Das Montafon unterm Hakenkreuz - Michael Kasper - E-Book

Das Montafon unterm Hakenkreuz E-Book

Michael Kasper

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Beschreibung

Die Region Montafon erlangte in der Zeit des nationalsozialistischen Regimes durch ihre Gebirgsgrenze zur Schweiz eine besondere Bedeutung. Zahlreiche Fluchtgeschichten ereigneten sich in Rätikon und Silvretta, Fluchthilfe und Verrat lagen oft eng zusammen. Darüber hinaus prägten auch Zwangsarbeitskräfte, die insbesondere im Bereich der Energiewirtschaft sowie in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, das Tal in den Jahren des Zweiten Weltkriegs. In der bild- und quellenreichen Publikation wird der Geschichte des Montafons von den 1930er- bis in die ausgehenden 1940er-Jahre nachgespürt. Eingangs werden die frühe Zeit der NS-Bewegung und der "Anschluss" analysiert. Im Hauptteil geht es um die großen Themenkreise Verfolgung und Widerstand, die politische und gesellschaftliche Entwicklung im Tal sowie die Wirtschaftsgeschichte 1938–45. Auch die Auswirkungen des Krieges auf das Tal und seine Bevölkerung werden eingehend aufgearbeitet. Schließlich wird auch dem Kriegsende, der Befreiung und der Besatzungszeit ausreichend Platz gewidmet.

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Das Montafon unterm Hakenkreuz

Das Montafon unterm Hakenkreuz

Michael Kasper

Inhaltsverzeichnis

Grußworte

Einleitung

Deutschnationalismus

Früher Antisemitismus

Die Dreißigerjahre

Wirtschaftliche Krise und Tausend-Mark-Sperre

Lucie Vargas Studie

Beginn der NS-Bewegung

„Anschluss“ und Machtübernahme

Winter 1937/38

Die Geschehnisse um den „Anschluss“

„Volksabstimmung“ am 10. April

Politische Geschichte

Sozialprofil der NSDAP

Beispiel Gaschurn

Justiz

Widerstand und Verfolgung

Bartholomäberg

Gaschurn und Partenen

St. Anton, Schruns, Silbertal und Tschagguns

St. Gallenkirch, Gortipohl und Gargellen

Vandans

Roma und Sinti

Ermordung „unwerten Lebens“

Biografien von Euthanasieopfern

„Brenner“ Josef Vallaster

Die Grenze zur Schweiz

Schweizer Perspektiven auf die Grenze

Fluchthilfe

Fluchtgeschichten

Zwangsarbeiter

Deserteure

Widerstand

Flüchtige Nazis

Gesellschaftsgeschichte

Ernährung und Versorgung

Kirche und Religion

Schulwesen

Landfrauenschule und Landwirtschaftliche Fachschule Gauenstein

Jugend

Frauen

Ärzte

Alpinismus

Umstrittene Gipfelkreuze

Walt(h)er Flaig

Kultur

Volkskultur

Heimatfotografie

Trachten

Literatur

Bildende Kunst

Film und Theater

Wirtschaftsgeschichte

Landwirtschaft

Bartholomäberg und Silbertal: Gemeinschaftsaufbau im Bergland

Energiewirtschaft

Fremdenverkehr

Tourismus im Krieg: Ausbildungskurse und Erholung

Bombenflüchtlinge und Kinderlandverschickung

Industrie

Zwangsarbeit

Lebens- und Arbeitsbedingungen

Biografische Skizzen

Erinnerungen von Kriegsgefangenen

Verbotener Umgang

Hinrichtungen ohne Verfahren

Kriegszeit

Kriegsgefangenschaft

Vermisste

Gefallene

Luftkrieg

Militärdienst für die Gegner

Befreiung und Kriegsende

Bombenflüchtlinge

Verfolgung bis zum bitteren Ende

Wehrertüchtigungslager

„Wehrmachtsflüchtlinge“ (Deserteure)

Widerstandsgruppen

Illwerke in Partenen

Volkssturm

Letzte Kriegstage und Befreiung

Legion Freies Indien

Besatzungszeit und Entnazifizierung

Entnazifizierung

Kontakte mit der Besatzung

Besatzungskinder

Versöhnungsinitiativen

Erinnerungskultur

Abschließende Bemerkungen

Dank

Anhang

Literatur und Quellen

Zeitungen und Zeitschriften

Archive

Internet

Abkürzungen

Abbildungsverzeichnis

Grußworte

Grußwort Land Vorarlberg

Geschätzte Leserin, geschätzter Leser,

die 1930er- und 40er-Jahre stellen ein dunkles und erschütterndes Kapitel unserer Geschichte dar, auch in der Talschaft Montafon. Seit mehr als zwanzig Jahren beschäftigen sich der Heimatschutzverein und die Montafoner Museen mit der Aufarbeitung dieser Zeit aus einer regionalgeschichtlichen Perspektive, etwa durch die Thematisierung der Fluchtgeschichte(n) an der Grenze zur Schweiz. Mit dem vorliegenden Buch erfolgt nun erstmals ein umfänglicher regionaler Blick auf die Geschehnisse dieser Zeit. Fundiert recherchiert werden die verschiedenen Aspekte beleuchtet und dabei auch die menschlichen Schicksale und Rollen eindrücklich skizziert. Damit wird die „große“ Weltgeschichte doch sehr nahe, konkret und ein Stück weit (be-)greifbarer. Ich danke Michael Kasper und allen, die einen Beitrag zu diesem Werk geleistet haben.

Es ist wichtig, dass wir uns mit der Geschichte – auch mit den ganz dunklen Seiten davon – im Hier und Heute mit der größtmöglichen Offenheit auseinandersetzen. Das vorliegende Buch zeigt eindrucksvoll, wie das Gift einer menschenverachtenden Ideologie in Kombination mit dem wirtschaftlichen Leid vieler Menschen auch das Zusammenleben in einer ganzen Talschaft nachhaltig erschüttern kann. Schritt für Schritt ist auch das Montafon Teil dieser größten Katastrophe des 20. Jahrhunderts geworden, mit Opfern und Tätern aus unserer Mitte. Während sich nach dem Krieg die Aufarbeitung auf Berichte der Kriegsheimkehrer beschränkte, wurde in den vergangenen Jahren der Blick auf Widerständige, Verfolgte und weitere Rollen und Gruppen der Gesellschaft ausgeweitet. Neben historischen Dokumenten sind die vielen geführten Zeitzeugengespräche eine ganz wesentliche Quelle. Sie bilden auch die Basis für eine Kultur des Erinnerns, die in den letzten Jahren im Montafon entwickelt wurde und gerade für die kommenden Generationen von großem Wert sein wird.

Wer die Geschichte kennt, geht mit den Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft anders um. Der Blick in die Vergangenheit ist verbunden mit der Aufforderung, im Heute verantwortungsvoll zu handeln, rechtzeitig gegen radikale Positionen einzustehen und auch in anspruchsvollen Zeiten das Gemeinsame vor das Trennende zu stellen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine interessante Lektüre!

Dr. Monika Vonier, Vizepräsidentin des Vorarlberger Landtags

Grußwort Stand Montafon/Marktgemeinde Schruns

Jede und jeder von uns trägt mit allem, was er oder sie tut, Verantwortung. Oftmals ist uns gar nicht bewusst, dass wir mit unserem Handeln den Grundstein für verschiedenste Entwicklungen legen. Wir gestalten also Zukunft, unsere Zukunft. Durch bestimmte Entwicklungen ausgelöste Strömungen und Bewegungen können faszinieren, ängstigen, in vielen Fällen entsteht vermutlich eine Art von Anziehungskraft. Es ist daher wichtig, jede unterschiedliche Facette zu beleuchten, um zu verstehen. Alles darf seinen Platz haben, um beurteilen zu können, ohne vorschnell zu verurteilen.

Wir sehen ein Bild der NS-Zeit aus einer Distanz von mehr als 80 Jahren. Die Kultur des Erinnerns ist Teil unserer Verantwortung im Jetzt. Wir wollen verstehen, wie sich Dynamiken in unserer Gesellschaft entwickelt haben, was diese mit den Menschen in unserem Tal gemacht haben und was die Menschen im Tal daraus gemacht haben. Nur wenn wir dies analysieren und zu verstehen versuchen, können wir dieses Wissen in unsere zukünftigen Entscheidungen miteinbeziehen.

Im Montafon gibt es zum Thema NS-Zeit eine ganze Reihe von Initiativen. Aktuell sichtbar sind etwa die Theaterwanderungen „Auf der Flucht“ in Gargellen und die Erinnerungszeichen in allen Montafoner Gemeinden. Das ist uns wichtig und ich bin überzeugt, dass das vorliegende Buch ein weiterer bedeutsamer Beitrag zur Kultur des Erinnerns und des Lernens aus der Vergangenheit ist.

DI (FH) Jürgen Kuster, Montafoner Standesrepräsentant und Schrunser Bürgermeister

Einleitung

Zahlreiche Aspekte der Montafoner Zeitgeschichte wurden in den vergangenen Jahren zwar bereits aufgearbeitet und teilweise veröffentlicht, eine Gesamtdarstellung der Zeit des NS-Regimes sowie der Jahre davor und danach stellte jedoch bislang ein Forschungsdesiderat dar. Auf der Grundlage der bisher vorliegenden Publikationen, zahlreicher Interviews mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen sowie umfassender Archiv-, Bibliotheks- und Zeitungsrecherchen soll die Montafoner Geschichte der 1930er und 1940er Jahre nun in diesem Band umfassend aufbereitet und dargelegt werden.

Grundsätzlich unterscheidet sich die Geschichte der Talschaft Montafon in jener Zeit nicht von anderen ländlichen Regionen im alpinen Raum Österreichs. Ein besonderes Spezifikum stellt jedoch die Lage an der Grenze zur Schweiz dar, die es mit sich brachte, dass sich am Hauptkamm von Rätikon und Silvretta zahlreiche dramatische und oft auch tragisch endende Fluchtgeschichten ereigneten. Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der regionalen NS-Geschichte ist der Umstand, dass durch den massiven Ausbau der Energiewirtschaft ab 1938, sowie mit zunehmender Dauer des Krieges auch in der Landwirtschaft, eine große Zahl an Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern in der Talschaft eingesetzt wurden und hier teils nachhaltige Spuren hinterließen. Bemerkenswert ist ferner die Tatsache, dass es im Montafon eine erhebliche Anzahl an Deserteuren gab, die sich bewusst dem Dienst in der Wehrmacht entzogen und zum Teil gegen Kriegsende sogar aktiv gegen das NS-Regime tätig wurden, als es darum ging, das Montafon den französischen Truppen kampflos und ohne größere Kriegsschäden zu übergeben.

Darüber hinaus soll aber auch den Voraussetzungen und Ausgangsbedingungen für den Nationalsozialismus und dessen Anhängerschaft im Montafon nachgespürt werden. Ebenso wird der Frage nachgegangen, ob sich die Parteigenossen und Mitglieder anderer NS-Parteiorganisationen vornehmlich aus der heimischen Bevölkerung rekrutierten, oder – wie mitunter kolportiert – in erster Linie von auswärts stammten. Dabei soll auch die Rolle des Alpinismus und des Fremdenverkehrs kritisch in den Fokus gerückt werden, denn es gab enge Wechselwirkungen mit der NS-Ideologie.

