Das letzte aller Tage - Gabriella Hünnekens - E-Book

Das letzte aller Tage E-Book

Gabriella Hünnekens

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Beschreibung

Laut Statistik befindet sich etwa jede zehnte Frau in Deutschland kurz vor, inmitten oder nach den Wechseljahren. 80 % sind während der Meno­pause körperlichen, seelischen sowie psychosozialen Beschwerden ausgesetzt: Hitzewallungen, Schlafstörungen, Gelenkschmerzen, Schwindelgefühle, Ängstlich- und Vergesslichkeit, Schmerzen beim Geschlechtsverkehr, Libidoverlust u. v. a. m. Jede dritte leidet so stark, dass der Alltag kaum zu bewältigen ist. Jede vierte verschweigt, dass sie "mittendrin" ist. Mit spritzigem Humor und Ernst zugleich erfährt man in diesem Buch, wie ­Monika Marsch auf ihren letzten Eisprung zusteuert. Die Tage mit den Tagen sind gezählt. Der absurdeste Hormonabschnitt ­ihres Lebens beginnt. Sie denkt und fühlt plötzlich anders, versteht sich und die Welt nicht mehr. Ohne Vorwarnung und Vorbereitung steht sie in einem Leben, dass sie so nicht haben will. Gabriella Hünnekens, viele Jahre als Journalistin für Zeitungen und andere Medien on tour, arbeitet als Projekt- und Kulturmanagerin sowie als Gesundheits-Coach und Wechseljahr-Beraterin. Durch die Wechseljahre veränderte sich ihr Leben von ­heute auf morgen. Unverstanden von den Ärzten, von der Literatur nur lückenhaft informiert, begann sie, umfassend zu recherchieren, um diesen unausweichlichen Zustand in den Griff zu be­kommen. Die ebenso verzweifelten, unglaublichen und komischen Erfahrungen, die sie beschreibt, resultieren aus ­zahllosen Beratungsgesprächen mit Frauen "am Rande des Wahnsinns".

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Gabriella Hünnekens

Das

Letzte

aller

Tage

Wilkommen in den Wechseljahren

Lindemanns Bibliothek, Band 279

herausgegeben von Thomas Lindemann

Umschlagsillustration:

Uwe Mayer (www.uwemayer.com)

© 2017 · Info Verlag GmbH

Alle Rechte vorbehalten.

Nachdruck ohne Genehmigung

des Verlages nicht gestattet.

ISBN 978-3-88190-947-1

www.infoverlag.de

Gewidmet allen Frauen

und meinem mit mir meistens

geduldigen Mann

Gabriella Hünnekens,im Stauferland geboren, arbeitete als Journalistin für verschiedene Zeitschriften und Radiosender. Nach zehnjährigem Aufenthalt in Italien lebt sie wieder in Deutschland als Projekt- und Kulturmanagerin, Autorin und zunehmend als Gesundheits- und Wechseljahr-Beraterin. Durch die Wechseljahre veränderte sich ihr Leben von heute auf morgen. Von den Ärzten unverstanden und von der Literatur nur lückenhaft informiert, begann sie zu recherchieren, um diesen unausweichlichen Zustand besser in den Griff zu bekommen. Seit über zwei Jahren berät sie nun „Wechseljährige“. Die verzweifelten, unglaublichen und komischen Erfahrungen, die sie in ihrem Buch beschreibt, resultieren aus vielen Gesprächen, die sie mit Frauen „am Rande des Wahnsinns“ geführt hat.

www.das-letzte-aller-tage.de, www.wechsel-zeiten.de

Die Eintagsfliege wird bereits

zwölf Stunden nach ihrer Geburt

von ihrer Midlife-Crisis erwischt.

Das muss man sich mal klarmachen!

Loriot

Die Namen der in diesem Buch genannten, von mir aufgesuchten Mediziner, Fach-, Frauenärzte und Psychiater sind frei erfunden. Eine Übereinstimmung mit Namen lebender Personen ist rein zufällig. Sämtliche in den Text eingearbeiteten Informationen sind von mir sorgfältig recherchiert und zusammengestellt worden. Diese Infos dienen nicht zu Diagnosezwecken oder als Therapieempfehlung. Meine Ratschläge im Buch bieten keinerlei Ersatz für kompetenten medizinischen Rat. Suchen Sie bei unklaren oder heftigen Beschwerden unbedingt einen Arzt auf! Alle Angaben erfolgen ohne jegliche Gewährleistung oder Garantie. Eine Haftung für Personen-, Sach- und Vermögensschäden durch die Gesundheitstipps und Rezepte auf diesen Seiten wird ausgeschlossen.

1. Kapitel

What's up?

Mein Name ist Monika Marsch und ich schätze mal, dass ich mich mit dem Gedanken eines Coming-outs als Wechseljährige anfreunden muss. Ich war (bis vor Kurzem) in zweiter Ehe sehr glücklich verheiratet und stand (bis vor Kurzem) gefestigt im Berufsleben. Ich war (bis vor Kurzem) einen Meter siebzig groß, trug (bis vor Kurzem) Konfektionsgröße achtunddreißig und (bis vor Kurzem) Schuhgröße vierzig.

Tja, bis vor Kurzem verlief mein Leben in geregelten Bahnen. Es war vorhersehbar, es war in Ordnung und ich war gesund, munter, frohgelaunt und zufrieden. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem mein Körper selbstständig anfing Dinge zu tun, die er früher nicht tat. Vor einigen Tagen habe ich ein schwarzes Haar auf meinem Brustwarzenhof entdeckt. Seit geraumer Zeit bilde ich mir ein, nach Brühwürfel zu riechen. Auf meiner Oberlippe zeichnet sich ein zarter Hauch von Schnurrbart ab. Mein zunehmend schwindendes Unterhautfettgewebe im Gesicht sorgt für faltige, der Schwerkraft folgende Züge, die ich so nicht haben möchte. Nicht nur meine Schultern beginnen auffällig schlaff nach unten zu hängen, sondern auch mein schlagartig teigig gewordener Hals. Morgens komme ich überhaupt nicht mehr in die Gänge und den ganzen Tag über fühle ich mich abgekämpft, müde und ausgelaugt.

Am Anfang dachte ich, dass das nur so eine Phase sei, dass alles in absehbarer Zeit wieder anders würde. Nur ein bisschen ausruhen und entspannen und ich bin wieder ganz die Alte. Von wegen. Jeder Tag hält neuerdings eine weitere absurde Überraschung bereit. Mein über Jahre hinweg erlangtes vertrautes Körpergefühl scheint sich nach und nach in ein peinliches Fremdheitsgefühl zu verwandeln.

Als ich merkte, dass mit meinem Körper etwas nicht stimmte, war es für eine Gegenwehr auch schon zu spät. Ich war mitten drin – und zwar in den Wechseljahren. Meine Eisprünge und somit meine regelmäßigen Tage fielen mangels Eier immer spärlicher aus. Das letzte Ei aller Tage machte sich bald auf den Weg, das Ende rückte unaufhaltsam näher.

Ganz normal? Das ist so, wenn man älter wird? Mag sein. Die Sache hatte nur einen Haken: Ich hatte überhaupt keinen Plan, was in meinem Körper abging oder was es bedeutete, plötzlich ohne Hormone leben zu müssen. Ich wusste schließlich auch gar nicht, dass es überhaupt möglich sein kann, ohne Hormone dazustehen. Als es mir anfänglich körperlich und seelisch immer mieser ging, war ich Lichtjahre von dem Wort Menopause entfernt. Ja, ich hatte keine Ahnung, dass meine unzähligen Leiden und Plagen, dass alles, was ich durchmache, in Verbindung mit den Wechseljahren stand, die durch ein Totalversagen meiner Eierstöcke in Gang gesetzt wurden.

Das Einzige, was ich über die Wechseljahre wusste, war, dass man mächtig ins Schwitzen kommen kann. Dem gegenüber stand allerdings die wunderbare Aussicht, nie wieder eine Periode haben zu müssen und folglich auch endlich nie wieder schwanger werden zu können. That’s it ... Ha ha ... träum weiter!

Am Ende meiner Tage wurde ich eines Besseren belehrt. Das hätte ich jedoch schon gerne am Anfang gewusst. Ich stand plötzlich in einem Leidensabschnitt, der mehrere Ursachen auf verschiedenen Ebenen hat. Wie ich (erst viel später) erfuhr, nennt sich das Ganze das „Menopausen-Syndrom“ und gilt als sogenannte „Multi-System-Erkrankung“. Die eindeutige Hauptursache dafür ist eine biologische, das heißt eine hormonelle Veränderung.

Klar, ich erleide kein Einzelschicksal, denn gegenwärtig steht etwa jede zehnte Frau in den Wechseljahren. Davon wiederum sind Dreiviertel während dieser Menopause seelischen, psychosozialen und körperlichen Beschwerden unterschiedlicher Intensität ausgesetzt. Laut Umfrage stehen unter den körperlichen Beeinträchtigungen Hitzewallungen und kalte Schweißausbrüche an erster Stelle, die sich meist nachts äußern und mit Vorliebe Schlafstörungen mit sich bringen. Die unterschiedlichsten, überaus lästigen körperlichen Symptome werden zudem penetrant von seelischen und intellektuell-geistigen Beeinträchtigungen begleitet. Eine ausgeprägte Gemütslabilität zerrt unaufhaltsam an unserem über Jahrzehnte entwickelten, gut sitzenden Gefühlskostüm. Auch hier gibt es eine Hormon-Loser-Rangliste, deren erster Platz mit vermehrter Weinerlichkeit besetzt ist, stante pede gefolgt von anhaltenden traurigen Verstimmungen und verstärkter Ängstlichkeit mit zum Teil längeren Angstzuständen.

Am häufigsten dürfen wir Frauen in den Wechseljahren innere Unruhe, Anspannung, Nervosität, ja Reizbarkeit bis hin zur Aggressivität in unserem bislang ausgeglichenen Leben begrüßen. Zusätzliche Beeinträchtigungen sind Interesselosigkeit, Konzentrationsstörungen, Vergesslichkeit und eine rasche körperliche, aber auch seelische Erschöpfbarkeit sowie länger anhaltende Mattigkeit.

