Das kleine Buch vom Meer: Mord an Bord - Olaf Kanter - E-Book

Das kleine Buch vom Meer: Mord an Bord E-Book

Olaf Kanter

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Beschreibung

Für einen Mörder gibt es kaum einen besseren Tatort als ein Schiff auf hoher See. Nirgendwo sonst ist es so einfach, eine Leiche zu beseitigen. Sollte das Opfer jemals gefunden werden, hat das Salzwasser alle Spuren beseitigt. Und welcher Kommissar darf überhaupt ermitteln? Das wahre Verbrechen lauert hinter dem Horizont. Im vierten Band der Reihe "Kleines Buch vom Meer" erzählen wir 25 wahre Krimis von der See. Wir berichten von grausamen Kapitänen und skrupellosen Reedern. Von einer gemeinen Crew, die blinde Passagiere wie menschlichen Ballast entsorgte. Von Jeronimus Cornelisz, dessen Verbrechen von 1629 bis heute Spuren hinterlassen. Und "Miss Marple" darf in einer Aufzählung zum Thema "Filme" natürlich nicht fehlen. Das kleine Buch vom Meer "Mord an Bord": für Nervenkitzel. Für Spannung in Wellen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 142

Veröffentlichungsjahr: 2023

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DAS KLEINE BUCH VOM MEER

MORD AN BORD

VON STEFAN KRUECKEN (HRSG.) UND OLAF KANTER

DAS KLEINE BUCH VOM MEER – MORD AN BORD

Originalausgabe

Alle Rechte vorbehalten

© 2023 by Ankerherz Verlag GmbH, Hollenstedt

© Texte: Olaf Kanter und Stefan Kruecken

© Fotografie: Ankerherz Verlag GmbH

iStock S. 6, 8, 10, 24, 27, 40, 92, 95, 111, 182

Alamy S. 68, 104, 108, 114, 118, 144, 148

Adobe Stock S. 34, 101, 102, 143

Picture Alliance S. 22, 162, 172

Unsplash S. 41, 136

Tristan Schmurr S. 76, frumperino/Wikipedia S. 78, W. J. Hoendervanger S. 124, Standbild Youtube S. 125, Eugenio Castillo, C/Jorge Guillen S. 132, Klipper S. 152, Beluga Nomination S. 154

Illustrationen: Jens Winterhoff

Titelgestaltung: Susanne Schmaus, Berlin

Buchgestaltung und Satz: Selina Bauer, Susanne Schmaus, Berlin

Korrektorat: Sarah Schröpf, Losheim am See

Druck und Bindung: Belvédère Print & Packaging b.v., EA Oosterbeek, Niederlande

Gedruckt auf FSC-zertifiziertem Papier der Firma Metapaper, Deutschland.

Printed in the Netherlands.

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet unter http://d-nb.de abrufbar.

Ankerherz Verlag GmbH, Hollenstedt

[email protected]

www.ankerherz.de

ISBN 978-3-945877-56-2

eISBN 978-3-945877-89-0

INHALT

Vorwort

Das wahre Verbrechen lauert hinter dem Horizont

Mord an Bord

Der Fall Lucona

Tod auf dem Kutter

Betrüger zur See

Mörder in der Crew

Tod auf dem Hauptdeck

Das Geisterschiff

Die Inseln des Schreckens

Mörder Ahoi!

Die Todesfähre

Mord auf der „Nautilus“

Sieben

Die Mutter

Captain Waterman

Master next God

Terroristen

Gentleman

In der Kabine erwürgt

Das Geheimnis der „Nagasaki Spirit“

Sargschiffe

Piraten

Mordsee

Der Mensch als lästiger Ballast

Menschenfresser

Der Sprung

Amazonas Piraten

Zwölf Schüsse in der Nacht

ÜBER MORD AN BORD

DAS WAHRE VERBRECHEN LAUERT HINTER DEM HORIZONT

Für einen Mord gibt es kaum einen besseren Ort als ein Schiff auf hoher See. Lästige Zeugen lassen sich mit etwas Geschick vermeiden. Nirgendwo sonst ist es so einfach, eine Leiche zu beseitigen. Sollte das Opfer jemals gefunden werden, hat das Salzwasser alle Spuren beseitigt. Und dann, sollte überhaupt ermittelt werden, stellt sich vor Gericht eine weitere Frage: Wer ist eigentlich zuständig? Das wahre Verbrechen lauert hinter dem Horizont.

