Das Pentagon informiert - J. William Fulbright - E-Book

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J. William Fulbright

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Beschreibung

Die Zentren der Macht sind in der modernen Geschichte zugleich Zentren der Propaganda. Die Mächtigen wollen ihr Bild in der Öffentlichkeit selber bestimmen. So hat sich das Pentagon, die mächtigste Militär-Zentrale der modernen Welt, auch zum mächtigsten Propaganda-Apparat entwickelt. Wohlversorgt mit Milliarden-Beträgen, nutzt es alle Techniken der Werbung und der Public Relations, beeinflußt die Massenmedien, stellt Spielfilme her, die der Zuschauer für künstlerische Produkte hält, lädt Journalistengruppen in Regimentsstärke auf Flugzeugträger und zum schmutzigen Krieg am Mekong ein. Presseagenturen, Zeitungen, Fernsehanstalten, nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern überall auf dem Globus, übernahmen, oft im guten Glauben, manchmal jedoch auch den wahren Charakter kennend, die Pentagon-Propaganda. Im Juni 1971 genügte ein einzelner, der Amerikaner Ellsberg, um dieses ganze weltweite Propaganda-Geflecht mit der Veröffentlichung der geheimen Pentagon-Papiere in der «New York Times» zu zerreißen. Die staunende Welt erfuhr nun, daß sie in bezug auf den Vietnamkrieg übertölpeltes Opfer der Propaganda geworden war. Senator J. William Fulbright, der Vorsitzende des Ausschusses im amerikanischen Senat, hat schon in seinem Erfolgsbuch "Die Arroganz der Macht" die Außenpolitik der Vereinigten Staaten aufs Schärfste kritisiert und gibt hier eine detaillierte Schilderung dieser Pentagon-Propaganda.

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J. William Fulbright

Das Pentagon informiert oder Der Propaganda-Apparat einer Weltmacht

Aus dem Englischen von Wolfgang Eisermann

Ihr Verlagsname

Mit einem Essay von Winfried Scharlau

Vietnam in der deutschen Presse

Über dieses Buch

Die Zentren der Macht sind in der modernen Geschichte zugleich Zentren der Propaganda. Die Mächtigen wollen ihr Bild in der Öffentlichkeit selber bestimmen. So hat sich das Pentagon, die mächtigste Militär-Zentrale der modernen Welt, auch zum mächtigsten Propaganda-Apparat entwickelt. Wohlversorgt mit Milliarden-Beträgen, nutzt es alle Techniken der Werbung und der Public Relations, beeinflußt die Massenmedien, stellt Spielfilme her, die der Zuschauer für künstlerische Produkte hält, lädt Journalistengruppen in Regimentsstärke auf Flugzeugträger und zum schmutzigen Krieg am Mekong ein. Presseagenturen, Zeitungen, Fernsehanstalten, nicht nur in den Vereinigten Staaten, sondern überall auf dem Globus, übernahmen, oft im guten Glauben, manchmal jedoch auch den wahren Charakter kennend, die Pentagon-Propaganda. Im Juni 1971 genügte ein einzelner, der Amerikaner Ellsberg, um dieses ganze weltweite Propaganda-Geflecht mit der Veröffentlichung der geheimen Pentagon-Papiere in der „New York Times“ zu zerreißen. Die staunende Welt erfuhr nun, daß sie in bezug auf den Vietnamkrieg übertölpeltes Opfer der Propaganda geworden war. Senator J. William Fulbright, der Vorsitzende des Ausschusses im amerikanischen Senat, hat schon in seinem Erfolgsbuch „Die Arroganz der Macht“ die Außenpolitik der Vereinigten Staaten aufs Schärfste kritisiert und gibt hier eine detaillierte Schilderung dieser Pentagon-Propaganda.

Über J. William Fulbright

James William Fulbright (1905–1995) war ein US-amerikanischer Politiker der Demokratischen Partei.

Inhaltsübersicht

Winfried Scharlau: Vietnam in der deutschen PresseSüdvietnam als Bastion der freien WeltDie Natur des KriegesDie DominotheorieSüdvietnam als „Laboratorium“ und abschreckendes BeispielGefahr der NeutralisierungVietnam und die Freiheit der DeutschenVorbemerkung1. Das Starbird-Memorandum2. Von der Information zur Propaganda3. Das Pentagon4. Die Seestreitkräfte: Von Mahan zu Moorer5. Wie die Armee es macht6. „Hinauf in die unbekannten blauen Weiten“7. Verzerrte Bilder8. Bekenntnisse9. Gefahren der militärischen „Aufklärung“

Winfried Scharlau Vietnam in der deutschen Presse

Daß mit dem Krieg in Vietnam etwas falsch gelaufen sein muß, scheint gemeinsame Überzeugung der deutschen Öffentlichkeit geworden zu sein und hat auch jene erreicht, die diesen Konflikt in Asien für notwendig und gerechtfertigt gehalten haben.

Wo allerdings die Gründe der offenkundigen Fehlentwicklung zu suchen sind, darüber gibt es in der Bundesrepublik noch keine kritische, selbstkritische Diskussion. Wichtige Denkanstöße sind aus Amerika gekommen; die Bücher des Senators aus Arkansas, J. William Fulbright, die einige der wichtigsten Fragen nach den Kausalzusammenhängen dieser amerikanischen Katastrophe zu beantworten versuchen, könnten die überfällige öffentliche Auseinandersetzung um die deutsche Haltung gegenüber dem Vietnamkrieg endlich in Gang bringen.