Auch in sexueller Hinsicht gibt es Probleme. Wobei das Gemeinste dabei die gravierend schwindende Libido ist. Da helfen weder Strapse noch Sex Toys mit Pulsatoren und G-Punkt-Vibrator. Die sexuelle Lust schrumpft gleichermaßen mit den Eierstöcken und dem Selbstwertgefühl, frau verkommt ungewollt zum Neutrum. Mit Beginn der Wechseljahre läuft der Erotik-Countdown. Der Tag, an dem sich die sexuellen Aktivitäten endgültig auf dem Nullpunkt befinden, zeichnet sich in naher Ferne deutlich ab.

2. Kapitel

Der Frust mit der Lust

Der erste bewusste Groll gegen die inakzeptablen Wechseljahre machte sich in mir breit, als sich eine öde Sexwüste vor mir auftat. Schon seit längerer Zeit schlafe ich mit meinem Mann nur noch, um ihm einen Gefallen zu tun und weil ich mich schuldig fühle.

Ja, ich fühle mich schuldig, weil ich meinem Mann gegenüber überhaupt kein Verlangen mehr verspüre. Also gab ich mich heute wieder einmal notgedrungen seiner Zärtlichkeit hin, die ich nur als unnötige Berührungen empfand, in der eigennützigen Hoffnung, mein schlechtes Gewissen dadurch beruhigen zu können.

Mit dem plötzlichen Verschwinden meiner Lust verschwanden logischerweise auch meine herrlichen Orgasmen. Von einem Tag auf den anderen hatte ich gegenüber körperlichem Kontakt nur noch negative Empfindungen und eine Frage tat sich auf: Sex? Wozu? Mein Mann allerdings hatte offensichtlich dennoch seine Freude an mir. Er genoss mich, bewegte sich gut wie immer, versuchte mich anzutreiben, zu locken, aber meiner Vagina ist das alles ziemlich egal. Ist die überhaupt noch da?

„Komm Baby, komm!“, stöhnte er lustvoll hinter mir. Keine Chance, mein Lieber, dachte ich, ich komme nicht. Ich kann nämlich nicht mehr kommen. Gewissermaßen scheine ich seit unserem letzten Sex frigide geworden zu sein. Na prima, jetzt weiß ich endlich, wie sich Frigidität anfühlt. Nur, wollte ich das wissen? Noch vor wenigen Wochen konnte ich meine Libido kaum bremsen. Und jetzt: kein Gefühl. Kein verwirrender Rauschzustand. Kein Verlangen. Keine Euphorie. Kein Fünkchen Begehren. NICHTS! Was zum Teufel war nur los mit mir?

Ich starrte auf die weiße Wand vor mir und ertappte mich beim Versuch, die Holzfasern der grobkörnigen Raufasertapete zu zählen, während mich mein Mann im Doggy Style durchs Bett stieß. Der hat’s gut, dachte ich. Der Sex mit mir macht ihm mal wieder richtig Spaß.

Hoffentlich kommt er bald. Ups ... Oh nein! Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal zu den Frauen gehören würde, denen so etwas in den Sinn kommt. Und jetzt ist es mir passiert ... O Gott! Mein Mann stöhnte lauter und lauter und noch lauter und kam. Endlich! Lautlos krochen Tränen über meine Wangen.

„Schatz, das war gut“, sagte mein Mann ganz glückselig. „Hat es dir auch gefallen?“

Jetzt konnte ich mich nicht mehr zurückhalten und brach in lautes Schluchzen aus. Hemmungslos heulte ich drauflos.

Mein Mann erschrak. „Liebling, was ist denn? Hab ich dir wehgetan? Süßes, schau mich an, was ist denn?“

„Nein, nein, alles in Ordnung“, plärrte ich.

„Aber was ist denn dann?“ Hilflos sah mein Mann mich an.

„Ich hab ... ich kann ... ich bin ... huhuhuhuhu ...“, erneut schüttelten mich die Tränen und ich spürte, wie sich Rotzblasen unter meiner Nase bildeten.

Liebevoll putzte mir mein Mann mit dem Handrücken die Nase, zog mich in seine Arme und wiegte mich behutsam wie ein Baby hin und her. Diese zärtliche Geste veranlasste mich dazu, geradewegs weiterzuheulen. Ich konnte einfach nichts dagegen tun. Ich war machtlos. Auch dieser, mir mittlerweile bekannte Zustand der haltlosen Flennerei war mir zum ersten Mal vor ein paar Wochen aufgefallen. Was passiert mit mir?

„Jetzt beruhigst du dich erst mal und dann sagst du mir, was du auf dem Herzen hast.“

Ich konnte noch nicht reden, erst eine gefühlte Ewigkeit später versiegten meine Tränen. Mein klagendes Schluchzen ging in ein hoffnungsloses Wimmern über.

„So. Willst Du mir jetzt sagen, was dich bedrückt?“ Mein Mann hielt meinen Kopf zwischen seinen Händen fest und sah mir in die Augen. „Jetzt nicht wieder von vorne anfangen. Du hast schon alles nassgeheult. Ist in deinem Kopf überhaupt noch Gehirnwasser drin?“, sagte er und klopfte mit dem Zeigefinger an meine Stirn. „Hört sich hohl an“, grinste er frech, um mich aufzumuntern.

„Ich spüre dich nicht.“ Resignierend zuckte ich mit den Achseln. „Ich bin da unten gefühllos“, ich schnaufte. „Zum Sexkrüppel bin ich geworden.“ Schon wieder fingen meine Mundwinkel zu zucken an.

„Nun mach mal langsam, Liebling.“ Mein Mann wiegte mich immer noch hin und her. „Sch, sch, sch ... entspann dich.“

„Schatz, ich ...“

„Alles gut, mein Liebling. Beruhige dich.“

„Nein, ich muss dir was sagen“, setzte ich erneut an.

„Sch ... Alles wird gut. Sei ganz ruhig“, flüsterte mein Mann wiegenderweise.

„Scha-hatz, mir wird so langsam schle-hecht. Wenn du mich weiter so auf deinen Knien hin- und herschaukelst, kommt mir die Pasta hoch!“

Ich bremste meinen Mann beim Wiegen aus. Kroch von seinem Schoß und fluchte lauthals los. „Verdammt! Das kommt hundertprozentig von diesenScheißpillen, die mir mein Frauenarzt verschrieben hat. Ich bring ihn um. Ich hab’s doch gleich gewusst, dass ich auf die Hormone so reagiere. Das war mir doch schon klar, als ich den Beipackzettel las!“

Ich rannte ins Badezimmer, zerrte die Pillenschachtel wütend aus dem Arzneischrank, donnerte stampfend ins Schlafzimmer zurück und warf meinem Mann die Schachtel auf seine nackten Schenkel.

„Da, lies!“, herrschte ich ihn an.

„Jetzt?“, fragte mein Mann verblüfft.

„Ja, jetzt“, befahl ich.

Geduldig entfaltete mein Mann den Beipackzettel und gemeinsam lasen wir laut vor:

Eine zyklisch (mit Einnahmepause) einzunehmende Hormonkombination mit zwei weiblichen Geschlechtshormonen (Estrogen und Gestagen) zur Hormonersatzbehandlung. Anwendungsgebiet: Zur Hormonersatzbehandlung bei Beschwerden durch einen Mangel an dem weiblichen Geschlechtshormon Estrogen bei Frauen nach der letzten Periodenblutung (Menopause).

„Schau dir das an!“ Ich schnaubte wie ein Ochse durch die Nase und tippte mit dem Zeigefinger aufgeregt auf dem Wort Menopause rum. „Ich bin doch noch gar nicht in der Menopause. Ich habe doch noch meine Periode. Ich bin doch keine alte Frau in den Wechseljahren. Verschreibt mir dieser blöde Typ einfach so ein Zeug und ich nehme das auch noch brav ein ... was bin ich doof!“ Meine Empörung war grenzenlos.

Nach dem Anwendungsgebiet lasen wir über Wechselwirkungen, besondere Vorsicht bei der Einnahme von ..., dann kamen die Risiken, Anzahl der zusätzlichen Brustkrebsfälle, Venösen Thromboembolien ... und dann die Nebenwirkungen:

Häufig, gelegentlich, selten ... Infektion der Atmungsorgane, Überempfindlichkeitsreaktionen, allergische Reaktionen, Libidoveränderungen, Stimmungsschwankungen einschließlich Ängstlichkeit und depressiven Verstimmungen ...

„Hah! Da steht‘s!“, rief ich triumphierend.

„Libidoveränderungen“, las ich laut vor. „Siehst du“, wieder tippte ich wild mit meinem Finger rum, dieses Mal auf dem Wort Libidoveränderungen.

„Jetzt sei doch mal ruhig und lass mich weiterlesen. Du fuchtelst ständig mit deinem Finger rum! So kann ich ja gar nichts lesen.“

Es fiel mir unglaublich schwer, keinen Ton zu sagen, während mein Mann den Beipackzettel wieder aufmerksam studierte. Er las weiter laut vor:

Gedächtnisstörung, Benommenheit, Schwindel, Sehstörungen, Schlafstörungen, Herzjagen, -klopfen, Krampfadern, Hämorrhoiden, Herz-Kreislaufstörungen, Thrombose, Übelkeit, Erbrechen, Blähungen, Bauchschmerzen, Verstopfung, Verdauungsstörungen, Gallengangsentzündungen, Gallenblasenentzündungen, Leberfunktionsstörungen, Akne, vermehrter Talgfluss, Juckreiz, Jucken der Haut, Haarausfall, Hitzewallungen, Kraftlosigkeit, Ödeme, Schmerzen im Beckenbereich...

Die „Informationen für die Anwenderin“ waren fünfundfünfzig Komma fünf Zentimeter lang und mindestens zweiundfünfzig Komma drei davon gehörten den Nebenwirkungen.

„Und Schluss!“, keifte ich, riss meinem Mann den Beipackzettel aus der Hand und zerknüllte ihn. Mir war nicht mehr nach Weiterlesen.

„Weißt du was? Die hier genannten Nebenwirkungen waren doch der Grund, warum ich überhaupt zum Frauenarzt ging“, sagte ich wütend.

