Das Pestzeichen - Deana Zinßmeister - E-Book
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Das Pestzeichen E-Book

Deana Zinßmeister

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Beschreibung

Eine mutige Frau in großer Gefahr: Der detailreiche historische Roman »Das Pestzeichen« von Deana Zinßmeister jetzt als eBook bei dotbooks. Die Nachwehen des 30-jährigen Krieges: Es ist eine Zeit, in der man niemandem trauen kann, in der Armut, Hunger und die allgegenwärtige Bedrohung der Pest so manch einen zu schrecklichen Taten treiben. Die Familie der jungen Susanna hat zwar den Krieg überstanden – doch dann überfällt eine Gruppe Söldner den Hof. Als Susanna von einem Botengang heimkehrt, findet sie ihr Zuhause zerstört vor und ihren Vater an Todes Schwelle. Bevor er seinen Wunden erliegt, vertraut er ihr eine geheimnisvolle Schrift an, die zu einem Schatz führen soll. Aber auch der Söldner Jeremias weiß von der Schrift ... und ihm ist jedes Mittel recht, um sie Susanna abzujagen. Auf der Flucht bekommt sie Hilfe von dem jungen Arzt Urs, der ihr Herz höherschlagen lässt – aber kann sie ihm wirklich vertrauen? »Eine große Geschichte aus einer dramatischen Zeit – hochspannend und zutiefst menschlich erzählt.« Richard Dübell Jetzt als eBook kaufen und genießen: Der historische Roman »Das Pestzeichen« von Bestsellerautorin Deana Zinßmeister ist der erste Teil ihrer Pesttrilogie und wird Fans von Iny Lorentz und Doris Röckle begeistern. Wer liest, hat mehr vom Leben: dotbooks – der eBook-Verlag.

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Seitenzahl: 547

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Über dieses Buch:

Die Nachwehen des 30-jährigen Krieges: Es ist eine Zeit, in der man niemandem trauen kann, in der Armut, Hunger und die allgegenwärtige Bedrohung der Pest so manch einen zu schrecklichen Taten treiben. Die Familie der jungen Susanna hat zwar den Krieg überstanden – doch dann überfällt eine Gruppe Söldner den Hof. Als Susanna von einem Botengang heimkehrt, findet sie ihr Zuhause zerstört vor und ihren Vater an Todes Schwelle. Bevor er seinen Wunden erliegt, vertraut er ihr eine geheimnisvolle Schrift an, die zu einem Schatz führen soll. Aber auch der Söldner Jeremias weiß von der Schrift ... und ihm ist jedes Mittel recht, um sie Susanna abzujagen. Auf der Flucht bekommt sie Hilfe von dem jungen Arzt Urs, der ihr Herz höherschlagen lässt – aber kann sie ihm wirklich vertrauen?

»Eine große Geschichte aus einer dramatischen Zeit – hochspannend und zutiefst menschlich erzählt.« Richard Dübell

Über die Autorin:

Deana Zinßmeister widmet sich seit einigen Jahren ganz dem Schreiben historischer Romane. Bei ihren Recherchen wird sie von führenden Fachleuten unterstützt, und für ihren Bestseller »Das Hexenmal« ist sie sogar den Fluchtweg ihrer Protagonisten selbst abgewandert. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und zwei Kindern im Saarland.

Die Website der Autorin: www.deana-zinssmeister.de

Bei dotbooks veröffentlichte die Autorin »Der Duft der Erinnerung«, »Fliegen wie ein Vogel«, die Pesttrilogie mit den Romanen »Das Pestzeichen«, »Der Pestreiter« und »Das Pestdorf« sowie die Hexentrilogie mit den Romanen »Das Hexenmal«, »Der Hexenturm« und »Der Hexenschwur«.

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eBook-Neuausgabe Februar 2024

Copyright © der Originalausgabe 2012 by Deana Zinßmeister und Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98952-053-0

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Deana Zinßmeister

Das Pestzeichen

Historischer Roman

dotbooks.

Gewidmet

Dr. phil. habil. Johannes Dillinger, Oxford/MainzHistoriker und Sachbuchautor

Dr. Dieter Staerk, SaarbrückenHistoriker und Sachbuchautor

Tränen des Vaterlandes/Anno 1636

Wir sind doch nunmehr ganz, ja mehr denn ganz verheeret!

Der frechen Völker Schar, die rasende Posaun,

Das vom Blut fette Schwert, die donnernde Karthaun

Hat aller Schweiß und Fleiß und Vorrat aufgezehret.

Die Türme stehn in Glut, die Kirch’ ist umgekehret.

Das Rathaus liegt im Graus, die Starken sind zerhaun,

Die Jungfern sind geschänd’t, und wo wir hin nur schaun,

Ist Feuer, Pest, und Tod, der Herz und Geist durchfähret.

Hier durch die Schanz und Stadt, rinnt allzeit frisches Blut.

Dreimal sind schon sechs Jahr, als unser Ströme Flut,

Von Leichen fast verstopfft, sich langsam fortgedrungen,

Doch schweig ich noch von dem, was ärger als der Tod,

Was grimmer denn die Pest und Glut und Hungersnot,

Das auch der Seelen Schatz so vielen abgezwungen.

Andreas Gryphius

(Erklärung: Der Seelenschatz ist die Seligkeit. Karthaune / Kanone, Schanz / Stadtbefestigung)

Personenregister

Familie Arnold (nahe Heusweiler)

Susanna

Bruder Johann

Schwester Bärbel

Vater

Mutter

Thomas, Schäfer und Freund der Familie

Agnes, Susannas Tante (Schwester ihrer Mutter)

Albert, deren Mann

Arthur, Susannas Vetter

und vier weitere Kinder

Familie Blatter (Schweiz)

Urs

Bruder Leonhard

Schwester Vreni

Mutter Barbli

Vater Jaggi

Oheim Bendicht (Bruder des Vaters)

Jeremias, Söldner

Markus, Söldner

Eckart Schiffer, Salinenbesitzer

Bachmichel-Haus (Eppelborn)

Bauer Sonntag

Bäuerin Sonntag

Oheim Sonntag

Karl Lauer, Freund der Familie

Ludwig

Paul

Gersweiler

Anna, die Magd

Peter, der Wirt

Pestkirche Aschbach

Thomas

Johannes, sein Sohn

Trier

Kurfürst und Erzbischof Karl Kaspar von der Leyen (1618–1676)

Saarbrücken

Lutz Kesselstadt, Amtmann

Prolog

Das Jahr 1650, im Land an der Saar

Die fünfzehnjährige Susanna wälzte sich unruhig auf ihrem Lager hin und her. Es war schwül und stickig in ihrer Dachkammer. Wehmütig blickte sie zu ihrer jüngeren Schwester Bärbel, die selig schlief. Susanna setzte sich leise seufzend auf und wischte sich mit dem Saum des Nachthemds über das verschwitzte Gesicht. Dann erhob sie sich von ihrem Strohsack, ging zu dem kleinen Dachfenster und streckte den Kopf hinaus. Nicht eine sanfte Brise wehte.

Susanna strich sich ihr kastanienbraunes Haar zurück, zwirbelte es zusammen und rieb sich mit der Handfläche den Nacken trocken. Dabei blickte sie hinunter auf den Hof, wo das Mondlicht schwach die Umgebung erhellte. Plötzlich glaubte sie eine Bewegung ausmachen zu können. Sie nahm die Hände herunter, stützte sich am Fenstersims ab und kniff die Augen zusammen. Suchend ließ sie den Blick über den Hof schweifen. Als sie erneut einen Schatten zu sehen glaubte, zog sie erschrocken den Kopf zurück. Tatsächlich bewegte sich im Hof eine Gestalt, die trotz der Hitze in einen langen Mantel gekleidet war, im Schutz der Dunkelheit auf den leeren Stall zu. Dort verweilte der Fremde an der schmalen Pforte und schaute sich nach allen Seiten um.

Susanna konnte das Gesicht nicht erkennen, doch sie hatte das Gefühl, als ob der Fremde zu ihr hochstarren würde. Wie ertappt trat das Mädchen einen Schritt in den Raum zurück. Sie zählte bis zehn und lugte dann vorsichtig wieder nach unten, wo sie gerade noch erkennen konnte, wie die Gestalt im Stall verschwand.

Susannas Herz pochte heftig. »Wer könnte das sein, und was will er hier?«, murmelte sie und streckte den Kopf wieder zaghaft aus dem Fenster. Erstaunt sah sie eine weitere Gestalt, die ebenfalls zum Stall ging. Da die Person leicht hinkte, war sie sicher, dass es sich um ihren Vater handeln musste. Auch er verschwand in dem Bretterverschlag.

Das ist wirklich seltsam, dachte Susanna beunruhigt. Angst wich der Neugierde. Sie wollte wissen, was in dem Stall vor sich ging.

Susanna schaute kurz zu ihrer Schwester, die weiter ruhig schlief. Leise öffnete sie die Kammertür, ging zur Treppe und stieg vorsichtig, damit die Dielen nicht unter ihren Füßen knarrten, die Stufen nach unten. Sie öffnete geräuschlos die Haustür, schloss sie ebenso leise hinter sich und lief barfüßig über den Hof auf die hausabgewandte Seite des Viehverschlags. Erst dann blickte sie zurück, um zu prüfen, ob jemand sie gesehen hatte.