Schon vor vier Jahren hatte Senator Fulbright in seiner Studie über ‚Die Arroganz der Macht‘ eine Erklärung dafür zu finden gesucht, warum die verfassungsmäßigen Kontrollinstanzen der amerikanischen Demokratie der Eskalationspolitik der Exekutive, die Amerika in einen Landkrieg in Asien verstrickte, keinen wirksamen Widerstand haben entgegensetzen können. Seine These vom Machtverfall des Parlaments ist durch die weiteren Ereignisse noch bekräftigt worden und hat einen Sachverhalt ins öffentliche Bewußtsein gerückt, der nicht auf die Vereinigten Staaten und nicht auf die besondern Umstände einiger Kriegsjahre beschränkt ist. Fulbright hatte damals geschrieben:

„In den vergangenen fünfundzwanzig Jahren hat die amerikanische Außenpolitik ein gerüttelt Maß an Krisen erlebt, und unausbleiblich oder fast unausbleiblich ist es das Bestreben der Exekutive gewesen, mit ihnen fertig zu werden, während der Kongreß – von Patriotismus angefeuert, von den Präsidenten bedrängt und durch Mangel an Informationen abgehalten – dazu neigte, sich hinter die Exekutive zu stellen. Das Ergebnis war, daß die traditionellen verfassungsmäßigen Beziehungen der beiden Seiten aus den Fugen gerieten … Die konstitutionelle Machtbefugnis des Senats, Rat und Zustimmung zu erteilen, ist zu einer Pflicht verkümmert, bei einem Minimum an Rat umgehend zuzustimmen.“[1]

Wie immer die von der New York Times in Auszügen veröffentlichte Pentagon-Studie über die Etappen der Eskalation in Vietnam auch interpretiert werden mögen: sie erlauben keinen Zweifel, daß die Exekutive weder das Parlament noch die Öffentlichkeit über die Realitäten ihrer Politik informiert hat, daß Präsident Lyndon B. Johnson sich Vollmachten zu beschaffen wußte, die das konstitutionelle System der checks and balances vollends außer Kraft setzten.[2]

Das vorliegende Buch von Senator Fulbright liefert Beweise dafür, daß umgekehrt proportional zum Machtverlust des Parlaments der Einfluß des militärischen Establishments auf die Formulierung und Exekution der amerikanischen Außenpolitik gewachsen ist; daß die sogenannte Informations- und Public-Relations-Arbeit des Pentagon „die nationale Wohlfahrt und die nationalen Interessen und die Sicherheit direkt beeinflussen“.

Dieses Buch erläutert im Detail den Umfang und die Methodik der militärischen Öffentlichkeitsarbeit; es macht die Mittel sichtbar, die der Führung der Streitkräfte zur Verfügung stehen, die Bevölkerung direkt oder indirekt für die ureigenen Interessen des military industrial complex zu mobilisieren und die Öffentlichkeit glauben zu machen, die vom Pentagon empfohlene Sicherheitspolitik sei allein mit der Würde und Freiheit der westlichen Führungsmacht zu vereinbaren. Fulbright läßt die Intentionen und die Techniken des militärischen Informationsapparates erkennen, ohne aber zugleich eine Erklärung dafür zu liefern, warum die beschriebene Öffentlichkeitsarbeit auch jene Wirkung erzielt, die von der Führung des Pentagon beabsichtigt und in der Vergangenheit auch häufig erzielt worden ist.

Den Effekt zu begründen, bedarf es einer radikalen Institutionenkritik, einer Analyse der zum Teil subkutanen und in ihrer Funktion unerkannten Verbindungslinien zwischen der Exekutive und der mit ihrer Kontrolle beauftragten Organe. Eine solche Institutionenkritik dürfte sich dann freilich nicht auf das Parlament beschränken, sondern müßte auch die Presse einbeziehen, jene Macht, von der Thomas Barnes, Chefredakteur der Londoner Times in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, gesagt hat, daß mit ihrer Hilfe das Volk die Regierung, nicht aber die Regierung das Volk beeinflussen könne.

Am Beispiel Vietnam kann demonstriert werden, daß die Exekutive den demokratischen Kontrollinstanzen entglitten ist, daß die Parlament und Presse in Amerika kennzeichnenden Schwächesymptome in ähnlicher Form auch in anderen Ländern der westlichen Allianz zu beobachten sind. So wie in den Vereinigten Staaten gibt es auch in der Bundesrepublik Veranlassung, die Rolle des Parlaments und der Presse kritisch zu durchleuchten, um eine Erklärung dafür zu finden, warum so wenige haben erkennen können oder wollen, welchen ideologischen, strategischen und politischen Irrtümern die Vereinigten Staaten in Vietnam erlegen sind, und wie unzulässig es war, Amerikas Interventionspolitik in Indochina mit den Sicherheitsinteressen der westlichen Welt überhaupt zu identifizieren.

