wie gewinne ich ihn wieder? Aber Gerald war wie aus Stein. Als wir aus dem Zimmer kamen, guckten mich die Jungen groß an. Ich glaube, sie dachten: Mami, du bist wirklich blöd!

Viele sind erstaunt, wie tragisch für mich unsere Trennung ist. Vielleicht trifft sie mich so heftig, weil meine Mutter Kriegerwitwe war und ich immer Sehnsucht nach einer Vaterfigur hatte. Gerald lernte ich mit 18 kennen. Er war ein Gentleman: charmant, zärtlich, rücksichtsvoll. Er war für mich Mann, Geliebter, und obwohl er kaum älter ist, auch Vaterersatz, aber er konnte auch unausstehlich konventionell sein. In unserer Ehe wurde er lockerer, humorvoller, es machte mir Freude, seine Talente aus ihm herauszuholen. Dass ich meinen Beruf als Krankengymnastin aufgab, war für mich kein Opfer. Geralds Ruf als Frauenheld war von Beginn an Bestandteil unserer Ehe. Auf jedem Fest flirtete er wie wild. Wenn ich eine Bemerkung machte, konterte er unglaublich scharf. Ich fürchtete seinen Jähzorn, wollte keinen Unfrieden, reagierte manchmal wie ein geprügelter Hund. Vielleicht habe ich gekuscht, mich kleingemacht. Aber was heißt kleinmachen? Mit so einem Mann, der auch ein Macho war, arbeitet man mächtig im Hintergrund. Im Alltag habe ich ihn und unsere Söhne geführt.

An unserem 30sten Hochzeitstag war er zu einer Konferenz nach London gefahren. Ich hatte das Gefühl, dass etwas nicht stimmte, und fand durch einen Anruf heraus, dass er in seinem Stammhotel mit einer Frau übernachtet hatte. Ich glaube, Gerald hat seit langem damit gespielt: Entdeckt sie es? Oder entdeckt sie es nicht? Merklich verschlechtert hatte sich unsere Ehe, nachdem unser Jüngster aus dem Haus war. Gerald wurde unhöflich, patzig. Er brauchte viel Geld, am Wochenende fuhr er oft in die Firma. Als ich meinen Argwohn äußerte, warf er mir vor, dass ich hinter ihm her spioniere. Das habe ich getan, ich habe ihm auch Dinge unter die Nase gerieben, die ich vorher nie in den Mund genommen hätte. Ich verstand nicht, wie jemand sich so verändern kann. Gerald war sicher genervt von meiner Verzweiflung und meinem Weinen. Dass ich seine Lügen aufdeckte, verletzte seine Eitelkeit. Einmal sagte er: »Vergib mir doch!« Ich sagte: »Gern, aber dann musst du auch Schluss machen.« Er versprach es, aber es war nicht Schluss.

Für meine Entscheidung zu gehen gab ein Bibelwort den Ausschlag. Der Satz »Bleibe der Lüge fern« traf mich so, dass ich mir sagte: »Ich muss raus aus diesem unwürdigen Lügengespinst.« In Gesellschaft taten wir so, als sei alles in Ordnung. Ich konnte unser Heucheln, Geralds Schweigen nicht mehr ertragen. Als ich meinen Schwiegereltern meinen Auszug mitteilte, äußerte meine Schwiegermutter, man müsse die Untreue des Mannes eben aushalten. Sie zählte mehrere Tanten auf, die sich auch damit arrangiert hätten. Ich sagte ihr: »Nein, Mami, ich halte das nicht aus. Heute müssen Frauen das nicht mehr.« Ich sah meinen Auszug jedoch nicht als Bruch an, sondern als Ehepause. Wie wohl jede Frau, die die Untreue ihres Mannes entdeckt, hoffte ich lange, dass Gerald irgendwann auf Knien angerutscht kommt und sagt: »Es tut mir leid. Es ist vorbei. Du bist die Beste, Schönste und Liebste.« Heute wundere ich mich, dass ich das wirklich geglaubt habe. Natürlich grübele ich: Was hat er gesucht? Zum einen die Erfüllung seiner sexuellen Potenz. Er war immer ein Womanizer. Aus seiner Schwachstelle Frauen wurde ein Ventil. Ich habe immer gesagt: »He is slightly oversexed.« Diesbezüglich war ich auch aus Unaufgeklärtheit sicher nicht die optimale Partnerin. Aber ich sehe seine Affären auch als eine Flucht aus seelischen Verletzungen. Von seinen Eltern und im Beruf musste er viel einstecken. Er hat sich in ein Lügendickicht verirrt, wollte gewiss nicht, dass unsere Ehe kaputtgeht. Er liebt Familie, möchte beides, die Ehe und seine Freiheit. Er hat ja auch gesagt: »Mit dir hat es nichts zu tun. Es läuft parallel.« Aber soll man das ertragen?

