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Wer ängstlich ist, ist manipulierbar. Wenn man gezielt auf die Ängste einer Person einwirkt, so wirkt man unweigerlich auch auf deren Stimmung ein. Deshalb sind Ängste seit einiger Zeit zum politischen Faktor geworden. Diese Publikation verdeutlicht, wie die Politik sich die Angst zunutze macht und welche Mittel sie dabei verfolgt. Vor allem die sozialen Medien sind in diesem Zusammenhang ausschlaggebend. Immer mehr tragen sie zur politischen Meinungsbildung bei, eignen sich aber auch besonders, um Ängste und Gerüchte zu verbreiten. Welche Stilmittel verwenden lokale Politiker in ihren Wahlkampfreden und in welchem Verhältnis stehen ihre Aussagen zu Erhebungen der Polizeilichen Kriminalstatistik des Bundes von 2015 und 2016? In Zeiten der Angst gibt diese Publikation einen Überblick über aktuelle Fragen und Antworten. Aus dem Inhalt: - Chemnitz; - AfD; - Soziale Medien; - Meinungsbildung; - Manipulation
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Seitenzahl: 141
Veröffentlichungsjahr: 2018
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Impressum:
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Inhaltsverzeichnis
Referat
Review
Abbildungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Der Angst-Begriff
2.1 Der Angst-Begriff in der Psychologie
2.2 Der Angst-Begriff aus Sicht der Philosophie
2.3 Psychologische Phänomene
3 Angst als Potenzial für die Politik
3.1 Grundlegende Methoden der Manipulation
3.2 Digitale Methoden
4 Tatsächliche Gefahrenlage
4.1 Ist-Analyse der kriminalstatistischen Lage
4.2 Medial dargestellte Gefahrenlage
5 Gezielte Nutzung der Angst am Beispiel AfD LV Sachsen/Wahlkreis Chemnitz
5.1 Vorstellung lokaler Akteure
5.2 Interaktion mit Social Media und Medien
5.3 Strategische Sprache in den Wahlkampfreden
6 Bedeutung für die Soziale Arbeit
7 Resümee
Literaturverzeichnis
Anhang
Transkription Wahlkampfreden Nico Köhler & Frauke Petry
Facebook-Eintrag Lars Franke
Diese Masterarbeit befasst sich mit dem Potenzial der Angst für die Politik und wie dieses bereits heute nutzbar gemacht wird. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung digitaler Medien im Zusammenhang mit politischer Meinungsbildung wurde das Hauptaugenmerk auf diese gelegt.
Der Schwerpunkt der Arbeit liegt dabei auf intensiver Literaturrecherche in Verbindung mit Recherchen in Social Media. Durch diese soll eine die Antwort auf die Fragestellung gegeben werden.
This Master’s thesis deals with the potential of anxiety for politics and how it can be harnessed today. Due to the increasing importance of digital media in the context of political opinion formation, the main focus has been placed on them.
The emphasis of the work is on intensive literature research in connection with research in social media. Through this one should be given the answer to the question.
Abbildung 1 Beispiel: Selbstreferenz in der Kommunikation
Abbildung 2 Bevölkerungszahlen in Sachsen.
Abbildung 3 Registrierung Geflohener und Antragstellungen auf Asyl im Vergleich. Bundesweite Erfassung im Jahr 2016.Quelle: ZEIT.de
Abbildung 4 Anzahl der Asyl-Erstanträge in Sachsen, Vergleich Jahre 2010 – 2017.
Abbildung 5 Straftaten insgesamt ohne Ausländerrechtliche Verstöße in Sachsen, Jahre 2012 – 2016.
Abbildung 6 Vergleich Entwicklung deutsche und nichtdeutsche Tatverdächtige 2012-2016
Abbildung 7 Fälle von Straftaten mit tatverdächtigen Zuwanderern [Jan - Sep 2017].
Abbildung 8 Häufigste Straftaten bei nichtdeutschen Tatverdächtigen in %.
