Das Scrum-Prinzip - Boris Gloger - E-Book

Das Scrum-Prinzip E-Book

Boris Gloger

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Beschreibung

Die Prinzipien von Scrum verleihen einem Unternehmen die vielleicht wichtigste Fähigkeit, um in der heutigen Welt erfolgreich wirtschaften zu können: Agilität. Selbstorganisierte Teams erzielen überdurchschnittliche Ergebnisse mit Hilfe weniger, aber klarer Regeln und Methoden: - Konsequente Lösungsorientierung - Klare Verantwortlichkeiten - Einbindung des Nutzers - Flexible Plananpassung - Flache Hierarchien Die Autoren arbeiten Scrum als Prinzip der Organisationsentwicklung auf und liefern damit ein grundlegendes Praxishandbuch für Manager und Change Manager. Der Praxisleitfaden zeigt, wie Scrum in Organisationen Schritt für Schritt integriert werden kann. In der 2. Auflage neu: - Agilität - vom Hype zur Notwendigkeit - Scrum als Management-Prinzip - Anleitung zur Selbstreflexion - Strategie neu denken - Unternehmenskultur als Ergebnis von Kommunikation Mit anschaulichen Grafiken und Skizzen für eigene Workshops - auch zum Download auf myBook+.

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Inhaltsverzeichnis

Hinweis zum UrheberrechtImpressumVorwort zur 2. AuflageVorwortEine kurze WegbeschreibungPrologTeil 1 Auf der Suche nach der agilen Organisation1   Es war einmal der Kunde1.1   Wurzeln der Agilität1.2   Im Konflikt – der Einzelne und das Unternehmen1.3   Paten der agilen Organisation1.3.1   Das Prinzip Manager: Nutzenstifter und Stratege1.3.2   Das Prinzip Demokratisierung: Selbstverantwortung als Grundlage von Selbstorganisation1.4   Baustein 1: Die Professional Service Firm (PSF)1.4.1   Das Management in der Professional Service Firm1.4.2   Management und Strukturen1.4.3   Die Unzulänglichkeit der Professional Service Firm als agiles Organisationsmodell1.5   Baustein 2: Der Marktplatz1.6   Die Synthese: Die Professional Service Firm als Marktplatz mit einem klaren Auftrag1.7   Interview mit Hélène Valadon: Die traditionelle Organisation am ScheidewegTeil 2 Scrum2   Agilität – vom Erfolgsgeheimnis zur Notwendigkeit2.1   Business is the winner – das Geschäft ist der Gewinner2.2   Lernen, Lernen, Lernen2.3   Der User im Zentrum von allen und allem2.4   Echtes Teamwork2.5   Stärkung der Liefer- und Leistungsfähigkeit2.6   Produkte, die wirklich fertig sind2.7   Verbesserte Time-to-Market3   Der Scrum Flow – ein Prozessmodell3.1   Prinzipien, Rollen, Meetings und Artefakte im Überblick3.1.1   Die Organisationsprinzipien von Scrum3.1.2   Die Rollen3.1.3   Das Prozessmodell4   Scrum unter der Lupe4.1   Der Workflow in sechs Meetings4.2   Sprint Planning 1 – das „Kunden(re)briefing“4.3   Sprint Planning 2 – das technische Konzept4.4   Daily Scrum – der Tag im Team geplant4.5   Review – Erfolge feiern, von Anwendern lernen4.6   Retrospektive – die lernende Organisation4.7   Estimation Meeting – Knowledgetransfer und Risk-Management4.8   Die drei (plus drei) Rollen4.8.1   ScrumMaster – Verantwortung für Liefer- und Leistungsfähigkeit4.8.2   Product Owner – Verantwortung für wertgetriebene Produktentwicklung4.9   Entwicklungsteam – Verantwortung end-to-end4.9.1   Teams sind wie richtig gute Gerichte4.9.2   Die Voraussetzungen für Teamwork schaffen4.10   Plus drei – User, Kunden und Manager4.10.1   Der User4.10.2   Hilfe, agiler Kunde!5   Change mit Scrum5.1   Change als Produkt5.1.1   User Storys in der Organisationsentwicklung5.1.2   Führung – ein erneuertes Verständnis leben5.1.3   In Verantwortung investieren5.1.4   Selbstorganisation fördern6   Agiles Management6.1   Der morgendliche Werksrundgang6.2   Drei Artefakte sind genug – eine Managementfokussierung6.2.1   Produktvision6.2.2   Product Backlog6.2.3   User Story6.3   Erfolg in Zahlen, Daten und Fakten6.4   Die richtige Besetzung wählen6.5   Und was ist mit der Strategie?6.6   Jetzt sind Sie an der ReiheTeil 3 Die Umsetzung7   Basiswissen für die Veränderung7.1   Die acht Schritte der Organisationsveränderung7.1.1   1. Schritt: Die Einsicht der Dringlichkeit schaffen7.1.2   2. Schritt: Verantwortliche mit Veränderungsbereitschaft gewinnen und zusammenbringen7.1.3   3. Schritt: Die Zukunftsvision ausformulieren und eine Strategie entwickeln, wie Sie dahin kommen werden7.1.4   4. Schritt: Die Zukunftsvision bekannt machen7.1.5   5. Schritt: Das Handeln im Sinne der neuen Vision und der Ziele ermöglichen7.1.6   6. Schritt: Kurzfristige Erfolge planen und gezielt herbeiführen7.1.7   7. Schritt: Erreichte Verbesserungen systematisch weiter ausbauen7.1.8   8. Schritt: Das Neue fest verankern7.2   Die Motivation zu Veränderung7.3   Blaupause Professional Service Firm7.4   In sieben plus eins Schritten zur Veränderung7.4.1   Mit den richtigen Ressourcen starten7.4.2   Eine Vision generieren und den Weg festlegen7.4.3   Strukturen und Regeln7.4.4   Public Shooting7.4.5   Anerkennungs- oder Anreizsysteme ausrichten7.4.6   Kollegen einstellen7.4.7   Training und Ausbildung7.4.8   Investieren in die Kultur7.5   Das Change-Modell von Virginia Satir7.5.1   Phase 1: Der Status quo7.5.2   Phase 2: Ein „fremdes“ Element einfügen7.5.3   Phase 3: Das Chaos beginnt7.5.4   Phase 4: Die Integration7.5.5   Phase 5: Der neue Status quo7.6   Organisationen als Systeme von Konversationen8   Vorbereitung für die Arbeit am Widerstand8.1   Schritt 1: Eine Vision für die Veränderungsarbeit erzeugen8.2   Schritt 2: Eine Springboard-Story schreiben8.3   Schritt 3: Ein Pilot-Scrum-Team für die Veränderung auswählen8.4   Schritt 4: Sehen lernen und analysieren8.4.1   Level 1: Widerstand des Individuums8.4.2   Aus der Praxis: Entwicklung der Scrum-Rollen bei der KUKA Robot Group8.4.3   Level 2: Widerstand des Teams8.4.4   Level 3: Widerstand der Organisation8.4.4.1   Wissen8.4.4.2   Prozesse8.4.4.3   Macht8.4.5   Level 4: Widerstand zwischen Organisationen8.5   Schritt 5: Das erste Transition-Backlog aufstellen8.5.1   Der Zustand in der Organisation8.5.2   Das Transition-Backlog8.6   Interview mit Hélène Valadon: Der Umgang mit Widerständen9   Veränderungstechniken für die Transition9.1   Den Wandel aus Sicht des Individuums verstehen – SCARF9.1.1   Status9.1.2   Sicherheit/Gewissheit9.1.3   Autonomie9.1.4   Verbundenheit9.1.5   Fairness9.1.6   Die drei Schritte zur Veränderung9.2   Den Wandel aus Sicht des Teams verstehen9.2.1   Das Team führen – der ScrumMaster9.2.2   Teamregeln9.2.3   Der ScrumMaster und der Product Owner9.3   Die Organisation – der Support9.3.1   Coaching des Managements im neuen Management-Framework9.3.2   Die neue Rolle des Managers und ihre Konsequenzen9.4   Die umgebenden Organisationen9.4.1   Das große Produkt9.4.2   Die internen Kunden9.4.3   Das Umfeld der Organisation9.4.4   Die Regularien9.5   Interview mit Hélène Valadon: Das Management mit auf die Reise nehmen10   Anleitung für die agile Organisation10.1   Die fundamentalen Zutaten für die Veränderungsarbeit mit Scrum10.2   Die Veränderungsbasis aufbauen10.2.1   Der Startschuss – Segen von oben10.2.2   Der 100-Tage-Plan10.2.3   Der Auftrag wird erteilt10.2.4   Das Transition-Team10.2.5   Das Pilot-Scrum-Team10.3   Skalieren über weitere Teams10.4   Der kulturelle Wandel10.5   Interview mit Hélène Valadon: Verändern ohne zu verzweifeln11   Epilog: Der Manager als Gestalter11.1   Was ist ein agiler Manager?11.2   Vier Empfehlungen für die eigene Führungsarbeit11.2.1   Reden Sie mit Ihren Mitarbeitern nicht so viel über die Veränderung. Beginnen Sie bei sich selbst11.2.2   Geben Sie Orientierung und setzen Sie Grenzen11.2.3   Machen Sie mit, arbeiten Sie mit, seien Sie Vorbild11.2.4   Nehmen Sie Anteil und nehmen Sie sich ZeitLiteraturÜber die AutorenStichwortverzeichnismybook
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Hinweis zum Urheberrecht

Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht GmbH, Stuttgart

Impressum

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Print:ISBN: 978-3-7910-3947-3Bestell-Nr.: 20210-0002ePDF:ISBN: 978-3-7910-3948-0Bestell-Nr.: 20210-0151ePub:ISBN: 978-3-7910-3949-7Bestell-Nr.: 20210-0100

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

© 2018 Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft · Steuern · Recht [email protected]

Umschlagentwurf: Goldener Westen, BerlinUmschlaggestaltung: Kienle gestaltet, StuttgartGrafiken: Constanze Rieß, borisgloger consulting GmbHConstanze Rieß hat für die Abbildungen die bikablo® Visualisierungstechnik verwendet.Mehr Informationen auf www.bikablo.comLektorat: Dolores Omann, Wien (1. und 2. Auflage);Friederike Moldenhauer (1. Auflage)Satz: kühn & weyh Software GmbH, Satz und Medien, Freiburg

Februar 2018

Schäffer-Poeschel Verlag StuttgartEin Tochterunternehmen der Verlagsgruppe Handelsblatt

Vorwort zur 2. Auflage

[2]

Schon seit 2012 arbeitet GE Appliance mit agilen Produktentwicklungsmethoden – auch im Management. Adobe nutzt sein weltweites internes Programm „Kickbox“, um Innovationen zu fördern. Alle großen Unternehmensberatungen erklären heute ihren Kunden, dass die Zeit reif ist für Agilität. Der Wandel zur agilen Organisation vollzieht sich nicht mehr still und heimlich, sondern wird unter dem Vorzeichen der Digitalisierung aktiv und mit hohem Erfolgsdruck gefordert – und andererseits genau so radikal durchgeführt. Die Unternehmenslandschaft verändert sich im großen Stil.

In unseren Trainings sitzen daher schon lange nicht mehr nur die Menschen, die als ScrumMaster für ihre Teams da sein wollen. Heute sitzen da die Top-Executives großer mittelständischer Unternehmen, die Topmanager von DAX®-Konzernen und die Organisationsberater, um zu lernen, was Agilität überhaupt ist und was sie für eine Organisation bedeutet.

Also können wir uns doch freuen und sagen: „Toll, das Thema ist angekommen!“ Allerdings zeigt sich: Es reicht nicht aus zu wissen, wie ein agiler Management-Framework wie zum Beispiel Scrum funktioniert und wie man damit eine Organisation umgestalten kann. Vielmehr erfordern agile Transitionen ein umfassendes Verständnis von Change-Management und der Bedeutung von Unternehmenskultur. Der Wandel zur agilen Organisation ist nicht nur ein Wandel hin zu einer neuen Methode, sondern – so wie es Frederic Laloux in „Reinventing Organizations“ beschreibt – ein Wandel hin zu einer neuen Bewusstheit über das Arbeiten. Das Neue Arbeiten, oft auch als „New Work“ oder „Arbeit 4.0“ bezeichnet, erfordert einen Zugang, den Peter Drucker bereits in den 1950er-Jahren gesehen hat – leider konnte sich sein Zugang damals gegen das tayloristische Modell nicht durchsetzen. Der Ansatz der Arbeitsteilung und Bürokratisierung, so erfolgreich er auch war, stößt heute an seine Grenzen. Organisationen, die darüber hinauswachsen und die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts annehmen wollen, müssen mit der sogenannten VUCA-Welt umgehen. Sie sind dazu gezwungen, Komplexität nicht zu vereinfachen, sondern sie vielmehr in ihrer Gesamtheit mitzudenken. Organisationen müssen heute konsequent um Teams herum gebaut werden, die als eigenständige Unternehmenseinheiten gesehen werden, als Einheit agieren und auf diese Weise selbst Wert generieren können.[3]

Auch in der zweiten Auflage dieses Buchs werden wir nicht erklären, wie man das macht. Dazu gibt es mittlerweile umfangreiche Literatur, nicht zuletzt unser Buch „Selbstorganisation braucht Führung“, das wir Ihnen ans Herz legen – denn es erklärt, wie die neue Führung aussehen kann. „Das Scrum-Prinzip“ hat einen anderen Zweck: Es soll Ihnen zeigen, wie Sie die Transition zu einer agilen Organisation bewerkstelligen können, wie Sie das Change-Team aufsetzen und die Transition managen.

Doch seien Sie gewarnt: Es ist eine Reise ins Ungewisse. Inzwischen gibt es zwar einige Organisationen, die das agile Arbeiten praktizieren und viele neue Ideen entwickelt haben, doch schlussendlich muss jedes Unternehmen seine eigene Antwort darauf finden, was eine agile Organisation ausmacht. Es gibt ein paar Prinzipien, die wir Ihnen in diesem Buch zeigen werden, doch wie Sie diese Prinzipien umsetzen – das ist ganz Ihnen und Ihrer Organisation überlassen.[4]

Unser Dank gilt auch dieses Mal zunächst unseren Kunden, die sich mit uns auf diese Reise einlassen. Unsere Kunden sind es, die viele der Ideen, die wir für sie haben, mutig und unerschrocken umsetzen und sich bei der Wandlung zur agilen Organisation auch einmal eine blutige Nase holen. Vielen Dank für euer Vertrauen.

Dann gilt ein großes Dankeschön unseren Kolleginnen und Kollegen, die als „Reisebegleiter“ unsere Kunden auf diesem Weg unterstützen. Sie setzen sich jeden Tag mit Leib und Seele dafür ein, mit den Menschen in den Unternehmen Schritt für Schritt die Agilisierung voranzutreiben.

Unser Dank gilt Dolores Omann, ohne die dieses Buch nicht in die zweite Auflage hätte gehen können. Gleich mehrere Bücher mussten in diesem Jahr in der zweiten oder dritten Auflage herausgebracht werden, während die Kundenprojekte immer umfangreicher wurden. Ohne Dolores, die uns gezwungen hat, dieses Buchprojekt weiterzutreiben, wären wir sicher gescheitert und Sie könnten diese Zeilen nicht in den Händen halten. Vielen Dank.

Unser herzlicher Dank und unsere ganze Liebe gilt unseren Familien, die täglich akzeptieren, dass wir die wenige Freizeit, die wir dank unseres genialen Berufs haben, auch noch in das Schreiben von Büchern stecken. Ohne das Verständnis unserer Frauen und Kinder für unsere Leidenschaft wären wir nichts. Danke![5]

Boris Gloger und Jürgen Margetich Laxenburg bei Wien, November 2017

Vorwort

Ein Freund fragte mich unlängst: „Was macht deine Firma eigentlich?“ Ich stutzte, denn er wusste, dass meine Mitarbeiter und ich Unternehmen und Teams zeigen, wie sie erfolgreicher mit Scrum arbeiten können. Also fragte ich zurück: „Was meinst du? Du weißt doch, was wir machen?“ „Ja sicher. Aber was tut man da genau? Wie geht das, ‚die agile Organisation bauen’? Wie geht ihr mit den Widerständen der Manager um? Was macht ihr konkret?“

Die Antwort darauf finden Sie in diesem Buch. Die Frage meines Freundes hatte mich so beschäftigt, dass ich begann, mich mit meinen Kollegen intensiv darüber auszutauschen und unsere Arbeit von einem Beobachterstandpunkt aus zu betrachten. Dabei haben wir für uns selbst wichtige Erkenntnisse gewonnen, die wir in diesem Buch mit Ihnen teilen wollen. Die Antworten stammen direkt aus unserer täglichen Arbeit und gerade wegen dieser Erfahrungen sagen wir: Sie sind ganz sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. Die Praktiken, die wir Ihnen hier zeigen wollen, funktionieren für uns und unsere Kunden – und wir setzen sie immer wieder ein.