Nachdem ich gegangen war, begann der Kampf, meine Sehnsucht abzutöten. Die Sehnsucht ist die größte Qual, die man durchstehen muss. Die Sehnsucht nach der körperlichen Nähe, nach dem vertrauten Gegenüber, nach dem Du. Gerald besuchte mich noch ein paar Mal. Beim Verabschieden öffnete er einmal seinen Mantel und drückte mich fest an sich. In solchen Momenten weißt du, du bist noch lange nicht fertig mit der Trennung.

Am schlimmsten war: Einige Monate nach meinem Auszug bekam ich einen anonymen Brief, der, denke ich, von einer ehemaligen Geliebten war, der Konkurrentin seiner jetzigen Partnerin. Darin stand: »Die Frau, die Sie suchen, heißt ...« Lange kam ich nicht darüber hinweg. Wo war ich nur gelandet? Ich habe Gerald den Brief gefaxt mit der Anmerkung: »Sorge dafür, dass so etwas nicht mehr passiert.« Damals wusste ich schon, dass Gerald mit Janine zusammenlebt. Sie ist die Tochter eines befreundeten Ehepaars in Wuppertal. Mit 16 begann sie hemmungslos für meinen Mann zu schwärmen, sie wurde älter und heiratete nicht, sie saß mir wie eine Faust im Nacken. Nach meinem Auszug habe ich Janines Eltern einmal besucht. Ich wollte sie als Freunde nicht ganz verlieren, hatte gehofft, dass wir uns darin einig sind, dass diese Beziehung nicht unser Niveau ist. Aber sie meinten nur: »Sie sind doch so glücklich miteinander.«

Mit unseren Söhnen habe ich oft über meine Gefühle geredet, sie sahen ja meinen elendigen Zustand. Viele Bekannte haben mich gefragt: »Warum tun deine Söhne nicht mehr? Warum besuchen sie weiterhin ihren Vater?« Ich habe geantwortet: »Wir haben vereinbart, den friedlichen Weg zu gehen.« Ja, wir wollen Hässlichkeiten vermeiden. Aber ich verstehe nicht, warum unser Freundeskreis Gerald nicht ins Gebet genommen hat, denn viele hatten seine Beziehung zu Janine lange vor mir mitbekommen und dichtgehalten. Warum sind Freunde in dieser Situation so feige? Und weshalb haben Janines Eltern nicht zu ihrer Tochter gesagt: »Das ist ein verheirateter Mann. Benimm dich mal.«

Durch unsere Trennung habe ich gelernt, über Gefühle zu reden. Ich bin sicherer bei dem, was ich sage, habe ein viel größeres Vokabular bekommen. Und ein besseres Selbstwertgefühl. Wenn ich das Wort Würde ausspreche, wird mein Rückgrat ganz grade. Es macht mich froh, dass ich nicht versunken bin in Alkohol und Depressionen, obwohl es Phasen absoluter Dunkelheit gab und auch noch gibt. Ohne meinen Glauben hätte ich den Tiefpunkt nicht überstanden. In meiner Not habe ich regelrechte Stoßseufzer an Gott gerichtet: »Herr, ohne dich schaffe ich es nicht. Jetzt bist du dran.« Ein paar Mal suchte mich der Gedanke an Suizid heim. Immer wenn es mir schlecht geht, muss ich laufen, laufen. Wenn ich allein in der Natur war, habe ich mein Hadern hinausgeschrien. Danach wurde ich jedes Mal ganz ruhig. Musik hat mir sehr geholfen: Messen, Kantaten, alle Werke von Bach.

Gegen unsere Scheidung vor einem Jahr habe ich mich mit Händen und Füßen gewehrt. Sie besiegelt, dass unsere Ehe unwiderruflich zerbrochen ist. Die Endgültigkeit hat etwas Vernichtendes. Ich beginne zwar, meine Selbständigkeit auch zu genießen, aber ich hätte lieber nur getrennt gelebt. Dann wäre noch ein Fünkchen von unserer Ehe übrig geblieben, schon allein, weil ich hätte sagen können: »Mein Mann.« Das impliziert: Irgendwo ist da noch ein männlicher Schutz. Und: Der gehört eigentlich nicht anderen Frauen, der gehört zu mir. Nach dem Gerichtstermin bin ich stundenlang allein im Regen spazieren gegangen. Mich quälte die Frage: »Wer bin ich jetzt eigentlich?« Ich hatte das Gefühl absoluter Bodenlosigkeit. Ich frage mich, warum Gerald die Scheidung wollte, denn er hat Janine ja nicht geheiratet. Manchmal denke ich, es ist seine Revanche dafür, dass ich gegangen bin. Niemand, auch er nicht, hatte mir diese Stärke zugetraut. Indem er auf der Scheidung bestand, gab er wieder die Bedingungen vor.

