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Erschüttert von den schrecklichen Ereignissen kreisen Titus Gedanken nur um Marie. Überrollt von den Gefühlen für sie, erträgt er es nicht, bei ihr im Krankenhaus zu bleiben. So sucht er die Stille des Baldeneysee und erhält von unerwarteter Seite Unterstützung. Das Verlangen an Yusuf Rache zu nehmen, setzt sich in ihm fest. Doch noch ehe es dazu kommt, zieht am Horizont eine weit-aus größere Gefahr für Marie und ihrem Bruder Mark auf. Der charismatische Sektenführer Sirion schickt seine Cleaner los, die vollkommen skrupellos auch über Leichen gehen, um Marie und Mark Sirion auszuliefern. Titus gerät zwischen die Fronten. Mike, den Titus die ganze Zeit auf der Seite der Bösewichte einsortiert hatte, stellt sich plötzlich als Verbündeter heraus. Die Lage spitzt sich drastisch zu, gleitet Titus aber mehr und mehr aus den Händen. Es kommt zu einem spannenden Showdown, aus dem scheinbar niemand als Sieger hervor geht. "Das Mädchen und der verlorene Traum" ist die Fortsetzung von "Das Mädchen im Regen" in der die spannende Geschichte um Marie und Titus den Leser immer tiefer in die mehrere Jahrzehnte umspannenden Ereignisse mitreißt. Marie steht plötzlich im Mittelpunkt eines mysteriösen Kultes, der selbst in den Wirren des zweiten Weltkrieges, die Finger nach der zehnjährigen Emma ausstreckt.
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Seitenzahl: 146
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Markus Fels
Das Mädchen und der verlorene Traum
Die Geschichte von Marie und Titus Band 2
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Ein ruhrgebiets Krimi Teil 2
Impressum neobooks
Das Mädchen und der verlorene Traum
Ein Ruhrgebiets Krimi Teil 2
von
M.J. Fels
Das mädchen und der verlorene Traum
von
M.J. Fels
This book is a work of fiction. Names, characters, places and incidents are either the product of the author's imagination or are used fictionally. Any resemblance to actual persons, living or dead, or to actual events or locales is entirely coincidental.
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Copyright © 2017 Markus Fels. All rights reserved. Including the right to reproduce this book or portions thereof, in any form. No part of this text may be reproduced in any form without the express written permission of the author.
Version 2017.04.22
1 BREAKDOWN
Freitag, 23:02
Blinkendes Blaulicht auf regennassem Asphalt. Hektische Bewegungen, Rufe, das Geräusch eines Martinhorns, ein schnell davon fahrender Notarztwagen. Blitzlichter von Handys, Gaffer die Fotos machen. Doch all das erreicht mich nicht. Ich sitze auf der Trage eines Krankenwagens. Ein Arzt kümmert sich um meine Schussverletzung, ein glatter Durchschuss. Es ist egal, alles ist in diesem Moment egal. Ich starre ins Leere und sehe doch nur Maries Gesicht. Rebecca steht direkt vor der Trage und will mich trösten, doch der Arzt hält sie zurück. Ich bleibe stumm. Es gibt nichts mehr zu sagen. Die Rettung war in letzter Sekunde gekommen. Mark hatte eine Nachricht über sein Mobiltelefon an Rebecca geschickt, diese konnte letztendlich den Polizisten überzeugen. Die Rettung war in letzter Sekunde gekommen, oder war es bereits zu spät? Ich finde keine Antwort, ich finde keinen Gedanken. Mein Kopf ist leer. Eine Windböe treibt den kalten Regen in mein Gesicht. Ich spüre es nicht. Alles ist wie taub. Geräusche dumpf und in weiter Ferne, Blicke die mich treffen, ich sehe sie nicht. Die Hand des Arztes, der mich sanft auf die Liege zurück drückt, ich spüre sie nicht.
Ich falle, haltlos, tiefer und tiefer in einen bodenlosen Abgrund, es gibt keinen Halt. Maries Gesicht entfernt sich von mir und verblasst in der Dunkelheit. Die Türen des Krankenwagens, in dem ich liege, werden zugeschlagen, dann setzt er sich in Bewegung. Die Sirene heult auf, um uns Vorrang zu verschaffen. Doch mich müssen sie nicht retten. Ohne Marie, was zählt es, wenn ich überlebe? Leben - ohne Liebe nur eine leere Hülle, zwecklos, bedeutungslos. Rebecca sitzt mit im Krankenwagen, rechts neben der Liege. Sie hat so lange auf den Arzt eingeredet, bis dieser sie mitfahren lässt. Sie hält meine Hand und streicht mir tröstend über die Stirn. Abermals breche ich in Tränen aus.
