Das Publikum macht die Musik - Sven Oliver Müller - E-Book

Das Publikum macht die Musik E-Book

Sven Oliver Müller

4,8

Beschreibung

Sven Oliver Müller has written a compact, fascinating and vivid account of all that is exciting and surprising in the history of musical culture. He tells the story of how social relations in the major metropolises of Berlin, London and Vienna were shaped, and in some cases created, by the musical events of the day. Operatic performances and concerts often assumed the form of "communication societies," and attending musical events provided important resources for managing or freshening up social, political and economic ties. This book represents a completely new look at the historical foundation of these events, bringing together the two subjects of history and music in a colorful and surprising work that will be of interest to readers from both disciplines.

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Sven Oliver Müller

Das Publikum macht die Musik

Musikleben in Berlin, London und Wien im 19. Jahrhundert

Mit 29 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-647-99573-1

Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhältlich unter www.v-r.de.

© 2014, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U. S. A.

www.v-r.de

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages.

Satz: textformart, Göttingen | www.text-form-art.de

Inhalt

I.   Einleitung: Die Gesellschaft macht die Musik

1. Das Publikum als Gemeinschaft

2. Kommunikation im Musikleben

3. Forschungskontexte: Auf dem Weg zu einem »musical turn« in der Geschichtswissenschaft?

4. Spielstätten in Europa

5. Quellenlage und Aufbau der Studie

II.  Kulturelle Distinktion und soziale Ungleichheit in der Musikrezeption

1. Orte der Kommunikation: Opernhäuser und Konzertsäle in Berlin, London und Wien

2. Musikkonsum und Repräsentation: Zur Verknüpfung von Verhaltensmustern mit sozialer Ungleichheit in Oper und Konzert

III. Kulturtransfer in Europa: Die Entwicklung gemeinsamer Repertoires, Ästhetiken und Geschmäcker

1. Werk und Wirkung: Ästhetische Herausforderungen von Beethoven bis Schönberg

2. Virtuosenkult: Der Erfolg charismatischer Künstlerinnen und Künstler

3. Orte für Träume: Von inszenierten Welten und orientalischen Ländern

4. Orte für Alpträume: Feuer und Tod im Opernhaus

IV. Die Ambivalenz der Musikerfahrung: Selbstdisziplinierung und Kontrollverlust

1. Die Erfindung des Schweigens: Die Herausbildung eines neuen Hörverhaltens seit 1820

2. Saalschlachten: Prügelnde Bürger und streitende Adelige

V.  Politischer Konsens und Dissens

1. Politische Selbstbegeisterung: Staats- und Galaaufführungen

2. Musik als Waffe: Politische Demonstrationen im Vormärz und in der 1848er-Revolution

VI. Rückblicke und Ausblicke: Die Entwicklung des Publikums vom 19. ins 21. Jahrhundert

1. Bilanz: Unterschiede in den Gemeinsamkeiten

2. Ausblick: Das Publikum im 20. Jahrhundert – ein historisches Phänomen

Bildnachweis

Dank

Abkürzungen

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Ungedruckte Quellen

2. Zeitungen und Zeitschriften

3. Gedruckte Quellen

4. Literatur

Register

1. Personen

2. Sachen, Orte

3. Kompositionen

I.Einleitung: Die Gesellschaft macht die Musik

1. Das Publikum als Gemeinschaft

Der Auftritt der schwedischen Starsopranistin Jenny Lind im Londoner »Her Majesty’s Theatre« im Jahre 1847 zeigte das Ineinanderspiel von Künstlern und Publikum. Ihre Arien aus Giacomo Meyerbeers Robert der Teufel wurden da capo verlangt und sofort gegeben. Die Menge rief, jubelte und winkte mit Hüten und Taschentüchern. Bei einer Szene unterbrach das vor Freude plötzlich aufschreiende Publikum die Lind und zwang sie durch lauten Applaus zu pausieren. Ein ungeheurer Jubellärm füllte das Opernhaus für volle drei Minuten. Das Publikum wollte die eigene Begeisterung nicht kontrollieren, es spendete Beifall unmittelbar nach markanten Spitzentönen, manchmal mitten in einer Arie.1