Ich werde häufig gefragt, ob ich zu Gerald zurückgehen würde. Manche seiner Eigenschaften stören mich mehr als früher. Es ärgert mich, wenn er negativ über unsere Söhne spricht, Pauschalurteile fällt, wenn er innerlich so unbeweglich ist. Aber mein Gefühl sagt etwas ganz anderes. Wenn ich mir ausmale, Gerald würde sagen: »Komm zu mir ins neue Haus, es ist aus mit Janine«, dann weicht aller Druck, alle Unruhe einer abgrundtiefen Erleichterung. Wenn ich ihn sehe, habe ich oft ein warmes Gefühl, aber es tut nicht mehr quälend weh. Das Fundament unserer jetzigen Beziehung ist die Vertrautheit. Du kannst vielleicht irgendwann die Sehnsucht löschen, die Liebe abtöten, aber die Vertrautheit bleibt. Unsere Kinder und Enkel sind jetzt unsere Verbindungsglieder. Vor kurzem sagte Gerald: »Haben wir nicht eine süße Enkeltochter?« Bei den älteren Enkeln hat er das »wir« nicht gebraucht.

Aber eine Stimme in mir sagt auch: Ich habe mich zu spät getrennt. Ich wollte unseren Söhnen ein intaktes Familienleben geben, dafür habe ich zu viel in Kauf genommen. In den letzten Monaten denke ich seltener an Gerald, mitunter zwei Wochen nicht. Ich träume auch weniger von ihm. Wenn ich von ihm träume, sind wir meist ein Paar. Er ruft selten an, erkundigt sich aber bei den Kindern, wie es mir geht. Da schwingen sicher auch Schuldgefühle mit. Was nach wie vor wie ein Schatten auf mir liegt, ist seine Freundin. Während der Trennungsphase habe ich vergeblich versucht, mit ihr Kontakt aufzunehmen. Seit der Scheidung will ich nicht mehr. Wenn ich überlege, wie lange sie für mich eine Bedrohung war, kommt in mir eine irrsinnige Wut hoch. Auch Eifersucht. Besonders, wenn meine Söhne zu Gerald und ihr fahren. Die Vorstellung piekt, dass sie meine Enkel knutscht. Im Traum wollte ich sie schon erwürgen, reale Rachegedanken hege ich nicht. Das überlasse ich einer höheren Instanz. Ich sage: »Herr, du weißt, das ist ein Luder.«

Ich krabbele allmählich raus aus der schlimmsten Krise, aber ich finde es schwer, allein zu sein. Ich würde gern beim Frühstück jemandem gegenübersitzen, möchte abends noch jemanden umarmen. An manchen Tagen habe ich mit niemandem ein Wort geredet. Ich habe wenig Eigeninitiative, brauche immer ein Zugpferd. Ich lese viel, walke, inzwischen bin ich so weit, dass ich manchmal allein ins Kino oder ins Café gehe, doch es ist herrlich, wenn jemand sagt: »Komm!« Richtige Freunde habe ich in Potsdam nicht, auch weil ich oft verreise, zu meinen Söhnen und in unser Ferienhäuschen. Einladungen, bei denen sonst nur Ehepaare anwesend sind, sage ich ab, weil ich mich deplaciert fühle. Erst seit kurzem habe ich das Gefühl, wenn ich meine Wohnungstür aufschließe: Ich komme nach Hause. Doch wenn mein Sohn Berlin verließe, könnte ich meine Zelte leichten Herzens wieder abbrechen.

Glückliche Momente erlebe ich kaum noch. Wenn mich meine vier Enkel besuchen, sage ich mir manchmal: Sei doch glücklicher! Aber ich bin es nicht. Eine Zeitlang meinte ich, einer Frau an den Augen anzusehen, ob sie durch das Elend einer Scheidung gegangen ist. Sabine Christiansen zum Beispiel. Als sie sich von ihrem Mann trennen musste, dachte ich: Oh, diese Augen kennst du. Wenn du in den Spiegel schaust, hast du den gleichen Blick. Aber man muss sich bemühen, dass man nicht so verhärmt aussieht, dass die Leute einen nicht mehr mögen. Witwen haben einen anderen Ausdruck. Verwitwete Partner sind einsam, traurig, aber sie sind nicht verlassen worden, sie können an ein Grab gehen und sagen: »Gott, es war dein Wille.« Meine Mutter fragte mich einmal: »Wäre es besser, Gerald wäre tot?« Das hat mich erschreckt, aber sie hat den Unterschied erkannt. Ich trauere um eine lebende Leiche. Und finde es schrecklich, dass ich zur Gruppe der Geschiedenen gehöre.