Insbesondere der Geschichte von Verfolgung und Widerstand im Montafon wird umfassend Platz eingeräumt. Das Schicksal von unterschiedlichsten Gruppen von Verfolgten, etwa den Opfern der NS-Euthanasie, soll erstmals dargelegt und nachgezeichnet werden. Mutige Gegnerinnen und Gegner des Regimes und Widerständige aus den verschiedensten Milieus sollen ebenso vor den Vorhang gerückt und benannt werden wie jene, die aus unterschiedlichsten Gründen mit dem NS-Regime in Konflikt kamen.

Auch der Alltag unter dem NS-Regime, die Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen in Schule und Hitlerjugend, die Rolle der Frauen sowie das Schicksal vieler Männer im Kriegseinsatz wird Berücksichtigung finden. Ebenso wird der Rolle von Kunst und (Volks-)Kultur in jenen Jahren nachgegangen.

Schließlich werden die Entwicklungen zu Kriegsende thematisiert und die Besatzungszeit mit der Entnazifizierung angeschnitten. Zuletzt soll auch die Erinnerungskultur an diese Phase der regionalen Geschichte in der jüngeren Vergangenheit zur Sprache kommen.

Postkarte mit sonnengleich über Schruns aufgehendem Hakenkreuz aus dem Fotoatelier Wolf, Schruns

Deutschnationalismus

Vor allem im Montafoner Hauptort Schruns war der Deutschnationalismus nach dem Ersten Weltkrieg ein wesentlicher politischer Faktor. Die Ortsgruppe des Vereins Südmark, der sich für deutschnationale Bestrebungen im Bereich der ehemaligen Habsburgermonarchie engagierte, sowie der völkisch orientierte Turnverein organisierten bereits 1921 eine Sonnwendfeier und setzten dabei mit Fackeln den Schriftzug „Ein Volk, ein Reich“ an einen Hang am Ziegerberg in Tschagguns, um gegenüber den anwesenden deutschen Gästen ihre eindeutige Haltung zu demonstrieren. Ebenso wurde der Liederkranz Lindau bei einem Besuch in Schruns mit diesem Spruch geehrt.1

Schon bei der ersten Gemeindewahl im Jahr 1919 erlitten die Christlichsozialen, die bis dahin die Gemeindepolitik dominiert hatten, eine schwere Niederlage und das deutschnationale Vorarlberger Tagblatt triumphierte: „Die klerikale Macht ist endlich auch in unserer Gemeinde gebrochen.“2

Gemeindewahlergebnisse Schruns 1919–19503

Der für den „Unabhängigen Bauernbund“ kandidierende Landwirt Franz Josef Wachter wurde von der Gemeindevertretung zum Bürgermeister gewählt und behielt dieses Amt – ebenso wie jenes des Montafoner Standesrepräsentanten – bis zur nationalsozialistischen Machtergreifung 1938. Seine politische Heimat war ab 1922 dann der „Landbund“, der für den Anschluss an Deutschland eintrat und antimarxistisch und ständisch ausgerichtet war.4 Insgesamt war das Schruns der Zwischenkriegszeit ein fruchtbarer Boden für politischen Antiklerikalismus, obwohl sich ein Großteil der Gemeinderatsmitglieder aus dem agrarischen Milieu rekrutierte. Lediglich die Gemeindevertreter der „Deutschen Volkspartei“ setzten sich im Gegensatz dazu mehrheitlich aus Selbständigen und leitenden Angestellten zusammen.5

Landtagswahlergebnisse Schruns 1919–19496

Im Jahr 1930 war Schruns der einzige Ort im Montafon, in dem die NSDAP bei der Nationalratswahl Stimmen erhielt. In allen anderen Gemeinden fand sie nämlich vorerst keine einzige Wählerin und keinen einzigen Wähler.7 Eine großangelegte Propagandaaktion der NSDAP fand 1933 statt, nachdem es am 12. Juni in Vandans zu einer schweren Hochwasserkatastrophe gekommen war. Führende Akteure der Vorarlberger NSDAP riefen eine Hilfsaktion für die Geschädigten ins Leben, die sich regelrecht zu einem „Propagandafeldzug für die Nationalsozialisten“ entwickelte.8 Dementsprechend berichtete das einschlägige Vorarlberger Tagblatt, dass nun auch im Montafon der „Hitlerwind“ wehe, und nach einer NSDAP-Veranstaltung im großen Saal des Hotels Taube „zahlreiche Beitritte [...] der fruchtbare Erfolg der aufklärenden Rede, die sachlich und ohne Haß, oft aber von würzigem Humor unterbrochen, die Zustimmung der Schrunser fand“, waren.9

Vergleich der Ergebnisse der Landtagswahlen 1928 und 1932 sowie der Nationalratswahl 1930 in den Montafoner Gemeinden10

1 Schneider, Zwischen Moderne und Tradition, 31.

2 Nachbaur, Über das Werden und Wesen von „Marktgemeinden“, 51.

3 Ebenda, 51.

4 Ebenda, 54–55.

5 Ebenda, 58.

6 Ebenda, 56.

7 Weber, Von Silbertal nach Sobibor, 20.

8 Walser, Die illegale NSDAP, 54.

9 VT, 8.6.1933, 7.

10 VV, 11.11.1932, 11.

Früher Antisemitismus

Unter dem Begriff Antisemitismus werden alle pauschalen Formen von Judenhass, Judenfeindlichkeit oder Judenfeindschaft subsummiert. Ein einerseits christlich und andererseits großdeutsch geprägter Antisemitismus11, der sich häufig in einem touristischen Kontext äußerte, fand sich im Montafon bereits im 19. Jahrhundert. In einer alpenländischen Sagensammlung aus der Zeit um 1850 wurde in diesem Kontext in Lustenau das klassische Motiv des „ewigen Juden“ dokumentiert, das mit den folgenden Worten endete:

„Endlich hat’s den Juden wieder fortgetrieben auf seine ewige Wanderung, und die Leute sind gewiß von Herzen froh gewesen, wie er einmal aus der Thüre draußen war.“12

Der dem Montafon eng verbundene Historiker Hermann Sander nahm diese Legende dann 1889 in sein aus dem Nachlass des bekannten Sagenforschers Franz Josef Vonbun herausgegebenes Werk der „Sagen Vorarlbergs“ auf.13 Auch wurde schon 1883 die Tätigkeit eines jüdischen Antiquitätenhändlers aus Lindau im Montafon in der regionalen Tagespresse kritisiert14 und 1906 wurde aggressiv über die fotografische Arbeit von „zwei feingekleideten Juden“ in Gaschurn polemisiert: „Die Vorarlberger wollten bisher mit den Juden möglichst nichts zu tun haben. Möge es so bleiben!“15

Die bestimmenden Parteien, sowohl Christlichsoziale als auch Deutschnationale, waren sich in der Ablehnung von Jüdinnen und Juden einig. Den Grundstein für diese Ablehnung hatte die katholische Kirche zuvor schon längst gelegt. So hatte etwa ein anonymer Autor bereits im Jahr 1894 im Vorarlberger Volksblatt gegen jüdische Sommerfrischegäste in Gaschurn gehetzt:

„Unter den Sommerfrischlern in Gaschurn befindet sich auch eine Judenfamilie aus Berlin. Ein Herr aus Deutschland, der seit vielen, vielen Jahren stets dort länger als Kurgast zubrachte und dessen Büste im Saale zum Rößle zu sehen ist, hat nach Ankunft der Judenfamilie sofort Gaschurn verlassen. St. Gallenkirch hat noch nicht ein halbes Dutzend Kurgäste, judenfrei ist es allerdings noch.“16

Derartige Beiträge in der regionalen Presse finden sich mit anderen Formulierungen auch in den folgenden Jahren wieder.17 Mitunter wurde das Thema sogar folgendermaßen umschrieben:

„Semitogynum alpinum [„Alpinjuden“] sei ziemlich reichlich vorhanden. Schade, daß sich diese Pflanze nicht auf den Gletscher der Sulzfluh verbannen lässt.“18

Die enge Verbindung christlich-sozialer Politik mit religiöser Judenfeindschaft verdeutlicht auch die Rede des Gaschurner Pfarrers Hartmann im Jahre 1896 anlässlich einer Versammlung des dortigen Bauernvereins im Hotel Rössle in Anwesenheit des Montafoner Dekans Sandrell:19

„Der Antisemitismus sei voll berechtigt als eigentlicher Kampf gegen das Judenvolk. Es sei das ein Vertheidigungskrieg der christlichen Völker gegen die zwei großen Laster des Judenvolkes: Christenhaß und Wuchergeist. Das Judenvolk sei mit dem Messiasmorde eine Zuchtruthe des Christenvolkes, deren Macht immer wachse mit der Abnahme der Treue des Christenvolkes gegen seinen Christus. […] Gegen die maßlose Tyrannei der Judenherrschaft erheben sich nun die Völker zum Kampf, voran das meistbedrückte Österreich. Darum schaut die ganze Welt mit Interesse nach Wien auf Dr. Lueger, auf diesen von Gott erweckten Helden im Kampf wider das christushasserische Mammons-Volk Neu-Israel.“

Man müsse daher die Juden von der Staatsbürgerschaft ausschließen, meinte der Priester. Wer einen Blick auf die Judenverfolgungen der Vergangenheit werfe, sagte er, „müsse fürchten, es werde diesmal zu einer furchtbaren und blutigen Judenverfolgung kommen. Das sei aber nicht unser Wunsch und Wille, es liege aber sehr wahrscheinlich so im Plane der Vorsehung.“20 Dazu passt auch ein antisemitischer Bericht über „Seifenjuden“ in St. Gallenkirch, der im Vorarlberger Volksblatt erschien.21

Bereits im Jahr 1901 finden sich Montafoner Dörfer in einer Berliner Veröffentlichung über „judenreine“ Tourismusorte:

„Wie […] berichtet, veröffentlichte der ‚Berliner Börsen-Courier‘ eine Liste judenreiner Badeorte. Unter diesen wurden aufgeführt […] Gauenstein, Innerbartholomäberg und Vandans, sind gottlob judenrein, aber zum Range von Badeorten haben sie sich noch nicht erschwungen.“22

Die antijüdischen Ressentiments sollten das Kleinbürgertum ansprechen, welches im Montafon einen Großteil des Publikums bildete. Gerade in dieser Schicht war der Sozialneid gegen vermeintlich besser gestellte und erfolgreichere jüdische Bürgerinnen und Bürger besonders verbreitet.23 Erheblichen Anteil an der antisemitischen Stimmung hatten aggressive Sommerfrischler, wie der folgende Beitrag eines in Schruns urlaubenden Vorarlbergers verdeutlicht:

„Angenehm erinnert sich Schreiber dieses seiner diesjährigen mehrwöchenlichen [sic!] Sommerfrische in Schruns, der ‚Metropole‘ des lieblichen, an Naturschönheiten so reichen Thales Montafon. Das freundliche Entgegenkommen der Thalbewohner gefällt den vielen das Thal besuchenden Sommergästen von nah und ‚weiter Fern‘, insbesonders von Norddeutschland. Anders hingegen urtheilt man allgemein über den namentlich heuer stark zugenommenen Zuzug aus ‚Israel‘; es wäre deshalb im Interesse von Montafon sowohl als der vielen christlichen Sommerfrischler gar sehr zu wünschen, dass die berufenen Factoren, zumal in Schruns, der drohend gewordenen ‚Verjudung‘ mit ebensoviel Takt als Energie entgegenarbeiten würden. Noch mag dies mit Erfolg geschehen können; aber es ist nichts Zweckentsprechendes länger mehr zu versäumen. Ein Vorarlberger Sommerfrischler von Schruns.“24

Nach einer Unterbrechung durch den Ersten Weltkrieg tauchten ab den 1920er Jahren im touristischen Milieu des Montafons wiederum vermehrt antisemitische Stimmen auf. So berichtete der Anzeiger im Jahr 1921 in Bezug auf das Hotel Madrisa in Gargellen in heller Aufregung:

„Wie man hört, soll ein Reichsdeutscher, mosaischer [d.h. jüdischer] Abstammung, das Hotel Madrisa in Gargellen käuflich erworben haben. Laut eingezogener Erkundigungen soll das Hotel nur mehr Privatzwecken dienen, was weder für den Verband für Fremdenverkehr noch für das Tal Montafon und die Gemeinde vorteilhaft sein kann. Die elektrische Anlage soll lahmgelegt werden, wodurch mehrere Privatbesitzer empfindlich geschädigt würden, da diese seinerzeit Beträge bis zu 12.000 Kr[onen] für Installationszwecke verausgabt haben. Der große Grundbesitz des Hotels war bisher an Bauern der Täler verpachtet, so daß er der Landwirtschaft erhalten blieb; ob und wie nun diese Gründe in Zukunft bewirtschaftet werden, ist eben fraglich. Vielleicht gehen sie der Landwirtschaft gänzlich verloren. Nachdem der Verkauf dieses Besitzes weder im Vorteile des Fremdenverkehrs noch der Landwirtschaft gelegen ist, wollen wir hoffen, daß die Grundverkehrskommission, welche hier Einspruch erheben kann, das Wohl der Allgemeinheit zu wahren wissen werde und den Kauf als unzulässig erkläre. Es diene noch zur Kenntnis, daß, um den Ankauf leichter durchsetzen zu können, ein in freiheitlichen Kreisen wohlbekannter Großkaufmann aus Bregenz als Strohmann vorgeschoben wurde. Also mit List und Geld will man’s erzwingen. Drum erst recht nicht!“25

Der hetzerische Tonfall dieses Artikels sollte deutlich die Absicht „des Juden“ vor Augen führen. Die Neuerungen, die er als neuer Eigentümer des renommierten Hotels Madrisa einführen wollte, seien nicht von allgemeinem Interesse, sondern schädigten den Tourismus, die Zulieferbetriebe, die Landwirtschaft generell und den Ausbau der Infrastruktur. Einige Monate später wurde ein weiterer Beitrag über den „Juden“ und das Schicksal des Hotels Madrisa veröffentlicht. Nun klang alles plötzlich ganz anders:

„Das berühmte Alpenhotel Madrisa gehörte früher einem Konsortium und ist nun Alleinbesitz eines früheren Mitbesitzers. Dieser Herr aus Deutschland ist aber keineswegs mosaischer [d. h. jüdischer] Abkunft, wie früher in der Zeitung stand, sondern ein urdeutscher Mann. Den Gargellern ist jetzt auch die Gelegenheit geboten, das elektrische Licht zu bekommen. Der neue Besitzer des Hotels ist sehr entgegenkommend.“26

Der neue Eigentümer – ein Herr Mey – war kein Jude, und plötzlich waren auch seine Absichten grundsätzlich ehrenhaft und dienten dem Allgemeinwohl. Dieses Beispiel illustriert exemplarisch die herrschenden Vorurteile und die grundsätzliche Feindseligkeit, mit denen Juden und Jüdinnen in der Zwischenkriegszeit im Montafon zu kämpfen hatten. Außerdem wurde merklich zwischen jüdischen und nicht-jüdischen Gästen unterschieden. Während nicht-jüdische Touristen willkommen geheißen wurden, zogen Jüdinnen und Juden schiefe Blicke auf sich:

„Einige Zeit hindurch waren es heuer sehr viele Vorarlberger, die statt ins Ausland zu gehen in lobenswerter Weise an einem der vielen schönen Plätzchen Vorarlbergs ihre Kur machten. Unangenehm vermerkt wurde, daß sich leider auch einzelne Juden und Jüdinnen die Einreisebewilligung ergatterten und durch ihr freches, aufdringliches Benehmen den Unwillen der Bevölkerung erregten.“27

In einem Bericht über das Zeinisjoch aus dem Jahr 1921 wurde ohne Not ausdrücklich antisemitische Werbung verbreitet:

„Der Uebergang zwischen Paznaun und Montafon ist einer der schönsten Pässe, die wir haben. In mancher Hinsicht große Aehnlichkeit mit dem Arlberg, hat er den bedeutenden Vorteil vom Fremdenstrom noch weniger hergenommen zu sein. Rassenfremde Leute sind hier höchst selten. Ist der Weg für die Bergjuden einerseits doch zu weit, so fehlt andererseits das Entgegenkommen für diese Rasse, was jeder Deutsche herzlich begrüßen muß.“28

Deutschnationale Wandergruppe aus Feldkirch vor dem Gasthaus Zeinisjoch, 1932

Einige Hoteliers versuchten sodann in der folgenden Zeit das „Hakenkreuz als Hotelmarke“ zu etablieren. Zwei Gasthöfe in Schruns – einer davon war das „Schäfle“ – brachten deshalb an ihrer Hausfassade Hakenkreuze an, und das Hotel „Löwen“ verwendete schon im Jahr 1923 einen Hakenkreuzstempel für seinen Schriftverkehr. Anstatt der „Wiener Juden“ sollten nur mehr „arische Sommergäste“ in Schruns verkehren.29 So galten die Schrunser Gasthöfe Löwe und Taube überregional als antisemitisch.30 Ferner wurden in Schruns mehrere Schilder angebracht, auf denen zu lesen war, dass „Juden unerwünscht“ seien.31 Diese antisemitischen Entwicklungen im Montafon wurden überregional wahrgenommen. In den Jahren 1927 und 1928 wurden in der in Wien erscheinenden jüdischen Zeitschrift „Die Wahrheit“ jeweils Berichte über „judenreine Sommerfrischen“ veröffentlicht, um jüdische Reisewillige vor diesen Destinationen zu warnen. Das Montafon war in jenen Jahren jeweils mit dem Hotel „Rößle-Post“ in Gaschurn („Der Besitzer Keßler ziert seine Schreiben mit einem Hakenkreuz.“) und zwei Hotels in Schruns („In den Gasthöfen ‚Löwe‘ und ‚Taube‘ sind Hakenkreuze angebracht.“) vertreten.32

Postkarte aus dem Jahr 1923, die im Schrunser Hotel Löwe aufgegeben und mit dem Hotelstempel, der damals bereits das Hakenkreuz inkludierte, verschickt wurde

Dementsprechend wurde 1927 erfreut aus Schruns berichtet, dass das „vor einigen Jahren an Gasthöfen ausgehängte Hakenkreuz […] trotz seinem Verschwinden noch die geplante und erhoffte Wirkung [ausübt]; wenig Söhne und Töchter Israels aus Wien. Gegenüber den Vorjahren scheint in Gesicht, Hals und Arm anstatt der gelben die rote Farbe bevorzugt zu sein, nächstes Jahr vielleicht auch die roten Haare. Die Bubiköpfe sind allem Anschein nach nicht mehr ganz modern und scheinen aus der Mode zu verschwinden.“33 Die antisemitischen Parolen wurden also zusätzlich noch mit antimodernistischen Haltungen verknüpft.

Als Bezirk der Alpenvereinssektion Vorarlberg übernahm das Montafon schon früh den entsprechenden „Arierparagraphen“ in seine Statuten. Ähnlich verhielt es sich mit den zahlreichen deutschen AV-Sektionen, welche die meisten Schutzhütten in Rätikon, Silvretta und Verwall betrieben. Insgesamt war in Bergsteigerkreisen ein ausgeprägter Deutschnationalismus vorherrschend und dementsprechend war auch ein latenter Antisemitismus zu konstatieren. Ebenso wurde im Montafon von zwei Skivereinen der „Arierparagraph“ dezidiert in den Satzungen verankert. In den Statuten des Skiclubs Gargellen aus dem Jahr 1929 und des Skivereins Vandans von 1933 wurde festgehalten, dass „als Mitglieder […] nur Personen arischer Abstammung und germanischer Volkszugehörigkeit aufgenommen werden [können]“.34

Schließlich bildeten die deutschnationalen Turnvereine Keimzellen des frühen Antisemitismus im Montafon. Bereits 1911 wurde der völkische Turnverein Schruns gegründet. Dieser etablierte sich in der Zwischenkriegszeit und eröffnete 1928 an der Straße nach Tschagguns, heute Batloggstraße, eine eigene Turnhalle, die sich in weiterer Folge auch zu einem kulturellen und schließlich politischen Zentrum entwickelte. 1933 behauptete ein Schrunser Gendarm, dass „sämtliche Turnvereinsmitglieder der nationalsozialistischen Partei angehören“. Zwar dürfte diese Aussage etwas übertrieben gewesen sein, aber sie verweist auf die einseitige politische Wahrnehmung des Vereins in der Öffentlichkeit.35 Im Jahr 1931 wurde im Innermontafon der „Turnerbund Gaschurn-Partenen“ gegründet. Seine Satzungen umfassten ebenso den Arierparagraphen, das Verbot zum Besuch „fremdvölkischer“ Turnfeste sowie zum Eintritt in eine linke Arbeiterpartei. Außerdem mussten Mitglieder anlässlich des Beitritts einen Nachweis „völkischen Wissens“ erbringen. Der Verein hatte jedoch wenig Zuspruch und löste sich etwa ein Jahr später wieder auf.36

