Das Leben ist kein Kinderwunschkonzert - Marie von den Benken - E-Book

Das Leben ist kein Kinderwunschkonzert E-Book

Marie von den Benken

0,0
14,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Kinderwunsch und Wirklichkeit - ein sehr persönlicher und zugleich fundierter Bericht von Journalistin und Podcasterin Marie von den Benken

Warum werden andere einfach so schwanger – und bei uns klappt es jahrelang nicht, obwohl wir alles dafür tun? Was habe ich falsch gemacht? Sind wir vielleicht doch nicht füreinander bestimmt?

Diese und andere Fragen quälen Marie, als sie und Alex endlich bereit sind für ein Kind – und die Schwangerschaft ausbleibt. Über Jahre.

Marie entscheidet sich für den Schritt in eine Kinderwunschklinik und begibt sich auf eine Reise, auf die man sich kaum vorbereiten kann: medizinisch fordernd und seelisch kräftezehrend. Zum Glück mit einem guten Ende: Nach 8 Jahren wird sie tatsächlich schwanger.

Marie erzählt offen und eindrücklich von Jahren des Hoffens und der Rückschläge, von Schwangerschaft und Geburt, von Entscheidungsmomenten und vom größten Glück. Darüber hinaus beleuchtet sie Themen wie Endometriose, späte Mutterschaft, Egg Freezing, Adoption und Pflegekinder. Fachleute aus Medizin und Psychologie ergänzen ihre Perspektive um fundiertes Wissen. Persönliche Erfahrungsberichte anderer betroffener Frauen sowie Stimmen von Lola Weippert, Janine Kunze, Anna Adamyan und Jule Lobo erweitern den Blick auf die vielen Facetten des Themas.

Ein berührendes Buch über Träume, Zweifel und die Kraft, trotzdem weiterzugehen. Bis zum ganz persönlichen Glück. Für alle, die selbst betroffen sind, jemanden begleiten – oder sich einfach für ein Happy End begeistern können.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 379

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Warum werden andere einfach so schwanger – und bei uns klappt es jahrelang nicht, obwohl wir alles dafür tun? Was habe ich falsch gemacht? Sind wir vielleicht doch nicht füreinander bestimmt?

Diese und andere Fragen quälen Marie, als sie und Alex endlich bereit sind für ein Kind – und die Schwangerschaft ausbleibt. Über Jahre.

Marie entscheidet sich für den Schritt in eine Kinderwunschklinik und begibt sich auf eine Reise, auf die man sich kaum vorbereiten kann: medizinisch fordernd und seelisch kräftezehrend. Zum Glück mit einem guten Ende: Nach 8 Jahren wird sie tatsächlich schwanger.

Marie erzählt offen und eindrücklich von Jahren des Hoffens und der Rückschläge, von Schwangerschaft und Geburt, von Entscheidungsmomenten und vom größten Glück. Darüber hinaus beleuchtet sie Themen wie Endometriose, späte Mutterschaft, Egg Freezing, Adoption und Pflegekinder. Fachleute aus Medizin und Psychologie ergänzen ihre Perspektive um fundiertes Wissen. Persönliche Erfahrungsberichte anderer betroffener Frauen sowie Stimmen von Lola Weippert, Janine Kunze, Anna Adamyan und Jule Lobo erweitern den Blick auf die vielen Facetten des Themas.

Ein berührendes Buch über Träume, Zweifel und die Kraft, trotzdem weiterzugehen. Bis zum ganz persönlichen Glück. Für alle, die selbst betroffen sind, jemanden begleiten – oder sich einfach für ein Happy End begeistern können.

Marie von den Benken

Wilhelm Heyne Verlag München

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright © 2025 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)

www.heyne.de

Alle Rechte vorbehalten.

Redaktion: Caroline Kaum, www.morgeneinbuch.com

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design unter Verwendung eines Fotos von Andreas Puhl

Satz: satz-bau Leingärtner, Nabburg

ISBN 978-3-641-33751-3V001

Inhalt

Wie dieses Buch funktioniert …

… das ich mir damals selbst gewünscht hätte

1. Es ist vorbei, BYE-BYE, Herzenswunsch

Tagebucheintrag vom 1. März 2022

Zurück in die Zukunft

Fakten & Forschung: Kinderlosigkeit, Partnerschaft und Wege aus der Trauer

2. Tausche Bambi gegen Kita

Tagebucheintrag vom 13. Oktober 2015

Ich hab’ ein Haus, ein kunterbuntes Haus … und wann guckt das Kind zum Fenster raus?

Fakten & Forschung: Kinderwunsch, Gesellschaft und Realität

3. Die Sex-Bürokratie – Planwirtschaft im Schlafzimmer

Tagebucheintrag vom 17. November 2018

Wetterlage: Emotionale Sturmwarnung

Fakten & Forschung: Schwanger werden – was wirklich helfen kann

4. Kinderwunschklinik, reloaded

Tagebucheintrag vom 21. Oktober 2021

Willkommen in der Reproduktionsfabrik

Fakten & Forschung: Intuition oder Expertise – wem vertraut man mehr?

5. Liebe braucht keine Nabelschnur

Tagebucheintrag vom 22. August 2022

Im Kokon der Familie

Fakten & Forschung: Pflege oder Adoption – Chancen und Herausforderungen

Im Gespräch mit Janine Kunze: Eine starke Stimme für ein wichtiges Thema

6. Der Herbst der Erkenntnis (Ich bin ein Held, und du bist ein Held – wir haben den Mann mit der Petrischale bestellt)

Tagebucheintrag vom 18. Oktober 2022

Auf der A24 Richtung Zukunft

Fakten & Forschung: Ursachen für Unfruchtbarkeit und Grundlagen der künstlichen Befruchtung

7. Themen-Sidekick: Leben mit Endometriose

Im Gespräch mit Anna Adamyan: Über Hoffnung, Kinderwunsch und medizinische Hürden

Im Gespräch mit Lola Weippert: »Ich dachte, das sei normal«

Fakten & Forschung: Endometriose im Fokus der Wissenschaft

8. Themen-Sidekick: Egg Freezing – ein Stück Zukunft auf Eis

Im Gespräch mit Laura Schäfer: Zwischen Lebensgefahr und Lebensplan

Im Gespräch mit Evelyn Burdecki und Johanna Rief: Einmal einfrieren, bitte.

Fakten & Forschung: Wenn Kinderwunsch auf Eis geht – was Egg Freezing leisten kann

9. Themen-Sidekick: Späte Mutterschaft – ein Tabu, das keins mehr ist

Im Gespräch mit Sandra von Zabiensky: »Ich bin froh, dass ich so spät Mutter geworden bin«

Fakten & Forschung: Kinder kriegen jenseits der 40 – medizinische Optionen und gesellschaftliche Perspektiven

10. IVF – wir gehen all-in

Tagebucheintrag vom 28. Februar 2023

Kleid: gelb, Teppich: rot, Blitzlicht: grell, Gedanken: woanders

Fakten & Forschung: IVF in der Praxis – Entscheidungen, Abläufe, Erfolgsfaktoren

11. »Sie sind schwanger, und zwar so richtig!«

Tagebucheintrag vom 20. April 2023

1 Insel, 2 Menschen, 3 Herzen

Fakten & Forschung: Die Schwangerschaft – Grundsätzliches und Besonderheiten nach einer künstlichen Befruchtung

