Das letzte Echo des Krieges. Der Versailler Vertrag - Susanne Brandt - E-Book

Das letzte Echo des Krieges. Der Versailler Vertrag E-Book

Susanne Brandt

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Beschreibung

Am 28. Juni 1919 wurde im Schloss von Versailles der Friedensvertrag der Siegermächte mit Deutschland unterzeichnet, der den Ersten Weltkrieg beendete. Die Feindseligkeiten waren mit diesem, vom südafrikanischen Premierminister Jan Christiaan Smuts als "letztes Echo des Krieges" bezeichneten Abkommen aber keineswegs beigelegt. Für Deutschland, dem man als Wiedergutmachung für die Verwüstungen in Frankreich und Belgien hohe Reparationsleistungen auferlegte und dessen Schuld am Ausbruch des Krieges im Artikel 231 festgeschrieben wurde, bedeutete der Vertrag eine schwere Hypothek. Susanne Brandt erläutert die Motive der Verhandlungspartner und was die zahlreichen Bestimmungen des Vertragswerks bezwecken sollten. Auch zeigt sie, wie die Zeitgenossen darauf reagierten. Ein klar strukturiertes Werk mit Zeittafeln und zeitgenössischen Quellen.

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Seitenzahl: 385

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Susanne Brandt

Das letzte Echo des Krieges

Der Versailler Vertrag

Reclam

Für Béla und Kuddel, die über lange Zeit nur meinen Hinterkopf gesehen haben. Ich hoffe, das Ergebnis ist es wert.

 

 

2018 Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Umschlagabbildung: akg-images / TT News Agency / SVT

Gesamtherstellung: Philipp Reclam jun. Verlag GmbH, Siemensstraße 32, 71254 Ditzingen

Made in Germany 2018

RECLAM ist eine eingetragene Marke der Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart

ISBN 978-3-15-961416-8

ISBN der Buchausgabe 978-3-15-011182-6

www.reclam.de

Inhalt

Das letzte Echo des KriegesDer totale Krieg und sein EndeDie Friedenskonferenz beginntDie deutsche FriedensstrategieDie deutsche Delegation in ParisDer VertragErfüllung, Ablehnung und RevisionKritische StimmenQuellentexteFriedensbotschaft des Präsidenten Wilson ...ZeittafelLiteraturhinweiseOrtsregisterPersonenregister

Das letzte Echo des Krieges

Wie kann man nach einem langen, blutigen, mit allen Mitteln geführten Krieg zum Frieden übergehen? Der Erste Weltkrieg war durch äußerste Brutalität geprägt gewesen. Alle Ressourcen wurden in den Dienst der Kriegführung gestellt, Regierungen verschuldeten sich bei anderen Staaten und ihren Bürgern. Die Politik nahm Einfluss auf die Wirtschaft und die Gesellschaft. Das Militär übte Druck aus auf die Politik. Zivilisten und Soldaten wurden mobilisiert, um weiterzukämpfen, Opfer hinzunehmen, den Krieg zu finanzieren und vor allem: daran zu glauben, dass sie für eine gerechte Sache kämpften. Wenn die eigene Seite im Recht ist, so die einfache Logik, muss die andere Seite im Unrecht und schuldig sein. Die Propagandastäbe in allen Staaten verteufelten den Gegner und hämmerten den Lesern wie den Kinobesuchern, den Schulkindern, Fabrikarbeitern sowie den Kirchgängern ein, dass es in diesem Kampf um zentrale Werte wie Demokratie, Freiheit und Sicherheit, ja um das Fortbestehen der eigenen Nation gehe.

Außerdem hatten die Regierenden ihren Bürgern bzw. Untertanen Versprechungen gemacht für den Fall eines Sieges: Alle Opfer sollten belohnt werden, sei es durch politische Reformen oder eine bessere und geeinte Gesellschaft. Auch materielle Werte wurden in Aussicht gestellt, etwa Zinsen auf Anleihen oder zumindest finanzielle Wiedergutmachung für Witwen, Waisen und Versehrte. Den Bündnispartnern kündigte man ebenfalls Belohnungen an. FrankreichFrankreich, GroßbritannienGroßbritannien und RusslandRussland rangen 1915 beispielsweise um die Unterstützung des neutralen ItaliensItalien, das vor dem Kriegsausbruch Bündnispartner der Mittelmächte gewesen war. Sie versprachen dem italienischen Außenminister SonninoSonnino, Sidney Gebiete, die zu Österreich-UngarnÖsterreich-Ungarn gehörten. Als SonninoSonnino, Sidney nach dem Krieg in ParisParis seine Belohnung einforderte, entbrannte ein heftiger Streit, weil der amerikanische Präsident WilsonWilson, Woodrow solche geheimen Absprachen ablehnte.

Ein brutaler Krieg, hohe Opferzahlen, durch Propaganda geschürter Hass, aber auch große Versprechen, hehre Ideale und unterschiedliche Ziele: Unter diesen komplizierten Ausgangsbedingungen trafen nach mehr als vier Jahren des Kampfes Sieger und Besiegte zusammen, um zunächst im November 1918 Waffenstillstandsvereinbarungen zu unterzeichnen und später, im Jahr 1919 in ParisParis, den Friedensvertrag auszuhandeln. Doch nicht nur das Erbe des rücksichtslos geführten Krieges, auch aktuelle Ereignisse beeinflussten den Friedensprozess. Die kriegsmüden Menschen in der Heimat setzten die von ihnen gewählten Politiker unter Druck, möglichst schnell den Übergang zum Frieden zu vollziehen. Die Erwartungen waren enorm, denn Not, Hunger und Angst sollten schnell der Vergangenheit angehören. Politiker wie der britische First Lord of the Admiralty Eric GeddesGeddes, Eric versprachen im Wahlkampf im Dezember 1918 selbstbewusst, man werde die besiegten Deutschen ausquetschen wie eine Zitrone.1 Steuererhöhungen zur Bewältigung der Kriegskosten sollte es für die eigenen Bürger nach Möglichkeit nicht geben. Damit schränkte der Premierminister David Lloyd GeorgeLloyd George, David jedoch seinen Handlungsspielraum massiv ein: Viele Kompromisse waren für ihn in ParisParis nicht mehr möglich, weil er an sein Wahlversprechen gebunden war und unter dem Druck der Opposition und der Presse stand. Der amerikanische Präsident Woodrow WilsonWilson, Woodrow wiederum, mit dem die Vereinigten StaatenUSA1917 in den Krieg eingetreten waren, war beseelt von der Idee, einen Völkerbund zu schaffen, dessen Mitglieder in Zukunft Konflikte gemeinsam und möglichst friedlich lösen sollten. Die damit verbundene Unterordnung staatlicher Aufgaben unter eine internationale Organisation war jedoch für viele Politiker und Bürger ein unerträglicher Souveränitätsverlust, so dass sie WilsonsWilson, Woodrow Vision offen kritisierten oder nur halbherzig unterstützten.

Der Krieg hatte zu radikalen Veränderungen geführt, Monarchen waren gestürzt worden, Staaten untergegangen und neu entstanden. In PolenPolen, der TschechoslowakeiTschechoslowakei und in JugoslawienJugoslawien waren die Menschen begierig, endlich ihren eigenen Staat gründen zu können. Sie warteten nicht auf die Zustimmung der Friedensmacher in ParisParis, wenn sie Gebiete der Besiegten in den eigenen Staat eingliederten und Grenzen neu zogen. Folglich waren einige wichtige Weichen bereits gestellt, als die Staatsmänner im Januar 1919 zusammenkamen. Außerdem erwachte bei vielen Menschen nicht nur die Hoffnung auf Frieden, sondern auf ein gerechteres und selbstbestimmtes Leben. In ParisParis sahen sich die Politiker unversehens mit vielfältigen Wünschen nach einer besseren Welt konfrontiert.