Weiße kahle Wände, kaltes Neonlicht. Eilig ziehen sie die Liege durch den Flur, der direkt zur Notaufnahme führt. Hektische Rufe. Eilige, professionelle Handgriffe. Perfektionierte Arbeitsabläufe. Ohnmacht, ihr Geist treibt davon. Dunkelheit umgibt sie, die Geräusche verstummen. Zurück bleibt Stille. Sie schwebt. Ist federleicht. Ihr Geist von ihrem Körper getrennt, unsagbar leicht, befreit von jeglicher Last. Ist es Zeit zu gehen?
Keine Schmerzen mehr, keine Gewalt, keine Angst, kein Leid, keine Liebe. Dieses Gefühl vermisst sie am meisten. Sie hatte gehofft, dass sie es mit Titus hätte erleben können. Doch ein anderes Gefühl umfängt sie, befriedigt all ihr Verlangen. Hüllt sie ein in Wärme und Geborgenheit, füllt sie mit Zufriedenheit und Glückseligkeit. Bringt sie an einen Ort, an dem alles beginnt. Sie schließt die Augen und lässt sich forttragen.
Als Marie ihre Augen wieder öffnet, findet sie sich auf einer herrlichen Wiese liegend wieder. Sie liegt nackt auf den taufeuchten Halmen, doch sie verspürt keine Scham. Mit fließenden Bewegungen richtet sie sich auf und blickt sich um. Es ist angenehm warm. Eine leichte Brise streicht über ihren unbedeckten Körper. Die Wärme eines fernen Gestirns strömt durch ihren Körper und sie fühlt sich befreit. Hier will sie bleiben.
Als ich aus der Narkose erwache, erkundige ich mich sofort nach Marie. Das Schlimmste befürchtend, starre ich den Arzt an. Keine zehn Minuten später, stehe ich an Maries Bett.
Ein Geräteturm baut sich neben ihrem Bett auf. Kontrollmonitore registrieren ihre Lebenszeichen. Ein unförmiger, klobiger Plastikschlauch steckt in ihrem Mund. Sie wird künstlich beatmet. Kabel, die in Elektronen enden, kleben auf ihrer Haut. Das gleichmäßige Piepen der Geräte, das Zischen des Beatmungsapparates, und inmitten dieses Alptraumes meine geliebte Marie. Ihre Haut ist bleich, fast durchscheinend. Sie kommt mir wie ein Geist vor. Ich frage mich wie viel Leben noch in ihrem so leblos erscheinenden Körper ist. Rechne jede Sekunden damit, dass sich hinter mir die Tür öffnet, mich ein Arzt zur Seite nimmt und mir die schrecklichste aller Nachrichten versucht beizubringen. Marie, warum habe ich nicht mehr um dich gekämpft? Warum hast du es nicht zugelassen, dich zu lieben? Warum hast du es dir verboten, mich zu lieben? Was zog dich in dieses Leben, das du gelebt hast? Was lockte dich auf den falschen Weg?
Ich greife nach ihrer Hand, so leicht, so klein in meiner. Gebe ihr einen sanften Kuss auf ihre Stirn. Ihre Haut, so kalt, so blass, wie Elfenbein, so zart.
Die Tür hinter mir öffnet sich. Ich merke es, als plötzlich das grelle Licht der Flurbeleuchtung in das abgedunkelte Zimmer in dem Marie liegt, flutet. Ich will mich nicht umdrehen. Halte Maries Hand fest, will sie nicht mehr loslassen. Nie mehr in meinen Leben will ich sie loslassen. Eine Hand legt sich auf meine Schulter.
"Herr Mann, es ist besser, wenn sie sich jetzt erst einmal selbst ein wenig Ruhe gönnen."
"Sie wird sterben."
"Wir haben Frau Breyl in ein künstliches Koma versetzt. Ihre Verletzungen sind bedrohlich. Doch, wenn sie stark ist, dann wird sie es schaffen."
Marie ist stark, denke ich und gebe dem Drängen des Arztes nach. Doch aufzustehen und ihre Hand loszulassen kostet mich beinahe mehr Überwindung, als ich in diesem Moment aufbringen kann. Ich erhasche einen Blick des Arztes, der mir Mut machen will.