Die fehlende Konzentration des Publikums mochte Sängern schmeicheln, doch sie verärgerte häufig die Komponisten. In dieser Hinsicht unterschieden sich die öffentlich zugänglichen Opernhäuser kaum vom exklusiven Musikleben der Adeligen in ihren Residenzen. Louis Spohr wunderte sich vor seinem Konzert am Braunschweiger Hof darüber, dass die Herzogin ihn aufforderte, nicht forte zu spielen, denn zu laute Klänge lenkten sie von ihrem Kartenspiel ab. Bürger und Adelige hörten viele der gespielten Kompositionen kaum, weil die Aufmerksamkeit der gegenseitigen Unterhaltung galt. Die Aufführungen der Musiker auf der Bühne zu erleben, war zwar wichtig, wichtiger aber war das Interesse an den sozialen Aufführungen im Zuschauerraum.2

Auf den ersten Blick mag einiges dafür sprechen, derartige Ereignisse als unbedeutsamen Klatsch abzutun. Auf den zweiten Blick spricht aber manches dafür, dem Publikum des 19. Jahrhunderts eine größere Bedeutung beizumessen als bislang geschehen. Verschiedene Hörertypen waren im Musikleben zu bestaunen: Konsumenten und Bildungsbeflissene, Adelige und Sensationslustige, Akademiker und Kinder. Die Vielzahl und die Vielfalt der Musikfreunde war eine notwendige Bedingung für die Arbeit der Komponisten, Künstler und Veranstalter. Das führt zur zentralen Frage: Was oder wer ist »das Publikum«? Das scheint zunächst nicht erklärungsbedürftig zu sein. Denn jedermann kennt diese Gruppe und sieht sich, egal ob im Kino oder im Konzert, vor dem Fernseher oder im Theater, immer wieder als Teil dieser Gemeinschaft. Doch wer gehörte im 19. Jahrhundert überhaupt zu dieser Gruppe, bildete sie stets eine Gemeinschaft, wie verhielt sie sich, welche Handlungsmacht fiel ihr zu und wie wandelte sie sich im Laufe der Zeit?

Das Publikum ist eine Art »Blackbox«, die neugierig darauf macht, was überhaupt in ihr passiert, wie sie entsteht und sich wandelt. Reale Zuhörer, d. h. die Anwesenden in einer Aufführung zur selben Zeit am selben Ort, sind etwa von denjenigen Rezipienten zu unterscheiden, die zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Plätzen Berichte über Konzerte lesen und angeregt darüber diskutieren. Streng genommen sollte diese Pluralität der Rezipienten dazu führen, in der Forschung nicht vom Publikum, sondern von Publika zu sprechen.3

Der Blick richtet sich in dieser Studie auf ein wirkmächtiges, nämlich auf die Geschichte der Besucher musikalischer Aufführungen in Berlin, London und Wien im 19. Jahrhundert. Analysiert werden prächtige Galas, der Streit über Komponisten, die Auftritte berühmter Virtuosen und die elitäre soziale Selbstinszenierung des Publikums in den großen Opernhäusern und Konzertsälen dieser drei Metropolen. Das Publikum sicherte seinen Stellenwert in der Gesellschaft durch seine regelmäßige öffentliche Präsenz bei musikalischen Aufführungen und durch seine Debatten über diese Veranstaltungen.4 Ziel ist es, das Verhalten und die Gestaltungsmacht dieser Menschenmenge zu beschreiben. Das Publikum besuchte Konzerte, um sich als soziale und politische Elite kenntlich zu machen, was bedeutete, den eigenen Status in der Gesellschaft darzustellen, anzumelden oder zu verteidigen. Es investierte für seinen Genuss der großen Spielstätten oft viel Geld, bewertete die Leistungen der Künstler und der übrigen Besucher und spendete dem Repertoire Lob oder Kritik. Seine musikalischen Interessen, seine Geschmäcker wurden zu sozialen Praktiken. Deshalb ist diese Arbeit eine Sozial- und Kulturgeschichte des Publikumsverhaltens.