Schiffe bewegen sich in den Weiten der See als geschlossene Systeme in einer lebensfeindlichen Umgebung. Wenn es ernste Probleme gibt, ist Hilfe weit, denn der Notruf 110 funktioniert nicht.

Das Meer bietet einen Ozean von spannenden Geschichten, davon sind wir bei Ankerherz überzeugt. Alle großen Themen unserer Zeit haben direkt mit der See zu tun: Klimakrise. Migration. Globalisierung. Im vierten Band unserer Reihe „Kleines Buch vom Meer“ nehmen wir den Ansatz, unseren Lesern immer die spannendsten Geschichten erzählen zu wollen, wörtlich.

Wir erzählen wahre Krimis von der See.

In den vergangenen Jahren hat sich ein regelrechtes Genre „Küstenkrimi“ entwickelt. Erfolgreich wird in der Bretagne, in Ostfriesland und an Tatorten von Flensburg über Kiel bis Usedom ermittelt. TV-Sonderkommissionen gibt es auch reichlich, unter anderem in Hamburg und Wismar. Wir gehen einen Schritt weiter, wir gehen über die Klippe – raus auf See.

Wir berichten von grausamen Kapitänen und skrupellosen Reedern, die Sargschiffe auf die Reise schickten. Von einem Fischer, der seinen Widersacher in der Dunkelheit vor Norderney beseitigte. Von einer gemeinen Crew, die blinde Passagiere wie menschlichen Ballast entsorgte – ohne dass es für die Täter echte Konsequenzen hatte.

Einige der aktuellen Fälle, von denen wir erzählen, sorgten für internationale Schlagzeilen, wie der Mord auf der „Nautilus“ im Seegebiet vor Kopenhagen. Aber auch historische Ereignisse, die in Vergessenheit gerieten, spielen eine Rolle. Wie die schockierenden Ereignisse auf der Reise der „Batavia“. Ein Kapitän berichtet in diesem Band, wie er im Tatort Nordatlantik die Nerven behielt, als Schüsse fielen. Und was einer schottischen Polizistin bei ihren Ermittlungen auf einem britischen Atom-U-Boot widerfährt, lesen Sie in unseren Filmtipps.

Wir wünschen spannende Unterhaltung!

MORD AN BORD

Ein Schiff ist ein ziemlich perfekter Ort, um einen Mord zu begehen. Wenn die Leiche einmal im Meer ist, wird es für die Ermittler extrem schwierig. Beweise fehlen, Zeugen auch – und wer ist auf hoher See eigentlich zuständig? Seit Jahren lese und höre ich immer wieder von spektakulären Mordfällen, die sich auf Schiffen ereignen.

VON STEFAN KRUECKEN

Was der Ehemann zunächst der Crew und später den Ermittlern der italienischen Polizei erzählt, klingt unverdächtig. Zumindest aber so plausibel, dass kein Verdacht auf ihn fällt, jedenfalls nicht sofort. Seine Partnerin ist von Bord der „Island Escape“ verschwunden, einem Kreuzfahrtschiff, das vor der Südküste Italiens kreuzt.

Gegen 1 Uhr in der Nacht habe Micki Kanesaki die Kabine verlassen, um sich heißes Wasser und einen Teebeutel zu besorgen, gibt Lonnie Kocontes, damals 48 Jahre alt, ein Anwalt, in den Vernehmungen zu Protokoll. Er selbst habe eine Schlaftablette geschluckt und sei schnell eingenickt. Als er am nächsten Morgen aufwachte, sei er alleine gewesen. Überall auf dem Schiff habe er nach ihr gesucht.

Ach so, sie habe darüber gesprochen, sich das Leben nehmen zu wollen. Ob die Wirkung des Weines vielleicht diese Absicht verstärkt habe? Er mache sich Vorwürfe, beteuert Kocontes. Aber hat er dieses tragische Unglück wirklich verhindern können?

