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Allerorten wird in den letzten Jahren ein »Recht auf Stadt« eingefordert - von sozialen Protestbewegungen gegen Gentrifizierung weltweit. NGOs und UN-Organisationen postulieren es gleichermaßen. Kritische Stadtforscher wie David Harvey, Peter Marcuse oder Niels Boeing beziehen sich in ihrer radikalen Gesellschaftskritik auf Henri Lefebvre, der das Konzept 1968 entworfen hat - in einer Schrift, die hier nun zum ersten Mal in deutscher Übersetzung vorliegt. »Recht auf Stadt« ist mehr als die individuelle Freiheit, auf städtische Ressourcen zugreifen zu können. Es ist das Recht auf ein erneuertes urbanes Leben. Angesichts der sozialen Probleme in den desolaten Hochhaus-Vorstädten und anderer Folgen des rasanten Städtewachstums nach dem Zweiten Weltkrieg stellte Lefebvre schon in den sechziger Jahren fest, dass der Urbanisierungsprozess einhergeht mit einem Verlust der Stadt als Ort der kreativen Schöpfung, zugunsten einer bloßen industriellen Verwertungslogik. Er postuliert aber keine Abkehr von der Stadt - etwa in die zeitgleich entstehenden amerikanischen Mittelklasse-Vororte -, sondern macht in der Stadt ein enormes Potenzial aus, das zu einer emanzipierten urbanen Gesellschaft führen kann. Das Recht auf Stadt ist ein gesamtgesellschaftliches Anrecht auf Begegnung, Teilhabe, Austausch, das große Fest und einen kollektiv gestalteten und genutzten städtischen Raum.
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Seitenzahl: 269
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HENRI LEFEBVRE
AUS DEM FTRANZÖSISCHEN VON BIRGIT ALTHALER
MIT EINEM VORWORT VON CHRISTOPH SCHÄFER
EDITION NAUTILUS
Die Originalausgabe des vorliegenden Buches
erschien unter dem Titel Le droit à la ville
bei Éditions Anthropos, Paris 1968
Der deutschen Übersetzung liegt zugrunde:
Henri Lefebvre, Le droit à la ville, 3. Auflage,
© Editions Economica, Paris 2009
Nachwort aus: Henri Lefebvre, Espace et politique,
2. Auflage, © Editions Economica, Paris 2000
Edition Nautilus Verlag Lutz Schulenburg
Schützenstraße 49 a · D 22761 Hamburg
www.edition-nautilus.de
Alle Rechte vorbehalten · © Edition Nautilus 2016
Deutsche Erstausgabe März 2016
Umschlaggestaltung: Maja Bechert, Hamburg
www.majabechert.de
1. Auflage
eISBN 978-3-96054-007-6
Auf dem Weg vom CAMP-Studio durch die eng vertreppten Gassen des Chuim Village in Bombay1 entschlüsselt uns Ashok Sukumaran die Spuren an Wänden und Bauten. Unterschiedlichste Migrationsgruppen, Klassen und Anschauungen haben sich in die Stadt eingeschrieben, und der enthusiastische Hochtempovortrag des Künstlers legt Zeitschichten, städtische Kämpfe, Politiken und Aneignungen an den Mauern frei. Mir schwirrt noch etwas der Kopf, weil ich ein paar Stunden vorher aus Hamburg angekommen bin und Schwierigkeiten hatte, den beschriebenen Weg hierher zu finden. Der Taxifahrer kannte die Adresse nicht und navigierte nach auffälligen Landmarken durch die Millionenstadt wie ein Seefahrer des 15. Jahrhunderts durch ein unkartografiertes Südseearchipel, hatte mich an einem Markt ohne lesbares Schild abgesetzt, in einem mir unbekannten unübersichtlichen Viertel – ein Umherschweifparadies. Wenn ich nur wacher wäre und Zeit hätte! Schließlich war es mir gelungen, mich zu Ahmed’s Bakery durchzufragen, von wo es hinauf ins Studio geht, auf dessen Dachterrasse Ashok und Shaina Anand nächtliche Vorführungen piratierter Filme arrangieren.
Jetzt sind wir auf dem Weg zum Essen, es ist eine Spätsommernacht im Jahr 2015, bald wird die Regenzeit einsetzen, der Sommer war außergewöhnlich heiß, und ich kann auch mitten in der Nacht mein schickes Leinenjackett nicht tragen, als die zwischen uns laufende Künstlerin, für die die geistreichen Schnellausführungen meines Freundes nicht in erster Linie gedacht waren, fragt Why do you know so much about the city?, und ich antworte an Ashoks Stelle, Because he went to the International Lefebvre School of Urban Research, was ich lieber nicht hätte sagen sollen, denn die neuerdings erfolgreiche Kollegin hat weder den Witz noch den Inhalt verstanden und fühlt sich durch die Bemerkung veranlasst, einen zehnminütigen Vortrag darüber zu halten, dass sie solche Dinge in der Kairoer Schule, die sie besucht hat, nicht gelernt habe, und über den beklagenswerten Zustand des Schulsystems im Allgemeinen. Shaina und Ashok schweigen, wie ich, höflich. Natürlich wissen die beiden, was mit der internationalen Schule gemeint ist. Schließlich unternehmen sie schon seit 2003 Interventionen in das urbane Gewebe indischer, englischer und palästinensischer Städte, programmieren die Video-Datenbank pad.ma2, voller footage aus dem explodierenden indischen Metropolenleben. Außerdem haben sie gerade mit Pleasure: A Block Study3 ein Buch vorgelegt, das aus einer genauen Beobachtung des Alltags der Kinos, Vergnügungspaläste, Cafés, Pubs, Videotheken und Internetcafés heraus einen Londoner Häuserblock in der Edgware Road beschreibt und das zugleich eine Mikrogeschichte der Technik und des Begehrens, der Migration, der arabischen Wunschwelten und der aktuellen Einwanderung in miserable Metropolenverhältnisse erzählt – eine inspirierende Herangehensweise, die urbanen Alltag und Imagination auf eine Weise verknüpft, die Lefebvre im Sinn gehabt haben könnte, als er in den Sechzigerjahren damit begann, über Stadt zu schreiben.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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