Das Mirakel von Köln - Bettina Szrama - E-Book
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Das Mirakel von Köln E-Book

Bettina Szrama

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Beschreibung

Die dunklen Stunden der Hexenverfolgung: Der historische Roman „Das Mirakel von Köln“ von Bettina Szrama als eBook bei dotbooks. Ein Schrei zerreißt die Osternacht des Jahres 1622 – wenig später wird im altehrwürdigen Kloster Santa Klara zu Köln die blutbesudelte Leiche der Äbtissin gefunden. Ist es der Teufel selbst, der unter den Bräuten Christi nach Opfern sucht? Die junge Christina, die man hierher gebracht hat, um sie vor dem tobenden Hexenwahn zu schützen, findet sich in einem Albtraum wieder, aus dem es kein Erwachen zu geben scheint. Als ihr schließlich doch die Flucht gelingt, gerät sie in der Domstadt mitten hinein in ein Ränkespiel der Mächtigen, für die das Leben eines einfachen Menschen keinen Wert hat … Inspiriert von der wahren Geschichte der Christina Plum erzählt Bettina Szrama eine abgründige, hochspannende Geschichte aus einer der dunkelsten Epochen der Geschichte: „Noah Gordon, Ken Follett, Iny Lorentz: In dieser Liga kann Bettina Szrama locker mithalten.“ Schaumburger Zeitung Jetzt als eBook kaufen und genießen: „Das Mirakel von Köln“ von Bettina Szrama, ein bewegendes Leseerlebnis aus der Zeit der Hexenverfolgung. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 463

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Über dieses Buch:

Ein Schrei zerreißt die Osternacht des Jahres 1622 – wenig später wird im altehrwürdigen Kloster Santa Klara zu Köln die blutbesudelte Leiche der Äbtissin gefunden. Ist es der Teufel selbst, der unter den Bräuten Christi nach Opfern sucht? Die junge Christina, die man hierher gebracht hat, um sie vor dem tobenden Hexenwahn zu schützen, findet sich in einem Albtraum wieder, aus dem es kein Erwachen zu geben scheint. Als ihr schließlich doch die Flucht gelingt, gerät sie in der Domstadt mitten hinein in ein Ränkespiel der Mächtigen, für die das Leben eines einfachen Menschen keinen Wert hat …

Inspiriert von der wahren Geschichte der Christina Plum erzählt Bettina Szrama eine abgründige, hochspannende Geschichte aus einer der dunkelsten Epochen der Geschichte: »Noah Gordon, Ken Follett, Iny Lorentz: In dieser Liga kann Bettina Szrama locker mithalten.« Schaumburger Zeitung

Über die Autorin:

Bettina Szrama, geboren 1952 in Meißen, lebt heute im Weserbergland. Obwohl sie ihre Liebe zum Schreiben schon früh entdeckte, war sie lange als Dipl.-Agraringenieurin in landwirtschaftlichen Führungspositionen tätig, bis sie ein Literaturstudium aufnahm. Danach begann sie, als Journalistin und Autorin zu arbeiten.

Die Autorin im Internet: http://paulezwerg.wixsite.com/author-bszrama

Bei dotbooks veröffentlichte Bettina Szrama außerdem den historischen Roman »Der Henker von Lemgo«.

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Ein Glossar mit zahlreichen Begriffserklärungen finden Sie am Ende dieses eBooks.

Die Autorin hat sich von wahren Begebenheiten und Personen inspirieren lassen: Trotzdem ist dieses Buch keine Biographie und kein Sachbuch, sondern ein Roman, und der überwiegende Teil der geschilderten Ereignisse sind frei erfunden. In besonderem Maße gilt das für Handlungen und Äußerungen der auftretenden oder erwähnten Personen, die nicht der Phantasie der Autorin entsprungen sind. Darüber hinaus sind Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen rein zufällig.

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eBook-Neuausgabe Februar 2018

Copyright © der Originalausgabe 2012 Hermann Josef Emons Verlag

Copyright © der Neuausgabe 2017 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Hilden Design, München, www.hildendesign.de, unter Verwendung von Bildmotiven von shutterstock.

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (ts)

ISBN 978-3-96148-255-9

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Bettina Szrama

Das Mirakel von Köln

Historischer Roman

dotbooks.

Für Fredy Freivalds, der mir bei meiner Recherche und beim Schreiben stets den Rücken freigehalten hat

»Denn die Pforte ist weit, und der Weg ist breit,der zur Verdammnis führt, und viele sind's, die auf ihm hineingehn.«

(Mat 7,13 Jesuswort, Lexikon Bibelzitate Auslese für das 21. Jahrhundert/Alte Sprüche fleischliche Lust)

Handelnde Personen

Christina Plum – Tochter eines Boten der GürtelmacherBernard Fresenius – GeneralvikarSophia Agnes von Langenberg – Nonne im Kloster Santa KlaraUrsula – Äbtissin des Klosters Santa KlaraElisabeth Voss – Postmeisterin und Ursulas SchwesterJacob Voss – Domherr, Ursulas und Elisabeths BruderMarie – Laienschwester im Kloster Santa KlaraDr. Johann zum Romschwinckel und Dr. Walram Blankenberg – Schöffen des kurfürstlichen Hohen Weltlichen Gerichtes und HexenkommissareDr. Friedrich Wissius – rechtskundiger Beamter und Hexenkommissar; die städtischen Rechtsvertreter Eberhard Jabach und Caspar Ceil sowie Pater Vincentius Justiniani OP, päpstlicher Inquisitor und Lizenziat Jacob von Bulderen Ferdinand von Bayern – Kurfürst und Erzbischof von KölnReichsgraf Leonard von Taxis – kaiserlicher GeneralpostmeisterJohann von Coesfeld – nach dem Poststreit um die Postlizenz derer von Taxis eingesetzter Postmeister der Stadt KölnHinrich von Climbach – Dekan von St. SeverinMhon Ursel, Mhon Biel, Gertraud von Neuss, Mehrems Magd, Margareth Raußrath, eine Wäscherin, und Magdalena, eine Nonne – betreiben den Gasthof »Raben«Leonardo – geistlicher Begleiter des Generalvikars, Beichtvater Sophias auf Schloss LechenichMargarethe Plum – Christinas Mutter

Prolog

In der Nacht zum Ostersonntag des Jahres 1622 erschütterte kurz vor dem Nachtgottesdienst ein gellender Todesschrei die Mauern des altehrwürdigen Klosters Santa Klara. Wie eine Schlange wand er sich durch die heiligen Arkaden, hallte von den für die Ewigkeit geschaffenen Mauerwänden wider und drang schließlich durch eine verschlossene Eichentür – in die Zelle von Schwester Sophia.

Erschrocken fuhr die Nonne von ihrer Matratze hoch, bekreuzigte sich und lauschte, noch benommen vom Schlaf, in die Dunkelheit. So lange hielt sie den Atem an, bis sie ihr eigenes Herz klopfen hörte. Nach einer Weile ängstlichen Wartens kam sie zu der Überzeugung, dass es wahrscheinlich wieder einer ihrer ständig wiederkehrenden Alpträume gewesen war, der sie aufgeschreckt hatte. Nachdem nichts weiter zu vernehmen war als das dünne Piepsen einer allzu nachtaktiven Maus, schickte sie rasch ein Vaterunser gen Himmel und beschloss dann, den von Gott gegebenen Schlaf fortzusetzen.

Es dauerte nicht lange, und ihren Körper umhüllte jene sanfte Wohligkeit, die sie alsbald zurück in das Reich der Träume entführen würde. Doch noch bevor sie die Schwelle ins Traumland überschritt, schlug sie die Lider wieder auf. Von Neuem glaubte Sophia einen grässlichen Schrei gehört zu haben, der ihr nun heftiges Herzklopfen verursachte. Sie wusste nicht, ob alles nur eine Sinnestäuschung gewesen war oder in den Klostermauern tatsächlich jemand geschrien hatte. Etwas anderes wusste Sophia jedoch mit Sicherheit: Seit ihrer Krankheit hatte sie immer stärker seherische Fähigkeiten entwickelt. Siedend heiß schoss ihr der Gedanke wie eine Offenbarung durch den Kopf Mutter Benedikta ist in Gefahr.

Mit einem Sprung stand sie barfuß auf dem Boden neben ihrer Matratze, tastete sich zur Gebetsnische vor, nahm das Öllämpchen vom Gebetstisch und rannte mit flatterndem Hemd zur Tür hinaus. Auf dem Gang lief sie rasch noch einmal zurück und zog unter der Matratze ein kleines Buch hervor, das sie vor ihrer Zelle unter ihrem Gewand zu verbergen versuchte. Doch bevor sie es in dem groben Nachtgewand verschwinden ließ, spürte sie eine Hand auf ihrem Arm. Zu Tode erschrocken, schaute sie auf eine vermummte Gestalt, die ihr mit einer Handbewegung Schweigen gebot.