Polizisten beginnen, die letzten Stunden des Paares anhand von Überwachungsvideos und Zeugenaussagen zu rekonstruieren: Ein Restaurantbesuch. Eine Flasche Wein. Ein kurzer Abstecher ins Spielcasino. Mitternacht gehen sie auf ihre Kabine. So weit alles normal, und was auch immer danach geschah, bleibt unbekannt. Es gibt keinen Hinweis auf ein Gewaltverbrechen.

Seit den Neunzigern sind Kocontes und Kanesaki ein Paar. Sie lernten sich in einer Kanzlei kennen, wo er als Anwalt tätig war und sie als Rechtsanwaltsgehilfin. 1995 heirateten sie. Doch aus Liebe wurde Hass: häusliche Gewalt, Alkoholprobleme, sieben Jahre später die Scheidung. Sie wohnten allerdings weiter im gemeinsamen Haus, in Ladera Ranch, einer Kleinstadt im kalifornischen Orange County. Zusammen mit Kocontes' neuer Frau Amy Nguyen, von der er sich ebenfalls trennte. Die Reise sollte ein Versuch sein, die Dinge mit seiner ersten Frau wieder in Ordnung zu bringen, gibt Kocontes an.

Kurz nach den Vernehmungen reist er eilig zurück in die USA. Die Polizisten wundern sich: Will er nicht abwarten, was die Suche nach der Vermissten ergibt? Ein komplizierter Beziehungsstatus und ein merkwürdig zügiger Heimflug sind allerdings kein hinreichender Grund, den Anwalt in Italien festzuhalten. Es gibt nur diesen seltsamen Eindruck – aus dem wenige Tage später Gewissheit wird.

Die Crew eines Forschungsschiffs zieht eine Frauenleiche aus dem Mittelmeer. Es ist Micki Kanesaki! Eine Obduktion ergibt, dass die Leiche kein Wasser in den Lungen hat. Die Luft im Atmungsorgan ließ die Leiche auf dem Mittelmeer treiben. Was beweist, dass die Passagierin nicht ertrank. Ein Unfall scheidet damit aus. Ebenso ein Suizid.

Es war Mord.

An der Leiche entdecken Rechtsmediziner Würgemale. Ihr Schädel ist gebrochen. Doch das Meerwasser hat dem Leichnam bereits zugesetzt – DNA-Spuren können die Experten nicht sicherstellen. Für die italienische Polizei reichen diese Indizien nicht aus, um einen internationalen Haftbefehl gegen Kocontes zu erwirken.

Weil es sich aber um den gewaltsamen Tod einer amerikanischen Staatsbürgerin handelt, übernimmt das FBI. Es dauert nicht lange, bis die Beamten seltsame Geldbewegungen auf den Bankkonten des Opfers entdecken. Kocontes versucht, insgesamt mehr als eine Million US-Dollar von mehreren Konten der Verstorbenen auf sein eigenes zu transferieren.

Die Ermittler besuchen die Mitarbeiterin des Reisebüros, bei dem er die Kreuzfahrt buchte. Sie habe sich über die Planung gewundert, sagt die Dame. Die Anreise erschien ihr mit Umstiegen in Minneapolis und London als beschwerlich, doch Kocontes bestand auf diesem Abfahrtstermin auf exakt diesem Schiff. Kein anderes kam infrage. Wiederholt fragte er nach, ob es sich auch wirklich um eine Außenkabine handelte.

Die Ermittler finden rasch die Antwort, warum es ausgerechnet die „Island Escape“ sein musste. Von jeder Außenkabine ist ein ungebremster Fall ins Meer möglich. Kein Zwischendeck ist im Wege, kein Vorsprung, nichts, was einen Sturz aufhalten könnte, eine Besonderheit. Die FBI-Agenten finden außerdem heraus, dass sich Kocontes bei einem Bekannten – einem ehemaligen Polizisten – über Sicherheitsstandards an Bord von Kreuzfahrtschiffen erkundigte. Vor allem über den Einsatz von Kameras im Bereich der Gänge und Balkone. Die FBI-Agenten nehmen Kocontes unter Mordverdacht fest.