Gauwettturnen anlässlich der Eröffnung der Turnhalle in Schruns 1928

11 Vgl. Hagen, Antisemitismus in Vorarlberg.

12 Vernaleken, Alpensagen, 81–83.

13 Sander, Die Sagen, 97–98.

14 VV, 24.8.1883, 561.

15 VV, 13.2.1906, 5.

16 VV, 20.7.1894, 4–5.

17 VV, 8.6.1895, 3–4.

18 VV, 13.8.1895, 5.

19 VV, 22.5.1896, 3–4.

20 Greussing, Die Erzeugung, 50.

21 VV, 14.8.1896, 1010.

22 VV, 21.6.1901, 5.

23 Bajohr, „Unser Hotel ist judenfrei“, 30.

24 VV, 25.8.1901, 3.

25 AzBM, 19.3.1921, 4.

26 AzBM, 4.6.1921, 3.

27 VV, 5.9.1919, 3.

28 VV, 14.4.1921, 3.

29 VT, 12.10.1923, 4.

30 Lichtblau, Ambivalenzen, 122.

31 Brugger, Vom Pioniergeist zum Massensport, 120.

32 Die Wahrheit. Jüdische Wochenschrift, 13.5.1927, 9–10; 4.5.1928, 8–9.

33 VV, 9.9.1927, 4.

34 Brugger, Vom Pioniergeist zum Massensport, 201–202.

35 Weber, Von Jahn zu Hitler, 257–259.

36 Ebenda, 184–185.

Die Dreißigerjahre

Wirtschaftliche Krise und Tausend-Mark-Sperre

Die Weltwirtschaftskrise am Ende der 1920er und im Verlauf der 1930er Jahre begann mit dem New Yorker Börsencrash im Oktober 1929. In dessen Folge verursachten Bankenkrisen, die Zahlungsunfähigkeit vieler Unternehmen und Massenarbeitslosigkeit soziales Elend und politische Krisen. Die im Jahr 1904 geborene Maria Netzer aus St. Gallenkirch erinnerte sich folgendermaßen an die Zeit ihrer jungen Ehe in den 1930er Jahren:

„Die Ehe war schon gut, aber wir sind in so schlechte Zeiten hineingekommen! Die 30er Jahre, da haben Sie alle noch nichts gewusst davon. Die 30er Jahre sind schrecklich gewesen. Keine Arbeit. Er ist Mechaniker gewesen, mein Mann. Gut angestellt, so bei der Firma, […] aber plötzlich hat man keine Arbeit mehr gehabt. Und die Leute sind beim Hitler gewesen, überall hat’s gefehlt. Und das Haus haben wir neu herrichten müssen, das hat der Vater gekauft und das ist mehr so eine Baracke gewesen, ein uraltes Bauernhaus.“37

Ähnliche Erinnerungen finden sich auch in zahlreichen anderen Erzählungen von Montafoner Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu jenen Jahren.38 Besonders häufig wird in diesem Zusammenhang die sogenannte „Tausend-Mark-Sperre“ angesprochen: Im Rahmen dieser Wirtschaftssanktion, die das Deutsche Reich 1933 als Reaktion auf das Verbot der NSDAP in Österreich verhängte, wurden deutsche Reichsbürger gezwungen, vor einer Reise nach Österreich eine Gebühr von 1.000 Reichsmark zu entrichten.39 Stellvertretend für zahlreiche Erinnerungen soll dazu die Erzählung des 1927 geborenen Manfred Dönz aus Schruns wiedergegeben werden:

„Wo ich sechs Jahre alt gewesen bin, da hat der Hitler gerade die Macht übernommen in Deutschland draußen. Das haben wir nicht so mitbekommen. Aber wir haben es insofern mitbekommen, er hat ja das Österreich damals reif gemacht, damit der Anschluss kommt. Reif gemacht in dem Sinn, dass er die Tausend-Mark-Sperre eingeführt hat. Und wir haben zum Beispiel auch immer einen Gast gehabt, einen Deutschen, halt so Fremdenbetten hat man gehabt. Auf einen Schnall ist das alles total vorbei gewesen. Man kann sich vorstellen, wie das vielfach auch zur Verarmung da beigetragen hat. Und das ist vom Hitler, bewusst hat der Zeug gemacht. […]

Arbeitslosigkeit ist da gewesen, eine gewaltige. Es ist wirklich schlecht gewesen. Aber alles von Deutschland aus gefördert. Das hat er alles … und auch die Tausend-Mark-Sperre, mit dem ganzen Export, alles. Er hat ja das so gemacht, dass die hungern danach, dass die anderen [die Nazis, Anm.] herkommen. Man sagt immer, ja die haben sich alle gefreut, dass Deutschland kommt. Aber man hat es zuerst bewusst durch Jahre hindurch … hat man sie klein gemacht, immer arm gemacht, und haben über den Zaun hinausgeschaut. Da draußen [in Deutschland] haben sie Arbeit. Alle haben sie Arbeit.“40

Tatsächlich stellte sich die diesbezügliche Situation bedeutend komplexer dar, als sie später in der kollektiven Erinnerung memoriert und konstruiert wurde. Zwar waren die Gästezahlen in den Fremdenverkehrsorten tatsächlich rückläufig, aber ebenso beklagten vor allem Gastwirte „die sehr zuwiderlaufende Tätigkeit“ der Nationalsozialisten und forderten „die parteipolitischen Kämpfe während der Saison möglichst einzuschränken“. Dementsprechend änderten angeblich einige Betreiber von Gasthöfen und Geschäften ihre politische Haltung, denn jener, „der früher auf das Hakenkreuz schwörte, verurteilt nun sehr laut die Brüder aus dem Dritten Reiche […]“.41 Umgekehrt gab es aber auch zahlreiche Anhängerinnen und Anhänger der NSDAP, welche durch die NS-Propaganda noch bestärkt wurden, wie der Gendarmerieposten Gaschurn kurz nach dem Verbot der NSDAP am 21. Juni 1933 nach Bregenz berichtete: „Von der bürgerlichen Bevölkerung sympathisieren speziell die im Rayone [d. h. im Verwaltungsgebiet] befindlichen Gastwirte und Geschäftsleute, wegen des Ausfalles der Fremden, im geheimen der nationalsozialistischen Bewegung gegenüber.“42 Zugleich setzte die NSDAP zahlreiche Tourismusgemeinden unter Druck, indem diese aufgefordert wurden, sich öffentlich dafür einzusetzen „reichsdeutsche Nationalsozialisten“ als Gäste anzusprechen. Die Gemeinden sollten sich verpflichten, dass „Nationalsozialisten wegen ihrer politischen Gesinnung keinerlei Belästigungen oder Schwierigkeiten ausgesetzt“ würden. Die Marktgemeinde Schruns reagierte darauf im Sinne der Landesregierung, die folgende Empfehlung für eine Antwort auf diese Forderungen der NSDAP aussprach:

„Die Marktgemeinde Schruns war stets nach Kräften bemüht, den Fremdenverkehr nach ihren Kräften zu fördern und begrüsst es, wenn zahlreiche Reichsdeutsche ohne Unterschied der Parteizugehörigkeit in der Gemeinde Sommeraufenthalt nehmen oder auf Wanderungen sich hier aufhalten. Solange sich die Sommergäste und Bergwanderer, die doch zur Erholung und Kräftigung ihrer Gesundheit unser Land aufsuchen, am politischen Kampfe nicht beteiligen, werden sie wegen ihrer Gesinnung keinerlei Belästigung ausgesetzt sein.“43

Insgesamt blieben die durchschnittlichen Nächtigungsstatistiken dieser Jahre für ganz Vorarlberg recht konstant und fanden 1936 sogar zu einem Höhepunkt, was sich durch den zunehmenden Wintertourismus erklären lässt, in dessen Rahmen nicht nur deutsche Gäste angesprochen wurden. Im Montafon waren die Verluste allerdings tatsächlich besonders gravierend, da man hier dem Trend zum Wintersport noch zu wenig Rechnung getragen hatte und man ganz besonders auf den deutschen Markt ausgerichtet war. Ein erster Einbruch in den Nächtigungszahlen schlug allerdings schon zwischen 1929 und 1931 als Folge der Weltwirtschaftskrise zu Buche und kann daher nicht allein auf die Tausend-Mark-Sperre zurückgeführt werden.44

Besuch von Bundeskanzler Kurt Schuschnigg 1935 in Schruns; Händedruck mit Bürgermeister Franz Wachter

Dass es Alternativen gab, verdeutlicht etwa das Skiheim des aus Dornbirn stammenden Skipioniers Ernst Janner auf Gampabing bei St. Gallenkirch, das dieser dort ab 1931/32 betrieb. Es gelang ihm, insbesondere niederländische Wintergäste anzusprechen, die seine Skikurse buchten.45 So wurde die Einrichtung zu einem wichtigen wirtschaftlichen Impuls für die Gemeinde.46 Neben dem Matratzenlager für etwa 60 Personen in seinem eigenen „Haus Valisera“ wurden auch die umliegenden Gebäude belegt, sodass wöchentlich 100 bis 200 Lernwillige an den Skikursen teilnehmen konnten.47 Darüber hinaus hielt Janner auch regelmäßig Vorträge in den Herkunftsgebieten der Skiinteressierten, um den Sport populärer zu machen.48

Skiheim der Skischule von Ernst Janner auf Gampabing

In Schruns waren parallel zum landesweiten Trend die Übernachtungen zunächst von 41.832 (1924) auf 87.787 (1928) gestiegen, wobei die Abhängigkeit vom deutschen Markt (77 Prozent deutsche Gäste) jedoch besonders hoch war. Die Auswirkungen der Tausend-Mark-Sperre waren daher für die Gemeinde dramatischer als andernorts. Von 1932 auf 1933 verlor Schruns 87 Prozent seiner deutschen Gäste (von 4.446 auf 585 Gäste), während vorarlbergweit der Rückgang im selben Zeitraum „nur“ bei 59 Prozent lag.49 Im Folgejahr 1934 gab es in Schruns-Tschagguns gar nur mehr 200 Nächtigungen reichsdeutscher Gäste.50 Manche Gastwirte unternahmen daraufhin Werbereisen in die Niederlande, nach Frankreich, Belgien und Luxemburg, konnten damit den Rückgang der Nächtigungen aber nicht kompensieren.51 Einzelne Reisende berichteten gar, sie würden sich angesichts des NS-Terrors fürchten, ins Montafon zu kommen.52

Die bis heute verbreitete Überzeugung, die Tausend-Mark-Sperre sei eine der Hauptursachen für die Anschlussbereitschaft Österreichs gewesen, rührt wohl eher aus der begleitenden zeitgenössischen deutschen Propaganda gegen ein von den Bundeskanzlern Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg autoritär regiertes Österreich sowie aus der ohnehin schwierigen gesamtwirtschaftlichen Situation in den 1930er Jahren. Die Schrunser Fremdenverkehrsinteressenten brachten diese Haltung 1936 in einem Schreiben an die Regierung zum Ausdruck:

„Von Seite der Regierung möge alles aufgeboten werden, den Besuch der Deutschen Gäste durch entsprechende Handelsverträge u. d. gl. zu ermöglichen und zu fördern. Denn der weitaus grösste Teil der vom Fremdenverkehr abhängigen Betriebe sind, soweit sie überhaupt noch bestehen, nur mehr schwer in der Lage, sich halbwegs über Wasser zu halten, [...] deshalb wünschen wir, dass beim erhofften Eintreffen der deutschen Gäste uns erlaubt wird, durch Hissen der deutschen Flagge den aufrichtigen Willkommensgruss bieten zu dürfen, ohne Gefahr zu laufen, behördlicherseits beanstandet zu werden. Es wäre wünschenswert, wenn die mehr oder weniger nie aufgehörte Pressehetze gegen Deutschland hintangehalten werden könnte.“53