Abbildung 9 Nichtdeutsche mutmaßliche Gewalttäter im Vergleich von Kriminalstatistik und Fernsehberichterstattung Januar-April 2017
Abbildung 10 Nichtdeutsche Gewaltopfer im Vergleich von Kriminalstatistik und Fernsehberichterstattung
„Unser Dealer sendet täglich seine Sicht der großen Welt.
Perfekt gestylte Plastiklügen schenk uns den großen Rausch.
Die Meinung gratis mitgeliefert -Denken war noch nie so leicht!
Und wir marschieren gleichgeschaltet
-Gleiches war noch nie so gleich.“
aus: „Laut“
Rosenstolz
Angst als eines der elementarsten, grundlegendsten Emotionen des Menschen ist der Motor für diverses menschliches Treiben. Als unangenehmes Gefühl ist sie nicht beständig, wechselt in Intensität und Dauer und dient im Ursprung dem Schutz vor (lebens-)bedrohlichen Situationen – als Frühwarnsystem und als Wegweiser. Schon im Mutterleib ist es Föten möglich, Angst zu spüren und sie werden durch das, auch bei Angst freigesetzte, Stresshormon Cortisol ihrer Mutter geprägt. Feten, welche dauerhaftem Stress ausgesetzt waren, sind postnatal regelmäßig ängstlicher als andere Säuglinge. Mittlerweile geht man davon aus, dass diese Prägung über Generationen hinweg mitgegeben werden kann (vgl. Wildermuth, 2015).
Auch und gerade im Säuglingsalter sind Ängste Auslöser für viele Verhaltensweisen, welche als problematisch eingestuft werden und teilweise als „langer Schatten“ das ganze Leben zu beeinflussen imstande sind. Für das kindliche Gehirn ist die Angst selbst neurologisch nachweisbar schädigend (vgl. ebd.). Aus diesem Grund waren die Angstbegriffe aus der Psychologie gleichwohl für die Pädagogik bedeutsam.
Doch nicht nur in diesen Wissenschaften wurde und wird allerlei zu diesem Thema geforscht, auch in der Philosophie war sie schon vor Jahrhunderten mit Interesse behaftet und mit Deutungen versehen. Heute wird die Angst zusätzlich zum Thema, wenn man sich mit der Politik beschäftigt, und ist damit von unabdingbarem Interesse für die Soziale Arbeit.
Soziale Arbeit und Politik – für viele Sozialarbeiter unvereinbare Gebiete und höchstens mit dem Doppel- beziehungsweise Trippelmandat verknüpft. Doch Staub-Bernasconi erklärte 2007 eindrücklich, welche Bedeutung die Soziale Arbeit als Sprachrohr für die Politik darstellt:
„(...) mit ihrem Bezug auf die Menschenrechte erhält die Soziale Arbeit als Profession die Möglichkeit theoretischer wie ethischer Gesellschafts- und Trägerkritik. Sie ist also ´ohne politisches Mandat politikfähig´ (Müller, 2001) und vor allem schließt Professionalität diese gesellschaftsbezogene Politikfähigkeit nicht aus, sondern ein. Aber, so paradox es klingen mag: die zentrale Voraussetzung für die Politikfähigkeit der Sozialen Arbeit als Profession ist ihre Entkoppelung von der Politik und ihrer Repräsentanten.“ (Staub-Bernasconi, 2007, S. 7.)
„(...) Wissenschaftsbasierung und Berufskodex verschaffen also der Sozialen Arbeit nicht nur die Basis für unabhängige Urteile über Situation, Probleme, deren Erklärung und Bewertung sowie über die Wahl von Vorgehensweisen, sondern zudem auch eine eigene, allgemeine Legitimations- und Mandatsbasis für eigenbestimmte, professionelle Aufträge. Sie muss bei gravierenden Problemen nicht unbedingt auf ein Mandat, einen Auftrag oder Vertrag warten, der ohnehin auf sich warten ließe.“ (Staub-Bernasconi, 2007, S. 7)
Ein solches Mandat ist erkennbar, wenn man die aktuellen, politischen Entwicklungen in der Bundesrepublik betrachtet:
Die Manipulation über Emotionen, also auch der Angst, war seit jeher Mittel (nicht nur) populistischer Parteien. Gegenwärtig führt diese jedoch zunehmend zu einer Spaltung der Gesellschaft und stellt eine ernst zu nehmende Gefahr für das freiheitlich-demokratische Zusammenleben dar. Hier ist die Soziale Arbeit auch als Feld der Auseinandersetzung zu verstehen, in welchem die Interakteure diesen Mechanismen ausgesetzt sind. Es ist Aufgabe des Sozialarbeiters/der Sozialarbeiterin, diese zu (er-)kennen und entsprechend innerhalb der Arbeitsbereiche zu agieren.