Im Gespräch mit Jule Lobo: drei Kinder, drei Wunschkaiserschnitte

12. Die Geburt, so viel größer als alles zuvor

G3burtstag

Fakten & Forschung: Geburt, Wochenbett und der erste Alltag

Tagebucheintrag vom 28. Mai 2025

Danksagung

Glossar

Anmerkungen

Wie dieses Buch funktioniert …

Ich führe dich auf den folgenden 262 Seiten anhand meiner persönlichen Geschichte durch die einzelnen Kapitel. Jedes davon enthält einen Tagebucheintrag aus jener Zeit – ein schonungslos ehrliches, sehr intimes Dokument zu allen Phasen meiner Kinderwunschreise, die manchmal auch eine Odyssee war. Ergänzend dazu gebe ich dir Einblicke in das Leben von meinem Freund Alex und mir, unsere Realitäten und wie wir die Situationen erfahren, verarbeitet und überstanden haben. In den mit Themen-Sidekick gekennzeichneten Kapiteln spreche ich mit anderen Betroffenen; sie behandeln Themen, die ich selbst nicht erlebt habe, die den Komplex Kinderwunsch aber abrunden. Für die wissenschaftliche Seite kommen in jedem Kapitel Experten zu Wort, und ich liefere einen kurzen Überblick zu Hardfacts und Forschung. Im Text wirst du außerdem immer wieder besonders gekennzeichnete Begriffe entdecken – das signalisiert dir: Diese werden im Glossar noch einmal separat erläutert. Eine regelmäßig aktualisierte Liste mit hilfreichen Adressen und weiterführenden Informationen findest du online unter: www.kinderwunschkonzert.de/adressen.

… das ich mir damals selbst gewünscht hätte

Man muss keine Expertin sein, um zu ahnen: Ein Vorwort mit einer schlechten Nachricht zu beginnen, ist taktisch ein eher mittelmäßig genialer Schachzug. Aber was soll ich sagen: Ich möchte schonungslos ehrlich sein.

Dieses Buch ist nicht der Storch. Es wird dir kein Kind bringen. Es macht dich nicht schwanger – und es entscheidet auch nicht, ob du bereit bist, Mutter oder Vater zu werden. Aber es ist genau das Buch, das ich mir damals verzweifelt gewünscht hätte. Als bei mir das Gedankenkarussell Fahrt aufnahm, weil ich einfach nicht schwanger wurde. So easy, quasi im Vorbeigehen, wie es bei allen anderen um mich herum doch auch funktionierte.

Euphorische Entscheidungen vs. bittere Realitäten

Heute, wo ich dieses Vorwort schreibe, liegt dieser Tag mehr als neun Jahre zurück – der Tag, an dem ich mit meinem Freund Alex total euphorisch beschlossen habe: Wir sind bereit! Ja! Wir wollen Eltern werden. Also stürzten wir uns rein in diese Zeit aus Vorfreude, Hoffnung und Erwartungen.

Damals habe ich keine Sekunde daran gezweifelt, dass alles ganz schnell gehen würde. Ich habe nur noch in hollywoodreifen Szenarien gedacht. Romantische Momente, in denen wir es erfahren und teilen würden. Wie wir Apotheken leer kaufen und Schwangerschaftstests aneinanderreihen, bis es keinen Zweifel mehr gibt – und uns dann in den Armen liegen. Wie wir diese frohe Botschaft unserer Familie und engen Freunden weitersagen. Aber das Leben verläuft eben selten wie in einem Hollywood-Blockbuster. Denn statt Champagnerkorken knallten bei uns erst mal nur Türen. Vor allem, wenn wieder ein Zyklus verstrichen war, ohne dass es geklappt hatte. Mit jedem Monat verblasste die Euphorie in uns ein wenig mehr – und mit ihr die Zuversicht. Vor allem bei mir. Ersetzt wurde sie nach und nach durch Angst. Angst, irgendwas stimmt nicht mit uns. Mit mir. Mit Alex. Mit unseren Träumen. Aus »Hurra, bald sind wir Eltern« wurde schleichend ein »Warum wir? Warum ich? Was habe ich falsch gemacht? Warum werden wir so hart bestraft?«

Niemand hat gesagt, dass es leicht ist

Gleichzeitig entwickelten sich auch Spannungen zwischen uns beiden. Intensive emotionale Situationen können auf eine gewisse Weise zusammenschweißen. Das Gefühl jedoch, eigentlich von Anfang an nur von einer schweren Enttäuschung zur nächsten zu stolpern, ohne jeglichen Ansatzpunkt, warum das so ist oder was man ändern könnte, belastet nach einer Weile schwerer, als man ahnt. Die Diskussionen über das Schwangerwerden endeten immer öfter im Streit. Wir wollten nicht aufgeben, aber uns gingen die Optionen aus. Und mit ihnen auch nach und nach die Überzeugung, alles würde gut werden. Wir manövrierten uns in eine Sackgasse, die sich anfühlte wie eine Multiple-Choice-Frage:

A) schwanger werden

B) auseinanderbrechen

Alex war immer der Typ »Ach komm, das wird schon!«, ich immer Team »Ich bin nicht mehr 21, uns rennt die Zeit weg!« Dahinschwindende Träume sind kein Nährboden für die Aktivierung der ruhmreichsten Verhaltensweisen in einem Menschen. Zumindest nicht, was mich betrifft. Ich wurde fragiler, verletzlicher, unsicherer und unzufriedener. Das zu kompensieren, darauf zu reagieren, dafür hatte ich kein Rezept. Mein Nervenkostüm wurde dünner, mein Akzeptanzreservoir für Beschwichtigungen glich einem Trockendock. Ich wollte nicht mehr diskutieren, nicht mehr getröstet werden, nicht mehr akzeptieren. Ich wollte verdammt noch mal endlich schwanger sein – oder wenigstens begreifen, wieso es ausgerechnet bei mir nicht klappen wollte. Dabei entdeckte ich auch ein paar sehr unangenehme Züge an mir, die ich so noch nicht kannte. Vorfreude wich Verdrängung, Harmonie wich Hilflosigkeit. Es war keine einfache Zeit für Alex und mich. Wir schwammen blind durch einen Ozean von Unwägbarkeiten, für den es kein Navigationsgerät gab. Unsere Kräfte ließen nach: nicht nur die körperlichen, sondern auch die emotionalen und mentalen.

Der Wendepunkt: Recherche statt Verzweiflung

Drei Jahre nach unserem Entschluss, Eltern werden zu wollen – zu einer Zeit, in der ich mich schon längst als junge Mutter gesehen hatte –, saß ich in der Realität mit einem weiteren negativen Schwangerschaftstest auf der Couch. Ich versuchte, irgendwie meine Tränen zurückzuhalten. Die Fragen begannen bohrender, eindringlicher und existenzieller zu werden. Diese kleinen Plastikstäbchen, diese Schwangerschaftstests, waren in den vergangenen zwölf Monaten von Botschaftern der Freude zu verhassten Feinden geworden. Mit Schwangerschaftstests ohne Happy End hätte ich inzwischen den Eiffelturm nachbauen können. Zumindest als stattliches Modell. Diese Zweifel, dieses Unverständnis und diese Enttäuschungen stellten meine gesamte Gedankenwelt auf den Kopf. Die hoffnungsvolle Bald-Mutter, die schon das Kinderzimmer plante und Spielplätze in der näheren Umgebung begutachtete, verwandelte sich in eine Kämpferin mit Tunnelblick, die nicht im Gefühl der totalen Verzweiflung untergehen wollte. So konnte es nicht weitergehen.