In ParisParis begegneten sich die Vertreter verschiedener Staaten, die den Krieg unterschiedlich erlebt und abweichende Visionen für die Zukunft ihrer Länder hegten. So blieb es nicht aus, dass sich auch im Kreis der Sieger Interessenkonflikte entzündeten. Für eine offene Aushandlung der Meinungsverschiedenheiten und Kompromisse blieb oft nur wenig Zeit. WilsonWilson, Woodrow widerstrebte es, wie erwähnt, die ItalienItalien versprochenen Gebiete abzutreten. Seinem Ideal des Selbstbestimmungsrechtes der Völker entsprach es nicht, Menschen ungefragt einem anderen Staat zuzuteilen. Doch er fügte sich und konnte im Gegenzug ein Entgegenkommen der anderen erreichen, als er die Monroe-Doktrin in die Völkerbundsatzung aufnehmen wollte.

Am Ende waren es die »Großen Drei«, die die wichtigen Fragen entschieden: Woodrow WilsonWilson, Woodrow, David Lloyd GeorgeLloyd George, David und der französische Ministerpräsident Georges ClemenceauClemenceau, Georges. Drei grundverschiedene Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Zielen hatten in ParisParis eine Herkulesaufgabe zu bewältigen, unterstützt von einer großen Zahl von Diplomaten, Juristen, Sachverständigen, Sekretärinnen und Dolmetschern. Dass die drei Männer erfolgreich zusammenarbeiteten, lag nicht zuletzt daran, dass sie sich ohne Dolmetscher verständigen konnten, denn ClemenceauClemenceau, Georges hatte in seiner Jugend einige Jahre in den Vereinigten StaatenUSA verbracht, beherrschte die Sprache und schätzte das Land. Vor allem aber galt sein Streben dem Schutz FrankreichsFrankreich: Nie wieder, so sein unumstößlicher Wille, dürfe Deutschland seinen Nachbarn angreifen. Nur ein dauerhaft geschwächtes Deutschland garantiere die Sicherheit seines Landes. Der britische Premierminister hingegen wollte Deutschland dem politischen Interesse GroßbritanniensGroßbritannien entsprechend als Großmacht erhalten, wenn auch als eine deutlich geschwächte.

Und schließlich waren es grundsätzliche Entscheidungen, die die Arbeit in ParisParis prägten. In der französischen Hauptstadt kamen nur Vertreter der Siegermächte zusammen. Mit den unterlegenen Staaten wurde nicht diskutiert. Den Deutschen, ebenso wie den Vertretern ÖsterreichsÖsterreich, Ungarns und des zerfallenen Osmanischen ReichesOsmanisches Reich, wurden in jeweils getrennten Verfahren die Friedensbedingungen überreicht. Ihnen blieb eine kurze Frist zur Unterzeichnung und Ratifizierung, doch Verhandlungen fanden nicht statt, sehr zum Entsetzen der deutschen Delegation. Die Sieger wollten vermeiden, dass bei einer Verhandlung mit den besiegten Staaten der Eindruck entstand, es bestehe Spielraum für den Ausgang der Gespräche. Für die Alliierten stand jedoch fest, dass mit dem Waffenstillstand bereits über Sieg, Niederlage und Schuld entschieden worden war. Hinter diese Position konnten und wollten sie auf keinen Fall zurückfallen. »Sie haben uns um Frieden gebeten. Wir sind geneigt, ihn Ihnen zu gewähren«, entgegnete der französische Ministerpräsident ClemenceauClemenceau, Georges den deutschen Delegierten bei der Übergabe der Friedensbedingungen am 7. Mai 1919.2 Die Alliierten befürchteten auch, dass ihre Gegner in mündlichen Verhandlungen versuchen würden, die Sieger gegeneinander auszuspielen und deren ohnehin fragile Einheit zu zerschlagen. Die Quellen zeigen, dass die Deutschen genau dieses Ziel verfolgt haben. Mit Sicherheit hätten Verhandlungen mit den Gegnern sehr viel mehr Zeit in Anspruch genommen. Das wollten die alliierten Politiker, die unter dem Druck ihrer Bürger und Wähler standen, nicht auf sich nehmen.

Selbst die Siegermächte waren nicht vollzählig anwesend. Nachdem in RusslandRussland die Revolutionäre 1917 den Zaren gestürzt und in Brest-LitowskBrest-Litowsk mit den Deutschen einen Separatfrieden geschlossen hatten, entbrannte ein heftiger und verlustreicher Bürgerkrieg, der erst 1921 beendet wurde. Alliierte Verbände waren weit ins russische Gebiet vorgedrungen, ursprünglich, um russischen Truppen im Kampf gegen deutsche Einheiten zur Hilfe zu kommen. Sie blieben zum Teil bis 1921 dort und unterstützten den Kampf gegen die Bolschewiki. Politiker, Diplomaten und Journalisten konnten schwer einschätzen, was in RusslandRussland geschah; es kursierten Gerüchte über die Grausamkeit der Revolutionäre, doch keiner konnte sagen, was davon den Tatsachen entsprach. Das Ausland hatte seine Diplomaten schon im Sommer 1918 abgezogen und auch die meisten ausländischen Zeitungskorrespondenten waren bis Anfang 1919 abgereist. Die Kommunikation war überaus schwierig, Telegramme konnten Tage oder Wochen unterwegs sein, falls sie überhaupt ihren Adressaten erreichten.3 Da der Vertrag von Brest-LitowskBrest-Litowsk, mit dem das Deutsche Reich RusslandRussland seine Friedensbedingungen diktiert hatte, inzwischen annulliert war, befand sich RusslandRussland unversehens weiterhin mit den Alliierten gegen Deutschland im Krieg. Doch bis zum Ende der PariserParis Friedenskonferenz konnten sich die Politiker in ParisParis nicht darauf verständigen, wen sie anerkennen und einladen wollten. So wurde im Vertragstext lediglich vermerkt, dass RusslandRussland das Recht habe, Reparationen zu fordern.

Obwohl die Friedensmacher ein enormes Arbeitspensum bewältigten, lösten sie nicht alle Aufgaben. Schon während der Verhandlungen zeigte sich, dass es den Delegierten nicht gelingen würde, sich auf eine feste Summe der von Deutschland zu leistenden Reparationen zu einigen. Erst 1921 wurde bekannt gegeben, dass Deutschland als Wiedergutmachung 132 Milliarden Goldmark zu zahlen habe. Zahlungsverzögerungen führten 1923 zur Besetzung des RuhrgebietesRuhrgebiet. Viele Deutschen, die in den Jahren 1914–1918 weitgehend von Kampfhandlungen auf deutschem Boden verschont geblieben waren, nahmen das als Fortsetzung des Krieges wahr.

Bis heute wird der Versailler Vertrag unter vielen Gesichtspunkten heftig beanstandet. Nur vereinzelte Stimmen können ihm Gutes abgewinnen, die Kritikpunkte hingegen sind überaus zahlreich. Doch bevor wir uns der Bewertung des Vertrages zuwenden können, muss seine Vorgeschichte dargestellt werden. Die ersten Kapitel des Buches folgen im Wesentlichen der Chronologie des Geschehens, vom sich abzeichnenden Kriegsende im Herbst 1918 bis zur Ratifizierung des Vertrages. In den Kapiteln 2 bis 5 wird erläutert, wie die PariserParis Friedenskonferenz funktionierte, wer die wichtigsten Personen waren und wie Krisen abgewendet und Kompromisse erzielt werden konnten. Erörtert werden die Bedingungen, unter denen die Staatsmänner versucht haben, den Krieg zu liquidieren. Für die Sieger war der Vertrag mit Deutschland der bedeutendste, weshalb er im Zentrum des vorliegenden Bandes steht. Als er am 28. Juni 1919 unterzeichnet worden war, reisten WilsonWilson, Woodrow und Lloyd GeorgeLloyd George, David bald ab.