Mit unserer Arbeit schließen wir an große Organisationsentwickler wie John P. Kotter, Virginia Satir, Peter Senge und viele andere an. Einige Konzepte haben wir explizit erwähnt, andere fließen in unsere Arbeit oft ganz unbewusst ein. Unsere eigentlichen Lehrmeister sind aber unsere Kunden. [6]Von ihnen lernen wir mehr, als wir je aus Büchern oder Gesprächen mit anderen Coaches erfahren könnten. Dabei geht es nie in erster Linie darum, Scrum einzuführen. Am wichtigsten ist immer, mit ihnen gemeinsam für ihre Situation eine Lösung zu finden, die sie erfolgreicher macht.

Daher freut es mich besonders, dass einige unserer Kunden Beiträge zu diesem Buch beigesteuert haben und uns an ihrer Perspektive auf den Wandel teilhaben lassen. Wir danken ganz besonders Christian Popp, André Stark, Joachim Gmeinwieser und Dr. Klaus Schlickenrieder. Dank ihres Vertrauens in ihre Teams und in unsere Fähigkeiten haben sie es letztlich möglich gemacht, besser zu verstehen und zu lernen, wie wir Scrum in großen Organisationen einführen können. In der Auseinandersetzung mit dem Management unserer Kunden wurde deutlich, wie sehr Scrum als Change-Management-Framework dafür geeignet ist, organisationale Hindernisse zu erkennen und zu beseitigen. Mit einem klaren Ziel vor Augen war es unumgänglich, mit dem Management iterativ und inkrementell, also Schritt für Schritt, Erfolge zu erzielen. Sich gemeinsam vorzutasten und miteinander zu lernen, brachte einerseits den Erfolg, andererseits entstanden dabei auch immer wieder Ängste, bei uns selbst und bei unseren Kunden. Denn niemand konnte vorhersehen, wohin die Veränderungsarbeit führen würde.

Aber auch diese Unsicherheiten konnten mit Scrum als Management-Framework schnell beseitigt werden. Wie von selbst wurde klar: Gerade auf vollkommen neuem Terrain erzeugt Scrum schrittweise das Vertrauen, um ganze Organisationseinheiten verändern zu können. Wir waren und sind deshalb darauf angewiesen, dass sich Menschen auf uns einlassen und wir sie ein Stück begleiten dürfen.[7]

Um auf die Antworten zu kommen, die wir Ihnen in diesem Buch vorstellen, wurden in nächtelangen Diskussionen viele Wege ausprobiert. Unzählige Flipchartbögen wurden vollgeschrieben und wieder verworfen. Diese vielen Stunden hat mein Team aufgebracht, dem ich an dieser Stelle sagen möchte: Ich bin sehr stolz auf euch! Ihr habt auf vielen oft sehr schwierigen Gebieten Pionierarbeit geleistet. Mit eurer Leidenschaft für die Sache habt ihr die Grenzen der Implementierung von Scrum als Organisationsentwicklungsmethode weiter und weiter gesteckt. Ihr musstet dabei neue Antworten auf alte Fragen finden und euch gegen den Widerstand vieler Organisationen, Teams und Manager durchsetzen. Oft habt ihr euch gefragt: „Wofür das alles?“

Der Lohn dafür sind die kleinen und großen Erfolge. Die Veränderungsarbeit selbst ist der Lohn. Sie war und ist für mein Team und mich sinnvoll. Ich kann es in den leuchtenden Augen meiner Mitarbeiter sehen: Sie sind stolz auf ihre Kunden, wenn diese es geschafft haben, die selbstgesteckten Ziele zu erreichen. Das, was sie in ihrer Praxis erlebt haben und wie sie damit umgegangen sind, ist an vielen Stellen dieses Buches eingeflossen. Mein besonderer Dank gilt meinem langjährigen Mitstreiter und Freund Jürgen Margetich, der sich trotz seines vollen Terminkalenders die Zeit genommen hat, ein emotionales und feuriges Kapitel über Scrum zu schreiben. Sie werden spüren, mit welcher Leidenschaft er seine Arbeit macht.[8]

Ein herzliches Danke geht an Dolores Omann. Ohne ihre unermüdliche Unterstützung beim Editieren und ihre konstruktive Kritik an dem, was wir so schreiben, hätten unsere Texte in diesem Buch nicht die Qualität, die Sie als Leserin und Leser erwarten dürfen.

Wir wünschen Ihnen viele Abenteuer auf der Reise zur agilen Organisation und freuen uns über jedes Feedback, das die nächste Iteration dieses Buches besser macht.

Boris Gloger Laxenburg, August 2013

Eine kurze Wegbeschreibung

Die agile Organisation gestalten – einfacher gesagt als getan. Wo beginnt man eine Reise ins Ungewisse? Wie wird sie verlaufen? An welchen Zwischenstationen werden wir anhalten müssen? Wie werden sich die Menschen in unserer Reisegruppe verhalten? Werden alle mitmachen? Wird es Streit geben? Wie sollen wir mit Unsicherheiten umgehen und wie kann ich als Reiseführer die Gruppe zusammenhalten?

Als ich vor bald 15 Jahren in Salt Lake City die berühmten Vertreter der agilen Community getroffen habe, hätte ich nie für möglich gehalten, dass es sie einmal geben wird – die agile Organisation. Mehr als ein Jahrzehnt ist vergangen, ich habe die ersten Anzeichen solcher Organisationen selbst gesehen und inzwischen stehen selbst in deutschen Großkonzernen die Zeichen auf Veränderung.[9]

Beim Schreiben dieses Buches habe ich lange mit der Struktur gerungen. Ich habe mich immer wieder im zirkulären Aspekt des Wandels verfahren, bin abgebogen, habe als Fahrer oft Dinge an Stationen der Reise erzählt, wo sie im Kontext hinpassten, den Neuling an dieser Stelle aber sicher verwirren. Ich habe mich entschieden, die zirkulären Aspekte (ja oft Redundanzen) im Buch zu belassen. Es ist eine Landkarte, die keine endgültige Topografie darstellt. Es können nur Orientierungspunkte sein, auf die Sie treffen werden, wenn Sie die Veränderungsreise in Ihrer eigenen Organisation antreten. Was Sie mit Scrum vorhaben, ist nichts weniger als das bewusste Gestalten der Zukunft. Und deshalb sind es manchmal kurze Zeitreisen, die Jürgen Margetich und ich mit Ihnen unternehmen, um Ihnen zu zeigen, worauf Sie achtgeben sollten.

Die faszinierende Ausgangslage für die agile Organisation ist, dass vom Team aus gestartet wird. Am Anfang geht es immer darum, agile Teams zusammenzubringen und die Organisation um sie herum zu gestalten. Damit Sie wissen, wohin die Reise geht, widme ich den ersten Teil den Gedanken über eine mögliche Zukunft (Kapitel 1). Hier beschreibe ich ausführlich, was eine agile Organisation ausmacht, wie ihre Struktur sein könnte und in einigen Fällen sogar ist. Die Kernbotschaft lautet: Das Management ist das Gesicht der Organisation. Also muss bei jedem Schritt in die Zukunft das Management mitgenommen und ihm deutlich gemacht werden, dass wir für die Veränderung der gesamten Organisation seine Mitarbeit benötigen. In Teil II lege ich mit Ihnen eine Pause ein: Wir stärken uns bei Jürgen Margetich mit den Grundlagen, Werten, Ideen und Aspekten des Scrum-Prinzips (Kapitel 2[10] bis 6). Ein wichtiger Proviant, denn Sie werden auf Ihrer Reise in Zukunft immer wieder Verführer treffen, die Sie vom Weg abbringen wollen. Daher müssen Sie lernen zu erkennen, durch welche Tür Sie gehen müssen, um die Zukunft zu gestalten. Im 3. Teil stelle ich schließlich die Ausrüstung für Sie zusammen: Rüstzeug sind die Kenntnisse darüber, wie Veränderungen in Organisationen grundsätzlich funktionieren, wie Sie die Veränderungen initiieren können und welche Methoden es gibt, um Menschen zu bewegen. Sie bekommen also das Basis-Know-how für Organisationsversteher (Kapitel 7). In diesem Ausrüstungsshop gibt es auch eine Ecke, die Sie über die Gefahren informiert. Die Widerstände, die hundert kleinen Hindernisse, die Ihnen begegnen werden, werden dort ausführlich beschrieben (Kapitel 8).