Albert Einstein hat mal gesagt, die Definition von Wahnsinn sei, immer wieder das Gleiche zu tun, aber auf ein anderes Ergebnis zu hoffen. Bevor ich also in den Wahnsinn abdriften würde, versuchte ich, die Reißleine zu ziehen. Aber wie? Als Erstes stellte ich mir die Frage »Warum ist es bei uns noch nicht so weit?« nicht mehr in einer das Universum für seine Ungerechtigkeiten anprangernden Art und Weise. Stattdessen begann ich, ihr mit Logik, Wissen und jeder verfügbaren medizinischen Hilfe zu begegnen. Trauer und Enttäuschung würden meine Chancen nicht verbessern, schwanger zu werden. Fach- und Detailwissen hingegen vielleicht schon.

Acht Jahre, zwei Geburten

Am Ende dauerte es bei mir acht Jahre. Acht Jahre, in denen ich wahnsinnig viel Zeit, intensivste Emotionen und nicht enden wollende Recherchen in die Beantwortung all dieser Fragen gesteckt habe, die sich in so einer Situation unweigerlich ergeben.

Auf meiner Reise zum Wunschkind habe ich viele Abstecher gemacht. Bin viele unvorhergesehene Routen gegangen. Manche mehrfach. Manche unsicher. Manche voller Zuversicht.

Ich habe in acht Jahren vermutlich so ziemlich jede denkbare Abzweigung genommen, jeden Umweg beschritten und jeden Fehler gemacht, ausgeleuchtet, analysiert und dokumentiert. Diesen Wissensvorsprung möchte ich weitergeben.

Als ich meine erste Firma eröffnete, hat ein guter Freund meines Vaters, der selbst einige erfolgreiche Firmen gegründet hatte, zu mir gesagt: »Als Unternehmerin wirst du viele Fehler machen. Die Kunst ist, jeden Fehler nur ein Mal zu machen und dann daraus zu lernen.« Nun ist ein Kinderwunsch sicher kein Start-up. Überhaupt stellt sich doch die Frage, ob du auf diesem besonderen Weg überhaupt Fehler machen musst. Dazugelernt hat ja bereits jemand. Teilweise schmerzhaft, teilweise verzweifelnd, teilweise erfolgreich. Ich nämlich. Dieses Buch wird dir helfen, die ein oder andere Sackgasse gar nicht erst anzusteuern.

Auch bei Büchern wichtig: Erwartungsmanagement

Ein Kinderwunsch hat viele Facetten. Er fängt nicht damit an, dass man hofft, eine gesunde, starke Eizelle möge möglichst schnell von einem flinken Spermium überrumpelt und befruchtet werden. Meist kommen schon vorher viele Gedanken auf: Kann man in diese Welt überhaupt noch Kinder setzen – in eine Welt der drei Ks: Kriege, Katastrophen, Klimawandel? Ist es verantwortbar, ein Kind in eine Zukunft zu stellen, die so unvorhersehbar geworden ist? Auch solche Fragen gehören zum Kinderwunsch.

Ich habe Antworten gesucht und gefunden – und werde sie hier teilen, denn vielleicht sind auch dir solche Überlegungen bekannt. Ganz abgesehen von allen weiteren, die folgen, wenn dein Ja zur Familienplanung einmal gefallen ist: Was kann man selbst tun, um die Chance auf eine Schwangerschaft zu erhöhen? Wann ist es vielleicht aber auch Zeit, sich medizinische Unterstützung zu holen? Was sind mögliche Gründe für Unfruchtbarkeit? Und was genau verbirgt sich hinter künstlicher Befruchtung – wann ist sie sinnvoll, was kostet sie und wie sind die Erfolgsaussichten – auch in höherem Alter? Und sollte selbst dieser Weg keine Lösung sein: Wie steht es um Adoption oder ein Pflegekind, und welche Informationen sind dafür entscheidend? Wie geht man damit um, wenn ein Kinderwunsch da ist, der passende Partner aber noch fehlt oder die Karriere gerade im Fokus steht? Wie lässt sich vorsorgen, damit die Zeit nicht davonläuft, falls man sich später allein oder zu zweit für ein Kind entscheidet?

Alle Antworten, alle Ergebnisse, alle Optionen, alle Erkenntnisse, alle Erlebnisse, alle Begegnungen und alle Erfahrungen der letzten acht Jahre habe ich in diesem Buch gesammelt. Genau deswegen ist es auch das Buch geworden, das mir damals geholfen hätte. Ich sagte es eingangs bereits: Es wird dich nicht schwanger machen. Aber das ist okay. Ein Kochbuch macht dich schließlich auch nicht satt.

Als ich mich entschloss, meine Erfahrungen in dieses Buch einfließen zu lassen, wusste ich, es würde sehr emotional werden. Ich würde viele Momente nochmals durchleben, die nicht unbedingt zu den schönsten meines Lebens gehören. Aber ich wusste auch: Meine Geschichte kann helfen. Jedenfalls, wenn es mir gelingt, über die Emotion hinaus Antworten zu liefern – von mir, von Fachleuten aus der Medizin und Psychologie, von Freunden und Prominenten. Denn unterschiedliche Erfahrungen können dabei helfen, sich ein eigenes Gesamtbild zu machen. Ich bin in meinem Leben immer gut damit gefahren, nicht nur die Theorie, sondern auch die Praxis zu beleuchten. Davon möchte ich dir gern ein Stück weitergeben. Und du nimmst dir am Ende, was davon zu dir und deinem Weg passt.

Aber jetzt springen wir rein in meine ganz persönliche Geschichte …

1 Es ist vorbei, BYE-BYE, Herzenswunsch

Tagebucheintrag vom 1. März 2022

Ich weiß nicht, ob ich mich jemals beschissener gefühlt habe als heute. »Beschissen« ist keine schöne Vokabel. Aber sie ist ehrlich. Jede andere klänge irgendwie beschönigend. Denn heute ist er gefallen, der letzte, der finale Vorhang. Das war es wohl. Endgültig. Das Ende einer langen, leidvollen Episode meines Lebens – mit einem Schlussakkord, der schlimmer kaum hätte ausfallen können. Mein Körper hat mir ein eindeutiges Signal gesendet: Ich habe meine Periode bekommen. Unmissverständlicher konnte man mir nicht mitteilen: Hey, sorry, aber du bist nicht schwanger.

Wie kann man so intensiv um etwas trauern, das man nie besessen hat? Alex hat mich gerade lange gehalten. Ich zittere trotzdem noch immer. Es fühlt sich an, als hätte ich mich in einem Flur verlaufen – aber immer geglaubt, hinter der nächsten Tür warte doch noch das Ziel. Doch jetzt wird klar: Es gibt keine weitere Tür, keinen versteckten Ausgang. Ich habe mich all die Zeit an eine Möglichkeit geklammert, die nie real war. Damit hatte ich nicht gerechnet.

Ich bin verletzt und enttäuscht. Und vor allem: ratlos. Ich mag Fragen. Ich stelle viele Fragen – anderen und mir. Was ich allerdings gar nicht mag, sind Fragen ohne Antworten. Ich hasse das. Das ist eine grauenvolle Form von Hilflosigkeit.

Ich habe heute echt schon gedacht: War ich in einem früheren Leben ein abscheulicher Mensch und werde nun vom Gerechtigkeitskomitee des Circle of Life abgestraft?