Als im Haus alles ruhig blieb, kroch sie lautlos auf allen vieren zu der kleinen Klappe, die sich auf der Rückseite des Stalls befand. Die Öffnung ermöglichte es den Hühnern, bei schlechtem Wetter ins Trockene zu flüchten. Jetzt nutzte das Mädchen sie, um ins Innere des Verschlages zu spähen und zu lauschen. Susanna legte sich lang ausgestreckt davor und zog die Klappe vorsichtig nach außen hoch. Vor Aufregung hörte sie ihr Blut in den Ohren rauschen. Sie schloss für einige Herzschläge die Augen, um sich zu beruhigen. Dann spähte sie in die Dunkelheit des Stalls. Es war kaum etwas zu erkennen, doch sie glaubte Stimmen zu hören, die sie nicht verstehen konnte.

Susanna rutschte näher an die Öffnung, als drinnen ein Kienspan angezündet wurde. Ein schwacher Lichtschein erhellte nun das Innere des Stalls. Jetzt erblickte Susanna zwei Paar Füße, die in braunen Schnürschuhen steckten und sich gegenüberstanden. Ein Fuß war leicht abgewinkelt. Vater, dachte das Mädchen. Seit dem Unfall mit dem Fuhrwerk vor einigen Jahren hinkte er, da sein gebrochener Fuß krumm wieder zusammengewachsen war.

Susannas Neugierde wuchs mit jedem Atemzug. Sie konnte sich auf das geheime Treffen mitten in der Nacht keinen Reim machen und presste ihr Gesicht dicht an die Luke, damit sie nach oben schielen konnte. Der fremde Mann in dem schwarzen Mantel stand mit dem Rücken zu ihr, sodass Susanna sein Gesicht nicht sah. Der Unbekannte reichte dem Vater etwas, was er stumm entgegennahm. Susanna fluchte innerlich, da sie den Gegenstand nicht erkennen konnte. Sie versuchte den Kopf tiefer durch die Luke zu schieben und drehte sich deshalb auf die Seite, sodass sie besser nach oben blicken konnte.

Als der Fremde mit tiefer Stimme zu ihrem Vater sprach, schaute dieser auf, und seine Augen bekamen einen sonderbaren Ausdruck. Jetzt konnte Susanna verstehen, was der Fremde zu ihrem Vater sagte: »Du hast dir gemerkt, was ich dir beim letzten Mal erklärt habe?«

Der Vater nickte, und der Mann ermahnte ihn mit Grabesstimme: »Du musst alle Gegenstände vor Ungläubigen verbergen. Nur die Geprüften dürfen sie sehen. Vergiss niemals, dass während der Suche geschwiegen werden muss. Wird auch nur ein Wort gesprochen, ist alles vorbei, und er verschwindet so tief, dass er nicht mehr geborgen werden kann.«

Der Vater nickte erneut und starrte wieder den Gegenstand an, den Susanna nicht erkennen konnte.

Als das Mädchen den unheimlichen Ton der fremden Stimme vernahm, überzog eine Gänsehaut ihren Körper, und es schüttelte sie, sodass sie die Luke ein kleines Stück nach unten fallen ließ. Diese Bewegung schien der Vater bemerkt zu haben. Als sein Blick sich mit ihrem kreuzte, riss er entsetzt die Augen auf, woraufhin sich der Fremde ruckartig umdrehte. Aus kalten Augen starrte er das Mädchen an, das vor Schreck die Klappe losließ.

Voller Furcht versuchte Susanna aufzustehen. Bevor sie sich aufrappeln konnte, hörte sie, wie der Fremde mit eisiger Stimme zischte: »Ist sie noch Jungfrau?«

Susanna wartete die Antwort ihres Vaters nicht mehr ab, sondern rannte ins Haus zurück, wo sie sich unter ihrem Bett verkroch.

Kapitel 1

Das Köllertal im Land an der Saar, 1652

Seit Anfang April brannte die Sonne jeden Tag aufs Neue unerbittlich vom Himmel, und auch im Monat Mai blieb der Regen bislang aus. Die stetige Hitze ließ die Weiden vertrocknen und das Wasser in Bächen und Teichen verdunsten. Blumen und frische Triebe verdorrten, kaum dass sie ausgeschlagen hatten.

Susanna war froh, dass ein Teil des Weges sie durch schattigen Wald führte. Als sie an einem Bachlauf vorbeikam, kniete sie nieder und schöpfte mit der hohlen Hand Wasser, um ihren Durst zu stillen. Anschließend benetzte sie das Gesicht und den Hals, lupfte ihren Rock und setzte sich an den Rand des Bachs. Als sie die Füße in das kühle Wasser tauchte, schloss sie kurz die Augen und seufzte leise. Verträumt blinzelte sie dann in die Sonnenstrahlen, die zwischen den Ästen der Bäume auf den Waldboden trafen. Susanna konnte es kaum erwarten, nach Hause zu kommen. Gegen Abend würde sie wieder bei ihren Geschwistern und den Eltern sein. Als ihr bewusst wurde, dass sie nur eine Woche von zu Hause fort gewesen war, schüttelte sie ungläubig den Kopf. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Doch tatsächlich war sie letzten Dienstag in den Norden von Westrich aufgebrochen, um die Ziege zur Schwester der Mutter zu bringen.

Ihre Muhme war wenige Tage zuvor von einer Tochter entbunden worden, hatte jedoch nicht genügend Milch, um das Kind satt zu bekommen. Da die Verwandten keine eigene Ziege besaßen, hatten sie den ältesten Sohn Arthur zum Hof der Arnolds geschickt. Nach einem anstrengenden Tagesmarsch war der Zwölfjährige auf dem Gehöft, das nahe dem Ort Heusweiler gelegen war, angekommen. Der Junge hatte blass und dünn auf dem Hof gestanden und um die Ziege gebettelt. »Meine kleine Schwester verhungert sonst«, hatte Arthur mit trauriger Stimme erklärt.

Zwar musste auch Susannas Familie jeden Tag aufs Neue ums Überleben kämpfen, doch ging es den Arnolds besser als vielen anderen, die wie sie den langen Krieg überlebt hatten. Die Kämpfe, die drei Jahrzehnte lang im Reich gewütet hatten, hatten unsägliches Leid und große Armut hinterlassen. Seit vier Jahren herrschte nun Friede im Land. Mit der Zeit schienen sich die Lebensbedingungen zu verbessern, da man vielerorts mit dem Wiederaufbau begann. Doch die Menschen litten Hunger. Da der Krieg zahllose Tote gefordert hatte, waren große Landstriche verwaist. Bauernhöfe und ganze Ansiedlungen standen leer oder waren in Schutt und Asche gelegt worden. Felder konnten nicht bestellt werden, da es kaum Saatgut zu kaufen gab. Die wenige Frucht, die noch auf den Äckern wuchs, reichte nicht aus, um die Menschen zu ernähren. Obendrein waren die Wälder fast leer gejagt, sodass es nur noch vereinzelt Hirsche, Rehe, Hasen, Wildschweine oder anderes Wild gab, das den Speiseplan ergänzen konnte. Die Menschen waren so verzweifelt, dass sie alles aßen, was den Hunger stillte. Vor wenigen Wochen erst hatten die Arnolds eine alte Frau tot vor einem Mauseloch auf dem Acker gefunden. Sie hatte in ihrer Verzweiflung anscheinend versucht, eine Maus auszugraben, und war darüber an Hunger gestorben. Der Totengräber hatte die Alte abgeholt und erschüttert geflüstert: »Sie ist leicht wie eine Feder!«

Als wäre der Hunger nicht schon Leid genug, kämpften die Menschen zudem gegen Seuchen, die um sich griffen und ihren Tribut forderten. Nur wenige Orte blieben von der Pest verschont, sodass die Angst vor der gefährlichen Krankheit das Leben der Menschen bestimmte. Misstrauisch beobachteten sie sich gegenseitig, ob ihre Körper Zeichen der ansteckenden Seuche trugen.

Susannas Familie hatte Glück gehabt und war von all dem verschont geblieben. Ihr Vater vermutete, dass der kleine Hof zu abseits lag, um von Umherziehenden entdeckt zu werden. Eingebettet in einen Hain am Rande des Köllertals, war er fast unsichtbar, sodass sich nur selten jemand zu ihnen verirrte.

Nachdem Arthur Susannas Eltern das Anliegen vorgetragen hatte, schaute die Mutter ihren Mann bittend an.

»Wir haben nur diese eine Ziege«, erklärte er ungehalten.

Arthur hatte den abweisenden Blick des Oheims bemerkt und schnell hinzugefügt: »Ich werde euch die Ziege zurückbringen, sobald meine Schwester kräftig genug ist. Das verspreche ich!« Dabei hatte er mit flehenden Augen seine Tante angeschaut.