Bis zum Januar 1920 tagten die Delegierten weiter, dann schloss die Konferenz. Viele der beteiligten Politiker und Sachverständigen haben ihre Erinnerungen an die Verhandlungen niedergeschrieben, zahlreiche Quelleneditionen stehen zur Verfügung, um die Ereignisse und die Akteure verstehen zu können. Die Dokumente spiegeln vor allem wider, dass in ParisParis eine emotional aufgeheizte Stimmung herrschte. Unterschiedliche Erfahrungen, Ziele und Ideale trafen aufeinander, hartnäckige Vorurteile und Feindbilder beeinflussten die Diskussionen. Nicht alle Probleme und Themen, die die Sieger beschäftigten, können in diesem Band behandelt werden. Die Debatte um die Beteiligung RusslandsRussland und die Angst vor dem Bolschewismus etwa wird nur am Rande angesprochen, ebenso wie Ereignisse um die Gründungen der neuen Staaten. Im Mittelpunkt stehen der Vertrag mit Deutschland, die Ziele der Hauptsiegermächte, die Dynamik auf der Friedenskonferenz und die Diskussion im Deutschen Reich.

Kapitel 6 durchbricht die chronologische Darstellung, indem es sich dem Vertrag und der Endfassung ausgewählter Paragraphen widmet. Zwar kann nur ein kleiner Teil der insgesamt 440 Artikel behandelt werden, aber der Leser soll die Gelegenheit haben, nicht nur etwas über den Vertrag und seine Entstehungsgeschichte zu erfahren, sondern auch über die wichtigsten Artikel in der Endfassung, wie etwa die Strafverfolgung von Kriegsverbrechern oder die Internationalisierung deutscher Flüsse. Punktuell werden in diesem Kapitel auch die Umsetzung der Artikel und die Folgen behandelt. Kapitel 7 widmet sich im Anschluss den wichtigsten Etappen der Vertragserfüllung und Revision.

Wenn man sich mit der PariserParis Friedenskonferenz und dem Versailler Vertrag beschäftigt, verlangt es einiges an Disziplin, die Akteure nicht für ihr Verhalten oder für vermeintliche Fehlentscheidungen zu kritisieren. Das liegt sicher auch daran, dass die folgenden Ereignisse, das Scheitern der ersten deutschen Demokratie und der verheerende Zweite Weltkrieg auch mit zeitlichem Abstand so schmerzhaft sind, dass es schwerfällt, nicht nur nach Erklärungen, sondern auch nach Schuldigen zu suchen. Kritik kann und soll geübt werden, allerdings nicht mit der Haltung einer überlegenen Kommentatorin. In diesem Sinne werden in Kapitel 8 dem Leser noch einmal die wichtigsten Merkmale des Friedensprozesses zur kritischen Beurteilung dargelegt. Die ersten Kapitel sind soweit wie möglich frei von Urteilen, um dem Leser erst einmal die Gelegenheit zu bieten, den Verlauf der Konferenz mit der Vielzahl an konkurrierenden Interessen, Zielen und Einflüssen zu erfassen. Im 8. Kapitel soll es um Alternativen gehen, und zwar auf der Basis der damaligen Rahmenbedingungen. Ein solches Gedankenspiel ermöglicht es, die Faktoren und Motive, die für das Zustandekommen des Vertrages genannt wurden, noch einmal auf ihre Wirkmächtigkeit hin zu befragen. Das Nachdenken über Alternativen dient nicht der Kritik an den Zeitgenossen, sondern führt vor Augen, dass ein totaler Krieg nicht binnen einiger Monate in ein friedliches und respektvolles Miteinander der Staaten überführt werden kann. Vielmehr ist der Weg zu einem zwischenstaatlichen Zusammenleben in Ruhe und Sicherheit lang, mühsam und muss von vielen Akteuren beschritten werden.

Umfangreiche und aussagekräftige Quellen zur Geschichte der PariserParis Friedenskonferenz liegen als Veröffentlichungen vor oder können in Archiven bzw. online genutzt werden. Dennoch werden in dem Kapitel »Quellentexte« drei Quellen abgedruckt, die insofern von besonderer Bedeutung sind, als dass sich die Protagonisten und die Historiker immer wieder auf sie beziehen. Zum einen betrifft das die Rede von Präsident WilsonWilson, Woodrow, in der er am 8. Januar 1918 die amerikanischen Kriegsziele formulierte. Seine 14 Punkte wurden zur Grundlage des Waffenstillstandes, flossen aber auch in den Versailler Vertrag mit ein und bildeten ein wichtiges Argument für die von WilsonWilson, Woodrow enttäuschten Deutschen.

Ähnliches gilt für die nach dem amerikanischen Außenminister benannte Lansing-NoteLansing, Robert. Mit ihr erklärten die Alliierten am 5. November 1918 ihre Bereitschaft zum Friedensschluss auf der Grundlage von WilsonsWilson, Woodrow14 Punkten, mit zwei Einschränkungen. Der Wortlaut der Note, ihre Übersetzung sowie die Einschätzung, wie bindend die Vereinbarung gewesen sei, wurden in Zusammenhang mit den Reparationen und der Kriegsschuld intensiv diskutiert.

Eine dritte bedeutende Quelle ist die Rede, die der deutsche Außenminister Ulrich von Brockdorff-RantzauBrockdorff-Rantzau, Ulrich von am 7. Mai 1919 nach der Übergabe des Vertragsentwurfes hielt. Von vielen Zeitgenossen wurde die Rede als überheblich bezeichnet, zahlreiche Historiker machen den Außenminister und seine Ansprache verantwortlich für eine weitere Verschlechterung der Beziehung zwischen den Siegermächten und den Deutschen. Erst im Anschluss an die Rede und einen intensiven Notenwechsel mit den Deutschen formulierten die Sieger eine brutale Mantelnote, in der sie den Schuldspruch gegen das ganze deutsche Volk in aller Schärfe vorbrachten. Darüber hinaus veranschaulicht die Rede auf bemerkenswerte Weise die Strategie, mit der nicht nur der Außenminister auf den Vertrag reagierte.

Eine ausführliche Zeittafel bietet daran anschließend die Möglichkeit, jederzeit Daten nachzuschlagen, ohne im Text suchen zu müssen. Sie spiegelt außerdem, wie arbeitsintensiv einzelne Phasen gewesen sind, zeigt Zusammenhänge auf, wenn etwa in einer akuten Krise Zugeständnisse gemacht worden sind, und verschafft einen Überblick, zum Beispiel über die Etappen der Reparationszahlungen.

Meine Absicht ist es, in diesem Buch darzulegen, mit welch schwerem Gepäck die ehemaligen Gegner von den Schlachtfeldern zu den Friedensverhandlungen kamen. In ParisParis traten die unterschiedlichen Hoffnungen und Visionen ebenso zutage wie die vielfältigen Erfahrungen eines brutalen und verlustreichen Krieges. Die Emotionen und Feindbilder wirkten fort. Das Scheitern der Friedensbemühungen 1919 ist in erster Linie dem Charakter des Krieges anzulasten, der die Konfliktparteien schwer belastet hat. Am 26. Juni 1919 schrieb der südafrikanischeSüdafrika Delegierte Jan Christiaan SmutsSmuts, Jan Christiaan dem Herausgeber des Manchester Guardian, Charles Prestwich ScottScott, Charles Prestwich:

»Dieser Vertrag ist nicht der Frieden, er ist einfach das letzte Echo des Krieges. Er beendet die Phase des Krieges und des Waffenstillstandes. Der richtige Frieden muss erst noch kommen, und er muss von den Völkern gemacht werden.«4

Der totale Krieg und sein Ende

Von Beginn an entwickelte der Erste Weltkrieg, der bereits von Zeitgenossen als Weltenbrand bezeichnet wurde und bis heute in GroßbritannienGroßbritannien »Great War« und FrankreichFrankreich »Grande Guerre« heißt, einen alles verschlingenden Sog. War er zunächst noch lokal begrenzt, zog er immer mehr Staaten ins Schlachtgetümmel. Deren Motive für den Kriegseintritt waren ebenso vielfältig wie die von den Konfliktparteien verfolgten Ziele. Der Waffengang war kostspielig, brutal, weitreichend und offenbar für jede Seite gerechtfertigt. Ein kurzer Blick auf wesentliche Merkmale und Ereignisse des Konfliktes soll vor Augen führen, wie groß die Hypothek war, die auf den Menschen lastete, die 1919 in ParisParis den Krieg beenden wollten.