»Pater Antonio«, flüsterte sie erschrocken. »Was macht Ihr hier? Ihr wisst doch, dass Euch ohne Begleitung der Weg zu den Nonnen verboten ist?«

»Die Sorge um Euer Wohlergehen hat mich zu Euch geführt, meine Liebe. Habt Ihr nicht auch den Schrei gehört? Es scheint, als ob Gottes Zorn uns nun ereilt. Lasst uns endlich die Gelegenheit nutzen und gemeinsam aus dem Kloster fliehen«, sagte Antonio leise und zog sie in die Arme. »Ich liebe Euch, Sophia.« Der große, kräftige Mann hatte sein Gesicht unter einer schwarzen Kapuze verborgen, die ihm weit über die dunkle Soutane reichte.

»Nein, Antonio. Wir können nicht mehr vor unseren Sünden davonlaufen. Gott weiß alles. Aber ich bitte Euch, nehmt das an Euch.« Sie sprach hastig und drückte ihm das Buch in die Hände. »Verbergt es gut. Ihr wisst, was mir das Tagebuch bedeutet. Ihr selbst habt alles für mich aufgezeichnet. Niemals darf die Wahrheit in die falschen Hände gelangen. Es würde unser Verderben sein. Ich träumte vom Tod unserer Äbtissin Benedikta. Schlimme Vorahnungen plagen mich seitdem. Deshalb müsst Ihr das Tagebuch für mich aufbewahren, bei Euch ist es sicherer!« Sophia stellte sich auf die Zehenspitzen, lüftete seine Kapuze etwas und küsste ihn. Dann lief sie, ohne sich noch einmal nach ihm umzusehen, den langen Gewölbegang hinunter, an der Klosterküche vorbei und in das Erdgeschoss zum Dormitorium, wo sich der Schlafsaal der Laienschwestern befand. Hier hielt sie nur kurz in ihrem Lauf inne, lauschte und rannte dann von einer furchtbaren Ahnung getrieben weiter zur Zelle der Äbtissin. Waren die Schreie von hier gekommen? Hinter ihr tauchte plötzlich, genauso außer Atem wie sie, eine weitere Konventualin des Klarissenklosters auf: Schwester Ursula, die Schatzmeisterin des Klosters. Mit strenger Hand führte sie die Aufsicht über das Gotteshaus und trachtete insgeheim nach dem Amt der Äbtissin, weshalb ihr Sophia, die von allen Klarissen einer Heiligen gleich verehrt wurde, ein ständiger Dorn im Auge war – aber das war nicht der einzige Grund.

Kühl und mit hochgezogenen Brauen streifte sie Sophias Nachtgewand, bevor sie steif bemerkte: »Eure heiligen Gebete, ehrwürdige Schwester Sophia, scheinen in unseren Klostermauern ihre Wirkung verloren zu haben. Dem Teufel gefällt es bei uns.«

Geräuschvoll öffneten sich auf dem Gang jetzt weitere Schlafzellentüren, und immer mehr durch die Störung aufgeschreckte Nonnen und Laienschwestern tauchten auf. Ihre Gebetslichter, mit denen sie sich in der Dunkelheit vorantasteten, flackerten wie Glühwürmchen unruhig auf und nieder, bis eine der Nonnen mit einer Fackel die Talglichter in den Nischen im Mauerwerk entzündete und den Gang in warmes Licht tauchte. Es wurde leise gewispert und ängstlich gemutmaßt.

»Schon gut, Schwestern. Noch besteht kein Anlass zur Sorge. Ihr habt alle gesehen, dass Mutter Benedikta beim Abendmahl noch bei bester Gesundheit war«, ergriff Sophia das Wort. »Das Böse in ihr, das sich ihrer Seele bemächtigt hatte, ist ihr nach der heiligen Prozedur wieder aus dem Mund entwichen. Alle haben gesehen, dass sie nach der Teufelsaustreibung von Pater Antonius geläutert war. Sie hat sogar wieder der Messe beigewohnt.« Sophia versuchte, die aufgeregten Klarissen zu beruhigen, und dennoch zitterte ihre Hand, als sie entschlossen den Griff der Tür nach unten drückte, hinter der nun ein hohles Röcheln und Kratzen erklang.

Das Eisen knarrte, und die schwere Holztür gab ein dumpfes, quietschendes Geräusch von sich. Sophia nahm die Fackel, um in der Dunkelheit etwas zu sehen, und betrat dann mutig das Zelleninnere. Nur einen Augenblick später prallte sie erschrocken zurück, wobei sie mit ausgebreiteten Armen zu verhindern suchte, dass die Schwestern an ihr vorbei in die Zelle stürmten.

Der Anblick, der sich ihr bot, war erschütternd. Die Matratze der Äbtissin war aufgeschlitzt und voller Blut. Selbst die helle Wand dahinter war rot. Das Kruzifix am Kopfende hing verkehrt herum am eisernen Bettkranz, und die hölzerne heilige Madonna, die sonst ihren Platz auf dem Gebetstisch hatte, lag zerbrochen neben der Äbtissin, die sich unter qualvollen Zuckungen in Erbrochenem und Blut auf dem Boden wälzte.

Als die Gemarterte die offene Tür bemerkte, kroch sie mit letzter Kraft zu der vor Entsetzen starren Ordensschwester. Sie war vollständig bekleidet, trug sogar ihr Skapulier. Mit jedem Meter, den sie zurücklegte, entrang sich ihren Lippen ein Klagen und Stöhnen. Doch je näher sie Sophia kam, umso schwächer wurde sie. Vor ihren Füßen sackte der Kopf der Äbtissin dann kraftlos zu Boden. Als Sophia sich über sie beugte, um ihren Herzschlag zu fühlen, vernahm sie zwischen Stöhnen und unverständlichen Worten den einen Satz: »Rette deine Seele, Schwester, der Teufel ist hier, um uns zu holen!«

Verwirrt, mit der Angst im Herzen, Gott könnte ihre Gedanken lesen, berührte Sophia die Äbtissin an der Schulter, doch diese bäumte sich mit einem markerschütternden Schrei auf, sackte anschließend wieder kraftlos in sich zusammen und schied Sekunden später unter einem Schwall wüstester Verwünschungen aus der hiesigen Welt.

Nachdem es eine Weile still geblieben war und der gemarterte Körper sich nicht mehr bewegte, trippelten die Nonnen an Sophia vorbei in die Zelle. Mit dem notwendigen Abstand umstanden sie fassungslos betend die Tote. Sophia bekreuzigte sich. Für einen winzigen Augenblick war ihr, als tauchten zwanzig Jahre verdrängter Sünde wieder vor ihr auf, dann rollte sie den federleichten toten Körper auf den Rücken und drückte die starren Augen zu. In diesem Moment traf sie Ursulas harter Blick. Die Kälte, die von der Klarissin ausging, ihre steife Unbeweglichkeit und die unangebrachte Feindseligkeit im Angesicht des Todes verwunderten sie nicht.

»Erst Schwester Johanna und nun auch noch Mutter Benedikta. Wer soll das verstehen?«, bemerkte Sophia und versuchte, ihre Gefühle hinter ihrer sanftmütigen Gleichgültigkeit zu verbergen. »Zwei so teuflische Verbrechen kurz hintereinander werden die Kommissare des Hohen Gerichts anlocken. Sie werden kommen und in unseren Mauern herumschnüffeln.«

»Wieso schließt Ihr auf ein Verbrechen, Schwester Sophia? Soweit uns bekannt ist, habt Ihr Bruder Antonius mit Beten kräftig beigestanden, den Teufel von der Äbtissin abzuwehren. So wie schon zuvor bei Schwester Johanna, der Herr sei ihrer armen verirrten Seele gnädig, aber wie es scheint, ist Euch das in beiden Fällen nicht gelungen. Es reicht eben nicht, im Angesicht des Heiligenscheins, der Euch umgibt, den Menschen Gottes Zorn zu prophezeien, wenn sie nicht zur Umkehr bereit sind«, kam es spöttisch von Ursula zurück. »Unsere beiden Schwestern haben Euch vertraut und es mit ihrem Leben bezahlt.«

»Ich habe keine Ahnung, wovon Ihr redet und womit ich Euren Unwillen auf mich gezogen habe, Schwester Ursula«, rechtfertigte sich Sophia äußerlich ruhig, innerlich aber wachsam, während sie die Tote nach Verletzungen absuchte. »Bedenkt, dass es Gott ist, der mich lenkt und der durch meine Hände Wunder vollbringt. Erinnert Euch nur an die Nonne der Sankt-Vinzenz-Klause, die erst im Februar auf meine Fürbitte bei unserem Allerheiligsten hin von einem schmerzhaften Beinleiden genas. Wenn Ihr sagen wollt, dass meine Bemühungen, das Böse aus Benediktas Körper zu vertreiben, zu ihrem Tod geführt haben, dann irrt Ihr Euch. Unsere gütige Mutter ist nicht durch die Teufelsaustreibung gestorben, sondern durch ihren Mörder – oder ihre Mörderin.«

Mit einer raschen Bewegung verschwand Sophias Hand in einer Falte des Habits der Äbtissin und legte unterhalb ihres Herzens eine blutige Klinge mit einem goldenen Knauf frei. »Man hat die Ehrwürdige Mutter mit einem Dolch getötet – wie schon zuvor Schwester Johanna.«

Ein strafender Blick aus Ursulas stechenden Augen war die Antwort auf die Entdeckung. Die Klarissin hasste es, unrecht zu haben. Insgeheim war die Äbtissin für sie nur eine weitere Besessene des Klosters Santa Klara gewesen.