Im Deutschen Bundestag hat bis auf den heutigen Tag keine Diskussion über den Krieg in Vietnam stattgefunden. Washingtons Kriegsphilosophie ist in Bonn vertrauensvoll übernommen und als Glaubensbekenntnis vertreten worden. Als Verteidigungsminister Robert S. McNamara Anfang Mai 1964 zu einem Besuch in die Bundesrepublik kam, vereinbarte er mit seinem deutschen Kollegen Kai-Uwe von Hassel folgende Formulierungen des Kommuniqués zum Abschluß der dreitägigen Besprechungen in Bonn:

„Die Minister führten einen Gedankenaustausch über die Verteidigungspolitik der freien Welt. Dabei drückte Verteidigungsminister McNamara die Hoffnung der USA aus, bei ihrer Politik gegen die kommunistische Bedrohung in anderen Teilen der Welt – wie zum Beispiel in Südvietnam – die Unterstützung der anderen NATO-Partner zu finden. Beide Minister waren sich darin einig, daß die Verteidigung der freien Welt unteilbar sei und daß ihre Sicherheit erhalten werden müsse, wo immer sie gefährdet sei.“[3]

Am Bonner Einverständnis mit der von Washington gelieferten Begründung für die Eskalation in Vietnam hat sich auch durch die Bildung der Großen Koalition wenig geändert. Wo eine Relativierung der deutschen Position gelegentlich wünschbar erschien, unterblieb sie aus Sorge um die Reaktion in Washington. Bundeskanzler Kiesinger rechtfertigte dies mit dem Hinweis: „Wir sind nicht die Schulmeister Amerikas.“

Willy Brandt hat als Außenminister und als Bundeskanzler immerhin den zugegebenermaßen schwierigen Versuch gemacht, seine Bedenken und Vorbehalte gegen den Krieg in Vietnam öffentlich zu erörtern, sie aber so zu formulieren, daß sie von einem amerikanischen Partner nicht als Dolchstoß in den Rücken empfunden werden konnten. Im Falle My Lai hielt Brandt es beispielsweise für unangemessen, als Bundeskanzler zu den Ereignissen Stellung zu nehmen. Als Privatmann und als ehemaliger Journalist wüßte er allerdings, so deutete er an, was er zu sagen hätte.

Die Bundesregierung hat der amerikanischen Indochina-Politik moralische und materielle Hilfe gewährt, ohne die Argumente dafür in öffentlicher Diskussion darzulegen, gegen abweichende Meinungen zu verteidigen und der Öffentlichkeit verständlich zu machen. Auch wer glaubt, daß es vernünftige Gründe für den Sukkurs des amerikanischen Partners gab, daß es jedenfalls den deutschen Interessen nicht dienlich sein konnte, sich von der atlantischen Führungsmacht in einer für Washington schwerwiegenden Sache zu distanzieren, auch wer den Krieg in Vietnam für vernünftig und gerechtfertigt hielt, auch der darf Regierung und Parlament den Vorwurf nicht ersparen, in verschämter Heimlichkeit gehandelt zu haben, die Bevölkerung, die junge Intelligenz vor allem, über die Prinzipien ihrer Bündnispolitik im unklaren gelassen zu haben und aus ängstlicher Sorge um eine öffentliche Debatte in den Verdacht einer schlimmen Art von Komplicenschaft mit dem Pentagon geraten zu sein.

Der Vorwurf gegen Parlament und Regierung bezieht sich also nicht auf die Substanz der Politik; er richtet sich zunächst gegen ein institutionelles Fehlverhalten, gegen eine Politik unter Ausschluß der Öffentlichkeit, die den Buchstaben der Verfassung und dem Geist der parlamentarischen Demokratie widerspricht.

Wo die Regierung sich versagte, Amerikas Argumente für den Krieg in Vietnam öffentlich und kritisch zu überprüfen, fiel es einer freien Presse zu, unbelastet von diplomatischen Rücksichten die Kriegsphilosophie des Westens kritisch zu durchleuchten und die Prämissen zu überprüfen, die den Indochina-Konflikt in den Erklärungen der politischen Führung gerechtfertigt und notwendig erscheinen ließ. Diese Funktion der Presse muß deutlich ins Bild gerückt werden; und die folgende Dokumentation der journalistischen Informationsarbeit in den fünfziger und sechziger Jahren soll eine Antwort darauf liefern, warum nur eine Minderheit der deutschen Bevölkerung sich aus dem Einverständnis mit Amerikas Indochina-Politik hat lösen mögen und für ihren demonstrativen Protest zudem mit ehrenrührigen Verdächtigungen, mit Spott, Haß und bestenfalls Mitleid bedacht worden ist.

Die Presse ist freilich nicht gewohnt, den eigenen Bekenntnissen über den Tag hinaus Bedeutung beizumessen und historische Verantwortung zu schultern. Sie hält es für ihre Pflicht, anderen Institutionen der Gesellschaft nach offenkundigen Irrtümern selbstkritische Reflexion anzuempfehlen; sich selbst exkulpiert sie indes mit dem journalistischen Gassenhauer, daß nichts so uninteressant sei wie die Zeitung von gestern.

Im Falle Vietnam darf es dabei nicht bleiben. Nicht um zu denunzieren, Kollegen auf die Anklagebank zu versetzen, abzurechnen mit dem billigen Vorteil der retrospektiven Weisheit. Es geht um ein präzises Rollenverständnis der Institution Presse, um die notwendige Erkenntnis auch, ob die freie Presse in diesem Land tatsächlich ihre Funktion erfüllt hat, zu informieren, die Nomenklatur der Herrschenden in ihrer wahren Bedeutung zu offenbaren, notfalls Alternativen zu entwickeln zu einer Politik, die sie nicht gutheißen und nicht unterstützen mag.