Knapp zwei Jahre später sitzt der Verdächtige auf der Anklagebank und bestreitet alle Vorwürfe. Er weiß: Die Anklage hat zwar jede Menge Indizien, aber keine handfesten Beweise. Keine DNA, keine Augenzeugen. Kocontes ist sicher, dass ihm niemand die Tat beweisen kann. Seine Partnerin Amy Nguyen sagt ebenso für ihn aus wie ein befreundeter Jurist.

Zum Entsetzen von Ermittlern und Staatsanwälten weist der Richter die Klage schließlich ab. Die Beweislage sei zu dünn, heißt es in der Begründung, jeder an Bord der „Island Escape“ könne theoretisch der Täter sein. Kocontes kommt frei. Wenig später verlässt er Nguyen und zieht nach Florida, wo er eine neue Beziehung beginnt. Dass der neue Wohnort ausgerechnet „Safety Harbor“ heißt, erscheint wie eine makabre Fußnote in dieser Geschichte.

Doch dann, vier Jahre später, meldet sich Amy Nguyen, die Verlassene, bei den Ermittlern des FBI. Sie habe Angst und neue Informationen. Nicht nur sei sie unter Druck gesetzt worden, Falschaussagen zu machen. Kocontes habe ihr gegenüber vor der Kreuzfahrt angekündigt, Micki Kanesaki an Bord der „Island Escape“ von einem Freund töten zu lassen. Der Killer aber sei nicht aufgetaucht. Amy Nguyen, besorgt um ihre eigene Sicherheit, kündigt an, nun mit den Ermittlern zu kooperieren. Ihre Angst ist begründet: Ein Gefängnisinsasse, mit dem Kocontes einsaß, berichtet, dass dieser versuchte, aus dem Knast heraus einen Killer anzuheuern, um die Zeugin zu beseitigen.

Erneut macht man ihm den Prozess, und wieder gestaltet sich der Fall komplizierter als erwartet. Micki Kanesaki ist in internationalen Gewässern umgebracht worden. Wieso die Strafverfolgungsbehörden der USA überhaupt verantwortlich seien? Mit dieser Frage will die Verteidigung den Prozess platzen lassen. Das Gericht entscheidet, dass die Tat in Kalifornien geplant wurde – man also sehr wohl zuständig ist. Auch die Corona-Pandemie verzögert den Verlauf des Verfahrens.

Der Staatsanwalt spricht davon, dass Kocontes ein „perfektes Verbrechen“ geplant hatte, mit Auswahl des ideal geeigneten Schiffes, der richtigen Kabine und des optimalen Zeitpunkts. Nur der Zufallsfund der Leiche durch die Crew des Forschungsschiffs brachte die Dinge ins Rollen. Der Staatsanwalt spricht von einem „Wunder“.

Schließlich, mehr als 14 Jahre nach der Tat, gibt es endlich Gerechtigkeit. Lonnie Kocontes wird schuldig gesprochen. Lebenslang, ohne Chance auf Bewährung.

+ + +

Ein Kreuzfahrtschiff ist ein ziemlich guter Ort, um einen Mord zu begehen. In der Nacht, wenn die Decks leer sind, gibt es keine Zeugen. Balkone garantieren Privatsphäre. Der Ozean schluckt Vermisste in der Regel, und wenn die Leiche doch gefunden wird, macht das Seewasser die Spurensuche für Rechtsmediziner nahezu unmöglich. Und dann bleibt die Frage der Zuständigkeit. Welche Behörde ermittelt, wenn das Verbrechen in internationalen Gewässern geschah?

Immer wieder kursieren Meldungen von Vermissten, doch präzise Fakten zum Thema „Mord an Bord“ kennt niemand. Mehr als vierhundert Menschen sollen seit 2010 von Kreuzfahrtschiffen gefallen sein, so wird geschätzt. Andere Experten gehen davon aus, dass im Schnitt zwei Menschen monatlich ins Meer stürzen. Angesichts von vielen Millionen Passagieren eine extrem niedrige Quote. In manchen Fällen handelt es sich um Unfälle unter Einfluss von Alkohol oder anderer Drogen. In anderen um Suizid. Von einem erfahrenen Schiffsarzt weiß ich, dass betagte und schwer erkrankte Passagiere das Schiff als Transportmittel ihrer letzten Reise wählen.

