Das Schweigen des Todes - Ana Dee - E-Book
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Das Schweigen des Todes E-Book

Ana Dee

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Beschreibung

Ein Serientäter mit grausamen Plänen hält die Ermittler in Atem
Der fesselnde Schwedenkrimi über düstere Abgründe der menschlichen Psyche

In dem idyllischen Küstenstädtchen Kalmar wird die friedliche Atmosphäre von einer grausamen Verbrechensserie erschüttert. Ein rätselhafter Serientäter treibt sein Unwesen: Er verstümmelt und lobotomisiert junge Frauen. Die Ermittlerin Anna Grönberg und ihr Team nehmen sich des Falls an, stoßen allerdings bald schon auf eine Mauer des Schweigens. Als die Ermittlungen in eine Sackgasse geraten, wird der renommierte Fallanalytiker Jonas Lundgren aus Göteborg hinzugezogen. Doch dann wird eine weitere Frau vermisst und Anna und Jonas müssen sich dem Wettlauf gegen die Zeit stellen. Können sie den Täter stoppen, bevor er erneut zuschlägt?

Erste Leser:innenstimmen
„Fesselnder Skandinavienkrimi! Ein Pageturner bis zur letzten Seite.“
„Düster, durchdacht, dramatisch“
„Spannender Krimi in idyllischem Küstenstädchen.“
„Serientäter, Lobotomie und eine Mauer des Schweigens sind die Zutaten eines raffiniert gestrickten Kriminalromans.“

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Seitenzahl: 341

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Über dieses E-Book

In dem idyllischen Küstenstädtchen Kalmar wird die friedliche Atmosphäre von einer grausamen Verbrechensserie erschüttert. Ein rätselhafter Serientäter treibt sein Unwesen: Er verstümmelt und lobotomisiert junge Frauen. Die Ermittlerin Anna Grönberg und ihr Team nehmen sich des Falls an, stoßen allerdings bald schon auf eine Mauer des Schweigens. Als die Ermittlungen in eine Sackgasse geraten, wird der renommierte Fallanalytiker Jonas Lundgren aus Göteborg hinzugezogen. Doch dann wird eine weitere Frau vermisst und Anna und Jonas müssen sich dem Wettlauf gegen die Zeit stellen. Können sie den Täter stoppen, bevor er erneut zuschlägt?

Impressum

Erstausgabe Januar 2024

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98778-598-6 Hörbuch-ISBN: 978-3-98778-595-5 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98778-784-3

Covergestaltung: ArtC.ore-Design / Wildly & Slow Photography unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © Stefan Holm, © elegeyda, © PhotoVisions Lektorat: Katrin Gönnewig

E-Book-Version 19.04.2024, 14:08:19.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Das Schweigen des Todes

Jetzt auch als Hörbuch verfügbar!

Das Schweigen des Todes
Ana Dee
ISBN: 978-3-98778-595-5

Ein Serientäter mit grausamen Plänen hält die Ermittler in AtemDer fesselnde Schwedenkrimi über düstere Abgründe der menschlichen Psyche

Das Hörbuch wird gesprochen von Silke Buchholz.
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Prolog

Der Schlüssel wurde im Schloss herumgedreht und Lena erwachte. Wie ein Tier in Todesangst drückte sie sich in die Ecke. Sie zitterte und wollte nicht weinen, wollte stark sein, aber die salzigen Tränen tropften auf das OP-Hemd, das sie tragen musste. Verstohlen wischte sie sich mit dem Handrücken über die Augen.

„Aufstehen!“, donnerte seine Stimme durch den Raum.

Zögerlich kam sie seiner Aufforderung nach.

„Setzen!“ Er deutete mit einer unmissverständlichen Geste auf den Stuhl.

„Bitte nicht …“, hauchte sie.

„Setz dich“, wiederholte er mit drohender Stimme.

Sie zuckte unter seinen Worten zusammen und schob ängstlich einen Fuß vor den anderen, bis sie den Stuhl erreicht hatte. Dann blieb sie stehen und rührte sich nicht.

„Ich will noch nicht sterben“, sagte sie und sah ihn flehend an. „Bitte, ich werde auch alles tun. Meine Eltern haben Geld …“

„Vergiss es. Kein Geld der Welt könnte mir diese Genugtuung verschaffen, die ich gleich verspüren werde.“

„Bitte“, flehte sie erneut.

Er versetzte ihr einen Stoß, sodass sie hart auf dem Stuhl landete. Routiniert fixierte er ihre Handgelenke und Beine und richtete sich wieder auf.

„So, das hätten wir“, sagte er mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck und zog den Rollwagen zu sich heran. Er breitete die Bestecke aus, um sie dann sorgfältig zu sortieren. Allein der Anblick des polierten Edelstahls, in dem sich die Lampen spiegelten, verursachte ihr Übelkeit.

„Womit wollen wir denn heute anfangen?“, fragte er und schaute sie an. „Damit vielleicht?“ Er hielt ein Skalpell in die Höhe.

„Nein.“ Sie brachte das Wort nur mühsam heraus.

„Nur keine Angst, wir probieren es einfach aus.“

Der erste Schnitt versetzte sie in Todesangst und sie riss und zerrte panisch an den Riemen, um sich zu befreien. Ein feines Rinnsal bildete sich auf ihrer Haut und tropfte zu Boden. Lena wand sich im Stuhl, versuchte immer wieder, die Gurte abzustreifen. Doch das Leder der Riemen schnitt nur noch tiefer in die Haut. Es war die Hölle, aus der es kein Entrinnen gab.

„Hm, das Skalpell ist wohl doch nicht das passende Instrument“, murmelte er und griff nach einer langen Nadel.

Lena schnappte beim Anblick geräuschvoll nach Luft. „Bitte nicht, ich will nicht sterben.“

„Habe ich je davon gesprochen, dich umzubringen?“

Sie schüttelte den Kopf.

„Na also, alles nur halb so schlimm.“

Wenn er nicht vorhatte, sie zu töten, warum war sie dann hier? Wollte er sie endlos quälen, bis sie darum bettelte, endlich erlöst zu werden? Oder sollte sie selbst Hand anlegen?

Ihr altes Leben musste schon Monate zurückliegen, sie konnte sich kaum noch daran erinnern. Alles in ihr war leer, sie fühlte sich wie ausgehöhlt. Der hohe Stresspegel, verursacht durch seine perfiden Spielchen und die Panikattacken, die sie regelmäßig überkamen, sobald er den Raum betrat, richtete sie seelisch und körperlich zugrunde. Noch keimte das winzige Pflänzchen der Hoffnung in ihr. Aber wie lange noch?

„Dein Schweigen werte ich als Einverständnis, und sobald ich fertig bin, werde ich dich gehen lassen.“

Sie öffnete ungläubig den Mund.