Dann geht es in das erste Basis-Camp (Kapitel 9). Ein leichter Anstieg: Welche Aspekte der Organisation sollen verändert werden? Sie werden dort die Herausforderungen erkennen, die in diesem Zusammenhang auf Sie warten. Zunächst müssen Sie sich der Struktur der jetzigen Organisation nähern, sie verstehen und beschreiben können. Wenn Sie das gemeistert haben, widmen Sie sich Ihren Reisegefährten, angefangen beim Individuum: Wie reagiert es, wie können Sie den einzelnen Menschen begeistern und innerhalb eines Teams zur Veränderung bewegen? Dabei werden Sie erkennen, dass sich das Individuum gar nicht von selbst bewegen kann, weil es von den Dynamiken des Teams gefangen gehalten wird. Um es aus diesen Verwirrungen zu befreien, ist es nötig, sich mit dem Team lange auseinanderzusetzen und einen Weg zu finden, mit ihm zu arbeiten. Hier wird es richtig spannend: Wie können Sie das Management der agilen Organisation in spe zur Veränderung bewegen? Da eine Organisation nicht frei von Zwängen der Umwelt agieren kann, müssen Sie sich auch mit den Veränderungsmöglichkeiten von Lieferanten und Kunden auseinandersetzen und lernen, das Netz der äußeren Einflüsse zu managen und zu beherrschen.[11]

Ausgerüstet mit Grundlagenwissen und vorbereitet auf den Gegenwind der Widerstände, finden Sie in Kapitel 10 eine Anleitung für Ihre ersten Schritte in Richtung agile Organisation. An dieser Stelle müssen wir Sie dann alleine weitergehen lassen.

Prolog

Gibt es sie? Die prototypische agile Organisation, die uns eine Blaupause liefert, eine Bauanleitung für das Unternehmen der Zukunft? Der Titel unseres Buches verspricht es: Agile Organisationen aufbauen und gestalten. Natürlich könnten wir wieder die vielzitierten Beispiele nennen – Google, Apple und noch einige andere Protagonisten aus dem Silicon Valley. Aber das hilft Ihnen nur bedingt. Diese Unternehmen wurden unter ganz anderen Voraussetzungen und mit einem ganz anderen Verständnis von produktiven, innovationsfördernden Arbeitsbedingungen gegründet als Unternehmen, die es bereits seit mehreren Jahrzehnten gibt. Genauso wenig hat Agilität aber etwas mit tatsächlicher oder mittels guter Werbung erschaffener Coolness zu tun. Ein Handwerksbetrieb aus Wanne-Eickel kann so agil sein wie Apple, wenn eines gelingt: die absolute Ausrichtung auf den Kunden. Dazu braucht es die Bereitschaft, eine flexible Struktur zu schaffen. Zu allererst ist dafür aber Flexibilität im Denken nötig.[12]

Befreien Sie sich also zunächst von vorgefertigten Bildern über eine agile Organisation. Erwarten Sie keine idealtypischen Organigramme, Strukturen und Abläufe. Das hilft Ihnen nicht weiter, wenn Sie vielleicht gerade darüber nachdenken, wie Sie Ihre Produktentwicklung mit 1.500 – oder so wie einer unserer Kunden mit 3.000 – Mitarbeitern umgestalten wollen. Scrum folgt gewissen Prinzipien und Regeln, um Arbeitsprozesse effektiv zu organisieren, das ist richtig. Erwarten Sie aber nicht, dass es ein weiteres Modell ist, das man den Mitarbeitern überstülpen kann. Das Scrum-Prinzip ist ein Rahmenwerk für eine Entwicklung, verwechseln Sie es nicht mit einem modischen Aushängeschild. Es ist in erster Linie eine bestimmte Art und Weise des Denkens und beruht auf Werten des Miteinanders und damit auf einem Menschenbild, das für viele Organisationen nicht weniger als einen völligen Kulturwandel bedeutet. Wenn Ihre Organisation mit Scrum zu arbeiten beginnt, ist das wie das Einpflanzen eines Samenkorns. Lassen Sie es wachsen, wird es von einer kleinen Keimzelle aus Ihre ganze Organisation umkrempeln. Oder besser gesagt: Es wird die Möglichkeiten freilegen, die schon immer in Ihrer Organisation angelegt, aber lange Zeit von Überkontrolle und endlosen Schichten der Entscheidungsdelegation verschüttet waren. Was sich daraus entwickelt? Kein zweites Google, kein zweites Apple. Daraus entwickelt sich die unverwechselbare Handschrift Ihres Unternehmens. Sie wird sichtbar, wenn Mitarbeiter wieder die Verantwortung für ihr Handeln zurückbekommen und sich selbst nicht mehr als Rädchen, sondern als Teil der Lösung erleben.[13]

Überall dort, wo Menschen miteinander auf selbstverantwortliche Art und Weise am gemeinsamen Ziel „begeisterter Kunde“ arbeiten, finden wir also Agilität oder Spuren davon. Dazu sind die passenden Rahmenbedingungen nötig. Eine davon ist das absolute Commitment des Managements. Daher finden wir agile Organisationen bisher selten in aller Konsequenz durchdekliniert, von der obersten Führungsebene bis zum einzelnen Mitarbeiter und quer durch alle Bereiche. Aber es gibt viele Unternehmen, die sich auf den Weg gemacht haben, herauszufinden, was Agilität für sie bedeutet. Viele Organisationen straucheln dabei, ohne jedoch zu fallen, und nur wenige haben den Veränderungsprozess bereits abgeschlossen. Sie werden in diesem Buch die eine oder andere Reisegeschichte solcher Organisationen lesen, deren Grundtenor ist: Es ist eine ständige Konfrontation mit dem eigenen Selbstverständnis. Und eigentlich findet Veränderung immer statt.[14]

Sie werden dieses Buch in die Hand genommen haben, weil Sie wissen wollen, wie das andere gemacht haben und wollen davon lernen. Das erste Kapitel ist der Utopie gewidmet. Es zeigt Ihnen nicht die eine agile Organisation, sondern Bausteine, aus denen sich Ihre agile Organisation zusammensetzen könnte. Daher zählen wir auf Ihre Mitarbeit. Nur mit Ihrem Vorstellungsvermögen wird es gelingen, die Ideen dieses Buches so zu formieren, dass für Sie ein attraktives Bild entsteht. Ein Bild, das Sie zum Aufbruch antreibt und Sie die ersten Schritte gehen lässt. Also, fangen wir an: Springen wir in die Realität!