Susannas Mutter legte ihrem Mann die Hand auf den Arm und sagte: »Agnes ist meine einzige Schwester. Wir dürfen nicht hartherzig sein, sondern müssen unserem Schicksal danken, dass es uns gutgeht. Wir benötigen die Ziege im Augenblick nicht. Milch bekommen wir von unserer Kuh. Auch sind die Zicklein groß genug und können jetzt ohne das Muttertier auskommen.«

Die finsteren Gesichtszüge des Vaters entspannten sich. Nachdem er laut aufgeseufzt hatte, sagte er: »Du hast recht, Maria. Wir müssen dankbar sein. Der Herrgott hat uns bis jetzt nicht im Stich gelassen, und das wird er auch nicht, wenn wir dem Jungen die Ziege mitgeben.«

Glücklich hatte die Mutter dem Mann einen Kuss auf die Wange gehaucht und zu ihrer Tochter gesagt: »Du wirst Arthur begleiten und meiner Schwester eine Woche lang unter die Arme greifen. Danach kommst du wieder nach Hause.«

Als der Vater etwas erwidern wollte, hatte die Mutter ihn angelächelt, sodass er den Mund wieder schloss.

So kam es, dass Susanna zum ersten Mal in ihrem Leben für einige Tage den elterlichen Hof verließ. Bis jetzt hatte sich das Leben der Siebzehnjährigen nur im Umfeld des Elternhauses abgespielt. Ihre Tante hatte sie erst zweimal gesehen. Diese hatte in jungen Jahren einen Knecht geheiratet und war mit ihm in seinen Heimatort Brotdorf gezogen, der im Norden von Westrich lag. Beide lebten und arbeiteten dort als Gesinde auf einem kleinen Bauernhof. Vor fünf Jahren starb zuerst die Bäuerin im Kindbett, und als der strenge Winter kam, starben die vier Kinder des Bauern an Lungenentzündung. Nachdem der Herrgott auch den Alten zu sich genommen hatte und sich keine Verwandten meldeten, die den Hof beanspruchten, blieb die Tante mit ihrer Familie auf dem Gehöft wohnen. Sie bewirtschafteten die Äcker wie in all den Jahren zuvor.

Jedoch schien der Ernteertrag nur spärlich auszufallen, so hohlwangig, wie ihr Sohn Arthur aussah. Als Susannas Mutter dem Jungen eine Scheibe Brot mit geräuchertem Speck reichte, griff er gierig danach und flüsterte: »Hmmm, riecht das gut!«

Am nächsten Morgen waren Arthur und Susanna mit der Ziege am Strick in Richtung Brotdorf losmarschiert. Alles, was die Eltern an Nahrungsmitteln entbehren konnten, hatten sie der Verwandtschaft eingepackt. Susanna trug schwer an dem Beutel, doch sie beklagte sich nicht.

Als die beiden mit der Ziege am späten Nachmittag das kleine Gehöft erreichten, war Susanna bestürzt. Es hatte den Anschein, als ob hier schon seit langem niemand mehr Ordnung gehalten hätte. Wertvolles Stroh und Heu lag achtlos verstreut umher, ebenso Werkzeug, das bereits rostete. Tote Hühner verwesten in einer Ecke, und über allem hing der Geruch von Exkrementen, der durch die anhaltende Hitze verstärkt wurde. Das Wohnhaus schien wie der kleine Verschlag, in dem Federvieh hungrig gackerte, kurz vor dem Zusammenbruch zu stehen. Die Haustür hing windschief in den Angeln, und die Fensterläden fehlten. An einer Wäscheleine waren zerschlissene Lappen aufgereiht, von denen Susanna annahm, dass dies die Windeln des neugeborenen Kindes waren.

Ein etwa zweijähriges Mädchen mit hellen Haaren saß, ohne Hose und nur mit einem kurzen Hemdchen bekleidet, vor dem Haus im Dreck und steckte sich etwas in den Mund, das kurz zuvor noch gekrabbelt war. Als plötzlich eine Katze laut aufschrie, blickte Susanna sich um. Sie entdeckte einen Jungen, der einen schwarz-weiß gefleckten Kater festhielt, während ein anderer Knabe ihn am Schwanz zog und dabei schadenfroh lachte.

»Franz! Theo!«, brüllte Arthur. »Lasst sofort das Vieh los!«

Kaum hatte der Junge seinen Griff gelockert, sprang die Katze von seinem Arm und brachte sich miauend in Sicherheit.

Die Jungen kamen näher und betrachteten Susanna neugierig. Als Franz auch die Ziege am Schwanz ziehen wollte, fauchte Susanna: »Wage es, und es setzt Prügel!«

Sofort zog der Junge seine Hand zurück und blickte die Fremde erschrocken an.

Susanna schätzte Franz nicht älter als sechs und Theo zwei Jahre jünger. Sie vermutete, dass die beiden ebenfalls ihre Vettern waren, denn sie hatten die gleichen Gesichtszüge wie Arthur. Auch ihre Augen lagen tief in den Höhlen und waren von dunklen Schatten umgeben. Die viel zu weiten Hosen schlackerten an ihren dünnen Körpern. Ihre strohhellen Haare standen wie bei einem Igel ab. Als Susanna glaubte, kleine Tiere in den Haarsträhnen der Jungen zu entdecken, juckte plötzlich auch ihre Kopfhaut.

»Wer ist das?«, flüsterte der Kleinere neugierig.

»Sie ist unsere Base Susanna«, erklärte Arthur knapp.

»Wo sind eure Eltern?«, fragte Susanna freundlich.

»Sicherlich im Haus«, antwortete Arthur, dessen Tonfall Susanna aufhorchen ließ. Sie blickte ihn fragend an, doch als er nichts sagte, sondern beschämt nach unten blickte, reichte sie dem Jungen den Strick und bat ihn: »Gib der Ziege zu saufen und lass sie anschließend auf der Wiese grasen.«

Sofort trieb Arthur das Tier zu einer Tränke, die mit fauligem Wasser gefüllt war. Seinen Brüdern befahl er: »Schöpft frisches Wasser aus dem Brunnen und bringt es her.« Franz wollte etwas erwidern, doch als er Susannas strengen Blick sah, nahm er wortlos den Eimer. Theo stapfte stumm hinter ihm her.

Susanna betrat die Kate. Sie bestand aus einem Raum, der spärlich möbliert war und gleichzeitig als Küche und Wohnbereich diente. Eine schmale Stiege neben der Eingangstür führte unters Dach. Als sie lautes Schnarchen hörte, schaute sich Susanna um und entdeckte an der hinteren Wandseite einen Mann, der auf dem blanken Boden lag und schlief. Sie ging näher und erschnupperte den Geruch von saurem Wein, der seinem offenen Mund entströmte. Angewidert rümpfte die junge Frau die Nase, als ein Kleinkind auf dem Dachboden wimmerte. Susanna ging zurück zur Stiege, raffte ihren Rock zusammen und kletterte die schmalen Tritte unters Dach hinauf. Vorsichtig streckte sie ihren Kopf durch die Klappe und spähte in den Raum hinein. Durch eine kleine Luke fiel spärliches Licht, sodass sie nur die Umrisse von mehreren Strohsäcken erkennen konnte.

»Tante Agnes?«, fragte Susanna leise in den Raum.

»Wer bist du?«, fragte eine ebenso flüsternde Stimme zurück.

»Susanna, die Tochter deiner Schwester Maria. Mutter schickt mich mit unserer Ziege.«

»Meine gute Schwester!«, schluchzte die Frau auf.

Susanna krabbelte auf den Dachboden, stellte sich auf und klopfte den Staub von ihrem Rock. Ihre Tante lag auf einem Lager in der hinteren Ecke, wo man sie kaum erkennen konnte. Das Kleinkind lag unruhig neben ihr und wimmerte.

Mit müden Augen blickte die Muhme Susanna entgegen und meinte: »Gott, bist du groß geworden!«

»Warum liegst du hier oben?«, fragte Susanna. »Es ist viel zu stickig unterm Dach«, stellte sie fest und fächelte sich mit der Hand Luft zu.

Die Frau schwieg, doch dann sagte sie: »Albert kann in seinem Zustand nur schwerlich die Leiter hinaufsteigen, sodass ich hier vor ihm sicher bin.«

»Du meinst den Betrunkenen, der unten auf dem Boden liegt?«, fragte Susanna spöttisch und erschrak im selben Augenblick, als sie das blau geschlagene Auge der Frau sah.

»Dir steht kein Urteil zu! Du weißt nichts über ihn oder uns. Albert war ein guter Mann«, verteidigte Agnes den Gatten, doch dann wurde ihre Stimme leiser. »Albert war nicht immer ein Trinker. Erst seit wir den Hof allein bewirtschaften, hat er sich verändert. Er spielt sich als Bauer auf, obwohl uns das Gehöft nicht gehört. Weder sieht er die Arbeit, noch sorgt er sich um die Felder, um das Vieh oder um uns. Schon in der Früh beginnt er zu trinken. Der Suff hat sein Wesen verändert.« Seufzend fügte sie hinzu: »Ich kann mich nicht um alles kümmern. Hanna ist unentwegt am Schreien, sodass ich kaum Ruhe finde. Ich habe noch vier andere Kinder, die versorgt werden müssen. Arthur hilft, wo er nur kann, aber die Arbeit ist zu viel für einen Zwölfjährigen.« Beschämt und traurig schaute sie auf das kleine Mädchen in ihren Armen, das auch im Schlaf noch wimmerte.

Susanna blickte ihre Tante mitfühlend an. Sie hatte schon gehört, dass manche Männer ihre Frauen schlugen, besonders, wenn sie betrunken waren. Zum Glück war ihr Vater nicht so. Weder trank er, noch wurde er seiner Familie gegenüber ungehalten. Er war zwar streng, aber niemals grob.