»Seltsam, wie zielstrebig Ihr eben nach dem Dolch gegriffen habt, liebe Sophia«, höhnte sie leise. »Wenn Ihr von einem Verbrechen ausgeht, könnte ich daraus falsche Schlüsse ziehen. Zudem litt unsere Schwester an der ›schüttelnden Gottesstraf‹, das wisst Ihr ebenso gut wie ich und alle hier Anwesenden«, zischte sie. »Vielleicht wollte sich Mutter Benedikta auch nur selbst von ihrer Krankheit befreien und hat mit dem Stilett ein wenig nachgeholfen, wer weiß das schon? Wenn ich es recht bedenke, kann nur das die Erklärung für ihren Tod sein.«

Sie bedachte Sophia mit einem durchdringenden Blick, die daraufhin nach Worten suchte und verwirrt die Klinge aus der blutigen Wunde entfernte. Dann aber wurde sie sich ihres Rufes als lebende Heilige bewusst, und ihr Körper straffte sich.

»Ihr behauptet also, dass Schwester Benedikta selbst Hand angelegt hat? Das würde bedeuten, die Mutter Oberin hätte ihre Seele wissentlich der Verdammnis preisgegeben.« Eine Nuance leiser fügte Sophia an Ursula gewandt hinzu: »Und eine Nachfolge ihres Amtes gleich mit eingeplant. Es würde mich also nicht wundern, wenn Ihr etwas nachgeholfen habt.« Dann sagte sie wieder für alle hörbar: »Danach sieht es jedoch nicht aus. Eher ergibt sich aus den Vorkommnissen doch die Frage, ob jemand von uns Schwestern einen Nutzen aus ihrem Tod zieht.«

Diesmal hielt Sophia Ursulas Blick stand, die kaum hörbar erwiderte: »Euch ist bewusst, dass Ihr, eine Nonne von hoher Geburt und mit einem selbst aufgesetzten Heiligenschein, am ehesten in die Auswahl als Nachfolgerin der Äbtissin von Santa Klara kämt? Ihr Tod ist eine willkommene Gelegenheit für Euch.«

Sophia überhörte die Anschuldigung. Die Ausweitung des Streites im Angesicht des Todes entbehrte in ihren Augen jeder christlichen Würde. Mit fester Stimme ordnete sie an, die sterblichen Überreste der Äbtissin noch in dieser Nacht in der Klosterkirche aufzubahren, bevor sie zurück in ihre Zelle ging, um für die nun folgende Prozedur das graubraune Ordensgewand mit dem schwarzen Schleier anzulegen. Geschmückt mit einem Skapulier, sollte es ihre Würde als Heilige wieder festigen. Doch erschöpft von dem Erlebten, schloss sie die Zellentür und ließ sich mit den Händen vor dem Gesicht auf einen Stuhl fallen.

»Warum mussten die Schwestern nur sterben?«, murmelte sie. »Warum jetzt auch Mutter Benedikta? Nach so vielen Jahren? Oh, Herr, habe ich dir nicht mein Leben und meine Liebe geopfert. Habe ich für meine Sünden nicht gebetet?«

Plötzlich fühlte sie sich beobachtet, hob erschrocken den Kopf und blickte zur Gebetsnische. Etwas in der abgeteilten Zimmerecke mit dem Tisch, den Ikonen, den Heiligenbildern und dem Gesangbuch hatte sich verändert. Als ihr Blick zu dem Gekreuzigten über der aufgeschlagenen Bibel wanderte, erbleichte sie zutiefst erschrocken. Sie sprang auf, wankte, fiel auf die Knie, schlug mit zitternden Fingern das Kreuz vor der Brust und starrte dann mit zum Gebet gefalteten Händen auf das Kruzifix: Aus dessen Dornenkrone floss rotes Blut. In dünnen Rinnsalen lief es aus den Wunden des Gekreuzigten und tropfte auf die Bibelseiten, die sich wie von selbst nach jedem Tropfen, der es berührte, umblätterten. Das Geräusch des sich umschlagenden Papiers brachte Sophia wieder in die Wirklichkeit zurück. Hastig griff sie nach dem schweren Kruzifix, drückte es an ihre Brust und rannte wie eine Besessene in die Kapelle, wo der Sarg mit den sterblichen Überresten der Äbtissin bereits auf den Stufen vor dem Altartisch mit dem Triptychon aufgebahrt worden war. Alle Ordensschwestern, die Novizinnen in ihren ärmellosen Gewändern eingeschlossen, umstanden im Halbkreis betend den Holzsarg. Auch der eilig hinzubeorderte Pater Antonius fehlte nicht. Beim Anblick der Toten war es Sophia, als führe ein Windstoß durch die murmelnde Mauer aus braunen Habits und weiten Mänteln. Unter den schwarzen Schleiern leuchteten die ihr zugewandten Gesichter starr und bleich, so weiß wie ihre leinenen Brustschleier. Das Kruzifix an die Brust gedrückt, Gesicht und Hemd vom heiligen Blut beschmiert, wankte Sophia wie im Traum durch die Gasse, die sich zwischen den Nonnen bei ihrem Erscheinen gebildet hatte. Vor Pater Antonius, der die Tote segnete, blieb sie stehen. Niemand hatte sie aufgehalten, alle waren ihr teils neugierig, teils entsetzt gefolgt, bis sich der Durchlass zwischen den Körpern hinter ihr wieder schloss.

Sophia legte dem Pater das blutende Kruzifix auf die Stufen vor seine Füße, dann drehte sie sich langsam um. Ihre Augen suchten Ursula, die Schatzmeisterin, doch sie fanden nur Leere. Verzweifelt hob sie die blutroten Hände, dann fing der Herrgott sie schützend in seinen Armen auf. Ein Aufschrei ging durch die Menge, als Sophia ohnmächtig die Stufen hinab vor ihre Füße rollte.

Kapitel 1

Vier Jahre waren seit den seltsamen Ereignissen im Kloster Santa Klara vergangen, aber statt dass eine rasche Aufklärung stattgefunden hätte, häuften sich die Gerüchte um die Klarissen. Da allseits von Vorgängen dämonischer Besessenheit und blutigen Teufelsaustreibungen gemunkelt wurde, hatte Seine Erzbischöfliche Gnaden, der Kurfürst Ferdinand, seinen besten Mann, den Generalvikar Bernard Fresenius, persönlich mit der Untersuchung des verjährten, aber noch immer höchst pikanten Falles betraut, der den Ruf des Franziskanerordens ebenso wie den des Erzbischofs zu schädigen drohte. Nachdem der zuvor vom Papst beauftragte Nuntius das Gerücht von einem heiligen Wunder im Kloster angezweifelt und das blutende Kruzifix nach Rom mitgenommen hatte, wies der Erzbischof zunächst seinen Generalvikar an, Einspruch beim Nuntius einzulegen. Er sollte sich darauf berufen, dass nach kirchlichem Recht derartige Vorgänge vom Bischof selbst auf Echtheit zu überprüfen seien.

Doch der Nuntius, der schon lange nach der Oberaufsicht über die Franziskanerkonvente schielte, zeigte Bernard Fresenius die kalte Schulter. So quälte sich nun eine schwarze Reisekutsche mit dem Generalvikar vom Amte Lechenich kommend schwerfällig die alte Königsstraße nach Köln entlang, die wegen ihrer eingefahrenen Radspuren, Unebenheiten und Risse ebenso beschwerlich zum Gehen wie zum Reiten und Fahren war.

Einer der zwei Reisenden in der Kutsche wurde so kräftig durchgeschüttelt, dass er es nicht nur einmal bereute, seinen schnellen Braunen für diesen Auftrag im Stall zurückgelassen zu haben. Jeder Sattel wäre in diesem Moment bequemer gewesen, jedes Pferd schneller. Zum Glück hatte er in weiser Voraussicht die Soutane gegen eine leichtere Reisekleidung eingetauscht. Da er sich jedoch immerfort nach der herunterrutschenden Kappe bücken musste, war die streng gelegte Lockenpracht seiner dunkelblonden Haare mittlerweile so durcheinandergeraten, dass seine markanten Züge mit der etwas zu breit geratenen Nase fast verwegen wirkten.