Teil 1 Auf der Suche nach der agilen Organisation

1   Es war einmal der Kunde

Boris Gloger

Meine Frau ist Apothekerin. Sie liebt es, das letzte Quäntchen aus einer Tube herauszupressen, egal ob Zahnpasta, Senf oder Tomatenmark. Weil es Apotheker mit den Quäntchen sehr genau nehmen müssen, haben sie wohl auch dieses Gerät entwickelt, mit dem man wirklich den kleinsten Rest rausholen kann: Tube einlegen, drehen, Tube völlig leer. Einmal erzählte mir meine Frau von den strahlenden Augen einer älteren Dame, die mit einer fast aufgebrauchten Salbentube in die Apotheke gekommen war. Sie wollte sich eine neue holen, natürlich bekam sie die auch. Gleichzeitig bot meine Frau ihr aber auch an, die angebrochene Tube ganz auszuquetschen. Zehn Sekunden später war das erledigt und die Kundin war glücklich – jetzt reichte der Inhalt noch für zwei weitere Tage. Von diesem Wow-Erlebnis, wie es Autor Tom Peters nennen würde, erzählte die Dame ihren Freundinnen. Die Apotheke hat jetzt drei Stammkundinnen mehr.[15]

Eigentlich müsste ich Ihnen jetzt etwas über die unglaubliche Komplexität erzählen, in der sich Unternehmen heute zurechtfinden müssen. So fangen etwa 98 Prozent aller Artikel und Bücher an, wenn es um Change-Management und Organisationsentwicklung geht. Alles ist so wahnsinnig schnell und unübersichtlich geworden. Ja, natürlich ist es das. Aber es gibt eine Konstante: den Kunden. Sie wissen, diese Menschen, die Produkte kaufen. Aus den unterschiedlichsten Motiven, aber immer deswegen, weil ein Produkt einen persönlichen oder unternehmerischen Zweck besser erfüllt als alle anderen. Auch die Kunden haben sich verändert, selbstverständlich – aber das tun sie mittlerweile seit einigen Jahrtausenden. Klar, traditionelle Apotheken haben einen großen Vorteil: Sie sind nah an ihren Abnehmern. Meine Frau erlebt den Kunden täglich. Ihr Kunde ist meistens auch der Anwender. Sie kann sich innerhalb einer Sekunde eine Lösung, und sei sie noch so klein, überlegen oder ein Produkt anbieten, das bei einem bestimmten Problem hilft. In meiner Beratungswelt, in der Welt der Produktentwicklung im Softwarebereich, treffen meine Kollegen und ich bei großen wie kleinen Unternehmen genau das Gegenteil an. Wenn wir dort erklären, dass Scrum-Teams – also die Mitarbeiter, die das Produkt entwickeln – den Anwender kennen und sich mit ihm unterhalten können müssen, ernten wir interessante Reaktionen: vom bassen Erstaunen über amüsiertes Grinsen bis hin zu offener Ablehnung. Sofortige Zustimmung erleben wir selten. Wir haben auf etwas Unerhörtes hingewiesen: Darauf, dass Unternehmen Kunden haben. Mit Problemen, für die sie Lösungen suchen.[16]

Aus der Praxis

Wir sollten einem medizintechnischen Unternehmen dabei helfen, die Produktentwicklung mit Scrum zu beschleunigen und zu verbessern. Als ich mir die Mannschaft, die das Produkt entwickelte, anschaute, stellte ich fest: Die meisten hatten das Vorgängerprodukt noch nie im Einsatz in einem Labor gesehen. Sie sollten also ein Gerät entwickeln, von dem sie nicht einmal wussten, wie eine Medizinisch-technische Assistentin es bedient. Geschweige denn, in welchem Kontext dieses Gerät eingesetzt wird. Sicherlich kann man es ihnen erzählen, aber das ist etwas vollkommen anderes, als es selbst zu sehen. Wir erreichten, dass die Teams ein Labor besuchen konnten.

Was mein Team und ich statt der Hinwendung von Unternehmen zum Kunden erleben (und was man auch in den Wirtschaftsmedien zuhauf nachlesen kann), ist die ständige Beschäftigung mit sich selbst. Egal, ob wir mit unseren Seminarteilnehmern diskutieren oder mit den Menschen, denen wir in Veränderungsprojekten begegnen: Sie denken nicht darüber nach, wie sie ihre Kunden zufriedenstellen oder vielleicht sogar völlig happy machen können. In erster Linie geht es immer darum, den eigenen Arbeitsplatz zu sichern. Welche Veränderungen werden auf den Einzelnen zukommen und wie soll man in diesem neuen Rahmenwerk namens Scrum arbeiten? Erklären wir dann im Laufe des Tages, wie das agile Management-Framework Scrum tatsächlich funktioniert, werden die Gesichter immer länger und blasser. Denn allen wird klar: Um agil zu werden, muss man sich in erster Linie mit dem Draußen beschäftigen, also mit dem Kunden. Statt Nabelschau zu betreiben, muss der Blick nach außen gerichtet und der andere verstanden werden. Es gilt, die eigenen Arbeitsprozesse so zu verändern, dass sie einen Wert für den Kunden darstellen.[17]

Aber warum ist das so? Warum stellen sich Unternehmen so auf, dass sich ihre Mitarbeiter immer mehr von dem entfernen, was das Unternehmen einmal erfolgreich gemacht hat? Diese Frage stellen wir immer, wenn wir uns mit den CEOs oder Firmengründern treffen. Und immer bekommen wir die gleiche Antwort: Die Gründer kannten ihre Kunden, sie kannten den Markt, und sie wollten für diesen einen Kunden etwas erzeugen. Mit diesem Gedanken haben es viele Unternehmen an die Spitze gebracht und gleichzeitig ist auf dem Weg dorthin der ursprüngliche Gedanke verloren gegangen.

Worüber wir hier reden, ist nicht mit dem Servicemantra der 1990er-Jahre zu lösen, denn es geht um die Produktentwicklung. Mit unseren Beobachtungen sind wir nicht allein. Auch Reinhard Sprenger oder Stephen Denning kommen in ihren Büchern über „Radikales Management“ zu ähnlichen Befunden (Sprenger 2012, Denning 2010): Dank der Fixierung auf Kostensenkung und Shareholder-Value ist der Fokus auf den Kunden verschwunden. Trends zu setzen schaffen nur wenige, neue Arbeitsplätze zu schaffen noch viel weniger. Stattdessen wurde in den letzten zwei Jahrzehnten massenhaft Produktionswissen durch Offshoring ausgelagert, um nicht zu sagen: auf Nimmerwiedersehen verscherbelt.1[18] Wo kein Wissen, da keine Innovation. Schon Peter Drucker schrieb in Management: „Because its purpose to create a customer, the business enterprise has two – and only these two – basic functions: marketing and innovation. Marketing and innovation produce results, all the rest are costs.“ (Drucker 1985, S. 57) Schon wieder geht es um den Kunden!

1.1   Wurzeln der Agilität

Das Gefährliche an Modewörtern ist, dass sie manchmal Tatsachen verschleiern. Meistens die Tatsache, dass es sich nicht um etwas grundlegend Neues handelt, sondern dass wir irgendwann – ebenfalls im Sog von Modeerscheinungen – von einem richtigen Weg und von unserem gesunden Menschenverstand abgekommen sind. Genau so verhält es sich mit der „Agilität“: Von der Software- über die Automobilindustrie bis zur Medizintechnik wollen Manager ihre Unternehmen heute agil machen. Wie bei vielen Trends der vergangenen Jahre beschäftigen sich viele Organisationen aber nicht mit den zugrunde liegenden Ideen. Viele wollen den schnellen Erfolg durch eine Methode, in unserem Fall Scrum, aber ohne die dazugehörigen Mühen. Wenn sich der Erfolg nicht einstellt, ist die Methode schuld – nicht der Umstand, dass man die dafür nötigen Veränderungen von Strukturen und Rahmenbedingungen nicht mit aller Konsequenz durchgeführt hat. Wenn eine agile Transition scheitert, dann meistens am mangelnden Glauben an die Sache und durch die Fehlannahme, dass sich erfolgreiche Veränderung an Terminpläne hält. Sie ist nicht einfach irgendwann beendet. „Agilität“ ist eine Haltung – und eine Haltung gibt man nicht nach Büroschluss ab.[19]

Aber zurück zu der Tatsache, dass Agilität nichts Neues ist. Kennen Sie Kelly Johnson? 1943, als Adolf Hitler seine Wunderwaffen entwickeln ließ, bekam der Konstrukteur von Lockheed Martin einen unmöglichen Auftrag: In 180 Tagen sollte er mit seiner Mannschaft einen völlig neuen Kampfjet bauen. Unmöglich? Kelly Johnson ist so vorgegangen: Er hat alle dafür notwendigen Ingenieure in ein Zelt gepackt, bürokratische Störungen ferngehalten, die Experten selbstorganisiert machen lassen und sie in Kontakt mit den Nutzern gebracht – mit den Piloten. Ergebnis: Die P-80, fertig entwickelt nach 143 Tagen und die Geburt von „Skunk Works“, der weitgehend autarken, bürokratiefreien Entwicklungsumgebung für radikale Innovationen bei Lockheed Martin.