Der Krieg hatte schätzungsweise aufseiten der Alliierten 5 647 600 und aufseiten der Mittelmächte 4 410 000 Menschleben gefordert; verwundet wurden bei den Alliierten nahezu 12 000 000 Soldaten, bei den Mittelmächten 8 288 000. Annähernd jeweils 600 000 zivile Opfer hatten FrankreichFrankreich und GroßbritannienGroßbritannien zu beklagen, ItalienItalien und das Deutsche Reich jeweils 700 000, SerbienSerbien, BulgarienBulgarien und RumänienRumänien jeweils 300 000, BelgienBelgien50 000, Österreich-UngarnÖsterreich-Ungarn400 000 und das Osmanische ReichOsmanisches Reich ganze 2 000 000 (ohne die Opfer des Völkermords an den Armeniern gerechnet).5 Nicht nur der Verlust an Menschen, sowohl Soldaten als auch zivilen Arbeitskräften, belastete die Volkswirtschaften, auch für die Unterstützung von Versehrten und Hinterbliebenen musste gesorgt werden. Von den drei Millionen französischen Kriegsverletzten blieben ein Drittel Invaliden.

Schäden richteten die Gefechte zum Beispiel in den zehn französischen Departements an, die unmittelbar in die Kampfhandlung hineingezogen wurden: 4,2 Millionen Hektar Land waren dauerhaft oder zeitweilig besetzt, Ernten wurden vernichtet, der Boden zum Teil durch Giftgas und Munition auf Jahrzehnte verseucht, Wälder vernichtet, Vieh getötet. 480 000 Häuser wurden ganz oder teilweise zerstört, aber auch 2000 Brücken, die Kohlegruben in NordfrankreichFrankreich, 70 Hochofenbetriebe, 300 Eisen- und Stahlgießereien, 3600 Kleinbetriebe fielen dem Krieg zum Opfer. In BelgienBelgien traf es 70 000 Häuser, 2600 Kilometer Eisenbahnschienen, 7000 Kilometer Straßen, 2500 Lokomotiven und über 120 000 Eisenbahnwagons wurden zerstört.6

Ebenfalls kostspielig war die Waffenproduktion, denn täglich wurden Flugzeuge, Schiffe, Artillerie, Gewehre vernichtet und mussten ersetzt werden. Die gesamte Wirtschaft wurde umgestellt auf die Anforderungen des Krieges, statt Konsumgütern wurden Waffen hergestellt. Es ist eine Herausforderung, einigermaßen verlässliche Zahlen für den Verlust an Waffen und Kriegsgeräten zu nennen, ein paar Angaben sollen einen Eindruck vermitteln: In Deutschland wurden in den Kriegsjahren über 10 Millionen Gewehre und Pistolen produziert. Nach eigenen Berechnungen ›verbrauchten‹ die Deutschen 26 000 Flugzeuge. Die Entente verlor über 380 Kriegsschiffe, die Mittelmächte 500.7

Die deutschen Kriegskosten betrugen 1918 täglich 180 Millionen, die britischen sieben Millionen Pfund Sterling.8 Schon bald waren FrankreichFrankreich, BelgienBelgien, GroßbritannienGroßbritannien bis an die Grenzen des finanziell Machbaren gegangen, oder darüber hinaus: Sie hatten sich bei den USAUSA verschuldet, schon bevor diese offiziell im April 1917 aufseiten der Entente in den Krieg eintraten. Die enormen Kosten der Kriegführung wurden auch durch Anleihen im eigenen Land aufgebracht. Die Bürger leisteten jedoch noch weitere Beiträge: Sie spendeten Gold und erhielten im Tausch Schmuck oder Münzen aus Eisen. Bei als »Nagelungen« bezeichneten Propagandaveranstaltungen, die der Wehrhaftmachung der Nation dienen sollten, erwarben die Bürger (unter ihnen auch zahlreiche Schüler) Nägel aus Gold, Silber oder Eisen, die sie in eine hölzerne Figur schlugen und so einen metallenen Schutzpanzer schufen. Die Einnahmen flossen in die Kriegskasse, und einige der vor mehr als 100 Jahren genagelten Ritter, U-Boote, Löwen oder Schilde sind bis heute erhalten. Frauenhaar wurde ebenso gesammelt wie Eicheln oder sogar Kartoffelschalen. Als der Mangel immer weiter um sich griff, gab es kaum ein Gut, das nicht als Ersatz für einen wertvollen Rohstoff eingesetzt werden konnte. Gleichwohl schossen die Schulden in die Höhe, und nur ein Sieg versprach die Möglichkeit, die Kredite zu tilgen und die Anleihen verzinst zurückzuzahlen. Wenn die Besiegten zur Kasse gebeten würden, hofften alle Kriegführenden, könnten die Bürger im eigenen Land für die vielfältig erbrachten Opfer entlohnt werden. An Steuererhöhungen, um die Bürger nach dem Friedensschluss an den Kosten für die Bewältigung der Kriegsfolgen zu beteiligen, dachte kein Politiker, der an der Macht bleiben wollte.

Als sich die Sieger im Januar 1919 in ParisParis trafen, erwies sich rasch, wie schwer es war, die Schäden zu beziffern. Die Delegierten diskutierten zunächst, was überhaupt als Schaden anzuerkennen sei: Galten auch die Pensionen für Versehrte und Hinterbliebene als Kriegsverlust? Zählten dazu auch die Gewinne, die ohne Krieg hätten erzielt werden können? Dass es sich um eine exorbitante Summe handeln müsse, war den meisten Delegierten in ParisParis bewusst. Daher wurde im Friedensvertrag, der am 28. Juni 1919 unterzeichnet wurde, auch kein exakter Betrag genannt. Die Aufgabe, ihn zu ermitteln, übernahm die Interalliierte Reparationskommission, deren Schadensbericht die Reparationssumme bestimmte, die Deutschland im April 1921 genannt wurde.

Der Krieg war brutal, denn im Verlauf von 52 Monaten wurden die Waffen fortwährend weiterentwickelt: Flugzeuge, Panzer, Maschinengewehre, Gas, U-Boote und weitreichende Artillerie brachten Verluste bislang ungekannten Ausmaßes. Die Soldaten mussten ertragen, jeden Augenblick in Todesgefahr zu sein, oft sahen sie ihren Gegner dabei nicht einmal. Die Artillerie feuerte aus weit entfernten Kanonen, aus Flugzeugen fielen Bomben oder Fliegerpfeile, und es wurden Fotos gemacht, die dem Gegner wertvolle Informationen für den kommenden Angriff lieferten. Die Entwicklung von Giftgas spiegelt wider, wie sehr die Kriegführenden darauf aus waren, den Stellungskrieg aufzubrechen und die Gegner zu überwinden. Ohne nennenswerte Bedenken verätzte man mit Gas Soldaten wie Tieren die Atemwege und schädigte die Haut. Diejenigen, die einen Giftgasangriff überlebten, starben möglicherweise nach dem Krieg an den Spätfolgen, aber wie konnte nach Jahren eine Todesursache eindeutig ermittelt werden?

Besonders der U-Boot-Krieg macht deutlich, in welchem Maße neue Waffen entwickelt und nicht nur gegen Kombattanten eingesetzt wurden. Im Februar 1917 begann der uneingeschränkte U-Boot-Krieg. Der deutsche Admiralstab ließ nun auch zivile Passagier- und Handelsschiffe angreifen und argumentierte, dass mit jedem Schiff Soldaten und kriegswichtige Güter transportiert werden könnten. Davon versprach sich der Admiralstab Ende 1916, nach den katastrophalen Schlachten vor VerdunVerdun und an der SommeSomme, die Wende: Innerhalb von fünf Monaten könne GroßbritannienGroßbritannien vor den deutschen U-Booten kapitulieren. Auch in dieser Hinsicht gingen die Militärs ein hohes Risiko ein, denn es bestand die Möglichkeit, dass die Vereinigten StaatenUSA aufgrund dieser Völkerrechtsverletzung in den Krieg gegen Deutschland eintreten würden.