Seitens der österreichischen Regierung wurden mehrere Förderaktionen zur Unterstützung der Fremdenverkehrswirtschaft auf die Beine gestellt. Mittels Hotelsanierungsund unterstützungsaktionen sollte die Not etwas gelindert werden. Neben klassischen Beherbergungsbetrieben erhielt auch die Montafonerbahn finanzielle Unterstützung. Außerdem wurden etwa für Gargellen und andere kleinere Skiregionen Werbeanhänger angefertigt und plastische Dioramen (Schaukästen, in denen Szenen mit Modellfiguren und landschaften dargestellt wurden) hergestellt, die in Paris, London, Zürich und anderen Orten ausgestellt wurden.54 In den Beirat der Hoteltreuhandstelle, welche die Förderungen vergab, wurden nur politisch „zuverlässige“ Personen aufgenommen. Während etwa Bertram Rhomberg aufgrund seiner nationalsozialistischen Orientierung auf Ablehnung stieß, wurde Wilhelm Braunger vom Hotel Vergalden bei Gargellen als Vorarlberger Vertreter in den bundesweiten Beirat entsandt. Wenig überraschend erhielten sein Betrieb sowie der Gasthof Heimspitze in Gargellen, der Gasthof Edelweiß in Gaschurn, der Gasthof Adler in St. Gallenkirch und der Gasthof Krone in Schruns Unterstützungen vom Bund.55 Umgekehrt konnte diese aber auch versagt oder entzogen werden: Josef und Elisabeth Pfefferkorn hatten 1934 ein Unterstützungsansuchen für ihre Pension Gauenstein in Schruns eingebracht, wurden jedoch aufgrund ihrer mangelnden staatsbürgerlichen Gesinnung abgewiesen. Im Folgejahr wurde der Besitz zwangsversteigert und die Familie „auf die Straße gesetzt“.56

Arbeiter beim Straßenbau von Galgenul nach Gargellen im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Jahr 1936

Wie prekär die gesamtwirtschaftliche Situation in jenen Jahren war, verdeutlicht etwa auch der Umstand, dass 1935 bis 1939 Anton Neumann mit einem Mitarbeiter den Bergbau in Bartholomäberg unter einfachsten Bedingungen zu reaktivieren versuchte:

„Die Arbeitsbedingungen beider Männer waren äußerst hart und mühsam. Sie hatten ja keinen Kompressor. Den Vortrieb zum ‚großen Erz‘ werkten die beiden mit Hammer und Meißel im Scheine von Karbidlicht in einer dürftigen Kleidung. Gummistiefel, Kopfschutz, wasserdichte Kleidung kannten sie nicht. Der Stollen wurde so eng wie möglich ausgebrochen, denn jede zusätzliche Gesteinsmenge war Zeit- und Kraftvergeudung. Wohl hatten sie Sprengmittel, aber die waren zu teuer, um sie beliebig einzusetzen. Es wurde gespart, wo es nur ging. Der Vortrieb betrug an manchen Tagen nur 10 bis 20 cm. Das Material vor Ort wurde mit einer Schubkarre zu Tage gefördert und um die Hände beim Anstoßen an den Stollenwänden zu schützen, wurden sie mit Lappen umwickelt. Die gewöhnliche Tagesleistung betrug 3 bis 4 Karretten.“57

Die hohe Arbeitslosigkeit bedingte insgesamt in jenen Jahren eine politische Radikalisierung. Vor allem in Partenen entstand unter den schwierigen Umständen eine aktive Ortskruppe der Kommunistischen Partei mit 70 bis 80 Mitgliedern unter dem Obmann Ferdinand Schaller. Angeblich waren zur selben Zeit in Gaschurn und Partenen unter der einheimischen Bevölkerung schon Stimmen laut geworden, die gefordert hatten, die Arbeitslosen aufzuhängen.58 Tatsächlich wollte damals auch die Landespolitik keine auswärtigen Arbeitslosen im Land haben. Drastisch äußerte sich Landeshauptmann Otto Ender 1933 in einem Schreiben an den in St. Gallenkirch tätigen Frühmesser und Landtagsabgeordneten Josef Feurstein:

„Die Abschiebung [der Arbeitslosen] geht im ganzen Lande schön vor sich, nur im Bezirke Bludenz bin ich nicht zufrieden. Es sind dort etwa 20 Leute, die keinerlei Unterstützung mehr haben und rein von der öffentlichen Mildtätigkeit leben und darunter sittlich ganz miserable Elemente. […]

In der Gemeinde Gaschurn allein sind über 100 Leute, die nicht hin gehören, viele ledige, aber auch manche verheiratete mit und ohne Kinder, die noch kleine Unterstützungen beziehen, aber von diesen Unterstützungen sicher nicht leben können und daher auch der öffentlichen Mildtätigkeit zur Last fallen. Nach meiner Meinung ist es von grösstem Interesse für die Gemeinde Gaschurn, dass sie diese Leute fortbringt.“59

Eine von der NSDAP am 30. Oktober 1932 im Gasthof Edelweiß in Gaschurn geplante Versammlung konnte vor diesem Hintergrund nicht abgehalten werden, da statt der erwarteten NS-Sympathisanten „nur“ 20 Kommunisten als Gegenredner erschienen waren.60 Im April 1933 wurden dann nach dem Verbot der Partei „kommunistische Elemente“ aus Gaschurn-Partenen in ihre Heimatregionen abgeschoben.61

In einem deutschen Bericht aus dem Jahr 1935 über die wirtschaftliche Lage Vorarlbergs wurde besonders die schwierige Lage der Landwirtschaft hervorgehoben. Zahlreiche Bauern seien etwa im Montafon im Winter gezwungen gewesen, einen erheblichen Teil ihres Viehbestandes zu schlachten, da sie nicht über die entsprechenden Mittel zur Erhaltung des Viehs verfügten.62

Arbeiter beim Straßenbau von St. Anton nach Bartholomäberg-Innerberg im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Jahr 1935

Als Maßnahmen gegen die hohe Arbeitslosigkeit wurden mehrere öffentliche Baumaßnahmen initiiert. So ist etwa die Errichtung der Straßenverbindung von St. Anton nach Bartholomäberg in diesem Kontext zu sehen. Schon 1932 fanden dort etwa 200 Arbeiter Beschäftigung.63 Die neu erbaute Straße wurde 1937 durch Bundespräsident Miklas eröffnet.64 Im Jänner 1933 beschloss die Schrunser Gemeindevertretung darüber hinaus einen Weg im Bereich Montjola zu bauen, „zur Bekämpfung der Notlage eines Großteils der Arbeitslosen“.65 Mitte Februar wurde der Bau des Straßenstücks dann mit „einheimischen Arbeitskräften“ begonnen.66 Zur selben Zeit wurde auf der Sitzung der Gemeindevertretung Gaschurn beschlossen, dass die Gemeinde kein Brennholz für Ausgesteuerte und Arbeitslose gewähren könne. Allerdings wurden in Gaschurn und Partenen Schulausspeisungen für bedürftige Kinder eingerichtet. 67 In Vandans wurden 1934 weitere Baustellen für die Wildbachverbauung genehmigt und mit rund 170 Arbeitskräften in Angriff genommen.68 Es folgten weitere Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen entlang der Ill, die in St. Anton, Schruns und Gortipohl verbaut und reguliert wurde. Auch die Straße nach Gargellen wurde erweitert bzw. erneuert.69

Tafeln mit Hinweis auf die „Arbeitsbeschaffung“ bei der Abzweigung der neuen Straße nach Gargellen in Galgenul, um 1936

Lucie Vargas Studie

Die Sozialhistorikerin Lucie Varga, die verschiedene Beiträge für die Zeitschrift Annales schrieb und als eine der Vorreiterinnen der Mentalitätsgeschichte gilt, besuchte das Montafon im Sommer 1935.70 Wahrscheinlich hielt sie sich vornehmlich im inneren Montafon auf, um dort alpinistisch tätig zu sein und ethnologische Studien zu betreiben. Sie führte Gespräche mit den Menschen und beobachtete deren Alltag, Wirtschaften und Weltanschauung.71 Sie versuchte das Zurückdrängen der traditionellen Volksreligiosität im Montafon, bedingt durch die Auseinandersetzung zwischen dem regionalen Katholizismus und dem aufkeimenden Nationalsozialismus, zu untersuchen. Sowohl in der Praxis der katholischen Kirche als auch im Nationalsozialismus sah Lucie Varga Rückgriffe auf Elemente volksreligiöser Traditionen.72 Hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage beobachtete sie folgendes Phänomen:

„Er [der deutsche Tourist] bringt das Geld, ein Geld, das noch nie so leicht zu verdienen war. Man ist bereit, ihm zuzuhören, von ihm zu lernen. Und der Deutsche wartet auch nur darauf, zu belehren. […] Sie trumpften auf, beriefen sich auf das Vorbild ihrer Heimat [Deutschland]; sie machten ständig Vorschläge, wie man das Dorf besser organisieren und verändern könnte.“73

Vor diesem Hintergrund war es kein Zufall, dass gerade der neue Mittelstand, zu dem auch die Touristiker zu zählen waren, „die Unternehmungslustigsten im Dorf, die Abenteuerlustigen, jene, die nicht sonderlich beliebt waren“, sich immer weiter vom traditionell katholischen Lager entfernte und die Proponenten zu Anhängern der nationalsozialistischen Ideologie wurden.74 Lucie Varga untersuchte die – wie sie es nannte – „Bekehrungen zum Nationalsozialismus“ an Einzelbeispielen. Eines dieser Beispiele entbehrt nicht einer gewissen Brisanz, weil der „Missionar“ zwar in ihrem Text anonym bleibt, durch die detaillierte Beschreibung aber durchaus als der Alpinist Walther Flaig identifiziert werden kann. Sie beschreibt die Biografie eines früh mit dem Nationalsozialismus Sympathisierenden im Montafon. Es handelte sich um einen elternlosen, beim Pfarrer aufgewachsenen Bub, welcher den deutschen Bergschriftsteller Flaig kennenlernte, der sich in den zwanziger Jahren im Montafon niedergelassen hatte und der ihn zum Nationalsozialismus „bekehrte“.75 Ihre These, dass die Hinwendung vor allem der sozial Deklassierten zum Nationalsozialismus aus den Folgen der Weltwirtschaftskrise zu erklären ist, hat sich bestätigt.76

