Das Schlafende steht auf aus seinen Träumen - Rainar Nitzsche - E-Book

Das Schlafende steht auf aus seinen Träumen E-Book

Rainar Nitzsche

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Beschreibung

Fantastische Kurzprosa: 110 Texte mit Vampiren, Satyrn, Pazuzu im alten Babylon und Elwetritsche in der P(f)alz sowie Nachdenkliches über Parallelwelten und Seinsebenen, auch mit den Helden der PFAD-Romane. Geschichten aus näherer (Androidin für den Mann) und fernerer Zukunft (jenseits der Menschheit). Zwiegespräche zwischen Autor und seinen Geschöpfen: Er Dort Oben, ein kleiner Gott. Dann ist da noch die Frage aller Fragen: Was wird aus all den Traumgestalten, wenn der Schläfer, die Schläferin, das Schlafende erwacht? Die Kapitel: Prolog, Damals und jetzt, Von Vampiren und Nachtgeschöpfen, Hier und heute, Schaut ein Mensch ins (N)irgendwo, Parallele und verschachtelte Welten, Die den letzten Folgen, Epilog.

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Der Autor

Dr. Rainar Nitzsche wurde am 27.12.55 in Berlin geboren, ging im Saarland zur Schule und lebt in Kaiserslautern, wo er Biologie studierte und über Brautgeschenke bei Spinnen promovierte. Er ist gelernter Buchhändler und gründete 1989 den Rainar Nitzsche Verlag. Seit 2015 veröffentlicht er seine Bücher als Autor bei BoD, bookrix und neobooks.

Bisher von ihm erschienen (Jahreszahl der Originalausgabe): PROSA: Die Pfadwelten: Der Leuchtende Pfad des Magiers (1998), Wandlungen der Drei (2004), Wüsten-Berges-Himmels-Weiten (2005), Ins All - Im Eins (2005). Sammelbände fantastischer Kurzprosa: Die Mondintrilogie: Ruf der Mondin (1992), Im Licht der Vollen Mondin (1996), Mondin-Schein und Sein (2001), Aton - Vater Sonn (2001), Still riefen uns die Sterne (2001), Spiegelwelten deiner Seele (2001), Von Engeln, Erleuchtung und Ewigkeit (2006), Spinnentraumgespinste (2007), Das Schlafende steht auf aus seinen Träumen (2010). Unter dem Pseudonym Olaf Olsen: Die Meere des Wahnsinns (2005), Höllen-Fahrten-Leben-Träume (2005), ES bricht hervor aus dir (2006). LYRIK: wir ... menschen der erde (1982), Die Zeit der Bäume (1992), OM oder das Rauschen der scheinbaren Leere (1994), Klang über den Meeren der Zeit (1996), Ewig sein in Stille (2006).

Seit seiner Jugend fotografiert Rainar Nitzsche vor allem Insekten und Spinnen, die sich in seinen Sachbüchern, u. a. Spinnen-Spiegelungen in Menschen-Augen (2004), Spinnen kennen lernen (2012), Spinnen lieben lernen (2013), Spinnen-Sex und mehr (2015), aber auch verfremdet in seinen Kunstbüchern wiederfinden: u. a. Spinnenkunstwelten 2 (2010), Spinnen fantastisch verfremdet (2016). Weitere neuere Kunstbücher: Aliens (2016), Höllenkunst (2017).

Für Elke1

Meiner großen Liebe auf Erden2

die ist wie ich und anders zugleich

die ich / die mich noch immer nicht fand

die wir uns niemals finden werden?

Denn so mag es geschrieben stehen

Von wem und wo?

Warum?

1: Hier und heute in der »Realität«.

2: Die Widmung 2010 - lyrisch, fantastisch, ein unerfüllter Traum.

Inhalt

Vorwort

Prolog

Das Schlafende

Etwas fällt

Damals und jetzt

Erwachen im Abenddämmern

In den Wüsten

Riesen unter und über der Erde

Dima

Höhlenzeichnung

Babylons Götter und Pazuzu

Und die Mühlsteine mahlen

Eunuchen

Alter Mann und alte Riesin

Der Monsterjäger

Raben

Ein schwarzer Magier

Traum von Wölfen

Alte Dinge gehen

Von Vampiren und Nachtgeschöpfen

Aufbruch und Ankunft

Aus Nächstenliebe

Bardo für Vampire

Dämonen

Elwetritsche und Satyrn

Eulenzeit

Feuer und Wasser

Ein Heulen

Immer und immer wieder

Jenseits des Dorfes

K-town

Licht aus Schatten

Monster der Kindheit

SSS

Untot

Der Vampir von T-her

Vampire der einen und anderen Art

Vollkommenheit eines Vampirs

Was geschieht denn da?

Die Werwölfe von Mainz

Eins, zwei, drei

Hier und heute

Farbenort

Ein gewisser Mann

Die Gleise

Hilfeschreie und Erlösung

In einer Kneipe

Irrwelt

Kein Schaffner - ein Yeti?

Mäuse

Meeresstrand

News

Orkan über Deutschland

Pusteblume

Schlangen

Die Strasse hinauf

Die U-Bahn-Fahrt

Verschollen

Wandel in der Welt

Die Weißen

Wer?

