Das Jahr nach dem Abi - Paul David Bühre - E-Book

Das Jahr nach dem Abi E-Book

Paul David Bühre

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Beschreibung

Nach dem Bestseller Teenie Leaks jetzt das neue Buch über den nächsten Schritt im Leben: das Gap Year zwischen Abi und Studium Was tun nach dem Abi? Eine ganze Generation sucht nach Orientierung "Hey, ich bin's wieder, Paul, Paul Bühre von Teenie Leaks. Ich bin jetzt 19 und habe tatsächlich mein Abitur geschafft, aber die großen Fragen meines Lebens sind offen: Wie will ich später leben? Was macht mich glücklich? Wie will ich Geld verdienen? Um das herauszufinden, bin ich ein Jahr durch die Welt gereist.Ich habe eine Kung-Fu-Schule in China besucht. Dort lernte ich unter anderem zwei kanadische Gangster kennen, trank viel Tee aus winzigen Tassen und brach mir (SPOILER!!) den Arm in einem Kickbox-Match. Dann war ich Lehrer in einer Dorfschule in Indien, wo ich ab und zu auch eine Kakerlake oder zwei getötet habe. Auf einem Bauernhof in Schottland habe ich mich anschließend von Indien erholt und Drechseln gelernt, ohne einen Finger zu verlieren. Am Ende der Reise bin ich zurück nach Hause gewandert. Im Gepäck ein Zelt und ein paar Antworten auf die Fragen, die ich mir am Anfang gestellt habe."

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Das Jahr nach dem Abi

Der Autor

Paul Bühre, geboren 1998, zeichnet gerne und schreibt ab und zu ein Buch, zuletzt den Bestseller Teenie Leaks. Im Moment will er Drehbuchautor werden, aber bevor es losgeht, studiert er erst mal in Berlin.

Das Buch

»Wie will ich später leben? Was macht mich glücklich? Wie will ich Geld verdienen? Um das herauszufinden, bin ich ein Jahr durch die Welt gereist. Ich habe eine Kung-Fu-Schule in China besucht. Dort lernte ich unter anderem zwei kanadische Gangster kennen, trank viel Tee aus winzigen Tassen und brach mir (SPOILER!!) den Arm in einem Kickbox-Match. Dann war ich Lehrer in einer Dorfschule in Indien, wo ich ab und zu auch eine Kakerlake oder zwei getötet habe. Auf einem Bauernhof in Schottland habe ich mich anschließend von Indien erholt und drechseln gelernt, ohne einen Finger zu verlieren. Am Ende der Reise hatte ich ein paar Antworten auf die Fragen im Gepäck, die ich mir am Anfang gestellt habe.«

Paul David Bühre

Das Jahr nach dem Abi

An alle Leute, die noch keinen Plan haben oder denken, sie hätten einen

Gesellschaft, Erzählendes Sachbuch

Ullstein

Besuchen Sie uns im Internet:www.ullstein-buchverlage.de

ISBN 978-3-8437-2019-9Alle Rechte vorbehalten.Umschlaggestaltung: semper smile, MünchenUmschlagmotiv: © Oscar BühreAutorenfoto: © privatE-Book-Konvertierung powered by pepyrus.com

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Inhalt

Der Autor / Das Buch

Titelseite

Impressum

1Hallo Welt!

2Der Plan

3Die supergeile Zwischenzeit

4Der Abi-Ball

5Padawan

6Was heißt hier eigentlich Kung‑Fu?

7Die Brüder

8Gut gegen Böse

9Das Geheimnis der Schuhalien

10Krank

11Ein neues zu Hause

12Da Hong Quan – Form Zwei

13Kämpfen

14Die Neue

15Das Chi-Gespenst

16Nusskuchen

17Neuer Wind

18Ferien in Shanghai

19Krankenhaus auf Chinesisch

20Abschied von Dengfeng

21Hongkong

22Indien

23»You can learn many things from children«

24Roshani

25Barfuß in der Radiologie

26Sind Gabeln glücklich?

27Fighting Dirty

28Indisches Bodybuilding

29Ostern ohne Hasen, aber mit Jesus

30Die oberste Befehlshaberin

31Dancing Queen

32Lästig

33Boxenstopp

34Lehrling

35Deadliest Catch

36Holzzwiebeln

37Father and Son

38Der rostrote Gipfel

39Entkommen

40Back to Berlin

41Retrospektivisches Gedankenknäuel

42Der Anfang

Danksagung

Social Media

Vorablesen.de

Cover

Titelseite

Inhalt

1Hallo Welt!

Widmung

Für Heidrun, Robert und Oscar

2Der Plan

Zwei Monate zuvor. Ich sitze in Berlin, und meine Schulzeit geht langsam zu Ende. In vier Wochen werde ich keinen Unterricht mehr haben. Die Gesetze der Schule, die mich all die Jahre eingeengt haben, werden zusehends schwächer. Ich kann kaum glauben, dass Schule etwas Endliches ist. Dass ich 95 Prozent meiner Mitschüler wahrscheinlich nie wiedersehen werde, ist komisch. Die Schule verbindet einen, wenn auch lose. Früher dachte ich, dass ich mich freuen würde, den Chaotenhaufen hinter mir zu lassen, aber irgendwie sind mir viele dieser Leute ans Herz gewachsen. Der Typ, der in Mathe nie seine Hausaufgaben gemacht hat und immer sieben Minuten zu spät zum Unterricht kam. Das Mädchen, das jede Woche eine neue Haarfarbe ausprobiert hat, und der Junge, der in Englisch nie was gesagt hat.