Jessica hat sich von einem Taxi nach Hause bringen lassen. Als sie auf dem Rücksitz Platz nimmt, ist ihr bewusst, dass sie der Taxifahrer im Rückspiegel fassungslos anstarrt. Sie gibt ja auch ein katastrophales Bild ab. Ihre Haare total zerzaust und staubig. Obenherum nur mit einem Bustier bekleidet, da sie ihr T-Shirt ja notdürftig als Verband gebraucht hat. Ihre Jeans an den Knien fast durchgescheuert und rechts in Höhe ihres Oberschenkels eingerissen. Wann ihr das passiert ist, kann sie beim besten Willen nicht sagen. Horror pur waren die vergangenen Stunden gewesen. Sie kann noch immer nicht so recht glauben, dass sie mit Hilfe der alten Frau, Emma, erinnert sie sich, diesem Verbrecher und dem unterirdischen Bunkerlabyrinth entkommen konnte.
Von Ratzeburger hält mit vor Wut zitternden Händen sein Handy in der Hand. Das Display zeigt ein Foto auf dem Maria auf einer Trage liegend gerade in den Notarztwagen geschoben wird. Darunter - Die Zeitungen werden morgen voll damit sein: Blutiger Machtkampf im Dortmunder Rotlichtmilieu. Die polizeilichen Ermittlungen laufen schon. Eine Sekunde später ruft er bei Mike an. "Was ist das für eine riesen Sauerei!"
Doch Mike lässt sich nicht von ihm beeindrucken. "Wirbelt mächtig viel Staub auf. Burak war immer schon etwas unüberlegt“, sinniert er.
"Er bringt noch das ganze Projekt mit seinen Alleingängen in Gefahr", knirscht von Ratzeburger. "Er sieht halt auch nur, wo er bleibt in diesem Spiel um Macht, Geld und schönen Mädchen", erwidert Mike einfältig. Ratzeburger schüttelt angewidert seinen Kopf. In den ungebildeten Schichten, in welchen sich Mike, Burak und Konsorten sich herumtrieben, mochte das so sein. Doch auf dem Level, auf welchem sich von Ratzeburger bewegte, ging es doch ganz anders zu.
"Wo hält Burak sich jetzt auf?", will er von Mike wissen.
"Die Ratte ist erst mal untergetaucht. Spurlos von der Bildfläche zu verschwinden, war schon immer ein besonderes Talent von ihm. Aber glauben sie mir, solange diese Marie noch lebt, wird er früher oder später wieder auftauchen um die Sache zu Ende zu bringen."
"Die Sache mit dieser Marie zieht mir schon zu große Kreise.", beschwert sich von Ratzeburger.
"Nun, ich habe auch von den Polizeiaktionen gehört. Ich habe nichts zu befürchten. Meine Spuren sind verwischt. Ihre auch?"
Nach diesen Worten legt Mike auf. Er hatte sich dem Mann in Erinnerung gerufen. Mike wusste, wenn es schmutzige Arbeit zu erledigen geben würde, wäre er im Geschäft, und er hatte keine Skrupel dabei gegen Burak vorzugehen, auch wenn sie für Yusuf auf einer Seite gearbeitet hatten. Er schuldete Burak nichts. Marie war ihm ebenso egal. Sie zählte in seinen Plänen nichts. Doch, wenn sie zu einer Gefahr für von Ratzeburger werden würde, hatte Mike auch in dieser Richtung keine Skrupel, ordentlich aufzuräumen. Er war nun mal der Mann für die Drecksarbeit, doch er wusste, sich bezahlen zu lassen. Das und der Nervenkitzel, den seine Arbeit mit sich brachte, reizten ihn. Er war ein Wiesel, immer auf der Jagd nach Beute, in der Nacht, im Verborgenen, wild und frei.
Mit letzter Kraft schließt Jessica die Tür der Villa auf und stolpert schnurstracks in die Küche. Sie greift sich eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank, setzt sie an ihre Lippen und trinkt in großen gierigen Zügen bis die Flasche leer ist.
Dabei schluckt sie so viel Luft mit hinunter, dass sich prompt ein stattlicher Rülpser aus ihrem geöffneten Mund löst. Peinlich berührt reißt sie die Hand vor ihre Lippen und kann gerade noch verhindern, dass ein zweiter unkontrolliert entweichen kann. In diesem Moment hört sie Schritte die Treppe, die ins Obergeschoss der Villa führt, hinunter kommen. "Schatz bist du das?"
Jessicas Vater betritt die Küche. Wie angewurzelt bleibt er stehen, als er wahrnimmt, in welchem Zustand sie sich befindet. "Um Gottes Willen, was ist dir denn zugestoßen?"