In den Vereinigten Staaten ist die Kritik an der Presse betreffend ihre Berichterstattung über Indochina schon ein gutes Stück vorangekommen. Susan Welch, eine Politologin der Universität Illinois, hat schon im vergangenen Herbst eine Studie vorgelegt, in der die Vietnam-Berichterstattung der New York Times, der Washington Post sowie der Zeitung The San Francisco Chronicle kritisch überprüft wird. Sie liefert den Beleg dafür, wie drei amerikanische Zeitungen sich selbst und zu einem Teil auch das amerikanische Volk für die militärische Intervention in Vietnam vorbereitet haben.

Die Zeitungen, so folgert Susan Welch, hätten gemeinsam mit der Regierung dafür Sorge getragen, daß sich in den fünfziger Jahren die Prämissen, die issues des Krieges, im Bewußtsein der amerikanischen Öffentlichkeit festgesetzt hätten. Die Zeitungen sorgten dafür, „daß das lesende Publikum den Krieg als einen Kampf zwischen dem Kommunismus und der freien Welt betrachtete, lebenswichtig für die Erhaltung ganz Südostasiens und vielleicht für ganz Asien; daß Ho Tschi Minh und der Viet Minh nur Agenten Moskaus und Pekings wären, deren wichtigstes Mittel, die Unterstützung der Bevölkerung zu finden, Terror und Gewalt seien (obwohl gelegentliche Hinweise gemacht worden sind auf seine nationalistische Attraktion); und von einem tapferen Verbündeten war die Rede, von Frankreich, das an der Seite der Vereinigten Staaten kämpfte, um ‚Freiheit und Gerechtigkeit für uns alle‘ zu erhalten.“[4]

Richard Harwood, Mitglied der Chefredaktion der Washington Post, publizierte in einem Leitartikel seine Zustimmung zu der von Susan Welch geäußerten Kritik. Es stehe außer Zweifel, daß Alternativpositionen über Vietnam, und zwar überzeugende Positionen, in wirksamer Weise in den fünfziger Jahren von keiner Institution außerhalb der Regierung entwickelt worden seien, und sie seien auch nicht von der Presse selbst entwickelt worden. Als amerikanische Reporter, so fährt Harwood fort, Anfang der sechziger Jahre Vietnam zu entdecken begannen, waren die redaktionellen Überzeugungen ziemlich festgelegt und die Politik der Regierung hatte inzwischen ihre Eigengesetze entwickelt.

Für die Selbsterkenntnis der bundesdeutschen Publizistik scheint es von einigem Nutzen zu sein, mit dem kritischen Ansatz von Susan Welch eine Rückschau zu versuchen auf die journalistische Meinungsbildung über Vietnam und auf die von den führenden Presseorganen entwickelte und vertretene Politik. Dabei dürfen Voraussetzungen geltend gemacht werden, die für alle Presseuntersuchungen dieser oder ähnlicher Art notwendiger- und fairerweise gemacht werden müssen: daß jedwede mit Namen gezeichnete Äußerung zuerst die Meinung des Autors kennzeichnet und nur indirekt die der Redaktion; daß gelegentliche Auslassungen von Reisekorrespondenten nicht unbesehen als Beweis einer redaktionellen Grundüberzeugung gewertet werden können; daß die Nachrichtengebung gewollt oder ungewollt ein Korrektiv zur Meinungslinie sein kann; daß nur ein Segment der gesamten Publizistik ins Bild gerückt werden kann und auch aus ihm nur einige Orientierungspunkte, bestenfalls Trends erkennbar werden, die aus den genannten Gründen mit Vorbehalten und im Bewußtsein der Unvollständigkeit gedeutet werden sollen.

Zu sehr mit den eigenen Problemen in der Endphase des Kalten Krieges beschäftigt, nahm die deutsche Publizistik in den frühen fünfziger Jahren nur selten Gelegenheit, über die Lage in Indochina zu berichten. Erst Frankreichs Niederlage im Kolonialkrieg gegen den Viet Minh forderte zu einigen engagierten Urteilen heraus, die im Ansatz eine Linie erkennen lassen, der die Mehrheit der publizistischen Medien in späteren Jahren folgen sollte. Zur französischen Niederlage schrieb Paul Bourdin am 10. Juni 1954 in Die Zeit:

„Frankreich fällt für die Verteidigung Indochinas aus. Und nicht nur Indochinas. Denn es steht mehr auf dem Spiel. Es wird der verhängnisvolle Irrtum der Westmächte, insbesondere Amerikas, bleiben, dies nicht rechtzeitig erkannt zu haben … Es geht darum, Peking und Moskau davon zu überzeugen, daß mehr Kräfte bereit sind, Asien vor dem Kommunismus zu retten, als gegenwärtig in Indochina vorhanden sind.“[5]

Was die Entwicklung in Indochina für das eigene Publikum, für die Bevölkerung der Bundesrepublik, womöglich zu bedeuten habe, erläuterte Franz Herre wenige Wochen später im Rheinischen Merkur.