Die Zahnfee

Was ist geschehen?*

Schaut ein Mensch ins (N)irgendwo

Alles ist aus!?

Angst und Lichtung

Auf dem Meer

Bei einem Weizenbier

Endlos gespiegelt und dann …

Ich

Jetzt

Reinkarnationen

Die Schwarze Spirale

Spiegelsaal

Sterne

Die Türen eines Hauses

Twin Peaks Inspirationen

Verbunden

Viele Tore

Wüstenweite

Zwillinge

Die Traumfresser*

Schatten

Parallele und verschachtelte Welten

Adern

Blicke empor

Diesseits

Drehbuch

Drei

Du

Ende und Anfang

Erwachen

Gefallen oder gesandt?

Ich weiß alles

Infektionen

Jenseits

Keine Hunde

Kristall

Manfred, Olaf und Moyo

Miau

Mutter

Noch etwas dachte irgendwer

Eine Plattform

Puppen

Spiegel

Der stille Mann

Tagtraum*

Tore vor Toren

Ein Traum

Tunnel öffnen sich

Die Welt im Blatt

Wir

Einst und jetzt

Die den Letzten folgen

Das andere Fenster

Deine Bestimmung

Kindergarten

Teilen unter Männern

Androidin für den Mann

Dein Bett

Sie und ich

Tarnung

Unsterblich

Heute, gestern und morgen

Zeichen kommender Zeiten

Von Komponisten und Sängern

Untergang

Das Hochzeitsgeschenk

Spiro-Bubbles / ES Sie Er

Epilog

Traum und Realität

VORWORT

Liebe(r) LeserIn,

hier gibt es nun wieder einmal neue fantastische Kurzprosa sowie Fotos und Collagen von mir, nicht nur für die, die Action und einen Ausblick in die Zukunft lieben, sondern auch für die etwas Nachdenklicheren unter uns. Denn es geht auch um verschiedene Daseinsebenen, parallele und ineinander verschachtelte Welten und Universen.

Die Texte habe ich thematisch auf mehrere Kapitel aufgeteilt, innerhalb dieser alphabetisch nach dem Titel angeordnet mit Ausnahme des 1. und 6. Kapitel (geschichtlicher Ablauf). Die in einigen Texten vorkommenden Personen Manfred der Magier, seine große Liebe Nairra/Moyo und ER aus dem schwarzen Universum T-her sind die Helden meiner PFAD-Romane. Zur besonderen Schreibweise in zwei Fällen: »Sonn« steht für »Sonne«, »Mondin« für »Mond«. Denn er ist Vater (fast) allen irdischen Lebens, sie aber leuchtet voll und magisch in der Nacht. Mit WEISS ist GOTT in seiner reinsten Form in optischer Betrachtungsweise gemeint. In IHM treiben die Höllenwelten, auch Universen genannt, schwarze Flecken, winzige Makel. Wir alle sind somit ein Teil von IHM - eine pantheistische Weltauffassung. Er Dort Oben aber ist nicht GOTT, sondern ein gewisser Rainar, dieser Autor, der da in seiner Menschenwelt auf Erden lebt und andere Welten mit seinen Texten erschafft. Einige Mona Lisa Bilder sowie weitere hier nur in Schwarzweiß gedruckte Werke gibt es in meinem Buch »Kunstwelten« in Farbe zu betrachten. Und noch ein Wort: Ich habe mich in der Neuauflage bemüht, einige Formulierungen zu optimieren und kleinere Druckfehler zu korrigieren und habe einige neue Bilder hinzugefügt.

Ihr Dr. Rainar Nitzsche, Kaiserslautern, August 2017

Das Schlafende erwacht

PROLOG

Das Schlafende

Etwas fällt

Etwas fällt - und eine Welt, ach viele Welten entstehen, vergehen. Etwas fällt. Ein Knall.

Domino fällt dir ein. Erst ein Stein, dann zwei, dann drei, dann vier, fünf, sechs, sieben, acht und immer mehr. Das ist die kausale Kette, Ursache und Wirkung. Die fallenden Steine sind eine von vielen Folgen, die sich in alle Richtungen verzweigen.

Ein Hund bellt. Tauben fliegen auf. Etwas fällt. Die Bewegung breitet sich aus.

Etwas fällt. Das langsam fließende Glas zerspringt. Wie rasch das geht!

Weder die eine noch die andere Bewegung des Glases nehmen deine Augen, dein Gehirn, nimmst du wirklich wahr.

So endet die Vase auf dem Zimmerboden. Rote Rosen in einer Pfütze - zwischen Scherben.

Trittst du hinein? Schreist du schon?

Nein, nicht ins scharfe Glas, dorthin nicht.

Und doch. Etwas passiert – dir. Denn jetzt rutschst du im Wasser aus. Deine Füße gehen dir voraus. In Zeitlupe gleitet dein Hinterkopf der Erde entgegen. Etwas fällt.

Es hört nicht auf, denkst du und wunderst dich zugleich: Das bin ja ich, der da fällt. Welch seltsames Gefühl, so plötzlich allen Halt unter den Füßen verloren zu haben.