„Was starrst du mich so an? Habe ich, seit du bei mir bist, je mein Wort gebrochen?“

Sie blieb stumm wie ein Fisch, diese Psychospielchen machten sie fertig.

„Gleich zu Anfang habe ich dir versprochen, dich nicht zu töten. Und, atmest du noch?“

Sie nickte.

„Siehst du.“

Ihre Gedanken schossen kreuz und quer. Allein der Anblick des Stuhls, auf dem er sie quälte, war unerträglich. Nein, sie konnte nicht glauben, dass er sie gehen lassen würde.

„Was ist? Vertraust du mir immer noch nicht?“

„Nein“, antwortete sie leise.

„Aber wenn ich es dir doch sage.“

Meinte er seine Worte tatsächlich ernst?

„Was werden Sie mir antun, bevor ich gehen darf?“ Ihre Stimme war nicht mehr als ein leiser Hauch.

„Das wirst du gleich sehen.“

Trotz ihrer Gegenwehr fixierte er ihren Kopf. Eine weitere Panikattacke überrollte sie, als er die merkwürdige lange Nadel erneut in die Hand nahm, und ihr Herz schlug so schnell, dass sie glaubte, es würde in ihrer Brust zerspringen. Das war das Ende.

Kapitel 1

Ulrik drehte mit Tobi gemächlich seine Runde am Morgen und erfreute sich am Sonnenschein. Er liebte die hellen Tage und die gut gelaunten Menschen um ihn herum. Im Winter hasteten sie alle mit gesenktem Kopf an ihm vorbei und wollten ins Warme – kein Vergleich zum fröhlichen Kinderlachen und dem Vogelgezwitscher, die der Sommer mit sich brachte.

Tobi schnüffelte hier und da, markierte mit Feuereifer sein Revier und hechelte den hübschen Hundedamen hinterher, die seinen Weg kreuzten. Ja, das Leben konnte so schön sein, dachte Ulrik. Er hatte ein erfülltes Leben, bekam eine gute Rente, fuhr in den Urlaub oder traf sich mit Freunden. Die restliche freie Zeit werkelte er an seinem Häuschen oder im Garten. Seine Frau Hedda war leider vor sieben Jahren verstorben und seitdem war Tobi ihm ein treuer Begleiter.

Mittlerweile hatten sie den Strand erreicht und Ulrik stapfte durch den weichen Sand. Es war ein herrlicher Morgen. Die Wellen brachen sich am seichten Ufer und die Möwen stießen über den Dünen ihre schrillen Rufe aus. Die Gegend war unverwechselbar: Der Strand ging hier in Wald- und Wiesenflächen über. Keine typischen Dünenlandschaften mit weißem Sand, wie man sie von Postkarten kannte.

Plötzlich blieb Tobi stehen und hob den Kopf, um Witterung aufzunehmen. Seine Lefzen waren hochgezogen und er knurrte leise.

„Ist ja gut“, brummte Ulrik und tätschelte den Kopf des Hundes.

Abermals stieß Tobi ein kehliges Knurren aus.

„Was ist denn los?“, fragte Ulrik kopfschüttelnd. So seltsam hatte sich Tobi noch nie benommen.

Jetzt sträubte der Rüde sein Nackenfell und wich zurück. Nun war auch Ulrik beunruhigt und schaute sich suchend um. Aber er konnte niemanden entdecken.

„Tobi, das ist doch albern“, sagte er, obwohl sein Herz schneller schlug. Irgendetwas war hier faul. „Komm, lass uns weitergehen.“

Er zog an der Leine, doch Tobi weigerte sich und rührte sich nicht vom Fleck.

„Wenn du nicht gleich parierst, gibt es heute kein Futter.“

Tobi ignorierte seine Drohung wie üblich und er kläffte stattdessen lauthals. Er gebärdete sich wie wild, zerrte an der Leine und drehte sich im Kreis. So aufgewühlt hatte Ulrik seinen Vierbeiner noch nie erlebt. Tobi ist sonst freundlich zu jedermann, aber mit dem gesträubten Fell gleicht er einer Furie, die sich kaum bändigen lässt, dachte Ulrik verärgert. Nur Sekunden später bemerkte er eine Bewegung aus dem Augenwinkel heraus und drehte sich um. Er entdeckte eine junge Frau, die splitterfasernackt durch die Düne streifte. Sie war eine Schönheit und erst auf den zweiten Blick bemerkte er die blutunterlaufenen Augen und die Schnitte, die sich über ihren gesamten Körper verteilten.

Hoffentlich war sie keinem Verbrechen zum Opfer gefallen.

„Still jetzt!“, herrschte er Tobi an und band seine Leine an einer Bank fest.

Die Frau stolperte hilflos durch den Sand und Ulrik eilte ihr mit schnellen Schritten hinterher.

„Hallo, so warten Sie doch!“, rief er und winkte ihr zu, aber sie reagierte nicht auf ihn. Wahrscheinlich ist sie traumatisiert, schoss es ihm durch den Kopf und er zog sein Smartphone aus der Hosentasche, um die Polizei zu verständigen.

Während er telefonierte, ließ er die Frau nicht aus den Augen. Sie bewegte sich auf eine seltsame Weise fort, fast so, als wäre sie blind. Dann geschah das Unvermeidbare: Sie stolperte und stürzte. Benommen blieb sie am Boden liegen und verzog nicht einmal das Gesicht. Das ist ungewöhnlich, dachte Ulrik und war mit wenigen Schritten bei ihr.

„Kommen Sie, ich helfe Ihnen auf“, sagte er und reichte ihr die Hand, die sie jedoch nicht ergriff.

Was nun? Er konnte sie doch nicht so entblößt im Sand liegen lassen?

Hastig riss er sich sein Hemd vom Leib und griff der Frau beherzt unter die Arme, um sie wieder aufzurichten. Als er ihr das Hemd überzog und zuknöpfte, ließ sie es wie eine willenlose Marionette geschehen. Es war ihm außerordentlich unangenehm, sie zu berühren, und Scham stieg in ihm auf. Hastig schaute er sich um, aber da war niemand, der ihm hätte helfen können. Nur Tobi kläffte und randalierte ein paar Meter weiter.

Beunruhigt warf Ulrik einen Blick auf die Uhr. Wo blieb die Polizei denn nur, wenn man sie einmal brauchte?

Die Frau schwankte kurz, dann setzte sie wieder mechanisch einen Fuß vor den anderen.

„Bitte, so bleiben Sie doch stehen“, sagte Ulrik, aber sie nahm von seinen Worten keine Notiz. Ihm blieb nichts anderes übrig, als ihren Oberarm zu umfassen, um sie am Weiterlaufen zu hindern.