»Komm mit nach unten, Tante Agnes«, sagte sie. »Mutter hat mir erlaubt, dir eine Woche lang unter die Arme zu greifen.«

Die Frau stand nur langsam auf. Mühsam richtete sie ihren Kittel und nahm das schlafende Kind hoch. »Albert wird darüber nicht begeistert sein«, sagte sie leise und blickte ihre Nichte ängstlich an.

»Mach dir keine Gedanken. Ich fürchte mich nicht vor deinem Mann«, erwiderte Susanna selbstsicher und stieg die Stiege hinab in den unteren Raum, wo sie bereits erwartet wurde.

Albert blickte seiner Frau und dem fremden Mädchen mit verkniffenem Gesicht entgegen. »Wer bist du?«, fragte er gereizt.

»Sie ist die Tochter meiner Schwester ...«

Weiter kam Agnes nicht, denn ihr Mann brüllte: »Halt’s Maul, Weib, oder habe ich dich gefragt?«

Sogleich begann die kleine Hanna zu weinen. Mit angewidertem Blick schaute der Vater seine Tochter an und fluchte: »Dieser elende Balg! Was hast du mir da aufgeladen?« Dann ging er zum Regal, wo er sich aus einer Tonflasche Selbstgebrannten eingoss. Agnes sah ihre Nichte entschuldigend an und ging mit dem weinenden Kind nach draußen.

»Ich habe euch die Ziege meiner Eltern mitgebracht, damit deine Tochter genug zu essen bekommt«, erklärte Susanna freundlich und versuchte zu lächeln.

Albert leerte den Becher in einem Zug und verzog trotz des beißenden Gesöffs keine Miene. Während er sich mit der Hand über den Mund wischte, höhnte er: »Sie ist zu nichts zu gebrauchen. Nicht mal ein Kind bekommt sie satt.« Dann brüllte er: »Agnes! Wann gibt es zu essen?«

Entsetzt über sein Benehmen, sagte Susanna: »Was kann deine Frau dafür, dass ihre Milch nicht reicht? Anstatt dass du den Hof bewirtschaftest, damit deine Familie nicht hungert, liegt die gesamte Last auf den Schultern deiner Frau.«

Albert wandte sich dem Mädchen zu. Zuerst verfinsterte sich sein Blick, dann verfärbte sich sein Gesicht puterrot. Als er den Becher mit voller Kraft nach Susanna warf, konnte sie dem Geschoss nur ausweichen, weil sie sich rechtzeitig duckte.

»Bist du von Sinnen?«, schrie sie erschrocken und blickte auf den zerbrochenen Becher am Boden.

»Das nächste Mal werde ich genauer zielen«, zischte er gefährlich leise.

Susanna zweifelte nicht einen Augenblick an seinen Worten, schrie ihn aber wütend an: »Wie kannst du es wagen, mich verletzen zu wollen? Meine Eltern schicken mich, um euch helfen, und du willst mir schaden?«

»Wir brauchen keine Hilfe! Sag das deinen Eltern. Und jetzt verschwinde wieder.«

»Ich werde bleiben und meiner Tante helfen«, erwiderte Susanna und reckte ihr Kinn in die Höhe. Dabei blitzten ihre rehbraunen Augen den Mann ihrer Muhme herausfordernd an.

Albert machte Gebärden, als wollte er auf sie losgehen, doch als Susanna nicht zurückwich, ließ er die Arme sinken und blieb vor ihr stehen. Seine Augen funkelten sie an, doch dann zuckte er mit den Schultern, ging zum Regal und nahm sich einen neuen Becher, den er mit Schnaps füllte.

Susanna wandte sich angewidert von ihm ab und verließ die Kate.

Am Abend schnitt Susanna für die Kinder und ihre Tante je eine Scheibe von dem Brot ab, das sie mitgebracht hatte. Dazu briet sie dünn geschnittenen Speck in einer Pfanne an und schlug mehrere Eier darüber, die Arthur im Hühnerstall gesammelt hatte. Gierig langten die Kinder und Agnes zu, nur Albert bekam nichts davon ab. Als er nach einer Scheibe Brot greifen wollte, zischte Susanna: »Das ist das Brot meiner Eltern, ebenso der Speck. Wenn du Eier essen willst, dann geh in den Hühnerstall und sammle welche.«

Agnes blickte ihre Nichte entsetzt an. Sie hielt die kleine Hanna im Arm, die an einem Leinentuch warme Ziegenmilch aus einer kleinen Tonflasche nuckelte. Die Wangen des Kindes waren zart gerötet, und es schien zufrieden zu sein. Als der Vater jedoch mit der Faust auf den Tisch schlug und brüllte: »Ich bin hier der Herr im Haus!«, verzog das Mädchen seinen Mund, und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Agnes presste die Kleine schützend an sich und traute sich kaum aufzublicken.

Dieses Mal konnte Susanna nicht ausweichen. Albert schlug ihr mit seiner flachen Hand voller Wucht ins Gesicht, sodass ihr Kopf zur Seite flog. Entsetzt fasste sich Susanna an die brennende Wange, doch es dauerte nur wenige Herzschläge, dann hatte sie sich gefangen. So schnell, dass Albert es kaum sehen konnte, hob Susanna ihren Rock leicht an und trat dem Mann mit voller Kraft zwischen die Beine, sodass er keuchend in die Knie ging.

»Du elendes Miststück!«, fluchte er schnaufend. Mehr konnte er nicht sagen, denn er sackte stöhnend zur Seite.

»Wage es nie wieder, die Hand gegen mich zu erheben«, sagte Susanna mit bebender Stimme und rannte zur Tür. Bevor sie hinausging, sah sie, wie Agnes zu ihrem Mann eilte und ihm auf die Beine half.

Am Tag danach verlor niemand ein Wort über den Zwischenfall. Nur die Blicke der Tante und des zwölfjährigen Arthur zeigten Susanna, dass sie sie für ihren Mut bewunderten. Albert versuchte dem Mädchen aus dem Weg zu gehen, doch Susanna konnte seine Blicke spüren. Sie tat jedoch, als ob sie das nicht bemerkte, und verrichtete ihre Arbeit, so gut sie konnte.

Als sie zwei Tage später an einem Bachlauf Wäsche wusch, gesellte sich Arthur zu ihr und fragte verschämt: »Kannst du mir den Tritt beibringen?«

Susanna hielt in ihren Bewegungen inne und blickte ihren Vetter nachdenklich an. Dann erklärte sie: »Mein älterer Bruder Johann hat mir verraten, welche Stelle eines Mannes am empfindlichsten ist. Johann wollte, dass ich mich wehren kann, wenn Soldaten über mich herfallen sollten.«

Nachdem sie dem Zwölfjährigen gezeigt hatte, wie auch er sich erfolgreich wehren könnte, ermahnte sie ihn: »Nutze diesen Tritt nur, wenn du angegriffen wirst.«

Der Junge nickte, und das Mädchen wusste, dass er sich daran halten würde.

***

Susanna hatte ihre Tante, ihre Vettern und die beiden Mädchen nur ungern verlassen, aber sie war froh, dass die Woche hinter ihr lag und sie ihre Lieben wiedersehen würde. Sie erhob sich vom Ufer des Bachs und wischte sich die Wasserperlen von den Beinen. Frohen Mutes marschierte sie in die Richtung los, wo der elterliche Hof lag.

Sie ging den steilen Stich von Heusweiler über die Felder in Richtung Holzer Wald, als sie glaubte, dass ihr Rauchgeruch in die Nase stieg. Sie blieb stehen und schnupperte. »Da ist sicher trockenes Gras in Brand geraten. Kein Wunder bei der Dürre. Würde es doch nur endlich regnen«, murmelte sie und ging weiter.

Je näher Susanna ihrem Zuhause kam, desto stärker wurde der Brandgeruch. Auf einer Anhöhe blieb sie stehen und legte sich die Hand vor die Stirn, um besser ins Tal sehen zu können. Im selben Augenblick erstarrte sie.

Dort, wo der Bauernhof ihrer Eltern stand, konnte sie hellgraue Rauchsäulen erkennen, die in den Himmel stiegen. Von großer Unruhe getrieben, lief Susanna den Hang hinab, doch ihre Beine schienen ihr nicht gehorchen zu wollen. Sie stolperte, fiel und kullerte den Hang hinab. Ein Schmerz durchzuckte ihren Knöchel, doch sie beachtete ihn nicht, sondern rappelte sich auf und rannte weiter. Sie keuchte und glaubte, ihr Herz würde zerspringen, als es hart in ihrem Brustkorb schlug. Mit jedem Schritt wurde ihre Angst größer. Erst als sie den Hof erreicht hatte, blieb sie stehen und erkannte mit einem Schlag, was geschehen war.

Susanna ging in die Knie und schrie wie von Sinnen.

***

Kaum waren ihre Schreie verhallt, rief Susanna die Namen ihrer Eltern und ihrer Geschwister. Keine Antwort. Es war totenstill. Nur das leise Zischen der Glut, die sich durch das Holz des abgebrannten Hauses fraß, war zu hören. Mit zittrigen Knien und vor Entsetzen verzerrtem Gesicht stand Susanna auf und stieg über verkohlte Balken und zertrümmerte Fässer, als sie ihren Hofhund sah, der abgestochen in einer Blutlache lag. Sie sank in die Knie, um das Tier ein letztes Mal zu streicheln, da erblickte sie nackte Kinderfüße, die unter einem rußgeschwärzten Balken hervorlugten. Susanna fuhr in die Höhe und versuchte hastig, das Holz hochzuheben, doch es war glühend heiß, und sie verbrannte sich die Hände. Ohne mit der Wimper zu zucken, überging sie den Schmerz, riss sich von ihrem Rock zwei Stofflappen ab und umwickelte sich damit die Hände. Dann stemmte sie schreiend den Balken zur Seite und fand ihre kleine Schwester Bärbel.