In dieser transdisziplinären[1] Masterthesis soll folglich zunächst in Kapitel 1 die Frage geklärt werden, wie sich der Angstbegriff definiert und welche psychologischen Phänomene diese zu manifestieren imstande sind. Im nächsten Schritt folgt eine Ist-Analyse der kriminalstatistischen Lage: Unter Einbeziehung der Daten aus den Polizeijahrbüchern 2015 und 2016 sowie verschiedener Studien wird untersucht, wo die Wahrnehmung der Menschen und der Medien mit der tatsächlichen Gefahrenlage konform gehen beziehungsweise an welcher Stelle sie sich scheiden. Daraus hergeleitet werden Risiken, welche mögliche Widersprüchlichkeiten bergen. Zu finden ist dies im Kapitel 2.
Im sich anschließenden Kapitel 3 finden sich Methoden, wie sich Akteure, beispielsweise aus der Politik, diesen basalen Affekt methodisch nutzbar machen können.
Bei der Recherche, vor allem in sozialen Netzwerken, sollen in Kapitel 4 zudem rechtspolitisch/konservativorientierte Bewegungen untersucht werden und wie diese sich auf die Meinungsbildung, weiterreichend auf die Interaktion in der realen Umgebung, auswirken. Ein Zusammenspiel aus Meinungsäußerungen auf öffentlichen Internet-Profilen oder in besagten Gruppen, medialem Auftreten und realer Gegebenheiten zeigt die Dimensionen der Einflussnahme auf. Exemplarisch geschieht das an Lokalpolitikern innerhalb ihres Wirkungskreises, der Stadt Chemnitz.
„Angus“, der althochdeutsche und mit dem lateinischen „angustus“ verwandte Wortursprung des Begriffes „Angst“, bedeutet so viel wie „eng“. Angst, im psychologischen Sinne, steht damit umschreibend für „(die Kehle) zuschnürend“ (vgl. Deutscher Verein für öffentliche und private Vorsorge (Hrsg.), 2002). Es wird klassisch unterschieden in die „Zustandsangst“ oder „Realangst“ und die „Eigenschaftsangst“[2]. Hier muss zu den Angststörungen, also den krankhaften Ausprägungen, abgegrenzt werden. Die Hauptsymptome dieser Störungen stellen Manifestationen der Angst dar, welche auf keine bestimmte Umgebungssituation bezogen sind. Das ICD-10 definiert, das Depressive- und Zwangssymptome als auch Elemente phobischer Angst vorhanden sein können, wobei vorausgesetzt sei, sie sind eindeutig sekundär oder weniger ausgeprägt (vgl. DIMI, 2018, F41).
Eingeordnet sind Angststörungen in der medizinischen Definition unter „Neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen (F40-F4), wobei die Verbindung mit einer Störung des Sozialverhaltens exkludiert ist. Sie gehören zur großen Gruppe der Psychischen- und Verhaltensstörungen (vgl. ebd.).