Die Deutschen pokerten hoch und verloren: Die USAUSA traten tatsächlich im April 1917 in den Krieg ein, und die Briten ergaben sich nicht. Vielmehr führten neue Ortungsgeräte, dichte Minensperren unter Wasser, ein Geleitsystem zum Schutz von Passagier- und Frachtschiffen sowie die Fähigkeit, die deutschen Funksignale zu entziffern, dazu, dass sich die durch die U-Boote verursachte Zerstörung nach anfänglichen Erfolgen verringerte. Nicht zuletzt, weil Briten und Amerikaner durch die Massenproduktion von Handelsschiffen den Tonnageverlust ausgleichen konnten, wandte sich der Unterseekrieg letztendlich gegen die Deutschen. Am Ende hatten deutsche U-Boote zwar 5554 alliierte und neutrale Handelsschiffe versenkt, der Sieg über GroßbritannienGroßbritannien blieb aber aus.9 Vereinbarungen über Gesetze und Gebräuche der Landkriegführung, wie sie 1899 und 1907 in Den HaagDen Haag unterzeichnet worden waren, dämmten die Entwicklung der Waffen nicht ein. Im Gegenteil, das Völkerrecht hinkte hinter den Entwicklungen hinterher. Zugleich wurde in der Berichterstattung bzw. Propaganda immer wieder beteuert, dass man sich beim Einsatz dieser Waffe auf dem Boden des Völkerrechts befinde.

Der Krieg war weitreichend: Bomben auf LondonLondon, ParisParis oder SaarbrückenSaarbrücken verwickelten die Zivilisten unmittelbar in die Kampfhandlungen. Um die Stadt vor Fliegerangriffen zu schützen, wurden in ParisParis die Straßenlaternen mit blauen Glühbirnen ausgestattet. Schaufenster wurden mit Klebeband verstärkt, damit sie dem Geschützdonner standhielten, und für die Bewohner galt ab 21 Uhr eine Ausgangssperre. Auch in den besetzten Gebieten waren die Menschen vielfältigen Gefahren ausgesetzt. Viele flohen oder wurden evakuiert, verletzt oder getötet, verloren Hab und Gut. Und die Menschen hungerten: in Deutschland aufgrund der Seeblockade seit Kriegsbeginn, in FrankreichFrankreich und BelgienBelgien wegen der Besatzer, die sich von Erzeugnissen des Landes ernährten, ohne sich für die Versorgung der dortigen Zivilbevölkerung verantwortlich zu fühlen. In Deutschland stand jeder Person 1918 im Durchschnitt eine Tagesration von knapp 1000 Kalorien zur Verfügung.10 Die Qualität der Lebensmittel wurde immer schlechter, nicht selten wurde Brot mit Holzspänen gestreckt. Zur Kriegserfahrung der Menschen in den von Deutschland besetzten Gebieten gehörte auch, dass Zwangsarbeiter aus PolenPolen und BelgienBelgien in deutschen Industriebetrieben oder der Landwirtschaft eingesetzt wurden.11

Die Welt wurde zum Spielfeld der Europäer, und sie zogen die Menschen anderer Kontinente in diesen globalen Prozess hinein. Das im Vergleich zu Deutschland bevölkerungsärmere FrankreichFrankreich rekrutierte in den Kriegsjahren 485 000 Soldaten aus seinen überseeischen Kolonien. Deutschland wurde zwar durch die Seeblockade daran gehindert, aus den Kolonien Kämpfer einzuziehen und nach Europa zu holen. Doch in den Kämpfen in Afrika setzten sie gnadenlos Zehntausende indigener Arbeiter, Träger und Soldaten ein. AustralienAustralien entsandte, um das britische Mutterland zu unterstützen, 331 000 Freiwillige an die Kriegsschauplätze des Nahen OstensNaher Osten und Westeuropas – 60 000 von ihnen kamen um, 166 000 wurden verwundet. Das ist eine Verlustrate von 68 Prozent. 18 000 der etwas mehr als 100 000 Soldaten, die NeuseelandNeuseeland für das Mutterland in den Kampf schickte, starben ebenfalls, unter ihnen viele Maori, die trotz ihrer Leistungen vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt waren. Von den 600 000 kanadischen Soldaten fielen 60 000. Indien unterstützte GroßbritannienGroßbritannien nicht nur mit 1,5Millionen Soldaten (von denen mehr als 60 000 umkamen), die Kolonialbehörden erzwangen auch Geldsummen in Millionenhöhe, mit denen sich die Kronkolonie an der Kriegführung beteiligen musste.12

Der Krieg führte in den Staaten zu tiefgreifenden Veränderungen. Schnell zeigte sich, dass staatliches Eingreifen erforderlich war, um Lebensmittel gerecht zu verteilen und Höchstpreise festzulegen. Im Verlauf des Konfliktes wurden Verwaltungen geschaffen, die in den Wirtschaftsprozess eingriffen, die Politik führte die Arbeitspflicht für Männer ein, gab Produktionsziele vor und lenkte Rohstoffe. In vielen Bereichen ersetzten Frauen die Männer in den Fabriken, aber auch als Postbotin oder Straßenbahnschaffnerin. Viele Frauen sahen sich einer kräftezehrenden Doppelbelastung ausgesetzt. Sie arbeiteten, versorgten die Familie und ängstigten sich um die Männer an der Front.

Die Furcht vor Spionen und unzufriedenen Bürgern war in jedem Land groß. Politiker wie Militärs überwachten ihre Bürger. Das war zwar kein alleiniger Effekt des Krieges, denn schon im Kaiserreich misstraute man den Sozialdemokraten und ihren möglichen Umsturzplänen. Aber die Kontrolle nahm neue und weitreichende Formen an. Auch die Post wurde kontrolliert, und selbst wenn nicht jeder Brief gelesen werden konnte, veranlasste schon das Wissen um Kontrolleure die Menschen dazu, genau zu überlegen, was sie ihren Angehörigen an die Front und in der Heimat mitteilten. Die Polizei berichtete über Gerüchte und hörte gut zu, wenn Frauen, die in Schlangen vor Geschäften standen, sich unterhielten: Beschuldigten sie die Politiker, nicht mehr Herr der Lage zu sein?

Die Zensurbestimmungen legten außerdem fest, was die Journalisten berichten durften. Militärische Geheimnisse sollten den Gegnern nicht in die Hände fallen, weshalb in Berichten von den Frontabschnitten keine Angaben gemacht wurden, die dem Gegner Informationen über bevorstehende Angriffe liefern könnten. Auch Bilder von Gefallenen der eigenen Armee waren in der Regel tabu. Diesbezüglich waren es allerdings eher die Leser in der Heimat, vor deren Meinungsumschwung sich Politiker und Militärs fürchteten. Sie waren überzeugt, dass sich die Bevölkerung bei zu viel ungeschminkter Information gegen den Krieg wenden könnte. Schon zu Kriegsbeginn hatte Präsident PoincaréPoincaré, Raymond in FrankreichFrankreich ebenso wie Kaiser Wilhelm II.Wilhelm II. in Deutschland die Bürger zur Einigkeit aufgefordert. »Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!«, verkündete Letzterer. In den kommenden Kriegsjahren hielt sich das Ideal einer harmonischen Gesellschaft ohne Interessengegensätze und Meinungsverschiedenheiten. Positive Beeinflussung, Verteufelung der Feinde und Zensur waren die Waffen im Kampf für eine geeinte Nation. Unter der Oberfläche schwelten Konflikte und politische Gegensätze freilich weiter, die nach Kriegsende erneut hervortraten.