Die Wege des Herrn sind unergründlich, okay. Aber es sitzt doch nicht irgendwo ein alter, weißhaariger Mann auf einer Wolke und lenkt das Leben von fast neun Milliarden Menschen. Das ist doch absurd. Soll das Trost spenden? Mir sagen, dass ich nichts dafürkann? Tja, Newsflash: Das funktioniert nicht. Alles auf ein vorherbestimmtes Schicksal zu schieben, ist mir ohnehin zu einfach. Auch wenn es verlockend wäre, sich einzureden, dass es eben so sei. Dass ich es nicht verhindern konnte. Dass da vielleicht ein anderer Plan auf mich wartet.

Nein. Das reicht mir nicht. Ich brauche Antworten. Denn sonst hören die Fragen nie auf. Wäre ich eine schlechte Mutter geworden? Ist es das, was das Leben mir sagen will?

Nach dem letzten der drei Inseminationsversuche, als man Alex’ Samen in meine Gebärmutter einbrachte, habe ich mich einige Tage tatsächlich anders gefühlt als bei den Versuchen davor. Mal wieder habe ich wie eine Wahnsinnige in mich hineingehorcht und versucht, jede kleinste Änderung in mir herbeizuspüren. Schwanger fühlte ich mich nach den bisherigen zwei Inseminationen nie. Das war dieses Mal anders. Ich war mir total sicher, es ganz eindeutig zu merken: Da ist etwas im Gang in meinem Unterleib. Ich war sensibler, meine Brust spannte. Das war real! Das war nicht ausgedacht oder überinterpretiert. Und das sind doch eigentlich typische Anzeichen für eine Schwangerschaft, oder?

Andererseits hatte ich das früher auch schon ein paar Mal erlebt. Nur eben noch nie nach einer der Behandlungen im Kinderwunschzentrum.

Tja, ich habe mich anscheinend getäuscht. Es frustriert. Es tut weh. Ich habe keine Optionen mehr. Und was gravierender ist: Ich habe auch kein Vertrauen mehr. Nicht mal in meinen eigenen Körper. Früher war mein Gefühl mein sicherster Kompass. Mein inneres Echolot. Und jetzt? Jetzt lässt auch das mich im Stich.

Zurück in die Zukunft

Die Welt dreht sich weiter – sie macht keine Pause, um mit mir zu trauern. Warum auch? Draußen lachen die Menschen, trinken, tanzen, feiern das Leben nach den Lockdowns. Die Stadt vibriert vor inspirierender Dynamik, während ich auf der Couch liege. In einer Wohnung, die nie ein Kinderzimmer haben wird. Wo das Lachen unseres leiblichen Kindes nie durch die Flure hallen wird. Das Ende der Zukunft, wie wir sie geplant hatten. Alles wirkt verschwommen, unwirklich – als würde ich durch eine Surrealitätsbrille schauen. Die echte Welt ist irgendwie verblasst. Plan B also. Der Airbag ist aufgegangen. Hallo, Plan B. Hallo, Leben, das ich nie führen wollte.

Ich denke zurück an den Sommer 2021. Als wir mit den Inseminationsversuchen begannen, startete eine Zeit voller Hoffen und Bangen. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt, und auch bei uns stand sie eingangs noch »fest gemauert in der Erden«, wie Friedrich Schiller sagen würde. Wir waren überzeugt: JETZT würde es klappen!

Eine Klinik, die darauf spezialisiert ist, Kinderwünsche wahr werden zu lassen – dort mussten wir doch in den besten Händen sein.

Sechs Jahre lang hatten wir ohne Hilfe versucht, schwanger zu werden. Und eigentlich wollten wir auch nie medizinisch nachhelfen. Aber irgendwann merkten wir, dass wir etwas ändern mussten. Im Prinzip waren die Inseminationsversuche primär dafür gedacht, unser Liebesleben nicht vollends zu einem fremdgesteuerten Fortpflanzungsritual ausarten zu lassen. Denn wir merkten, dass unser Sexualleben irgendwann weniger spontan und frei gestaltbar ablief als die Abgabe unserer Steuererklärungen. Von der Leidenschaft zweier verliebter Menschen blieb nicht viel übrig, wenn ich morgens beim Frühstück sagte: »Mein LH-Test war positiv. Es wäre gut, wenn wir heute bis spätestens 23 Uhr miteinander schlafen – wann hättest du Zeit?« Es war absurd – und traurig. Also zogen wir die Notbremse.

Mit der Entscheidung für die Insemination fühlten wir uns sehr erwachsen – und gleichzeitig sehr spießig. Wir waren doch das lustige Supercouple, mit dem man gern unterwegs war. Nicht die Sexversager, die ihr wildes Liebesleben gegen Fahrplankopulation eingetauscht hatten und dafür nur Frust statt eines positiven Schwangerschaftstests zurückbekamen.

Wir reckten immer die Spaßfahne in den Himmel, tanzten auf Tischen, machten die Nacht zum Tag und lachten so laut, dass andere Restaurantgäste dachten, diese Gen-Z-Arschgeigen sind doch bestimmt bis unter die Haarspitzen zugeballert mit Drogen.

Ich habe nie aktiv darüber nachgedacht, aber vermutlich hielten wir uns unterbewusst für das coolste Paar auf dem gesellschaftlichen Freundschaftsparkett. Und was hat es uns gebracht? Sieben Jahre, unzählige Terminsexnächte, drei erfolglose Inseminationen später jedenfalls: gar nichts.

Lange sitze ich einfach nur da, versunken in Gedanken an unsere misslungenen Versuche in der Klinik. Wenn die Ärzte den Zeitpunkt falsch gewählt haben – müsste das nicht in den Zyklusblättern stehen? Ich sehe sie vor mir, wie ich sie von Raum A nach Raum B trug, jedes Mal sorgfältig ausgefüllt. Alles war dokumentiert. Plötzlich stehe ich auf. Aus Trotz. Aus Wut. Oder letzter Hoffnung. Ich ziehe mich an, fahre los – Richtung Elbe.

In der Klinik frage ich nach den Unterlagen. Eine logische Reaktion auf die vielen gescheiterten Versuche, die hinter mir liegen. Dort sagt man mir, man könne sie mir nicht herausgeben. Ich hätte ja bereits einen Arztbericht bekommen. Aber der ist oberflächlich – die entscheidenden Details fehlen. Ich bin wütend. Ich habe ein Recht darauf. Ich ärgere mich, dass ich nicht gleich alles selbst abfotografiert habe. Doch wer hätte ahnen können, dass man sie mir nach drei erfolglosen Versuchen einfach vorenthalten würde? Das Verhalten der Klinikmitarbeiter bestätigt ein Gefühl, das sich längst in mir eingenistet hat: Vielleicht war es die falsche Karte, auf die wir gesetzt hatten. Vielleicht waren es die falschen Ärzte.

Die Elbe bahnt sich nur ein paar Meter vom Kinderwunschzentrum entfernt ihren monotonen Weg durch die HafenCity hinaus ins offene Meer. Der Inbegriff von Fernweh. Von der Sehnsucht nach etwas, das man nicht greifen kann. Ich begleite sie ein paar Schritte. Ein Ritual, das mir in den letzten Monaten Halt gegeben hat: ein tiefer Atemzug am Wasser, bevor ich wieder zurück ins Leben muss. Der Hamburger Wind zerzaust mir das Haar, über meinem Kopf kreisen die Möwen und singen ihr Lied von Freiheit. Gigantische Containerschiffe schieben sich träge Richtung Ostsee. Was mir sonst den Kopf frei machte, hilft heute nicht mehr. Tränen der Trauer und der Wut schießen mir in die Augen.