Nein, so schlimm ist es eigentlich nicht, rasen andere Gedanken in dir. Irgendwann muss ja der Aufprall kommen. Da bist du dir ganz sicher. Doch wie und wo und wann? Was dann?

Während du fällst und fällst, noch immer fällst und immer weiter nach hinten überkippst – »Das endet einfach nie!«, schreit irgendwo, so fern, Panik in dir auf -, während du noch immer mit geschlossenen Augen fällst, siehst du Bilder aus längst vergangenen, aus zukünftigen, aus gegenwärtigen, aus wer weiß was für Tagen zeitlupenhaft in dir emporsteigen. Nein, du siehst da nicht nur Bilder, sondern lauschst auch Klängen, atmest morgenländische Düfte ein, erlebst all dies zugleich, denn du bist längst mittendrin – in vielerlei Gestalt.

»Pazuzu«, flüstert irgendwer voller Ehrerbieten.

Du rast an ihm vorbei, der dieses spricht und sich vor dir verneigt.

Und du bist Manfred der Magier bei Tag und Moyo als schwarze Pantherin in der Nacht, zugleich auch ER von T-her, nicht aber die Mückenfrau, die blutsaugende Fledermaus und auch kein gewöhnlicher Vampir der menschlichen Art.

DAMALS UND JETZT

Erwachen im Abenddämmern

Schwarze Wolken dort oben. Die waren nicht immer dort, noch werden sie ewig sein. Das ist klar. Jetzt aber sind sie da. Also ist es dunkel geworden auf Erden.

Schwärze war und ist gegangen, denn nun erstrahlen sie in wechselnden Farben, von Rot über Gelb und Grün bis Blau.

So ist es, wie es ist und eigentlich niemals sein kann, denn gelb leuchtet noch immer der Sonn, rot geht er auf und unter. Doch wie es ist, so ist es. Der Schläfer erwacht.

Der Schläfer?

Nein.

Die Schläferin?

Die auch nicht.

Es ist nicht er noch sie, Es ist es. Das Schlafende steht auf aus Seinen Träumen.

Doch Halt, Es, also eins ist es schon lange nicht mehr. Wir sind nun hier, drehen Uns im Kreis und schreien mit schrillen Stimmen Unseren Schmerz der Wiedergeburt und Unsere Freude, brüllen Unser Leben in die Weite hinaus. Wie bebt die Erde unter Unseren Füßen, die sie betasten und auf ihr tanzen. Grelle Blitze zucken aus den Wolken.

Wir drehen Uns noch immer um Uns selbst, schließen Unsere Münder und Schnäbel nicht, und hören nicht auf zu stridulieren, so wie es im Kleinen auch Insekten- und Spinnenmänner tun.

Sprites, violett und rot, brennenden Christbäumen gleich, wunderbar verästelt und grell, so hell, erstrahlen weit oben über der Erde. Bluejets schießen aus Wolken nach oben empor. Und nicht nur die, auch Elves, Elfen der besonderen Art, grün leuchtende Ringe tanzen in der Ionosphäre, 100 km über der Erdoberfläche.

Von unten können Wir sie nicht sehen. In Uns aber nehmen Wir sie wahr. Als wären die Wolken Spiegel, so drehen Wir Uns auch dort oben, doch gegen den Uhrzeigersinn.

Und den Blitzen folgen Brummen und Donnern hier unten.

Noch immer drehen Wir Uns hier und da.

Noch immer singen Wir im Wind schneller und immer schneller. Alles rast.

Wärst du hier, so sähest du und röchest längst, dass dies hier kein Menschenkörper ist. Aber du bist ja nicht da. Also nimmst du nichts wahr. Kein Mensch lebt hier weit und breit. Wen wundert’s, denn Menschen wird es auf Erden erst in Jahrmillionen geben.

Abenddämmern. So legt sich Vater Sonn zur Ruh. Rasend schnell versinkt er dort in der Ferne, geraffte Zeit, spiegelt sich in gigantischer Größe in Unseren Augen, purpurrot und violett am Horizont.

Nun hat die Nacht alle Dinge eingehüllt in ihren schwarzen Mantel, doch nur für die Anderen, die im Tag leben und jetzt schlafen.

Wir aber werden jetzt erst richtig munter.

Dort funkeln die Sterne. Wie hell die Mondin doch leuchtet – so rund, so voll, so gewaltig groß, so wunderbar.

Wir schauen sie dort außen, also werden Wir sie immer in Uns sehen, für alle Zeit.

Längst drehen Wir Uns nicht mehr, jetzt schweben Wir, stehen still in der Luft und lauschen. Wir warten.

Doch niemand antwortet. Denn niemand ist hier, der ist wie Wir. Niemand hat Unseren Ruf vernommen und ist ihm gefolgt. Niemand ist unterwegs zu Uns. Wir wissen längst, dass alles vergeblich ist, dass niemand kommen wird. Schwebend verharren Wir noch immer still.

Jetzt ist die Zeit gekommen. Jetzt heben Wir Unsere zahlreichen Arme voller Sehnsucht empor. Nachhause, dorthin zu den Sternen, die Unsere Heimat sind, bricht schreiend Erinnern aus Uns hervor. Doch schon fallen Unsere Hände kraftlos in den Schoß dieses einen von so vielen Planeten zurück, der niemals unsere Mutter war, nicht ist, noch jemals sein wird. Denn aus den Himmeln wurden Wir geworfen und auf die Erde verbannt. Denn hier unten sollen Wir ...