Die Kämpfe fanden nicht nur an der Front statt: Es war das erklärte Ziel der Kriegführenden, die gegnerischen Zivilisten zu zermürben, damit sie ihre Politiker zu Waffenstillstandsverhandlungen drängten. Auch das Anheizen von Revolten folgte dieser Logik: Aufstände im eigenen Land schwächten den Gegner, und die Kräfte, die er zur Kontrolle von inneren Konflikten einsetzen musste, fehlten an der Front. Aus diesem Grund betrauten die Briten den Archäologen und Schriftsteller Thomas Edward LawrenceLawrence, Thomas Edward, bekannt als »Lawrence von Arabien«, damit, einen Aufstand der Araber gegen die Osmanen anzufachen. Die deutsche Oberste Heeresleitung (OHL) wiederum ermöglichte es dem russischen Politiker Wladimir Iljitsch LeninLenin, Wladimir Iljitsch, zu Beginn der Oktoberrevolution im Jahr 1917 in einem versiegelten Eisenbahnwaggon aus dem Exil nach RusslandRussland zu reisen. Die Revolutionäre, so das Kalkül der OHL, würden nach einem Sturz des Zaren aus dem Krieg aussteigen. Dann wäre es Deutschland möglich, die durch den Friedensschluss mit RusslandRussland frei werdenden Truppen an die Westfront zu verlegen, um dort endlich den Sieg zu erringen.

Den Krieg empfand jede Seite als gerecht: Schon im Juli 1914, nach der Ermordung des österreichischenÖsterreich Thronfolgers Franz FerdinandFranz Ferdinand in SarajevoSarajevo, erwies sich die Frage von Recht und Unrecht als zentral. Zum einen forderten die Bündnisverpflichtungen einen gerechten (Verteidigungs-)Grund für die Unterstützung der Partner. Die Frage von Recht und Unrecht war andererseits auch für die Soldaten, ebenso wie die Zivilisten, von Bedeutung, da sie einen belastbaren Grund brauchten, um in den Krieg zu ziehen. So ist es zu erklären, dass jedes Land für sich beanspruchte, einen Verteidigungskrieg zu führen, wenn auch aus heutiger Sicht mit unterschiedlich überzeugenden Argumenten und selbstverständlich gezielt von den Propagandastellen angefeuert. Nicht nur während der ersten Wochen mussten Bürger und Soldaten von der Rechtmäßigkeit der eigenen nationalen Position überzeugt werden. Auch im Verlauf des Krieges wurden die Bürger und sogar die Kinder immer weiter von der Propaganda traktiert. Der Gegner wurde als brutale Bestie, die eigene Sache als gerecht, der Sieg als sicher und notwendig dargestellt. Presseberichte und Filme schürten gezielt die Angst vor dem Gegner, der folglich unterworfen werden musste. So ist zu erklären, warum es nach dem Kriegsende schwierig war, auch mental zum Frieden zurückzufinden: Weit verbreitete und tief verwurzelte Feindbilder sowie die unermüdlich wiederholte Forderung, bis zum Sieg weiterzukämpfen, wirkten fort und belasteten den Friedensprozess. Die Diskussion um die Schuld am Krieg flammte in ParisParis wieder auf. Für die Deutschen bestand womöglich der gravierendste Schock darin, dass der Versailler Vertrag ihnen die alleinige Schuld am Ausbruch des Krieges zuwies. GroßbritannienGroßbritannien und FrankreichFrankreich wiederum war es unmöglich, die Verletzung der belgischen Neutralität nicht als Beleg deutscher Aggression zu deuten.

Ob ein totaler Krieg überhaupt mit einem Verständigungsfrieden beendet werden kann, darf bezweifelt werden. Hätten die Kriegführenden zu irgendeinem Zeitpunkt noch die Möglichkeit gehabt, zum Vorkriegszustand zurückzukehren? Schon sehr früh, bereits im August bzw. September 1914, war der Weg zur Verständigung blockiert. An der MarneMarne war der deutsche Vormarsch aufgehalten worden, so dass der Schlieffen-Plan gescheitert war. In BelgienBelgien hatte die deutsche Armee, angeblich, weil sie von sogenannten Freischärlern angegriffen worden war, ein Strafgericht verhängt, das sich nicht zuletzt in der Zerstörung von Kulturgut äußerte. Beispielsweise wurde die Bibliothek in der belgischen Stadt LöwenLöwenOpfer eines bewusst gelegten Feuers der Deutschen; in den Flammen verbrannten wertvolle Handschriften aus dem Mittelalter, die zum Kulturgut, zur Geschichte, zur Identität der Belgier gehörten. Für FrankreichFrankreich spielte die Zerstörung der Kathedrale von ReimsReims eine ähnliche Rolle.

Im Oktober 1914 verfassten namhafte deutsche Wissenschaftler und Schriftsteller das sogenannte Manifest der 93. Sie verwahrten sich gegen die Vorwürfe, Deutschland habe den Krieg verursacht und missachte in den Kampfhandlungen gezielt die Regeln des Völkerrechts. Das Manifest An die Kulturwelt richtete sich ursprünglich an die neutralen Staaten und wurde dort sehr kühl aufgenommen. Bei Deutschlands Gegnern wurde es heiß diskutiert, aber vornehmlich als weiterer Beleg ihrer Arroganz gewertet. Schon dieser frühe, öffentlich ausgetragene Zwist führte den Bürgern sehr klar vor Augen, um wie viel es in diesem Weltenbrand ging: um den Kampf der Kultur (Mittelmächte) gegen die Zivilisation (Entente). Im Weltkrieg traten aber auch gegensätzliche politische Systeme gegeneinander an, nämlich demokratische gegen autoritär regierte Staaten. Rasch entwickelte sich der Krieg, befeuert durch die Propaganda, zu einem Wettstreit der politischen Systeme und Ideologien.

Schon bald traten die Kriegsziele hervor. Für GroßbritannienGroßbritannien war die Verletzung der belgischen Neutralität der Grund für den Kriegseintritt gewesen. Die Wiederherstellung BelgiensBelgien, also auch das Ende der deutschen Besatzung, wurde zu einem zentralen britischen Ziel. Ähnliches galt für FrankreichFrankreich: Gelänge es nicht, die deutsche Besatzungsmacht zu vertreiben, würde das Land auf den Rang einer unbedeutenden Macht herabsinken. Zu den französischen Plänen gehörte zudem die Rückgewinnung der 1871 nach dem deutsch-französischen Krieg abgetretenen Gebiete Elsass und LothringenElsass-Lothringen. Auch die Sicherheit vor dem als aggressiv empfundenen Nachbarn musste garantiert sein, bevor FrankreichFrankreich Frieden schließen konnte. Erreicht werden konnte das zum Beispiel mit einer entmilitarisierten Zone oder einem besetzten Gebiet entlang der gemeinsamen Grenze. Pläne, die darauf hinausliefen, Deutschland aufzuteilen, waren in FrankreichFrankreich zumindest im Gespräch.13 Im Verlauf des Krieges konkretisierten sich schließlich die Pläne FrankreichsFrankreich, EnglandsGroßbritannien und später ItaliensItalien, das Osmanische ReichOsmanisches Reich zu zerschlagen sowie dessen arabische Territorien unter sich aufzuteilen. Im Mai 1916 schlossen sie das Sykes-Picot-Abkommen, das den Westmächten dauerhaft eine indirekte Herrschaft im Nahen OstenNaher Osten sichern sollte.

Bald nach Kriegsbeginn kam es in Deutschland zu einer öffentlich geführten Debatte um die Kriegsziele. Weitreichende Landgewinne im Westen und Osten wurden gefordert, nämlich die dauerhafte Besetzung BelgiensBelgien, die Erzgebiete von Longwy-BrieyLongwy-Briey und Siedlungsland für die Landwirtschaft im Osten. An der Verbreitung dieser Wünsche beteiligten sich der nationalistische Alldeutsche Verband, aber auch der Industrielle August ThyssenThyssen, August und der Zentrumspolitiker Matthias ErzbergerErzberger, Matthias. Kein Wunder, dass die Siegermächte Letzerem, der sich im Verlauf des Krieges von seinen Ansichten distanzierte und einen Verständigungsfrieden anstrebte, mit Herablassung entgegentraten, als ErzbergerErzberger, Matthias im November 1918 in CompiègneCompiègne den Waffenstillstand für Deutschland unterzeichnete.