Ich erinnere mich an einen echten Krimi, den mir Heinz Aye erzählte, ein alter Kreuzfahrtkapitän. Ein schillernder Charakter, der es in der Hochphase des Kalten Krieges wagte, mit einem Schiff voller amerikanischer Touristen in die Hoheitsgewässer und in einen Hafen der UdSSR einzulaufen. Er berichtete von einem Vorfall nach einer Exkursion auf einer kleinen Insel in der Antarktis.

Ein Ausflug mit Landgang auf einer unbewohnten Insel war beendet, Dämmerung lag bereits über der kalten See, und das Schiff zog seine Bahn, als sich eine Passagierin auf der Brücke meldete. „Mein Mann ist verschwunden“, sagte sie. Kapitän Aye ließ das Schiff durchsuchen. Ohne Ergebnis. Doch die Karte am Switchboard, die anzeigt, dass ein Passagier über die Gangway kam, war umgedreht worden.

Wie war das möglich?

Kapitän Aye drehte das Schiff und fuhr mit voller Fahrt zurück zur Insel. Nur noch wenige Minuten, bis es komplett dunkel war, obendrein setzte Schneetreiben ein. Durch sein Fernglas erkannte der Kapitän einen Punkt am Ufer. Es war ein Mann, der verzweifelt mit den Armen ruderte. Kapitän Aye ließ ein Zodiac aussetzen, den Passagier abholen und zu sich bringen.

Der Mann, Mitte 60, berichtete, dass er während der Exkursion Kaffee aus einer mitgebrachten Thermoskanne getrunken hatte. Dann sei ihm „schwummrig geworden“. Er lehnte sich kurz an einen Felsen, alles drehte sich, und als er aufwachte, sah er, wie das Schiff am Horizont verschwand.

„Die nächste Nacht hätte der Mann auf keinen Fall überlebt“, erzählte Aye.

Wer aber hatte seine Karte an der Gangway umgedreht und damit vorgetäuscht, dass er an Bord war? War es die Ehefrau, die auf die Brücke eilte, weil sie ein schlechtes Gewissen plagte? Oder wollte sie sich mit dem späten Alarm ein Alibi geben? Das Verschwinden ihres Mannes gar nicht zu melden, hätte sie zur Hauptverdächtigen gemacht.

Kapitän Aye kam das alles dubios vor, doch beweisen konnte er Hunderte Seemeilen von der nächsten Polizeistation entfernt nichts. Zumal auch die Thermoskanne, das einzige Beweisstück, auf der Insel geblieben war. Er verbot dem Ehepaar weitere Landgänge und wies die Crew an, die beiden jederzeit aufmerksam im Auge zu behalten. „Ich wollte keinen Mord an Bord meines Schiffes erleben“, sagte er. Der Rest der Reise verlief ohne Zwischenfälle.

Ob sich der Ehemann scheiden ließ? Kapitän Aye wusste es nicht.

+ + +

Während ich an dieser Geschichte schreibe, ist erneut eine Frau auf mysteriöse Weise von Bord eines Kreuzfahrtschiffs verschwunden. Türkische Medien berichten, dass die Schmuckunternehmerin Dilek Ertek, Ende 60, von Bord des Kreuzfahrtschiffs „Norwegian Spirit“ fiel. Das Schiff, unterwegs auf einer Reise, die in Hawaii begonnen hatte, befand sich vor der Küste von Tahiti.

Überwachungskameras zeichneten ihren Sturz um 3 Uhr in der Frühe auf, aber nicht, wie es dazu kam. Weil niemand Alarm auslöste, fuhr das Schiff weiter durch die Nacht. Ein Unfall erscheint als unwahrscheinlich, denn Dilek Ertek war nur 1,57 Meter groß und die Reling hoch.