Mir fielen wieder all die verkehrten Dinge ein, die sich zunehmend und unaufhaltsam in mein Leben drängten. „Ich wollte doch meine Müdigkeit loswerden, die Schlafstörungen, die geschwollenen Beine und Finger, den Haarausfall, Akne, Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, Vergesslichkeit und meine zunehmenden Depressionen.“ Und meine Aggressionen, dachte ich im Stillen.

„Stopp, stopp, stopp,“ unterbrach mich mein Mann, „das ergibt doch alles keinen Sinn! Du nimmst synthetische Ersatzhormone in der Hoffnung, deine körperlichen Beschwerden loszuwerden, die allerdings in gleichem Maße wiederum als Nebenwirkungen auftreten ...? Was soll das denn?“

„Genau! Wie kann man Frauen, ob nun Wechseljahre oder nicht (in denen ich übrigens mit meinen schlappen sechsundvierzig Jahren noch gar nicht sein kann!), überhaupt solche Pillen andrehen? Wer verantwortet das denn?“ Wütend stand ich auf.

„Ach Schatz, jetzt reg dich doch nicht so auf.“

„Ich soll mich nicht so aufregen? ICH soll mich nicht so aufregen?! Ich soll mich nicht so aufregen???” Ich japste nach Luft. „Weißt du überhaupt, was es bedeutet, keinen Orgasmus mehr zu bekommen? Keine Lust auf Sex zu haben? Dich nicht mehr in mir zu spüren ... das ist alles so furchtbar ... so schrecklich ... so gemein.“ Und schon wieder stürzte mir eine Träne die Wange hinab.

Was kann ich auch plötzlich oft und viel heulen! Früher, also bevor dieser ganze Wahnsinn begann, konnte ich nie so lange am Stück weinen. Ein paar Tränen und die Seele fühlte sich wieder ausgeglichen an. Und jetzt? Nicht enden wollende Sturzbäche. So viele Tränen in mir, aus mir heraus.

Dazu fällt mir eine Szene aus dem Film „Marrakesch“ ein, in dem Kate Winslet eine Londoner Hippiefrau spielt, die auf Sinnsuche mit ihren beiden Töchtern durch Marokko reist. Als Kate weinte, tröstete sie ein einheimischer Begleiter mit den Worten: „In Marokko sagt man, Tränen kommen aus der Erinnerung, sie sind ein Geschenk Gottes.“

Und was sagt man in Deutschland dazu? Wie kommen plötzlich so irrsinnig viele Erinnerungen in meinem Kopf und warum beschenkt mich Gott seit ein paar Wochen so unglaublich reich? Mein Leben empfand ich bislang als reich genug. Mit meinem Mann, Michael, war ich seit zehn Jahren in zweiter Ehe die zufriedenste und glücklichste Ehefrau der Welt.

Vor meiner zweiten Ehe hatte ich vier ernst zu nehmende Beziehungen. Einen Monat vor meinem achtzehnten Geburtstag wurde ich von dem ersten dieser vier entjungfert. Vor meiner unspektakulären Entjungferung (und auch weiterhin danach) war mir Sex ein Graus und machte mir Angst. Vielleicht heiratete ich deswegen schon mit einundzwanzig Jahren? (Um all den anderen Männern, die mit ihren Sexbegierden auf mich lauerten, zu entkommen?) Diese Ehe hielt keine zwei Jahre, was soll ich sagen ...

Noch nicht mal geschieden, stürzte ich mich in die dritte ernst zu nehmende Beziehung, die meine Ehe toppte, da sie immerhin knapp vier Jahre hielt. Noch während der Trennung aus dieser Beziehung war mir schon der vierte Mann in meinem Leben wichtiger als der dritte und der zweite und der erste. Sieben Jahre lang lebte ich mit dem Vierten an meiner Seite, bis auch diese Liebe unvermutet aufgebraucht war. Trotz der Befürchtung, als Mittdreißigerin nie wieder im Leben einen passenden Partner zu finden, beendete ich diese Beziehung. Mit einer beängstigenden Gewissheit, nie wieder einen Mann zu finden, trat ich seit Beginn meiner sexuellen Aktivitäten mein erstes Singleleben an.

Anfangs war ich noch ziemlich orientierungslos. Aber ich war nie so verzweifelt, um mir einen Hund, eine Katze, einen Vogel oder eine Partnergeräusche-CD, so nach dem Motto „85 Minuten Zweisamkeit“, kaufen zu müssen. Auf wundersame Weise lernte ich nämlich schnell wieder auszugehen, zu tanzen, zu lachen und zu staunen – am meisten über Männer. Kurz vor meinem sechsunddreißigsten Geburtstag lernte ich meinen jetzigen Mann Michael kennen und mit ihm den besten Sex aller Zeiten. Ich war stolz auf meinen Körper, der mir mühelos Orgasmen schenkte. Herrlich. Was geht da eigentlich in einem Frauenkörper vor sich, wenn er einen Orgasmus bekommt?

Nun, der Orgasmus besteht aus vier Phasen. Logischerweise beginnt er mit der Erregungsphase. Küssen und Berührungen starten meist das Kopfkino und können (wenn man nicht durch Kindergeschrei oder anderen Stress zu sehr abgelenkt wird) Lust auf Sexualität auslösen. Wenn also – ganz besonders bei uns Frauen – der Kopf frei ist, beginnt unser Körper jetzt schon, sich durch oben genannte Aktivitäten auf den Orgasmus vorzubereiten. Ein deutliches Anzeichen sexueller Erregung ist das Feuchtwerden der Vagina. Durch das Anfassen, Fummeln und Küssen entsteht ein Reiz, und die Scheidenwände beginnen eine Flüssigkeit abzusondern. Gleichzeitig weiten sich die inneren zwei Drittel der Vagina und sie färbt sich dunkelrot. Durch das Anschwellen der Schamlippen wird die Öffnung der Scheide quasi disponibel und des Mannes bestes Stück hat freie Bahn. Während die Schamlippen anschwellen, nimmt auch die Klitoris an Größe und Umfang zu, was sie besonders empfindlich macht. Und zwar aus gutem Grund, nämlich zur Steigerung der Lust. Der Blutdruck steigt, die Pulsfrequenz erhöht sich und die Muskeln im Körper beginnen zu kontrahieren. Wenn Frauen jetzt ihre Beckenbodenmuskulatur (auch Liebesmuskel genannt) einsetzen, kann das Erregungsgefühl enorm erhöht werden. Für Frauen, die zur Gruppe der Warum-komme-ich-so-schwer-zum-Orgasmus gehören, wäre es vielleicht nützlich, diesen Muskel mit gezielten Übungen zu trainieren.

Leider helfen ein „Liebesmuskel-Training“ und vieles andere mehr bei manchen Frauen auch nicht weiter. Die Statistik sagt nämlich, dass jede vierte Frau selten oder nie einen Orgasmus hat. Auch kann man nicht immer den Partner oder die Situation davon abhängig machen. Untersuchungen haben nämlich gezeigt, dass die weibliche Fähigkeit zum Orgasmus auch anlagebedingt ist. (Auch blöd.)

Aber zurück zu unserem Orgasmus. Nachdem wir jetzt also schon eine (hoffentlich) ganze Weile bei der Sache sind, erklimmen wir die zweite Stufe, die Plateauphase. Dieser Moment der äußerst lustvollen Anspannung bleibt so lange stabil, bis der Orgasmus erreicht wird. Da sich während dieser Phase die zuvor vergrößerte Klitoris zurückzieht, kann sie nicht mehr stimuliert werden. Ist aber auch gar nicht so wichtig, weil sich nämlich das äußere Drittel der Vagina mit Blut füllt, was diese wiederum verengt und den Penis fest umschließt. Irgendein Wissenschaftler hat sich für diesen Zustand einen lustigen Namen ausgedacht: die „orgastische Manschette“ (ich muss bei diesem Wort immer an die weißen Manschetten denken, die meine Mutter früher auf die Gänsekeulen beim Festtagsbraten gesteckt hat). Weiter mit unserer Frauenmanschette. Unser Scheideneingang ist von Muskelringen umgeben, die wir mehrmals jeden Tag aktivieren, nämlich beim Pinkeln. Hierbei kommt ganz besonders der PC-Muskel (Musculus pubococcygeus) zum Einsatz und liegt bei Frauen und Männern zwischen Scham- und Steißbein. Wenn dieser Muskel während des Liebesspiels durch Anspannen eingesetzt wird, kann man sich selbst und auch seinem Partner nur Gutes tun.

Nachdem nun alle Muskeln und Nerven in unserem Körper bis aufs Äußerste angespannt sind, zünden wir Stufe drei, die Orgasmusphase (Ohh Yeah!). Als Erstes zuckt unsere orgastische Manschette ruckartig (zwischen drei und fünfzehn Mal unter einer Sekunde), dann zuckt unsere Gebärmutter rhythmisch und gleichfalls unser Po-Schließmuskel und dann zuckt und vibriert und rauscht und donnert und hüpft und brodelt und jauchzt unser ganzer Körper. Keine Frage, dass dieser Aufruhr für unseren Körper wohltuend anstrengend ist. Deshalb atmen wir mit bis zu vierzig Zügen in der Minute, man kann es auch hecheln oder japsen nennen. Wenn sich dann unser Körper allmählich wieder beruhigt, kommen wir in die vierte Phase, die sogenannte Rückbildungsphase. Das zuvor angesammelte Blut in unserem Scheidengang verteilt sich wieder gerecht auf den ganzen Körper, die Schamlippen schwellen ab und lassen dadurch die Klitoris wieder aus ihrem Versteck kommen. So funktioniert also das Körper-Wunder-Feuerwerk namens Orgasmus.

Und darauf soll ich jetzt für den Rest meines Lebens verzichten müssen? Das will ich aber nicht!

Rückblickend begann für mich mit Ende dreißig die beste Phase meines Lebens, ich startete mit einem herrlichen Körpergefühl in meine persönliche nächste Runde. Die ersten Fältchen um meine Augen erschreckten mich nicht, sondern machten mich sicherer und erfüllten mich mit einer nie dagewesenen Souveränität. Ich hatte endlich meinen eigenen, persönlichen Rhythmus gefunden. Zudem hatte ich das Gefühl, mich mit all meinen Defiziten abgefunden zu haben. Ich stand zu meinen Schwachstellen ... bis auf meine Körbchengröße fünfundsiebzig A (ich wiederhole: fünfundsiebzig A! Wer hat das schon, außer zwölfjährigen Teenagern?).