Der Generalvikar ertappte sich dabei, wie er erleichtert ein Gebet murmelte, als endlich die gewaltige Stadtmauer mit ihrer Brustwehr, den zahlreichen Türmen, Pforten und Schießscharten vor ihm auftauchte. Mit Grausen erinnerte er sich daran, wie sich vor noch nicht ganz drei Stunden urplötzlich der Himmel verfinstert und es zu hageln begonnen hatte. Hagelkörner so groß wie Hühnereier waren wie ein böses Omen vom Himmel gefallen, sodass er hatte befürchten müssen, das Kutschendach würde einem weiteren Unwetter nicht standhalten. Er wertete das Vorkommnis noch immer als einen schlechten Vorboten und riskierte jetzt einen Blick durch das Fenster, um abzuschätzen, wie weit es noch bis zum Kloster Santa Klara war. Als er am nordwestlichen Ende der Mauer die Umrisse des Klarenturmes schemenhaft gewahrte, atmete er erleichtert auf. Die zu erwartenden penetranten Ausdünstungen des Nonnenaborts, der in diesem Turm untergebracht war, schienen ihn nicht zu stören. Sie waren ihm um ein Vielfaches willkommener als jeder weitere Hagelschauer.

Auf Höhe des Weyertors mit seinen zwei mächtigen Flankentürmen wurde das Gefährt überraschend aufgehalten. Zwei Amtsschützen kreuzten seinen Weg und jagten im Galopp an ihm vorbei, ohne ihm, wie es üblich gewesen wäre, ihren Schutz anzubieten. Warum sie die fürstliche Kutsche ignorierten, sollte der Generalvikar sogleich erfahren. Nur wenige Meter vor ihm walzte sich eine grölende Menschenmenge durch die steinerne Pforte, die, wie er durch das Kutschenfenster erkennen konnte, ein noch kindliches Weib vor sich hertrieb, das immer wieder hinfiel, sich aufrappelte und erneut zu Boden stürzte.

Als es länger als erwartet auf dem Weg liegen blieb, streckte er den Hals vor, um besser sehen zu können. Ihm war an dem Mädchen etwas aufgefallen, das seine Neugier weckte. Obwohl es gefährlich war, auf Straßen auszusteigen, die von Räubern und Plünderern belagert wurden, gab er dem Kutscher mit der Hand ein Zeichen, auf die Gruppe zuzufahren, die jetzt über die Hilflose herfiel, mit den Füßen nach ihr trat und mit Stöcken auf sie einschlug.

Da der Pöbel die herannahende kurfürstliche Kutsche gewahrte, stob er erschrocken auseinander und ließ das Gefährt passieren, bevor er anschließend wieder neugierig im Halbkreis zusammenrückte. Der Generalvikar Bernard Fresenius gebot dem Kutscher zu halten, gab dem ihn begleitenden Geistlichen Anweisungen, auf seinem Platz zu bleiben, und stieg an ihm vorbei aus der Kutsche.

Das junge Weib hatte indessen die Verwirrung des Pöbels genutzt und sich hinter einem Steinhaufen in vermeintliche Sicherheit gebracht, die sich aber bald als tödliche Gefahr entpuppte. Bernard bemerkte sofort, wie einige Vorwitzige nach Steinen griffen, um die junge Frau damit zu traktieren. Ein scharfer Blick aus seinen graugrünen Augen genügte jedoch, um sie zum Rückzug zu bewegen. Er wusste um seine autoritäre Erscheinung und die Gabe, Menschen seinen Willen aufzuzwingen. Er schürzte sein Gewand, um eine Pfütze zu überspringen, lief rasch um den Steinhaufen herum und beugte sich zu dem Weib hinab. Es erschien ihm noch jung, höchstens zwanzig Jahre, obwohl die Bemitleidenswerte ihr Gesicht vor ihm unter den Händen verbarg. Ohne Scheu berührte er die junge Frau am Arm und forderte sie auf »Zeig mir dein Gesicht, Jungfer! Ich will sehen, ob ich dir helfen kann.«

Gehorsam ließ die Frau die Hände sinken, und Bernard sah, was er bereits vermutet hatte. Weißer glasiger Schaum tropfte ihr aus den Mundwinkeln, während ihre Augäpfel hin und her rollten, sodass er das Weiße in ihnen sehen konnte.

»Kannst du aufstehen?«, fragte er und hielt ihr auffordernd die Hand hin.

Die Frau schüttelte ängstlich abwehrend den Kopf. Auch jetzt fielen Bernard ihre seltsam abgehackten Bewegungen auf, als wären Hals und Kopf nicht richtig miteinander verbunden.

»Sag mir deinen Namen.« Er warf einen strengen Blick auf die Menge hinter sich, die wieder näher an sie heranrückte und böse Verwünschungen grölte. Als er keine Antwort erhielt, bohrte er ungeduldig weiter. »Seit wann hast du diese Anfälle schon?«

Er bückte sich über sie und betrachtete forschend ihr Gesicht, während er mit den Händen ihren Körper nach Verletzungen abtastete. Ihre Muskeln verkrampften sich erneut, was eine veränderte Stellung der Gliedmaßen zur Folge hatte. Trotz allem entbehrte ihr Gesicht nicht eines gewissen Liebreizes, der ihm bekannt vorkam und ihn an eine Nonne im Kloster Santa Klara erinnerte. Die junge Frau zog unter seinen Berührungen ihre zuckenden Füße unter den Unterleib und machte Anstalten, den Oberkörper aufzurichten. So gut er es vermochte, half er ihr. Auf zitternden Beinen, gestützt von seinen Armen, wimmerte sie leise, wobei sie sich bemühte, sich mit dem Handrücken den Schaum von den blau angelaufenen Lippen zu wischen.

»Geht nur, hoher Herr, und überlasst mich dem Pöbel. Ihr seht doch, mir sitzt der Teufel im Leib. Ich bin besessen und habe den Tod verdient.«

Während sie die Worte sprach, richtete sie sich so weit auf, dass sie ein paar Schritte machen konnte. Sie war groß, schlank und von anmutiger Erscheinung, sodass er sich erneut in seiner Vermutung bestätigt sah, dass er die schöne, anscheinend fallsüchtige Frau kannte.

»Es muss nicht immer gleich der Teufel sein«, beruhigte er sie und gab seiner Stimme einen gütigen Klang. »Willst du mir nun deinen Namen nennen?«

»Christina.«

»Gut, Christina, und willst du mir denn auch verraten, wer dein Vater und deine Mutter sind? Vermutlich sorgen sie sich um dich.«

Das Interesse an ihrer Person schien dem Mädchen etwas von ihrer Angst zu nehmen. Zum ersten Mal blickte sie ihm offen und klar in die Augen, sodass er auch die ihren sehen konnte. Sie waren blau wie die Farbe des Meeres und des Himmels. Ein teuflisches Zeichen. Der Höllenfürst besaß die Gabe, jederzeit sein Gesicht zu ändern und versuchte, sich insbesondere hinter auffallender Schönheit zu verbergen. Für einen Moment überfielen Bernard Zweifel, und er zog die Anwesenheit des Teufels doch in Erwägung. Dann aber siegten das Herz und der gesunde Menschenverstand in ihm, und er beschloss, die junge Frau erst einmal mit ins Kloster zu nehmen.

»Mein Vater ist Heinrich Plum, Bote der Gürtelmacherzunft. Meine Mutter Margarethe verkauft die Ernte aus unserem Garten auf dem Neumarkt. Heute Morgen fühlte sie sich nicht wohl, deshalb bin ich für sie mit dem Salat zum Markt gefahren. Dabei ist der Dämon wieder über mich gekommen«, erklärte sie ihm leise.

Die letzten Worte waren vom Pöbel nicht ungehört geblieben. Aufgebracht rückten die Hexenjäger näher und bildeten einen Kreis um die Frau und ihren Retter, drohend und zu allem bereit. Die Lautesten von ihnen hielten jetzt faustgroße Steine in den Händen. Ihre wütenden Schreie schwollen zu einem ohrenbetäubenden Orkan an. Länger vermochte Bernard Fresenius die aufgebrachten Bürger durch seine Autorität nicht mehr hinzuhalten. Unwissenheit und Sensationsgier forderten immer vehementer, die Hexe zu steinigen.

Obwohl er sich selbst in größter Gefahr befand, hielt er Christina die Hand hin, die sie angesichts der von Gott geschickten Hilfe nun doch vertrauensvoll ergriff. Der Generalvikar zog die Frau an seine Brust und verbarg sie unter seinem Mantel. Mit ihr im Arm, die andere Hand an der Waffe, die er auf Reisen immer bei sich trug, und bereit, jederzeit ihrer beider Leben zu verteidigen, drängte er durch die dichte Mauer aus erhitzten Leibern, nicht ohne die Menge mit strafenden Blicken und Flüchen zu bedenken. Die Leute wichen schweigend vor ihm zurück. Während er hastig ein Gebet murmelte, spürte er ihr Lauern nach einer Schwäche, nach einem Fehler von ihm, der ihnen die Chance geben würde, sich augenblicklich in ein Rudel hungriger Wölfe zu verwandeln.

Ein paar Schritte vor dem wartenden Gefährt winkte er rasch seinen beiden Dienern auf dem Kutschenkasten. Die beiden Musketiere richteten die Waffen auf den Pulk, um gegebenenfalls dazwischenzuschießen, doch im Fall der Fälle würden sie gegen die mordlüsterne Menge nur kurzzeitig etwas ausrichten können, das wusste der Generalvikar. So ließ er sich erleichtert in die Polster fallen, als er hinter Christina in die Kutsche gehechtet war und die Pferde im Galopp lospreschten.