Und jetzt wird die Schule also der Freiheit Platz machen. Es wird – außer meinen Eltern – niemanden mehr geben, der mir sagt, wie ich mein Leben zu leben habe. Wobei: Was das angeht, sind noch nicht mal meine Eltern besonders hilfreich. Sie sagen nur, finde etwas, das deine Leidenschaft ist, etwas, das dich glücklich macht. Genau das erscheint mir schier unmöglich. Es gibt so viele Orte, die ich sehen will. Es gibt so viele Dinge, die man machen kann. So viele Jobs: Künstler, Kameramann, Drehbuchautor, Grafikdesigner, Schreiner … Gleichzeitig geht ja gerade auch die Erde den Bach runter. Tierarten sterben aus, die Ozeane sind voll mit Plastik, die Erde erwärmt sich und so. Muss nicht irgendwer mal was dagegen tun und uns alle retten?

Manche meiner Freunde wollen sofort nach der Schule ihr Medizinstudium aufnehmen. Andere wollen einfach in Berlin chillen. Bei der Entscheidung spielen Eltern und Freunde eine wichtige Rolle. Manche hängen sich einfach an ihre Freunde ran und bewerben sich an derselben Universität oder planen schon gemeinsam WGs. Es gibt auch Eltern, die wollen, dass ihre Kinder in ihre Fußstapfen treten und ihr Geschäft übernehmen. Das wollen meine Eltern nicht für mich. Zumal sie kein Geschäft haben. Mein Vater Robert arbeitet in einer Werbeagentur, meine Mutter Heidrun als Coach für Führungskräfte. Robert will auf gar keinen Fall, dass ich in die Werbung gehe, weil es ein hartes Geschäft ist und man zu wenig Zeit für seine Familie hat. Meine Mutter hat immer wieder Fantasien, dass ich Arzt oder Superanwalt werde. So ähnlich wie damals, als sie Billy Elliot gesehen hatte und mich zum Ballettunterricht quasi gezwungen hat. Sie findet es auch toll, wenn man seinen Beruf überall auf der Welt ausüben kann, weil man dann ja so wunderbar frei ist. Theoretisch mag das ja sein, aber vielleicht will man ja auch einfach mal wo bleiben.

Viele meiner Freunde lassen sich davon verunsichern, dass sie in der Schule, abgesehen von Sport, nie ein »echtes« Lieblingsfach hatten. Für mich hat die Schule zu wenig mit der Arbeitswelt zu tun, als dass ich meinen Lieblingsfächern bei der Berufswahl viel Bedeutung beimessen würde. Meist waren die Lehrer dieser Fächer einfach menschlich – oder motiviert.

Und was will ich? Ich will jetzt erst mal auf eine Kung‑Fu-Schule und krass werden wie Batman. Was vielleicht kein richtiger Plan ist, sondern ein bisschen kindisch. Eine Art Traumvorstellung. Aber genau deswegen ist es mir so wichtig, dass ich sie mir erfülle. Vielleicht will ich damit auch mit der Superhelden-Phase abschließen. Wobei ich andererseits hoffe, dass sie nie aufhört. Es macht einfach zu viel Spaß, zu meinen Helden aus den Comicheften hochzugucken. Sport war mir immer wichtig, also will ich auch meine Grenzen im Sport finden. Außerdem: Training macht meinen Kopf frei. Ich hatte während meiner Schulzeit öfter mal depressive Phasen. Komischerweise immer in den Ferien, wenn ich mich in meinem Zimmer abschotten konnte und keine Pflichten hatte. Wenn Schule war, hatte ich umgekehrt manchmal das Gefühl, dass mich der Alltag gefangen hält, dass Tage in Wochen übergehen, ohne dass etwas passiert. Ich fliehe dann mental in Bücher oder Serien. Ich will verstehen, wie ich mein Leben strukturieren kann, ohne dass es dabei scheiße, langweilig und grau wird.

Ich habe in den letzten Weihnachtsferien meinen Bruder Oscar in Südafrika besucht und war mit ihm surfen. Für mich war der Surf-Lifestyle etwas Angenehmes und Neues. Zum Strand gehen, surfen, sich dann in den Schatten setzen und etwas essen. Dann wieder surfen und irgendwann nach Hause laufen. Ich dachte immer, ich brauche Struktur, aber irgendwie war das genau das Richtige für mich. Das ist auch so eine Frage, die ich gerne beantworten würde: Was macht mich glücklicher, Struktur oder Chillen?

Auf jeden Fall will ich nicht zu Hause rumsitzen und immer in derselben Suppe rumgammeln. Ich will Abenteuer erleben. Was sich aus meinem Kinderzimmerbett heraus leichter sagen lässt, als es sich in Wirklichkeit vermutlich anfühlen wird. Aber ich habe keine Angst davor, mich schmutzig zu machen, ich will mich auch nicht ewig schonen. Ich habe echt extrem oft Fernweh in letzter Zeit, und ich will mich weiterbilden. Neue Dinge lernen, Sprachen zum Beispiel. Bis jetzt kann ich ja nur Latein und Griechisch. Na gut, und Englisch kann ich auch. Aber ich glaube, dass eine neue Sprache mir helfen könnte, mich weiterzuentwickeln. Und darum geht es mir.

Ich will nicht stehen bleiben. Ich brauche Einflüsse von außen. Neue Menschen kennenlernen, neue Fertigkeiten lernen. Ich fühle mich immer noch so ahnungslos wie in der fünften Klasse. Nur weil ich eine Funktion ableiten und Nullstellen berechnen kann, komme ich mir noch lange nicht lebenstauglich vor. So blöd es sich auch anhört, über alldem steht die Frage: Wer zur Hölle bin ich eigentlich?

Eine Antwort darauf hab ich noch nicht. Dafür noch ein paar mehr Fragen:

Wie will ich später leben?

Wie leben andere Menschen?

Was macht mich glücklich/zufrieden?

Was macht Menschen überhaupt glücklich/zufrieden?