Die Achtjährige schien sie aus weit aufgerissenen Augen anzustarren, doch Susanna wusste, dass das Mädchen tot war. Laut aufheulend kauerte Susanna sich neben Bärbel nieder, nahm sie in den Arm und schloss für immer die Augen des Kindes. Dann drückte sie ihrer kleinen Schwester einen Kuss auf die rußgeschwärzte Stirn. Susanna zuckte erschrocken zurück, denn Bärbels Haut fühlte sich warm an, ganz so, als ob sie noch lebte. Doch Susanna wusste, dass die Wärme von der Hitze des Feuers herrührte, denn das Blut, das an Bärbels Hinterkopf und ihren Haaren klebte, zeugte davon, dass jemand dem Kind den Schädel zertrümmert hatte.

»Wer hat dir das angetan, mein kleiner Schatz?«, flüsterte Susanna und wiegte dabei ihr Schwesterchen im Arm. Sie presste ihr Gesicht an Bärbels Brust, und ein Weinkrampf ließ ihren Körper erbeben.

Nach einigen Minuten legte sie das Mädchen zurück auf den Boden. Bärbel muss beerdigt werden, dachte Susanna. Vater soll mir helfen, sie auf den Karren zu heben. Sie rief laut seinen Namen.

Keine Antwort.

Susanna hatte das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. »Bitte, lieber Gott, lass es nur einen bösen Traum sein«, flüsterte sie und schrie gen Himmel: »Bitte!« Doch im selben Augenblick fühlte sie, dass ihre Gebete ungehört bleiben würden. Mit wackeligen Knien ging sie langsam zum Wohnhaus, dessen Dach und oberer Stock ausgebrannt waren. Rauchsäulen stiegen empor, und hier und da flackerten Flammen auf. »Wenn es doch endlich regnen würde«, stöhnte Susanna und stand gebeugt wie eine alte Frau vor der Eingangstür, die ebenso wie die Hauswände angekokelt war.

Nur langsam trat sie ein und sah die Treppe, die jetzt ins Leere nach oben führte. Sie schloss die Augen. Tränen quollen ihr unter den geschlossenen Lidern hervor. »Was ist geschehen?«, stöhnte sie leise, als sie nach oben blickte und über sich den Himmel sah. Verzweifelt wischte sie sich die Tränen fort. Dann wandte sie sich um und betrat die Küche, hoffend, dort ihre Mutter oder die Magd zu finden.

Auf dem Herd stand der große Topf, in dem erst vor kurzem Suppe gekocht worden war. Holzschüsseln und Löffel lagen auf dem Tisch, ganz so, als ob die Familie sich gleich zum Essen niedersetzen würde. Alles schien wie immer. Nur die Ascheschicht auf Boden, Tisch und Geschirr gehörte nicht hierher.

Als Susanna die beiden Frauen nicht finden konnte, wuchs ihre Hoffnung. »Mutter!«, schrie sie und blickte sich suchend um. Niemand antwortete. Sie rannte in die Wohnstube, die verwüstet war. Hier schien ein Kampf stattgefunden zu haben. Die schwere Eichentruhe war mitten in die Stube gezerrt worden. Stühle lagen im ganzen Raum verteilt herum, und die guten Weinbecher, die ihre Mutter so gemocht hatte, lagen zerbrochen auf dem Boden.

Susanna stakste wie auf hölzernen Beinen zur Hintertür, die angelehnt war. Zaghaft stieß die junge Frau sie auf und trat ins Freie. Sie blickte zur Koppel und sah die Kuh dort liegen. Susanna musste nicht hingehen, um zu wissen, dass das Tier tot war. Ihr Blick wanderte zum Nutzgarten und erstarrte. Hinter dem Schlehenstrauch waren Beine zu erkennen, die auf dem Boden lagen.

Susannas Mutter Maria hatte einst den Strauch gepflanzt, um Hexen fernzuhalten, aber auch, weil er nahrhafte Früchte trug. Jetzt verdeckte das Dornengestrüpp den Körper eines Menschen, und Susanna hatte Angst, näher hinzugehen. Ihre Füße bewegten sich langsam in Richtung des kleinen Tors, das Tiere von dem Obst und Gemüse fernhalten sollte. Mit zittriger Hand stupste sie das Türchen an, das quietschend aufsprang.

Schritt für Schritt kam Susanna näher und blieb dann abrupt neben dem Strauch stehen. Um nicht laut aufzuschreien, presste sie sich die Hand vor den Mund und keuchte. Johann, ihr zwei Jahre älterer Bruder, lag vor ihr auf dem Bauch am Boden. Eine Axt steckte tief in seinem Rücken, und Blut hatte sein helles Hemd durchtränkt.

Susanna fürchtete, zusammenzubrechen. Sie zitterte, und kalter Schweiß sammelte sich auf ihrer Stirn. Mit einem Ruck drehte sie sich um und lief aus dem Garten hinaus, um sich hinter dem Türchen zu erbrechen.

Ermattet setzte sie sich nieder und wischte sich über den Mund. Tränen verschleierten ihren Blick. Die Stofffetzen an ihren Händen hatten sich gelöst, und Susanna konnte Brandblasen auf den Handflächen erkennen. Wütend biss sie die Blasen auf, sodass sie vor Schmerz laut aufheulte. Doch dieser Schmerz war nichts gegen das Leid, das sie in ihrem Inneren quälte. Verzweifelt trampelte Susanna mit beiden Füßen auf dem Boden und schrie und tobte. Sie fühlte sich schwach und machtlos.

»Wer hat meinen Geschwistern das angetan?«, schluchzte sie. Wo waren ihre Eltern? Wo waren der Knecht und die Magd geblieben? Ob sie sich in Sicherheit hatten bringen können?, dachte Susanna voller Hoffnung und verwarf den Gedanken sofort. Ihre Eltern hätten Bärbel und Johann niemals zurückgelassen. Vielleicht hat man sie entführt, war ihr nächster Gedanke, als ihr Blick auf den Viehverschlag fiel, der noch unversehrt schien.

Susanna erhob sich mühsam und ging am Haus vorbei und über den Hof zum Schuppen. Zaghaft öffnete sie die Tür. Der Lichtschein, der in den Stall fiel, zeigte ein Bild des Grauens. Die Hühner lagen totgetreten oder mit abgerissenen Köpfen auf dem mit Blut verschmierten Lehmboden. Der Hahn war mit der Mistgabel an die Wand genagelt worden. Die zwei Zicklein lagen geköpft darunter. Als Susanna neben sich etwas baumeln fühlte, blickte sie fassungslos zur Seite. Es war die Magd, die mit einem Seil um den Hals nackt am Dachbalken hing. Ihre Augen waren weit aufgerissen, und die Zunge steckte blau verfärbt zwischen ihren Lippen.

Dann sah Susanna ihre Mutter auf dem Boden liegen. Auch sie war unbekleidet, ihr Körper gewaltsam verrenkt. Susanna schrie: »Mutter!« und rannte zu ihr. Sie nahm das geliebte Gesicht zwischen ihre Hände und sah die durchtrennte Kehle. Entsetzt ließ sie den Kopf der Mutter los und wich einen Schritt zurück. Erneut würgte es sie, doch ihr Magen war leer.

Susanna spürte, wie ihre Beine schwach wurden, und sie fürchtete zu fallen. Mit zittrigen Händen suchte sie Halt, doch sie griff ins Leere. Schreiend fuhr sie sich mit den Fingern in die Haare und brüllte vor Schmerz und Hilflosigkeit. Wie ein gehetztes Tier schaute sie hin und her. Dann versuchte sie den Körper der Magd hochzuheben, in der Hoffnung, dass sie die Tote vom Gebälk abhängen könnte. Sie war zu schwer. Susanna sackte unter dem leicht schwingenden Körper zusammen und sank neben ihrer toten Mutter zu Boden.

»Wer hat euch das angetan?«, fragte sie wimmernd. Sie glaubte, den Verstand zu verlieren, als ein Geräusch sie zusammenzucken ließ. Voller Furcht versuchte Susanna sich hinter einem Holzfass, das als Tränke für die Tiere diente, zu verstecken. Erneut hörte sie ein leises Stöhnen. Schließlich zog sich das Mädchen vorsichtig aus der Hocke hoch und ging langsam in die Ecke, aus der das verhaltene Geräusch drang. Als sich Susannas Augen an das schummrige Licht gewöhnt hatten, glaubte sie in Ohnmacht fallen zu müssen.

Ihr Vater saß auf dem Boden, die Hände über seinem Kopf an einen Eckbalken gefesselt. Seine Lippen waren blutig gebissen und angeschwollen. Die Beine hatte man ihm in der Grätsche an kleinen Pfosten festgebunden, die im Boden steckten. Beide Füße waren nur noch blutige Klumpen.