Die medizinische Beschreibung der jeweiligen Störungen, die unter dem ICD-10-F41.f mit „Andere Angststörungen[3]„ festgehalten sind, machen deutlich, dass der Übergang zwischen einer regulären und der pathologischen Angst fließend sein kann, insbesondere bei der „Generalisierten Angststörung“: „Die Angst ist generalisiert und anhaltend. Sie ist nicht auf bestimmte Umgebungsbedingungen beschränkt, oder auch nur besonders betont in solchen Situationen, sie ist vielmehr „frei flottierend“. Die wesentlichen Symptome sind variabel, Beschwerden wie ständige Nervosität, Zittern, Muskelspannung, Schwitzen, Benommenheit, Herzklopfen, Schwindelgefühle oder Oberbauchbeschwerden gehören zu diesem Bild. Häufig wird die Befürchtung geäußert, der Patient selbst oder ein Angehöriger könnten demnächst erkranken oder einen Unfall haben.“ (DIMI, 2018, F41.1) Auch Schizophrenie, schizotype und wahnhafte Störungen, Affektive Störungen sowie Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen gehen zum Teil mit gesteigerter Neigung zu Ängsten einher, sodass es von außen, jedoch auch für den Betroffenen selbst, oftmals nur schwer zu beurteilen ist, ob die Ängste, insbesondere die Eigenschaftsängste, noch alltäglich sind oder schon einer psychischen Störung entspringen. Kaum abgrenzbar erscheint dies bei Anhängern ausgeprägter Verschwörungstheorien, da hier bisweilen der Faktor der subjektiven Wahrheit Beachtung finden muss.
Der nicht genau definierte und eher aus dem Philosophischen entstammende, an die Eigenschaftsangst angelehnte Begriff der „abstrakten Angst“, wurde schon vor rund 1700 Jahren durch Aristoteles vorgeprägt. Er trennte den Angstbegriff in die „niedrige Furcht vor Strafe [und] der höher bewerteten Furcht vor Schuld aus Ehrfurcht vor Gott.“ (Althoetmar, 2016, Ev.d.A.) Später erklärte Kierkegaard sie als „existenzielle Angst, als Wesensmerkmal menschlichen Denkens und der Willensfreiheit.“ (ebd.) Die Religion, als eine Glaubensinstanz, sollte dieser Angst Abhilfe schaffen (vgl. ebd.). Heidegger führte diesen philosophischen Ansatz der Angstdefinition dann weiter und erklärte „Angst [als] eine Grundbefindlichkeit, in der das Dasein auf sich selbst zurückgeworfen wird. In der Angst eröffnet sich der Existenz ihre Endlichkeit und ihre Nichtigkeit, denn der Mensch empfindet das Dasein als ‚Sein zum Tode‘.“ (ebd., E.d.A) Der Mensch fürchtet sich also, weil er begreift, dass er im Grunde genommen allein ist, der Lebenssinn nicht existent und der Tod unausweichlich ist. Jede Beziehung, die er führt, ist abhängig vom Sinnzusammenhang des anderen und unbeherrschbar.
Vor diesem Hintergrund des psychologischen und philosophischen Angstverständnisses kann man erahnen, dass Angst ursprünglich, wie eingangs genannt, das menschliche Überleben sichern sollte, doch mittlerweile zunehmend irrational ist. In der Wohlstandsgesellschaft ist die Angst vor elementarer Bedrohung durch Hunger, Kälte, Raubtiere etc. oft nicht mehr notwendig. Entsprechend haben sich neue Ängste herausgebildet: Die Angst vor Atomkraft, vor Arbeitslosigkeit oder vor genetisch veränderten Lebensmitteln. Diese neuen Ängste verbergen jedoch ebensolche elementaren, für den Einzelnen existenziellen, Ängste; treten stellvertretend auf. Es ist die Angst vor Kontrollverlust, vor dem Verlust des eigenen Status, der eigenen Identität oder die Angst vor dem Unbekannten. Insbesondere bei Veränderungen und in unbekannten Situationen tritt diese auf, da der Mensch sein Gewohntes, und damit seine gefühlte Sicherheit, zu verlieren droht.
Menschen neigen dazu, Ängste anderer, welche sie nicht nachvollziehen können, der Lächerlichkeit preiszugeben oder versuchen diese denjenigen mittels mehr oder weniger rationalen Argumenten auszureden. Um verständlich zu machen, weshalb dies nur selten von Erfolg gekrönt ist, ist es wichtig, einige psychologische Phänomene zu kennen. Dabei stellen diese holzschnittartig aufgeführten nur eine Auswahl dar.