Womit will ich Geld verdienen?

Ich hoffe, dass ich auf meiner Reise eine Antwort auf die eine oder andere Frage finden werde. Dass mir die Auszeit hilft, mich zu orientieren. Ich meine, alles ist möglich, aber genau das ist das Problem.

Soll ich tatsächlich meinem ganz großen Traum folgen und versuchen, Drehbücher zu schreiben, in die Filmbranche zu gehen? Aber kann ich das einfach so? Wo kann ich das lernen? Wie soll ich da einen Fuß in die Tür bekommen, ich kriege ja nicht gleich die Chance, meine eigene Serie zu schreiben. Das ist ein langer Prozess. Und wirklich Geld sieht man da auch erst mal nicht.

Verschiedene Erwachsene, zum Beispiel meine Eltern, sagen auch, ich soll ein Handwerk lernen. Handwerk, das ist immer gefragt, das kann einem keiner wegnehmen. Außer die bösen Roboter aus der Zukunft. Ich mag es, mit handfesten Materialien zu arbeiten. Dinge herzustellen oder zu reparieren. Es macht einfach Sinn. Wenn überhaupt, dann interessieren mich aber vor allem Handwerksberufe, die es vielleicht bald nicht mehr gibt, wie Uhrmacher oder Buchrestaurator.

Oder, fällt mir gerade ein, soll ich lieber auf einem Fischkutter arbeiten und auf dem riesigen Meer fahren, dem Wind und dem Wetter komplett ausgeliefert? Solange ich nicht seekrank werde, finde ich das echt eine gute Idee. Wobei mir auch viele Sachen mit festem Boden unter den Füßen einfallen würden. Weil ich in Berlin aufgewachsen bin, reizt mich das Leben auf dem Land. Wenn man auf einem Bauernhof lebt, hat man immer was zu tun. Tiere füttern, Mist schaufeln, viel draußen sein … Bei einem Hilfsprojekt würde ich auch gerne mitarbeiten. Ich glaube, dass es mich glücklich machen würde, anderen Menschen zu helfen, gebraucht zu werden. Und es ist mir wichtig, dass ich etwas verändern kann und meine Arbeit wirklich sinnvoll ist. Ich will nicht irgendwo rumhängen, wo ich nichts ausrichten kann. Nein, ich will mich voll in eine Sache reinhängen und etwas erreichen. Ich bin bereit für die Abenteuer, die da draußen auf mich warten. Sie sollen mir helfen, Antworten auf all meine Fragen zu finden.

3Die supergeile Zwischenzeit

Die ersten Wochen ohne Schule tun mir gut. Jeden Morgen stelle ich mir den Wecker auf acht Uhr und schlafe dann in dem Wissen, dass andere Menschen jetzt in der Schule sitzen, beruhigt weiter. Hin und wieder treffe ich mich mit Freunden. Aber irgendwann treibt mich meine Inaktivität in den Wahnsinn. Wenn ich mich dann doch mal zu irgendetwas aufraffe, bringe ich es nicht zu Ende. An einem Freitag bin ich mal für eine Stunde zu einer Kletterhalle gefahren, um nach einer halben Stunde frustriert aufzuhören. Auf meinem Schreibtisch häufen sich Farben, altes Tuschwasser, angefangene Bilder. Mein Sofa ist bedeckt mit Wäsche, auf dem Boden meines Zimmers liegen Bücher. Neben meinem Bett stehen mindestens fünf Tassen mit Kaffee- oder Teeresten. Das Zimmer meines Bruders, der immer noch in Südafrika ist, sieht auch nicht besser aus. Die Vorhänge sind zugezogen, eine Bettdecke ist auf dem Boden vor dem Fernseher ausgebreitet, auf dem Schreibtisch liegen eine Playstation 3 und zwei Spiele. Die letzten Tage waren ein Nebel aus Zocken, Seriengucken und hin und wieder Essen. Ich fühle mich wie eine Made, der es nicht gut geht. Ich habe einerseits Lust, mich mit Menschen zu treffen, andererseits will ich allein sein.

Meine Lieblingsserie im Moment ist Parks and Recreation. Die Folgen sind nur zwanzig Minuten lang und nicht besonders anspruchsvoll. Es geht um eine Abteilung der Stadtverwaltung, die sich um die Parks in einem kleinen Dorf im US‑Bundesstaat Indiana namens Pawnee kümmert. Meine Lieblingsfigur ist Ron Swanson, der Boss der Abteilung, der komplett gegen die Regierung ist und sie am liebsten abschaffen lassen würde. Er hat einen prägnanten Schnurrbart, buschige Augenbrauen und einen durchdringenden Blick. Er isst gerne Steaks, Bacon und Eier, trinkt Whiskey, verabscheut Büroarbeit, liebt es, Dinge aus Holz herzustellen, redet nie über seine Gefühle und geht sozialer Interaktion generell aus dem Weg. Letzteres wird mir häufig vorgeworfen. Durchaus zu Recht.

So ziemlich alles langweilt mich. Hurra. Heute ist übrigens Sonntag. Glaube ich zumindest. Am Mittwoch kriegen wir unsere Noten. Und am Donnerstag kommt mein kleiner Bruder wieder aus Südafrika. Yippie. Yeah. Yey. Dann muss ich meinen Herrschaftsbereich wieder einschränken, das wird mir nicht leichtfallen. Ich hatte ein ganzes Jahr lang zwei Zimmer und ein Bad für mich!

Irgendwann sind dann auch Abi-Ball und Abi-Fahrt. Ich kann nicht sagen, auf was ich weniger Lust habe, wahrscheinlich auf die Fahrt, weil die eine ganze Woche dauert. Ich finde es schon gut, dass man sich noch mal sieht. Aber so eine große Gruppe kann megaanstrengend sein, und ich bin nicht so der Fan von Feiern und Saufen.