Ich bin mir sicher, dass ich die erste Kundin in Deutschland war, die einen Wonderbra besaß. Der erste, wahnsinnig teure Wonderbra wurde bereits 1964 in Amerika kreiert. Allerdings erreichte er erst Mitte der Neunziger in Deutschland seine Berühmtheit. Ich weiß noch genau, wie überaus erfreut ich war, als ich von dieser derartigen Brustvergrößerung ohne Operation erfuhr. Zuvor war ich lange Jahre der verzweifelste Teenager auf der ganzen Welt. Meine Brüste wollten und wollten einfach nicht wachsen. Mit vierzehn war ich immer noch flach wie ein Brett mit zwei Erbsen drauf. Und die dummen Sprüche der bescheuerten Jungs, wie zum Beispiel: Die sieht aus wie Schneewittchen, kein Arsch und kein Tittchen, trugen zumindest nicht zu meiner Erheiterung bei. Wenn man jung ist, ist man doch so unglaublich verletzlich und unsicher.

Die blöden Bemerkungen veranlassten mich dazu, in die Offensive zu gehen. Von meinem schwer verdienten Taschengeld bestellte ich mir eine superteure Creme. Die entdeckte ich in einer Anzeige in der Illustrierten „Neue Revue“. Meine Eltern kauften damals jede Ausgabe und versteckten sie immer. Aber ich fand sie immer (Merke: Vor Kindern und Teenagern bleibt im eigenen Haus kein Geheimnis unentdeckt!). Erst viel später war mir klar, warum die Zeitschrift versteckt wurde. Das Herumliegen der Illustrierten wäre meinen Eltern vor uns Kindern unzweifelhaft ganz schön peinlich gewesen. Denn Oswald Kolle, einer der größten deutschen Aufklärer, auch Sex-Papst genannt, schrieb für die „Neue Revue“ jahrelang sexuelle Aufklärungsserien, und da ging es manchmal ganz schön zur Sache. Was allerdings meine heimlich bestellte Creme aus dieser Zeitschrift anbelangte, so ging gar nichts. Das kräftige Einmassieren der Creme in die Brust sollte zur Vergrößerung derselben führen. Das einzige Ergebnis waren schmerzende Brustwarzen und Oberarmmuskeln, die sich vom andauernden Massieren stark ausprägten und unverhältnismäßig meinem restlichen Körper gegenüber verhielten. Also blieb ich zunächst weiterhin unglücklich wie zuvor. Bis ER, viele Jahre später, endlich in Deutschland angekommen war: Tadaa! Der Wonderbra!

Mit offenem Mund stand ich vor dem Schaufenster des damals einzigen Miederfachgeschäfts in der Stadt. Überaus verführerische, pralle Dekolletés prangten auf den mit Schleifchen versehenen Lack-Schächtelchen. Kleinbrüstige Frauen, die sich gemeinsam mit mir die Nase am Schaufenster plattdrückten, konnten kaum die entzückten Schreie unterdrücken. Endlich konnte man einen kleinen Busen pimpen und mit dieser Mogelpackung die volle Aufmerksamkeit auf das männliche Objekt der Begierde lenken! Endlich war es so weit, dass großbusige Frauen nicht mehr das Alleinrecht auf eindeutige Blicke der Männer – die zwar ausschließlich von niederen Instinkten herrühren, aber dennoch essenziell für eine Frau sind – gepachtet hatten. Mit Freuden täuschte ich fortan die Männerwelt und sammelte meine Erfahrungen.

Mein Verstand reifte und mein Körper folgte. Mit Ende dreißig schien ich also nun unbesiegbar geworden zu sein. Dieses Wissen, dieses wunderbare Gefühl, war Teil meines erfüllten Sexlebens. Mit Stolz kann ich sagen, ein erfülltes Sexleben zu haben ... Ich korrigiere mich: gehabt zu haben. So wie es sich anfühlt, scheint für mich nun unmissverständlich Schluss damit zu sein. Mit sechsundvierzig Jahren! Weil ich mutmaßlich in den Wechseljahren bin, weil ich prämeno- oder peri- oder menopause oder was auch immer. Stehen meine Hormone und mein sexuelles Verlangen miteinander in Verbindung?

Dass Sexualität für uns Frauen ein überaus wichtiger Teil unseres Lebens ist, steht doch außer Frage. Jedoch ist es nachgewiesen, dass es bei einigen Frauen während der blöden Wechseljahre zum Verlust und somit zum Frust mit der Lust kommt. Ich bin der beste Beweis dafür! Nach wie vor sind angeblich jedoch die Ursachen für den Verlust unserer „Libido“ umstritten. Nicht nur in den Wechseljahren, sondern auch nach einer Entfernung der Eierstöcke oder der Gebärmutter beklagen Frauen einen Verlust der Libido. Die Gebärmutter produziert zwar keine Hormone, aber durch ihre Entnahme werden die Eierstöcke schlechter durchblutet, wodurch die Hormonproduktion mehr und mehr abnimmt. Da frage ich mich doch, ob das nicht ein eindeutiger Hinweis darauf ist, dass der Verlust der Libido mit den schwindenden Hormonen in den Wechseljahren zu tun hat (aber ich bin ja nicht der Arzt hier).

Sexualität ist und bleibt natürlich auch für Frauen bis ins hohe Alter ein wichtiges Thema. Allerdings kommt es bei manchen Frauen schlagartig schon um die vierzig zum Verlust des sexuellen Verlangens. Kein Wunder, dass sich so manche Frau nach langjähriger Ehe und mit Noch-Teenagern im Haus am Frühstückstisch plötzlich fragt, wer dieser Mann da gegenüber ist. Mit der Feststellung mangelnder Lust auf diesen Mann gegenüber sind dann nicht nur Eheprobleme programmiert, sondern leiden ganz besonders das seelische Wohlbefinden und das Selbstwertgefühl der Betroffenen. Untersuchungen, die man in mehreren europäischen Ländern durchführte, ergaben, dass Frauen unter dem Verlust ihrer Libido teilweise sogar mehr leiden als an anderen wechseljahresbedingten Beschwerden.

Was bei Männern allgemein bekannt und akzeptiert ist, wird für Frauen oftmals unter den Teppich gekehrt, nämlich dass auch sie sexuelle Interessen und Bedürfnisse bis ins hohe Alter hinein haben. Erfreulicherweise ist es nachgewiesen, dass Frauen nach den Wechseljahren sexuell genuss- und orgasmusfähig bleiben (wie gnädig die Natur doch ist). Nach Umfragen bleibt für einen Großteil der Frauen ein befriedigendes Sexualleben auch im Alter wichtig. Allerdings nimmt ihre Lust auf den klassischen Geschlechtsverkehr zunehmend ab. Während sich zwischen dem fünfzigsten und sechzigsten Lebensjahr die meisten noch mehrmals im Monat Sex wünschen, möchte die Hälfte aller Frauen jenseits der Siebzig gar keine sexuelle Beziehung mehr. Viele Frauen bevorzugen dann stattdessen andere Formen sexueller Stimulierung und zeigen beispielsweise mehr Interesse am Händchenhalten und Bussi-Bussi-Austausch mit dem Partner.

Wenn sich die Fünfzig- bis Sechzigjährigen allerdings noch mehrmals im Monat Sex wünschen, dann frage ich mich, warum ich mir gar nie wieder Sex wünsche. Irgendwas muss doch mit der Libido mit Beginn der Wechseljahre passieren. Bislang wurde der Rückgang der Libido in und nach den Wechseljahren vor allem auf die hormonellen Umstellungsprozesse zurückgeführt. Angeblich können die körperlichen Veränderungen in dieser Zeit, etwa die auftretenden Hitzewallungen oder Schweißausbrüche, für Verunsicherung sorgen. Deswegen fühlen sich viele Frauen dadurch nicht mehr attraktiv und versuchen, sich dem körperlichen Kontakt zu entziehen. Ich verspüre weder mit noch ohne Hitzewallungen Lust auf meinen Mann. Und Schwitzen ist kein Hindernis, oft schwitzt man doch eh bei gutem Sex.

Nachdem zu Beginn der Wechseljahre – der Übergang von der sogenannten Prä-Menopause in die Menopause – die Eierstöcke zunehmend ihre Arbeit einstellen, kommt es durch einen Mangel an weiblichen Geschlechtshormonen, den Östrogenen, auch zur Veränderung der Scheidenschleimhaut. Diese wird weniger gut durchblutet und befeuchtet, wodurch zur Unlust auch noch Schmerzen beim Verkehr entstehen. (Na prima, das auch noch. Alles wird gut – tief durchatmen –, alles wird gut.)

Als Zügler der Libido im eigentlichen Sinne gilt nach aktuellen Forschungen jedoch nicht die Abnahme der weiblichen Geschlechtshormone, sondern der Abfall der männlichen Hormone, also der Androgene wie Testosteron. Denn auch die Androgenspiegel sinken im Laufe der Wechseljahre ab. Und wo soll das enden? „In der totalen Kastration durch Organversagen“– las ich schockiert in einem Buch. Ich zitiere: „Die Begriffe Menopause und Prä-Menopause können auf die unterschiedlichste Weise benutzt werden und bedeuten immer etwas anderes. Es ist eindeutiger und verständlicher, von einem Versagen oder einer Insuffizienz der Eierstöcke und nicht mehr funktionierenden Eierstöcken zu sprechen. Ob die Eierstöcke durch Verletzung, Operation, medikamentöse Behandlung oder Organversagen ohne Einwirkung von außen insuffizient werden – es handelt sich immer um eine Kastration. Jede Frau, die länger lebt als ihre Eierstöcke, lebt bis zu ihrem Tod als Kastratin. Der Gedanke, dass man alle Männer über fünfzig Jahre kastrieren würde, ist ungeheuerlich. Doch dass alle Frauen ihr Leben als Kastratinnen beenden, wird nicht nur hingenommen, sondern auch noch von der Ärzteschaft unterstützt. Man erzählt uns Frauen, dass das eben unser Los sei.“

Bin auch ich zur Kastratin geworden und weiß es noch gar nicht? Bei mir hat die Libido definitiv und abrupt abgenommen, und dieser Verlust belastete mich unglaublich. Wer kann mir helfen? Beate Uhse, mein Frauenarzt oder meine Freundin Claudia?

