Das Neue Testament - Gerd Theißen - E-Book

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Gerd Theißen

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Beschreibung

Das Neue Testament ist die Schriftensammlung einer kleinen religiösen Subkultur im Römischen Reich, die durch Neuinterpretation der jüdischen Religion entstand und sich binnen 100 Jahren zu einer selbständigen Religion entwickelte. Zwei historische Gestalten haben sie geprägt: Jesus und Paulus. Die vorliegende Einführung stellt die Entstehung der durch sie (direkt und indirekt) hervorgerufenen Schriften im Zusammenhang mit der Geschichte des Urchristentums dar. Sie setzt einen besonderen Akzent auf die Entwicklung der Formensprache der neutestamentlichen Schriften und die Bearbeitung ihres religiösen Grundproblems, wie in einem monotheistischen Milieu eine menschliche Gestalt neben Gott gerückt werden konnte. Die dabei sichtbar werdenden formalen und inhaltlichen Besonderheiten erklären, warum diese Schriften in den Kanon der Alten Kirche aufgenommen wurden.

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Gerd Theißen

DASNEUE TESTAMENT

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

Zum Buch

Das Neue Testament ist die Schriftensammlung einer kleinen religiösen Subkultur im Römischen Reich, die durch Neuinterpretation der jüdischen Religion entstand und sich binnen 100 Jahren zu einer selbständigen Religion entwickelte. Zwei historische Gestalten haben sie geprägt: Jesus und Paulus. Die vorliegende Einführung stellt die Entstehung der durch sie (direkt und indirekt) hervorgerufenen Schriften im Zusammenhang mit der Geschichte des Urchristentums dar. Sie setzt einen besonderen Akzent auf die Entwicklung der Formensprache der neutestamentlichen Schriften und die Bearbeitung ihres religiösen Grundproblems, wie in einem monotheistischen Milieu eine menschliche Gestalt neben Gott gerückt werden konnte. Die dabei sichtbar werdenden formalen und inhaltlichen Besonderheiten erklären, warum diese Schriften in den Kanon der Alten Kirche aufgenommen wurden.

Über den Autor

Gerd Theißen, geb. 1943, studierte Germanistik und Evangelische Theologie, war Professor für Neues Testament in Kopenhagen 1978–1980 und lehrt seit 1980 in Heidelberg. Seine Forschungsschwerpunkte sind: Historischer Jesus, Literatur- und Sozialgeschichte des Urchristentums, Theorie der urchristlichen Religion. Er veröffentlichte u.a. «Urchristliche Wundergeschichten» (71998); «Soziologie der Jesusbewegung» (71997); «Psychologische Aspekte paulinischer Theologie» (21993); «Der historische Jesus» (zusammen mit A.Merz, 42001); «Die Religion der ersten Christen» (42008). Bekannt wurde er durch eine in viele Sprachen übersetzte Jesuserzählung «Der Schatten des Galiläers» (142012).

Inhalt

Abkürzungen

   I. Das «Neue Testament» und seine literarischen Formen

  II. Jesus von Nazareth

III. Die Jesusüberlieferung in der ersten Generation: Die Logienquelle und die mündliche Überlieferung von Jesus

1. Die Quellen der Evangelien

2. Überlieferungen der Wandercharismatiker: Die Logienquelle

3. Überlieferungen der Ortsgemeinden: Passion und synoptische Apokalypse

4. Überlieferungen im Volk: Die Wundergeschichten

IV. Paulus von Tarsos

 V. Anfänge der Briefliteratur in der ersten Generation: Die Paulusbriefe

1. Der erste Thessalonikerbrief als situationsbedingtes Schreiben

2. Die antijudaistischen Briefe: Der Galater- und Philipperbrief

a) Der Galaterbrief

b) Der Philipperbrief

c) Der Philemonbrief (Exkurs)

3. Die antienthusiastischen Briefe: Die Briefe an die Korinther

a) Paulus und die Gemeinde in Korinth

b) Der erste Korintherbrief

c) Der zweite Korintherbrief

4. Die theologische Synthese: Der Römerbrief als Testament des Paulus

VI. Synoptische Evangelien und Apostelgeschichte: Die neue Literaturform der zweiten und dritten Generation

1. Das Markusevangelium

2. Das Matthäusevangelium

3. Das lukanische Doppelwerk

VII. Pseudepigraphe Briefe: Die Fortsetzung der Literatur der ersten Generation

1. Die Entstehung der urchristlichen Pseudepigraphie

2. Die deuteropaulinischen Briefe

a) Der zweite Thessalonikerbrief

b) Der Kolosserbrief

c) Der Epheserbrief

d) Die Pastoralbriefe

3. Die katholischen Briefe

a) Der erste Petrusbrief

b) Der Jakobusbrief

c) Der Judasbrief

d) Der zweite Petrusbrief

4. Der Hebräerbrief

VIII. Johanneische Schriften: Die Verbindung von Evangelien- und Briefliteratur

1. Das Johannesevangelium

2. Die Johannesbriefe

a) Der erste Johannesbrief

b) Der zweite und dritte Johannesbrief

3. Die Johannesapokalypse (Anhang)

IX. Der Weg zum «Neuen Testament» als literarischer Einheit

 