„Molotow wußte, warum er hier [in Genf; d. Vf.] zum ersten Male freien Wahlen zustimmte. Die Zeit arbeitet für Ho Tschi Minh. Im Jahre 1956 werden die Vietnamesen um der Einheit willen die Unfreiheit wählen. Otto Grotewohl beglückwünschte den Viet-Minh-Führer Ho Tschi Minh zur Schlappe des Westens in Genf … Daraus ist zu schließen, daß die am fernöstlichen Objekt vorexerzierte Taktik auch in unserem zweigeteilten Land angewandt werden soll. Das nächste Operationsziel des Kreml lautet: Vietnamisierung Deutschlands.“[6][7]

So marginal das Thema in der deutschen Presse auch erwähnt worden ist, es verlangte das Bekenntnis zum antikommunistischen Freiheitskampf in Vietnam, zum notwendigen Widerstand gegen die rote Flut in Asien und zur unvermeidlichen Parallelität mit dem westdeutschen Schicksal. „Die freie Welt hat schon 450 Millionen Asiaten an den Kommunismus verloren und kann sich noch größere Verluste einfach nicht leisten“, erklärte damals Amerikas Präsident Dwight D. Eisenhower. Im Spiegel wurde die Alternative der freien Welt ganz im Sinne John Forster Dulles‘ erläutert:

„Die kommunistische Infektion des von einer korrupten Oberklasse regierten Thailand würde sich damit beinahe zwangsläufig ergeben. Das würde die Revolutionierung Südostasiens bis nach Singapur bedeuten“ (4. Januar 1954).

Die Mehrheit in der Bundesrepublik, die Publizistik eingeschlossen, hat sich dieser – einer gescheiterten China-Politik der USA entsprungenen – emotionalen Wertung der Weltlage vorbehaltlos angeschlossen.

In den folgenden Jahren, bis zum Amtsantritt John F. Kennedys, blieb die Berichterstattung aus Indochina weitgehend dem Zufall überlassen. Bekannte Reisekorrespondenten passierten gelegentlich Saigon, wo sie um Gespräche mit Ngo Dinh Diem und Madame Nhu nachsuchten, sich mit den Potentaten für die heimischen Leser fotografieren ließen und ziemlich übereinstimmend die Erkenntnis verbreiteten, daß man sich in diesem Land mit unzulänglichen, wenngleich eindrucksvollen Mitteln einer beträchtlichen kommunistischen Bedrohung im Inneren zu erwehren habe. Klaus Mehnert schrieb am 19. Juni 1960 für Christ und Welt: „Eine starke Frau verändert ein kleines Land“; und Rolf Italiaander, der für das Hamburger Abendblatt herausfinden wollte, ob Südvietnam zu retten sei, attestierte seiner Interview-Partnerin Madame Nhu immerhin „ein stählernes Herz, eine unwahrscheinliche Energie. Und darum nennt man sie ‚die stählerne Blume‘ von Vietnam.“[8]

Wer auch immer Südvietnam in Augenschein nahm, ob Peter Grubbe für Die Welt, Lily Abegg für die Frankfurter Allgemeine Zeitung, Christian Roll für die Süddeutsche Zeitung und den Rheinischen Merkur, ob Klaus Mehnert, Hubertus Prinz zu Löwenstein oder Rolf Italiaander ihre Eindrücke wiedergaben, ’sie alle bestärkten im Bewußtsein der deutschen Öffentlichkeit das Klischee von der kommunistischen Herausforderung und von den gefährlichen Folgen des Verlustes von Südvietnam für die Stabilität und Ordnung in Südostasien; sie trugen wenig dazu bei, die fixen Ideen, die Denkschablonen des Kalten Krieges anzugehen und als solche ins kritische Bewußtsein zu heben.

Kennedys Amtsantritt im Januar 1961 bestärkte auch in Deutschland die Hoffnung, daß es dem glanzvollen Intellektuellen-Team des neuen Präsidenten gelingen werde, Südvietnam von der abschüssigen Bahn herunterzubringen und die prekäre Lage mit angemessenen Mitteln zu stabilisieren. Daß dies nicht geschehen könnte mit dem Arsenal einer Streitmacht, die nur für den „massiven Gegenschlag“ gerüstet war und noch den Kategorien der Dullesschen Militär- und Sicherheitspolitik verhaftet war, wollte jedem einleuchten.

Kennedy fand Unterstützung für ein neues Feindbild, das davon ausging, daß die kommunistische Machterweiterung auf „Infiltration statt auf Invasion“ beruhe, „auf Unterwühlung statt Abstimmungen, auf Einschüchterung statt freier Wahl, auf Guerillas in der Nacht statt Armeen bei Tag“ (Kennedy).

Südvietnam schien Kennedy der geeignete Schauplatz zu sein, dieser neuen Strategie des Weltkommunismus begegnen zu lernen. In Südvietnam sollten die Mittel entwickelt und die Methoden erprobt werden, die für den Schutz der gesamten westlichen Hemisphäre von Nutzen sein könnten; in Südvietnam sollte bewiesen werden, daß der revolitionäre Volkskrieg „sich nicht auszahle“, daß er jedenfalls kein Rezept sei, das nachzuahmen sich in Afrika oder Lateinamerika lohne.

Kennedys Idee einer Gegenguerilla hat eine beträchtliche Faszination auf die intellektuelle Elite des deutschen Journalismus ausgeübt, wofür ein Leitartikel des Washingtoner Korrespondenten Herbert von Borch als Beispiel und Beleg dienen mag.