Ich wollte es erst mal mit Claudia versuchen. Also rief ich sie an und wir verabredeten uns zum Kaffeeplausch. Claudia ist beziehungsweise war mal einsdreiundsiebzig groß (jetzt ist sie nur noch einseinundsiebzigeinhalb), ist aus Kleidergröße achtunddreißig rausgewachsen und hat sich auf vierzig Schrägstrich zweiundvierzig eingependelt und Dank L’Oréal hat sie immer noch glänzendes, tiefschwarzes Haar.

Nachdem wir uns zuerst über banale Dinge wie Schuhe, Handtaschen, Musik und Kino ausgetauscht hatten, lenkte ich das Thema sanft in mein Interessengebiet.

„Und wie sieht es bei Euch mit dem Sex aus?“, fragte ich beiläufig.

„Schlecht!“, kam es prompt.

Auch das noch! Ich wollte doch über mein eigenes, persönliches Sexdesaster reden und jetzt hat sie auch eins – toll, das wird ja eine super Unterhaltung!

„Mmhh“, machte ich an meinem Latte schlürfend, „was ist denn los?“

„Nichts mehr“, sagte Claudia genervt.

„Wie, nichts mehr?“

„Seit drei Monaten nichts mehr. Keinen Sex, nur kuscheln.“

„Kuscheln?“

„Ja, kuscheln!“, sagte Claudia und zog dabei leicht angewidert ihre Mundwinkel nach unten.

„Du und nur kuscheln! Seit drei Monaten keinen Sex? Ist das ein Witz? Du bist doch eine Testosteronfrau par excellence...“

„Eine was?“ Claudia stutzte.

„Testosteronfrau“, wiederholte ich.

„Was ist das denn?“

„Ich hab neulich einen Hormontest gemacht um herauszufinden, was für ein Hormontyp ich bin“, erklärte ich.

„Und wozu soll das gut sein? Seit wann verschwendest du deine Zeit mit Psychotests? Konnte man bei dem Test was gewinnen, Auto, Staubsauger, Waschmaschine?“

„Nein, ich wollte einfach nur wissen, welcher Hormontyp ich bin.“

„Und? Welcher Hormontyp“, das Wort Hormontyp sprach sie übertrieben langsam aus, „bist du? Und was hat das zu bedeuten? Und was hat das mit meinem Sex zu tun?“

„Pass auf“, begann ich, „es gibt drei unterschiedliche Hormontypen: Gestagen-, Östrogen- und Testosteron-geprägte Frauen – die Letztere bist du. Schließlich kennen wir uns schon über dreißig Jahre, also kann ich das beurteilen.“

„Und was macht die?“

„Wie, was macht die?“

„Na, was macht die Testosteron-geprägte Frau so? Was machen überhaupt die Hormone in unserem Körper und wie viel haben wir davon und wie heißen die?“

„Gute Fragen!“, antwortete ich. „Der Begriff Hormon kommt aus dem Altgriechischen und bedeutet in etwa antreiben, bewegen. Bei einer Anzahl von über dreißig Hormonen handelt es sich einfach gesagt um Stoffe, die in unseren Hormondrüsen, wie zum Beispiel Hypophyse, Schilddrüse, Bauchspeicheldrüse und Eierstöcken, gebildet werden, um sie über den Blutkreislauf in Organe abzugeben. Da sollen sie eine spezifische Wirkung erzielen.“

„Wow, du bist aber klug“, lachte Claudia, „Resch-pekt!“

„Das kommt vom vielen Lesen“, sagte ich stolz und konnte es gar nicht erwarten, mein Wissen weiterzugeben. „Die für Frauen interessantesten Hormone und ihre Funktionen solltest du auch ein bisschen kennen. Das erklärt nämlich einiges und hilft uns, unseren Frauenkörper besser zu verstehen.“

Ich begann zu erzählen und fing mit dem Hormon Östrogen an, welches ein Oberbegriff für Hormone wie Östradiol oder Östron ist. In erster Linie ist das Östrogen dafür zuständig, die Männer verrückt zu machen, und das macht es gut (wenn man es hat). Man glaubt es kaum, aber Männer können den Eisprung und die damit höchste Konzentration des Östrogens im Frauenkörper regelrecht riechen. Zudem macht das Östrogen die Haut geschmeidig und sorgt für schöne weibliche Rundungen. Die Östrogene haben aber auch einen biologischen Zweck: Sie regulieren den monatlichen Zyklus. In der ersten Hälfte (circa zehn bis vierzehn Tage, je nach Zykluslänge) sorgen sie beispielsweise dafür, dass sich die Schleimhautschicht in der Gebärmutter nach der Menstruation wieder aufbaut. In der zweiten Zyklushälfte (nach dem Eisprung) kommt dann das Progesteron, auch Gelbkörperhormon genannt, ins Spiel. Der sogenannte Gelbkörper produziert auch kleine Mengen Östrogen, aber vor allem Progesteron. Das wiederum ist für die Aufrechterhaltung der Gebärmutter-Schleimhaut und für das Wachstum eines eventuellen Embryos verantwortlich. Tja, und mit den Wechseljahren stellen die Eierstöcke die Produktion des Progesterons einfach ein. Das muss man sich als Frau mal klarmachen – in der Mitte unseres Lebens stellen die doofen Eierstöcke einfach ihre Funktion ein: Ich habe fertig!

Damit nicht genug, ebenso wird nämlich auch die Produktion von Testosteron in den Wechseljahren fast komplett eingestellt. Ja, richtig: Testosteron. Nicht nur Männer haben dieses Hormon, auch Frauen besitzen es (bis zu den Wechseljahren), wenn auch in kleineren Mengen. Dieses Testosteron will nicht kuscheln und ist schon gar nicht auf Gefühlsduselei aus. Es steuert die sexuelle Lust, bei Männern und Frauen gleichermaßen. Und wenn kein oder nur noch geringe Mengen an Testosteron zur Verfügung stehen, braucht man in Bezug auf sexuelle Aktivitäten nur noch eins und eins zusammenzuzählen.

Auch noch erwähnenswert, weil für Frauen mit Kinderwunsch ganz wichtig, sind FSH und LH. Hinter diesen beiden Abkürzungen verstecken sich zwei wichtige Hormone. FSH ist die Abkürzung für follikelstimulierendes Hormon. Es ist ein Sexualhormon und Steuerstoff der Eizellenreifung und spielt im weiblichen Zyklus eine wichtige Rolle. Zusammen mit dem luteinisierenden Hormon (LH), das den Eisprung beeinflusst, reguliert es den Zyklus. Um nicht nur Sex zu haben und Kinder zu kriegen – die wir dann alleine aufziehen müssten, weil die Männer nach getaner Arbeit, der Befruchtung, das Weite suchten –, schwirrt das Hormon Oxytocin durch unseren Körper, der Botenstoff der Liebe. Wenn wir so richtig verliebt sind, ist das Hormon dafür verantwortlich, dass wir vergesslicher werden und unter dem Einfluss der tanzenden Schmetterlinge im Bauch nicht klar und vernünftig denken können. Ein Freund von mir hat einmal gesagt, dass Verliebte unzurechnungsfähig seien und man diesen Durchgeknallten eigentlich während der Dauer ihres Verliebtseins den Führerschein entziehen sollte. Er kann seine Aussage als gefestigt betrachten. Das Hormon wird vor allen Dingenbeim Sex in großen Mengen ausgeschüttet und sorgt für Müdigkeit und gelöste Entspannung. Seinetwegen hält man sich nachdem Sex gerne gegenseitig in den Armen und stammeln Männer wirre Liebesbezeugungen wieIch ruf dich an. Versprochen!

In Untersuchungen haben Wissenschaftler herausgefunden, dass Frauen, die mit Oxytocin behandelt wurden, eine bessere Orgasmusqualität erlangten und mehr Lust auf Sex verspürten. Um allerdings erst mal an einen Sexpartner zu kommen, müssen wir wie Tiere Lockstoffe verströmen. Die Lockstoff-Hormone nennen sich Pheromone. In den fruchtbaren Tagen produziert der weibliche Körper vermehrt das Pheromon Copuline, das zur Paarung animiert. Pheromone entscheiden auch grundlegend darüber, ob wir einander riechen können. Frauen, die die Pille einnehmen, locken weitaus weniger Männer an als pillenfreie, da sie einen „unnatürlichen Hormonhaushalt“ haben und dadurch weniger Pheromone produzieren. Das wiederum hat zur Folge, dass „Pillenfrauen“ von Männern weniger wahrgenommen werden. Nüchtern betrachtet würde das Folgendes bedeuten: Nimmt eine Frau die Pille, um befruchtungsfreien und ungezügelten Sex haben zu können, wird sie von potenziellen Sexualpartnern weniger wahrgenommen und das wiederum bedeutet folglich weniger Sex. Im schlimmsten Fall gar keinen. Wozu dann also die Pille nehmen?

Anders herum funktioniert die Biologie ebenso: Bei Frauen, die das im Männerschweiß enthaltene Pheromon Androstenon riechen, steigt der Blutdruck. Würde das heißen, dass sich beim Vorüberziehen eines verschwitzten Bauarbeiters unser Blutdruck selbst bis unter die Decke jagt? Wenn ja, dann kann man nur hoffen, dass sich in diesem Fall rechtzeitig das Hormon Serotonin einschaltet. Das lebenswichtige Hormon macht gelassen, ausgeglichen und führt zur inneren Ruhe und Zufriedenheit (Ommm!). In erster Linie bekämpft das Serotonin aber die Angst. Einen Mangel an Serotonin haben Menschen, die an Migräne oder an schweren Depressionen leiden. Außerdem beeinflusst Serotonin unseren Sexualtrieb und den Schlafrhythmus.