Auch in der Softwareindustrie, von der die agile Welle angestoßen wurde, sind sogenannte agile Softwareentwicklungsmethoden im Grunde eine Wiederentdeckung. Ebenfalls ausgehend von der Rüstungsindustrie und den Erfahrungen des Mercury-Programms der NASA, in dem einige ihrer Softwareentwickler mitgearbeitet hatten, setzte die IBM Federal Systems Division lange Zeit auf iterative und inkrementelle Entwicklung (IID) (vgl. Larman, Basili 2003)[20]: Die Teams arbeiteten in sehr fokussierten, kurzen und zeitlich genau bemessenen Iterationen, also der wiederholten Anwendung des gleichen Prozesses. Daran schlossen sich Review-Phasen an und mit den erkannten Änderungsnotwendigkeiten ging es in die nächste Iteration. In einem internen Report an das IBM-Management schrieb M.M. Lehmann 1969 über die Vorteile von IID: „The basic approach recognizes the futility of separating design, evaluation, and documentation processes in software-system design. The design process is structured by an expanding model seeded by a formal definition of the system, which provides a first, executable, functional model. It is tested and further expanded through a sequence of models, that develop an increasing amount of function and an increasing amount of detail as to how that function is to be executed. Ultimately, the model becomes the system.“ (Larman, Basili 2003, S. 48) Das IID-Modell fiel gegen Ende der 1970er-Jahre einem neuen militärischen Standard der Softwareentwicklung zum Opfer, der das sequenziell ausgelegte Wasserfallmodell der Entwicklung favorisierte (aber belassen wir es aus historischer Sicht einmal dabei).

Eines sticht bei den zahlreichen „agilen“ Beispielen im Artikel von Larman und Basili besonders ins Auge: Es handelt sich keineswegs um triviale „Produkte“. Den Weltraum zu erobern oder einen Weltkrieg zu gewinnen, kann man wohl zur Gattung der komplexen Unterfangen zählen. Es waren Riesenprojekte, mit Hunderten involvierten Personen, und meistens hing von diesen Projekten das Leben von Menschen ab. Möglicherweise war die Welt damals wirklich einfacher, möglicherweise waren die Menschen noch nicht so verkopft wie heute. Jedenfalls gingen sie mit einem Prinzip ans Werk, das heute noch gültig ist, wenn man es mit komplexen Projekten zu tun bekommt und das auch grundlegend in der Arbeit mit Scrum ist:[21]

Zum Nachdenken

Fokussiere das Problem und dann zerlege es in kleine, überschaubare Einheiten. Arbeite eng mit dem Anwender zusammen und verbessere so Schritt für Schritt dein Produkt.

Versuche, der iterativ-inkrementellen Softwareentwicklung zu einem Comeback zu verhelfen, gab es immer wieder. Der wirkliche Durchbruch gelang aber erst Ende der 1990er-Jahre, als Software-Projekte so unübersichtlich geworden waren und die Entwickler unter einem solchen Leidensdruck standen, dass sie mit dem „Agile Manifesto“ lauthals „Stopp!“ schrien. 2001 trafen sich 17 Software-Entwickler – allesamt Koryphäen ihrer Zunft – und definierten ihren Zugang zu einer Form der Softwareentwicklung, in deren Zentrum die enge Zusammenarbeit zwischen Entwickler und Kunden steht.

„Manifest der agilen Softwareentwicklung

Wir zeigen bessere Wege auf, um Software zu entwickeln, indem wir es selbst tun und anderen dabei helfen.

Durch unsere Arbeit haben wir folgende Werte zu schätzen gelernt:

Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge[22]

funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation

Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlungen

Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans.

Das heißt, obwohl wir die Werte auf der rechten Seite wichtig finden, messen wir den Dingen auf der linken Seite größeren Wert bei.

(www.agilemanifesto.org; Übersetzung des Verfassers)“

Das Agile Manifesto fußt auf zwölf Prinzipien, die sich in den Rollen, Meetings und Artefakten von Scrum widerspiegeln und damit auch den Kern der agilen Organisation in sich tragen (www.agilemanifesto.org/principles.html):

Our highest priority is to satisfy the customer through early and continuous delivery of valuable software.

Welcome changing requirements, even late in development. Agile processes harness change for the customer’s competitive advantage.

Deliver working software frequently, from a couple of weeks to a couple of months, with a preference to the shorter timescale.

Business people and developers must work together daily throughout the project.

Build projects around motivated individuals. Give them the environment and support they need, and trust them to get the job done.

The most efficient and effective method of conveying information to and within a development team is face-to-face conversation.

Working software is the primary measure of progress.

Agile processes promote sustainable development. The sponsors, developers, and users should be able to maintain a constant pace indefinitely.[23]

Continuous attention to technical excellence and good design enhances agility.

Simplicity – the art of maximizing the amount of work not done – is essential.

The best architectures, requirements, and designs emerge from self-organizing teams.

At regular intervals, the team reflects on how to become more effective, then tunes and adjusts its behavior accordingly.

„Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge“

Schauen Sie einmal auf Ihre eigene Projektpraxis: Wie oft erleben Sie, dass man nur einmal hätte miteinander reden müssen, um viele Wege abzukürzen, effektiver miteinander zu arbeiten und schneller ans Ziel zu kommen? Wie oft erleben Sie, dass die Ihnen zur Verfügung stehenden Prozesse Ihre Arbeit eher behindern als sie zu erleichtern?

Alle agilen Entwicklungsprozesse gehen davon aus, dass die Teammitglieder und alle anderen Stakeholder miteinander reden und sich ständig austauschen müssen, um ein wirklich gutes Produkt liefern zu können. Dabei ist es für die Selbstorganisation wesentlich, den Einzelnen zu respektieren und anzuerkennen, dass er sich von allen anderen unterscheidet. Es ist selbstverständlich, dass Teams mit klar definierten Prozessen und guten Entwicklungswerkzeugen arbeiten. Aber: Prozesse und Instrumente dürfen nicht wichtiger als die Interaktionen und die Individuen werden.

Dieses Statement wird oft missverstanden und so ausgelegt, als dürften Teammitglieder plötzlich alles tun, als seien alle Dämme gebrochen und als dürfe man zum Beispiel an Scrum-Teams von außen keine Anforderungen stellen. Aber dem ist natürlich nicht so. Gerade das Management stark hierarchischer Organisationskulturen empfindet diesen Satz des Agile Manifesto als Bedrohung. Natürlich hatten viele Softwareentwickler, als sie mit Scrum in Berührung kamen, genau diese Einstellung. Scrum sagt ihnen nicht, wie sie zu arbeiten haben. In Scrum geht man davon aus, dass Entwickler ihren gesunden Menschenverstand einsetzen und die notwendigen professionellen Schritte unternehmen, damit das Produkt geliefert werden kann. Dieser Gedanke folgt dem Prinzip der Selbstorganisation: Das Wesen der Selbstorganisation ist, dass innerhalb klar definierter Rahmenbedingungen kreative Freiheit erlaubt ist, ja diese sogar erst auf diese Weise entstehen kann.[24]

Dabei gelten Anforderungen, Richtlinien und Notwendigkeiten, die zu beachten sind. Sie können ja auch nicht ein Auto bauen lassen und sagen: „Soll das Team mal machen, wir sehen dann schon, was dabei rauskommt.“ Das würde niemand tun, denn der Wagen muss so gebaut werden, dass er alle gesetzlichen Richtlinien und physikalischen Gegebenheiten berücksichtigt.

Die nächste Fehlannahme besteht darin, der Kunde dürfe in einem Scrum-Projekt nicht mehr definieren, was der Auftrag ist. Auch das ist Unsinn. Diese Fehlinterpretationen hat es häufig gegeben, und selbstverständlich gab es auch in der Geschichte Scrums Fehlschläge, weil Menschen, die Scrum nutzen wollten, mit diesen falschen Ideen gestartet waren. Scrum-Projekte können gerade deshalb nicht den Erfolg bringen, der möglich wäre. Die einfache Schlussfolgerung lautet dann, dass das Scheitern an der Methode liege, anstatt genau hinzusehen.[25]

Tipp

Menschen sind nur erfolgreich, wenn sie miteinander reden. Und zwar innerhalb von Prozessen, die hilfreich sind, und wenn sie dabei Instrumente einsetzen, mit denen sie ihre Ergebnisse schneller erreichen können.

„Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation“

Kein Satz der agilen Welt wurde und wird häufiger missverstanden als dieser. Er wird gerne und bewusst falsch ausgelegt und macht viele Entwicklungsteams angreifbar. Immer wieder hören wir von Kunden und Partnern, dass Teams nichts dokumentieren, denn schließlich machen sie ja Scrum. Betrachten wir das zugrunde liegende Problem: Dokumentieren Sie gerne? Schreiben Sie gerne Berichte und notieren Sie leidenschaftlich gerne, was passiert ist? Wie viele Dokumente sind nicht aktuell, weil sie nur für den Aktenschrank geschrieben wurden? Sie bewirken nicht, dass ein gutes oder besseres Produkt entsteht. Viele Menschen sehen Dokumentation als ein nutzloses Nebenprodukt, das ihnen nicht zwangsläufig dabei hilft, ihre Arbeit sinnvoll zu erledigen. Dokumentation ist nur dann sinnvoll, wenn ein anderer Mensch seine Arbeit im Anschluss schneller und effizienter erledigen kann.

Es gibt Dokumente, die alle für sinnvoll halten, die notwendig sind. Ein Arztbrief ist zum Beispiel nötig, damit im Krankenhaus alle anderen wissen, wie man einem Patienten helfen muss. Die Baupläne eines Architekten sind wichtig, weil sich daran die Arbeit auf einer Baustelle ausrichtet. In der Softwareentwicklung ist eine Dokumentation sehr sinnvoll, die es dem Kunden erlaubt, die Arbeiten an seinem Software-Inkrement an einen anderen Dienstleister weiterzugeben, wenn die Beziehungen zum ersten Dienstleister abgekühlt sind oder jener beschließt, ein Produkt aufzulassen. Diese Dokumentation stellt sicher, dass Menschen weitermachen können, wo andere aufgehört haben.[26]

Zum Nachdenken

Notwendige Dokumentation muss erstellt werden. Und zwar vom Scrum-Team selbst oder in einer großen Entwicklungsabteilung von den Support-Teams, die Scrum-Teams unterstützen.

Was will dieser Satz des Agile Manifesto sagen? Am Ende darf der Projekterfolg nicht nur daran gemessen werden, ob der Bauplan erstellt wurde oder die Diagnose des Arztes vorliegt. Das Dokument ist nicht das Produkt. Also misst sich auch der Produkterfolg nicht daran, ob die laut Prozess korrekten Dokumente geschrieben wurden.

„Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlungen“

Dieses Prinzip bedeutet nicht, dass keine Verträge geschlossen oder ausgehandelt werden sollen. Es ist so zu verstehen: Natürlich benötigt man Verträge. Gemeinsam klar und deutlich festzulegen, wie man miteinander arbeiten will, ist sinnvoll. Zu regeln, wie hoch die Bezahlung ist und wie gezahlt werden soll, darüber nachzudenken, was passiert, wenn eine der Parteien nicht mehr so mitarbeitet, wie man ursprünglich wollte – all das ist sinnvoll und muss getan werden.[27]

Doch selbst der beste Vertrag muss nicht dazu führen, dass man auch gemeinsam am Projekterfolg teilhat. Gerade in der Softwareindustrie werden IT- und Softwareentwicklungsabteilungen gerne als Dienstleister gesehen. Auch die Lieferanten von Software werden klassisch in die Ecke des Dienstleisters gestellt – und dort bleiben sie stehen, ohne ausreichende Informationen, um ihre Arbeit zielgerichtet und erfolgreich durchzuführen. Allerdings zeigt sich in der Softwareentwicklung seit Jahren, dass nur jene Projekte erfolgreich verlaufen, bei denen die, die eine Software schreiben, und die, die das Produkt haben wollen, eng zusammenarbeiten. Immer wieder wird deutlich, dass Kunden die Produkte, die sie wirklich brauchen, nur bekommen, wenn sie sich einbringen und aktiv mitwirken, wenn sie während des Projekts als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Die Funktionalitäten, die ihnen das Arbeiten erleichtern, erhalten sie dann, wenn sie den Entwicklungsteams zur Seite stehen. Aus meiner Erfahrung kann ich sagen: Wenn sich die Vertragspartner verstehen und gemeinsam Erfolg haben wollen, dann ist die Wahrscheinlichkeit extrem hoch, dass das gelieferte Produkt zufriedenstellend ist. Somit ist es wichtig, die Mitwirkungspflichten des Auftraggebers umfassend zu beschreiben und den kooperativen Ansatz zu unterstreichen, ohne dem Auftragnehmer die Verantwortung für die Qualität zu nehmen.

Das Gesagte weist auf das Prinzip Respekt hin: „Wir gehen respektvoll miteinander um.“ Der Kunde versucht nicht, den Dienstleister auszuquetschen, und der Dienstleister will den Kunden nicht über den Tisch ziehen.[28]

„Reagieren auf Veränderungen mehr als das Befolgen eines Plans“

Sofort springt die Aufmerksamkeit auf das letzte Wort: Plan. Dieses Wertepaar wird häufig so ausgelegt, als gäbe es bei agilen Projekten und bei der agilen Produktentwicklung keine Pläne, als gäbe es nur das Chaos: Niemand weiß, was man bekommt, und niemand kann sagen, wie kostspielig das Projekt oder das Produkt sein wird.

Diese Interpretation ist falsch. Bei agilen Projekten wird sogar noch öfter und konkreter geplant als bei traditionellen Verfahren. Insgesamt gibt es dabei fünf Ebenen:

Vision,

Roadmap,

Release,

Sprints/Iteration,

tägliche Arbeit.

Agile Methodiker haben dafür unzählige Planungsverfahren und Werkzeuge entwickelt. Es beginnt zum Beispiel mit klaren Vorstellungen darüber, wie man eine Vision erzeugt und wie man daraus Release-Pläne macht. Außerdem gibt es konkrete Handlungsanweisungen dafür, wie ein Sprint Planning abzuhalten ist.

Auf allen Ebenen ist den Beteiligten klar, dass jede dieser Aktivitäten iterativ wiederholt wird und der Plan kontinuierlich angepasst werden muss. Das Entwicklungsteam plant jeden Tag, um gemeinsam das Sprint-Ziel zu erreichen. Während des Sprints sprechen Entwicklungsteam und Product Owner darüber (oder anders ausgedrückt: Sie planen gemeinsam), wie der nächste Sprint durchgeführt wird. Zu Beginn eines Release sprechen Scrum-Team und Kunden darüber, was in dem nun anstehenden Release produziert werden soll. Der Product Owner und die Kunden reden während des gerade laufenden Release darüber, wie das Produkt auf längere Sicht weiterentwickelt werden soll: Product Roadmap und die Vision des Produkts werden am Markt überprüft, und gegebenenfalls wird gemeinsam eine tragfähigere Vision für das Produkt generiert. Der gesamte Planungsprozess ist dabei im Idealfall sehr transparent. Für jeden dieser Prozesse gibt es eigene Visualisierungstechniken und Moderationsmethoden, um die Kommunikation zwischen den Parteien möglichst effektiv zu gestalten. Keinen Plan haben? Das geht auch in der agilen Entwicklung nicht.[29]

Bei der Agilität, so wie sie die Verfasser des Manifests und die „Väter“ diverser agiler Methoden und Frameworks definiert haben (wie auch mein Team und ich sie sehen), haben wir es bei Scrum und anderen Methoden also nicht nur mit einem ziemlich cleveren Komplexitäts-Handling zu tun. Agilität ist zum einen eine Sache von Werten und Prinzipien. Und zum anderen nimmt sie den Einzelnen in die Verantwortung. Genau das macht eine Transition zum Kraftakt, was wir später noch sehen werden.