„Hallo? Was machen Sie denn da?“

Erschrocken drehte sich Ulrik um und blickte in die Augen einer entrüsteten älteren Dame, die ihm mit dem Spazierstock drohte.

„Es ist nicht, wonach es aussieht“, erwiderte er und seine Wangen glühten. Was für ein alberner Spruch. Warum war ihm nichts Besseres eingefallen? Mit nacktem Oberkörper stand er neben dieser wunderschönen jungen Frau und hoffte, dass die ältere Dame nichts Falsches in die Situation hineininterpretierte. „Ich habe bereits die Polizei informiert“, erklärte er.

„Soso, die Polizei.“

Genau in diesem Moment tauchten zwei uniformierte Beamte auf – seine Rettung.

„Sie haben uns verständigt?“, fragte der ältere der beiden Männer.

„Ja.“

„Und das ist die junge Frau, die Sie orientierungslos aufgegriffen haben?“

Ulrik nickte.

„Haben Sie ihr das Hemd übergezogen?“

Noch bevor er den Mund öffnen konnte, mischte sich die ältere Dame ein. „Wahrscheinlich, weil er die junge Frau vorher entkleidet hat.“

„Ich konnte sie doch nicht so entblößt weiterlaufen lassen“, sagte er und bedachte sie mit einem giftigen Blick.

„Arwed, könntest du eine Decke holen“, fragte der Polizist seinen Kollegen, bevor er das Gespräch mit Ulrik weiterführte. „Ist schon ein Krankenwagen unterwegs?“

„Nein, daran habe ich gar nicht gedacht.“

Der Beamte holte Ulriks Versäumnis nach und verständigte anschließend seinen Vorgesetzten. Nachdem sein Kollege mit der Decke zurückgekehrt war, erhielt Ulrik sein Hemd zurück. Dankbar streifte er es sich über und knöpfte es zu. Die Flecken ignorierte er.

„Sie werden eine Aussage machen müssen“, sagte der Beamte.

„Ja, das habe ich mir schon gedacht“, erwiderte Ulrik. „Dürfte ich meinen Hund losbinden?“

„Selbstverständlich.“

„Ja, du bist ein ganz Feiner.“ Ulrik tätschelte abermals Tobis Kopf. Wäre ich am Abzweig nur in die andere Richtung gelaufen, dann hätte ich mir einiges erspart, dachte er.

Auf diesen Stress am Morgen hätte er getrost verzichten können. Wiederum … die Frau hat ihm leidgetan und nicht auszudenken, wenn sie ins Wasser gelaufen und ertrunken wäre. Irgendetwas schien nicht mit ihr zu stimmen, als wäre sie auf Drogen oder so. Ihren Anblick würde er jedenfalls nie mehr vergessen, er hatte sich in sein Gedächtnis eingebrannt.

Bevor er wieder seiner Wege gehen konnte, nahm der uniformierte Beamte noch seine Personalien auf. Der Krankenwagen war schon längst abgefahren, als Ulrik den Heimweg antrat. Was für ein verrückter Morgen, dachte er kopfschüttelnd und entfernte sich mit schnellen Schritten.

Kapitel 2

Anna knallte den Hörer auf und atmete tief durch.

„Es ist eine weitere junge Frau orientierungslos am Strand aufgegriffen worden“, erklärte sie, als sie den irritierten Blick ihres Kollegen bemerkte. „Wir haben wiederholt versagt.“

„Ich hatte die Hoffnung, dass wir diesmal schneller sind, bevor der Täter erneut zuschlägt“, sagte Tomas.

„Der Boss wird toben, wenn er das erfährt.“

„Willst du es ihm sagen?“

„Ich hatte gehofft, dass du das übernehmen könntest.“, erwiderte sie.

Tomas atmete geräuschvoll aus. „Wenn es unbedingt sein muss …“ Er stieß einen Seufzer aus und griff zum Telefon. Das Gespräch dauerte nicht länger als eine Minute und Anna wurde in das Büro ihres Vorgesetzten zitiert.

„Nicht nur die Presse sitzt uns im Nacken, verdammt“, donnerte Holger Anderssons tiefer Bass durch den Raum.

Anna ließ die Tirade ihres Chefs wortlos über sich ergehen, auch wenn sie sich persönlich angegriffen und gedemütigt fühlte. Ihr Team leistete gute Arbeit und sie mochte es nicht, auf diese Weise abgewertet zu werden. Natürlich hatte es auch in Kalmar im Laufe der Zeit einige Tötungsdelikte gegeben, aber dieser Fall war einmalig in der bisherigen Geschichte dieses idyllischen Städtchens, das im Sommer von Touristen regelrecht geflutet wurde.

Andersson riss sie aus ihren Gedanken. „Sie werden Verstärkung bekommen.“

„Verstärkung?“

„Jonas Lundgren, Fallanalytiker aus Göteborg, wird das Team bei den Ermittlungen unterstützen.“

„Das ist nicht Ihr Ernst?“ Anna schaute ihn entgeistert an. „Sicher, mit so einem Täter haben wir es noch nie zu tun gehabt. Aber gleich einen Fallanalytiker zu engagieren, halte ich für übertrieben.“

„Befehl von ganz oben“, erklärte Andersson. „Außerdem möchte ich vermeiden, dass wir wie die letzten Deppen dastehen. Es existieren keine Spuren, keine Zeugen, nichts. Ohne ein entsprechendes Täterprofil werden wir nicht weiterkommen.“

Anna ließ sich auf einen Stuhl sinken und strich sich eine widerspenstige Strähne hinters Ohr.

„Aber was für Fakten könnte dieser Fallanalytiker schon liefern? Dass der Täter männlich ist, Mitte vierzig und blond?“

„Ich muss doch sehr bitten, Sarkasmus ist hier fehl am Platz.“

„Ehrlich, Chef, das ist doch wieder so ein Wichtigtuer, der den Ton angeben will, sich in die Ermittlungen einmischt und alles durcheinanderwirbelt.“

„Sie kennen den Mann doch gar nicht“, widersprach Andersson. „Jonas Lundgren mag ein wenig eigen sein, aber sein guter Ruf eilt ihm voraus. Sie stehen sich mit Ihren Vorurteilen nur selbst im Weg.“

„Seltsam, wo Sie doch mit der Ermittlungsquote bisher immer zufrieden gewesen sind.“

„Aber in diesem speziellen Fall liegt die Sache anders. Wie bereits erwähnt, kommt die Anordnung von ganz oben. Entweder Sie kooperieren oder Sie werden an anderer Stelle eingesetzt. Ende der Diskussion.“

Anna verließ das Büro und hätte am liebsten die Tür zugeknallt. Natürlich war auch sie frustriert darüber, dass es nicht im gewohnten Tempo vorwärts ging. Der Täter hatte drei junge, gesunde Frauen in Pflegefälle verwandelt und ihr Team hatte es nicht verhindern können. Vielleicht war es gar nicht so schlecht, einen Teil der Verantwortung abgeben zu können.