Deutschland war in der Julikrise 1914 ein hohes Risiko eingegangen, weil dort seit langem die feste Überzeugung herrschte, dass das Reich von Feinden eingekreist sei und einen Zweifrontenkrieg führen werde. Politiker und einflussreiche Militärs waren sicher, dass die Zeit gegen Deutschland laufe, noch aber sei RusslandRussland zu besiegen. Und auch die Furcht vor den demokratischen Kräften und einem Umsturz war groß. Nur ein überwältigender deutscher Sieg, der massive Eroberungen, Bodenschätze und Reparationen bringen werde, könne die Bürger (vor allem die gefürchteten Sozialdemokraten) von Reformplänen abbringen. Konservative Politiker waren zuversichtlich, dass materielle Werte die Bürger von der Attraktivität der Monarchie überzeugen würden. Geld sei anziehender als politische Teilhabe, mutmaßten diejenigen, die Revolution und Demokratie fürchteten. Im Frühjahr 1915 forderten Wirtschaftsverbände in einer Denkschrift die oben beschriebenen Landzuwächse. Alles andere, also auch ein Verständigungsfrieden, der den Zustand von vor 1914wiederherstellen würde, führte nach Ansicht der Militärs und der monarchistischen Kreise zum Aufstand der unzufriedenen und enttäuschten Bürger. Der Wunsch, die eigene Macht zu bewahren, war einer der Gründe, der antidemokratische Kreise in Deutschland das Risiko eines Weltkrieges hatte annehmen lassen. Für sie war der Schritt in den Krieg von der Absicht geleitet gewesen, die eigene Macht zu sichern, und so gab es keine Alternative zum Sieg.

Als 1916 die 3. Oberste Heeresleitung unter LudendorffLudendorff, Erich und HindenburgHindenburg, Paul von noch mehr Macht an sich riss, schwanden auch die Chancen auf einen Verständigungsfrieden weiter. Zwar hielten die Generäle ihren Bündnispartner Österreich-UngarnÖsterreich-Ungarn für schwach, und sie schätzen auch die Ressourcen der Alliierten größer als die eigenen ein. Ihnen war bewusst, dass die Blockade der Alliierten Deutschland wirtschaftlich schwächte und die Lebensmittelversorgung erschwerte. Doch mit der Risikobereitschaft derjenigen, die alles zu verlieren hatten, führten sie den Krieg weiter und begannen im Februar 1917 den uneingeschränkten U-Boot-Krieg. Mit dieser Waffe hofften die Deutschen, GroßbritannienGroßbritannien zum Einlenken zu zwingen. Das Risiko, dass der U-Boot-Krieg, der sich auch gegen neutrale und zivile Schiffe richtete, die USAUSA aufseiten der Alliierten in den Krieg ziehen könne, schreckte die deutsche Führung nicht. Alle Friedensinitiativen, die im Krieg von Deutschland ausgingen, zielten darauf ab, die Alliierten zu trennen, also mit einem Gegner Frieden zu schließen, um die verbleibenden Mächte besiegen zu können. Doch die Alliierten ließen sich nicht gegeneinander ausspielen. Weder nahmen sie 1917/18 an den Verhandlungen von Brest-LitowskBrest-Litowsk teil, die für RusslandRussland harte Friedenbedingungen brachten, noch ließen sie sich von dem Angebot des deutschen Kanzlers Bethmann HollwegBethmann Hollweg, Theobald von im Dezember 1916 oder von der Initiative des Papstes Benedikt XV.Benedikt XV. im August 1917 überzeugen. Und auch die Entente ließ sich nicht spalten: Österreich-UngarnÖsterreich-Ungarn blieb fest an der Seite Deutschlands. Außenminister CzerninCzernin, Ottokar verschloss sich jeder Initiative eines Separatfriedens.

Dass es vor dem Herbst 1918, als Deutschland nach einer schweren Niederlage Waffenstillstandsverhandlungen erbat, nicht zu erfolgreichen Friedensverhandlungen kam, hatte noch weitere Ursachen: Krieg galt als legitimes Mittel der Politik. Erste Erfolge, den Krieg durch internationales Recht einzuhegen, hatte die Internationale Friedenskonferenz in Den HaagDen Haag gebracht. Die seit 1907 geltende Haager Landkriegsordnung, die unter anderem den Einsatz von Gas und Plünderungen verbot und Zivilisten schützte, hatten die meisten kriegführenden Länder unterzeichnet, so FrankreichFrankreich, GroßbritannienGroßbritannien, Deutschland, RusslandRussland, Österreich-UngarnÖsterreich-Ungarn und die Vereinigten StaatenUSA. Internationale Organisationen, die der Sicherheit ihrer Mitgliedsstaaten dienten und Konflikte einvernehmlich zu lösen versuchten, waren noch eine Vision. Der amerikanische Präsident WilsonWilson, Woodrow setzte seine Hoffnung in einen solchen Friedens- oder Völkerbund. Doch vor 1914, im Krieg und auch danach agierten die Staaten im eigenen nationalen Interesse, in Konkurrenz zueinander, in Sorge um die eigene Zukunft, geplagt von Untergangs- und Bedrohungsängsten.

Hätten die USAUSA vor dem Kriegseintritt im April 1917 als Vermittler einen Verständigungsfrieden erreichen können? Schon seit Kriegsbeginn hatten die Vereinigten StaatenUSA Frankeich und GroßbritannienGroßbritannien finanziell massiv unterstützt. Vor dem April 1917 hoffte Präsident WilsonWilson, Woodrow, dass ein Verständigungsfrieden erreicht werden könne und die Chance für einen Völkerbund in sich trug.14 Nach dem Kriegseintritt der USAUSA änderte WilsonWilson, Woodrow seine Meinung jedoch und betonte, Deutschlands Macht müsse massiv beschränkt werden.15 Nun gab es also keine Macht mehr, die neutral und stark genug war, um als von beiden Seiten akzeptierter Vermittler aufzutreten. Woodrow WilsonWilson, Woodrow, der Geheimabsprachen und Diplomatie im Verborgenen zutiefst verabscheute, hielt die Demokratie in den USAUSA für einzigartig. Sein Land stütze sich auf die Vielfalt seiner Bürger, biete Chancengleichheit, trage keinerlei Verantwortung am Kriegsausbruch und verfolge keine Gebietsansprüche. Daher könnten die Vereinigten StaatenUSA eine Friedensmission betreiben, glaubte WilsonWilson, Woodrow.16 Er fürchtete allerdings, dass im Falle des Sieges einer Kriegspartei der Rüstungswettlauf weitergehe und ein neuer Krieg nur eine Frage der Zeit sei.

Das Ende des Krieges rückt näher

Der Erste Weltkrieg hatte mit einer folgenschweren Fehleinschätzung begonnen: Deutschlands Schlieffen-Plan sah vor, einen riskanten Zweifrontenkrieg zu führen, zunächst gegen FrankreichFrankreich und nach dem schnell erfolgten Sieg gegen RusslandRussland. Generalstabschef SchlieffenSchlieffen, Alfred von und sein Nachfolger MoltkeMoltke, Helmuth Johannes Ludwig von waren überzeugt, dass RusslandRussland sechs Wochen zur Mobilmachung benötige. Daher planten die Militärs, zunächst FrankreichFrankreich zu schlagen und danach die frei werdenden Truppen gegen RusslandRussland ins Feld zu führen. Doch der Plan scheiterte schon in den ersten Kriegswochen. Den deutschen Verbänden gelang kein schneller Vorstoß auf ParisParis, stattdessen gruben sich beide Seiten nach der Schlacht an der MarneMarne im September 1914 ein. Im Westen begann auf einer Strecke von rund 1000 Kilometern ein opferreicher und zermürbender Stellungskrieg auf belgischem sowie französischem Boden und im ElsassElsass. Alle militärischen Initiativen in den kommenden vier Jahren zielten darauf ab, den Stellungskrieg aufzubrechen. Nur aus der Bewegung, davon waren alle überzeugt, könne ein kriegsentscheidender Sieg hervorgehen.