Ich frage mich, ob ich diese schöne Seite meiner Geburtsstadt je meinem Kind werde zeigen können. Und ob ich mich in der Klinik stärker hätte durchsetzen müssen. Ja. Hätte ich. Habe ich aber nicht. Ich bin nicht schwanger. Das ist die bittere, traurige, ungerechte Realität. Wer auch immer die Geschicke von uns Menschen lenkt – für mich scheint keine Zukunft als Mutter eines leiblichen Kindes vorgesehen zu sein. Und das ist schwer zu verdauen, selbst hier an der Elbe, wo Hamburg am schönsten – und zugleich am trostlosesten – wirkt, wenn man seine Gedanken nicht auf Reisen schicken kann. Einfach den Fluss entlang, hinaus in eine große Zukunft – wie die ozeanfesten Tanker, die das Hafenbild gewaltig und weltoffen erscheinen lassen. Ich starre auf die Kräne.

Die gewaltigen Tiere

Mit metallenen Krallen

Mit Neonlicht-Augen

Zeilen von Gisbert zu Knyphausen.[1] Ein lyrisches Talent, das außergewöhnliche Bilder auf einen schwermütigen Klangteppich malen kann wie Picasso auf Leinwände.

Nimm mich mit

Nimm mich mit

Flatterhafte Demut

Schlag deine krummen Flügel um mich

Dieser Kopf, oh dieser Kopf

Macht sich viel zu wichtig

Oh, unergründliches Leben

Was wissen wir denn schon von dir?

Wir wurden geboren,

Und wir sterben,

Und danach weht der Wind wie immer

Ich bleibe lieber noch ein wenig hier am Hafen, mit mir und meiner Melancholie. Vielleicht weht der Wind mir irgendwann einfach die Enttäuschung aus dem Kopf.

In diesem Moment an der Elbe dachte ich, ich stünde am Ende. In Wahrheit begann hier die Geschichte, die ich nie durchleben und erzählen wollte – und die doch das erste Kapitel dieses Buches wurde.

Niemand war damals da, der mir hätte sagen können, dass ich fünf Jahre später mit unserem Sohn an der Hand überglücklich jeden einzelnen Kran in Berlin bestaunen würde. Unser Sohn Luca liebt Kräne. Und eines Tages werde ich ihm von diesem Tag erzählen – dem Tag, an dem Kräne mich begleiteten, als ich die Hoffnung auf ihn fast schon aufgegeben hatte.

Denn diese drei Inseminationsversuche sollten unsere einzigen sein – das hatten Alex und ich klar vereinbart. Man kann nicht ewig neu hoffen und jedes Mal wieder scheitern. Es war eine körperliche Belastung für mich und eine emotionale für uns beide. Kinderwunschkliniken sind keine Wellnessoasen. Inseminationen sind keine Spa-Urlaube. Und ein Schnäppchen waren sie auch nicht. Der ganze Prozess kostete Kraft, auf allen Ebenen.

Unser Plan B stand schon lange fest: Wenn es auf natürlichem Weg nicht klappen sollte, würden wir dem Schicksal den Mittelfinger zeigen – und einem bereits geborenen Kind ein Zuhause geben. Natürlich wussten wir, dass auch der dritte Versuch scheitern konnte. Aber bis dahin war das reine Theorie. Wie ein Airbag im Auto: Du willst ihn dabeihaben – aber du hoffst, ihn nie zu brauchen. Plan B beruhigt. Aber niemand jubelt über Plan B. Wäre er ein Grund zur Freude, wäre er schließlich Plan A. Und wenn Plan A dann wirklich scheitert – hilft dir auch das Wissen um Plan B nicht sofort weiter. Mit Enttäuschung lässt sich nicht verhandeln. Ich konnte den Schalter nicht umlegen. Nicht einfach so sagen: Dann eben kein leibliches Kind. Dann eben ein anderes.

In den Wochen danach schlichen sich die Zweifel ein. Nicht plötzlich. Sie klingelten nicht an der Tür und stellten sich vor – sie kamen leise, fast unbemerkt. In diese Welt, die wir für perfekt gehalten hatten – die nur noch von einem Kind gekrönt werden sollte, das alsbald in mir heranwachsen würde. Ich ertappte mich bei Gedanken, die ich eigentlich nicht zulassen wollte. Vielleicht wollten mir diese sieben Jahre voller enttäuschter Hoffnung etwas sagen. Vielleicht nicht, dass ich keine Mutter werden sollte. Vielleicht aber, dass Alex und ich einfach nicht füreinander bestimmt waren.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten uns Krisen und die Hoffnung, da wieder rauszukommen, immer enger zusammengeschweißt. Wir hatten uns unterstützt, uns Halt gegeben, gemeinsam Lösungen gesucht. Das war unser Fundament – das Sprungbrett in ein Leben als Eltern. Aber jetzt war da ein Riss. Ich fragte mich: Ist Alex wirklich der richtige Partner? War das alles ein Zeichen? Eine Warnung, dass wir uns etwas vormachten?

Und wenn wir Plan B in die Tat umsetzten – ein Kind adoptierten oder ein Pflegekind aufnähmen –, würde es sich je gleich anfühlen? Oder würden wir uns irgendwann fragen, ob es mit jemand anderem vielleicht doch geklappt hätte? Wie das Damoklesschwert eines »The Road Not Taken«-Moments. Das berühmte Gedicht von Robert Frost: Two roads diverged in a yellow wood / And sorry I could not travel both …

Keine Kinder zu bekommen, obwohl man es sich so sehr wünscht, stellte alles infrage. Es war eine der größten Zerreißproben für unsere Partnerschaft, die ich jetzt erlebte. Denn es warf nicht nur Fragen nach Gesundheit, Schicksal oder Gerechtigkeit auf – es machte mich auch sensibel und dünnhäutig in Momenten, in denen ich mich früher einfach gefreut hätte. Plötzlich sah ich überall schwangere Frauen, Kinderwagen, niedliche Babys. Ich war umringt von Freunden, die schwanger werden wollten – und bei denen es nach ein paar Monaten sofort funktionierte. Andere, die eigentlich noch gar nicht geplant hatten, Eltern zu werden, bauten plötzlich glücklich einen Kindersitz in ihr Auto ein.

Ich freute mich für sie, wirklich. Ihr Glück war nie das Problem. Und doch konnte ich mich nicht davon lösen, im gleichen Moment zu denken: Warum klappt es nicht auch bei uns? Nicht neidisch oder bitter. Nur traurig.

Und genau das war die eigentliche Herausforderung: beides gleichzeitig halten zu können – die Freude der anderen und meine eigene Leere. Dabei öffneten sich Türen zu Gedanken, die nicht auf belastbaren Kausalitäten beruhten – sondern übermächtige Reaktionen auf einen unendlich großen Schmerz waren. Gedanken voller Vergleich, Selbstzweifel und Trotz. Ich wollte verstehen, warum es ausgerechnet bei mir nicht funktionierte. Und vor allem: wie ich es schaffen sollte, mit dieser Enttäuschung weiterzuleben.

Eine Enttäuschung, wegen der man keinen Stein auf dem anderen lassen möchte – und die einen dazu zwingt, aktiv zu werden. Sein Schicksal in die Hand zu nehmen. Sich gegen die Vorsehung zu stemmen. Szenarien zu entwerfen, in denen man endlich Antworten bekäme, warum es ausgerechnet bei einem selbst nicht klappen wollte.