Luisa C.: »Ich vermisse die Lebensgeräusche von früher.«

Auf dem Tisch vor dem Fenster stehen Kerzen und Blumen, mitwenig Mitteln ist der Wohn- und Schlafraum geschmackvoll eingerichtet.Mit 42 Quadratmetern bietet Luisas Einzimmerwohnungnur wenig Platz. Zierlich und neuerdings mit auf Kinnlängegekürzten Haaren, hat die dunkelblonde 49-Jährige eine nochjugendliche Anmut, mit ihrer glockenreinen Sopranstimme ist sieeine tragende Säule im Chor.

Ein Jahr nach unserem Gespräch haben sich ihre Lebensumständestabilisiert und verbessert. Auf ihren Beruf als Altenpflegerinhat sie eine Zusatzqualifikation draufgesattelt, glücklichberichtet sie von ihrem Umzug in eine Zwei-Zimmer-Wohnung,inzwischen würden ihr Sohn und ihre Töchter mehr akzeptieren,dass sie ihren Mann verlassen hatte. Gern würde ich auch ihninterviewen, aber Luisa wehrt ab. Er würde mit einer Fremdengewiss nicht reden wollen.

Ich habe noch nicht den Punkt erreicht, wo ich durchatmen kann, noch immer stehe ich unter Spannung und frage mich, ob mein Schritt richtig war. Besonders die Nächte, in denen ich allein bin, sind schwierig. Dann schlafe ich schlecht, mir fehlen die Lebensgeräusche von früher: das Treppauf, Treppab der Kinder, das Kratzen des Katers an der Tür, die Fernsehgeräusche nebenan, wenn ich schon im Bett lag. Wenn ich jetzt nach dem Spätdienst nach Hause komme, ist niemand da, mit dem ich reden kann. In den ersten Monaten nach unserer Trennung blieb ich deshalb nach Feierabend oft noch im Dienstzimmer meiner Arbeitsstelle sitzen. Seit 17 Jahren arbeite ich in einem Altenheim, es ist ein Ort, wo ich Sicherheit habe. Und ich habe das Feedback: Du leistest was Gutes, du bist kein schlechter Mensch, obwohl du deinen Mann und deine Kinder verlassen hast.

Diese Wohnung habe ich seit zwei Jahren, aber ich empfinde sie nicht als mein Zuhause. Vielleicht mache ich an der Wohnung meine Zerrissenheit fest. Die geringe Miete gab den Ausschlag, sie zu nehmen. Mein Freund und ich haben die Wände geweißt, den Teppich rausgerissen, die Möbel habe ich zusammengesucht, aus unserem Haus habe ich nur das Regal und meinen Schreibtisch mitgenommen. Die Kinder wollten nicht, dass dort noch andere Möbel fehlen. Die Waschmaschine hat mir mein Mann Alex gebracht, seither hat er meine Wohnung nicht mehr betreten. Als ich mich vor zweieinhalb Jahren von ihm trennte, habe ich für einige Monate bei meinem Freund gewohnt während des Schulaustauschjahrs seiner Tochter. Danach gab es für mich kein Zurück mehr, ich war schon viel zu weit weg von meinem Mann. Ich hatte allerdings nicht gedacht, dass ich so große Gewissensbisse haben würde und hatte gehofft, dass die Kinder meinen Schritt besser verstehen. Und ich hatte nicht erwartet, dass es Alex so lange schlecht geht. Ich hatte vermutet, dass er mit Wut reagiert, aber er ist völlig gedämpft, ja depressiv. Manchmal habe ich Angst, dass er sich was antut. Einmal sagte er: »Mein Leben ist zu Ende.« Zu mir sagt er: »Na, du bist ja jetzt glücklich. Du hast ja, was du wolltest.« Aber das stimmt so nicht, es gibt ja auch Stress mit meinem Freund. Doch anscheinend hat mein Mann im Kopf: Luisa hat es sich wieder einmal so eingerichtet, wie sie es haben will.