Mit dem Kriegseintritt der USAUSA im April 1917 trat ein starker Partner an die Seite der Entente. Auch wenn die USAUSA schon in den Jahren zuvor mit Krediten FrankreichFrankreich und GroßbritannienGroßbritannien unterstützt hatten, bedeutete ihr Kriegseintritt einen massiven Schub für die Alliierten. Zusätzliche Waffen und vor allem frische Soldaten konnten nun gegen die Mittelmächte eingesetzt werden. Doch es sollten noch einige Monate vergehen, bevor die Waffen und Soldaten aus den USAUSA auf den europäischen Kriegsschauplätzen landeten. Aber der Zeitfaktor wirkte sich seit April 1917 immer stärker zuungunsten Deutschlands aus, was den meisten Militärs bewusst war. Zwar standen im Oktober 1917 nur rund 80 000 amerikanische Soldaten in FrankreichFrankreich, die sich alle noch in der Ausbildung befanden. Aber ein Jahr später, im November 1918, war ihre Zahl auf 1,87 Millionen Mann angewachsen.

Ein zweites wichtiges Ereignis im Jahr 1917 schien das Kriegsende für die Mittelmächte in greifbare Nähe zu rücken: Nach der russischen Revolution und dem Sturz des Zaren unterzeichneten die Revolutionäre im Dezember 1917 einen Waffenstillstand mit Deutschland. Es waren überaus harte Bedingungen, die die Deutschen den Russen später im Vertrag von Brest-LitowskBrest-Litowsk auferlegten. Nach dem Ausscheiden des Gegners plante die deutsche OHL, die nun an der Ostfront frei werdenden Truppen an die Westfront zu verlegen und dort die Kriegsentscheidung herbeizuführen. 1917 kapitulierte auch RumänienRumänien, woraufhin deutsche und österreichischeÖsterreich Truppen im Oktober 1917 bei CaporettoCaporettoItalienItalien eine schwere Niederlage beibrachten. Diese Situation bestärkte die Hoffnung der Militärs auf ein siegreiches Kriegsende. Die groß angelegte Michael-Offensive im März 1918 brachte zwar einen Vorstoß von 60 Kilometern, doch der Nachschub blieb an vielen Stellen im zerstörten Land stecken. Der Geländegewinn konnte nicht genutzt werden, und im April 1918 stellte LudendorffLudendorff, Erich die verlustreiche Schlacht ein. In zwei Wochen stiegen die deutschen Verluste auf 230 000 Mann, so hoch waren sie in keinem anderen Zeitraum gewesen.

So motiviert, wie die deutschen Soldaten in die Michael-Offensive gezogen waren, in der Hoffnung, die letzte, kriegsentscheidende Schlacht stehe bevor, so rapide sank ihr Kampfwille in den folgenden Monaten. Die Zahl an Selbstverstümmelungen stieg an, der deutsche Militärhistoriker Wilhelm DeistDeist, Wilhelm spricht von einem verdeckten Militärstreik.17 Am 8. August 1918 begannen Alliierte Verbände bei AmiensAmiens einen Gegenangriff und läuteten die letzte Schlacht des Weltkrieges an der Westfront ein. Französische, britische, kanadische und australische Soldaten brachen durch die Frontlinien und trieben die Deutschen vor sich her. General LudendorffLudendorff, Erich sprach von einem »schwarzen Tag« für das deutsche Heer, doch noch verheimlichte er die katastrophale militärische Lage bei der Sitzung des Kronrats am 14. August. Erst Ende September gestand er ein, dass der Krieg verloren sei. Oberst Albrecht von ThaerThaer, Albrecht von, während des Krieges an der Westfront eingesetzt und im April 1918 zur OHL versetzt, schilderte in seinem Tagebuch die Situation. Die Strategie der Obersten Heeresleitung, die Schuld von sich abzuwälzen, tritt darin offen zutage:

»Er [LudendorffLudendorff, Erich, S. B.] sagte ungefähr folgendes: Er sei verpflichtet, uns zu sagen, daß unsere militärische Lage furchtbar ernst sei. Täglich könne unsere Westfront durchbrochen werden. […] Die O. H. L. und das deutsche Heer seien am Ende; der Krieg sei nicht nur nicht mehr zu gewinnen, vielmehr stehe die endgültige Niederlage wohl unvermeidbar bevor. BulgarienBulgarien sei abgefallen. ÖsterreichÖsterreich und die TürkeiTürkei am Ende ihrer Kräfte, würden wohl bald folgen. Unsere eigene Armee sei leider schon schwer verseucht durch das Gift spartakistisch-sozialistischer Ideen. Auf die Truppen sei kein Verlaß mehr. Seit dem 8. 8. sei es rapide abwärts gegangen. Fortgesetzt erwiesen Truppenteile sich so unzuverlässig, daß sie beschleunigt aus der Front gezogen werden müßten. Würden sie von noch kampfwilligen Truppen abgelöst, so würden diese mit dem Ruf ›Streikbrecher‹ empfangen und aufgefordert, nicht mehr zu kämpfen. Er könne nicht mit Divisionen operieren, auf die kein Verlaß mehr sei. So sei vorauszusehen, daß dem Feinde schon in nächster Zeit mit Hilfe der kampffreudigen Amerikaner ein großer Sieg, ein Durchbruch in ganz großem Stile gelingen werde, dann werde dieses Westheer den letzten Halt verlieren und in voller Auflösung zurückfluten über den RheinRhein und werde die Revolution nach Deutschland tragen. Diese Katastrophe müsse unbedingt vermieden werden. […] Deshalb habe die O. H. L. von Sr. M. und dem Kanzler gefordert, daß ohne jeden Verzug der Antrag auf Herbeiführung eines Waffenstillstandes gestellt würde bei dem Präsidenten WilsonWilson, Woodrow von Amerika zwecks Herbeiführung eines Friedens auf der Grundlage seiner 14 Punkte. Er habe sich nie gescheut, von der Truppe Äußerstes zu verlangen. Aber nachdem er jetzt klar erkenne, daß die Fortsetzung des Krieges nutzlos sei, stehe er nun auf dem Standpunkte, daß schnellstens Schluß gemacht werden müsse, um nicht noch unnötigerweise gerade noch die tapfersten Leute zu opfern, die noch treu und kampffähig seien. Es sei ein schrecklicher Augenblick für den Feldmarschall und für ihn gewesen, dieses Sr. M. und dem Kanzler melden zu müssen. Der letztere, Graf Hertling, habe in würdiger Weise Sr. M. erklärt, er müsse daraufhin sofort sein Amt niederlegen. Nach so vielen Jahren in Ehren könne und wolle er als alter Mann nicht sein Leben damit beschließen, daß er jetzt ein Gesuch um Waffenstillstand einreiche. Der Kaiser habe sein Abschiedsgesuch angenommen. Exc. LudendorffLudendorff, Erich fügte hinzu: ›Zur Zeit haben wir also keinen Kanzler. Wer es wird, steht noch aus. Ich habe aber S. M. gebeten, jetzt auch diejenigen Kreise an die Regierung zu bringen, denen wir es in der Hauptsache zu danken haben, daß wir so weit gekommen sind. Wir werden also diese Herren jetzt in die Ministerien einziehen sehen. Die sollen nun den Frieden schließen, der jetzt geschlossen werden muß. Sie sollen die Suppe jetzt essen, die sie uns eingebrockt haben!‹«18

Im Großen Hauptquartier in SpaSpa wurde auf Drängen der Militärs am 28./29. September beschlossen, unverzüglich ein Waffenstillstands- und Friedensangebot an WilsonWilson, Woodrow zu senden. Die Lage Deutschlands wurde auch mit Blick auf die Verbündeten als dramatisch beurteilt, wie das Zitat von ThaersThaer, Albrecht von zeigt. Tatsächlich fielen die Verbündeten Deutschlands wie Dominosteine. Ende September unterzeichneten als erste der Mittelmächte BulgarienBulgarien den Waffenstillstandsvertrag, Ende Oktober die Osmanen, am 3. November Österreich-UngarnÖsterreich-Ungarn.

Da der amerikanische Präsident bereits unmissverständlich klargemacht hatte, nur mit einer demokratisch legitimierten deutschen Regierung verhandeln zu wollen, beschlossen die in SpaSpa Versammelten, eine Revolution von oben durchzuführen. Die bislang nicht an der Regierung beteiligten Mehrheitsparteien, Zentrum, MSPD