„Südvietnam“, so schrieb Herbert von Borch in Die Welt, „wird in den kommenden Monaten das Laboratorium sein, in dem die Verfahren erprobt werden, mit denen die Position gehalten werden könnte … Das bedeutet die Übernahme gewisser kommunistischer Methoden durch den Westen, ein durchaus weittragender Entschluß. Mao Tse-tungs Traktat über den Guerillakrieg, den Kennedy gelesen hat, würde eine Art Textbuch werden; … Partisanen würden die „Waffenstillstandslinien‘ zwischen kommunistischen und nichtkommunistischen Gebieten nicht mehr nur in einer Richtung überschreiten. Solche unritterlichen Ritterturniere des Weltbürgerkrieges würden die vorwiegende Form werden, in der die Mächte ihre Kräfte ausbalancieren …“[9]

Es kennzeichnet Person und Stil Herbert von Borchs, daß er die „paramilitärische“ Konfrontation als „erschreckende Vorstellung“ empfand und nichts gemein hatte mit der plumpen Heroisierung der Green Beretts, etwa durch einen Bericht der Deutschen Presse Agentur („Sie rühmen sich, manche Tradition von Amerikas Ureinwohnern, den Indianern, übernommen zu haben.“)[10], der die allgemeine Aufbruchsstimmung für diesen neuen Typ des Soldaten kennzeichnet.

Ob freilich der Optimismus über die Wirksamkeit der Gegenguerilla gerechtfertigt war, ob Vietnam wegen der besonderen Umstände des Landes, wegen der Verflechtung kommunistischer und nationalistischer Motive der Revolution überhaupt ein „Laboratorium“ sein könnte, ist auch von Herbert von Borch und dem Rest der deutschen Presse nicht bedacht und erörtert worden, so wenig wie in diesen Jahren in Amerika, wo die Faszination des Kennedy-Teams noch allenthalben für einen unbegrenzten Kredit an Glaubwürdigkeit sorgte. Die kritische Auseinandersetzung mit der „Gegenguerilla“, mit der Unmöglichkeit, nur die Methodik einer „politischen Kriegführung“ zu kopieren, mit der Technologie gegen die Ideologie anzutreten, hat erst nach dem Tode Kennedys und den ersten unbefriedigenden Erfahrungen in Vietnam die Öffentlichkeit erreicht.[11]

Die Bereitschaft, der strategischen Reflexion Kennedys zu folgen, war gewiß verständlich und entsprach der Atmosphäre der Zeit, die gerade erst vom Albdruck der Dullesschen brinkmanship befreit worden war. Die Hoffnungen und Erwartungen, die in den Organen der Presse jedoch ohne kritische Prüfung an die Gegenguerilla geknüpft wurden, haben zweifellos dazu beigetragen, die Öffentlichkeit einzustimmen für die Notwendigkeit eines Krieges, der gleichsam experimentell und im Interesse aller Staaten des Westens in Vietnam geführt werden müßte.[12]

Von einer wirklichen Vietnam-Debatte aber kann 1960/61 in der Bundesrepublik noch nicht die Rede sein. Erst allmählich mit wachsender Intensität der Kriegshandlung und mit einem regelmäßigen Nachrichtenangebot aus Südvietnam wurde auch in deutschen Redaktionen das Bedürfnis spürbar, über die Vorgänge in Südvietnam zu argumentieren und öffentlich zu reflektieren.

Die deutsche Debatte entwickelte sich zeitversetzt zu jener in Amerika, noch ohne Vorbehalte nacharbeitend, was dort schon problematisiert worden war, als Einsicht der Vernunft, als einzige realistische Politik offerierend, was in den Vereinigten Staaten schon längst in Frage gestellt und kontrovers diskutiert wurde. Während amerikanische Reporter wie Malcolm Browne von AP, Neal Sheehan von UPI, David Halberstam von der New York Times, Charles Mohr von Time und der unlängst in Vietnam verunglückte François Sully von Newsweek die Weisheit der Kennedyschen Vietnam-Politik in Zweifel zogen und mit ihren Berichten aus Saigon den offiziellen Optimismus erschütterten, die militärische und wirtschaftliche Hilfe für Diem beginne ihre stabilisierende Wirkung zu zeigen, während die liberale Vorhut der amerikanischen Presse also den Sinn des amerikanischen Engagements für einen Staat von Saigon, mit dem die Bevölkerung sich nicht identifizieren mochte, vehement bestritt, entfaltete sich in der Bundesrepublik eine Journalisten-Diskussion, die den Krieg in Vietnam fast einhellig als notwendig und sinnvoll erscheinen ließ.

Es lohnt sich, die chronologische Entwicklungsschilderung um eine systematische Analyse der verschiedenen Prämissen zu erweitern, die dem positiven Engagement der deutschen Presse für den Vietnam krieg zugrunde lagen. Dabei sollen die folgenden Aspekte analysiert und dokumentiert werden: Südvietnam als Bastion der freien Welt; die Natur des Krieges; die Dominotheorie; Südvietnam als „Labor“ und abschreckendes Beispiel; Gefahr der Neutralisierung; Vietnam und die Freiheit der Deutschen.

Südvietnam als Bastion der freien Welt

Das, was aus der Liquidationsmasse der französischen Kolonialherrschaft beim Genfer Abkommen 1954 noch hatte erhalten werden können, der Staat von Saigon, den die Eisenhower-Administration 1956 nicht dem Risiko freier Wahlen aussetzen mochte, Südvietnam war trotz der unerklärlichen Schwäche des Regimes und der Abneigung der Bevölkerung, sich mit dem Separatgebilde zu identifizieren, im Bewußtsein der westlichen Öffentlichkeit ein Brückenkopf der Freiheit, ein integraler Teil der westlichen Welt, ein Partner, der Solidarität und Hilfe erwarten durfte. „Denn“, so schrieb Wilfried Hertz-Eichenrode – damals noch in der Deutschen Zeitung –, „die kommunistische Gefahr ist unteilbar und überall gegenwärtig.“[1] Immanuel Birnbaum fand nach einer Reise durch Südvietnam eine Schlußformulierung für eine Lagebeurteilung, die den Grundgedanken der Argumentation in allen führenden Blättern präzis umschrieb: „Die westliche Welt wird diese ebenso schwierige wie wichtige Position nicht im Stich lassen dürfen.“[2]