Beginn der NS-Bewegung

Eine frühe Ortsgruppe der NSDAP in der Region wurde 1931 vom in Schruns geborenen Eisenbahner Anton Hutter in der Bezirkshauptstadt Bludenz mitbegründet.77 Außer Hutter waren noch vier weitere Schrunser Mitglieder dieser NSDAP-Organisation in Bludenz: Es handelte sich um den Drogisten Erich Bertle, den Elektriker Fritz Fischbach, den Dienstmann Wilhelm Haupt sowie den Bahnbeamten Emil Zuderell, die alle im Jahr 1932 der Partei beitraten. Außerdem zählten der Magazineur Josef Batlogg aus Lorüns, der Gastwirt Wilhelm Kurzemann aus St. Anton, der Tschaggunser Zöllner Josef Schwärzler sowie der ebenfalls von dort stammende Löwen-Wirt Josef Butzerin zu den ersten Parteigenossen aus dem Montafon. Mit dieser Mitgliederbasis wurde wenig später im Frühjahr 1932 von Erich Bertle eine eigene Ortsgruppe in Schruns ins Leben gerufen. Hermann Brecher von dort gründete kurz darauf einen eigenen SA-Sturm Montafon.78 Bis Mitte 1934 wurde auch eine Schrunser SS-Gruppe aufgebaut, die zuletzt vor dem Parteiverbot 18 Mitglieder zählte.79 Im Vergleich zu anderen Regionen des Landes waren diese Mitgliederzahlen recht niedrig. Im Bregenzerwald erreichten beispielsweise manche Gemeinden im Jahr 1933 einen Anteil von nahezu zehn Prozent.80 Auch überregional gesehen fand sich Bludenz hinsichtlich der Mitgliederzahlen unter den österreichischen Bezirken bei den Schlusslichtern.81

Einladung zu einem NS-Vortrag von Harald Eberl

Bei der im Herbst 1932 stattfindenden Landtagswahl konnte die NSDAP dann jedoch in Schruns beachtliche 139 von 1.067 Stimmen beziehungsweise 13 Prozent erreichen und lag damit über dem Landesergebnis von zehn Prozent.82 Auf das ganze Montafon bezogen lag der Anteil der NSDAP jedoch lediglich bei sieben Prozent.83 Bei Wahlveranstaltungen im Hotel Taube sowie in der Turnhalle in Schruns waren im Oktober 1932 105, 150 und 85 Teilnehmende gezählt worden. Im Adler in Bartholomäberg waren jedoch nur acht Personen erschienen. Im Löwen in Tschagguns wurden 30 Teilnehmer, in der Sonne in Vandans 80 Personen, in der Post in St. Anton acht Zuhörer und in Lorüns im Adler fünf Teilnehmende gezählt.84 Zwischen 1931 und 1933 fanden im Montafon 18 offiziell dokumentierte Veranstaltungen der NSDAP statt:85

Zusätzlich zu den Veranstaltungen wurden seitens der NSDAP vielfältige weitere Aktivitäten gesetzt, um Aufmerksamkeit zu erregen sowie einen politischen Umbruch vorzubereiten. Ende Mai 1933 exerzierten 14 Nationalsozialisten aus St. Anton und Vandans im Stall des Gasthauses zur Post in St. Anton.86 In St. Gallenkirch fand kurz darauf im Gasthaus Rössle eine von Kaufmann Josef Düngler einberufene Versammlung für geladene Gäste statt, der etwa 50 Personen beiwohnten.87 Die rege Tätigkeit zahlreicher Nationalsozialisten gegen das kirchliche Milieu dokumentieren etwa die Provokationen des Silbertalers Heinrich Walser, der am 8. Juli 1933 ein großes Hakenkreuz in die Wiese des Ortspfarrers Guntram Nagel mähte und Ende Juli dann sogar eine Hakenkreuzfahne auf dem Kirchturm hisste.88 Im Schrunser Schwimmbad wurden Ende Juli an verschiedenen Stellen Hakenkreuze und die Aufschrift „Heil Hitler“ aufgemalt.89 Auf der Baustraße von Partenen nach Vermunt wurden in der ersten Augusthälfte 17 Hakenkreuze aufgemalt90, ebenso auf Felsblöcken an der Straße nach Gargellen.91 Am 27. August wurde „auf dem gegen Schruns zugewendeten Berghange der Kapellalpe“ abends ein großes Hakenkreuz abgebrannt.92 Unter dem Pseudonym „’s Talerwible“ erschien im September 1933 ein Bericht im Vorarlberger Volksboten: „O is Tal kämmende söte Hetzer, bi Tag und noch meh i der Nacht, und denn konn sie i ezelne Hüser zemma. […] Dem Afüahrer hei ma halt versprocha, wenn d’Hitler a d’Regiarig kämendi, wird er Vorstehr oder noch meh, […].“93 In Schruns schnitten junge Nazis „einem von den Nazi verhaßten Bauern am Hinterteil einer Kuh ein Hakenkreuz aus den Haaren, so daß dieser Bauer zu seinem Ärger lange Zeit das Hakenkreuz täglich mehrmals ansehen muß“.94 Ende September wurde dann auf Gamplaschg oberhalb von Schruns ein Hakenkreuzfeuer abgebrannt.95 Im Oktober 1933 soll bei einer geheimen Zusammenkunft von NS-Vertrauensleuten in St. Gallenkirch beschlossen worden sein, in Partenen und St. Gallenkirch die Waffendepots des Heimatdienstes auszuforschen und später die dort gelagerten Waffen – insgesamt drei Maschinengewehre und eine unbestimmte Anzahl von Gewehren – zu entwenden. Durch einen Polizeispitzel konnte das Vorhaben jedoch vereitelt werden.96 Etwa zur gleichen Zeit wurde am Berghang an der Gemeindegrenze zwischen Bartholomäberg und Schruns ein Hakenkreuzfeuer abgebrannt. In Partenen wurden an den Ortsausgängen mit weißer Ölfarbe drei Hakenkreuze auf Gebäuden aufgemalt.97 Im Jänner 1934 fand man auf dem Kristberg Holzstapel, bei denen jedes einzelne Stück mit einem Hakenkreuz „verziert“ war.98 Im Jahr 1934 steigerten sich die NS-Aktivitäten im gesamten Land, als im Juni zwei Überlandleitungen der Illwerke gesprengt wurden.99 In St. Gallenkirch wurde in der Nacht zum 6. Mai eine Hakenkreuzfahne an der Hochspannungsleitung angebracht.100 Auch wurde in jenen Monaten vermehrt das NS-Parteiblatt „Der Rote Adler“ in den Gemeinden des Tales verteilt.101 Elisabeth Mathies aus Tschagguns stellte nach der Ermordung von Bundeskanzler Dollfuß gegenüber anderen fest: „Habt ihr genügend schwarze Tücher, da der schöne Herr verreckt ist. Hoffentlich kostet es noch mehr solche Köpfe.“102 In Schruns wurde kurz darauf jedoch die Umbenennung des Kirchplatzes in „Kanzler-Dollfuß-Platz“ beschlossen. Den NS-Sympathisanten Bertle und Steu wurden die Tabaktrafiken entzogen.103 Auch in anderen Orten, etwa in Tschagguns, erfolgten Umbenennungen der zentralen Plätze.104 In den folgenden Jahren wurden vornehmlich im Großraum Schruns illegale NS-Aktivitäten aktenkundig. Am Beispiel mehrerer Personen aus dem Umfeld des Alpenvereins sollen deren Aktivitäten hier angeführt werden:105

Als im Zuge des Verbots der NSDAP vom 19. Juni 1933 kurz darauf eine streng vertrauliche Liste „jener prominenten Führer der NSDAP, die für den Fall eintretender Unruhen in Verwahrung zu nehmen wären“ erstellt wurde, fanden sich auf dieser der nunmehrige Schrunser Ortsgruppenleiter Jakob Zudrell, der diese Funktion im Jänner 1933 von Erich Bertle übernommen hatte, der SA-Kommandant Hermann Brecher, die SA-Männer Bruno Hueber, Josef Kasbauer und Josef Moosbrugger sowie der Tschaggunser Stützpunktführer Basilius Fritz. In St. Anton wurden Albin Jakober und Viktor Tagwerker gemeldet, in St. Gallenkirch Karl Gürtler. In Gaschurn wurden Josef Rusch, Wilhelm Breuss, Ludwig Rudigier, Josef Palmsteiner und Stefan Dorner verzeichnet.106

In den In den Jahren 1933 bis 1936 flohen dann insgesamt 25 Männer aus dem Montafon ins Deutsche Reich und verloren infolgedessen sowohl die österreichische Staats- als auch die Vorarlberger Landesbürgerschaft:107 Im Jahr 1933 verließen folgende im Montafon wohnhafte Personen das Land: Eugen Brunold, St. Gallenkirch; Anton Dajeng, Schruns; Franz Durig, Tschagguns; Karl Gwechenberger, Schruns; Hermann Hagen, Vandans; Karl Jordan, Schruns; Wilhelm Kurzemann, St. Anton; Karl Lerch, Gaschurn; August Marent, St. Anton; Eugen Moosbrugger, Schruns; Josef Moosbrugger, Schruns; Johann Schallner, St. Gallenkirch; Robert Schwarzhans, Schruns; Ernst Steu, Schruns; Ernst Tschanun, Gaschurn; Josef Vallaster, Silbertal; Wilhelm Vonbun, Schruns; Heinrich Walser, Silbertal; Jakob Zudrell, Schruns.108 In Sonthofen trafen begeisterte NS-Anhänger im Jahr 1937 auf die Spitze der NSDAP.

Aus dem Fotoalbum eines Montafoner Bauarbeiters, der 1937 in Sonthofen den Besuch des „Führers“ dokumentierte

Die Erinnerungserzählung von Manfred Dönz beleuchtet die angespannte Stimmung in jenen Jahren der austrofaschistischen Herrschaft:

„Man muss sich auch das vorstellen, man ist natürlich da herinnen auch nicht zimperlich umgegangen mit den Leuten. Das ist auch ein totalitäres Regime gewesen, das muss man dazu sagen. Ich weiß zum Beispiel, die haben … ja klar, es hat damals schon die Nazis gegeben [… und] wenn einer da herinnen irgendetwas angestellt hat, ist er nach Deutschland hinaus und ist dann zur Legion gekommen, hat es geheißen. Und die Legionäre sind dann auch immer wieder heimlich hereingekommen und haben dann erzählt, wie das da draußen gut ist. Alles hat Arbeit, alles und Zeug. Man hat dann, ich weiß dann, auch Hakenkreuze überall hinaufgemalt, auf Kuhställe und Ziegenställe hin an die Türen hin so zum Beispiel. Dann haben sie wieder ein Hakenkreuz vorne an den Hochspannungsmast auf Rollen getan, dass es mit hineingerollt ist. Sie sind ja frech gewesen. Sie hätten ja können bei den Hochspannungen draufkommen und so weiter. Dann ist natürlich das Ganze verunsichert gewesen. Ich weiß das auch nur, da haben auf dem Kirchenplatz in Schruns mehr als drei nicht beieinanderstehen dürfen. Mehr als drei ist schon eine Zusammenrottung gewesen. Also nach der Kirche ist doch alles beieinandergestanden. Aber nach dem Gesetz haben nicht mehr als drei beieinanderstehen dürfen. Das hat es gegeben. Und wenn man auch da … Es ist ja unmöglich gewesen, was sich damals die aufgeführt haben, was sie da gemacht haben.