Erst zwanzig Stunden später meldete ihr Reisebegleiter, ein 74-jähriger Schweizer, das Verschwinden. Man muss nicht Sherlock Holmes sein, um dieses Maß an Gelassenheit seltsam zu finden. Die Crew sperrte ihn in einer Kabine ein, und die Polizei von Papeete, der Hauptstadt von Französisch-Polynesien und nächstgelegener Hafen, hatte eine Menge Fragen. Weil sie aber nichts beweisen konnten, keine Spuren fanden und kein einziges Indiz, das den Mann belastete, ließen die Polizisten den Liebhaber laufen. Er soll in die Schweiz zurückgekehrt und kurz darauf untergetaucht sein.

Die Leiche der Unternehmerin, die den ersten Tiffany's-Store in Istanbul eröffnet hatte, wurde nie entdeckt. Eine intensive Suche, an der sich auch Einheiten der amerikanischen Coast Guard beteiligten, endete ohne Ergebnis. Ihr Sohn, der in die Südsee reiste, erhob schwere Vorwürfe gegen die Behörden. Sie hätten schlampig gearbeitet. So sei nicht mal aufgefallen, dass wertvolle Juwelen im Safe seiner Mutter fehlten. Ob es in dieser Geschichte noch eine späte Wendung gibt wie im Falle von Micki Kanesaki?

Nicht immer gibt es Wunder.

DER FALL LUCONA

Tatort

Massengutfrachter „Lucona“

Position

Indischer Ozean

Tatzeit

23. Januar 1977

Täter

Udo Proksch

Straftaten

Mord, Versicherungsbetrug

Der Massengutfrachter „Lucona“, 1966 auf der Büsumer Werft gebaut, wird 1976 von einem Wiener Unternehmer namens Udo Proksch gechartert. Proksch ist eine schillernde Figur der Wiener Gesellschaft, fünf Jahre mit der bekannten Schauspielerin Erika Pluhar verheiratet, später mit einer Enkelin von Richard Wagner liiert. Seine Beziehungen reichen bis in höchste Kreise der österreichischen Politik. Er hat einen Tick fürs Militärische. So plant er einen Spielplatz, auf dem Männer Krieg spielen können, und experimentiert selbst mit Sprengstoff.

Die Ladung der „Lucona“, angeblich eine 700 Tonnen schwere Anlage zur Zerkleinerung von Uranerz, hat laut Versicherungspapieren einen Wert von 212 Millionen Schilling, umgerechnet sind das etwa 15 Millionen Euro. Im italienischen Chiogga wird das Schiff beladen. Es fährt durch den Suezkanal und nimmt Kurs auf die Seychellen. Vorläufiger Bestimmungshafen ist Hongkong. Wo die Reise endgültig hingehen soll, weiß selbst der Kapitän nicht.

Aber es kommt sowieso anders: Am 23. Januar 1977 erschüttert eine Explosion die „Lucona“. Sechs Menschen kommen um, der Frachter sinkt. An einer Stelle, an der der Indische Ozean so tief ist wie nirgendwo sonst.

Doch die Versicherung weigert sich zu zahlen. War die Ladung wirklich so viel wert? Es stellt sich heraus, dass keine 700 Tonnen Fracht an Bord waren, sondern nur 280 Tonnen – keine teure Industrieanlage, sondern Schrott. Auch explodieren Schiffe nicht einfach so. Es muss ein Sprengsatz an Bord gewesen sein, wahrscheinlich ein Zeitzünder. Dafür spricht, dass der Kapitän mehrmals durch Anweisungen der Auftraggeber aufgehalten wurde, damit sein Schiff auch wirklich in einer Wassertiefe verschwindet, die Nachforschungen schwierig macht.

Ein Tauchroboter findet das Wrack schließlich 1991 auf 4200 Metern Tiefe. Videoaufnahmen zeigen: Der vordere Laderaum wurde von der Explosion auseinandergerissen, der hintere Teil des Schiffs blieb weitgehend intakt. Proksch wird der Prozess gemacht und wegen sechsfachen Mordes zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Er stirbt 2001 an den Folgen einer Herzoperation.