Die junge Frau war gerettet, aber was sollte er nun mit ihr anstellen? Im Kloster würde sie in ihrem Zustand den Anfeindungen der Nonnen ausgesetzt sein. Er besah sich ihre ärmliche und verschmutzte Kleidung. Sie wollte so gar nicht zu dem schönen Gesicht mit den feinen Zügen passen, das, immer noch verängstigt, ihm Rätsel aufgab. Schamvoll hatte sich die Frau vor ihm in die Polster zurückgezogen und versuchte, die an ihrem Körper hängenden Stofffetzen zu ordnen, um ihre Blöße vor ihm zu verdecken. Sie blutete aus einer Kopfwunde. Die reiche Ausstattung der Kutsche mit ihren Samtpolstern und der Tapete aus gewebtem Teppich schien sie zu verunsichern. Zudem hatte sie wohl erkannt, dass sie sich in der Begleitung eines hohen Priesters befand, und das anfängliche Vertrauen wich der erneuten Angst vor dem Unbekannten. Der zweite, jüngere Geistliche saß ihr mit übereinandergeschlagenen Beinen gegenüber und hatte die Kapuze tief in das Gesicht gezogen. Einige Male warf er ihr einen belustigten Blick über den Rand der Bibel zu, die er in der Hand hielt. In leiser Hoffnung, bei ihm Beistand zu finden, versuchte sie, ihn festzuhalten, doch sein Interesse galt weniger ihr als der Heiligen Schrift.

»Wohin bringt Ihr mich, Hochwürden?«, fragte sie leise, bereit, bei der kleinsten unbedachten Bewegung seinerseits aus der Kutsche zu springen.

Bernard Fresenius lächelte amüsiert über die unbegründete Angst. »Soll ich dich zu deinen Eltern bringen, Christina?«, fragte er nach kurzem Überlegen, um ihr die Angst zu nehmen.

Umso mehr überraschte ihn ihre Antwort und das heftige Kopfschütteln. »Nein, Hochwürden, alles, nur das nicht! Setzt mich irgendwo am Wegesrand ab und lasst mich mit Gott meines Weges ziehen.«

Verwundert durch das seltsame Ansinnen einer jungen Frau, die gerade dem Tode entronnen war, wurde er neugierig. »Warum soll ich dich nicht zu deinen Eltern bringen? Lieben sie dich etwa nicht?«

Erneut schüttelte sie die nassen, verklebten Locken. Sie wurde unsicher und suchte nach Worten, während er sie beobachtete, als betriebe er eine Studie. Seltsam, schon wieder glaubte er, Sophia vor sich zu sehen. Die Ähnlichkeit mit der Nonne rief Erinnerungen und seltsame Empfindungen in ihm wach. Unbeabsichtigt zärtlich berührten seine Hände die ihren. Christina zuckte leicht zusammen, entzog sie ihm aber nicht. Ein dämonischer Zauber? Sein Blick bohrte sich in ihre Pupillen. Er musste herausfinden, ob diese Frau ein Geschenk Gottes war oder Luzifer sein Spiel mit ihm trieb.

»Ist es vielleicht doch der Teufel, der sich deines Körpers bemächtigt hat, meine Tochter? Hast du ihn schon einmal gesehen? Sag, wann plagt er dich am meisten? Wenn dich Gefühle beherrschen wie Wut, Ärger oder gar Furcht? Und welche Stelle, Jungfer, schmerzt dich zuerst?« Er war sich sicher, dass nur solche Fragen die Wahrheit zutage fördern würden. Er musste sich Klarheit über ihr Leiden verschaffen, wenn nötig auch mit Schärfe. Wie er wusste, litt auch die heilige Sophia an dieser Krankheit.

Doch Christina zog sich nur tiefer in ihre Ecke zurück und reagierte mit stummem Trotz. Die Kutsche durchquerte jetzt die Weingärten nördlich des Klosters, und der Klarenturm, das Wahrzeichen des Nonnenklosters, tauchte oberhalb der römischen Stadtmauer vor ihnen auf. Sie mussten nur noch an dem tiefen, von Weinstöcken umsäumten Grabenzug vorbeifahren, dann würden sie durch die dem Generalvikar vertraute Pforte in den Klosterhof einbiegen.

Die Zeit drängte, und so beugte Bernard Fresenius sich ihr entgegen und umschloss fest ihre zarten Hände. Die Ähnlichkeit ließ ihm keine Ruhe. Mit milder Stimme versuchte er, sie umzustimmen. »Ich bin nicht der Großinquisitor. Du musst dich nicht vor mir fürchten. Ich möchte nur allzu gern von dir erfahren, ob du diesem Zustand noch immer den Tod vorziehst, meine Tochter. Und vielleicht kann ich dich sogar vor einem unüberlegten Schritt bewahren. In wenigen Augenblicken erreichen wir das Kloster Santa Klara. Könntest du dir vorstellen, in den heiligen Mauern Erleuchtung zu finden?«

»Aber was soll eine vom Teufel Besessene wie ich in einem Kloster, Hochwürden?« Verblüfft über diesen Vorschlag, riss Christina die Augen weit auf und sah Bernard geradewegs ins Gesicht.

»Deine Krankheit auskurieren, mein Kind. Ich wüsste dort auch jemanden, der dir vielleicht helfen könnte.«

»Meine Krankheit?« Christina winkte ungläubig ab und ließ sich in die Polster zurückfallen. »Ich wurde mit dem teuflischen Makel bereits geboren. Er ist die Strafe für meine unselige Geburt. Wahrscheinlich hätte ich gar nicht auf diese Welt kommen dürfen, so sagt jedenfalls mein Vater. Er hat den Teufel oft genug aus mir herausgeprügelt, aber der Dämon ist dadurch nur noch stärker geworden. Lasst mich gehen und meinem Leben ein Ende setzen, nur so kann ich mich von ihm befreien.«

»Dein Freitod ist ebenso eine Sünde wie die, eine Hexe zu sein. Aber wieso unselige Geburt?« Die beiläufige Bemerkung der jungen Frau hatte ihn stutzig gemacht.

»Ach, Hochwürden, mein Vater pflegt oft zu klagen, dass mich der Teufel im Galopp verloren hätte und der Herrgott ihn doch endlich von mir, der Hexe, befreien möge«, seufzte sie, aber ihre Worte gingen im Gepolter der in den Klosterinnenhof einfahrenden Kutsche unter.

Bernard, abgelenkt von dem Anblick des gewaltigen Schiffs der Nonnenstiftskirche am östlichen Laufgang des Kreuzhofes, zog ein kleines Spitzentuch hervor und gab dem Kutscher damit ein Zeichen, den Kapitelsaal anzufahren, das längste Gebäude vor dem geöffneten Klostergang. Vor der Klosterküche ließ er das Gespann in einer Ecke des Kreuzhofes anhalten.

Beim Aussteigen warf er einen Blick auf die angrenzenden Gebäude mit Wasch- und Badehaus, der Bäckerei, den Stallungen und den Räumen für die Mägde. Er hielt sich das Tüchlein vor die Nase, gab ein weiteres Christina und gebot ihr, die sich neugierig und mit gerümpfter Nase umsah, es ihm gleichzutun. Wind war aufgekommen, und die Nonnen hatten die im Dachaufbau endende Lüftung des Klarenturmes geöffnet. Der penetrante Geruch des Gebäudes, in dem die Nonnen ihre Notdurft verrichteten, legte sich in einer übel riechenden Wolke über die blühenden Kräuter und Gemüsegärten im Innenhof und durchflutete beißend die Kreuzgänge.

Im Gewölbe des Laufganges wurden Bernard Fresenius und seine Begleiter bereits von der Torhüterin und zwei Nonnen erwartet, die die Gäste zur Äbtissin Ursula geleiten sollten. Ihrem Amte gemäß war die Torhüterin eine ältere Nonne, deren strenge, fast maskuline Gesichtszüge von Entschlusskraft und Durchsetzungsvermögen geprägt waren. Unter dem Schleier blitzten jedoch zwei sehr lebendige graue Augen auf, und nachdem sie sich vor dem Generalvikar und seinem Begleiter züchtig verneigt und das dargebotene Kreuz geküsst hatte, gab sie den Gästen mit einem Kopfnicken zu verstehen, ihr zu folgen. Für den Bruchteil einer Sekunde streifte ihr Blick das Mädchen an der Seite des Geistlichen, bevor sie ihnen lautlos und barfüßig über den Steinfußboden vorausschwebte.

Es schien, als hätte der Generalvikar Christina für einen Moment vergessen, während sie dem Geräusch seiner schweren Schritte, die sich in dem hohen Gewölbe verliefen, in gebührendem Abstand folgte. Endlich unbeobachtet, schenkte sie ihre Aufmerksamkeit seinem jungen Begleiter. Der Priester, der dem Geschehen schon in der Kutsche wenig Beachtung geschenkt hatte, schritt auch jetzt mit gefalteten Händen, den Blick züchtig auf den Boden gerichtet, neben ihr her, aber Christina bemerkte trotzdem, dass er ein angenehmes Gesicht hatte, dessen Teint im Gegensatz zu ihrem hellen samtig olivbraun schimmerte.