„Na, wie ist es gelaufen?“, fragte Tomas. „Dein Kopf ist ja zum Glück noch dran.“

Anna winkte ab. „Wir bekommen so einen Schnösel aus Göteborg vor die Nase gesetzt.“

„Und?“

„Da fragst du noch?“ Sie machte eine ausladende Handbewegung. „Wieder so einer, der uns das Arbeiten beibringen will.“

„Ach was, jetzt übertreibst du aber. Du bist doch selbst daran interessiert, dass der Täter so schnell wie möglich überführt wird.“

„Vielleicht kratzt es ja an meinem Selbstbewusstsein, dass wir bisher versagt haben“, murmelte sie.

„Glaubst du, dass ich nicht darunter leide? Nur die äußerliche Hülle dieser Frauen ist noch vorhanden, sie sind zu seelenlosen Zombies geworden.“

Anna rieb sich müde über die Augen. „Du glaubst gar nicht, wie fertig mich das macht. So ein Irrsinn, und wir sind nicht imstande, dem Täter Einhalt zu gebieten.“

„Früher oder später schnappen wir ihn“, erwiderte Tomas zuversichtlich.

„Ich will nicht noch ein Opfer in diesem Zustand sehen müssen, das verkrafte ich nicht.“ Anna erhob sich. „Willst du mitkommen?“

„Am liebsten würde ich mich davor drücken. Ist die Familie schon verständigt?“

„Ja, sie wissen Bescheid und sind schon auf dem Weg ins Krankenhaus.“

„Dann lass uns fahren.“

Sie stiegen in den Dienstwagen und hatten die kurze Strecke rasch zurückgelegt.

„Am liebsten würde ich umkehren“, raunte Tomas, als sie den langen Gang entlangschritten, und Anna stieß einen tiefen Seufzer aus.

„Mich plagen nicht nur die Schuldgefühle den Opfern gegenüber. Es macht mich fertig, dass wir die Lobotomie nicht verhindern konnten. Wahrscheinlich hat er sein nächstes Opfer schon längst im Visier oder sogar gekidnappt. Allein der Gedanke, dass ihnen die lange Nadel durch das Auge geschoben wird, um die Hirnareale zu zerstören, macht mich ausgesprochen wütend.“

Zögerlich drückte sie die Klinke herunter und trat ein. Lena Jakobsson lag mit bleichem Gesicht auf dem Kissen. Sie reagierte nicht auf die Besucher und hatte den Blick starr zur Decke gerichtet. Ihre Lippen waren geöffnet und Speichel hatte sich in den Mundwinkeln gesammelt. Die nackten Arme waren mit frischen Schnitten und vernarbtem Gewebe übersät, die Nase und die Augen stark angeschwollen und verfärbt.

„Ihr Anblick bricht mir das Herz“, flüsterte Anna.

„Ich empfinde genauso“, erwiderte Tomas. „Lass uns gehen und mit dem Arzt sprechen.“ Resigniert wandte er sich ab.

Eine Krankenschwester zeigte ihnen den Weg in das Behandlungszimmer, wo der Arzt sie bereits erwartete.

„Setzen Sie sich doch“, sagte er und zeigte auf die unbequemen Stühle vor seinem Schreibtisch.

„Wie geht es Lena Jakobsson?“, fragte Anna.

„Den Umständen entsprechend“, antwortete der Arzt. „Die Wunden verheilen, aber sie wird für den Rest ihres Lebens betreut werden müssen.“ Auch er zeigte sich über den Zustand des Opfers erschüttert.

„Gibt es irgendwelche Auffälligkeiten?“, fragte Anna.

Der Arzt verneinte. „Sämtliche Proben, die wir genommen haben, befinden sich bereits im Labor.“

„Dann müssen wir die Ergebnisse abwarten.“ Sie hasste es, zum Warten verdammt zu sein. Der Täter achtete penibel darauf, kein Staubkörnchen zu hinterlassen, er schien im Spurenverwischen ein Perfektionist zu sein.

„Haben Sie schon einen Verdacht?“, fragte der Arzt.

„Darüber muss ich mich leider in Schweigen hüllen“, antwortete sie und es nagte an ihr, dass sie noch immer nicht die geringste Ahnung vom Täter hatten.

„Ich verstehe schon“, sagte er. „Die Lobotomie wurde wieder sehr präzise durchgeführt. Der Täter weiß, was er tut.“

„Sie teilen demnach auch die Ansicht, dass er Vorkenntnisse hat?“

„Unbedingt.“

Anna verabschiedete sich und trat mit Tomas den Rückweg an. Kaum hatten sie die Behörde betreten, eilte ihnen Andersson entgegen.

„Kommen Sie bitte in mein Büro, ich möchte Ihnen unser neues Teammitglied vorstellen.“

Anna verdrehte die Augen. Tomas schüttelte kaum merklich seinen Kopf, als er die Geste bemerkte. Schweigend folgten sie Andersson in sein Büro.

Jonas Lundgren war ganz anders, als Anna ihn sich vorgestellt hatte. Er hatte absolut nichts von einem Schnösel an sich und der Handschlag zur Begrüßung war warm und herzlich. Verstohlen musterte sie ihn. Ein offener Blick aus blaugrünen forschenden Augen, eine schlanke Statur und dunkelblondes Haar, das an den Schläfen bereits leicht ergraute.

Nicht schlecht, dachte Anna bei seinem Anblick.

„Darf ich vorstellen, das ist Jonas Lundgren.“ Ihr Chef deutete auf den Fallanalytiker. „Und das ist Anna Grönberg, Hauptkommissarin und Leiterin des Teams. Ich hoffe, dass Sie gut miteinander auskommen.“

Andersson schaute in Annas Richtung und sie verstand sofort. „Alles klar, Chef.“

„Schön, dass wir einer Meinung sind.“ Er wandte sich wieder Lundgren zu. „Und, was schlagen Sie vor?“

„Ich werde sofort Rücksprache mit den Kollegen halten, um ein Profil des Täters zu erstellen“, antwortete Lundgren.

„Gut, dann will ich Sie nicht länger von der Arbeit abhalten.“

Andersson öffnete die Tür. Anna war die Letzte, die den Raum verließ, und er hielt sie kurz zurück. „Und dass mir ja keine Klagen kommen“, raunte er.

„Ach was“, erwiderte sie und schüttelte seine Hand ab.