Für Montag nehme ich mir vor, wieder ein strukturierteres Leben zu führen. Nächste Woche wird’s besser, sage ich mir! Ich werde all die kleinen Dinge erledigen, die sich zu einem riesigen Berg aufgehäuft haben, den ich mit schlechtem Gewissen vor mir herschiebe:

eine Führerscheinprüfung

Reiseplanung, Sachen einkaufen, die ich für die Reise brauche

Impfungen

Visum für China

Immerhin habe ich die Kung‑Fu-Schule für mein erstes Abenteuer in China schon gefunden. Dafür hatte ich einen Meister auf WeChat, das chinesische Pendant zu WhatsApp, angeschrieben, von einer Schule, die mir gefiel. Er meinte, wenn ich nur für vier Monate Kung‑Fu machen wolle, sei ich bei ihm falsch. Es gehe bei Kung‑Fu nicht darum, neue Erfahrungen zu sammeln. Kung‑Fu sei eine Lebensweise und Philosophie, er würde Kung‑Fu jetzt schon 39 Jahre machen und immer noch etwas Neues lernen. Ich solle mir noch mal überlegen, ob ich das wirklich wolle. Als ich mich für seine Hilfe bedankte, schickte er mir ein GIF von einem Kung‑Fu-Panda, der mir fröhlich Tschüss winkte.

Ich hatte am Anfang gedacht, dass ich unbedingt eine ursprüngliche, vielleicht sogar tempelähnliche und von der Zivilisation abgeschnittene Kung‑Fu-Schule finden muss. So ein richtiges Kloster oben auf einem Berg drauf. Hab aber schnell gemerkt, dass es so was nicht mehr gibt. Oder ich hab es einfach nicht gefunden, und irgendwann war es mir auch egal, Hauptsache weg. Und irgendwie hat eine normale Kung‑Fu-Schule immer noch genug Abgefahrenes und Neues, wenn man sein Leben bisher in Berlin verbracht hat. Außerdem wäre ich in so einem Kloster allein wahrscheinlich wahnsinnig geworden.

Andere Schulen, die Homepages im Internet haben, waren vor allem auf Ausländer ausgerichtet und nicht so traditionell und klein, wie ich es mir vorgestellt hatte. Also fragte ich meine Mutter um Rat, weil die alles kann und alles weiß. Zufälligerweise war zur selben Zeit eine Freundin von ihr in China, und zwar in der Gegend, wo die ganzen Kung‑Fu-Schulen sind. Franziska fand eine kleine, romantische Schule, die dem entsprach, was ich mir erhofft hatte: mit wenig Ausländern und einem traditionellen Kung‑Fu-Stil. Als sie dann noch ein paar Fotos vom Meister schickte, war klar: Da will ich hin.

Aber noch hänge ich hier fest. In meinem Berliner Alltag.

Als der Montagmorgen kommt und ich mir Frühstück machen will, sehe ich, dass die Katze noch nicht gefüttert worden ist. In den Schalen sind nur noch Reste vom Abend. Das ist komisch, denn normalerweise macht das mein Vater, bevor er zur Arbeit geht. Für meine Eltern ist unsere Katze ein drittes Kind. Für mich ist Lucy ein dickes Vieh, das verfressen und faul ist und dazu immer im Mittelpunkt stehen muss. Das äußert sich darin, dass sie …

… sich in die Hose von jedem krallt, der die Küche betritt, und ihn dann anklagend anguckt. Bei meinen Eltern hat sie damit Erfolg. Sie geben ihr etwas zu essen, egal ob sie davor schon was hatte oder nicht. Ich hingegen schubse sie aus dem Weg und ignoriere sie.

… anstatt die Katzenklappe zu benutzen, sich dumm stellt und vor der Terrassentür wartet, bis jemand sie ihr öffnet. Als ob ich von meinem Sofa aufstehen würde, um eine Katze reinzulassen. Hallo, wer denkt die eigentlich, wer sie ist? Aber meine Eltern hechten förmlich zur Tür.

… versucht Blickkontakt aufzubauen, um Schuldgefühle auszulösen. Das funktioniert bei meinen Eltern. Bei mir nicht. Wenn sie hungrig ist, soll sie sich doch eine Maus fangen. Ich dachte, das sei die Eigenschaft, die Katzen über Hunde stellt. Die Katze kann auch ohne den Menschen überleben. Der Hund nicht. Unsere Katze ist deshalb für mich nicht besser als ein Hund. Sie ist eine Katze, die schlecht darin ist, eine Katze zu sein.

… sich weigert, aus Schüsseln zu essen, in denen sich noch Reste von altem Essen befinden. Mich interessiert das nicht im Mindesten. Wenn sie wirklich hungrig wäre, würde sie daraus essen, so meine Logik. Meine Eltern dagegen bringen ihr eine frisch ausgespülte Schale, und wenn sie selbst dann nichts frisst, gleich eine andere Sorte Futter.

Widerwillig gebe ich ihr an diesem Montagmorgen ein wenig Trockenfutter, damit sie sich nicht dauernd in meinen Weg stellt, und frühstücke danach selbst. Auf dem Tisch liegt eine Zeitung, die ich lustlos durchblättere. Sie ist voller Themen, die mich nicht interessieren. Also ziehe ich mich in mein Zimmer zurück und vergrabe mich in meinem neuen Fantasy-Buch. Die Abenteuer der Hauptfigur, ein Assassine, frustrieren mich bald, weil sich drei Frauen (natürlich alle wunderschön) in kurzen Abständen an ihn ranmachen, ohne dass er auch nur einen Finger dafür krümmen muss. Im Gegenteil: Er rasiert sich nicht, stinkt, hat eine gebrochene Nase und wirkt nicht besonders erfreut über Kontakte mit anderen Menschen. Er ist sogar ausgesprochen barsch und unhöflich. Das Schlimmste aber ist: Er schläft mit keiner dieser Frauen (weil er noch eine schwangere Freundin hat). Außerdem ist keine dieser Frauen an ihm als Person interessiert, sondern nur an ihm als Mann.