Konstruktivismus/Wahrheit und Wahrhaftigkeit
Die Theorien aus Psychologie, Pädagogik und Philosophie zum Konstruktivismus beinhalten die Grundthese, dass der Mensch keinen unmittelbaren Zugriff auf die objektive Realität hat, wenngleich es diese gibt. Er kann entsprechend nie die wirkliche Beschaffenheit der Dinge erkennen, sondern ausschließlich das, was er mit seinen Sinnen aufnimmt und vor dem Hintergrund seiner Erfahrungen interpretiert. Somit sagt der Konstruktivismus aus, dass jedes Individuum ein individuelles und subjektives Bild seiner Umwelt konstruiert. Aufgrund verschiedenster, persönlicher Erfahrungen entsteht so eine kognitive Landkarte der Welt, welche den Menschen in seiner, ihm eigenen, Weltsicht immer wieder beeinflusst und weiter konstruiert. Dieses Konstrukt ist ab dem Jugendalter weitgehend stetig.
Daraus leitet sich ab, dass es keine, für jedermann gültige Wirklichkeit gibt, sondern viele subjektive Wirklichkeiten, welche parallel jeweilige Berechtigung haben (vgl. Mair, 2005). Die Idee darüber, dass das jeweilige Gegenüber eine eigene Weltsicht mit eigenen Gefühlen, Bedürfnissen und Absichten hat, ist dabei ein Grundverständnis des zwischenmenschlichen Handelns und beginnt sich bereits im Kindesalter herauszubilden. Dieses Phänomen wird als „Theory of Mind[4]“ bezeichnet.
Damit erklärt sich der Unterschied zwischen Wahrhaftigkeit und Wahrheit: Wahrhaftigkeit meint, dass ein Individuum, entsprechend seiner subjektiven Wirklichkeit, glaubt, was er äußert. Die Divergenz von Wahrhaftigkeit ist der Irrtum.
Die Wahrheit hingegen beruht auf nüchternen Fakten der objektiven Wirklichkeit. Allerdings ist es nicht möglich Fakten ohne die eigene Konstruktion zu bewerten, sodass auch niemals von einer objektiven, sondern immer nur von einer subjektiven Wahrheit gesprochen werden kann. Wer entgegen der darum wissenden Fakten argumentiert, also wissentlich entgegen der Wahrheit, lügt.
Philosophisch stellen sich unteranderem Fragen danach, ob die konstruktivistische Einsicht selbst eine objektive Tatsache ist und wenn ja, wie man in diese objektiv-wahre Einsicht gelangt, wenn alles Objektive unzugänglich ist.
Durch die Idee des Konstruktivismus wird deutlich, dass es keine Wahrheit gibt, die ein Individuum objektiv erfassen kann, sondern sich dieser immer nur nähert. Daraus resultiert, dass hinsichtlich der menschlichen Ängste eine rein objektive Herangehensweise kaum zielführend ist, da man dabei das konstruierte Weltbild weitgehend außer Acht lässt. Zudem sind alle konstruierten Wirklichkeiten, unabhängig ihrer, für andere, Nachvollziehbarkeit, gleichberechtigt. Entsprechend gilt es, diese in sich ernst zu nehmen und empathisch zu erschließen, ohne die eigene in ihrer Geltung über sie zu stellen.
Kognitive Dissonanz
Die „kognitive Dissonanz“ bezieht sich im Wesentlichen auf Luhmanns Systemtheorie und Selbstreferenz der Kommunikation, wonach die Kommunikation eine Eigenschaft von Systemen[5] darstellt.
Nach ihm bestehen und entstehen Systeme durch und aus Kommunikation. Selbstreferenz heißt bei ihm, dass sich der Sinn des Gesagten erst in der Kommunikation, durch jeweilige Selektion, erschließt und erzeugt wird. Daraus wird hergeleitet, dass Systeme immer auch selbstreferenziell geschlossen sind, sodass man in der Kommunikation immer Bezug auf sich selbst nimmt. Das bedeutet, dass alles, was ein anderer sagt, immer durch den „eigenen Filter“ aufgenommen und gedeutet wird.