Was sollen Wir hier tun?

Wir wissen es nicht.

Weil Wir es vergaßen? Weil wir es erst dann wissen sollen, wenn die Zeit gekommen ist?

Also wissen Wir es noch nicht?

Wir träumen davon daheim zu sein.

Erinnern Wir Uns, wie es war, wie es geschah, wie Wir die Reise zu diesem Planeten3 hier schafften?

Nein. Wir träumen weiter. Und träumend lösen Wir uns von Unserem Körper. Ringe aus Licht, Ringe aus Schwärze lassen Wir vor Uns im Raum entstehen. Schaut, sie verbinden sich, wachsen zusammen und bilden einen Tunnel, der irgendwo im Nirgendwo enden mag. Der Tunnel rollt sich auf und bildet eine Spirale.

Und jetzt erwacht der wahre Traum von Stille und Leere, die alles ist.

Dann ist auch der Traum gegangen, kein Denken, kein Wünschen, kein … Aufgehen im …

(Schweigen)

LEERE

3: Erde

In den Wüsten

Du erinnerst dich?

Seltsame Dinge erzählen sich Magier von dunklen Wesen, die weder weiblich noch männlich, die gänzlich ohne Geschlecht sind. Es sind Geschichten von Gut und Böse, Schwarz und Weiß, also Weiß und Schwarz, denn die Guten sind natürlich strahlend weiß und die Bösen zumindest dunkel, Wesen der Nacht, sie scheuen das Licht. Es sind Geschichten, die in fremden Ländern unserer Erde spielen, auf anderen Planeten dieses Alls, vielleicht aber auch in anderen Universen, oder aber hier an diesem Ort, ja, genau dort, wo du gerade sitzt und diese Worte hier liest. Doch nur keine Panik, don’t panic!, nicht jetzt, noch nicht, zu anderer Zeit, ja, damals …

»Bruder!«, schrie einst ein Wesen in den weiten heißen Wüsten in den Himmel hinauf und sah doch nicht hin, »Bruder, tu es nicht!«, flüsterte ES mit gewaltiger tiefer, doch schon heiserer Stimme. Und SEINE nackten schwarzen Flügel zitterten. Und SEINE Stimme bebte. Und ängstlich kauerte ES inmitten verbrannter Steppengräser, die da umgeben waren von zerstörten Wäldern und Menschenstädten. »Ich will leben!«, brüllte ES SEINEN (für Menschenohren, die es hier nicht mehr gab) lautlosen Schrei in die Weite der Welt hinaus. »Bruder!«, schrie dieses in dieser großen Welt so winzig erscheinende Wesen ein drittes und letztes Mal, denn schon sank IHM SEIN Kopf auf die Brust.

Ja, ES trug einen Kopf und besaß auch einen Körper. Schließlich hatte es ja auch Flügel, die irgendwo befestigt sein mussten. All die Wesen, die von IHM vernichtet worden waren, sie alle hatten ES »böse« genannt, natürlich, denn ES hatte gegen sie gewütet. Auch wir hätten IHM einen Namen gegeben, wir Menschen gaben IHM ja einst den Namen SHTN, das heißt Sheitan. Auch Satan und Eblis nannten wir ES. Schwarz war ES und brachte millionenfachen Tod über die, die am Tag lebten, die den Tag liebten.

Apropos Liebe, ewig wollte ES sein, so hasste (liebte, würden wir Menschen dazu sagen) ES mehr als all die anderen Wesen dieser und anderer Welten sich selbst. Und doch war ES nur eins, also allein. Fühlte ES sich gar einsam?

Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen, ist dies: Gewaltig groß war SEINE Angst vor dem Licht, also vor dem Tag, wenn der Sonn vom hellen Himmel brannte, damals auf dieser einen Welt dieses einen von so vielen Universen, die die Menschen »Erde« nennen. Denn ES war ein schwarzes Wesen der Nacht.

In SEINEN Alpträumen erinnerte ES sich, wie es war, wie es immer wieder wiederkehrte, wie es war, wie es ist, wie es immer sein würde. ES sah alles nicht nur so, wie ES es erlebte, spürte, erfühlte, sondern nahm alles von innen und außen zugleich wahr. Dann irgendwann, endlich legte ES sich vor dem Morgendämmern zur Ruhe, denn SEIN Werk war vollbracht. Und seltsam mag es zunächst dem Außenstehenden erscheinen, dass ES sich diesmal nicht in eine SEINER zahlreichen Höhlen, Grüfte und Verstecke zurückzog und auch nicht in die Tiefen der Wasser hinabstieg, sondern sich einfach in die von IHM verbrannte Steppe, die nun Wüste war, legte. Warum aber tat ES das, weshalb nur, warum?

Kein Mensch weiß es. Ach so, es gibt ja auch keine Menschen mehr, denn ES hat sie alle getötet.

Dort blieb ES liegen und schlief ein.

Früh am Morgen bricht der Sonn über den Bergen hervor.