„Ich habe Ihr Wort?“

„Aber sicher.“ Vielleicht hatte dieser Lundgren den Durchblick, der ihnen fehlte, um den Täter aufzuhalten. Anna hatte sich vorgenommen, zu kooperieren, wenn auch mit Widerwillen.

„Möchte jemand einen Kaffee?“, fragte Tomas in die Runde.

„Gerne“, antwortete Lundgren. „Würden Sie mir die Akten reichen? Dann kann ich sie gleich mit in mein Büro nehmen.“

Anna raffte die Ordner zusammen und drückte sie ihm in die Hand. „Bitte sehr.“

„Ihr Chef hat mich schon vorgewarnt“, sagte Lundgren und in seinen Augen tanzten helle Fünkchen.

„Na wunderbar, dann wissen Sie ja Bescheid.“ Sie bedachte Andersson in Gedanken mit einem Schimpfwort und atmete tief durch. Ruhig Blut, ermahnte sie sich, schließlich geht es nur darum, den Täter zu schnappen.

Nur wenige Minuten später trat Tomas wieder ein und balancierte drei dampfende Tassen auf dem Tablett.

„Zucker ist aus und die Milch sauer“, sagte er. „Sie müssen wohl oder übel den Kaffee schwarz zu sich nehmen.“

„Genauso, wie ich ihn mag“, erwiderte Lundgren mit einem Lächeln, bedankte sich und verließ das Büro. Anna und Tomas nahmen wieder an den Schreibtischen Platz, schließlich gab es genug zu tun.

Kapitel 3

Karla saß vor dem Schminktisch, kämmte sich das Haar und betrachtete ihr Spiegelbild. Sie hatte ihr Äußeres so stark verändert, dass sie kaum wiederzuerkennen war. Zufrieden erhob sie sich und öffnete den Kleiderschrank. Trotz der hochsommerlichen Temperaturen nahm sie ein langärmeliges Shirt heraus. Jeder andere hätte tagsüber fürchterlich geschwitzt, aber Karla machte das nichts aus. Sie fror von innen heraus, denn diese Kälte war allgegenwärtig. Ein dicker Kranz aus Eis hatte sich um ihr Herz gelegt.

Prüfend betrachtete sie sich im Spiegel. Die schwarze Kleidung ließ ihre zierliche Figur noch schmaler erscheinen. Früher, in einem anderen Leben, das von Liebe und Zuneigung geprägt gewesen war, hatte ihr Spiegelbild ganz anders ausgesehen. Ihr honigblondes Haar hatte in leichten Wellen auf den Schultern gelegen und das runde Gesicht mit den Sommersprossen golden umrahmt. Die weichen weiblichen Formen hatten ihr oft anerkennende Blicke des männlichen Geschlechts beschert und sie vermisste den aufgeweckten Blick aus ihren blaugrünen Augen

Alles hatte sich geändert, wirklich alles.

Das schwarz gefärbte Haar und der immense Gewichtsverlust ließen sie blass und kränklich wirken. Das Essen schmeckte einfach nicht mehr. Obwohl sich einige Leute auf der Straße immer wieder nach ihr umdrehten, war sie zu einem Phantom geworden. Wie ein Geist durchstreifte sie die Straßen – anwesend, aber dennoch unsichtbar.

Sie hatte einen Job bei einer Fast-Food-Kette angenommen und ließ sich meistens für die Spätschichten einteilen, um tagsüber zu schlafen. Die Mitarbeiter hielten sie für ein wenig seltsam, und seit eine Kollegin die Narben auf ihren Armen entdeckt hatte, wurde viel darüber spekuliert. Aber das Gerede hinter ihrem Rücken prallte an ihr ab. Was wussten die schon?

„Du bist wirklich hübsch. Keine Ahnung, warum du dich so verschandeln musst“, hatte Arne, ihr Chef, einmal gesagt.

Eine Antwort war sie ihm schuldig geblieben, weil er genauso unwissend wie die anderen war. Dabei hatte es einmal Zeiten gegeben, da war sie zur Uni gegangen, hatte am Strand gelegen, sich gesonnt oder Beachvolleyball gespielt. Jetzt lebte sie von der Hand in den Mund, weil ihre Ersparnisse für einen gefälschten Pass und das Zugticket nach Stockholm draufgegangen waren.

Ruckartig löste sie sich von ihrem Spiegelbild, Zeit für den Aufbruch. Sie hastete die verschnörkelte Holztreppe des Altbaus herunter und die Stufen knarrten leise unter ihrem Gewicht. Die Dachgeschosswohnung war winzig und im Sommer viel zu heiß, aber für mehr reichten die Kronen einfach nicht aus. Es war sehr leicht, einen Job in Stockholm zu ergattern, aber die meisten wurden schlecht bezahlt.

Egal.

Es reichte zum Leben und mehr brauchte sie nicht.

Sie stieg in den Bus und setzte die Kopfhörer auf, um einem Hörbuch zu lauschen. Früher hatte sie Musik geliebt und war für ihr Leben gern Tanzen gegangen, aber diese Zeiten waren längst vorbei. Sobald sie irgendwo ein Lied hörte, das sie triggerte und an glücklichere Zeiten erinnerte, zog sich ihr Innerstes schmerzhaft zusammen und sie war den Tränen nahe. Aber sie durfte nicht auffallen und die beste Tarnung war, ein durchgeknallter Freak zu sein.

Kurz darauf betrat sie durch den Hintereingang das Fast-Food-Restaurant.

„Du bist früh dran“, rief Alina und winkte ihr zu.

„Ich hatte sowieso nicht anderes vor“, entgegnete Karla und verschwand zwischen den Spinden, um sich umzuziehen. Dann löste sie Ben ab, der erfreut über ihre Pünktlichkeit war. Sonja, die die Burgerpattys auf den Grill legte, musterte sie von oben bis unten.

„Es gibt so viele Make-up-Tutorials. Schade, dass du immer wie Miss Frankenstein herumlaufen musst.“

„Jetzt stell dir doch nur einmal vor, ich würde mich in Schale werfen. Dann würde kein Typ mehr Augen für dich haben.“

Sonja lachte. „Das hättest du wohl gerne.“

„Touché.“

Karla bediente die Fritteuse bis in die frühen Morgenstunden und schleppte sich anschließend erschöpft nach Hause zurück. Während der Nacht war die Mansarde ein wenig ausgekühlt und Karla ließ sich nach einer ausgiebigen Dusche ins Bett fallen. Müde schloss sie die Augen. Wieder war ein bedeutungsloser Tag vergangen, ein Tag, den sie wie üblich verschlafen hatte.