Mann, dass das so einfach ist! Hätte ich nicht gedacht. Ab heute höre ich auf zu duschen, trage nur noch ein und dieselbe Hose und gebe mich so, als wäre ich allergisch gegen Mädchen. Für die, die es jetzt so brennend interessiert: Ja, Paul hat mittlerweile die eine oder andere sehr erfreuliche nähere Bekanntschaft mit einem Mädchen gemacht. Mehr muss darüber an dieser Stelle nicht gesagt werden.

Eine Sache muss ich mir aber von der Seele schreiben, nämlich, wenn dich (ja, genau du! Musst gar nicht so gucken) jemand nach deiner Nummer fragt und du sie ihm gibst, dann kann ich verstehen, dass du das vielleicht nur getan hast, damit er dich in Ruhe lässt (wobei, wäre man wirklich schlau, hätte man vielleicht die Nummer seiner Erzfeindin bereit). Und wenn dich der Junge dann fragt, ob du Lust hast, dich zu treffen, warum sagst du dann zu? Machst Zeit und Ort aus, um im letzten Moment abzusagen und nie wieder zu schreiben? Ich bin kein Roboter! Auch kein WhatsApp-Profil! Ich bin ein echter Mensch. Mit Gefühlen und so. Warum fällt es vielen Menschen so schwer, einfach ehrlich zu sein?

So habe ich jedenfalls gelernt, wie doll es wehtun kann, wenn der andere nicht so fühlt wie man selbst. Wobei, vielleicht ist wehtun das falsche Wort. Einfach wie bescheuert man sich dann fühlt. Wie der größte Idiot. Andersrum ist es auch nicht besser. Ich habe leider auch schon die Erfahrung gemacht, wie sehr man jemanden verletzen kann, wenn man weniger verliebt ist als der andere. Ich versuche einfach nur ehrlich zu mir selbst und zu anderen zu sein.

Also ich finde, das Verliebtsein bringt sowohl Positives als auch Negatives mit sich. Ich bin dann auf jeden Fall happy, eine klare Mission zu haben, neben der alles andere unwichtig erscheint. Womit wir auch schon zum nächsten Problem kommen: Man muss einfach wissen, wann man alles versucht hat und es keinen Sinn mehr macht, weiterzumachen. Manche merken das von allein, andere müssen es vom Gegenüber hören, damit sie es verstehen. Und das kann ganz schön hart sein. Aber ja, das Leben geht weiter.

Zum Glück gibt es ein Mädchen, für das ich genau dasselbe empfinde wie sie für mich: meine beste Freundin Claire. Wir kennen uns schon seit der ersten Klasse, und das ist auch gut so. Wir haben zusammen unsere »Harry Potter«- und »Herr-der-Ringe«-Phasen durchlebt und jetzt unsere Serienphase. Claire ist einfach super. Sie wohnt in der Nähe, deswegen frühstücken wir häufig zusammen.

Natürlich fiebern in der supergeilen Zwischenzeit alle auf den Abi-Ball. Meine Mutter sagt, ich muss hingehen. Weil ihr das wichtig ist. Ich kann das nachvollziehen. Sie hatte ja nie einen, weil sie nach der Zehnten arbeiten musste. Trotzdem, für mich ist Abi-Ball gleich Horror. Er ist komplett overhyped. Und wenn man zu hohe Erwartungen an etwas hat, kann man nur enttäuscht werden.

Beim Abi-Ball sind meine Eltern im selben Raum wie meine Freunde. Unterschiedliche Glaubensrichtungen. Muss ich das wirklich erläutern? Für Jungs heißt Abi-Ball: Anzug an und saufen. Für die Mädchen heißt es was anderes. Sie wollen so hübsch aussehen wie Cinderella oder Natalie Portman. Dieses ganze Herausputzen ist mir irgendwie unangenehm. Sie wollen sich später, wenn sie alt und runzlig sind, Fotos vom Abi-Ball angucken und ihrer verlorenen Jugend hinterherträumen.

Für manche wird dieser Abend der optimale Zeitpunkt sein, ihrer Flamme ihre Liebe zu gestehen, wie in einem Highschool-Film. Schließlich hat man sich ja schick gemacht. Was kann da schon schiefgehen? Eine ganze Menge. Ich jedenfalls hege den unangenehmen Verdacht, dass Tränen fließen werden. Und ich mag es nicht, wenn Leute traurig sind.

Ich habe keine Flamme beim Abi-Ball, also auch keine Mission. Ich habe keine Lust, die Nacht durchzutanzen oder durchzusaufen, und das wird man mir übel nehmen. Ich schätze nun mal Schlaf mehr als alles, was Alkohol mir bieten könnte.

Also: Sind meine Befürchtungen so absurd? Eben.

4Der Abi-Ball

Wie es wirklich war? Nun, es war übel, aber nicht so übel, wie ich gedacht hatte. Es war cool, seine Freunde in Anzügen zu sehen und sich mit ihnen über die drückenden Tanzschuhe zu beschweren oder die Bruthitze in einem Anzug.

Die Veranstaltung war riesig. Die vielen fremden Gesichter und Stimmen, überhaupt die Masse an Menschen waren zeitweise ziemlich überwältigend. Ich unterhielt mich mit Lehrern und Eltern von Freunden. Es wurde viel getanzt, zu mittelmäßiger Musik. Draußen gab es eine Ecke, in der rumgemacht wurde, und eine, in der gekotzt wurde. Wie das halt so ist.