Amy, Pixel und die Überzeugung: Wunder geschehen!

Auch im Privaten fanden wir kein Ventil, um die Enttäuschung zu kompensieren. Im Gegenteil. Am 14. Februar 2022, nur wenige Tage nach dem letzten Inseminationsversuch, mussten wir uns von Amy verabschieden – meiner Katze, meiner Freundin, meiner ständigen Begleiterin.

Amy war 18 Jahre lang bei mir gewesen. Sie hat mich durch meine Jugend begleitet, mit mir studiert, war mit mir umgezogen, hat alle Höhen und Tiefen mit mir durchlebt. Sie war da, bevor Alex kam. Sie war Familie. Als sie starb, hinterließ sie bei ihrer Zwillingsschwester Mya, bei Alex und bei mir ein riesiges Loch. 18 Jahre sind eine lange Zeit für eine Katze – aber dieser Umstand war in den ersten Tagen kein Trost. Ihr Napf stand noch in der Küche. Und Mya lief rastlos durch die Wohnung, miaute immer wieder in leere Ecken hinein, als würde sie Amy rufen. Vielleicht tat sie das tatsächlich.

Amys Tod warf bei uns weitere, tiefere Fragen auf. Elementare Fragen. Solche wie: Waren wir überhaupt fähig, Eltern zu werden? Wir hatten unsere kleine Katze nicht retten können. Würden wir ein winziges, zerbrechliches Baby ausreichend beschützen können? Alex wirkte irritiert und hilflos. Er haderte mit vielen Dingen. Der Mensch, der sonst so rational war, zweifelte plötzlich an allem. Einmal sagte er im Vorbeigehen, fast entschuldigend, er hätte wohl Medizin studieren sollen – dann hätte er Amy vielleicht retten können. Ich wusste, dass das absurd war. Und er wusste es auch. Aber in diesem Satz steckte alles: Ohnmacht, Versagen, Schuldgefühl.

Zwei Tage nach Amys Tod verließen wir zum ersten Mal wieder die Wohnung – wir wollten zu unserem Pferd fahren, zu Chico. Weil wir eine große Kiste Altpapier zum Recyclinghof bringen mussten, wählten wir eine Strecke, die wir vorher noch nie genommen hatten. Es war einer dieser grauen, windigen Februartage, an denen Hamburg zwischen Nieselregen und Weltvergessenheit schwankt. Auf der Saseler Chaussee fiel mir plötzlich ein großer Hund auf, der neben unserem Auto auf dem Gehweg lief – ohne Leine, ohne ersichtliche Begleitung. Mitten in der riesigen Stadt, an einer viel befahrenen Straße, scheinbar ziellos.

Wir hielten an und versuchten, ihn zu uns zu locken. Er trug ein Halsband – vielleicht war dort eine Nummer. Ich aktivierte das Warnlicht und stieg aus. Doch der Hund wich zurück, rannte los, quer durch eine mir vollkommen unbekannte Gegend. Ich rannte hinterher. Im Grunde wusste ich nicht einmal, was ich genau vorhatte, denn der Hund war sehr viel schneller als ich. Doch ich folgte einfach meiner Intuition. Ich rief ihm zu, dass wir ihm nur helfen wollten, dass er keine Angst haben müsse. Er aber lief immer weiter. Ein paar Querstraßen abseits der großen Allee blieb er plötzlich mitten in einem Wohnviertel in einer Garagenauffahrt stehen. Als ich mich ihm vorsichtig näherte, konnte ich sein Halsband greifen. Und diesmal blieb er erstaunlich ruhig. Jedenfalls dafür, dass er mich nicht kannte und vermutlich vollkommen überfordert war mit der Situation. Alex kam jetzt auch dazu, was den Hund offenbar wieder an seinen Fluchtreflex erinnerte. Er wollte weg, doch ich hielt ihn fest. Kraftvoll zog er mich ein paar Meter über den nassen Gehweg, durch den Matsch. Ich ließ nicht los, redete weiter ruhig auf ihn ein – und irgendwann spürte ich, dass er sich ein wenig entspannte. Am Halsband war tatsächlich eine Nummer. Alex rief an. Eine Frau nahm sofort ab – erleichtert, fast außer sich.

Pixel, so hieß der Hund, war ihr am Morgen entwischt. Sie konnte sich nicht erklären, wie. Als sie ihn abholte, hatte sie Tränen in den Augen. Und ich stand einfach nur da – durchnässt, verdreckt, durchgefroren – und fühlte für einen Moment so etwas wie Frieden. Für einen Augenblick hatte ich alles andere vergessen: die gescheiterten Versuche, die Trauer um Amy, das große Loch in mir. In diesem Moment wollte ich einfach nur diesem Hund helfen. Erst im Auto kam der Gedanke: War das Zufall?

Und dann sagte Alex, fast mehr zu sich selbst als zu mir: »Vielleicht hat Amy uns Pixel geschickt.« Ich sah ihn an – den Mann, der nie an Zeichen glaubte, nicht an Schicksal, nicht an irgendetwas außerhalb von Ursache und Wirkung. Der britische Comedian Ricky Gervais hat mal sinngemäß gesagt, es gebe etwa 180 aktive Religionen – und jede Anhängergruppe sei felsenfest davon überzeugt, dass ihr Gott der einzig wahre sei, während die anderen 179 alle erfunden seien. Genau so dachte Alex auch. Alex war das Gegenteil von spirituell. Und jetzt sprach er davon, dass unsere verstorbene Katze einen fremden Hund zu uns geschickt haben könnte. Dass vielleicht Amy es war, die ihn dazu gebracht hatte, stehen zu bleiben – in dieser unbekannten Auffahrt – und sich mir anzuvertrauen. Vielleicht, um uns zu zeigen, dass es auch jetzt noch Wesen auf dieser Welt gab, die unsere Hilfe brauchten. Um uns daran zu erinnern, dass wir noch eine Aufgabe hatten.

Ich war sprachlos – und gleichzeitig tief gerührt. Vielleicht brauchte auch Alex, der immer alles rational einordnen wollte, einen tieferen Weg, mit seinem Schmerz umzugehen. Vielleicht war dieser Moment genau das, was wir beide so nötig hatten: ein stilles, tröstendes Wunder. Eins, das sich nicht erklären ließ – und auch nicht erklärt werden musste.

Here Comes the Sun – It’s Been a Long Cold Lonely Winter

Mit dem Frühling kehrte langsam ein Hauch von Wirklichkeit zurück. Ich begann zu akzeptieren, was ich so lange nicht hatte wahrhaben wollen: dass es auf »normalem« Weg nicht funktionieren würde. Weder natürlich noch mit medizinischer Unterstützung. Nicht mit Insemination Nummer eins, zwei oder drei. Und obwohl diese Erkenntnis nicht neu war, fühlte sie sich in diesen Tagen zum ersten Mal nicht mehr wie eine Niederlage an. Sondern wie etwas, das ich einfach nicht mehr bekämpfen musste.

Mit den ersten warmen Tagen keimte auch die leise, zarte Hoffnung auf, es würden sich neue Perspektiven entwickeln, wie wir auf unser Projekt Elternwerden schauen könnten. Wir machten unseren Frieden damit. Nicht über Nacht. Nicht ohne Wehmut. Aber es wurde erträglicher. Schritt für Schritt.