Die Natur des Krieges

Die Gründe, die den Westen zu solidarischem Verhalten verpflichteten, waren, so schien es damals, einsichtig und überzeugend. Denn Südvietnams innere Turbulenz und Schwäche konnte nicht mit dem durch einen Kolonialkrieg und durch die Teilung des Landes virulent gewordenen Nationalismus erklärt werden, nicht durch die bezeichnende Unfähigkeit Ngo Dinh Diems, den Führer des Nordens Ho Tschi Minh als Nationalhelden zu verdrängen und die Unterstützung des Volkes zu gewinnen, sondern allein durch eine planmäßige Aggression des kommunistischen Weltblocks, der sich Ho Tschi Minhs und des Vietcongs bediente als Agenten und als Werkzeuge einer globalen Verschwörung gegen die Freiheit.

So jedenfalls ließ Hubertus Prinz zu Löwenstein sich vom Saigoner Präsidenten Diem überzeugen, und so berichtete er es den Lesern der Welt am Sonntag:

„‚Was sich bei uns abspielt, ist kein Bürgerkrieg‘, sagte mir der Präsident der Republik Ngo Dinh Diem. ‚Es ist eine ferngesteuerte Invasion wie seinerzeit in Griechenland und dann in Korea.‘“[1]

Nach den Erfahrungen der Berliner Blockade, dem Krieg in Korea, nach Ungarn und dem Berlin-Ultimatum war in der Bundesrepublik offenbar der Blick verstellt auf die tatsächlichen Triebkräfte des Krieges in Vietnam, auf die nationalistische Komponente vor allem, die schon beim Kolonialkrieg der Franzosen unter antikommunistischen Empfindungen verdeckt worden war. Die Natur des Krieges schien so sonnenklar zu sein wie die Absichten der bolschewistischen Zentrale. Dazu Theo Sommer, Ende 1965, in Die Zeit:

„Bürgerkrieg, Aufständische – mit Worten lassen sich Tatbestände trefflich vernebeln. Was in Vietnam vor sich geht, ist kein Bürgerkrieg im Sinne des vorideologischen Zeitalters. Es ist eine von außen gesteuerte revolutionäre Aktion, deren Nervenzentrum, Nachschubbasis und Kommandozentrale in Nordvietnam liegen …“[2]

Die Kommentare der Rundfunk- und Fernsehanstalten – weitaus schwieriger zu dokumentieren als gedruckte Meinungsäußerungen – bestätigten die politischen Wertungen der Zeitungskollegen, wie an zwei Beispielen erkennbar wird. Im Februar 1966 erläuterte Klaus Bölling im Tageskommentar der ARD:

„Dies ist seit langem nicht mehr bloß ein Bürgerkrieg. China – das kommunistische China – hetzt die Vietcong in den totalen Krieg, in der Hoffnung, die amerikanische Position in Südostasien damit liquidieren zu können. Die Angriffe, die Peking in den letzten Tagen erst gegen die Sowjetunion gerichtet hat, sind dafür – wie mir scheint – ein untrüglicher Beweis.“[3]

Auf den einfachsten Nenner reduzierte Erwin Behrens das Problem in einem Bericht aus Saigon:

„Vietnam ist das klassische Beispiel dafür, daß der Kommunismus in einem unterentwickelten Land mit Erfolg unter der Flagge des Nationalismus auftreten kann. Dabei haben die Kommunisten wieder und wieder gezeigt, daß sie nicht nur fanatisch und fatalistisch sind, sondern gleichzeitig ihr Ziel mit asiatischer Grausamkeit verfolgen …“[4]

Daß dieser Krieg auch um die Einheit Vietnams geführt wurde, daß es bestenfalls Theorien geben konnte über die Rolle der NLF in Südvietnam und ihre Zuordnung zur Parteizentrale in Hanoi, daß Ho Tschi Minh und die Führung des Nordens jedenfalls keine Agenten und Marionetten Pekings oder Moskaus waren, ist in den Prestigeorganen der deutschen Presse und – soweit ich sehe, auch in Funk- und Fernsehkommentaren – unzureichend erkannt worden, hat jedenfalls keinen Niederschlag gefunden, der die verbreiteten Klischees vom Krieg in Vietnam hätte erschüttern können.

Die Dominotheorie

Das erklärt, warum auch die von Dulles und Eisenhower propagierte, sogenannte Dominotheorie als Dogma akzeptiert und behandelt worden ist; warum sie der westdeutschen Öffentlichkeit sogar eine politische und moralische Selbstsicherheit verschafft hat, die die Eskalation in Vietnam zu einem Akt der praktischen Vernunft machte, so wie sie Lyndon B. Johnson und seiner Regierung auch erschienen ist, deren Politik ohne die Dominotheorie schlechterdings nicht erklärt werden kann.