Jessica erzählt die ganze Geschichte, und als sie den Punkt erreicht, wo sie in der großen Halle wieder zu sich kommt, zählt von Ratzeburg eins und eins zusammen. Vor Wut läuft sein Gesicht knallrot an. Er zückt sein Handy, drückt eine Kurzwahltaste. Kaum gelingt es ihm abzuwarten, bis sich sein Mike meldet. Dann schnauzt er ins Telefon. "Mike, bringen Sie diesen Burak zur Strecke!"
2 EIN NEUER TAG
Samstag, Sonnenaufgang
Natürlich geht dieser Vorfall durch die Presse, schon am nächsten Tag berichten regionale und überregionale Zeitungen auf ihren Lokalseiten davon. In zwei großen Blättern schafft die Schießerei im Tiefbunker es sogar auf die Titelseiten. Um diese Uhrzeit ist noch nicht viel los im Hauptbahnhof Essen. Einige Pendler, die auch am Samstag arbeiten mussten, sind schon unterwegs. Die kleinen Geschäfte auf der Verteilerebene, die Backwaren, Snacks und Getränke verkaufen, haben schön geöffnet. In einem dieser Geschäfte klemmen die Tageszeitungen vom Samstag im Ständer und ein Mann steht ein wenig abseits vom Laden lässig an eine Wand gelehnt, schaut hinüber zu den Zeitungen. Auf der Titelseite erblicken seine Augen ein Foto, das ihn selbst zeigt. Er weiß, dass die Polizei nach ihm sucht, doch noch ist seine Situation nicht brenzlig. Er wird sich in einer halbe Stunde mit Mike treffen, erst einmal die Lage zu sondieren. Unauffällig begibt er sich zu der Treppe, welche zur A40 hinführt, zu dem PS starken Motorrad, welches er dort abgestellt hat. Er setzt sich einen schwarzen unscheinbaren Helm auf, startet die Maschine, fährt in gemäßigtem Tempo los.
Ein verwaschener Sonnenaufgang begrüßt mich. Es wirkt, als hätte jemand einen Pastellfarbkasten über den Himmel ausgekippt, Farben wie Apricot, Blassrosa, Malve und Lachs verschwimmen miteinander. Ich habe es im Krankenhaus nicht mehr ausgehalten, obwohl es mir genauso schwer fiel, Marie alleine zu lassen. Mit meinem Wagen war ich so lange ziellos durch die Straßen geirrt, bis ich schließlich am Baldeneysee gelandet war. Dort hielt ich auf dem Parkplatz am Regattaturm, stieg aus und wusste zunächst selbst erst einmal nicht, was ich hier suchte. Der Besitzer des kleinen Büdchens war gerade dabei den Verkauf vorzubereiten, ich trat auf ihn zu, fragte ihn, ob er schon etwas verkaufen wollte.
Kurz darauf lief ich den Fußweg zum Stauwehr entlang einen Sixpack Bier in der Hand. Auf dem mächtigen Bauwerk des Stauwehrs, welches gleichzeitig als Überweg für Fußgänger und Radfahrer diente, glaubte ich zur dieser Stunde ganz alleine mit mir selbst sein zu können. Wenig später stand ich am Geländer des breiten, mit Holzplanken belegten Überwegs und sah auf den Stausee hinaus. Langsam zog der neue Tag hinauf. Ich öffnete mit einer Hand in einer coolen Geste, die ich irgendwann mir irgendwo abgeschaut hatte, eine Bierdose und setzte sie an meine Lippen. Das Bier war zu kalt und schmeckte bitter. Genauso wie mir im Moment zu Mute war. Zwei der Stautore waren zum Teil geöffnet, und das Wasser zog rauschend unter mir hindurch. Das Geräusch vermochte, dass ich für einen Moment vergessen konnte, was letzte Nacht passiert war. Ich trank noch einen Schluck Bier. Dachte darüber nach, ob die sechs Dosen reichen würden, um meinen Schmerz zu betäuben. Wie auf ein Stichwort zog ein stechender Schmerz durch meine verbundene Schulterpartie und brachte alle Erinnerungen in einem Augenzwinkern wieder zurück.
Gut vierundzwanzig Stunden waren gerade vergangen seit meiner ersten Begegnung mit Marie. Ihr Blick, so frech, so hatte mich noch nie eine fremde Frau angesehen. Hatte sie sich vielleicht auf den ersten Blick in mich verliebt? Ob ich es je erfahren würde, konnte ich in diesem Moment nicht sagen. Ich hoffte es, schickte einen flehentlichen Wunsch zu meinen Gott hinauf, an den zu glauben mich meine Eltern gelehrt hatten und nahm noch einen Schluck Bier.