Und die schwarzen Augen des schwarzen, schwarz geflügelten Wesens, diese Augen, in denen träumend ganze Kosmen sich drehen, reißen vor Entsetzen auf, dreimal brüllt ES auf und bittet den Bruder um Erbarmen, um etwas, das ES niemals kannte. In sich sieht ES ein letztes Mal all das, was ES in SEINEM Äonen währendem Leben der Welt brachte. Schwarz liegt alles vor SEINEM inneren Auge dar, still, vernichtet und tot. So sollte es sein, so ist es gut, ist gerichtet, gerächt und recht, ist alles richtig. Ich habe allen Tod gebracht, denn das ist mein Lebenssinn, dafür bin ich geschaffen.

Wie brennen die Strahlen des weißen Sonn dort oben in SEINEN längst geschlossenen Augen. Blindheit bringt dieses Licht allen Wesen der Nacht, also auch IHM. Wärme frisst sich in SEINE schwarze Haut. »Feuer« schreit sie, Flamme ist sie, löst sich in Fetzen ab, fällt brennend auf schwarze Erde nieder. Muskeln schmoren und lösen sich auf, Knochen und Hirn schmelzen. Alles wird zu qualmendem weißen Staub. So ist nun die schwarze Erde hier an diesem einen Ort ganz weiß geworden. Nichts ist von IHM, von der SCHWAERZE geblieben.

So tötet der Bruder die Schwester. So tötet der lachende Tag die Nacht. So tötet das Licht die Schwärze.

Und die Erde blieb wüst und leer in strahlendem Glanz bei Tag und in brütender Schwärze bei Nacht - für lange, lange Zeit.

Riesen unter und über der Erde

Es ist Nacht. Dort oben strahlt die Volle Mondin, so blass, so kühl, so kalt. Hier unten auf Erden aber taut es jetzt. Also hat der Riesenmaulwurf die Erde gleich einem Wal durchbrochen, der von Zeit zu Zeit an die Oberfläche des Meeres kommt, um zu atmen.

Ihr Licht aber tötet Ungeheuer dieser Art auf der Stelle, so wie es auch das Licht des Sonn am Tage tut. Denn dieser Riese lebt unter der Erde, also kann er niemals über der Erde existieren.

Das zumindest glauben und erzählen sich seit Jahrtausenden die Inuits, besser im Westen als Eskimos bekannt, an den Küsten, die den Wal kennen, den sie fingen und noch immer fangen und essen, und die auch die Knochen und Körper der Giganten im Eis von Zeit zu Zeit erblickten, die immer ohne Leben waren.

Warum?

Eben, weil sie im Mondinlicht starben.

Der Naturwissenschaftler aber lächelt über all das.

Weise, nein, weiße Männer kommen aus dem fernen Westen des Zarenreichs und bergen einige der Riesen, stopfen und stellen sie im fernen St. Petersburg aus. Und die Besucher des Museums lesen den Namen, den Menschen dem Wesen gaben, das weder Riese noch Maulwurf ist, einst weit verbreitet lebte und nun nirgendwo mehr auf Erden existiert und doch neu geschaffen als Klon bald wieder existieren mag. Und sein Name besteht nur aus zwei mit einem »M« beginnenden Silben. Ja, so ähnlich klingt es, nein, nicht »Mahmud« der Gepriesene ist gemeint, hier geht’s doch um ein Tier, dessen deutscher Name »Mammut« lautet.

Dima

Du versuchst dich zu befreien, herauszukommen. Du sinkst immer tiefer. Du strampelst mit deinen stämmigen Beinen. Du öffnest deinen Mund, laut rufst du um Hilfe. Noch ragt deine Nasenöffnung über die Erdoberfläche hinaus, noch atmest du. Doch du hörst nicht auf zu sinken.

Deine Mutter ist dir so nah, bei dir, sie berührt dich und – hilft dir nicht. Auch die anderen, deine Geschwister und Tanten, sie alle sind nicht fern.

Sie können nichts tun. Denn hier im Schlamm bist du allein. So sinkst du tiefer und tiefer. Noch atmest du Luft durch deinen Rüssel, dann …

Der Frühling kommt. Es taut das Eis – ein wenig. Schlammströme ergießen sich dorthin, wo du noch immer liegst und all dies schon lange nicht mehr registrierst, es sei denn, deine Seele, die eine oder eine der vielen, die du besitzen magst oder auch nicht, weilte noch immer bei dir. Schlamm deckt dich, der du vom eisigen Boden umgeben bist, zu. Der aber hat längst die Feuchtigkeit aus deiner Haut gesaugt. So wirst du bewahrt, lange schon tot, für Zeiträume, die du dir niemals vorstellen könntest.

40 000 Jahre später entdeckt ein Mensch deinen Körper im Permafrostboden Sibiriens. Von »Dima« sprechen und schreiben die Medien. Aber deinen wahren Namen kennt niemand mehr, denn all deine Artgenossen sind längst gegangen. Menschen bergen dich und stellen dich aus, ein Baby des weit verbreiteten und bis vor 3700 Jahren auf einer Insel überlebenden Wollhaarmammuts (Mammuthus primigenius). Ein Junge bist du, der abgemagert unter Parasiten litt und dem wohl deshalb die Kräfte fehlten, um sich selbst aus dem Tümpel zu befreien.