»Darf ich Euren Namen erfahren, Hochwürden?«, fragte sie scheu und schaute sogleich angenehm überrascht in seine großen warmen braunen Augen.

Er lächelte ein seltsames Lächeln, welches ihr unter die Haut ging. Sofort fasste sie Vertrauen zu dem jungen Mann, der ihr jetzt amüsiert zuzwinkerte. »Leonardo.«

Als er ihr Interesse bemerkte, konnte er sich nicht enthalten, sich ein wenig vor ihr zu brüsten. »Es ist noch gar nicht so lange her, dass ich das Sakrament der Priesterweihe empfing und an der Universität in Rom Philosophie und Theologie studiert habe. Den Generalvikar zu begleiten ist für mich eine große Ehre.« In seinen Worten klangen Stolz und gutmütiger Spott mit, die auch seine Haltung ausdrückten. Christina hätte gern noch länger der weichen Stimme mit dem beruhigenden Klang gelauscht, doch Leonardo legte den Finger auf die vollen Lippen und wies mit einer Kopfbewegung auf die mächtigen, mit kunstvollen Fresken verzierten Säulen, welche die Gewölbedecke trugen.

»Sieh nur diese Pracht und Schönheit«, verrieten seine Augen, während sie von den offenen, lichtdurchfluteten Gängen in einen geschlossenen weiß getünchten Flur gelangten. Eine nie gekannte, fast unheimliche Ruhe umfing Christina zwischen den hellen Wänden mit den eingelassenen schmalen Fenstern, die ins Nichts hinausgingen.

So muss der Weg zur Himmelspforte aussehen, dachte sie und spürte, wie ihr Herz schneller zu schlagen begann. Wohin wurde sie gebracht? Sollte sie weglaufen? Sie brauchte sich nur umzudrehen und den Weg zurückzugehen, den sie gekommen waren. Verstohlen sah sie zu Leonardo, der stumm betete und sie nicht mehr beachtete. Sie fühlte sich allein, und abermals nistete sich die Furcht in ihrem Herzen ein. Das Kribbeln in Armen und Beinen nahm zu, und sie spürte, wie das Fremde in ihr erneut die Macht über sie zu gewinnen versuchte. Bevor sie gänzlich den Boden unter den Füßen verlieren würde, nahm sie all ihre Kraft zusammen und brach das Schweigen. »Ist es noch weit, Hochwürden Leonardo?« Doch der junge Priester war wie vom Erdboden verschwunden. Stattdessen nahte ihre Erlösung.

Vor einer oben abgerundeten Tür aus dunklem Ebenholz, die mit einem Kranz kunstvoll geschnitzter Heiliger verziert war und in deren eisernem Schloss ein riesiger Schlüssel steckte, stoppte die Führerin und öffnete die Tür. Der Generalvikar drehte sich nach Christina um, nachdem er ein zaghaftes Zupfen an seinem Umhang verspürt hatte.

»Keine Angst, mein Kind«, beruhigte er sie mit seinem Blick.

»Gott zum Gruß, Ehrwürdige Mutter«, sagte er laut und betrat mit Christina das Zimmer. Mit großen Schritten steuerte er auf den Schreibtisch in der Mitte des Raumes zu, hinter dem ihn die Äbtissin bereits erwartete. Sie trug die übliche Kleidung der Klarissen, einen kastanienbraunen Habit.

Christina nutzte den Schutz seines breiten Rückens und bestaunte die heiligen Frauen Ursula, Agnes, Katharina und Barbara, die sie aus prunkvollen Rahmen von den hellen Wänden herab anlächelten, bevor sie in banger Erwartung die Augen auf die Äbtissin richtete. Ihr Schreibtisch stand vor einer Darstellung der Dreifaltigkeit.

Die Nonne hatte sich beim Eintritt des Generalvikars erhoben und empfing ihn mit in übertriebener Freundlichkeit ausgestreckten Armen. »Hochwürden, was für ein hoher und seltener Besuch in unseren Klostermauern. Zu lange schon haben wir Eure Anwesenheit vermisst.« Sie trippelte um den Schreibtisch herum, beugte das Knie vor ihm und küsste den Ring an seiner Hand, sichtlich bemüht, einen guten Eindruck zu machen.

Für Christinas Empfinden war ihr Verhalten zu übertrieben. Die Demut, die sie Bernard Fresenius entgegenbrachte, wirkte gespielt, fast einstudiert. Zudem ignorierte die Äbtissin den jungen Priester, der nun wiederaufgetaucht war und rasch durch die Tür trat. Sie hatte nur Augen für den Vertreter des Erzbischofs, was Christinas Abneigung gegen die Äbtissin verstärkte, obwohl die Nonne bisher kein Wort zu ihr gesprochen hatte. Menschen wie sie hatte Christina schon zur Genüge kennengelernt. Sie gefielen sich im Dienst am Nächsten wie im Schöntun und wollten ständig hören, wie dankbar man ihnen sei. Wurden sie enttäuscht, konnten sich Mitleid und Barmherzigkeit jedoch schnell in Unwillen oder gar Hass verwandeln. Vom Vater, der manchmal als Leichenbitter in der Kirche auf Leichenbegängnissen die Totenzettel verteilte, wusste sie, dass jeder dem Generalvikar, dem Verwalter des Erzbischofs, Respekt und Zurückhaltung entgegenbrachte. Das Gebaren der Äbtissin Ursula aber ging weit über jeden normalen Respekt hinaus. Von Zurückhaltung war keine Spur, und Christina glaubte sogar, so etwas wie ein lüsternes Funkeln in ihren Augen gesehen zu haben, als sie zu ihm aufgeblickt hatte.

Bernard Fresenius schlug das Kreuz über ihr und gebot ihr, sich zu erheben, indem er ihr mit einer höflichen Geste die Hand entgegenstreckte. Sein Gesicht blieb unbewegt, es erging ihm nicht anders als Christina. Das Gespräch mit der Äbtissin war ihm unangenehm, er wollte es schnell hinter sich bringen. Ihm war bekannt, dass die ehemalige Schatzmeisterin sich die Stellung der Äbtissin mit einer List erschlichen hatte, und es wäre das Mindeste gewesen, dass ihre Stellvertreterin Sophia bei der Begrüßung der Gäste anwesend war. Er dämpfte ihren Überschwang: »Ehrwürdige Mutter Ursula, sagt, was geht hier vor? Wo ist Schwester Sophia? Ich hatte sie ebenfalls hier erwartet.«

»Unsere heilige Schwester zieht es vor, in ihrer Zelle zu Christus, unserem Bräutigam, zu beten. Seit Gott uns vor vier Jahren ein Zeichen schickte, ist ihre Seele ausschließlich mit Gebeten und göttlichen Lobpreisungen beschäftigt«, antwortete die Nonne mit hochmütigem Unterton.

»Dann bringt mich zu ihr«, befahl der Generalvikar ungerührt und schob sich vor Christina, um sie vor den Blicken der Äbtissin zu schützen, die nun neugierig sehen wollte, wer sich hinter seinem Rücken verbarg.

»Und wen, Hochwürden, habt Ihr uns da mitgebracht?« Sie ignorierte seinen Wunsch und machte ein paar Schritte um ihn herum.

»Ein armes, von Gott verlassenes Kind, das ich am Wegesrand fand und dessen körperlicher Zustand mich dauerte. Da unsere Heiligkeit Schwester Sophia in einer beständigen Beziehung mit Christus, unserem Herrn, steht, wird sich ihr Herz sicher auch diesem Mädchen öffnen.«

»Was ist mit der Jungfer, ist sie krank?«

Die Äbtissin ging nun um den Generalvikar herum. Sie hatte eine hohe Stirn und ein blasses Gesicht mit recht breiten Wangenknochen, die von einem hellen Brustschleier sowie zwei weiteren weißen und schwarzen Schleiern eingerahmt wurden. Die grauen Augen, die Christina jetzt unverhohlen musterten, hatten ihren freundlichen Ausdruck verloren, blickten jetzt nur noch kalt und farblos.