Mit einer Befürchtung schien ich aber genau ins Schwarze getroffen zu haben: Im Laufe des Abends fragten mich mehrere Freunde, ob jetzt der Moment gekommen sei, ihrer Julia die Liebe zu gestehen oder überhaupt zum ersten Mal mit ihr zu reden. Das kann doch nicht euer Ernst sein! Dafür hattet ihr zwei Jahre Zeit, verdammt! Jetzt, wo sie nichts mehr zu verlieren hatten, fassten sie sich doch noch ein Herz. Ich versuchte, sie vorsichtig über die Dummheit ihres Tuns aufzuklären. Wenn sie sich nicht davon abbringen ließen, ermunterte ich sie, ihr Bestes zu geben. Danach hatte ich ein schlechtes Gewissen.

Worauf ich wirklich Bock hatte, war, meine Rede zu halten. Zwei Mädchen aus meinem Jahrgang von irgendeinem der tausend Abi-Komitees hatten mich darum gebeten, und wer bin ich, eine solche Bitte auszuschlagen?

Ich hatte ganz locker angefangen, was zusammenzuschreiben. Zuerst wollte ich eine Art Rache-Rede halten, aber die war so peinlich und erbärmlich, dass ich vor Scham beinahe gestorben wäre. Ich bin eh niemand, der sich jede Gemeinheit, die ihm angetan wurde, merken kann. Also verwarf ich die Ideen meines trotzigen Baby-Ichs und schrieb eine neue Rede, die ich jeden Tag überflog und verbesserte, bis ich eine ziemlich harmlose kurze Rede beisammenhatte, mit der ich niemandem auf die Füße treten würde. Das Resultat verlas ich in einem riesigen Saal, vor Lehrern, Schülern, Eltern, Verwandten – gefühlt vor ganz Berlin. Und hier ist sie:

»Ich habe lange überlegt, wie ich meine Rede schreiben soll. Okay, vielleicht nicht lange, aber ich habe schon drüber nachgedacht, bevor ich losgeschrieben habe.

Ich dachte erst, ich würde alles aufzählen, was ich in der Schule gelernt habe. Dann dachte ich, dass ich mich bei all den Lehrern rächen sollte, die mir unrecht getan haben. Aber ich bin zu dem Schluss gekommen, dass alles nur halb so schlimm war.

Es gibt Kinder auf der Welt, die nicht zur Schule gehen können, weil auf ihre Schule eine Bombe geworfen wurde oder weil es nie eine Schule gab. Ich musste zur Schule gehen. Das schreibt in Deutschland das Gesetz vor. Dafür bin ich jetzt im Nachhinein nicht unbedingt dankbar, aber so ist es halt. Ich will überhaupt nicht undankbar sein, aber wenn man ganz ehrlich ist, kann man gar nicht wirklich begreifen, was es heißt, zur Schule gehen zu dürfen. Dass Schule ein Privileg sein kann, ist in Deutschland einfach schnell vergessen.

Vielleicht verstehe ich später, wozu das alles hier gut war, auch wenn ich da schon so eine Ahnung habe.

Zum Glück hatte ich Menschen, die mir zur Seite standen. Meine Leidensgefährten, meine Mitschüler. Und nicht alle Lehrer waren gemein. Es waren zwar auch nicht alle nett, aber doch die Mehrheit. Und hier muss es noch einmal gesagt werden. Auch wenn es mir wirklich schwerfällt und es wahnsinnig klingt: Lehrer sind auch nur Menschen. Mal haben sie einen guten Tag, man hat ausgeschlafen, was weiß ich, und mal nicht. Ist ja bei uns Schülern auch nicht anders gewesen. Also: Ich nehme niemandem etwas übel. Zu den Lehrern, die korrekt waren: Danke für eine tolle Zeit und für die Energie, die ihr in uns unmotivierte Zombies investiert habt. Ich persönlich weiß euer Opfer zu schätzen. Ich weiß, es war fast nie einfach mit unserem Jahrgang. Das ist es ja nie. Aber bei uns halt besonders. Für all den Mist, den wir abgezogen haben – es tut uns wirklich leid!

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1Hallo Welt!

Meine Eltern und mein Bruder haben mich zum Flughafen gebracht, mein Gepäck ist aufgegeben. Beim Check‑in hat mich der Typ von China Airlines, der meinen Koffer entgegengenommen hat, noch mit seinem Chinesisch verunsichert. Ich verstand kein Wort, obwohl ich drei Wochen intensiv Chinesisch-Unterricht gehabt hatte. Meine Mutter wollte mich ermutigen, indem sie sagte, dass er ja auch keinen Ton verwendet habe. Bevor ihr jetzt denkt: »Hä? Was denn für einen Ton?«, erkläre ich’s kurz. Im Chinesischen gibt es vier Töne, streng genommen fünf, wenn man den unbetonten dazuzählt. Das heißt, jedes Wort gibt es in unterschiedlichen Tönen noch mal. Und jeder Ton gibt dem Wort dann eine neue Bedeutung. So kann »Darf ich Ihnen eine Frage stellen?« zu »Darf ich Sie küssen?« werden.

Danach haben wir ein letztes Foto zusammen gemacht und uns umarmt. Jetzt hocke ich an meinem Gate und warte auf das Flugzeug, das mich erst nach Amsterdam und von da nach China bringen soll. Neben mir sitzt ein dicker Mann in einem blauen Anzug. Während er einen Fruchtjoghurt in sich hineinmampft, unterhält er sich auf Deutsch mit einem kleinen Hipster-Chinesen mit rotem T‑Shirt, brauner Cordweste und einer silbernen Fahrradkette um den Hals. In seinen Ohrläppchen stecken kleine goldene Ohrringe. Zu meiner Linken wird ein Mann mit grauen Haaren in einem blauen Hilfiger-Shirt von einer alten Dame im Rollstuhl vollgequatscht. Überall rennen kleine Kinder rum und schreien. Hin und wieder leiert ein Angestellter des Flughafens in seiner monotonsten Stimme Ansagen herunter. Mein Flug hat Verspätung. Und so kauere ich auf dem Boden, den Rücken gegen eine beleuchtete Werbeanzeige gelehnt, und komme endlich mal zum Nachdenken.