Aufführungen von Musik erschaffen und erweitern Gemeinschaften. Das ist die erste Hypothese dieser Arbeit. Gezeigt werden soll, wie durch die Verhaltensmuster der Publika im Spielbetrieb eine Verständigung gelang, die sich etwa durch die gesprochene Sprache oder durch das Betrachten von Bildern nicht oder anders vollzog. Damit wird in dieser Studie Neuland betreten. Nach dem heutigen Kenntnisstand ist noch unklar, ob durch musikalische Aufführungen soziale und politische Gruppen erstmals entstanden oder ob es umgekehrt bereits bestehende Gruppen im Musikleben waren, die in der Regel miteinander kommunizierten.5 Verbanden kulturelle Vorlieben und soziale Verhaltensmuster Menschen von unterschiedlicher Herkunft und von unterschiedlichem Status miteinander? Damit ist nicht nur vom gemeinsamen Genuss der Musik die Rede, sondern auch von den Wünschen des Publikums, soziale Beziehungen oder politische Rangordnungen zwischen den Hörern zu bestimmen.6

Innovativ ist dieser Ansatz deshalb, weil die erlernten Verhaltensweisen des Publikums als sozial wirkungsmächtiges, mithin gesellschaftlich relevantes Handeln untersucht und dadurch im Idealfall erklärt werden können. Die zweite Hypothese lautet, dass das Publikumsverhalten nicht historisch unabänderlich bestand, sondern sich über den Zeitraum des 19. Jahrhunderts hinweg veränderte. Die Funktion von Musik in der Gesellschaft wandelte sich im 19. Jahrhundert, und zwar nicht nur, weil die notierten Werke sich änderten, sondern weil sich zwischen 1820 und 1860 die Praktiken des Hörverhaltens veränderten. Die Hörer der Kunstmusik zwangen sich zum Schweigen im Konzertsaal, disziplinierten den Körper und verzichteten auf Saalschlachten. Die Konzert- und Opernhäuser wurden zu Orten, in denen Zuhörer zunehmend vom Urteil der Anderen abhängig wurden und so das eigene Verhalten kontrollierten. Diese Distinktion war sozial erwünscht. Auf diesen Zusammenhang von kultureller Praxis und sozialer Genese hat Jürgen Habermas als einer der Ersten hingewiesen: »Strenger noch als am neuen Lese- und Zuschauerpublikum läßt sich am Konzertpublikum die Verschiebung kategorial fassen, die nicht eine Umschichtung des Publikums im Gefolge hat, sondern das ›Publikum‹ als solches überhaupt erst hervorbringt.«7Scheut man die Zuspitzung nicht, dann besuchte das Publikum nicht einfach nur öffentliche musikalische Veranstaltungen – es war Bestandteil der Öffentlichkeit. Genauer: Es wurde im Laufe des 19. Jahrhunderts zur Öffentlichkeit durch den Akt des kollektiven Musikkonsums.

Diese Studie handelt von Aufführungen in den Konzert- und Opernhäusern in Berlin, London und Wien im 19. Jahrhundert, von den Musik-Debatten in wichtigen Zeitungen und in der Ratgeberliteratur. Dabei fällt die ungleiche soziale Schichtung des Opern- und Konzertpublikums auf. Die große Spannbreite der Eintrittspreise verdeutlicht die leichteren Zugangsbedingungen für den hohen und niederen Adel, für das Bildungs- und Wirtschaftsbürgertum sowie die erschwerten oder nicht vorhandenen Zugangschancen für Kleinbürger, Diener und Arbeiter. Die Hörer finanzierten nicht nur die Konzerte und veränderten die musikalischen Institutionen. Sie wirkten als mächtige Urteilsinstanz, weil sie durch den Spielbetrieb ihren sozialen Status sicherten, politische Interessen legitimierten und kulturelle Regeln festlegten – und nicht zuletzt die Karriere der Komponisten und Künstler beeinflussten. Deshalb ist diese Arbeit nicht die Geschichte des wie immer auch zu definierenden gesamten Publikums, sondern die einer Elite. Im Mittelpunkt stehen die Verhaltensmuster und die Ordnungsstrategien einer zahlenmäßig kleinen, aber politisch, sozial und ökonomisch mächtigen Elite und deren einzelne Gruppen: Hofadel und Monarchen, Bildungsbürger und Unternehmer, Politiker und Journalisten. Sie alle nutzten ihre sozialen Beziehungen und politischen Geschmacksurteile, um auf der musikalischen Bühne durch Beifall oder Protest ihre Interessen und Werte zu demonstrieren.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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