Nach all den Jahren, den Hoffnungen und Enttäuschungen waren wir an einem Punkt angekommen, den ich niemals für möglich gehalten hätte. Schon gar nicht sieben Jahre zuvor, als wir uns entschieden hatten, ein Baby zu bekommen. Was war das für eine unbeschwerte und optimistische Zeit gewesen. Eine Zeit, in der wir uns die Zukunft vollkommen anders ausgemalt hatten.

Fakten & Forschung: Kinderlosigkeit, Partnerschaft und Wege aus der Trauer

Ein Kind zu bekommen, ist für viele ein selbstverständlicher Schritt – für andere eine lange, belastende Reise. Etwa zehn bis 15 Prozent aller Paare in Deutschland gelten als ungewollt kinderlos.[2] Bei etwa 30 bis 40 Prozent liegt die Ursache bei der Frau, bei ebenso vielen beim Mann, in zehn bis 15 Prozent bei beiden, und in zehn bis 20 Prozent bleibt der Grund ungeklärt. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) stuft ungewollte Kinderlosigkeit als Krankheit ein – nicht als Lifestylefrage oder individuelles Versagen.

Wenn der Kinderwunsch sich nicht erfüllt, beginnt für viele Paare ein schmerzhafter Prozess: hoffen, enttäuscht werden, weitermachen. Und immer wieder die Frage: Was sagt es über mich aus, wenn ich nicht schwanger werde?

Psychologin Prof. Dr. Eva Asselmann, mit der ich ein langes Gespräch zum Thema geführt habe, erklärt, wie stark sich ein unerfüllter Kinderwunsch auf das eigene Selbstbild auswirken kann: »Viele Frauen empfinden es fast wie einen persönlichen Makel, wenn es mit der Schwangerschaft auf natürlichem Weg nicht klappt.« Das Frausein wird oft unbewusst an die Fähigkeit zur Mutterschaft geknüpft – eine Vorstellung, die sich tief in unser kulturelles Rollenmuster eingeschrieben hat.

Ich möchte vor allem von ihr wissen, warum das »Scheitern« in dieser Frage so selten thematisiert wird. Warum das Thema in unserer Gesellschaft quasi »unsichtbar« bleibt.

Eva Asselmann meint, weil kaum jemand offen über Misserfolge, medizinische Eingriffe oder den inneren Rückzug spricht, und dann leicht der Eindruck entsteht: Bei allen anderen klappt es, nur bei uns nicht. Studien zeigen, dass Paare mit unerfülltem Kinderwunsch häufig soziale Isolation und Stigmatisierung erleben – vor allem, wenn Behandlungen wie eine Insemination, eine Samenzellübertragung im Körper der Frau, oder eine In-vitro-Fertilisation, eine Befruchtung im Reagenzglas, erfolglos bleiben.[3] Besonders Frauen berichten, dass sie sich mit ihren Sorgen alleingelassen fühlen, weil in der Öffentlichkeit meist nur erfolgreiche Schwangerschaften geteilt werden, nicht aber die oft zahlreichen gescheiterten Versuche davor.

Die Soziologin Marcia Inhorn spricht in diesem Zusammenhang von einer »Kultur des Schweigens«[4], die das Leiden unsichtbar macht – und dadurch verstärkt. Auch in Onlineforen oder sozialen Netzwerken zeigt sich eine Tendenz zur selektiven Darstellung: Erfolgsmeldungen dominieren, während Pausen, Fehlversuche oder psychische Krisen eher tabuisiert werden. Eine Umfrage des Vereins Wunschkind e. V. aus dem Jahr 2013 ergab, dass 68 Prozent der dort befragten, ungewollt kinderlosen Frauen und Männer angaben, sich während der Kinderwunschbehandlung einsam oder isoliert gefühlt zu haben.[5] Diese Isolation kann sehr belasten – insbesondere auch eine Partnerschaft.

»In einer Beziehung verändert sich dadurch oft die gesamte emotionale Dynamik«, erklärt Eva Asselmann. »Was ursprünglich ein gemeinsamer Traum war, kann sich über die Zeit in eine belastende Dauerschleife verwandeln.« Die Dynamik zwischen zwei Menschen verändert sich oft schleichend. Was als gemeinsame Hoffnung begann, wird zur ständigen Anspannung. »Der Kinderwunsch kann ein permanenter Stressor sein«, so Eva Asselmann. Intimität wird durch Druck ersetzt, Gespräche kreisen um Diagnosen und Enttäuschungen. Wenn ein Partner loslassen kann, der andere jedoch nicht, entstehen tiefe emotionale Gräben.

In solchen Phasen kann es hilfreich sein, sich professionelle Unterstützung zu holen: Paartherapie, Einzelberatung oder Selbsthilfegruppen. Denn Hoffnung, Scham, Trauer und Erschöpfung überlagern sich oft – und das Gefühl, »ich muss das allein schaffen«, verstärkt die Belastung nur zusätzlich.

»Eine Begleitung von außen kann helfen, mit all diesen Emotionen besser umzugehen – mit dem Druck, mit der Enttäuschung, mit der Ungewissheit. Es geht nicht darum, sofort eine Lösung zu finden. Es geht darum, wieder klarer denken und fühlen zu können.« Und manchmal bedeutet es auch, neue Wege zu gehen: Welche Alternativen gibt es, wenn der Kinderwunsch sich vielleicht nicht erfüllen lässt? Wie kann Fürsorge, Nähe, Sinn anders gelebt werden?

Wege aus der Trauer

Laut einer Studie des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) wurde der Wunsch nach Adoption oder Pflegekindschaft von zehn Prozent der kinderlosen Frauen und neun Prozent der kinderlosen Männer als Option in Betracht gezogen.[6] Adoption kann für manche eine Übergangslösung sein, für andere eine bewusste Entscheidung. »Man kann ein adoptiertes Kind genauso lieben wie ein leibliches«, sagt Eva Asselmann. Nähe, Beziehung und Zeit machen Bindung – nicht Gene. Auch alternative Konzepte – wie soziales Engagement oder auch die Fürsorge für Tiere – können dem tiefen Bedürfnis nach Verbindung einen neuen Ausdruck geben. Nicht als Ersatz, sondern als echter erfüllender Lebensentwurf.

Trauer über einen unerfüllten Kinderwunsch ist eine stille, oft langwierige Form des Abschieds. Abschied von einer Vorstellung, einem lang gehegten Plan, einem tiefen Wunsch. Fachleute empfehlen, dieser Trauer Raum zu geben – sie nicht nur in sich gekehrt zu ertragen, sondern sie aktiv zu verarbeiten. Rituale wie das Schreiben von Briefen, Gespräche in geschütztem Rahmen und das bewusste Anerkennen des Verlusts können helfen, den Schmerz einzuordnen.

Es mag vielleicht paradox klingen: Auch der bewusste Verzicht auf weitere Versuche kann heilsam sein. Erst wenn die Schleife aus Hoffnung und Enttäuschung unterbrochen wird, können neue Perspektiven entstehen. Dabei gibt es kein »richtiges« Tempo – wichtig ist nur, dass der Weg individuell stimmt. Denn Trauer braucht nicht nur Zeit, sondern auch Zugewandtheit – seitens anderer und sich selbst gegenüber.