Susanna fiel vor ihrem Vater auf die Knie. Voller Entsetzen starrte sie auf das rohe Fleisch seiner Füße, als er vor Schmerzen laut aufstöhnte.

»Vater«, flüsterte Susanna, und als er sich nicht regte, wiederholte sie das Wort laut.

Langsam wandte der Mann das Gesicht seiner Tochter zu. Tränen rollten ihm über die angeschwollenen Wangen. Leise formten seine wunden Lippen ihren Namen. Dann wandte er den Kopf und blickte auf seine tote Frau. »Maria«, weinte er kaum hörbar.

Susanna umfasste sanft mit beiden Händen sein Gesicht, damit er sie ansah. »Ich hole ein Messer, damit ich dich losschneiden kann«, stammelte sie und lief aus dem Viehstall über den Hof zum Haus.

Der Wind hatte aufgefrischt und wirbelte Funken durch die Luft, sodass sich die Flammen aufs Neue entzündeten. Sofort züngelten sie am Holz und ließen es knistern. Susanna blickte zum Himmel hoch und betete: »Herr, lass es endlich regnen!«

Dann rannte sie in die Küche. Als sie dort kein Messer finden konnte, eilte sie hinters Haus in die Schmiede, deren Wände lichterloh brannten. Zum Schutz vor der Hitze hielt sich Susanna die Hände vors Gesicht, als sie über den Leichnam des Knechts stolperte, dessen Füße bereits brannten. Voller Graus fürchtend, dass er verbrennen würde, hob sie den Oberkörper des jungen Mannes an, als der erhitzte Körper auseinanderplatzte.

Im selben Augenblick setzte Regen ein.

Kapitel 2

Der Regen, den die Menschen seit Wochen in ihren Gebeten erfleht hatten, kam in dicken Tropfen. Er ließ das glühende Holz zischen und dämpfte die Flammen ein.

Susanna stand vor den vom Feuer zerborstenen, bis zur Unkenntlichkeit verbrannten Körperteilen des Knechts und schrie ihren Schreck, ihre Angst und ihren Ekel hinaus. Sie trampelte mit den Füßen auf der Stelle und brüllte wie von Sinnen. Dann lief sie zum Brunnen, wo sie sich eimerweise Wasser über Kopf und Körper goss. Erst als sie das Gefühl hatte, dass der Geruch von Feuer und Tod, Ekel und Abscheu nicht mehr an ihr haftete, stellte sie den Eimer zur Seite. Immer wieder schüttelte es sie.

Sie war bis auf die Haut durchnässt und wollte Rock und Hemd ausziehen. Doch da sie den Beutel mit ihren Habseligkeiten, den sie im Angesicht des Feuers achtlos weggeworfen hatte, nicht finden konnte und ihre Kammer mit allem verbrannt war, hatte sie keine Kleidung zum Wechseln. Darum streifte sie sich das Wasser aus den Haaren und von der Haut und wrang den Rocksaum aus. Als sie aufblickte, sah sie ein Messer, das im hölzernen Überbau des Brunnens steckte. Sie zog es heraus und lief zurück in den Viehverschlag.

»Beweg dich nicht!«, bat Susanna den Vater, der laut aufstöhnte, als sie seine Arme umfasste. Da das Seil, mit dem man ihm die Hände über dem Kopf festgebunden hatte, tief ins Fleisch schnitt, waren Hände und Gelenke angeschwollen. Susanna säbelte vorsichtig mit dem Messer über den Strick, bis er riss. Die Arme des Vaters plumpsten nach unten, und er brüllte vor Schmerz auf.

Kraftlos saß er in gebeugter Haltung da und weinte wie ein Kind. Rasch durchtrennte Susanna die Seile, mit denen die Beine an den Pflöcken festgebunden waren. Als sie sich ihrem Vater zuwandte, sah sie, dass seine wunden und verkrusteten Lippen aufgeplatzt waren und stark bluteten. Susanna kniete sich neben ihm nieder und tupfte ihm behutsam mit ihrem noch feuchten Rocksaum das Blut vom Kinn. Das kühle, nasse Tuch schien den Schmerz zu lindern, denn der gepeinigte Mann schloss kurz die Lider. Als seine Lippen an dem Tuch saugten, stand Susanna auf. »Ich hole dir zu trinken.«

Sie folgte dem Blick ihres Vaters, der kaum hörbar »Maria!« stöhnte und entsetzt auf seine tote Frau starrte.

Tränen schossen Susanna in die Augen. Sie drückte ihrem Vater einen Kuss auf die Wange, erhob sich und ging nach draußen.

Der Regen hatte nachgelassen. Die Luft war vom Qualm erfüllt, der von dem dampfenden Holz aufstieg und Susanna in den Augen brannte. Sie hielt sich schützend die Hände vor die Stirn und eilte in die Küche, um einen Becher und einen Krug zu holen. Dann rannte sie hinters Haus. Während sie am Brunnen das Gefäß mit klarem Wasser füllte, schweifte ihr Blick zu dem Gebüsch, hinter dem die Leiche ihres Bruders Johann lag. Entsetzt bemerkte sie eine Ratte, die vor dem Gatter hockte und in die Luft schnüffelte.

Hastig stellte Susanna das Geschirr auf den Brunnenrand, nahm einen Stein vom Boden auf und warf ihn schreiend nach dem Tier. Fiepend floh die Ratte zum Misthaufen, wo sie in einem Loch verschwand. Susanna verabscheute Ratten und schüttelte sich. Sie wusste, dass sie die Toten schnellstmöglich beerdigen lassen musste, denn bald würde mehr Ungeziefer auftauchen.

Susanna hielt ihrem Vater den Becher mit kühlem Wasser an die trockenen Lippen. Gierig trank er mehrere Schlucke. Dann holte sie frisches Stroh, polsterte damit sein Lager und half ihm, sich hinzulegen. Kaum lag er ausgestreckt auf dem Boden, schloss er die Augen und fiel in einen ohnmachtsähnlichen Schlaf.

Sie besah sich die blutigen Klumpen seiner aufgequollenen Füße. »Welcher Mensch ist dazu fähig, dir so etwas anzutun?«, flüsterte sie und vertrieb mit der Hand die Fliegen.

Kälte kroch in Susannas Glieder und ließ sie zittern. »Ich muss mich umziehen, sonst werde ich krank«, murmelte sie, als jemand hinter ihr rief:

»Gott, Gütiger!«

Susanna fürchtete für einen kurzen Augenblick, dass ihr Herz vor Schreck stehenbliebe, doch abrupt wandte sie sich der Stimme zu und schrie: »Komm mir zu nahe, und ich töte dich!« Dabei hielt sie das Messer vor sich, das sie in einer hastigen Bewegung vom Boden aufgenommen hatte.

»Ich will dir nichts Böses!«, erklärte der Mann, der mit entsetztem Blick zur Leiche der Magd schaute, die durch den Luftzug am Balken hin und her baumelte.

»Thomas!«, rief Susanna, als sie den Mann erkannte, und warf sich ihm an die Brust. Hilflos legte er seine Pranken um ihre Schultern und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel.

Im selben Augenblick verließen Susanna die Kräfte, und sie brach weinend zusammen. Ihre Knie knickten ein, und der Mann fing sie auf und strich ihr beruhigend über das nasse Haar.

»Du musst dir trockene Sachen anziehen, Mädchen«, sagte er mit väterlicher Stimme. Mehr vermochte er nicht zu sagen.

Susanna blickte in das runzlige Gesicht des Schäfers, dessen graue Augen sie mitleidig ansahen. Sie nickte und ging hinaus, um ihren Beutel zu suchen.

Als sie kurze Zeit später in trockener Kleidung zurückkam, hatte der Schäfer die Leiche der Magd vom Gebälk genommen und auf den Boden neben Susannas tote Mutter gelegt. Er hatte beiden Frauen die Kleidung übergezogen, die verstreut im Stall gelegen hatte. Zwar waren Hemden und Röcke zerrissen, doch die Stofffetzen reichten, um die Blöße der Frauen zu bedecken. Auch hatte Thomas ihre Augen geschlossen und ihre Hände auf dem Bauch gefaltet. Unfähig, ein Wort zu sagen, sah Susanna den Mann dankbar an. Er nickte ihr mit feuchten Augen zu.

»Draußen liegen Bärbel und Johann. Ich muss sie beerdigen lassen, bevor die Ratten sie fressen«, flüsterte Susanna.

Entsetzt schaute der Mann auf und stammelte: »Ich hatte gehofft, dass sie wie du überlebt haben und sich versteckt halten!«

»Ich war nicht zuhause, sondern eine Woche bei meiner Muhme in Brotdorf. Als ich heute am Nachmittag zurückkam, waren außer Vater alle tot«, berichtete Susanna stockend.

Der Schäfer schwieg für einige Atemzüge, dann sagte er leise: »Ich werde sie in den Stall zu deiner Mutter legen.«

Doch Susanna schüttelte den Kopf und blickte zu ihrem Vater, der im Schlaf leise stöhnte. »Es ist besser, wenn er sie nicht auch noch sieht.« Dann wandte sie sich dem Freund zu. »Ich weiß nicht, was geschehen ist, Thomas, oder wer das getan hat und warum. Ich hoffe, dass Vater es mir erzählen wird, wenn es ihm besser geht. Kannst du mir sagen, was man mit seinen Füßen angestellt hat? Wie kann ein Mensch einem anderen so etwas antun?«

Der Schäfer beugte sich über den Bauern und seufzte laut.