Ach ja, und die Scheiße, sorry, den Kot deiner Mutti sollst du, wie alle anderen Mammutjungen auch, gefressen haben, um die nötigen Bakterien für die Verdauung aufzunehmen, behaupten die Menschen und haben wohl Recht.

Pläne für die Zukunft entstehen: Menschen wollen dich oder einen deiner Artgenossen klonen.

Wie einleuchtend klar all diese Worte im TV doch klingen. Der Zuschauer staunt darüber, was die Experten so alles wissen. Und doch ist es ja nur etwas Fakt und viel Fiction. Denn heute sind Spannung und Action gefragt, auch in der Wissenschaftsdarstellung in den Medien. Und kaum gesendet ist schon alles wieder vergessen, denn neue Sensationen warten darauf, die Gier der Massen zu befriedigen.

Höhlenzeichnung

Sehr pornografisch, der erigierte Penis, die offene Vulva, um das einmal vornehm auszudrücken.

Und was ist das?, denkst du mir zu.

Dein steifer Schwanz, antworte ich, ohne meine Lippen zu bewegen, was sonst.

Und was ist hier?, denke ich dir zu.

Deine so wunderbar duftende, samtweich und schwarz behaarte Muschi, was sonst.

Und so haben wir es hier in dieser Höhle an die Wand gemalt. Und nun träumen wir davon, wie unsere Kindeskinder in ferner Zeit - die wir uns niemals vorstellen können und es doch versuchen, denn wir sind Menschen - weiterziehen, dem Wild hinterher, und irgendwann wieder hierher zurückkehren und diese Zeichnung entdecken.

Was werden sie denken bei dem, was sie hier sehen? Welche Gottheiten, welche Symbole, welche Riten werden sie sich erdichten?

Wie lustig all dies doch ist! - Für einen Augenblick.

Denn kaum gedacht, laufe ich auch schon davon, und du mir nach im Liebesfangelreigen. Denn wir sind jung und gesund. So wollen und werden wir Kinder haben. O ja!, wir wissen genau, wie das geht, denn wir malten es ja an die Wand.

Babylons Götter und Pazuzu

Nicht die alte Stadt, auch nicht die neue ist gemeint, sondern die Babylonausstellung im Pergamonmuseum zu Berlin. Schließlich leben wir im beginnenden 21. Jahrhundert und in Deutschland, also mitten in Europa.

Ach ja, und wieder zuhause schaust du im Internet nach und entdeckst, dass Babylon einst einmal ein wenig anders hieß. »Babilla« nannten die Akkader ihre Stadt, die dann Anfang des 2. Jahrtausends vor Christus zum babylonischen »Babili« wurde, dem Gottestor. Vielleicht erinnern wir uns an den Geschichtsunterricht in der Schule, Hammurabi war hier einst König, dessen Gesetzessammlungen noch heute Bewunderung erregen. Das also sind die beiden ersten Namen dieser einst so mächtigen Stadt. Dann, viel später schrieben die Griechen den Stadtnamen in »Babylonia« um, hebräisch »Babel«, woraus schließlich im Deutschen »Babylon« wurde.

Vier weitere Fremdwörter sind dir von der Ausstellung im Gedächtnis haften geblieben, die da lauten: Ischtar, Marduk, Sin und Pazuzu. Du erinnerst dich, dass da auch Götternamen darunter waren. Also schaust du bei Wikipedia und andernorts nach, was es damit so auf sich hat.

Ischtar heißt das große Tor, das da gewaltig hoch vor dir aufragte, der du nur einer von so Vielen im Strom der Touristenscharen warst. Und du durftest weder hindurchgehen, noch es fotografieren. Dieses Tor trägt ihren Namen: Ischtar, auch »Eschtar« genannt, die große Göttin der Liebe.

Marduk aber war der Stadtgott Babylons, der eine und höchste Gott des Reiches, der fünfzig Namen trägt. Herr der Götter ist er, der den Frühlingssonn bringt, Richter und Magier zugleich. Immer aber bei ihm weilt Muschhuschschu, aus älteren Menschenzeiten bekannt, das von Tiamat, dem Urchaos, erschaffene Ungeheuer mit seinem Schlangenleib, dem gehörnten Schlangenkopf, den Vorderfüßen eines Löwen, den Hinterfüßen eines Adlers, zudem mit einem Skorpionsstachel versehen. Und wie der Schlangendrache bei Marduk weilt, der Tiamat besiegte, so hat er das Chaos gebändigt.

Sin, Suen oder Suin aber ist das glänzende Boot des Himmels, die Mondsichel - ein Bote. Wir schauen auf und gleiten dahin durch Schwärze, völlig weggetreten.

So weit, so gut, sagst du dir, als du wieder bei Sinnen bist. Doch was habe ich eigentlich mit diesen drei alten Göttern zu tun, abgesehen davon, dass ich ihre Namen gelesen habe?, fragst du dich auch schon.

Werde ich etwa durch das Tor der Liebe treten oder auf dem Drachen reiten, Herr über Babylon sein und den Turm bauen lassen, um den Himmel zu stürmen?