Marie hatte ein schweres Hirntrauma erlitten. Der Arzt wollte sich in keinerlei Richtung festlegen. Er wollte mir nicht noch mehr Sorgen bereiten, dass hatte ich ihm angesehen, doch er wollte mir ebenso wenig falsche Hoffnungen machen. Marie mochte aus dem Koma in ein paar Tagen aufwachen. Doch was die Folgen ihrer schwerwiegenden Kopfverletzung waren, konnte man nicht absehen. Vielleicht blieben Lähmungen zurück, im Schlimmsten Fall wachte sie sogar mit einer veränderten Persönlichkeit auf, und die Marie, die ich liebte, war für immer verloren.
Mit dem letzten Schluck Bier aus der ersten Dose versuchte ich meine Sorgen wegzuspülen, als es mit meiner Einsamkeit vorbei war. In Gestalt von drei abgewrackten, in schwarzen, teilweise aufgerissenen Lederjacken, rotschwarz karierten Hosen und Springerstiefeln, steckenden Möchtegernpunks wurde die Stille jäh unterbrochen.
"Ey, Alter, so früh schon Durst?", begrüßte der Vorderste mich.
"Mann haste für de Kumpels auch wat?", wollte sein Kollege wissen.
"Warum säuftste denn?", fragte der Dritte und bekam gleich einen verwunderten Blick seiner beiden Kollegen ab, denen es offenbar recht gleichgültig war, warum jemand Bier trank. Doch dieser stellte sich unbeirrt davon direkt neben mich und legte seinen Arm aufmunternd auf meine Schulter. "Hey, Alter, dat isser doch. Der Typ, dessen Mädel im Koma liegt."
Ich starrte den Punk entgeistert an. Woher wusste er von Marie und mir.
"Da bisse platt wat", erriet dieser meine Gedanken und prahlte dann vor seinen Freunden, "Mann, ich hab dat doch allet mitgekriecht. Letzte Nacht, da in Dortmund. Die Gaffer ham doch jede Menge Fotos gemacht. Doch Hagen hat nur geguckt." Hagen war er wohl selbst.
Er schwankte bedrohlich und musste sich an mir festhalten, um nicht umzufallen. Ich starrte die Dose in meiner Hand an. Vielleicht reichte ja eine schon?
"Ja du hast recht, ich bin der Typ", meinte ich angefressen und wünschte die drei würden mich wieder in Ruhe lassen.
"Ha, wat hab ich gesagt. Er isses!", rief Hagen begeistert und schlug mir nicht gerade sanft auf meine Schulter, die verletzte. Ein unglaublicher Schmerz jagte durch meinen Körper und trieb mir die Luft aus den Lungen und Tränen in die Augen.
"Verdammte Scheiße!", schrie ich und stieß Hagen unsanft von mir weg, dass er fluchend zu Boden ging. "Wenn du alles gesehen hast, dann überlegt mal ganz scharf was mit mir passiert ist."
"Oh, jenau dich hatter ja auch erwischt!", rief Hagen sich erinnernd und pfiff seine Kollegen zurück, die schon drauf und dran gewesen waren für ihn in die Bresche zu springen. "Muss mächtig sauer sein. Wat is denn mit deinem Mädel?"
Ich war mir nicht sicher, ob ich Hagen überhaupt eine Antwort schuldig war. Doch vielleicht half es ja, wenn ich mit jemandem, den ich nun gar nicht kannte, darüber sprach.
"Sie liegt im Koma. Niemand kann sagen, was wird", antwortete ich knapp.
"Watt nen Scheiß! Tut mir voll Leid! Willste Rache?"
Wieder sah ich Hagen entgeistert an. "Was?", brachte ich verwundert hervor.
"Wir kriegen raus, wo sich dat Aas verkriecht. Dann kannsten fertig machen." Mit Aas war ganz offensichtlich Burak gemeint. Und so unglaublich es in diesem Moment selbst mir vorkam, doch ich nahm es diesem Hagen vollkommen ab, dass er es ernst meinte und auch, dass er in der Lage war Burak zu finden. Ich streckte meinen gesunden Arm aus und hielt ihm die Hand hin. Er ergriff sie und ich zog ihn auf die Beine.
"Manches is nich so wie's scheint", meinte er, "Kannst auf Hagens Punks zählen."
"Okay." erwiderte ich vorsichtig.
"Los Abflug!" Ich sah Hagen und seinen Kollegen hinterher, wie sie das Stauwehr verließen, zu meiner Verwunderung zu drei Motorrädern gingen, sich auf die Maschinen schwangen und losbretterten. Kopfschüttelnd fragte ich mich, wie man mit so viel Alkohol im Blut noch Motorrad fahren konnte, ob ich je wieder von Hagen und seinen beiden Kollegen hören sollte.