Ich weiß, meine Mama hat ihrer Schwester […] ein Gläschen mit Honig hinaufgetan, in Papier eingepackt. Und das hat sie vor die Haustüre gestellt, am Morgen bevor sie in die Messe gegangen ist. Und die Gendarmen sind vorbei und haben gedacht, es wäre eine Bombe. Damals hat man auch schon Bomben gesetzt. Und haben sie dann die Bombe im Gefängnis heraußen, […] wo der Gefängnishof dort in der Nähe gewesen ist, weil früher haben wir immer da hinuntergeschaut, wer da wieder eingesperrt ist. Und dann haben sie drauf geschossen aus der Entfernung. Derweil ist halt Honig heraus gekommen statt der Ding [lacht]. Sie sind dann schon ins Fasnatblättle auch noch gekommen [lacht]. Aber ich meine nur, wie verunsichert dass man damals gewesen ist.“109

Dönz hat die Flucht von Montafoner Nationalsozialisten angesprochen, die sich aufgrund des Verbots der NSDAP in Österreich seit 1933 strafbar gemacht hatten und sich anschließend in Deutschland der sogenannten „Österreichischen Legion“ anschlossen. Die vielerorts aufgemalten Hakenkreuze und die politische Energie der verbotenen Nazis wurden in seiner Darstellung durch die austrofaschistische Regierung mit Repression beantwortet, die (nicht zuletzt aufgrund zahlreicher Bombenanschläge in Österreich) zunehmend nervöser wurde – was er mit der ironischen Anekdote zur vermeintlichen Bombe in Form eines Honigglases verdeutlicht.110 Aus Tschagguns überlieferte der Lehrer Anton Brugger in der Schulchronik von Bitschweil folgende Ereignisse aus dem Sommer 1934:

„Am Ende dieses Schuljahres [1933/34] war vor dem Kriegerdenkmal eine vaterländische Feier. Es mußte ein geschichtlicher Vortrag gehalten werden. Es gab Leute, die wollten es auf keiner Seite verderben und wanden sich daher um den Vortrag herum. Damals hielt [Franz] Müller in jugendlichem Eifer den Vortrag, wofür er wenig Dank erntete. Als er wieder nach Bitschweil kam, waren die neu angeschaffene Europakarte und die Zimmerdecke mit Hakenkreuzen ‚geschmückt‘. Ferdinand Stampfer ging ins Altreich und bekannte sich von dort aus schuldig, um seine Freunde zu entlasten.“111

Mehrere Montafoner waren als Soldaten beim österreichischen Bundesheer. Einige von ihnen schlossen sich in jenen Jahren illegal dem nationalsozialistischen Soldatenring an: Gustav Arnold Battlogg, Vandans; Jakob Bitschnau, Bartholomäberg; Josef Eduard Bitschnau, Silbertal; Franz Vergut, Schruns; (Josef) Edmund Vonderleu, Silbertal.112

Heimwehrführer Ernst Rüdiger Starhemberg in Schruns, 1935

Einen tieferen Einblick in den politischen Dorfalltag ermöglicht die private Korrespondenz zwischen Erwin Hefel, dem späteren Bürgermeister von Feldkirch, und Sofie Hueber aus Schruns, die sich 1933 bis 1935 näher kennenlernten und eine Beziehung eingingen.113 Aus den Briefen wird deutlich, dass sich die jungen NS-Sympathisanten in Turn-, Alpen- und Wintersportvereinen trafen und die Freizeit gemeinsam verbrachten. So äußerte Erwin Hefel, dass er an einem Ski-Mannschaftslauf teilnehmen werde, „um vielleicht unserer Turner-Schneelaufriege zu einem Erfolg zu verhelfen. „Gegen ‚Schwarz‘ und die ‚internationalen Sportler‘ heißt es schon im Interesse unserer bündischen Sache zusammen zu stehen und die eigenen Wünsche zurück zu stellen.“114 Nebenbei werden in den Briefen Hausdurchsuchungen, die Flucht von Bekannten ins Dritte Reich oder das Hören von NS-Reden im Radio erwähnt. Auch wird immer wieder über Inhaftierungen von Kameraden berichtet. So schrieb Sofie Hueber am 21. Februar aus Schruns: „Weißt Du schon, daß Karl [Jordan] seit Montag wieder in Bludenz in Untersuchungshaft ist? Am Sonntag wurden hier scheints einige Hackenkreuze abgebrannt u. beim Bürgermeister Papierpöller geworfen.“115 Mitte März folgte dann die Flucht: „Karl Jordan ist seit gestern vermisst. Bei Borgers nahm er 100 S Vorschuß u. gab an zur Bezirkshauptmannschaft nach Bludenz zu müssen. Dabei sah man ihn dann aber mit Schiern fortgehen. Man nimmt an, daß er hinaus in die Ferne ist, denn man sagte ihm daß er nach Wöllersdorf abgeschoben würde sobald nochmals das Geringste vorkäme. Er soll seit Sonntag sehr niedergeschlagen gewesen sein. Bin nun sehr neugierig ob er wirklich hinaus ist oder was da wieder heraus kommt.“116 Zwei Monate später erwähnte Sofie Hueber folgende Begebenheit: „Gestern war der Sicherheitsdirektor in Silbertal, beim Rückweg waren dann ihm zu Ehren lauter Hackenkreuze gestreut worden. Über diese Aufmerksamkeit wird er sicherlich eine große Freude empfunden haben.“117 Am Ende des Monats Mai berichtete sie: „Bruno [Hueber] u. [Theodor] Wolf sitzen seit Sonntag früh u. wurden gestern nach Bludenz überführt, wie lange weiß man noch nicht. Von Samstag auf Sonntag wurden überall Hackenkreuze und rote Adler gestreut. (‚A ganze Zoana‘) wie der Gendarm sagte. Und da sollen angeblich Bruno u. Wolf in der kritischen Gegend gesehen worden sein. Sonntag abends brannten dann noch zur Feier des Tages 2 große Hackenkreuze.“118 Anlässlich des Röhm-Putsches im Sommer 1934, als die Führung der Nationalsozialisten die Führungskräfte der Sturmabteilung (SA) einschließlich des Stabschefs Ernst Röhm ermorden ließ, schrieb Sofie Hueber am 2. Juli: „Ich tat was man bei diesem Wetter tun konnte, Langweile blasen u. die übrige Zeit war ich bei Bertles am Radio um die neuesten und überraschenden Berichte über die Ereignisse in Deutschland zu hören. Für uns kam so unerhört plötzlich, obwohl [Rudolf] Hess [der Stellvertreter Adolf Hitlers] in seiner letzten Rede von einer zweiten Revolution sprach und davor warnte, konnten wir uns damals nicht recht erklären wie das nun richtig zu verstehen sei.

Für Hitler aber müssen doch nun alle, die überhaupt einer Begeisterung fähig sind, dies restlos sein. Denn selbst seine Feinde können ihm in diesem Falle den großen Mann und Führer nicht absprechen. Außer unseren Käseblättern, über die ja doch das dümmste Huhn schon lachen muss.“119

Erwin Hefel (links) und Sofie Hueber am 23. März 1934 vor dem Madlenerhaus in der Silvretta

37 MA, Zz, Interview Maria Netzer.

38 Hessenberger, Erzählen vom Leben, 190–192.

39 Dreier, Doppelte Wahrheit, 63.

40 MA, Zz, Interview Manfred Dönz.

41 Wanner, Montafon im Wandel, 139.

42 Walser, Die illegale NSDAP, 16.

43 MA, GA Schruns, NSDAP Schruns – Dringlichkeitsantrag Förderung Fremdenverkehr, 1933.

44 Dreier, Doppelte Wahrheit, 63–64.

45 Peter, Turnen fürs Vaterland, 222.

46 Fetz/Abl, Skipionier, 22.

47 AzBM, 4.4.1953.

48 KT, 24.11.1932, 11.

49 Netter, Urlaubstraum Montafon, 210.

50 Walser, Die illegale NSDAP, 17.

51 Kiermayr-Egger, Zwischen Kommen und Gehen, 115.

52 VVB, 23.6.1934, 6.

53 Netter, Urlaubstraum Montafon, 210.

54 Groß, Zwischen Kruckenkreuz, 61–62.

55 Ebenda, 63–64.

56 Ebenda, 65.

57 Erinnerungen des Bergmanns Anton Neumann, zitiert nach: Scheibenstock, Bergknappen, Stollen, Erze, 47–48.

58 Weber, Gründung, 98–99.

59 Melichar, Otto Ender, 301–302.

60 Weber, Gründung, 101.

61 Egger, Die KPÖ, 45–46.

62 Bilgeri, Geschichte Vorarlbergs, 177.

63 VVB, 20.1.1934, 6.

64 Vallaster, Mein Leben, 53.

65 VT, 21.1.1933, 5.

66 VT, 18.2.1933, 5.

67 VT, 4.2.1933, 6.

68 VVB, 19.5.1934, 7.

69 VVB, 1.6.1935, 5.

70 Purin, Das Früher, 3.

71 Loewy, Ungleichzeitigkeiten, 219.

72 Purin, Das Früher, 6–7.

73 Varga, Ein Tal in Vorarlberg, 153.

74 Groß, Zwischen Kruckenkreuz, 57.

75 Purin, Das Früher, 10.

76 Kiermayr-Egger, Vom Kommen und Gehen, 120.

77 Weber, Die Alpenstadt und die Nazi, 50.

78 Weber, Von Silbertal nach Sobibor, 20–21.

79 Walser, Die illegale NSDAP, 68.

80 Schwärzler, Nationalsozialismus im Bregenzerwald, 10.

81 Albrich/Meixner, Zwischen Legalität und Illegalität, 157.

82 Weber, Von Silbertal nach Sobibor, 21.

83 VV, 11.11.1932, 11.

84 VLA, BH Bludenz II-13/1932.

85 Weber, Von Silbertal nach Sobibor, 19–20.

86 VLA, BH Bludenz II-16/1933.

87 VLA, BH Bludenz II-863/1933.

88 Walser, Die illegale NSDAP, 120.

89 VLA, BH Bludenz 1537/1933.

90 VLA, BH Bludenz II-16/1933.

91 VLA, BH Bludenz 1704/1933.

92 VLA, BH Bludenz II-16/1933.

93 VVB, 29.9.1933, 5.

94 Wanner, Montafon im Wandel, 154.

95 VLA, BH Bludenz II-16/1933.

96 Götsch, Die Vorarlberger Heimwehr, 77.

97 VLA, BH Bludenz II-16/1933.

98 VVB, 20.1.1934, 6.

99 Götsch, Die Vorarlberger Heimwehr, 91.

100 VLA, BH Bludenz II-559/1934.

101 VLB, 21.2.1934, 6.

102 VLA, BG Montafon, Sch. 216, Vr 1158/34.

103 VLB, 8.9.1934, 6.

104 VLB, 24.11.1934, 6.

105 Kasper, Edelweiß und Hakenkreuz?, 134.

106 VLA, LReg. Prs. 705/1933 Verzeichnis der prominenten Führer der NSDAP.

107 Weber, Von Silbertal nach Sobibor, 37–38.

108 VLA, BH Bludenz II-1770/1933.

109 MA, Zz, Interview Manfred Dönz.

110 Hessenberger, Erzählen vom Leben, 209.

111 MA, Schulchronik Bitschweil.

112 Fitz, Eine Geheimorganisation, 51–55.

113 MA, Vorlass Horst Hefel, Was machen wir am Sonntag? Briefe 1934/35, Erwin Hefel, Feldkirch; Sofie Hueber, Schruns. Freizeitgestaltung, Einblicke in den politischen Dorfalltag, unveröff. Manuskript.