Mein Mann und ich kennen uns seit 29 Jahren. Letztes Jahr hatten wir Silberhochzeit. Alex ist neun Jahre älter, seine erste Ehe wäre vermutlich auch ohne mich auseinander gegangen. Er hat sehr traditionelle Ehevorstellungen, der Haushalt musste immer picobello sein, die Kinder sollten gehorchen. Ich fühlte mich oft unter Druck. Berufstätig war ich immer, ich brauche die Kommunikation mit Kollegen. Mein Mann redet nicht gern, mir fiel auf, dass wir kaum gemeinsam lachten. Wenn ich im Kino lachte, sagte er prompt: »Doch nicht so laut!«

Die ersten Schwierigkeiten tauchten nach der Geburt unseres dritten Kindes auf. Alex fühlte sich vernachlässigt, damals erwog er unsere Trennung, aber ich wollte meine Kinder nicht ohne Vater aufziehen. Was mich zunehmend störte, war, dass er von sich als »meine Wenigkeit« sprach. Mehrmals habe ich ihm vorgeschlagen: »Sollen wir nicht das Haus verkaufen? Es wäre genial, wenn wir zwei nebeneinanderliegende Wohnungen hätten.« Aber er meinte: »Getrennte Schlafzimmer sind das Ende einer Ehe.« Vielleicht hatte ich unbewusst wirklich Trennungsgedanken. Über unsere Probleme habe ich jedoch allenfalls nachts nachgedacht, die finanziellen Folgen haben mir Angst gemacht, und mit Kindern, Beruf und Haushalt ist man ja rund um die Uhr beschäftigt. Natürlich merkte Alex, dass ich mich entzog. Er fragte manchmal: »Findest du es in Ordnung, dass du oft schon um 20 Uhr ins Bett gehst?« Aber er hat nie zu erkennen gegeben, dass ihm das nicht passt oder nach dem Grund gefragt. Er hat sich stets damit begnügt zu sagen: »Wenn sie es braucht ...« Auch positiv drückt er kaum Gefühle aus. Ich habe nie von ihm gehört: »Du singst wunderbar.« Vielleicht haben wir uns beide zu wenig gelobt.

Meinen Freund habe ich im Chor kennengelernt. Entdeckt hat mein Mann unsere Beziehung vor fünf Jahren, als er in meinem Rucksack eine Postkarte von meinem Freund fand. Als ich schon mal eine Affäre mit einem verheirateten Mann hatte, verbuchte Alex das noch unter: Sie braucht mal ihre Auszeit. Er sah mich als eine Frau an, die nicht in sich ruht. Als er diesmal von meinem Freund erfuhr, hat er auf seine Art vielleicht gekämpft. Er hat meinen Freund zur Rede gestellt, warum er eine Familie zerstöre. Aufgegeben hat Alex, glaube ich, als ich unser Schlafzimmer verließ und in das Zimmer unseres Sohnes zog. Damals nahm er Kontakt zu einer Freundin auf, deren Mann ebenfalls gegangen war. Sie hat für ihn gekocht, er hat für sie Dinge repariert, mit ihren Kindern verreisten sie auch mal, in dieser Zeit ging es ihm besser. Er hielt mir vor, meinetwegen sei diese Beziehung kaputtgegangen. Seine Freundin habe gefordert, dass er mich rausschmeiße, das habe er nicht getan.

Ihm und meinen Kindern gegenüber habe ich heftige Schuldgefühle. Der schlimmste Moment war, als die Kinder mich fragten, ob es stimmt, dass ich einen anderen Mann habe. Ich habe sie verletzt, meinetwegen ist Alex so unglücklich. Er warf mir vor, er habe alles nur für mich angeschafft: unser Haus, das Auto, das Wochenendhäuschen, ja selbst unsere Kinder. Mir zuliebe habe er auch seine Hobbys aufgegeben, das Bergsteigen und das Fotografieren. In der Tat habe ich oft genörgelt, wenn er nur Landschaftsaufnahmen machte. Aber seine Einstellung: »Ich habe dir die Welt zu Füßen gelegt und du trittst darauf herum« akzeptiere ich nicht. Ich sagte ihm: »Du musst doch für dich irgendetwas wollen.«

Nach meinem Auszug haben wir noch zweimal gemeinsam Weihnachten gefeiert, das war bedrückend. Alex signalisierte, wie schlecht es ihm geht und lehnte beim Kochen jede Hilfe ab. Seit letztem Jahr habe ich keinen Hausschlüssel mehr. Ich gab ihn meiner Tochter, nachdem sie ihren verloren hatte. Vorher konnte ich jederzeit in unser Haus gehen, ich konnte selbst aufschließen, war nicht auf Besuch, aber ich bin nie lange geblieben. Es war zu schmerzhaft. An dem Haus habe ich sehr gehangen, die alten Möbel habe ich gesammelt. Es steht alles noch so, wie ich es verlassen habe, Alex schläft auch auf der gleichen Seite des Bettes. Ich hätte schon deshalb alles umgestellt, damit ich nicht auf Schritt und Tritt an Vergangenes erinnert werde. Seitdem ich keinen Schlüssel mehr habe, war ich nicht mehr dort.