Einst hatte sie davon geträumt, Biologin zu werden, um die Tierwelt zu erforschen und vielleicht sogar eine Doktorarbeit darüber zu schreiben. Jetzt konnte sie darüber nur noch den Kopf schütteln. Nichts war von alledem geblieben. Es würde ein freudloses Leben werden, ohne die Menschen, die ihr nahestanden.

Vom allgegenwärtigen Schmerz erfüllt, drehte sie sich auf die andere Seite und zog sich schluchzend die Bettdecke über den Kopf.

Kapitel 4

Marisa schob den Bürostuhl zur Seite und griff nach ihrer Handtasche.

„Schönen Feierabend dir“, sagte Svea. „Ich werde noch meine Akquise aktualisieren, damit ich den Überblick nicht verliere.“

„Mach das“, erwiderte Marisa. „Ich kann mich auch morgen darum kümmern.“

Sie hob zum Abschied kurz die Hand und verließ das Büro. Bevor sie zu ihrem Wagen ging, suchte sie die Toiletten auf und schlüpfte in eine Kabine, um sich umzuziehen. Es war viel zu eng, als sie die Jeans gegen ein Kleid tauschte. Immer wieder stieß sie mit den Ellenbogen gegen die Trennwand, bis sie es endlich geschafft hatte.

Mit einem zufriedenen Blick betrachtete sie sich im Spiegel, zupfte ihr langes Haar zurecht und zog den Lippenstift nach. Perfekt, zumindest für den heutigen Abend. Mit den hochhackigen Pumps stöckelte sie zum Wagen und stieg ein. Ihre Nervosität steigerte sich, als sie den Motor startete. Schon seit einer gefühlten Ewigkeit war sie Single und hatte sich auf mehreren Dating-Plattformen angemeldet, um jemanden kennenzulernen. Und jetzt hatte es endlich gefunkt.

Johan – kastanienbraunes Haar, charmantes Lächeln und ein offener Blick.

Aber nicht nur das. Er verfügte über die optimale Portion Humor und war sehr zuvorkommend. Am Telefon konnten sie stundenlang miteinander reden und lachen. Aber Johan hatte auch ein Händchen für das geschriebene Wort. Seine Textnachrichten waren ansprechend und fehlerfrei, was bei Männern im Allgemeinen nur sehr selten vorkam. Nicht nur einmal hatte sie sich gefragt, wie es denn sein konnte, dass Johan noch nicht in festen Händen war. Jedenfalls war sie drauf und dran, sich in ihn zu verlieben.

Ihr Puls war mittlerweile am Limit, als sie einen Parkplatz in der Nähe der Bar suchte. Himmel, wann war sie das letzte Mal so aufgeregt gewesen? Mit sechzehn vielleicht?

In einer Nebenstraße ergatterte sie schließlich einen Parkplatz und eilte mit schnellen Schritten dem Ziel entgegen. Die Bar Lilla Puben war stets gut besucht und auch bei Touristen sehr beliebt. Ein wuchtiger Holztresen dominierte den Raum, der gemütlich eingerichtet war.

Marisa nahm an einem der Tische Platz und bestellte sich ein alkoholfreies Bier. Es war ein warmer Sommertag, genau richtig für den bitter herben Geschmack, der sofort ihren Durst löschte. Sie leckte sich den Schaum von den Lippen und schaute sich um, konnte Johan aber nirgends entdecken. Insgeheim hatte sie gehofft, dass er schon in der Bar sein würde.

Nun gut, sie hatte zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit die Bar betreten und er würde wohl gleich auftauchen. Unablässig starrte sie in Richtung Tür. Nach einer halben Stunde, in der sie vergebens gewartet hatte, zahlte sie. Johan war einfach zu schön, um wahr zu sein, dachte sie enttäuscht. Insgeheim hatte sie schon geahnt, dass an der Sache etwas faul sein könnte. Wahrscheinlich hatte er ein fremdes Profilbild benutzt, um sie zu ködern, und nie geplant, sich mit ihr zu treffen. Vielleicht saß er sogar an einem der Tische und beobachtete sie inkognito.

„Mistkerl“, murmelte sie und stand so heftig auf, dass die Stuhllehne gegen die Wand prallte. „Entschuldigung“, sagte sie verlegen und eilte nach draußen.

Vor der Tür checkte sie noch einmal die eingegangenen Nachrichten. Auch von Johan war eine dabei.

Tut mir leid, dass ich dich habe warten lassen, aber mir ist ein wichtiger Termin dazwischengekommen. Gruß und Kuss, Johan.

Das hätte ich jetzt auch gesagt.

Sollte ihn doch der Teufel holen!

Bitte sei mir nicht böse, ich verspreche auch, mich zu beeilen. Ich freue mich, dich zu sehen. Johan.

Wir sollten das Treffen verschieben. Gruß, Marisa

In einer Stunde könnte ich da sein. Würdest du auf mich warten?

Was nun? Konnte Sie ihm diese Bitte abschlagen?

Ja, sie war sauer auf ihn und wollte nur noch nach Hause. Aber sie hatte auch Angst, es hinterher zu bereuen, nicht gewartet zu haben. Johan war ein paar Jährchen älter als sie mit ergrauten Schläfen und einer angenehmen Stimme. Seine leidenschaftliche Art, sich ihr mitzuteilen, hatte Marisa von Anfang imponiert, sie waren auf einer Wellenlänge. Er liebte ausgedehnte Spaziergänge am Meer, romantische Dinner bei Kerzenschein und besuchte gern das Theater. Johan schien auf den ersten Blick sehr gebildet und an ihr interessiert zu sein. Das wollte sie nicht so einfach aufgeben.

Deshalb lenkte sie ein und kehrte in die Bar zurück. Als er jedoch nach über einer Stunde immer noch nicht aufgetaucht war, trat sie zornig den Heimweg an. Ihre Schritte hallten über das Kopfsteinpflaster, als sie zum Wagen lief. Wann war sie das letzte Mal von jemandem so auf den Arm genommen worden? Sie konnte nicht in Worte fassen, wie sehr sie sich gedemütigt fühlte, und beschloss, nie wieder einen Mann über ein Internetportal zu daten. Sollte Johan doch der Teufel holen, sie hatte genug von Kerlen wie ihn.

Das Smartphone in ihrer Handtasche gab einen leisen Ton von sich. Sie wischte über das Display und las Johans Nachricht. Er teilte ihr mit, dass er vor der Bar stand und auf sie wartete. Sie dachte kurz darüber nach, zur Bar zurückzukehren, entschied sich aber anders. Sollte er doch warten.

Sie schickte ihm eine Message, dass sie schon auf dem Weg zu ihrem Wagen war und wünschte ihm eine gute Nacht. Nein, sie würde sich nicht länger hinhalten lassen, der heutige Abend hatte ihr gereicht.