Christina duckte sich ängstlich unter ihrem Blick und sah sich hilfesuchend nach dem jungen Priester um. Sein Lächeln beruhigte sie. Zu ihrem Glück schwand das Interesse der Äbtissin an ihr schnell wieder. Ihrer hohen Stellung im Kloster gemäß schenkte sie Christina nur so viel Aufmerksamkeit, wie vonnöten war. Erneut richtete sie die Augen auf den Generalvikar und sagte mit dem ihr eigenen spöttischen Unterton in der Stimme: »Unsere geheiligte Schwester wird ihr sicher helfen. Schließlich versteht sie es vorzüglich, für das Heil ihrer Nächsten bei Gott, unserem Herrn, um Erhörung zu bitten.«

Wieder glaubte Christina, gesehen zu haben, wie ein herablassendes Lächeln ihre Mundwinkel umspielte, bevor sie anordnete: »Die Jungfer kann im Westflügel bei den Laienschwestern unterkommen. Sie wird angemessene Kleidung erhalten und sich in der Küche und Wäscherei bei den Schwestern nützlich machen.« Dann wurde ihre Miene amtlich. »Bevor ich Euch zu Schwester Sophia führe, habe ich noch ein paar Fragen an Euch, Hochwürden. Darf ich erfahren, welche Dringlichkeit Euch in unser bescheidenes Kloster führt? Sicher ist es nicht allein die Jungfrau, deren Schicksal Euch am Herzen liegt?«

»Das habt Ihr richtig erkannt, Ehrwürdige Mutter. Lange Jahre war ich Eurem Kloster fern und komme auch jetzt leider in keiner angenehmen Angelegenheit. Das Kloster Santa Klara ist in den letzten Monaten zu sehr in das Interesse unseres so geschätzten Erzbischofs Ferdinand gerückt. In seinem Auftrag soll ich die Geschehnisse um das blutende Kruzifix genauer untersuchen.«

»Aber das Mirakel befindet sich doch gar nicht mehr in unseren Mauern«, protestierte die Äbtissin schwach. »Bereits vor vier Jahren, gleich nach der Erscheinung, hat sich der päpstliche Nuntius des Wunders angenommen und es nach ausreichender Untersuchung nach Rom zum Heiligen Vater mitgenommen.«

»Es geht unserer bischöflichen Eminenz auch weniger um ein von Gott gesandtes Wunder, Ehrwürdige Mutter, sondern vielmehr um die schwerwiegenden Vorkommnisse, die in der Vergangenheit im Kloster für Verwirrung gesorgt haben. Darunter fällt auch der mysteriöse Tod Eurer Vorgängerin Schwester Benedikta, der noch immer der Aufklärung bedarf. Natürlich stimme ich Euch zu, was die Untersuchungen des Nuntius betrifft, dennoch fühlt sich der Erzbischof dazu berufen, das Mirakel nochmals auf seine Echtheit hin zu überprüfen.«

Einen Moment lang war es still im Raum. Die Äbtissin hatte sich zurück hinter ihren Schreibtisch begeben und schien in Gedanken versunken, bevor sie sich zu einer Antwort entschloss. Wieder war Christina überrascht von der Art, mit der die Nonne ihr Mienenspiel beherrschte.

»Aber was hat das eine mit dem anderen zu tun, Hochwürden? Der Nuntius hat schon genügend Verwirrung gestiftet, indem er in seinen Berichten an die Verwaltung in Rom die freie Handhabung unserer Klausur beanstandet hat. Den Grund dafür kennt Ihr genauso gut wie ich. Schwester Sophias dämonische Versuchungen im Kloster waren es, die letztendlich die Zweifel am heiligen Wunder aufwarfen.«

»Jetzt sprecht Ihr unrecht, Ehrwürdige Mutter. Mir scheint, als würden Hass und Missgunst Eure Zunge lenken«, widersprach der Generalvikar ungehalten. »Schließlich hat der Nuntius bei seinen umfassenden Untersuchungen herausgefunden, dass das Blut am Kruzifix menschlichen Ursprungs war. Nach dieser Feststellung musste er das angebliche Wunder entweder für eine Täuschung des Teufels oder für einen menschlichen Racheakt halten. Gleichwohl dürfte Euch bekannt sein, dass die Franziskanerorden dem neuen Katholizismus unseres überaus frommen und romgetreuen Erzbischofs Ferdinand und der Jesuiten skeptisch und indifferent gegenüberstehen. Besonders Euer Kloster befindet sich in einem Zustand, den wir als verwahrlost und orientierungslos bezeichnen würden. Mir scheint, unter Eurer Führung, Mutter Oberin, herrschen Unzucht und Skandale. Ihr müsst Euch also wieder an eine Beobachtung der Klausur gewöhnen.«

Die Äbtissin schluckte den Vorwurf, während der Generalvikar in ihrem Gesicht vergeblich nach Anzeichen von Reue oder Einsicht suchte. Ihre unbeweglichen Züge waren undurchschaubar.

»Wenn Ihr meine Meinung dazu hören wollt, Hochwürden«, hob sie schließlich die Stimme, »geht es dem Erzbischof bei seinen Machtstreitigkeiten mit dem Nuntius nur um die Oberaufsicht des Franziskanerordens. Belanglose Vorkommnisse werden an den Haaren herbeigezogen, die einen willkommenen Anlass bieten, um die Ruhe hinter unseren Klostermauern zu stören.«

Ihre Zunge war scharf wie ein Schwert. Er befürchtete, dass er sich an ihr die Zähne ausbeißen würde. Selbst Christina spürte, dass er das Gespräch beenden wollte.

»Wo ist Euer Respekt geblieben, Ehrwürdige Mutter?«, tadelte er sie und fügte dann hinzu: »Bringt mich jetzt zu Sophia.«

Die Äbtissin Ursula ließ die Zurechtweisung wortlos über sich ergehen und beugte gehorsam das Haupt. Was hinter ihrer Stirn vorging, als sie mit gekreuzten Händen vor der Brust voranschritt und die kleine Gruppe zum Südflügel führte, wo sich die Kammer der besagten Nonne befand, wusste sie geschickt zu verbergen.

Schwester Sophias Privatbereich durfte nur im Ausnahmefall betreten werden. Bernard Fresenius orientierte sich zunächst mit einem Blick durch das kleine Sichtfenster, bevor er mit Christina an seiner Seite die Tür öffnete. Hätte sie gewusst, dass ein so hoher Geistlicher nie ohne offizielle Begleitung die Zelle einer Nonne betreten durfte, wäre ihr sein Verhalten seltsam vorgekommen. So aber folgte sie ihm in die Zelle, in der sich die Nonne bei ihrem Erscheinen aus ihrer knienden Stellung von ihrem Gebetsschemel erhob. Durch das kleine Fenster über dem Gebetspult drangen Strahlen der Nachmittagssonne und umhüllten die schlanke Frauengestalt, deren Gesicht im Schatten verblieb. Der Generalvikar verharrte einen Moment lang, bekreuzigte sich hastig und lief dann mit ausgebreiteten Armen auf die Nonne zu. Ein seltsames Verhalten, das sich so gar nicht mit seinem hohen Stand und dem Respekt vor der heiligen Sophia vereinbarte. Er hinderte die Nonne daran, vor ihm auf den Boden zu sinken, und zog sie sanft an seine Brust. Mit weicher, fast zärtlicher Stimme, in der eine seltsame Ungeduld mitschwang, sagte er zu ihr: »Nicht Ihr solltet vor mir knien, Sophia, ich bin es, der das Haupt vor Euch zu beugen hat. Sagt, geht es Euch gut? Fehlt es Euch auch an nichts? Oh, wenn Ihr wüsstet, wie untröstlich ich bin, dass ich Euch nicht unterstützen konnte. Erst nach meiner Rückkehr aus Rom habe ich vom Erzbischof erfahren, dass Schwester Ursula die geheime Wahl gewonnen hat.«

Die Nonne hielt sich steif in seinen Armen. Es schien, als verbarg sich hinter ihrem Lächeln ein sanfter Widerstand. »Danke, Hochwürden. Aber es geht mir gut. Gott ist bei mir und wacht über mein Wohlergehen.«

Bernard Fresenius musterte die Nonne mit seinen graugrünen Augen, als wollte er sich an ihren schönen Zügen für alle Zeit festsaugen. »Tatsächlich? Ich habe aus Sorge um Euch kaum Schlaf gefunden. Ihr habt nun Feinde, wie mir zu Ohren gekommen ist. Eure Aufzeichnungen dürfen unter diesen Umständen auf keinen Fall in die falschen Hände gelangen. Wollt Ihr sie mir nicht anvertrauen?«

»Ich habe sie bereits Pater Antonius gegeben. Er wollte noch Ergänzungen hinzufügen«, antwortete Sophia und löste sich endlich aus seinen Armen. Seine Ängste schienen sie unberührt zu lassen. Stattdessen betrachtete sie nun Christina.

»Ich habe Euch eine junge Frau mitgebracht«, sagte der Generalvikar, als er Sophias Interesse an Christina gewahrte. »Ich fand sie in einem erbarmungswürdigen Zustand. Um ein Haar hätte man sie getötet. Nun bitte ich Euch, Euch ihrer anzunehmen. Eure seherischen Qualitäten sowie Eure Erfahrungen in der Heilkunde werden sicher helfen, sie von ihrer Krankheit zu befreien. Sie leidet an Fallsucht.« Er zog Christina hinter seinem Rücken hervor, um sie Sophia vorzustellen, kam aber noch einmal auf sein vorheriges Anliegen zurück. »Bevor Ihr Euch bekannt macht, Sophia, gestattet mir, die Aufzeichnungen von Pater Antonius auszuleihen. Ich möchte sie für meine Studien benutzen.«

Doch Sophias Aufmerksamkeit konzentrierte sich ausschließlich auf Christina, während sie seine Bitte mit einer Handbewegung abwies. »Später, Bernard!«

Die Nonne lächelte huldvoll und streckte ihren Arm aus, als wollte sie Christinas Wange berühren, zog ihn aber im gleichen Augenblick wieder fort. Erschrocken von der Reaktion, wich Christina einen Schritt zurück und suchte im Gesicht des Generalvikars nach einer Erklärung. Sophia war leichenblass geworden. Die Falten in ihrem schönen Gesicht hatten sich vertieft, und in ihren Augen lag jetzt ebenso viel Furcht wie in Christinas.