Dass meine Kinder meine Wohnung lange nicht sehen wollten, hat mich sehr geschmerzt. Sie sind für mich das Wichtigste auf der Welt. Es würde mich freuen, wenn sie meinen Freund kennenlernen würden, aber sie lehnen jede Begegnung ab. Nur meine Tochter hat ihn sozusagen einmal über sich ergehen lassen und bei einem zufälligen Zusammentreffen kurz mit ihm gesprochen. Ich habe die Kinder wissen lassen, dass sie jederzeit willkommen sind, mehr kann ich nicht tun, ich kann mir nicht dauernd Abfuhren holen. Zum ersten Mal waren alle drei am ersten Weihnachtstag hier, nachdem wir letztes Jahr beschlossen hatten, Heiligabend nicht mehr zu fünft zu feiern.

Aber es gibt inzwischen Stunden, in denen ich gern allein bin. Früher hatte ich überhaupt keine Freizeit. Jetzt muss ich nicht putzen, einkaufen, kochen, bevor ich zur Arbeit gehe. Wenn ich vormittags frei habe, kann ich ausschlafen, oder ich frühstücke im Bett und gucke mir dabei einen Film an.

Alex habe ich lange nicht gesehen. Als wir neulich telefonierten, lag in seiner Stimme wieder dieses Vorwurfsvolle. Ich wünschte, er würde jemanden kennenlernen und dadurch froher werden. Meine Tochter erzählt, dass er abends fast nur zu Hause sitzt. Ich habe ihm versprochen, mich in der nächsten Zeit nicht scheiden zu lassen. Zum einen aus finanziellen Gründen, zum anderen ist mir eine Scheidung nicht wichtig. Wichtig wäre für mich, dass zwischen uns finanziell einmal ein Abschluss gefunden wird, und ich nicht mehr Haushaltsgeld an die Familie zahlen muss, von dem auch der Baukredit abgestottert wird. Mit dem gemeinsamen Topf bleibt ja zwangsläufig eine Verbindung. Aber ich glaube, Alex will sich das Gefühl bewahren: Trotz allem gehören wir noch zusammen. Bis vor kurzem meldete er sich am Telefon mit den Worten: »Hier ist Alex, dein Ehemann.« Ich denke, Alex war glücklich mit unserem Leben wie es war. Aber wir sind zu verschieden, wahrscheinlich habe ich ihn nie so geliebt wie ich meinen Freund liebe.

Ich möchte einen Schlussstrich ziehen und treffe deshalb zur Zeit alte Freunde ungern. Die damit verknüpften Erinnerungen tun noch weh, auch die Fragen: »Wie geht es dir denn? Und wie geht es Alex?« Erstaunt über unsere Trennung waren die meisten nicht.

Wenn mein Freund und ich uns streiten, denke ich manchmal: Hat sich das Auseinanderbrechen unserer Familie gelohnt? Aber wenn ich über die erste Wut hinweg bin, rufe ich mir ins Gedächtnis, was mir in dieser Beziehung wichtig ist. Es ist für mich eine Offenbarung, dass wir uns stundenlang unterhalten können. Und wir können zusammen ausgelassen sein. Nach meinem Auszug von Zuhause legte sich mein Freund oft richtig ins Zeug, um mich aufzuheitern. Bevor er abends ins Bett kam, stellte er sich vor mich und brachte mich mit Faxen zum Lachen. Wenn seine Tochter auszieht, würde ich gern mit ihm zusammenziehen, aber er möchte ausprobieren, allein zu wohnen.

Dass nicht alles so funktioniert, wie ich es mir ausgemalt habe, ist logisch. Trotzdem ruft die Ungewissheit, wie es weitergeht, Ängste hervor. Es macht mir Angst, dass ich die Geborgenheit eines Familienverbundes nie wieder haben werde. Ganz allein zu sein, kann ich mir nicht vorstellen. Mit Beruf und Fortbildung komme ich jedoch gar nicht so zum Grübeln. Wenn ich abgelenkt bin, geht es mir besser. Singen ist für mich Therapie, ich koche gern, mache Sport. Manchmal rumort das Gefühl, dass ich gescheitert bin. Aber vermutlich ist es ein normaler Schritt, dass einer irgendwann sagt: »Ich will nicht mehr. Ich wähle nun einen anderen Weg.« Bisweilen denke ich auch: Ich sehe so viele Menschen sterben. Vielleicht brauche ich deshalb doppelt so viel Leben.