Es waren nur noch wenige Schritte bis zum Parkplatz, als ein Fahrzeug neben ihr hielt. Leise surrend fuhr die Seitenscheibe herunter.

„Es tut mir wirklich leid, dass ich mich so verspätet habe. Keine Ahnung, warum das immer mir passieren muss.“

Er senkte seinen Blick und lächelte schuldbewusst. Na gut, es konnte durchaus etwas dazwischenkommen, und jetzt war er ja da.

„Wir sollten das Treffen an einem Wochenende nachholen“, sagte sie. „Da kann nicht viel schiefgehen.“

„Ja, so machen wir das. Soll ich dich zu deinem Wagen bringen?“, fragte er.

„Nicht nötig, es sind nur noch ein paar Meter“, antwortete sie.

„Ach bitte, dann fühle ich mich nicht so schuldig.“

„Okay.“ Sie willigte widerstrebend ein und stieg in das Fahrzeug. Ganz wohl war ihr nicht dabei, aber es würde schon nichts passieren. Sie wollte gerade den Gurt umlegen, als ihr einfiel, dass sie die Geldbörse in der Bar hatte liegen lassen. Heute war definitiv nicht ihr Tag.

Genau in dem Moment, als sie die Tür öffnete, ertönte das leise Klicken der Zentralverriegelung. Das löste einen Impuls in ihr aus, und bevor sie überhaupt begriff, was sie da tat, war sie auch schon ausgestiegen. Hastig streifte sie sich die hochhackigen Pumps von den Füßen und flüchtete barfuß über das Kopfsteinpflaster.

„Hey, wo willst du denn hin?“ Sie ignorierte Johan und schaute nicht zurück. Als der Motor aufheulte, beschleunigte sie ihre Schritte. Ihr Volvo war noch nicht in Sichtweite und sie würde Johan schutzlos ausgeliefert sein. Hektisch irrte ihr Blick umher, denn sie befürchtete, dass Johan – falls er denn so hieß – sie wieder in seinen Wagen zerren könnte.

Aber das Glück schien auf ihrer Seite zu sein, denn eine Gruppe Touristen bog in die Straße. Marisa warf einen letzten Blick zurück und sah, dass er den Wagen wendete und davonfuhr. Bizarr, einfach nur bizarr, dachte sie und ihr Herzschlag beruhigte sich erst, als sie den Motor startete und aus der Parklücke scherte. Wie gut, dass sie Johan nichts Persönliches preisgegeben hatte. Er wusste weder, wo sie arbeitete, noch, wo sie wohnte.

Dennoch ließ sich die Furcht in ihrem Inneren nicht bändigen. Sollte sie zur Polizei gehen, um Anzeige zu erstatten? Aber würde sie überhaupt jemand ernst nehmen? Schließlich war so gut wie nichts passiert und Johan könnte behaupten, die Zentralverriegelung nur versehentlich ausgelöst zu haben. Wahrscheinlich war es besser, die Sache auf sich beruhen zu lassen und zu vergessen. Dieses Date war ihr eine große Lehre gewesen, von nun an würde sie es bedeutend vorsichtiger angehen.

Sie stellte den Wagen in der Garage ab, ließ das Tor herunterfahren und betrat durch den Nebeneingang das Haus. Diesmal verzichtete sie darauf, alle Fenster zu öffnen und ertrug die stickige Luft im Inneren. Mehrmals kontrollierte sie die Eingangstür, ob diese auch wirklich verschlossen war.

Obwohl ihr vor Müdigkeit fast die Augen zufielen, öffnete sie den Laptop und löschte sämtliche Profile auf den Datingportalen, die sie angelegt hatte. Nie wieder, so schwor sie sich, würde sie sich auf diese Weise mit einem Mann verabreden. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, alle Warnungen in den Wind zu schlagen und in Johans Wagen zu steigen?

Nachdem sie die Profile gelöscht hatte, klappte sie den Laptop zu und genehmigte sich eine Dusche. Irgendwann, davon war sie felsenfest überzeugt, würde sie Mister Right kennenlernen. Aber dann von Face to Face und auf Augenhöhe und vor allen Dingen ohne Spielchen.

Kapitel 5

Anna blickte erwartungsvoll zu Lundgren, der gerade den letzten Ordner zuklappte.

„Und?“, fragte sie. „Können Sie jetzt das Profil erstellen?“

„Im Prinzip schon.“

„Was soll das heißen?“

„Ich kann einige Persönlichkeitsmerkmale zusammenstellen, aber für mehr Tiefe reicht die Datenmenge noch nicht aus.“

„Dann wissen Sie auch nicht mehr als wir?“

Enttäuschung schwang in ihrer Stimme mit. Warum war der hochgepriesene Fallanalytiker nach Kalmar beordert worden, wenn er auch nur eins und eins zusammenzählen konnte?

„Je mehr ich mich mit ihm befasse, desto genauer wird auch sein Profil.“

„Aha. Wen haben wir also vor uns?“ Anna bemerkte Tomas’ verärgerten Blick. Sie wusste, dass ihm ihr Ton missfiel.

„Ich würde den Täter auf Ende dreißig bis Mitte vierzig schätzen und er verfügt über medizinische Kenntnisse. Entweder hat er sein Medizinstudium kurz vor dem Ende abgebrochen oder er ist in der Pflege tätig. Ein praktizierender Arzt kommt nicht infrage, weil wir dann sofort wüssten, mit wem wir es zu tun haben. Er spielt mit uns aus dem Verborgenen heraus.“

„So weit waren wir auch schon.“

„Haben Sie die betreffenden Personen bereits abgeglichen?“

Anna nickte. „Selbstverständlich haben wir das, wir sind schließlich keine Anfänger mehr. Leider hatten wir keinen Erfolg.“

Tomas räusperte sich und Anna verstand den Wink mit dem Zaunpfahl sofort. Sie sollte ihren Tonfall Lundgren gegenüber mäßigen.

„Das ist schade“, sagte Lundgren.

„Müssen wir jetzt sämtliche Pflegekräfte unter die Lupe nehmen?“, fragte Anna.

„Ja, das wird wohl das Beste sein.“

„Damit werden wir die nächsten Tage beschäftigt sein.“

„Wenn wir das gesamte Team einspannen, dürfte das recht bald erledigt sein“, erwiderte Lundgren.

„Gut, dann machen wir das so.“

Anna und Tomas telefonierten sich die Finger wund, um die Unterlagen anzufordern. Es gab nicht viele männliche Pflegekräfte im entsprechenden Alter, Anna hatte mit deutlich mehr Personal gerechnet. Die ganze Aktion würde nicht länger als einen Tag dauern. Innerhalb weniger Stunden hatte sie mit Tomas die Daten zusammengetragen und Anna ging anschließend mit Lundgren die Unterlagen durch, während Tomas Feierabend machte und sich verabschiedete.