„Natürlich gibt es noch weitaus mehr Hormone, die für Leib und Seele, beim Abnehmen und beim Sex eine Rolle spielen“, erzählte ich munter meiner staunenden Claudia weiter. „Und jetzt kommt der Hammer“, sagte ich mit schlauer Stimme, „stell dir vor, die Hormone, die bei uns Frauen überwiegen, bestimmen unseren Körperbau und unser Wesen.“

„Ist nicht wahr! Ich bin platt!“, sagte Claudia verblüfft.

„Ja, das war ich auch“, sagte ich nickend, „als ich anfing, mich in die Hormon-Sache einzulesen.“ Ich erinnerte mich daran, wie mich sofort eine unbändige Neugierde zu diesem Thema packte, als ich zum ersten Mal wieder (seit dem Gymnasium) etwas über das Hormonsystem des Menschen las. „Nun, das ist alles ganz schön kompliziert und nicht auf die Schnelle zu erklären, das kann ich dir sagen.“

„Macht nichts. Jetzt bin ich schon angefixt. Erkläre mir das mal mit dem Körperbau und dem Wesen.“

„Okay. Der Einfachheit halber fang ich mit meinen Hormonen an. Ich bin eine sogenannte Gestagen-geprägte Frau. Eher androgyn, so mit wenig Busen (mürrisch sah ich auf meine Minimöpse hinab), schmaler Taille (bis vor Kurzem) und schlanken Oberschenkeln (bis vor Kurzem). Figürlich also ein Mitteltyp zwischen Östrogen- und Testosteron-Frau.“

„Und wie sehen die anderen Typen aus?“

„Jetzt warte halt mal ab und sei nicht immer so ungeduldig. Den Körperbau der beiden anderen Hormontypen erkläre ich dir gleich. Lass mich erst mal die Gestagen-Frau zu Ende erzählen. Also, Frauen, die zu meinem Hormontyp gehören, sind vom Wesen her eigentlich recht ausgeglichen, ausdauernd und belastbar. Das kommt vom hohen Gestagenspiegel, der einen beruhigenden Effekt hat, weil die Wirkstoffe des Hormons die Nervenzellen stabilisieren. Östrogenfrauen hingegen sind eher die weiblichen Typen, die mit den berühmten Sanduhrfiguren. Auffällige Oberweite, gebärfreudiges Becken, runde Hüften, kräftige Schenkel, pralles Hinterteil ... recht füllig eben. Östrogene sorgen für rundliche, weichere Figuren und stellen zudem das Gemüt ruhig. Deswegen sind solche Frauen meist mitfühlend, hilfsbereit und insgesamt ziemlich unaufgeregt. Steigt allerdings der Östrogenspiegel zu sehr an, zum Beispiel vor der Periode, dann kann man sich auf Reizbarkeit, Stimmungsschwankungen und Heißhungerattacken gefasst machen. Tja, und das wirkt sich dann zusehends auf die Figur aus ... so wie ... hmmm... lass mich nachdenken ... so wie bei der Kardashian.“

„Kardashian? ... Kardashian? ...“, Claudia stocherte hörbar in ihrem Gedächtnis rum. „Ach so! Die! Bei der ist ja auch jeder Donut sofort für’n Arsch, hahaha!“

„Böses Mädchen! Sind wir heute ein bisschen gehässig?“, rügte ich.

„Okay, entschuldige. Hast ja recht“, Claudia räusperte sich kurz, „erzähl weiter.“

„Gut, wo waren wir? Ach ja, Östrogenfrauen sind übrigens auch ein perfektes Beuteschema paarungswilliger Männer.“

„Mag ja sein, jetzt kommen wir aber mal zu mir! Was bin ich noch mal für ein Typ? Was hast du gesagt?“

„Testosteron“, wiederholte ich. „Deinen Körperbau kennst du ja selbst am besten. Ich sag dir jetzt dazu ein paar Stichwörter und wenn ich mich täuschen sollte, dann sagst du mir das.“

„Alles klar. Okay. Ich bin so weit“. Claudia setzte sich kerzengerade auf den Stuhl, hob den Kopf und sah mir aufmerksam in die Augen.

„He, wir sind nicht in einer Quizshow, entspann dich.“

„Bin hochkonzentriert! Los, jetzt fang schon an. Sonst platze ich noch vor Ungeduld!“

„Also los“, begann ich, und Claudias Blick wanderte von meinen Augen auf meine Lippen, an denen sie hängen blieb wie ein Kolibri an einer Blüte.

Ich fing mit meiner Aufzählung an und brillierte so mit meinem neu erlangten Wissensschatz zum ThemaHormontyp.

„Athletischer Körperbau“, begann ich.

Claudia nickte.

„Breite Schultern.“

Claudia nickte.

„Mittelgroßer Busen.“

Claudia nickte zunächst, schüttelte aber gleich darauf den Kopf, um gedehnt „grooooßer Buuuuusen“ zu sagen. Dabei wippte sie schwungvoll mit ihrem Oberkörper auf und ab, sodass alles Vorhandene nur so hüpfte. Wir lachten.

„Konzentrier dich!“, ich erhob meinen Zeigefinger. „Weiter im Text: Kaum Hintern und schmale Hüften?“

Claudia nickte wieder, schüttelte aber gleich darauf erneut ihren Kopf, um wiederum übertrieben lang gezogen und mit einem rollenden R „geeeeiiiilerrr Hiiiinterrrrrrn“ zu sagen.

Bevor sie aufstehen konnte, um vielleicht auch mit ihrem Hintern auf- und abzuwippen, ermahnte ich sie streng, sitzen zu bleiben. Ansonsten, drohte ich ihr an, würde ich nicht weitererzählen.

„Starke Körperbehaarung.“

„Ja, sogar im Gesicht“, sagte Claudia traurig nickend. „Weißt du noch, wie ich damals wie eine Verrückte auf der Suche nach einem Färbemittel für meine dunklen Gesichtshaare war? Eine Drogerie nach der anderen habe ich abgeklappert. Damals gab es doch kein Internet. Gott, wie haben wir ohne eigentlich leben können?“

„Ja, ich kann mich erinnern. Hätte es nicht auch einfaches Rasieren getan?“

„Du bist gut. Ich hatte ja keinen simplen Damenbart. Kannst du dich nicht mehr an meine dunklen Haare im Gesicht erinnern?“

„Hmm, vage. Aber dafür hast du heute immer noch deine wahnsinnstolle Mähne! Um deine Haare habe ich dich schon immer beneidet.“

„Aber bestimmt nur um meine Haare auf dem Kopf“, sagte Claudia und sah etwas traurig in die Ferne.

„Ich wusste gar nicht, dass das so schlimm für dich war.“ Mitfühlend legte ich meine Hand auf ihren Arm. „Du hast nie so deutlich darüber gesprochen. Ist das nicht komisch? Jetzt kennen wir uns schon so lange und wir haben noch nie so ausführlich über diese Dinge gesprochen“, stellte ich nachdenklich fest.

Hierauf folgte ein kleiner Moment des Schweigens.

„Lass gut sein ... ich hab’s ja überstanden“, unterbrach Claudia die Stille dann mit einem Lachen. „Erzähl mir lieber mehr über mich als Testofrau. Das interessiert mich jetzt doch sehr. Also, meine körperlichen Attribute stimmen ja so weit. Und wie ist meine Psyche? Leg los.“

„Also Sahnetörtchen bei dir als Lustfaktor ist schon mal gar nicht!“, ich grinste. „Kleine Einführung zum besseren Verständnis: Testosteron ist das wichtigste männliche Geschlechtshormon, das beim Mann im Hoden und bei Frauen in geringen Mengen in den Eierstöcken und in der Nebennierenrinde produziert wird. Testosteron regelt den Haar- und Bartwuchs und – jetzt kommt’s – die Libido! Du als Testofrau bist quasi der Urtyp unter den Hormontypen.“

„Wunderbar, ich bin ein Urtyp!“, freute sich Claudia.

„In jeder Hinsicht!“, bestätigte ich augenzwinkernd. „Ja, und nachdem du körperlich so bist, wie ich dich eben beschrieben habe, und du schon immer für deinen Männerverschleiß bekannt warst, war es mir sofort klar, dass du eine geborene Testosteron-Frau, nämlich eine Jägerin, bist. Nun, und was deine Psyche anbelangt, so trifft die Beschreibung auch auf dich zu. Ein hoher Testosteronspiegel fördert die Wettkampfbereitschaft und macht scharf auf Erfolg. Du bist ja auch eine taffe und knallharte Geschäftsfrau. Von uns beiden warst du schon immer die Bestimmerin und hast lauthals den Ton angegeben. Deine Männer habe ich nie beneidet. Immer das letzte Wort und keine Kompromisse, stimmt’s?“

„Na ja, das musste ich ja. Mir blieb in meinen Beziehungen auch nie was anderes übrig“, schmollte Claudia ein bisschen.

„Warum blieb dir nichts anderes übrig? Vielleicht hättest du dich mal ein wenig auf die starken Arme deiner jeweiligen Partner verlassen sollen? So schwach werden diese ja nicht immer gewesen sein, behaupte ich mal.“ (Gespräche über Claudias Beziehungschaos hatten schon unzählige Abende gefüllt und schon unzählige Rotweinflaschen geleert.)

„Wenn man nicht alles selber macht, dann läuft doch nichts. Das weißt du doch auch nur zu gut!“, kam prompt von ihr als Antwort.

„Das ist auch typisch für Testosteron-Frauen, keine Kompromisse, lieber unabhängig bleiben, lieber alleine kämpfen, jagen und Karriere machen. Bloß nicht zu sehr auf einen Mann einlassen. Und Familie? Windeln wechseln? Du auf jeden Fall nicht. Du kriegst doch schon beim WortKindereinen Ausschlag.“

„Na, weil ich keine Kinder mag! Das beruht übrigens auf Gegenseitigkeit. Hab ich was verpasst? Gibt es irgendetwas Interessantes an Kindern? Irgendwas?“, empörte sich Claudia. „Die paar gemeinsamen Gene ... und wenn es irgendwann unter vierzehn Jahren zum Verbrecher wird, wirst du auch noch dafür haftbar gemacht.“

„Aber Babys findest du doch süß, oder?“

„Süß? Ist jetzt nicht dein Ernst? Babys? Die Dinger brechen doch jeden Lautstärkenrekord, und das mit Vorliebe in der Nacht. Dazu kommen noch die weitläufig beschissenen Meinungen anderer Frauen: Bekommst du eins und bleibst zu Hause, dann wirst du als arbeitsfaule Hausfrau beschimpft, und wenn du arbeiten gehst, dann wirst du als Rabenmutter beschimpft und die Tagesmutter frisst dein halbes Gehalt. Was ist daran jetzt süß?“

„Die Frage willst du jetzt nicht wirklich beantwortet haben?“ Ich sah Claudia eindringlich an.