Weiterführende Literatur

Glossar

Abkürzungen

Apg

Apostelgeschichte

Apk

Johannes-Apokalypse

AT

Altes Testament

atl.

alttestamentlich

Barn

Barnabasbrief

CD

Covenant of Damascus = Damaskusschrift

1Clem

1. Clemensbrief

2Clem

2. Clemensbrief

Dan

Daniel

Did

Didache

DioCass

Dio Cassius

Dtn

Deuteronomium (= 5. Mose)

Eph

Epheserbrief

Euseb KG

Euseb, Kirchengeschichte

EvNaz

Nazaräerevangelium

Evv

Evangelien

Gal

Galaterbrief

Hebr

Hebräerbrief

Hos

Hosea

lambl.vitPyth

lamblichos, Vita Pythagorica

Ign

Ignatius von Antiochien

Ign Eph

Ignatius, An die Epheser

Ign Magn

Ignatius, An die Magnesier

Ign Phld

Ignatius, An die Philadelphier

Ign Sm

Ignatius, An die Smyrnäer

Jak

Jakobusbrief

Jer

Jeremia

Jes

Jesaja

Joh

Johannes

joh

johanneisch

JohEv

Johannesevangelium

1Joh

1. Johannesbrief

2Joh

2. Johannesbrief

3Joh

3. Johannesbrief

Jos

Josephus

Jos ant

Josephus, antiquitates Judaicae

Jos bell

Josephus, bellum Judaicum

Jud

Judasbrief

Just Dial

Justinus, Dialogus cum Tryphone

Kol

Kolosserbrief

1Kön

1. Königsbuch

2Kön

2. Königsbuch

1Kor

1. Korintherbrief

2Kor

2. Korintherbrief

Lev

Leviticus (= 3. Mose)

Lk

Lukas

lk

lukanisch

LkEv

Lukasevangelium

Mk

Markus

mk

markinisch

MkEv

Markusevangelium

Mt

Matthäus

mt

matthäisch

MtEv

Matthäusevangelium

NT

Neues Testament

ntl.

neutestamentlich

par

mit Parallelüberlieferung zur genannten Bibelstelle

Past

Pastoralbriefe

Phil

Philipperbrief

Phm

Philemonbrief

pln

paulinisch

Prov

Proverbia (Sprüche Salomos)

1Petr

1. Petrusbrief

2Petr

2. Petrusbrief

Ps

Psalm(en)

Q

Logienquelle

1QH

Hodayot = Psalmen aus Qumran

Röm

Römerbrief

Sen ep.

Seneca, epistulae morales

Tac ann.

Tacitus, annales

Tert. adv. Marc.

Tertullian, Adversus Marcionem

1Thess

1. Thessalonikerbrief

2Thess

2. Thessalonikerbrief

1Tim

1. Timotheusbrief

2Tim

2. Timotheusbrief

Tit

Titusbrief

Thom Ev

Thomasevangelium

Die biblischen Zitate werden in der Regel nach der «Einheitsübersetzung der heiligen Schrift» 1982 (= EÜ) wiedergegeben. Bei den Psalmen und dem Neuen Testament handelt es sich dabei um einen ökumenisch erarbeiteten Text. Dort, wo ich von der Übersetzung abweiche, wird darauf hingewiesen durch Hinzufügung von: «wörtlich». Die Rechtschreibung wurde (auch in den Bibelzitaten) an die neue Rechtschreibung angeglichen.

I. Das «Neue Testament» und seine literarischen Formen

Das Neue Testament ist die Schriftensammlung einer Subkultur im Römischen Reich, die sich durch Neuinterpretation der jüdischen Religion gebildet hat. In ihrem Zentrum steht ein jüdischer Charismatiker, den die Römer ca. 30 n. Chr. hingerichtet haben. Er tritt in ihr an die Seite Gottes. Ihre Interpretation muss verständlich machen, wie innerhalb einer monotheistischen Religion ein Mensch neben Gott treten konnte, wie sie sich dadurch für Nichtjuden öffnete und für viele Juden inakzeptabel wurde.