Die beiden Männer kannten sich von Kindesbeinen an und hatten sich selbst während des langen Krieges nie aus den Augen verloren. Seit Friede herrschte, war Thomas Schäfer und zog mit den Tieren, die ihm die Bauern des Köllertals anvertrauten, übers Land. Alle paar Wochen besuchte er mit seiner Herde den Arnoldschen Bauernhof, und jedes Mal freute er sich auf das Wiedersehen. Dann lachten und tranken die beiden Freunde die halbe Nacht zusammen und schwelgten in Erinnerungen. Und erst wenn der Schäfer dem Bauern versprochen hatte, bald wiederzukommen, durfte er mit seinen Tieren am nächsten Tag weiterziehen. So hätte es auch heute sein sollen, doch schon von Weitem hatte Thomas gespürt, dass etwas passiert sein musste. Als er vom Hügel aus das abgebrannte Gehöft erblickt hatte, war er losgerannt. Er hatte ein großes Unglück befürchtet, aber nicht ein so schreckliches.

Thomas starrte auf die blutverkrusteten Klumpen der Füße seines Freundes. Dann blickte er auf die Kadaver der geköpften Zicklein. Schwerfällig ging er in die Hocke, befeuchtete seinen Zeigefinger mit Speichel und fuhr damit über die weißen Krümel am Boden. Er leckte am Finger, schmatzte und nickte.

»Dachte ich es mir!«, murmelte er und erhob sich. »Dein Vater«, sagte er zu Susanna, »wurde gefoltert. Sie müssen wohl geglaubt haben, dass er Geld vergraben hatte. Mit der Folter wollten sie ihm den Ort des Verstecks entlocken.«

Susanna lachte hysterisch auf. »Geld? Wir sind froh, wenn wir den Tag überleben. Zwar geht es uns besser als manch anderen, aber wir haben kein Geld!«, brauste sie auf. Ihre Augen funkelten, doch rasch erlosch ihr Kampfgeist wieder. Stattdessen blickte sie Thomas ungläubig an und fragte: »Ist das der Grund, warum Vater die Haut von den Füßen abgezogen wurde?«

Thomas schüttelte den Kopf. »Seine Fußsohlen wurden mit Salz eingerieben, das die Zicklein ablecken mussten. Ihre raue Zunge hat seine Haut aufgerieben, bis sie blutige Klumpen waren. Er muss vor Schmerzen geschrien und sich zugleich vor Lachen die Lippen zerbissen haben.«

Hilflos zuckte der Schäfer mit den Schultern und blickte auf seinen Freund: »Ich habe keine Ahnung, warum sie die Tiere geköpft haben. Vielleicht, weil sie die Ziegen nicht mehr brauchten, vielleicht aber auch aus Wut, weil dein Vater kein Geld hat.«

»Wer sind sie?«, stammelte Susanna.

Der Schäfer zuckte erneut mit den Schultern. »Diese Frage kann ich dir nicht beantworten, Mädchen. Vielleicht marodierende Soldaten oder Diebe. Vielleicht Landstreicher. Ich weiß es nicht, und ich fürchte, dass wir das nie erfahren werden, Susanna.« Als er den wilden Blick der jungen Frau sah, versuchte er sie zu beruhigen. »Susanna«, sagte er ernst. »Es ist nicht mehr zu ändern! Selbst wenn du erfährst, wer deiner Familie das angetan hat, wirst du hoffentlich keine Möglichkeit erhalten, dich mit ihren Mördern anzulegen. Du siehst, dass sie vor nichts zurückschrecken. Sie würden auch dich foltern und töten. Sei Gott dankbar, dass dein Vater und du überlebt haben.«

Susanna drückte ihre Hände zu Fäusten zusammen. Um nicht laut aufzuschreien, presste sie die Lippen fest aufeinander. Sie schloss die Augen, doch als sie den Schäfer wieder anblickte, zischte sie: »Wo war Gott, als man meine Familie so grausam ermordete?«

Thomas blickte sie entsetzt an. »Versündige dich nicht, mein Kind! Gott hat dich gelenkt und wird es auch weiterhin tun. Deine Aufgabe ist jetzt, dich um deinen Vater zu kümmern, damit er gesund wird.« Der Blick des Schäfers durchbohrte die junge Frau, der lautlos Tränen über die Wangen liefen. Langsam ging er auf sie zu und legte väterlich seine Arme um ihre Schulter. Wie ein Kind wiegte er sie hin und her, und langsam entspannte sich Susannas Körper.

»Ich werde nach Kölln gehen und den Pfarrer verständigen«, sagte Thomas leise und fügte hinzu: »Anschließend komme ich mit dem Totengräber zurück.«

Susanna konnte nur stumm nicken.

Es dämmerte, als der Schäfer zusammen mit dem Totengräber und einem Fuhrwerk auf dem Hof ankam. Der schwarz gekleidete Mann reichte der jungen Frau die Hand und murmelte: »Mein Beileid, Susanna!« Dann folgte er dem Schäfer in den Viehverschlag. Beide Männer trugen die Magd hinaus und legten sie auf die Pritsche des Fahrgestells.

Als sie die Bäuerin anpackten, winselte der Vater, der durch die Geräusche wach geworden war: »Maria!« Er versuchte sich aufzusetzen, doch die Schmerzen hielten ihn auf seinem Lager. Der Bauer brach in Tränen aus und blickte hilflos seine Tochter an.

»Vater«, flüsterte Susanna und strich ihm liebevoll über die Wangen. »Wir müssen Mutter und die anderen nach Kölln zum Friedhof bringen und sie beerdigen. Ich werde dich allein lassen, verspreche aber, dass ich so schnell wie möglich zurück sein werde.«

»Mitkommen«, presste der Mann zwischen den wunden Lippen hervor. Susanna blickte auf seine Füße, und er verstand. Kraftlos schlug er mit der geschwollenen Hand aufs Stroh und sah sie flehend an. »Mitkommen!«

Susanna nickte. »Ich werde mit Thomas sprechen.«

Der Schäfer und der Totengräber hatten die kleine Bärbel auf das Fuhrwerk gelegt und sie in die Arme ihrer Mutter gebettet. Nun gingen die Männer, um Johann zu holen. Als Susanna Thomas fluchen hörte, ahnte sie, dass die Ratte zurückgekommen war. Sie eilte zu dem Gärtchen, als der Schäfer ihr entgegenrief: »Geh fort, Mädchen, und schau nicht hin!«

Susannas Atem ging keuchend, und sie schlug sich die Hände vors Gesicht. Der Totengräber und der Schäfer trugen Johanns Leichnam rasch an ihr vorbei und legten ihn auf den Karren. Dort bedeckten sie das Gesicht des Jungen mit einem Tuch.

Susanna zitterte. »Warum hat Gott mich leben lassen? Warum muss ich das alles ertragen?«, wimmerte sie und stieß den Schäfer zur Seite, der sie trösten wollte.

Ihre kalten Finger umklammerten das Holz des Fuhrwerks, als der Totengräber leise fragte: »Sind das alle Leichen?«

Die junge Frau schüttelte den Kopf und wies auf die Ecke, wo der Knecht verbrannt war. Selbst der Totengräber erschauerte.

»Ich werde für ihn den Segen des Pfarrers erbitten und ihn hier unter den Bäumen beerdigen!«, entschied der Mann.

Susanna schloss die Augen und nickte. Als sie zurück am Stall waren, sagte sie müde: »Vater will mit zum Friedhof kommen.«

»Das kann ich verstehen«, flüsterte Thomas. »Dein Vater kann meinen Platz auf dem Kutschbock haben. Ich werde nebenher marschieren. Wir müssen ihm jedoch den Boden und den Sitz auspolstern und seine Füße verbinden.«

Susanna eilte ins Haus und sammelte alle Stofffetzen und Kissen ein, die sie finden konnte. Als sie zurückkam, hatten die beiden Männer den Vater von seinem Lager hochgehoben. Er hielt seine Lippen fest zusammengepresst, nur sein Blick verriet die Schmerzen, die er ertragen musste. Nachdem sie ihn auf den Kutschbock gesetzt hatten, wollte Susanna ihm die Füße verbinden, doch er stieß ihre Hand zur Seite und schüttelte den Kopf.

Das Fuhrwerk rollte vom Hof, und Susanna blickte betrübt auf den getöteten Hund. Als der Schäfer das sah, versprach er: »Wenn wir zurückkommen, werde ich ihn unter der alten Eiche auf der Rinderkoppel begraben.«

Der Pfarrer war sofort zum Schreiner gegangen und hatte vier Holzkisten in Auftrag gegeben, nachdem Thomas ihm vom schrecklichen Schicksal der Arnolds berichtet hatte. Als das Fuhrwerk am Friedhof ankam, standen die grob gezimmerten Särge bereit. Der Schäfer und der Totengräber betteten jeden Toten in einen Sarg, der mit einer Holzplatte verschlossen wurde. Weinend warf sich Susanna auf den Sarg der kleinen Bärbel, als er zugenagelt wurde. Sie schrie ihren Schmerz so laut hinaus, dass auch der Vater, der vom Kutschbock die Einsargung mit angesehen hatte, in tiefer Trauer aufheulte. Als dann die Särge der Mutter, des Bruders und der Magd vernagelt wurden, hallte das Wehklagen von Vater und Tochter weit über die Mauern des Friedhofs hinaus. Der Schäfer hatte Mühe, Susanna von den Särgen fortzuziehen.