Kern der Mitte der fünfziger Jahre entwickelten Dominotheorie ist die Annahme, Südvietnam bilde den Eckstein des Sicherheitsgebäudes in Südostasien. Fiele der Staat von Saigon an die Kommunisten, dann, so hatte Theo Sommer 1961 in der Zeit formuliert, „wäre ganz Südostasien verloren“.[1] Und als sei diese These so unangreifbar wie die Erkenntnis, daß zwei mal zwei vier sei, hieß es 1962 in Christ und Welt: „Schließlich wird auf dem Boden Südvietnams um die politische Zukunft ganz Südostasiens gekämpft.“[2]

In dieser simplen, defensiven Form, an die historischen Erfahrungen mit der britischen Appeasement-Politik und an die Katastrophe von München 1938 mahnend, an die Bereitschaft appellierend, in Südvietnam den Damm zu errichten, der die kommunistische Flut in Südostasien aufhalten könne, in dieser auf das persönliche Sicherheitsbedürfnis abgestimmten Form ist die Dominotheorie direkt und indirekt von der führenden Meinungspresse dem deutschen Publikum nahegebracht worden.

Die Fernsehberichterstattung von Hans Walter Berg hat diesen allgemeinen Trend der Presseorgane nachdrücklich unterstützt, während die Dokumentationen von Peter Scholl-Latour eher Einflüsse der französischen Vietnam-Politik erkennen ließen und die westdeutschen Klischees in der Regel aufzuweichen versuchten.

Für eine verfeinerte, subtilere Form der Dominotheorie, in der nicht nur vom Kommunismus schlechthin, sondern auch von besonderen Ambitionen Chinas die Rede war, von der Notwendigkeit einer Einkreisung, eines containment Chinas, wurde vor allem in Die Zeit um Verständnis geworben. Theo Sommer erläuterte 1965 den Fall so: „Die Eindämmung des Kommunismus in Europa war die überragende Aufgabe der vierziger und fünfziger Jahre. Amerika hat sie erfolgreich gelöst; heute haben die Kremlführer begriffen, daß der große Krieg im Atomzeitalter kein Mittel der Politik sein kann. Die Eindämmung Chinas ist die überragende Aufgabe der späten sechziger und siebziger Jahre. Wenn Amerika auch sie bewältigt, dann mögen die Kommunistenführer in Peking wie in Moskau am Ende begreifen, daß auch der kleine Krieg ebenfalls zu gefährlich geworden ist.“[3]

Zweifel daran, daß nach einem Sieg des Vietcong in Südvietnam tatsächlich eine automatische Kettenreaktion chinesischer Eroberungen erfolgen würde und kritische Überlegungen, ob diese Theorie nicht einer auf den Kopf gestellten, vulgär-marxistischen Annahme ähnlich sehe, derzufolge die Geschichte als unvermeidliche Abfolge von Schritten zum endlichen Sieg des Sozialismus determiniert sei, sind in der veröffentlichten Meinung, meines Erachtens, kaum geäußert worden. Es paßt ins Bild, daß auch die vergleichende Analyse der verschiedenen Länder Südostasiens vernachlässigt worden ist, die Anhaltspunkte dafür hätte erbringen können, daß die südöstlichen Anrainer Chinas aus ethnischen, geographischen und historischen Gründen nicht unvermeidlich und ausnahmslos das gleiche Schicksal wie Südvietnam würden erleiden müssen.

Südvietnam als „Laboratorium“ und abschreckendes Beispiel

Für den Sinn einer an der Dominotheorie orientierten Sicherheitspolitik schien indes nicht nur der Nutzen einer Eindämmung Chinas zu sprechen, sondern auch die Wahrscheinlichkeit und die Möglichkeit, die Kennedy hatte wahrnehmen wollen, in Südvietnam zu demonstrieren, daß die Methodik des Guerillakrieges sich nicht auszahle. Die Zeit war gekommen, den Mythos von der „Unüberwindlichkeit des nationalen Befreiungskrieges“ ein für allemal aus der Welt zu schaffen. „Unser Erfolg“, so beschrieb Maxwell D. Taylor später die Absicht der Vereinigten Staaten, „könnte vielleicht den Expansionsdrang jener Männer etwas dämpfen, die in der neuen Technik ein Mittel dazu sehen, die konventionellen Verteidigungssysteme der freien Welt zu ‚untergraben‘ und die gewaltigen Vorräte an konventionellen und atomaren Waffen, die wir mit großen Kosten zum Schutze unserer Interessen angelegt haben, wertlos zu machen.“[1]

So merkantil, so stupend überheblich wie die These in der Sprache des militärischen Chefberaters Kennedys klingt, so propagandistisch vereinfacht hat sich die deutsche Presse die amerikanische Argumentation nicht zu eigen gemacht. Die Überzeugung jedoch, daß Vietnam der Testfall, das „Laboratorium“, wie Herbert von Borch es nannte, für die Zähmung und Entmythologisierung des revolutionären Volkskrieges sei, ist auch in der Bundesrepublik geteilt und öffentlich verkündet worden.

Im März 1964 beispielsweise schrieb Harry Hamm in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung:

„Wenn Peking in diesem Teil der Erde mit dem von ihm angepriesenen Mittel siegt, wäre das von nicht absehbarer Auswirkung auf alle linksradikalen revolutionären Bewegungen, insbesondere in anderen Teilen Asiens, in Afrika und in Lateinamerika. Es könnte auch in Moskau zu einer Überprüfung der Begriffe und der Politik führen, die nicht minder verhängnisvoll wäre. Dem Westen muß deshalb daran gelegen sein zu beweisen, daß die Thesen der chinesischen Kommunisten falsch sind. Amerika handelt daher in Südvietnam nicht etwa nur aus verletzter Eitelkeit, aus Gründen des Prestiges oder gar aus starrem Eigensinn, sondern in bewußter Verantwortung als Führungsmacht des Westens.“[2]