114 Ebenda, 9.

115 Ebenda, 44.

116 Ebenda, 63–64.

117 Ebenda, 105.

118 Ebenda, 109.

119 Ebenda, 124.

„Anschluss“ und Machtübernahme

Im Frühjahr 1938 ging eine Entwicklung zu Ende, die bereits 1933 mit der Errichtung des austrofaschistischen Regimes unter Dollfuß und Schuschnigg begonnen hatte. Mit der Ausschaltung der kommunistischen Partei 1933 sowie der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung 1934 verlor das konservative Österreich die wichtigsten Bündnispartner im Kampf gegen den Nationalsozialismus. Die schwierige wirtschaftliche Situation, die von der Sozial- und Wirtschaftspolitik des Austrofaschismus kaum verbessert wurde, bedingte zusätzlich eine Distanzierung von großen Teilen der Bevölkerung gegenüber dem Ständestaat. Darüber hinaus herrschte ohnehin in nahezu allen politischen Lagern eine „Anschlussideologie an den Großraum Deutschland“ vor.120 Jene Stimmung vor dem „Anschluss“ wurde in den Berichten aus Gaschurn und Bartholomäberg, die in den ersten Nachkriegsjahren verfasst wurden, folgendermaßen geschildert:

Postkarte mit sonnengleichem Hakenkreuz über Schruns und der Zimba/Vandanser Steinwand

„Noch heute sprechen die Leute von der Arbeitslosigkeit und dem Ausbleiben von fremden Gästen in der österreichischen Zeit. Folgen der Sabotage seitens der Fabrikanten und der 1000 M-Sperre. Diese Sabotage erstreckte sich auch auf das Nichtzahlen der Versicherungsprämien durch Illegale. Auch bei den Vorarlberger Illwerken wurde der Ausbau in der Weise sabotiert, daß die Arbeiten sozusagen eingestellt und die Arbeiter entlassen wurden. Die Firma war zwar ausbauwillig, wurde aber, da der deutsche Einfluss mächtig war, von der deutschen Regierung dazu gezwungen. 1937 gab es auch im Vermunt Hakenkreuzschmierer, die Täter blieben unbekannt.“121

„Durch alle diese methodisch von Deutschland aus geleiteten Maßnahmen wurde ein Dauerzustand von Unsicherheit und Bedrohung geschaffen, der sich in der wirtschaftlich an und für sich schon kritischen Lage sehr böse auswirkte; vielleicht noch schlimmer war aber die psychologische Wirkung: durch das jahrelange Andauern dieses Krisenzustandes wurde das Volk allgemach an der Widerstandskraft des Vaterlandes irre; eine tiefgreifende Depression, ein verhängnisvoller Fatalismus ergriff die breiten Massen der hart um ihr Dasein ringenden Bergbauern. Es waren daher nicht wenige, die beim Eintreffen der Katastrophe am 11.3.38 abends – wenigstens im ersten Augenblick – befreit aufatmeten, da das lange drohende Gewitter sich endlich entladen hatte.“122

Schon in den ersten Wochen des Jahres 1938 hatten sich die Aktivitäten des NS-nahen Milieus verdichtet. Um den 12. März erfolgte dann im ganzen Montafon die Machtübernahme durch NS-Aktivisten aus den einzelnen Gemeinden – noch bevor deutsche Militär- oder Polizeieinheiten im Tal eintrafen. Der „Anschluss“ erfolgte also definitiv nicht nur von außen, sondern ganz maßgeblich von innen, aus der Region und von Teilen der einheimischen Bevölkerung selbst.

Winter 1937/38

Noch im Dezember 1937 hatte der Silbertaler Bürgermeister Hermann Brugger bei der Vorarlberger Landesregierung um Unterstützung für ein Arbeitsbeschaffungsprogramm angesucht: „Wir sind eine sehr arme Gebirgsgemeinde, besteht doch dieselbe aus mehr als 90 % verarmten Gebirgskleinbauern, die nur unter dürftigsten Verhältnissen das Leben Fristen können. [… die Familien] sind daher auf einen Nebenverdienst angewiesen, wenn sie nicht dem Hunger und dem Elend überantwortet werden sollen.“ Im Jänner wurde daraufhin seitens des Landes eine entsprechende Subvention gewährt.123

Laut dem Vorarlberger Tagblatt kamen rund um den Jahreswechsel 1937/38 zahlreiche Gäste ins Montafon: „Matschwitz war an beiden Tagen überfüllt, die Gasthäuser und die verpachteten Maiensässe.“ Allerdings waren viele Montafoner Skilehrer zu jener Zeit großteils im Kleinwalsertal sowie am Arlberg im Einsatz. Der Zeitungsredakteur meinte dazu, „wenigstens haben sie etwas vom größeren Winterbetrieb in diesen Gebieten“.124 Dort herrschte demnach ein regerer Wintertourismus als im Montafon, das dieser Entwicklung bis dahin noch zu wenig Rechnung getragen hatte. Insgesamt gab es damals in Vorarlberg 41 Skischulen mit 75 Skilehrern. Im Montafon bestanden sechs Skischulen, die über die Region verteilt waren, Skilehrer waren jedoch vornehmlich in Gargellen (6) und Partenen (6) zu finden. Im Außermontafon gab es lediglich in Schruns und Tschagguns Skischulen und Skilehrer, in Bartholomäberg, Silbertal oder Vandans wurde hingegen kein ausgebildeter Skilehrer gemeldet.125

Nach den Weihnachtsferien wurde am 9. Jänner die neue Zelfen-Schanze in Tschagguns eröffnet. Diese sollte dem Wintersport einen deutlichen Impuls geben. Im deutschnationalen Vorarlberger Tagblatt erschien eine Sonderbeilage mit dem Titel „Wintersport in Vorarlberg. Eröffnung der Zelfen-Großschanze bei Tschagguns“.126 Der damalige Weltrekordspringer Josef „Bubi“ Bradl, ein bekennender Nationalsozialist und seit 1936 SA-Mitglied aus Salzburg127, trainierte in den Tagen vor dem Eröffnungsspringen mit Vorarlberger Athleten auf der neuen Schanze. Er gewann den Eröffnungswettbewerb und sprang an diesem Tag mit verlängertem Anlauf sogar auf 80 Meter Weite den neuen Schanzenrekord.128 Im April warb Bradl dann im Völkischen Beobachter für den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich:

„‚Alles für Deutschland.‘ ‚Lang ersehnt, endlich erreicht; für uns, meine Sportkameraden, gibt es nur ein aus vollem Herzen gegebenes freudiges ‚Ja‘ zum Völkerentscheid am 10. April. Heil Hitler Josef Bradl“129

Der Planer der Schanze, August Ohneberg, war laut Vorarlberger Tagblatt ein „aufrechter deutscher Mann“, der „furchtlos für das Endziel des Nationalsozialismus“ kämpfte. Anlässlich der Eröffnung der Zelfen-Groß-schanze „sprach er [in diesem Sinne] mutvoll und unerschrocken zu den Skikameraden“.130 Etwa zur selben Zeit fand in der Taube in Schruns ein Lichtbildervortrag der neu gegründeten Ortsgruppe des deutschen Schulvereins Südmark statt, in dem über die „armen Sudetendeutschen“ und andere Gebiete mit deutschen Minderheiten referiert wurde.131

Porträt und Stellungnahme Josef Bradls im Völkischen Beobachter vom 10. April 1938

Seitens der österreichischen Regierung konnte Ende Februar die Eröffnung der Straße von St. Anton über Bartholomäberg nach Innerberg gefeiert werden. In fünf Jahren waren hier 800.000 Schilling investiert worden:132 Die Panoramastraße „überwindet mit ihrer Länge von 11 Kilometer, an den Hängen des Bartholomäbergs hochführend, einen Höhenunterschied von 497 Meter […]. Von ihr bieten sich prächtige Ausblicke in das Tal der Ill, auf die Züge des Rhätikon […].“133 In Lorüns wurde gleichzeitig die äußerst angespannte Arbeitssituation, die eng mit der Schließung des Zementwerks in den Wintermonaten zusammenhing, wahrgenommen. Von einem Anschluss an NS-Deutschland erhoffte man sich eine Verbesserung dieser Situation.134 Dass sich in jenen Wochen die NS-Aktivitäten verdichteten, verdeutlicht die letzte Eintragung des Schrunser Schuldirektors Gottfried Heinzle in der dortigen Chronik vom Februar 1938: Er fragte nämlich beim Bezirksschulrat an, „ob der Hitler-Gruß zu gestatten sei“. Nach telefonischer Rücksprache mit dem Landesschulrat kam von dort die Weisung: „Die Schüler sollen lernen, nicht politisieren.“135 Weitere NS-Aktivitäten wurden dann in den ersten Märztagen in die Tat umgesetzt: Am Funkensonntag, dem 6. März, marschierten die illegalen NSDAP-Anhänger in Gaschurn demonstrativ auf und brannten ihren Funken ab.136 Auch in St. Gallenkirch hatten rund 150 Teilnehmende beim Funken einen Fackelzug als NS-Kundgebung abgehalten.137 Auf einigen Alpenvereinshütten in der Silvretta sowie im Verwall vollzog sich der „Anschluss“ dann offenbar schon einige Tage vor dem 12. März:

„Von den Zinnen der Saarbrücker Hütte wehte schon 14 Tage vor der Machtübernahme eine fünf Meter lange Hakenkreuzfahne. Einige Tage später wehte die Fahne auch von der Heilbronner Hütte in der Ferwallgruppe.“138

Bauarbeiten zur Errichtung der Straße von St. Anton nach Bartholomäberg-Innerberg im Rahmen von Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen im Jahr 1935

Der spätere Schrunser Bürgermeister Franz Marent war zu jener Zeit als Hauptmann des Bundesheeres Ortskommandant der Garnison in Bludenz. Er erinnerte sich 1948, dass seine Soldaten größtenteils den Anschluss nicht goutierten. Ein junger Offizier habe jedoch schon vorab aktiv darauf hingewirkt, das Austeilen von österreichischen Aufrufen zu verweigern und am 12. März umgehend den Hitlergruß einzuführen sowie die vom austrofaschistischen Regime als Symbol verwendeten Kruckenkreuze allerorts entfernen zu lassen.139

Die Geschehnisse um den „Anschluss“

Beim sogenannten „Anschluss“ Österreichs an Deutschland handelte es sich um einen dreifachen Prozess, der sich aus einer scheinlegalen Machtübernahme von oben, einer pseudorevolutionären Machtergreifung von unten und einer imperialistischen Intervention von außen zusammensetzte.140