Die Verlassenen: »Warum tust du mir das an?«

Trennungsschock

Rückblickend sind die Vorboten der Trennung zu erkennen: Spannungen, Probleme, Differenzen, stumm erduldet oder wortreich ausgetragen. Doch die Streitigkeiten hatten sich immer wieder beigelegt, der Alltag hat manche Unstimmigkeit überdeckt. Und in welcher Ehe flogen nicht ab und zu die Fetzen? Dass ihr Mann/ihr Freund, ihre Frau/ihre Freundin sie verließ, traf die meisten meiner Gesprächspartner Innen wie ein Keulenschlag. Mit diesem Schritt hatten sie nicht gerechnet. Gerade in allerjüngster Zeit, erzählen einige, waren Momente der Innigkeit wieder aufgeflammt; sie hatten Pläne geschmiedet; indem einer dem andern nachzog, beugten sie den Klippen einer Fernbeziehung vor. Auch jene, die die letzte Etappe ihrer Lebensgemeinschaft als eine Abfolge von Krisen schildern, beschreiben den Weggang ihres Partners häufig wie eine über sie hereinbrechende Naturkatastrophe. Wie »vom Donner gerührt« waren sie, als der »große Knall erfolgte«: Ihr Mann, ihre Frau machte sich aus dem Staub, suchte woanders das Glück, koppelte sich einfach vom gemeinsamen Leben ab.

Ein Schock. Je nach Umständen, Alter und Naturell reicht er vom bittersüßen Liebeskummer bis zur unüberwindlichen Erschütterung. Während für junge Liebende der Traum von ihrer unzerstörbaren Einheit platzt, wird in mittleren Jahren ein Lebensentwurf durchkreuzt. Für Menschen im höheren Alter verengt sich die Chance auf einen Neuanfang. Zwar greifen die über 50-Jährigen auf mehr Erfahrungen zurück. Diese können jedoch oft nicht das Gefühl dämpfen, auf ganzer Linie gescheitert zu sein, wenn mit dem Weggang des Partners das jahrzehntelang gültige Lebensmodell zusammenbricht.

Wer sich von wem getrennt hat, steht nicht immer eindeutig fest. War der Seitensprung nur eine Reaktion darauf, dass der andere sich längst innerlich entfernt hatte und im Bett nichts als Nachtruhe herrschte? Selbst nachprüfbare Daten stimmen in der Erinnerung der Paare mitunter nicht überein: Zog zuerst er oder sie aus der gemeinsamen Wohnung aus?

Mit dem Vorbehalt, dass Gefühle keinem Regelwerk folgen, teilen Psychologen den Trennungsprozess gleichwohl in typische Phasen ein. Werden Partner verlassen, durchlaufen sie mehrere Stadien, bis sie den Verlust bewältigt haben. Wenn sie nicht steckenbleiben in Hader und Hass, folgt nach dem Trennungsschock eine Phase des Protests und Leugnens, dann Verzweiflung, schließlich heilsame Trauer, Akzeptanz und Neubeginn.

Wie tiefgehend der unfreiwillige Abschied vom Partner ist, hängt von der Dauer und Intensität der Beziehung ab. Das Ende einer langen Ehe zehrt mehr an der Substanz als eine kurze und oberflächliche Liaison. Doch auch wenn es mit der Liebe und Treue schon lange haperte, bewirkt das endgültige Aus einen Aufruhr von Gefühlen. »Ich schwankte zwischen Ungläubigkeit, Fassungslosigkeit und Wut«, beschreiben etliche Frauen ein Gefühlsgemisch, in dem die Frage »Warum bloß?« quälend in den Mittelpunkt rückt, falls der Partner ein Gespräch über die Trennungsgründe verweigert. Manchmal sucht der einst so nahe Mensch völlig wortlos das Weite. Wildwüchsigen Vermutungen preisgegeben, stochern die Verlassenen im Dunkeln.

Protest und Leugnung

Die häufige Klage von Verlassenen, dass der Partner ohne jede Ankündigung ging, wird bei genauerem Bedenken oft dahingehend relativiert, dass vermutlich Warnungen überhört und Andeutungen zu wenig ernst genommen wurden. »Ich dachte immer, wenn einer untreu ist, dann bin ich das. Ich bin diejenige, die ihn irgendwann verlassen wird«, bringt eine 46-Jährige auf den Punkt, dass Paare, besonders Eheleute, dazu neigen, die potentielle Eigenständigkeit des anderen zu unterschätzen. Während Männer tendenziell blind sind für die Entwicklung ihrer Partnerin, trauen Frauen ihrem Mann oft nicht zu, aus dem Abwärts in ihrer Beziehung Konsequenzen zu ziehen.