„Was Kinder anbelangt, bin ich seit ein paar Tagen eh tierisch genervt“, sagte Claudia. „Neben uns war doch die Wohnung frei, und ich dachte eigentlich, dass ein schnuckeliger Junggeselle einzieht. Aber nein! Was krieg ich? Kinder!“

„Wie, du kriegst Kinder?“

„Muss doch nebenan eine Großfamilie mit zwei Kindern einziehen. Wie ist das denn auszuhalten?“, stöhnte Claudia.

„Zwei Kinder? Das ist doch keine Großfamilie“, lachte ich.

„Wieso? Findest du es etwa normal, in heutigen Zeiten überhaupt noch Kinder zu haben? Und wenn es denn schon sein muss, wieso gleich mehr als ein Kind? Mit Überbevölkerung retten wir die Welt garantiert nicht. Schau dir die Chinesen an, die limitieren schon lange. Das nenne ich mal vernünftig. Du hast doch auch nur ein Kind!“

„Na, das hat ja wohl in erster Linie mit meinem furchtbaren Geburtserlebnisschock und mit meiner gescheiterten Ehe zu tun. Danach war erst mal Schluss mit Familienplanung. Hätte ich allerdings jemals wieder ein Kind gewollt, dann wäre bestimmt nur eine Leihmutter infrage gekommen!“

„Für mich wäre schon eins zu viel gewesen, glaub mir. Da war mir mein unabhängiges Leben schon immer viel wichtiger“. Claudia nickte dabei energisch mit dem Kopf. „Stell dir vor, der Typ, mit dem ich vor Klaus zusammen war, sprach andauernd von Kindern. Furchtbar! Einmal sagte ich zu ihm, wenn er will, dann könnten wir welche haben. Er solle dann zu Hause bleiben und die Kinder erziehen. Und ich gehe arbeiten und unterhalte mich weiterhin mit klugen Leuten in meinem Alter, mit denen ich dann abends und an Wochenenden Fortbildungen besuche und mächtig Spaß dabei habe.“

„Und was hat der Typ dazu gesagt?“, fragte ich neugierig.

„Er dachte über eine Vasektomie nach!“

„Ist nicht wahr!“

„Ja, stimmt jetzt nicht so ganz“, sagte sie gedehnt, „aber Kinder waren bei diesen Aussichten urplötzlich dann doch kein Thema mehr für ihn. Außerdem verstehe ich auch gar nicht, warum Frauen ohne Kinder so angefeindet werden. Jeder soll doch seine Lebensplanung so gestalten, wie es ihm passt. Die ganzen Spießer um mich herum regen mich schon seit meiner Gebärfähigkeit mit dummen Sprüchen und Fragen auf. Die meisten Frauen waren doch immer nur neidisch auf mich, weil ich jederzeit überall hingehen konnte, wonach mir der Sinn stand, anstatt wie die mit ausgebeulten Jogginghosen vor dem Fernseher mit Kochsendungen zu verblöden oder im verregneten Siebentageurlaub im Allgäu zu versauern, weil das Geld mit all den Gören nicht mehr für die Karibik reicht. Also versteh mich jetzt nicht falsch. Von mir aus kann jeder so viele Kinder bekommen, wie er will, aber hängt mir dann bloß nicht mit eurem neidischen Vollgequassel in den Ohren, weil ich fünfmal im Jahr Urlaub mache und Cabrio fahre!“ Nach diesem Vortrag, ohne Punkt und Komma, schnaufte Claudia heftig durch, weil sie jetzt in Atemnot geriet.

„Halleluja! Es gibt sie tatsächlich: ehrliche Frauen mit ehrlichem Nichtkinderwunsch“, sagte ich lachend.

„Jawohl, es gibt sie und mir ist es egal, was die anderen denken!“, bestätigte Claudia. „Aber weißt du, was ich auch saublöd finde? Du kennst doch Bea, oder?“

„Die mit Norbert zusammen ist?“

„Ja, genau! Und Bea musste sich schon Anfang dreißig einer OP unterziehen, die sie die Gebärmutter kostete. Lange Zeit litt sie furchtbar darunter, hat sich dann aber voll in ihren Beruf gestürzt und ist mächtig erfolgreich geworden.“

„Ja, ich kann mich erinnern, aber warum erzählst du mir das?“

„Stell dir vor, Bea war letzte Woche mit ihrem Mann bei einem Geschäftsessen und die Dame des Hauses fragte sie nach ihren Kindern. Als Bea sagte, sie hätten keine, fragte die Hausdame schnippisch, ob sie auch so eine Karrieristin sei. Und das vor allen Leuten! Stell dir das mal vor!“

„Das ist ja unverschämt“, protestierte ich. „Wie kann man nur so taktlos sein? Die arme Bea.“

„Das hat sie nicht zum ersten Mal gehört, sagte sie mir. Und so was finde ich dermaßen zum Kotzen, verstehst du? Da haben die Leute keine Ahnung, quasseln dumm raus und verletzen andere damit.“

„Das stimmt. Aber das wird sich nie ändern. Und beim Thema Kinder scheiden sich eh die Geister. Ja, nein, vielleicht ... Die einen wollen und können nicht, die anderen wollen nicht und können, und die nächsten sollten nicht.“ Etwas hilflos zuckte ich mit den Achseln.

„Ja, das stimmt. Verrückte Welt. Am schlimmsten finde ich die Menschen, die plötzlich zu Eltern geworden sind. Von heute auf morgen meinen die dann, für alles Verantwortung übernehmen zu müssen. Für unsere Umwelt, Tempolimit, mehr Fußgängerampeln, keine Kraftausdrücke benutzen, keine laute Musik und was weiß ich nicht alles.“

„Stimmt. Als ich meinen Sohn geboren habe, machte ich es mir zur Aufgabe, die Welt für ihn zu retten.“ Ich musste in mich hineinlachen, als ich mich daran erinnerte, dass ich tatsächlich für einige Zeit zur durchgeknallten Ökotante mutiert war. Als ich allerdings bald merkte, dass mir in meinem Öko-Schlabber-Look die bewundernden Blicke der Männer fehlten, überließ ich die Rettung des Planeten anderen engagierten Müttern.

„Apropos Rettung des Planeten, da fällt mir eine Geschichte ein, die ich im Allgäu erlebt habe. Vor ein paar Wochen bin ich auf dein Anraten hin mit Klaus zum ersten Mal in meinem Leben ins Allgäu gefahren. Ich hab dir doch davon erzählt.“

„Ja, hast du. Ich finde es toll, dass du mal das wunderschöne Allgäu kennengelernt hast“, sagte ich verzückt, „und gefallen hat es dir ja auch.“

„Ja, hat es. Hör zu, was ich dir jetzt erzähle. Also, Klaus und ich hatten eine kleine Bergtour hinter uns und irgendwann war die Luft raus. Ich hatte keine Lust mehr. Also nahmen wir die Abkürzung über irgend so eine Wiese. Plötzlich blieb eine komplette Familie am Rand stehen und der bescheuerte Familienvater applaudierte uns zu. So ein Depp! Im ersten Moment dachte ich: Claudia – ignoriere das! Aber im zweiten Moment dachte ich: Claudia – wieso eigentlich? Das wäre doch eine gute Gelegenheit, ein bisschen von meinem Frust und meiner Aggressivität abzubauen, also steuerte ich direkt auf den Kerl zu. Klaus rief mir noch hinterher, was ich denn vorhabe. Ich gab ihm zur Antwort, dass heute sein Glückstag sei.“

„Wieso das denn?“, unterbrach ich Claudia.

„Das hat mich Klaus auch gefragt! Ganz einfach. Ich war auf dem besten Weg, mich mal so richtig auszukotzen. Das bedeutete folglich, dass Klaus an diesem Abend von meinen Attacken verschont bleiben würde. Alles klar?“

Ich nickte lachend.

„Ich also auf den Typ zu. Der hat vielleicht geguckt, als ich angedampft kam. Seine Frau hatte sich schon etwas abseits gestellt. Kluge Frau! Als ich dann knapp vor ihm stand, verschränkte er erst mal großkotzig seine Arme vor der Brust. ,Sagen Sie mal‘, sagte ich ruhig und leise zu ihm, ,wo kommen Sie eigentlich her?‘ ,Aus Hamburg‘, antwortete er. ,Aber was geht Sie das an?‘ Seine Frage ignorierend erkundigte ich mich, ob er Fleischesser oder Vegetarier sei. Verblüfft sah er mich an und antwortete, dass mich das auch nichts angehe und dass so wie er aussehe, wohl bestimmt kein Vegetarier aussehe. Was auch immer das heißen mag. Dann sah ich seine drei kleinen Gören der Reihe nach an und fragte ihn, ob das seine eigenen Kinder seien. Worauf er mit ,Ja, und jetzt ist aber Schluss mit der Fragerei. Was soll das überhaupt?‘ antwortete. ,Was das soll?‘, wiederholte ich. ,Nun, ich erkläre Ihnen, was das soll! Ich fasse mal zusammen: Sie fahren einmal quer durch Deutschland von Hamburg ins Allgäu, ja? Verpesten mit Ihrer Mistkarre die Luft und vergrößern das Ozonloch, ja? Erwarten aber, hier reine und klare Bergluft zu finden, ja? Zudem sind Sie Fleischesser und zerstören damit unser Ökosystem, ja? Und dann wagen Sie es auch noch, drei Kinder in die Welt zu setzen, obwohl unser Planet total überbevölkert ist, ja? Und Sie spielen sich als Feld- und Wiesenretter auf, indem Sie meinen, uns ironisch applaudieren zu müssen, weil wir fünf Gänseblümchen und drei Grashalme geknickt haben? Na Klasse! Wenn die Retter unseres blauen Planeten so wie Sie aussehen, na dann gute Nacht!‘ Dann wünschte ich ihm noch einen schönen Tag und zog äußerst befriedigt ab.“