Die letzten Tage in Berlin waren stressig gewesen. Ich musste für die Reise einkaufen und mich verabschieden. Ich glaube, ich habe mich noch nie von so vielen Menschen verabschiedet. Ist irgendwie auch logisch, ich war ja noch nie wirklich weg von zu Hause. Ich habe ein paar sehr nette Briefe und Geschenke zum Abschied bekommen. Trotzdem kommt es mir vor, als sei ich extrem schlecht darin, mich zu verabschieden.

Wenn mich eine Kumpeline oder ein Kumpel gefragt hat, was ich in China vorhabe, spielte sich meist folgender Dialog ab:

Kumpel/Kumpeline: »Was machst du da eigentlich?«Ich: »Ich gehe in eine Kung‑Fu-Schule.«K: »Krass Mann, dann bist du Karate Kid, wenn du wiederkommst, und kannst alle fertigmachen. Dann kann dir einfach keiner mehr was.«I: »Na ja, mal gucken.«K: »Und wie lange bist du da?«

Dann sage ich, dass ich erst mal vier Monate nach China will. Dass ich danach noch weiterreisen will, am liebsten für ein Jahr, aber noch nicht weiß wohin. Doch wer weiß, wie lange ich durchhalte. Am Ende werde ich krank oder verletze mich. Dumm, wenn ich allen von meinem superdurchdachten Plan erzähle, und dann komme ich schon nach einer Woche zurück.

Meistens geht das Gespräch dann so weiter:

K: »Ein Jahr, das ist ja voll lang. Kannst du schon Chinesisch?«I: »Na ja, ich hatte jetzt ein bisschen Unterricht, aber es fällt mir noch extrem schwer, und irgendwie ist das Auswendiglernen schwieriger als in der Schule.«K: »Sprechen da eigentlich manche Englisch?«I: »Da, wo ich hingehe, sicher nicht.«K: »Ist es dort dann Sommer?«I: »Nee, da ist es richtig kalt.«K: »Fuck. Für mich ist Wärme voll wichtig. Weißt du schon, wie das Training da ist? Hast du überhaupt schon mal Kung‑Fu gemacht?«I: »Nein, hab ich noch nie gemacht, ich dachte, das wäre irgendwie Schummeln, wenn ich schon vorher was kann. So lerne ich dann direkt von der Quelle und habe hoffentlich noch eine krassere Erfolgskurve beim Lernen.«

Es war komisch, über etwas zu reden, von dem ich selbst noch nicht so richtig einen Plan hatte. Außerdem hatte ich zwischendurch schon ein mulmiges Gefühl, meine ganze bekannte Welt zurückzulassen. Was würde sich alles in einem Jahr ändern, wen von meinen Freunden würde ich überhaupt wiedersehen? Würde Berlin dann noch mein Zuhause sein?

Trotzdem habe ich noch nie so gut geschlafen wie am Abend vor dem Flug. Auf der Autofahrt nach Tegel begann sich eine Art Leichtigkeit in mir auszubreiten, und ich musste grinsen vor lauter Vorfreude auf das Unbekannte und darauf, dass mein Leben endlich wieder in Schwung kommen würde.

Und jetzt sitze ich am Gate gegen das warme Werbeschild gelehnt und möchte am liebsten diesen Scheißflug schon hinter mir haben und da sein. Wo auch immer dieses »da« sein mag. Das Fernweh, das ich in dem ganzen Abreisestress verdrängt habe, ist wieder da. Die Langeweile, die sich in den Wochen nach dem Abi breitgemacht hat, ist verflogen. Natürlich wird das, was jetzt auf mich zukommt, nicht einfach. Vielleicht ist es sogar die größte Herausforderung, der ich mich bisher gestellt habe. Aber im Moment bin ich einfach nur glücklich, dass ich es wirklich mache. Ich gehe raus in die Welt, und Berlin kann mich erst mal.

Im Flugzeug sitzen der Dicke und sein chinesischer Begleiter wieder neben mir. Der Dicke natürlich in der Mitte. Er entschuldigt sich mehrmals und tut mir ein bisschen leid. Seine Arme muss er auf seinem Bauch ablegen, weil er sonst keinen Platz für sie hat. Den Flug nach Amsterdam verschlafe ich. In der Schlange am Gate für meinen nächsten Flug bin ich plötzlich in der Minderheit, alles ist voll mit Chinesen. Ich verstehe immer noch kein Wort. Vielleicht kommt das noch.

Aber ich habe erste Erfolge im Flieger:

Ich kann verstehen, dass das Essen Hühnchen enthält.

Bei Ansagen zur Ankunft verstehe ich die Uhrzeit.

Ich höre, wenn jemand eine Frage stellt. Das erkennt man nicht wie im Deutschen durch die Betonung, sondern durch die Silbe »ma« am Ende des Satzes. Also sehr einfach im Vergleich zum Rest.

Nach drei Filmen, zwei Flugzeugmahlzeiten und Rumhängen in einem komischen Dämmerzustand bin ich in China. Durch den Zoll komme ich ohne Probleme. Erst an der Gepäckausgabe kriege ich ein ungutes Gefühl. Mein Blick springt von Koffer zu Koffer. Wie sieht meiner noch mal aus? Denk nach, denk nach. Blau, kein Reißverschluss, groß … ich warte.