Was wird der Bote Sin für mich sein? Wird die Mondsichel mich mit sich führen, hin zum Wüstentor, das ich durchschreiten werde, einem Zeittunnel, Transmitter gleich, der meinen Körper oder aber meinen Geist, meine Seele an anderen Ort in anderer Zeit katapultiert?

Doch wie auch immer alles geschehen mag, von einem haben wir ja noch gar nicht gesprochen: Sein Name lautet Pazuzu. Er ist der Dämon mit dem Schlangenpenis, dessen Statuen die Schwangeren vor Lamaschtu schützt. Und wie lustig: »Kindbettfieber« werden die Menschen Lamaschtu Jahrtausende später nennen, die seltsamerweise glauben, dass es gar keine Dämonen gäbe.

All das hast du dir, der du in Berlin geboren wurdest, an einem von drei Tagen deiner fünftägigen Touristenberlinreise angesehen.

Wie lange mag das jetzt schon her sein?

Wann geschah das, wenn es denn jemals geschah?

Denn wer weiß, alles könnte ja nur ein Traum gewesen sein.

»2008«, flüstert eine Stimme in dir.

Und wer ist diese Stimme?, wunderst du dich einen Augenblick lang und hast sie auch schon wieder vergessen. Die Stimme, ja, aber nicht die Zahl. Könnte eine Jahreszahl sein. Doch worauf mag sie sich beziehen? Du weißt es nicht, öffnest deine Augen und – bist schon mittendrin.

Wo?

Na, hier in Babylon, wo sonst! In der großen Stadt, wo es von Menschen nur so wimmelt, die alle irgendetwas tun, was dir einen Augenblick lang doch sehr befremdlich vorkommt. Denn es ist sonnig und warm, nein, richtig heiß.

Wie … (komme ich hierher?), willst du fragen und tust es nicht.

»Welches Jahr schreiben wir?«, flüsterst du dir lautlos zu.

Welches Jahr in welcher Zeitrechnung?, wäre wohl die richtige Frage. Die hier und jetzt gültige kenne ich doch nicht. Und die, die mir geläufig ist, kann hier ja gar nicht gelten, denn als diese Stadt blühte, also hier und jetzt, gab es den einen Propheten GOTTES von so vielen noch nicht, den seine Anhänger Erlöser und Messias, ja Sohn GOTTES und als Teil einer Trinität GOTT selbst nennen. Also kann mir hier wohl kaum einer (abgesehen vom Sprachproblem - dem klitzekleinen Unterschied zwischen Deutsch des 21. Jahrhunderts und Altsumerisch) mit der Zeitangabe »xxxx vor Christi Geburt« dienen, damit ich endlich weiß, wann ich bin.

Doch spielt das Jahr denn eine Rolle?

Nein. Ich kenne den Ort, und der ist Babylon. Da bin ich mir sicher und weiß doch nicht warum. Ich kenne das Jahr nicht, doch erinnere ich mich düster, dass da nach Alexander dem Großen mit Babylon nicht mehr viel los war. Also befinde ich mich nun wohl mehr als 2300 Jahre vor meiner Zeit. Ja, das ist doch schon einmal eine Antwort auf das Wann?

Wichtiger als all dies, ist jedoch die Frage aller Fragen: Was wird nun geschehen?

Und was soll ich jetzt tun?

Oder vielleicht noch schlimmer – oder auch besser, wer weiß das schon?: Was tut wer mit mir?

Und die Mühlsteine mahlen

Und die Mühlsteine mahlen.

Das eine sind die Dinge: Mühlsteine. Die Tätigkeit ist auch offenkundig: Sie mahlen.

Das andere aber sind Menschen. Ich, du, er, sie, es - wir, ihr, sie. Wir alle sind hier. Also sind »Was« und »Wer« geklärt: Mühlsteine und Menschen.

Das »Wen« aber könnte noch immer offen sein. Doch nur einen winzigen Augenblick lang, denn alles geht ja so rasch, rasend schnell. Denn weiter geht der erste Satz: Und die Mühlsteine mahlen - uns alle platt zu Matsch.

Schreien wir?

Nö. Wir tun es nicht mehr. Wie sollten wir auch, wenn da nicht mehr viel von uns übrig ist.

Schrieen wir, als wir noch lebten?

Na klar, wir taten es. Und wie!

Jetzt aber träumen wir von einem weiten, warmen Land aus Sand.

Ach, wir liegen ja schon mittendrin, lösen uns auf, sind längst zu Staub zerfallen. Wind kommt auf, nimmt uns mit sich fort in dieser klaren Nacht der Nächte.

Und aus dem Wind wird Sturm, in dem Dämonen singen. Und einer ist besonders laut, kommt immer näher. Pazuzu heult uns zu, der da aus Südosten weht, so kalt, fiebrig heiß zugleich und die Pest mit sich tragend. Er ist es, der uns zu sich bringt, in seine Zeit an fernen Ort, ins uralte Babylon. Dort erwachen wir. Seltsamerweise wissen wir, wie es um uns bestellt ist: Wir sind tot, gestorben. Davor aber lebten wir in einer fernen Zeit, die hier und heute »Zukunft« heißt.