»Schafft sie fort, Bernard!«, schrie sie schrill und stieß den Generalvikar von sich. Dabei gestikulierte sie mit von sich gestreckten Händen, als wollte sie den Teufel aus ihrer Zelle vertreiben. »Schnell, bringt sie aus diesen Mauern fort. Seht doch nur, sie hat mein Gesicht! Oh, Bernard, merkt Ihr denn nichts? Diese Ähnlichkeit ist Gottes Strafe!«

Der Generalvikar schaute von ihr zu Christina, nahm ihr ungebändigtes Haar zwischen seine Hände und formte es zu einem Knoten, sodass ihr Gesicht einen strengeren Ausdruck bekam. Sekundenlang verharrte er schweigend vor ihr und verglich ihre Züge kritisch mit denen der Nonne. Dann endlich ließ er Christina los, packte Sophia an den Schultern und schüttelte sie. »Kommt zu Euch! Es ist nur eine verblüffende Ähnlichkeit, und ja, sie ist mir schon auf dem Weg hierher aufgefallen. Was daran macht Euch nur solche Angst? Euch, die Ihr sonst so besonnen seid. Die Ihr dem Teufel seit Jahren mutig den Kampf ansagt?«

Aber die Nonne wollte sich nicht beruhigen lassen und begann erneut, wie von Sinnen zu schreien und ihn wegzustoßen. Die Geräuschkulisse lockte die Äbtissin herein, die das Gespräch heimlich hinter der Tür belauscht hatte. Ungeachtet der Anwesenheit des Generalvikars, stürzte sie in die Zelle, packte Christina am Arm und zog sie energisch in den Kreuzgang hinaus. Während der Generalvikar noch immer bemüht war, Sophia zu beruhigen, zog die Äbtissin die junge Frau hastig hinter sich her zum Westflügel und schubste sie in eine Kammer neben den Werkstätten und Vorratskammern.

»Vorerst wirst du dir hier bei den Laienschwestern eine Zelle mit Schwester Marie teilen«, ordnete sie an, schlug die Tür hinter sich zu und stürmte mit rauschendem Habit zurück, um für den Generalvikar und den Geistlichen Leonardo Gästezimmer im Außenflügel herrichten zu lassen.

Die Geschehnisse der letzten Stunden waren zu viel für eine so zarte junge Frau wie Christina. Noch einen Moment horchte sie verstört den sich entfernenden Schritten hinterher, dann, als sie sich in der Kammer umsehen wollte, ergriff die Krankheit erneut von ihrem Körper Besitz. Wie aus heiterem Himmel begann sich alles um sie herum zu drehen, immer schneller und schneller stürzten die Wände auf sie herein. Panisch warf sie sich gegen die Tür, doch noch bevor ihre Hand den rettenden Riegel finden konnte, schlug sie hart auf dem Boden auf und verlor das Bewusstsein.

Als sie erwachte, blickte sie in zwei große rehbraune Augen, die sie staunend und besorgt musterten. Es dauerte einen Moment, bis sie begriff, dass es Schwester Marie sein musste, in deren warmen Händen ihr Kopf ruhte.

»Was machst du hier auf dem Boden?«, fragte die Nonne verwundert. Sie schien ein paar Jahre älter als Christina selbst zu sein. Ihr blasses Gesicht mit den wohlgerundeten Zügen und lustigen Grübchen in den Wangen kam Christina nach der überstandenen Qual wie das Antlitz der heiligen Gottesmutter vor. Verhalten lächelte sie sie an.

»Du musst das neue Mündel des Generalvikars sein. Ich habe schon von dir gehört, denn hier im Kloster machen Neuigkeiten schnell die Runde«, plapperte Marie. »Bist du krank, oder hat dich der Hunger umgeworfen?«, wollte sie besorgt wissen, während sie Christina beim Aufstehen half. »Ach, ich weiß schon, sicher hast du dir im Kloster den Teufel eingefangen. Jede von uns wird irgendwann von ihm befallen«, scherzte sie, um ihre neue Zellengenossin aufzuheitern, als sie sah, dass diese wieder auf ihren Füßen stand und sich verunsichert im Raum umblickte.

»Keine Angst. Ich bin übrigens Marie, eine der fünf Laienschwestern im Kloster«, erklärte sie ihr. »In diesen heiligen Mauern stehst du unter Gottes Schutz. Er ist immer bei dir.« Zur Bestätigung ihrer Worte nahm sie Christina lächelnd an der Hand und führte sie zu einem kleinen Pult. Hier entzündete sie eine Kerze vor einem hölzernen Kruzifix und zog die Neue sanft neben sich auf die Knie.

»Du kannst nicht früh genug damit beginnen, Gott mit deiner ganzen Kraft, deinem ganzen Herzen und deiner ganzen Seele zu danken. Die Aufgabe einer Nonne ist es, Gott zu dienen, und dafür lieben wir unseren Herrn. Und vergiss nicht, ihm auch dafür zu danken, dass du eine Freundin wie mich gefunden hast.« In Maries Worten klang zu viel Sarkasmus mit, als dass sie sich mit ihrer fast demütigen Haltung hätten vereinbaren lassen. Dennoch imponierte Christina, wie sie die Hände faltete, das Kreuz küsste und sich zwischendurch anmutig bewegte, als wolle sie die langen Haare unter dem Schleier zurückstreichen, dabei aber gelangweilt seufzend aus ihren großen braunen Augen blickte, als wäre alles nur eine auferlegte Tortur.

Christina wollte es ihr gleichtun und faltete die Hände. Sie sah Marie zu, die ihre Lippen bewegte und schnell und leise einen Gebetstext sprach, schaffte es aber nicht, ihr zu folgen. Zu sehr belasteten sie die Eindrücke der letzten Stunden, als dass sie sich hätte konzentrieren können.

»Ich bin Christina«, erhob sie das erste Mal ihre Stimme. »Sag, wie soll ich zu Gott beten, wenn ich doch den Teufel im Leib habe?«, fragte sie die Nonne und schämte sich zugleich dafür. »Ich weiß nicht einmal, warum ich hier bin. Niemand, nicht einmal der Herrgott, kann mir sagen, warum ich so bin, wie ich bin. Der Pöbel wollte mich töten – ach, hätte er es nur getan«, seufzte sie und fügte rasch hinzu: »und Hochwürden, mein gütiger Retter, will mich nun sicher auch nicht mehr, nachdem die heilige Nonne bei meinem Anblick in Geschrei ausgebrochen ist. Gott hat sich von mir schon lange abgewandt.«

Marie bekreuzigte sich rasch und beendete ihr Gebet. Sie sah Christina einen Augenblick lang mit schief geneigtem Kopf an, rollte mit den Augen und lächelte dann verschwörerisch. »Mach dir keine Gedanken, Christina. Schwester Sophia, so munkelt man, ist seit ihrer Krankheit nicht mehr richtig im Kopf, und die Äbtissin schwärmt heimlich für den Generalvikar und versucht, es hinter einer undurchdringlichen Maske zu verbergen. Du siehst, hier bei uns im Kloster geht es genauso zu wie bei euch da draußen. Woher kommst du?«

»Mir hat der Teufel als Vater einen Gürtelmacherboten gesandt, der die Gürtel benutzte, um mich blau und grün zu schlagen. Es bereitete ihm übermäßige Freude, mich zu treten und an den Haaren zu reißen, um danach zu Gott zu beten, er möge ihn von mir befreien. Er hat mir auch eine Mutter gegeben, die ebenso Schläge bekam, wenn sie es wagte, mich vor seiner rohen Hand zu beschützen. Alles Geld, das wir mit dem Verkauf von unserem angebauten Gemüse verdienten, setzte er im Wirtshaus sofort in Branntwein um, und anschließend wurde alles nur noch schlimmer für mich.« Christina wunderte sich über sich selbst, dass sie sich dieser Fremden anvertraute.

Trotz ihres Temperaments hörte die Nonne Christina aufmerksam zu. Sie hoffte, dadurch ihr Vertrauen zu gewinnen. Längst schon hatte sie erkannt, was die Jungfer bedrückte. »Und seit wann plagt dich das teuflische Übel?«, fragte sie neugierig und auch ein wenig belustigt über Christinas Naivität.

»Die Anfälle kommen oft in kurzer Folge. Schon von Kindesbeinen an fuhr das Böse wie ein Blitz in meinen Leib. Wenn ich wieder zu mir kam, stand mein Vater oft mit dem Beil über mir, um mich für immer von Luzifer zu befreien, wie er sagte.«