Die Zahl der Wartenden wird kleiner und kleiner. Immer seltener kommen neue Gepäckstücke aus dem Schacht. Außer mir stehen noch acht weitere Fluggäste am Band, auf dem immer wieder dieselben Koffer vorbeiziehen. Irgendwas verhindert bei mir, dass ich jetzt emotional werde. Am Schalter treffe ich auch den Dicken und den kleinen Chinesen wieder. Sie sehen ziemlich verzweifelt aus. Ihr Gepäck scheint auch weg zu sein. Ich lasse meinen Personalausweis kopieren, gebe die Adresse der Kung-Fu-Schule an und verschwinde. Ich will nur noch den Anschlussflug nach Zhengzhou kriegen, der Hauptstadt der Provinz Henan im Herzen Chinas. Von da muss ich dann wahrscheinlich einen Bus oder ein Taxi nach Dengfeng nehmen, wo auch der riesige Shaolin-Tempel ist, zu dem Touristen aus China und der ganzen Welt kommen. Meine kleine Kung‑Fu-Schule soll auch irgendwo dort sein.

Ich überlege, meine Mutter anzurufen, aber die würde sich nur Sorgen machen. Im Moment bin ich sogar froh, dass ich den schweren Koffer nicht ziehen muss, der mir hoffentlich in den nächsten Tagen vor die Tür geliefert wird. Und irgendwas musste ja schiefgehen, wäre sonst auch zu einfach gewesen. Im Geiste verabschiede ich mich schon von all den tollen Sachen in dem Koffer, dem elektrischen Rasierer, der warmen Sportunterzieh-Wäsche, meinen Gymnastik-Ringen. Fuck! Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich das Zeug nicht wiedersehen werde.

Aus Frust über den miesen Start kaufe ich mir am Flughafen eine Hühnersuppe mit Wan Tans. Sie kostet 57 RMB (so um die 7 Euro), was in China unfassbar teuer ist, aber ich habe gerade einen immensen Verlust erlitten. Ich trinke die Brühe und esse die Wan Tans. Danach fühle ich mich nicht unbedingt besser, aber wenigstens habe ich keinen Hunger mehr.

Am Gate sitze ich neben einem anderen Europäer, dem einzigen weit und breit. Seine Haare sind geschoren, und er trägt »Fejus«, einfache Stoffschuhe mit dünner Sohle, die sich perfekt für Kung‑Fu und Kampfsport eignen. Solche Fejus sind eine Art internationales Martial-Arts-Kennzeichen. Ich spreche ihn an und erfahre, dass er Holländer ist. Er ist schon zum zweiten Mal in China, findet aber manches immer noch ziemlich eigenartig. Ich erzähle ihm, wie irritiert die Chinesen am Zoll waren, als sie sahen, dass ich im Reisepass »Bühre« heiße, auf meinem Ticket aber »Buehre« steht. Es tut gut, mit jemandem zu reden, dem alles ähnlich fremd ist.

Nach der Landung in Zhengzhou werde ich schon von einem Fahrer und einem Schüler in einem rot-gelben Trainingsanzug erwartet. Die Schulfarben kenne ich von Bildern, die mir Franziska, eine Freundin meiner Mutter, geschickt hat. Sie hat mir bei der Suche nach einer geeigneten Schule geholfen. Ich bin wahnsinnig erleichtert. Ich hatte schon Szenarien im Kopf, wie ich alleine durch einen chinesischen Flughafen irre und keiner mich versteht.

Die Begrüßung auf Chinesisch gelingt mir halbwegs, und auch den Namen des Schülers bekomme ich noch mit, sowie seine Frage nach meinem Gepäck. Nur antworten kann ich nicht. Glücklicherweise hat der Fahrer eine App, mit der man Englisch ins Chinesische übersetzen kann. Schweigend gehen wir den Rest des Weges durch den riesigen Flughafen. Total protzig und übertrieben groß. Entlang der Autobahn präsentiert sich China dagegen ziemlich desolat. Vereinzelte und verlassene Hochhäuser, turmhohe Kräne, die stillstehen, riesige Werbetafeln für Alkohol. Ich war schon zwei Mal in China, und trotzdem erstaunt mich diese Hässlichkeit jedes Mal aufs Neue. Draußen regnet es, was den Eindruck noch verstärkt. Während der Fahrt suche ich vergeblich nach einem Gurt, gebe irgendwann auf und schlafe ein.

Als ich wieder aufwache, geht es einen steilen Feldweg hoch, das Auto röchelt und röhrt, was dem Fahrer aber völlig egal ist. Dann taucht eine Betonmauer auf, mit verblichenen Bildern von Kung‑Fu-Kämpfern. Der Wagen hält, wir sind da. Ich bezahle den Fahrer und folge dem Schüler durchs Tor. Wir kommen auf einen großen Platz, der mit grauen Steinen gepflastert ist. Vereinzelt sitzen Schüler in rot-gelben Sportanzügen herum und reden, andere machen Übungen mit ihren Kampfstöcken.

Unglaublich, aber ich bin wirklich in China, in einer Kung‑Fu-Schule! An dem Ort, von dem ich geträumt habe, seit ich mit 13 Batman Begins gesehen habe. Es ist wirklich krass, plötzlich da zu sein, wo ich immer sein wollte. Es fühlt sich irgendwie unwirklich an: die Berge um mich herum, der fremde Geruch, die neugierigen Blicke der Schüler … Ich bin plötzlich von null auf hundert. Es ist wie ein Schock. Aber ein positiver. Ich bin so glücklich wie lange nicht mehr. Auch wenn ich noch keine Ahnung habe, was auf mich wartet. Es kann nur besser werden als das, was ich zurückgelassen habe.