»Komm, mein Kind«, flüsterte er ihr ins Ohr. »Du musst die Toten gehen lassen.«

Der Totengräber hatte seinen Helfern vor der Fahrt zum Arnoldschen Bauernhof den Auftrag gegeben, vier Gräber auszuheben, in die nun die Holzkisten gesenkt wurden. Der Pfarrer versuchte, Worte des Trostes für die Angehörigen und Freunde zu finden. Doch er wusste, dass Trost angesichts der Gräueltaten unmöglich war, und so murmelte er nur das Vaterunser.

Die Nacht hatte sich mittlerweile über das Köllertal gesenkt. Als einer der Totengräbergesellen eine Laterne anzündete, erschien im Schein des schwachen Lichts der Friedhof unheimlich und ließ die Trauernden erschauern.

Susanna war froh, dass der Pfarrer sich alsbald verabschiedete. Sie wollte mit ihrem Schmerz und den Toten allein sein. Als Thomas sie zum Fuhrwerk führen wollte, bat sie mit heiserer Stimme: »Lass mich noch eine Weile bleiben.«

Der Schäfer nickte und ging zum Totengräber, dem er ein Geldstück in die Hand drückte. »Für die Beerdigung und die Särge. Überlass mir bis morgen das Fuhrwerk, damit ich den Bauern zurück auf den Hof bringen kann.«

Der Mann steckte das Geld ein und gab zu bedenken: »Es wäre besser, wenn ihr im Ort übernachtet. Wer weiß, vielleicht kommen diese Bestien zurück. Ich könnte euch für eine Nacht ein Lager in meiner Hütte anbieten.«

Fragend blickte Thomas den Bauern an, doch der starrte in die Dunkelheit, zu der Stelle, wo sich die Gräber befanden.

Leise seufzend erklärte der Schäfer: »Ich muss zurück, denn meine Herde ist ohne Aufsicht auf der Koppel. Aber der Bauer und seine Tochter könnten hierbleiben.«

»Nein«, sagte Susanna mit eisiger Stimme hinter ihm. »Wir fahren zurück. Niemand vertreibt uns von unserem Hof.«

Kapitel 3

Er hatte die Faust nicht kommen gesehen, die ihn blitzschnell mitten ins Gesicht traf. Der Bursche strauchelte und konnte sich nur mit Mühe auf den Beinen halten. Vor Schmerzen schrie er auf und hielt sich die Hand vors Gesicht. »Bist du verrückt?«, kreischte er. »Du hast mir die Nase gebrochen!«

»Halt’s Maul!«, schrie der Schläger. »Noch ein Wort, und ich schlitze dich auf.« Er fuchtelte drohend mit dem Schwert in der Luft herum, und seine Augen blickten voller Zorn auf den Jungen. Nur mit Mühe konnte er sich beherrschen.

»Beruhige dich, Eckart!«, versuchte ihn ein Mann, der in einen schwarzen Mantel gekleidet war, zu besänftigen. Doch der Schläger hörte die Worte nicht und verpasste dem Burschen einen weiteren Schlag, sodass der zu Boden ging. Wimmernd zog der Junge die Knie an und blieb liegen. Erst jetzt wandte sich Eckart von ihm ab und ging in die kleine, schäbige Holzfällerhütte, die inmitten eines dichten Waldgebietes nahe der Stadt Saarbrücken lag.

Er stieß die Tür auf, die krachend gegen die Holzwand flog, und warf wütend sein Schwert auf den Tisch, dass das Metall schepperte. Er schnappte sich einen Krug mit Bier und trank ihn in einem Zug leer.

Der schwarz gekleidete Mann war ihm gefolgt und musterte ihn nachdenklich. »Ich hörte, ihr seid erfolgreich gewesen. Warum bist du dann so zornig?«, fragte er und schloss die Tür.

»Ich bin nicht besonders zartfühlend, Jeremias«, antwortete Eckart erregt. »Aber das ging zu weit. Es war nicht rechtens!«

Jeremias lachte auf. »Rechtens?«, höhnte er. »Rechtens ist wohl das falsche Wort! Oder waren Folter und der Mord an den Bauersleuten und dem Gesinde etwa rechtens?«

»Das waren Mittel zum Zweck, damit der Alte redete. Wie sonst hätten wir den Ort des Verstecks erfahren sollen? Aber das kleine Mädchen zu erschlagen, das war nicht rechtens.«

»Sie hat euch gesehen und geschrien!«

»Wie willst du das wissen? Du warst nicht dabei.«

»Markus hat mir alles erzählt.«

»Pah! Markus! Er ist ein mordlüsterner Dummkopf, der seinen Verstand in der Hose trägt. Ich war ein Narr, dass ich ihn mitgenommen habe.«

»Herrgott, Eckart!«, schimpfte Jeremias. »Hör auf zu wüten. Denk daran, warum wir uns entschlossen haben, den Bauern aufzusuchen. Wir beide brauchen Geld, denn sonst weiß ich nicht mehr weiter. Mitleid ist Weiberkram. Zeig mir die Beute.«

Eckart verließ die Hütte, um kurz darauf mit einem Beutel in der Hand zurückzukommen. Vorsichtig, als ob er befürchtete, den Inhalt zu beschädigen, wickelte er die Sachen aus dem Leinen und legte sie behutsam auf den Tisch.

Jeremias’ Augen funkelten vor Freude, als er sah, wie Eckart das Leinensäckchen mit duftenden Kräutern, einer Wünschelrute und einem Spiegel auf den Tisch neben dem Schwert ablegte. Als er erkannte, dass nicht mehr im Beutel war, zog er fragend die Augenbrauen zusammen. »Wo sind die Schriften?«

»Welche Schriften?«

»Die magischen Schriften, du Dummkopf!«, knurrte Jeremias laut.

»Davon hat der Alte nichts gesagt«, erwiderte Eckart. »In dem Versteck, das der Bauer nannte, waren das Säckchen, der Spiegel und die Rute. Mehr nicht!«, rechtfertigte er sich.

Jeremias blickte ihn ungläubig an. »Ich selbst habe ihm das Büchlein mit den Zauberformeln besorgt.«

»Ich schwöre, dass es nicht in dem Versteck war. Reichen Spiegel und Rute nicht, um den Schatz zu finden?«, fragte Eckart verdrossen.

»Die Blätter mit den magischen Formeln enthalten die wichtigsten Hinweise, um einen Schatz finden zu können«, zischte Jeremias und ging in der Hütte auf und ab, sodass sein schwarzer Rock hin und her wogte. Theatralisch hob er die Hände und fragte: »Aber wie sollen wir die Geister beschwören, wenn wir sie nicht mit den richtigen Worten ansprechen können?«

Jeremias schaute Eckart vorwurfsvoll an, der seine Augen leicht zusammenkniff. »Wage es nicht, mir die Schuld zu geben. Ich habe dir von Anfang an gesagt, dass du mitkommen solltest«, erklärte er gefährlich leise.

»Die Gefahr war zu groß, dass der Bauer mich erkennen könnte«, entgegnete Jeremias und stemmte seine Hände in die Hüften.

Eckarts Augen weiteten sich, und er brüllte: »Was hätte es dem Bauern genutzt, wenn er dich erkannt hätte? Er ist tot, wie alle anderen, die auf dem Hof waren.«

»Vermaledeit!«, schrie Jeremias zurück. »Wenn ich gewusst hätte, dass ihr alle umbringen würdet, dann wäre ich mitgekommen. Das war nicht der Plan gewesen. Ich glaubte, dass der Bauer sich leicht zwingen ließe, die Gegenstände herauszurücken.« Fahrig fuhr er sich durch das lange dunkle Haar, das ihm bis über die Schultern fiel. »Wie wollen wir jetzt die magischen Schriften finden? Alles war umsonst, du Narr!« Sein Blick verriet Wut, aber auch Hilflosigkeit.

Eckart überlegte und schlug vor: »Da du dich auf dem Hof auskennst, solltest du hinreiten und nach dem Büchlein suchen. Vielleicht haben wir ja Glück, und es ist nicht alles verbrannt. Irgendwo muss der Bauer es versteckt haben.«

Jeremias nickte mehrmals und murmelte mehr zu sich selbst: »Der Hof liegt abgelegen, sodass sicher noch niemand die Toten auf dem Gehöft gefunden hat. Du sagtest doch, dass ihr alle getötet habt?«, fragte er. Als Eckart nickte, lachte er laut auf. »Morgen bei Anbruch der Dunkelheit werde ich aufbrechen ...«

»Warum nicht gleich?«, fragte Eckart gereizt.

»Ich muss nach Saarbrücken, was ich nicht aufschieben kann. Doch sei unbesorgt! Morgen werde ich jeden Winkel auf diesem verdammten Hof durchsuchen. Es wäre gelacht, wenn ich die magischen Schriften nicht finden würde. Du kannst Markus danken, dass er so umsichtig war und alle Zeugen getötet hat.«

Eckart schlug mit seiner Faust auf den Tisch. »Halt’s Maul! Das kleine Mädchen umzubringen war nicht rechtens.«

»Bleib ruhig, mein Freund. Ich verstehe nicht, warum du solch ein Aufhebens um die Kleine machst.«