„Viel Erfolg und wir sehen uns morgen“, sagte er.

„Danke, den können wir brauchen“, erwiderte Anna.

„Ihnen einen entspannten Feierabend“, sagte Lundgren.

„Das hoffe ich.“

Tomas zog sich seine Jacke über und verließ das Büro.

Lundgren machte sich wieder an die Arbeit und filterte die einzelnen Personen heraus, um sie einer genaueren Musterung zu unterziehen. Es ging schon auf den späten Abend zu, als Anna und er immer noch über den Akten brüteten.

„Ich glaube, wir sollten jetzt Schluss machen“, sagte Anna mit einem Blick zur Uhr.

„Ja, das wird wohl das Beste sein. Können Sie mir ein gutes Restaurant empfehlen? Ich habe einen Bärenhunger.“

„Hm, das Grona Stugan mit Blick zum Hafen würde ich Ihnen empfehlen. Es gibt einen Außenbereich mit Sitzplätzen, um die warmen Sommerabende zu genießen und der Service ist unschlagbar. Allerdings müssen Sie sich mit Papiertischdecken arrangieren und dürfen kein Sterne-Menü erwarten.“

Lundgren lachte.

„Kein Problem.“ Er musterte sie. „Wie wäre es, wenn Sie mich begleiten und mir noch ein wenig die Stadt zeigen?“

„Ernsthaft?“

„Ernsthaft. Oder werden Sie bereits erwartet?“

„Äh … nein“, antwortete sie perplex. „Natürlich kann ich Sie begleiten.“

„Wunderbar.“ Er schnappte sich sein Jackett und lief zur Tür. „Dann mal los.“

Anna chauffierte Lundgren durch Kalmar und zeigte ihm einige der Sehenswürdigkeiten.

„Eine sehr schöne Stadt“, sagte er und war besonders von den alten Bauten begeistert.

„Aber Göteborg hat auch eine Menge zu bieten“, entgegnete sie.

„Sind Sie schon einmal dort gewesen?“, fragte er.

„Nein, noch nicht.“

„Dann wird es aber Zeit.“

Ihre Antworten fielen meist sehr knapp aus. Das lag aber nicht unbedingt an ihren Vorurteilen, sondern eher daran, dass Lundgren ihr ausgesprochen gut gefiel und nicht dem üblichen Klischee entsprach. Inzwischen hatten sie ihr Ziel erreicht.

„Nette Location“, sagte Lundgren und ließ Anna einen Tisch aussuchen.

Nachdem sie ihre Bestellung aufgegeben hatten, herrschte eine peinliche Stille zwischen ihnen.

„Uns scheint der Gesprächsstoff ausgegangen zu sein.“ Lundgren lachte leise.

„Es ist nicht die passende Umgebung, um über den Fall zu reden“, erwiderte sie.

„Sie müssen auch einmal abschalten. Wenn Ihr Gehirn ständig auf Hochtouren läuft, kann das zu Erschöpfungszuständen führen.“

„Was Sie nicht sagen.“

„Sie sind ganz schön auf Krawall gebürstet. Oder irre ich mich da?“

„Das wird wohl an den Erschöpfungszuständen liegen.“

Lundgren lachte. „Ich mag Ihren Humor.“

„Dann kann ich mich ja glücklich schätzen.“

Das Abendessen wurde serviert und Lundgren machte sich ausgehungert über seinen gebackenen Lachs im Teigmantel her.

„Was meinen Sie? Hat der Täter schon ein neues Opfer auserkoren?“, fragte Anna zwischen zwei Bissen.

„Da bin ich mir absolut sicher, falls er es nicht schon in seiner Gewalt hat.“

„Ich will nicht noch eine lebende Tote“, sagte sie leise. „Es muss grausam für die Familie sein, sie so zu sehen.“

„Versprechen kann ich nichts. Aber ich werde alles daransetzen, um das zu verhindern“, sagte Lundgren und legte das Besteck beiseite.

„Der Täter ist ein Perfektionist, der nichts dem Zufall überlässt. Die Frauen tauchen an den unterschiedlichsten Plätzen wieder auf und es gibt keine Zeugen.“

„Das ist tatsächlich ein Problem“, erwiderte Lundgren. „Aber der Täter will Aufmerksamkeit, denn die Orte, an denen die Frauen aufgegriffen werden, sind für die Öffentlichkeit zugänglich.“

„Das ist doch alles schon bekannt und hilft uns kein Stück weiter“, entgegnete Anna frustriert.

„Er kann noch so umsichtig sein, irgendwann wird ihm ein Fehler unterlaufen.“

„Momentan sieht es aber nicht danach aus.“

„Warten wir es einfach ab.“ Lundgren hob die Hand, um zu zahlen. „Die Rechnung geht auf mich“, sagte er.

„Ich …“

„Schon okay. Das nächste Mal sind Sie dran.“

Anna bezweifelte, dass es ein nächstes Mal geben würde, das Team hatte schließlich alle Hände voll zu tun. Sie setzte Lundgren vor dem Hotel ab und fuhr anschließend nach Hause. Erschöpft schloss sie die Eingangstür auf. Sie wollte nur noch, dass es vorbei war, denn dieser prekäre Fall zehrte an ihren Kräften.

Lundgren hatte Anna gebeten, mit ihm zum Pflegeheim zu fahren, in dem die ersten beiden Opfer – Inga Nilson und Sara Person – untergebracht waren. Sie hatten die Erlaubnis der Angehörigen eingeholt, damit Lundgren die Verletzungen aus der Nähe untersuchen konnte. Anna wartete gespannt auf sein Urteil und hoffte auf neue Erkenntnisse. Sie hatte es satt, ständig auf der Stelle zu treten.

Sara Person saß im Rollstuhl und hatte den Blick starr auf den Park gerichtet. Durch das geöffnete Fenster drang das Kinderlachen der benachbarten Kindertagesstätte zu ihnen herüber. Wie makaber, dachte Anna betrübt. Diese jungen Frauen waren ihrer Zukunft beraubt worden und würden nie eine Familie gründen können.

Sie spürte Lundgrens warme Hand auf ihrem Arm.

„Lassen Sie diesen Anblick nicht zu nah an sich heran.“

„Wie könnte ich nicht?“, erwiderte sie.

„Ich verstehe Sie nur zu gut.“

Genau in dem Moment betrat Saras Mutter das Zimmer und reichte ihnen zur Begrüßung die Hand. Sie sah erschöpft und mitgenommen aus. Bevor sie etwas sagte, kämmte sie ihrer Tochter das Haar und tupfte ihr den Speichel aus dem Mundwinkel.