Pazuzu nickt und lächelt uns an, seine rechte Hand zum Gruß erhoben, sein linker Arm hängt herab.

Übrigens sieht er gar nicht furchterregend wie ein Dämon aus, sondern ist in Tuch gekleidet wie alle Menschen hier, also auch wir.

Andererseits heißt das auch: Wir wissen nicht, ob er vielleicht etwas unter seiner Kleidung verborgen hat. Bei Menschen sind das oft Waffen, bei ihm jedoch …

Wieso ist er hier überhaupt so unscheinbar?

Perfekte Tarnung oder wie oder was?

Oder sind wir allein es, die nicht nur wissen, wer er ist, sondern ihn zugleich auch körperlich wahrnehmen können – als einen Menschen unter vielen?

Wie anders sind da doch die Schutzfiguren gestaltet, die seinen Namen tragen: Sie besitzen Adlerfüße an beiden Beinen, einen Hundekopf, vier große Flügel auf dem Rücken und …

Darauf sind die Frauen unter uns schon ganz scharf, denn solch einen schlangenköpfigen Schwanz – nein, nicht den skorpionsartigen hinten, sondern den vorne und unten, ja, dort, wo dieses schlaffe Ding bei Menschenmännern hängt - haben sie noch nie in sich gespürt. Ob er sie wohl erst züngelnd leckt, außen und auch noch innen, und dann hemmungslos unter Wonnen bis zur Besinnungslosigkeit vögeln wird?

Sie werden es erleben, o ja!, sie werden ihn in sich spüren, da bist du dir ganz sicher.

Weil du so bist oder sein willst wie er?

Das ist das Schicksal der Frauen, die mit uns aus unserer Zeit herkamen. Sie wollten es ja. Von seinem Samen werden sie schwanger sein. Und er wird sie vor der Dämonin mit Namen Lamaschtu, der Tochter des Anus, beschützen, die das Kindbettfieber erzeugt. Frauendinge.

Doch wie werden seine Kinder sein, die Menschen und Dämonen zugleich sind?

Werden sie mehr nach dem Vater oder der Mutter geraten?

Das ist das Eine.

Etwas ganz Anderes ist, was mit mir und den anderen Männern geschehen mag?, fragst du dich und weißt doch keine Antwort, schläfst müde ein und wachst nicht auf.

(Noch nicht? Nie mehr?)

Eunuchen

»Du stehst wie ein Eunuche«, ruft irgendwer dir zu, der du gerade am Pinkeln bist.

»Wie stehen denn Eunuchen?«, flüsterst du dir selber zu, der du keiner bist, auch wenn es da - nicht immer, aber immer öfter in deinem Alter und bei all den Herzmedikamenten Probleme mit der Erektion geben mag, nun ja, gibt. Geschrumpft scheint er dir auch zu sein.

Was, wer?

Na, dein Schwanz, wer sonst!

Doch immerhin ist noch alles vorhanden, weder amputiert noch verdorrt und abgefallen.

Und nun fallen dir die Kastratensänger in den christlichen Kirchen des Barock ein, Frauen nicht erlaubt, also waren sie zuständig für die hohen Stimmen, Altus, Alt. Wie überirdisch schön diese Knabenstimmen doch klangen!

Klangen?

Klingen, denn du hörst sie jetzt ja in dir.

Also war ich einst einmal einer von ihnen?

Oder was mag das alles bedeuten?

All das träumst du vor dich hin. Doch schon sind deine (sind sie es denn?) Gedanken weitergeprescht, davongerast, hin zu den in allen Zeiten kampf- und kriegsverletzten Männern, denen die Genitalien abgeschlagen oder weggeschossen wurden, und denjenigen, die sie bei Unfällen verloren.

Auch erinnerst du dich an die Erzählungen und Filme über arabische Harems: so viele hübsche Frauen mit ihren entmannten Wächtern. Und wie unvorstellbar groß doch die Eunuchenzahl war, die einst am Hof des chinesischen Kaisers lebte. Du hast davon gehört, dass damals arme Bauern eigenhändig ihre Söhne kastrierten, um sie dann an den Hof zu schicken, damit sie dort als Tàijiân - Palasteunuchen angestellt würden – kein Hungern mehr und ein sicherer Job zudem.

»Zunächst waren es nur 3 000, schließlich 70 000«, flüstert eine hohe Stimme in dir und lacht und hört nicht mehr auf zu kichern

Wer mag das sein? Bin ich besessen?

Dann geschieht eine Zeitlang, die dir wie eine Ewigkeit vorkommt, nichts, bis auf einmal eine geheimnisvolle Stimme hell und klar im Altus nur einen Namen singt, der dir gänzlich fremd vorkommt, nun ja, er war es bis zu diesem Augenblick, denn er lautet »Kybele«. Dazu zeigt dir der, zu dem die flüsternde Stimme gehört, Bilder, bewegte Bilder, einen Film, dreidimensional, ach, zieht dich ja jetzt gänzlich in diese ferne Zeit der alten Götter hinein und spricht zu dir gleich einem Reiseführer: »Dort oben auf dem Berg Agdos in Phrygien schläft Papas, der Göttervater, besser bekannt unter dem Namen Zeus.