Das NT umfasst 27 Schriften in griechischer Sprache, die zwischen ca. 50 und 130 n. Chr. entstanden: 4 Evangelien, 21 Briefe, dazu Apostelgeschichte und Johannesapokalypse. Als sie entstanden, gab es kein «Neues Testament». Die Bibel der ersten Christen waren die heiligen Schriften der Juden. Juden hatten die Idee eines Kanons (griech. «Richtschnur») entwickelt, d.h. einer Schriftensammlung, welche die Überzeugungen einer Religion dem kulturellen Gedächtnis ein für alle Mal einprägt. Nach diesem Modell entwickelten die ersten Christen ihren erweiterten «Kanon». Erst in Unterscheidung zum NT wurde die jüdische Bibel zum «Alten Testament». Zusammen bilden sie die christliche Bibel.

Der Titel «Neues Testament» geht auf die Verheißung des «Neuen Bundes» in Jer 31,31–34 zurück, Gott werde einst seine Gebote nicht mehr auf Stein schreiben, sondern in die Herzen der Israeliten, so dass kein menschlicher Lehrer sie vermitteln muss. Beflügelt von dieser Vision gründeten einige Juden im 2. Jh. v. Chr. im Judentum einen «Neuen Bund im Lande Damaskus» (CD 6,19 u. ö.). Der Gründer der Essener, der Lehrer der Gerechtigkeit, wahrscheinlich ein aus dem Amt verdrängter Hohepriester, hat aus diesen Reformgruppen Mitte des 2. Jh. v. Chr. einen «Gottesbund» geschaffen. Der Begriff «Neuer Bund» setzte sich unter den Essenern jedoch nicht durch. Sie nannten sich den «Bund der Gnade» oder den «Ewigen Bund». Das Attribut «neu» war zu negativ besetzt. Allgemeine Überzeugung war: Das Alte ist das Bessere. Die ersten Christen werteten hier anders: Sie verstanden ihren Neuen Bund als Vollendung des Alten Bunds (2Kor 3,14). Worin bestand das Neue? Folgt man den Belegen von «Neuem Bund» im NT, so stößt man auf drei Ausdrucksformen jeder Religion: Ethos, Ritus und Mythos. In ihnen kam es zu tiefgreifenden Veränderungen.

Der «Neue Bund» zielt auf ein neues Ethos. Paulus leitet seine Gegenüberstellung des Alten und Neuen Bundes mit Worten der Jeremiaverheißung ein: Christen sind ein Schreiben, «geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist des lebendigen Gottes, nicht auf Tafeln aus Stein, sondern … in Herzen von Fleisch» (2Kor 3,3). Ethische Gebote sollen den Menschen nicht von außen steuern, sondern von innen durch den Geist, der den Menschen grundlegend erneuert. Im Urchristentum verband sich so (wie im hellenistischen Judentum überhaupt) jüdische Gebotsethik mit hellenistischer Einsichtsethik. Paulus will «prüfen …, was der Wille Gottes ist» (Röm 12,2) und wendet so die sokratische Forderung, alles zu überprüfen, auf die Gebote Gottes an.

Zum neuen Ethos trat ein neuer Ritus: Das Abendmahl wurde mit den Worten gefeiert: «Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut. Tut dies … zu meinem Gedächtnis!» (1Kor 11,23–25). Es ersetzte die blutigen Opfer. An ihre Stelle traten Brot und Wein – und die Erinnerung an Jesu Tod. Während man die Tieropfer durch ein harmloses Essen ersetzte, wurde die religiöse Imagination durch eine gewaltsame Hinrichtung gefesselt, die als eine längst überwundene Form des Opfers gedeutet wurde: als Menschenopfer. Gerade dies eine Opfer galt als Ende aller blutigen Opfer. Auch das gehört in einen größeren Zusammenhang. Schon im Judentum hatte sich neben dem Jerusalemer Opferkult ein reiner Wortgottesdienst in den Synagogen entwickelt. Ihn führten die ersten Christen fort. Kritik an den Opfern übten auch die Neupythagoräer. Nach der Tempelzerstörung im Jahre 70 n. Chr. hörten auch im Judentum die Opfer auf.

Das Stichwort «Neuer Bund» weist schließlich auf den Mythos der ersten Christen: die «Grunderzählung einer Religion». Der Begriff «Neuer Bund» setzte sich für die Schriften mit dieser Grunderzählung durch. Die Übersetzung von hebr. « berit » (Bund, Verfügung) durch griech. «diatheke» (Verfügung, Testament) erleichterte es, darunter ein Vermächtnis in schriftlicher Form zu verstehen. Entscheidend aber war, dass die Erzählung von Jesus von Nazareth die Stelle einnahm, die in anderen Religionen der Mythos einnimmt. Der spielte sich nicht in grauer Vorzeit ab, sondern erzählte von einer historischen Gestalt mitten in der Zeit. Auch hier setzten die Christen fort, was Juden begonnen hatten: In deren heiligen Schriften war die Geschichte zur grundlegenden Erzählung einer Religion geworden. Der Urzeitmythos wurde durch Erzählungen bis in die Gegenwart fortgesetzt.