Gegen den Zusammenbruch des vermeintlich sicheren Gefüges schützen sich viele Verlassene, indem sie den Schritt des Partners als vorübergehende Abstandsbewegung verharmlosen. Er/sie wird sich besinnen und über kurz oder lang zurückkommen! Und weil dem so ist, wird Bewährtes bewahrt, wird nichts in der Wohnung umgestellt, im Kühlschrank stapeln sich weiterhin Vorräte für zwei. Darauf geeicht, Verhaltensweisen zu verstehen, auszulegen und vorauszusehen, klammern sich vor allem Frauen an die Hoffnung, ihren Mann besser zu kennen als er sich selbst und verlängern mit immer neuen Fristen die auferlegte Wartezeit: Es wird ihm bald dämmern, was er sich einbrockt, ihr Geburtstag wird der Anlass sein, sich zu melden, spätestens Weihnachten wird er sehnsüchtig nach Hause zurückstreben.

Solange Verlassene ihre Situation verleugnen, brauchen sie sich keine neue Lebensperspektive aufzubauen, erklären Psychologen die für Außenstehende oft leicht erkennbare Illusion, die auch eine Maßnahme ist, Unerträgliches in homöopathischen Dosen zu bewältigen. Die Selbstüberlistung bringt Wut und Ängste jedoch nicht vollends zum Schweigen. Im anstrengenden Wechselbad der Gefühle schlingern Verlassene zwischen der Beschwichtigung: »Nie würde er/sie das machen«, und dem Aufschrei: »Wie kann er/sie mir das nur antun?« Mal reden sie sich beruhigend zu, dann wieder laufen sie innerlich Amok.

Den Protest gegen Faktisches bezeichnen Psychologen als die dramatischste Phase nach der Trennung. Man schreit, tobt, wütet, zerstört, und doch drücken all die Verwünschungen und Unterstellungen den flehentlichen Appell aus: »Bleib bei mir! Komm zurück!« Die blindwütige Raserei, die Wucht elementarer Regungen führt der bekannte Psychoanalytiker Horst Petri auf frühkindliche Trennungstraumata zurück, als Auflehnung gegen absolute Hilflosigkeit und Ohnmacht. Die Abtrünnigkeit werde als Verrat erlebt, und zwar umso quälender, je mehr der Partner die Funktion erfüllen soll, das narzisstische und somit brüchige Selbstwertgefühl zu nähren. Dass er/sie es wagt, sich Ansprüchen zu widersetzen, entfessele Trotz und Verzweiflung, Vernichtungs- und Rachefantasien sollen die erlittene Kränkung vergelten. Denn der illoyale, treulose Partner tritt nicht nur das gemeinsame Glück mit Füßen. Seine Fahnenflucht stellt den/die Verlassene (n) auch vor anderen bloß: Man ist ein Versager, eine Person, mit der man nicht leben kann. Nun weiß es alle Welt!1

Mehr als Männer verknüpfen Frauen ihr Wohl und Wehe mit Beziehungen. Den Trennungsentschluss ihres Partners verstehen sie deshalb oft als feindseligen Sabotageakt, durch sein Ausscheren aus dem gemeinsamen Lebensentwurf fühlen sie sich in ihren Grundfesten bedroht. Zwar benutzen geschiedene Männer noch häufiger als geschiedene Frauen das Possessivpronomen »mein« (»meine Frau«/»mein Mann«) – ein Hinweis auf tief sitzende Besitzansprüche. Und auch sie trifft es bis ins Mark, wenn sie verschmäht, ausgetauscht, ad acta gelegt werden. In der Regel aber fassen Männer die Abtrünnigkeit der Partnerin als kränkende Ablehnung und Ehrverletzung ihrer selbst auf. Wohingegen Frauen oft nicht nur ihre eigene Person in Frage gestellt sehen, sondern den Zerfall ihrer gesamten Lebenswelt beklagen. Anders ausgedrückt: Während Männer ihren Wundschmerz lokalisieren und eingrenzen können, fühlen Frauen sich nach dem Weggang ihres Partners oft wie amputiert. »Man ist wie ein getrennter Zwilling. Die Hälfte einer Ehe.« Diese Formulierung käme einem Mann wohl nicht in den Sinn. In tief versteckten Seelenwinkeln noch immer die Chimäre des beschützenden Ritters hütend, beruflich oft weniger verankert und jäh der Familienstruktur und gewohnter Familienaufgaben beraubt, sprechen Frauen kurz nach der Trennung oft von ihrer Angst, ins Bodenlose zu stürzen. Je furchterregender die Fallhöhe ist, desto größer ist in der Protestphase die Gegenwehr.

Manche Gesprächspartner Innen äußern sich beschämt über die Verwilderung ihrer Verhaltensweisen. Wie ferngesteuert