2 Tausche Bambi gegen Kita

Tagebucheintrag vom 13. Oktober 2015

Wahnsinn. 60 Monate. Alex und ich feiern heute unser Fünfjähriges. Krass, oder? Eine so lange Zeit – und trotzdem fühle ich mich immer noch wie frisch verliebt. Ich bin echt richtig glücklich. Nicht nur, weil wir uns damals gefunden haben, sondern auch, weil wir wirklich miteinander erwachsen geworden sind. Das klingt so kitschig – wenn das jemand in einer Fernsehserie sagen würde, würde ich die Augen verdrehen. Vor fünf Jahren waren wir noch keine ernst zu nehmenden Menschen. Klar, wir hielten uns auch damals schon für superschlau und clever, vor allem Alex, hihi. Aber mein Gott – wir waren noch Kinder. Inzwischen sind wir eine Familie. Die Zeit vergeht, aber wir saugen die schönen Momente auf und lernen aus den schlechten. Ich bin wirklich ein bisschen stolz darauf, wie wir uns entwickelt haben. Unsere Liebe ist auf so vielen Ebenen solide geworden.

Solide, ja. Was für ein Wort. Vor fünf Jahren hätte ich gesagt: Wenn du ein »solides« Leben möchtest, dann suche dir einen Nine-to-five-Job, investiere in ein kleines Reihenhaus und einen Kombi und schau dir jeden Sonntag Tatort an. Solide, das klang wie alt, langweilig und eingefahren. Aber unser »Solide« ist Gold. Ich könnte kaum glücklicher darüber sein. Auch weil wir heute mal wieder lange und ernsthaft über Kinder gesprochen haben. Ernsthaft diskutieren ist mit Alex normalerweise anstrengend. Alex ist eben Alex. Für ihn steckt überall noch irgendwo ein Witz drin – manchmal denkt man: Herrje, kann der Typ nicht ein Mal ernst sein? Aber heute haben wir sehr ernst gesprochen.

Überraschend ernst. Und überraschend gut. Darum gibt es zur Abwechslung auch endlich mal ein echtes Ergebnis. Eine Antwort auf diese eine große Frage, über die ich schon so lange nachdenke. Und die lautet: JA! Wir möchten Kinder! Wir sind uns einig, es jetzt wirklich zu versuchen. Wir saßen gerade einfach da – und es ist klar: Wir wären tolle Eltern, wir könnten einem Kind ein liebevolles Zuhause schenken.

Es klingt so ERWACHSEN, aber es stimmt: Wir fühlen uns endlich bereit, Eltern zu werden. Jedenfalls so, wie man eben bereit sein kann. Viele sagen ja, es gibt den perfekten Zeitpunkt nicht. Aber das heißt doch auch, es gibt keinen falschen. Und wenn man sich so freut wie ich, dann muss es doch der richtige Moment sein, oder? Wenn ich vor Freude den ganzen Tag durchs Wohnzimmer tanzen möchte. Und weil das Wohnzimmer plötzlich viel zu klein für die riesige Glückswolke ist, die mich umgibt, wie in einem Rosamunde-Pilcher-Film, tanze ich im Rest der Wohnung weiter, im Treppenhaus, auf der Straße und am liebsten einmal rund um den Globus. Wenn man so glücklich ist, tanzt die ganze Welt. Wie in diesen amerikanischen Teeniestreifen, in denen das verliebte Girl Pirouetten dreht, bis sie dem Quarterback in der Küche eine Torte ins Gesicht wirft – er zurückwirft, beide lachen, alles ist voller Schokocreme und Glückshormone, und sie schmieren sich die Kuchenreste als Geständnis ihrer Liebe gegenseitig in die makellosen Gesichter. Natürlich wird nie gezeigt, wer den ganzen Mist hinterher wieder sauber machen muss. Ich habe mich oft fremdschämend zwischen Sofakissen vergraben, wenn Hollywood mal wieder Glück mit Tortenwurf-Glamour verwechselte. Und heute? Heute würde ich auch bei der Kuchenschlacht mitmachen. Aber aufräumen müsste dann Alex. Das kann er schon mal üben – Papa-Schule. Da wird er noch oft hinter jemand anderem herwischen müssen. Und er wird es lieben. Noch ein Grund, warum ich überzeugt bin: Wir werden tolle Eltern. Wir funktionieren als Familie. Das tun wir jetzt schon – mit Mya und Amy.

Trotzdem ist es irgendwie überwältigend, dass es jetzt real wird. Das hätte keiner gedacht, als ich Alex vor über fünf Jahren kennengelernt habe. Keiner – außer mir. Und die anderen? Sollen denken, was sie wollen. Wir sind BEREIT, und nur das zählt.

Ich hab’ ein Haus, ein kunterbuntes Haus … und wann guckt das Kind zum Fenster raus?

Ich stehe vor einem schönen kleinen Haus im Hamburger Stadtteil Sasel und fahnde in meiner Handtasche nach diesem verdammten Schlüssel, gefühlt endlos. Immer wieder dasselbe mit dem Ding. Wo ist die passende Innovation von Apple, wenn man sie mal braucht? (AirTags gab es damals noch nicht.) Es ist, als wäre meine Handtasche ein Gegenstände verschluckendes Etwas. Ein Designer-Bermudadreieck, in dem Dinge einfach so verschwinden. Schlüssel, Ketten, Ringe, OBs, Bargeld, Sonnenbrillen, Quittungen. Alles. Wobei, nicht ganz alles. Krümel, Müll und alte Snacks bleiben nicht nur von diesem Phänomen verschont, sondern vermehren sich auch noch. Der einzige riesige Vorteil, den so eine Schwarzes-Loch-It-Bag haben könnte, lässt sich auch nicht ausspielen. Wenn man Probleme auf Nimmerwiedersehen in dieser Handtasche versenken könnte, hätte ich ein sorgenfreies Leben. Leider lösen sich nur Dinge in Luft auf, die man dringend braucht, wie dieser blöde Schlüssel. Alles andere hält sich hartnäckiger am Leben als die dumpfe Ideologie der meisten AfD-Wähler.

Normalerweise wäre ich in dieser Situation schon längst ausgerastet und hätte in einer wilden Mischung aus Wut auf mich selbst, meine Unordnung sowie das offensichtliche Karma, das mich hier wie ein Vollidiot vor der Tür stehen und verzweifeln lässt, Gott und die Welt verflucht. Heute aber passiert das nicht, dafür bin ich einfach zu happy. Es ist nämlich unser Zuhause, in das ich gerade nicht reinkomme. Ich stehe im Mietvertrag und nicht nur auf einem behelfsmäßig selbst gebastelten Namensschild. Heute lasse ich mir die Laune nicht verderben. Alles ist anders. Ich freue mich schon den ganzen Tag auf »daheim«. Denn ja, es ist amtlich: Endlich haben wir einen gemeinsamen Lebensmittelpunkt. Vier Wände, von denen nicht alle Alex gehören, sondern ganz offiziell: zwei mir, zwei ihm. Wir teilen die Miete, wir sind nämlich total erwachsen jetzt. Diese gemeinsame Tür, dieses gemeinsame Haus, dieses gemeinsame Leben hier ist deswegen eine so kolossale Errungenschaft, weil es ein ungeheurer Kampf war.

Erst vor ein paar Monaten sind wir endlich »richtig« zusammengezogen. Alex war immer etwas zurückhaltend gewesen, was das Thema gemeinsame Wohnung anging. Er war es gewohnt, allein zu leben. Mit allen Vorteilen. Was für Alex vor allem hieß: nur im äußersten Notfall aufräumen, Essen grundsätzlich bestellen und Klamotten lieber neu kaufen als waschen. Eine CO2