Abbildung 1 Beispiel: Selbstreferenz in der Kommunikation
Im abgebildeten Beispiel ist zu Beginn der Kommunikation noch nicht klar, weshalb ein Gesprächspartner äußert, dass er Hunger hat. Er könnte, neben anderen Gedanken, die er hat, damit meinen, dass er eine Pause benötigt, noch kein Frühstück hatte oder das Bedürfnis nach Essen seinen Gemütszustand beeinflusst. Passend zum Gesagten spricht das Gegenüber aus, dass es etwas essen mag, wenngleich es ebenfalls andere Gedanken kommunizieren könnte. Aus welchem Grund die jeweilige Selektion getroffen wurde, erschließt sich erst im Verlauf des Gespräches. Das Ergebnis wird in diesem Verlauf erzeugt, nach dem jeweils weitere Selektionen hinsichtlich der Rahmenbedingungen getroffen wurden: Man geht gemeinsam Essen. Dies war zu Beginn nicht vorhersehbar, das Ergebnis war offen, kontingent genannt. Da die Ergebnisse der Kommunikation zu jeder Zeit auf beiden Seiten offen sind, man somit dieses nie als „wenn-dann“-Regel verstehen kann, spricht man von einer doppelten Kontingenz.
In der Selbstreferenz kann man an dieser Stelle eine Wiederholung des Konstruktivismusgedankens erkennen: Auch Kommunikation und zwischenmenschliche Interaktion sind ein Ergebnis von eigenen Deutungen, basierend auf der individuell konstruierten Wirklichkeit.
Wenn die sozialen Systeme nicht übereinstimmen, also mehrere Kognitionen (Wahrnehmungen, Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche, Absichten) nicht miteinander vereinbar sind, entsteht ein als unangenehm empfundener Gefühlszustand. Um diesem zu entgehen, sprich diese kognitiven Dissonanzen auszugleichen, versucht das Individuum diese zu vermeiden. Die Stärke dieser Dissonanzen hängt unter anderem von der Anzahl dissonanter und konsonanter Elemente, deren Relevanz, dem Gefühl von Freiwilligkeit oder Verantwortlichkeit und der Verankerung im kognitiven System ab (vgl. Busse, 2017).
Im Alltag ist das Individuum ständig kognitiven Dissonanzen ausgesetzt. Da der Mensch jedoch ein Bedürfnis nach einem Gleichgewicht hat, hat er mehrere Strategien um Kognitionen miteinander vereinbar zu machen, wobei diese Anstrengungen unterschiedlichste Stärke erfordern: Oftmals werden die dissonanten Elemente ignoriert und/oder abgewehrt. Da das Ausblenden nur geringen Aufwand darstellt, ist dies die häufigste Methode des Ausgleichs. Weiter wird die Stabilität gesucht, indem konsonante Elemente hinzugefügt werden - das sogenannte „Schönreden“. Die aufwendigste und deshalb nur dann, wenn die Relevanz groß erscheint, genutzte Variante ist das differenzierte Auseinandersetzen mit allen Elementen, um im Anschluss seine Einstellungen, die Meinung oder das Wissen anzupassen (vgl. ebd.).
In Bezug auf das konstruierte Weltbild verstärkt oder entstanden durch Ängste, bedeutet das, das scheinbar rationale Argumente, welche zu jener kognitiven Dissonanz führen, nur selten zum differenzierten Überdenken und resultierender Meinungsänderung führen, sondern sehr viel häufiger einfach ausgeblendet oder abgewehrt werden.
(Re-)Fraiming
Die Denkmuster, Zuschreibungen und Erwartungen des Menschen weisen in der Regel einen Rahmen, den sogenannten frame, auf. Dieser bildet die Ordnung, nach der Ereignisse interpretiert und wahrgenommen werden (fraiming). Entsprechend des Bedeutungsakzentes des Einzelnen wird durch dieses fraiming ein scheinbar gleiches Ereignis von unterschiedlichen Menschen auch unterschiedlich besetzt. Es steht immer im Kontext der eigenen Erfahrungen und des eigenen Selbst- und Weltbildes (vgl. Reich, 2003, S. 1ff).
Gelingt es dem Individuum seinen eigenen Blickwinkel zu verändern, also dem Ereignis eine neue Bedeutung zukommen zu lassen, dann wird dieses als „refraiming