„Ups! Und was hat er dann gesagt?“

Claudia grinste. „Na, nichts mehr. Als ich weiterlief, hörte ich noch seine Frau zischen, dass sie ihm doch gleich gesagt habe, dass er sich mit einer Frau in meinem Alter nicht anlegen solle. Was auch immer sie damit gemeint hat. Eins der Kinder fragte noch, was denn die Frau von Papa wollte, aber keiner der beiden gab darauf eine Antwort.“

„Kein Wunder. Das war echt überzeugend. So schlagfertig wäre ich nicht gewesen“, stellte ich fest. „Nur so zum Spaß noch eine klitzekleine Frage, wer soll denn mal deine Rente bezahlen?“

„Rente, Rente, Rente ... glaubst du etwa, das Kleinkind da hinter uns mit den verfaulten Zähnen im Mund, das pausenlos Schokolade in sich reingestopft bekommt, zahlt mir mal meine Rente? Mit vierzig sind die heutigen Zuckerkinder doch schon todkrank und leben vom Krankengeld! Wie sollen die dann noch für meine Rente aufkommen? Ne, ne ... also das Argument Rente zieht bei mir auch nicht mehr. Da musst du dir schon was Besseres einfallen lassen.“

„Aber jetzt bitte hier nicht explodieren, ne!“, lachte ich. „Siehste! Das hab ich mir doch gedacht, dass die Beschreibung für testosteronlastige Frauen exakt auf dich zutrifft. Du bist gerade wieder voll auf Testosteron. Du bist geradezu ein Paradebeispiel! Rauf aufs Pferd und losgeprescht ... auf klare Ansagen folgen sofort Taten. So hast du das auch früher schon gemacht, wenn dir nach Sex war.“

„Tja, as time goes by! Schluss mit Sex!“, sagte Claudia hart.

„Wie jetzt? Du bist doch mit Klaus noch zusammen, oder?“

„Ja, bin ich“, bestätigte Claudia.

„Und wo ist dann jetzt das Problem?“

„Ich hab’s dir doch gesagt! Wir haben seit drei Monaten keinen Sex mehr!“

„Oh mein Gott“, stöhnte ich. „Echt jetzt? DREI Monate? Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich netter zu dir gewesen“, witzelte ich.

„Hahaha ... nicht witzig! Nein, wirklich. Ich ... also wir ... haben seit drei Monaten keinen Sex mehr, nichts, nada, niente. Nur noch kuscheln.“ Betrübt sah mich Claudia an.

„Tja! Kuscheln. Das hast du gesagt. Hört sich an, als ob ihr verheiratet seid!“ Ich stieß ihr lachend in die Seite.

„Boah ... kannst du auch mal ernst sein? Hier geht es schließlich um Sex, das ist ein ernstes Thema!“

„Tschuldige. Tut mir leid. Willst du mir erzählen, warum ihr keinen Sex mehr habt?“

„Na ja“, begann Claudia zunächst zögerlich. „Zuerst waren es nur ein paar Tage ohne Sex, dann wurden ein paar Wochen daraus und jetzt sind es schon Monate. Wie es dazu kam, kann ich dir im Detail auch nicht erklären. Das hat sich einfach so eingeschlichen. Komisch, was? Zuerst war ich nach der Arbeit immer zu müde und als mir dann auffiel, dass wir schon länger keinen Sex mehr hatten, war ich echt stinksauer auf Klaus ...“

„Wieso das denn?“, unterbrach ich sie. „DU warst doch zu müde für Sex!“

„Stimmt. Aber Klaus unternahm nicht mal den geringsten Versuch zu fummeln oder so. Ihm war das so was von egal. Na ja, der Brüller war er ja noch nie im Bett!“

„Oijoi ... jetzt aber mal langsam!“ Ich versuchte Claudia etwas auszubremsen. „Warum bist du denn mit Klaus überhaupt noch zusammen, wenn dein Sexleben so frustrierend ist?“

„Nun, das kann ich dir sagen. Aus zwei Gründen. Erstens, weißt du überhaupt, dass man laut Statistik um die fünfzig nach dem zehnten bis zwölften misslungenen Date überhaupt keine Chance mehr hat, einen Partner zu finden? Und zweitens, weil er mir einfach gut tut. Verstehst du?“ Auf Zustimmung wartend sah mich Claudia an.

„Echt jetzt? Um die fünfzig sieht es so mies aus, einen Mann zu finden? Das ist ja beängstigend!“

„Ja, und es kommt noch besser. Ab dem sechsunddreißigsten Lebensjahr orientiert sich der Mann bei seiner Partnerinnenwahl um zehn Jahre nach unten, was sich jeweils auf weitere zehn Jahre nach oben beim Mann und auf weitere zehn Jahre nach unten bei der Frau korrigiert. Das heißt, wenn der Mann sechsunddreißig ist, sollte seine Wunschpartnerin sechsundzwanzig sein, und wenn er sechsundvierzig ist, sollte sie wiederum sechsundzwanzig sein, und wenn er sechsundfünfzig ist ...“

„Lass mich raten ... sollte die Partnerin sechsundzwanzig sein?“ Ungläubig starrte ich Claudia an. „Das verunsichert mich jetzt aber. Ich bin keine sechsundzwanzig mehr, soll das etwa heißen, ich würde jetzt nie mehr wieder einen Mann abkriegen, wenn ich meinen nicht hätte? Stimmt das überhaupt, was du mir da erzählst?“

„Aber ja doch! Das habe ich gerade erst in einer Wissenschaftssendung gesehen“, bestätigte Claudia eifrig.

„Nun ja, zwischen Traum und Wirklichkeit beim Mann liegen immerhin noch wir mittelalten Frauen, hehehe!“, lachte ich hämisch. „Außerdem ist das ja der Hammer! Was soll das denn? Guck dir doch mal die Männer in unserem Alter an. Die Mehrzahl davon sieht aus wie der kleine Bruder vom Michelin-Männchen. Genauso viele Hüftringe, genauso bleich im Gesicht und Glatze Mit diesen hinreißenden Attributen wälzt sich das starke Geschlecht durch die Öffentlichkeit und unterhält sich prächtig in Aufreißermanier über weitaus jüngere Frauen. Letztens sagte doch so ein Schwabbelbauch zu seinem Kumpel an der Bar, dass das Mädel dort hinten ruhig ein bisschen abnehmen könne, damit sie passend wäre. Hä? Passend? Für wen? Als ich in die Richtung sah, in die die zwei Fettbacken gafften, traute ich meinen Augen nicht. Da saß ein Mädel so um die siebzehn und hatte eine ganz passable Figur. Ich weiß gar nicht, was sich solche Kerle dabei denken, wenn sie solche Sprüche ablassen. Ob die das Wort Spiegel wenigstens buchstabieren können, wenn sie schon in keinen reinschauen? Die glauben doch im Ernst, dass sie mit ihrem derangierten Aussehen eine Scarlett Johannsen abschleppen könnten. Richtige Macho-Arschlöcher waren das. Aber ganz davon abgesehen, wäre es mir neu, wenn Zwanzigjährige auf Kahlschlag und fette Plauzen abfahren.“

„Wenn das Bankkonto stimmt, dann kann man den einen oder anderen Bierbauch und den Haarmangel an der falschen Stelle schon mal übersehen.“ Claudia lachte verächtlich auf.

„Mag sein, aber das hat doch nichts mehr mit Liebe zu tun!“, protestierte ich.

„Wo lebst du denn, Moni? Männer um die fünfzig erheben doch nicht den Anspruch, von einer dreißig Jahre jüngeren Frau geliebt zu werden. Bei denen denkt doch nur noch der mittlere Körperteil.“

„Da hast du auch wieder recht! Männern kann man ja so leicht etwas vorspielen, und bei den Sugardaddys ist das nicht mal nötig. Da wird mir schlecht!“

„Gibt’s eigentlich auch Sugarmommies? Vielleicht könnten wir ...“

„Hör auf“, unterbrach ich Claudia, während sich mein Körper von alleine schüttelte. „Ich hab doch eben gesagt, dass mir dabei schlecht wird. Da bleibe ich dann doch lieber für den Rest meines Lebens alleine.“

„So würde das dann auch aussehen. Willkommen in der Realität, meine Liebe!“, sagte Claudia mit wissendem Gesichtsausdruck.

„Wie meinst du das? Du weißt mal wieder mehr als ich, was?“

„Nun, ich bin schließlich eine aktiv Liierte!“

„Was bedeutet das schon wieder?“

„Das bedeutet, dass ich, im Gegensatz zu dir, stets meine Augen offen halte und deswegen in puncto Männer mehr sehe und weiß als du. Zum Thema Beziehungswahrscheinlichkeit kann ich dir jetzt mal ein bisschen was erzählen. Hast du zum Beispiel gewusst, dass das Geschlechtsverhältnis bei der Befruchtung bei circa eins Komma drei männlich zu eins Komma null weiblich steht? Ne, hast du wohl nicht gewusst, was? Und, weißt du auch, warum? Ne, weißt du auch nicht, was? Der Überschuss von null Komma drei beim männlichen Geschlecht erklärt sich dadurch, dass die männlichen Y-Spermien leichter sind und eine höhere Geschwindigkeit haben. Da staunst du, was ich alles weiß!“, sagte Claudia stolz.

„Und ob, da staune ich. Warum interessiert dich so etwas eigentlich?“

„Damit ich mir die Chancen einer Beziehung in meinem Alter errechnen kann!“

„Aha“, sagte ich. „Und wie hoch sind deine errechneten Chancen?“

„Gar nicht hoch. Eigentlich sogar ziemlich niedrig. Das habe ich dir ja mit der Anzahl der misslungenen Dates schon erklärt.“

„Aber zehn bis zwölf Dates sind doch immerhin was“, stellte ich fest, „da könnte man sich zur Not immerhin noch arrangieren.“

„Ja, schon, aber zu diesen zwölf Dates wird es in einer Stadt nie kommen. In den Städten findet sich nämlich tatsächlich ein Frauenüberschuss, wohingegen auf dem Land ein Männerüberschuss zu verzeichnen ist.“

„Woher weißt du das alles?“