Kennzeichen einer agilen Organisation

Welche Rückschlüsse können wir aus den Prinzipien des Agilen Manifests für die agile Organisation ziehen? Die agile Organisation ist eine nach außen gerichtete Organisation! Sie stellt den Kunden in den Mittelpunkt, statt sich ständig mit sich selbst zu beschäftigen und schafft für den Kunden den WOW-Effekt. Dieser wird sich dann einstellen, wenn der Kunde die Lösung für ein Problem bekommt, das er noch gar nicht kennt oder noch nicht wahrgenommen hat. Eine agile Organisation ist eine Organisation, die alle internen Prozesse darauf ausrichtet, das richtige Produkt dann, wenn es gebraucht wird, zu liefern. Deshalb ist sie so strukturiert, dass sie auf die Anforderungen von außen sofort reagieren kann. Sie bewegt sich immer schneller als die Kundenbedürfnisse wachsen können und denkt, was sich der Kunde noch gar nicht vorstellen kann. Dazu muss aber die Arbeitsumgebung menschengerecht gestaltet sein – also kreativ, anregend und sozial.[30]

Abb. 1: Agile Organisationen richten den Blick auf das Außen

Unternehmen, die das verstanden haben, hören auf, ständig die Mitarbeiter und lokale interne Prozesse zu optimieren. Sie optimieren aus der Sicht des Kunden das gesamte Liefersystem und haben dabei die gesamte Wertschöpfung im Blick. Diesen Gedanken finden wir bereits sehr deutlich in den Arbeiten von Eliyahu Goldratt: Er legt schon in The Goal dar, dass die Effektivität eines Unternehmens nur dann steigen kann, wenn nicht alle internen Prozesse effizient gestaltet werden, sondern nur die, die den gegenwärtigen Flaschenhals (Bottleneck) bezogen auf den Gesamterfolg bilden. (vgl. Goldratt, Cox 2004)Reinhard Sprenger stößt ins gleiche Horn, wenn er in Radikal führen schreibt: „Ein Unternehmen ist dann gut geführt, wenn es gute Produkte erzeugt und diese zu fairen, marktgebildeten Preisen anbietet. (…) Die Probleme unserer Kunden, das ist das Geheimnis langfristigen Erfolges. Die Kundenproblematik sich zu eigen machen, wirklich immer wieder neu zu eigen zu machen – und immer wieder vom Problem, niemals von der Lösung her zu denken.“ (Sprenger 2012, Kindle Edition Pos. 539f.)[31]

Um das zu können, muss einem agilen Unternehmen gelingen, was traditionellen Unternehmen nach einiger Zeit nicht mehr gelingt: Die Mitarbeiter ausrichten – auf den Markt und die sich dort ständig verändernden Bedingungen. Die Frage lautet also: Wie kann man die Probleme des Kunden zu den Menschen bringen, die Produkte bauen sollen?

1.2   Im Konflikt – der Einzelne und das Unternehmen

Wirklich gut funktioniert in vielen Unternehmen die „Produktion“ von demotivierten Mitarbeitern, die unter Burn-out oder Bore-out leiden. Keine gute Voraussetzung, wenn die Devise „Innovation, Effektivität und Wachstum“ lautet und der Nachschub an qualifizierten Mitarbeitern ins Stocken gerät. Viele Unternehmen versuchen sich damit zu helfen, die eigenen Mitarbeiter zu effizienteren „Arbeitern“ zu machen, was an sich eine vollkommen logische Überlegung des klassischen Managements ist. Doch wie immer, wenn man mit dem Denken aus dem Industriezeitalter an diese Frage herangeht, kommen dabei Lösungen heraus, die ebenfalls aus der Wende zum 20. Jahrhundert stammen könnten. Es wird kontrolliert, motiviert, reportet und kostenoptimiert, statt eine kreative Atmosphäre zu schaffen, in der sich Menschen gerne von selbst[32] einbringen. Die Folge ist eine kalte Produktionslandschaft: talentgemanagt bis zum Anschlag, teamgebuildet bis zum Gehtnichtmehr, ihres eigenen Schreibtisches beraubt, mit dem Rollcontainer auf der Reise durch kollegiales Niemandsland. In ihrem Dokumentarfilm Work hard, play hard skizziert Carmen Losmann diese seelenlose, schöne neue Arbeitswelt. Die Zeit titelte dazu: „In der Endlosschleife des Optimierungsgequatsches“ (Fries, Zeit online April 2012). Von optimierungsgeeichten Unternehmensberatern wird in diesem Film über die Mitarbeiter gesprochen, nicht mit ihnen. Diese werden nach den Notwendigkeiten des Marktes, nicht ihrer Persönlichkeit entsprechend weiterentwickelt. Es sind die Berater und Coaches, die das Zepter der Organisationsentwicklung fest in der Hand halten. Weitgehend unsichtbar ist das Management. Seine Aufgabe, unter anderem Menschen zu führen und ihnen bei der Entfaltung persönlicher Stärken zu helfen, lagert es aus – an die Berater.

Filme wie jene von Losmann sind Ausdruck zunehmender Kritik am Geschäft mit der „Ressource“ Mensch. Diese Frage muss sich jeder Organisationsentwickler und damit auch jeder Scrum-Berater, der eine Organisation agil machen will, stellen: „Machen wir uns zu willfährigen Werkzeugen, indem wir mit noch besseren, weil subtileren Methoden eine neue Form der Ausbeutung vom Mitarbeitern ermöglichen, statt uns in den Dienst der Menschen zu stellen, für die wir diese Organisation verändern wollen?“ Wenn Organisations- und Mitarbeiterentwicklung so verstanden wird, wie es Losmann deutlich macht, dann ist unsere Antwort: „Ja!“ Diese Coaches und Berater haben den Menschen trotz aller Sozialrhetorik nur als Ressource im Blick.[33]

Von diesem Bild und diesem Anspruch der Organisationsentwicklung distanzieren sich meine Mitstreiter und ich. Aber natürlich wollen wir Unternehmen entwickeln, sonst wäre dieses Buch nicht entstanden. Dies gelingt nicht ohne eine veränderte Sichtweise darauf, was die Aufgabe des Managers in einer agilen Organisation ist. Wir als Berater wollen Unternehmen auf ihr eigenes Produkt hin entwickeln und Mitarbeitern durch ein neu verstandenes Management die Möglichkeit bieten, sich in Unternehmen kreativ und erfüllend einzubringen. So verstanden ist Scrum keine neue Karotte, die den Esel lockt, sondern ein Weg, die Freude an der eigenen Arbeit wiederzufinden.

Neue Umstände, altes Verhalten

Das Verhältnis zwischen Unternehmen und ihren Mitarbeitern hat sich seit der industriellen Revolution noch nicht grundlegend geändert. Der Einzelne erzeugt einen Mehrwert für das Unternehmen, hat selbst aber nicht zwangsläufig etwas davon, vom regelmäßigen Einkommen abgesehen. Um der Ausbeutung der Arbeiter Einhalt zu gebieten, wurden seinerzeit die Gewerkschaften gegründet, denn ein schlagkräftiges Argument der Unternehmer war immer: „Wenn ihr nicht arbeiten wollt, dann gibt es genug andere, die es tun.“ Das Argument ist alt, aber gut, denn heute wird es sehr effektiv gegenüber Hochschulabsolventen genutzt. Angeblich hat der Einzelne in unserer Gesellschaft nur dann eine Chance auf Karriere und Glück, wenn er sich ständig weiterbildet – das meistens nach den Wünschen anderer – um ein Soll-Profil zu erfüllen. Was die „wertvollsten Ressourcen eines Unternehmens“ zu hören bekommen, ist ein oft künstlich erzeugter Mangel: Arbeitsplätze seien rar, die Aufstiegschancen begrenzt, und wie beim Spiel Die Reise nach Jerusalem[34] befinden wir uns alle im Wettkampf um die Plätze, von denen es immer einen zu wenig gibt.

Dabei ist das blanker Unfug. In den westlichen Industrienationen gibt es zu wenige Arbeitskräfte. Genau genommen muss niemand Angst haben, seine Chance auf das Lebensglück zu verpassen. Der deutsche Philosoph und Publizist Richard David Precht sagte im Zuge eines Gesprächs mit dem Neurobiologen Gerald Hüther (ZDF-Sendereihe Precht: „Macht lernen dumm?“, Sendung vom 02.09.2012) treffend: „Wobei ja heute ein gewisser Wahn darin besteht, dass die heutigen Eltern glauben, dass ihre Kinder eine wahnsinnig harte Zukunft haben werden, etwa in Konkurrenz gegen die chinesischen Kinder und vieles andere mehr. In Wahrheit hat es doch wahrscheinlich noch nie eine Generation von Kindern gegeben, die es so einfach hat. So einfach hat, später einen guten Beruf zu finden. Ich meine, heute sind in den Schulen sechs Millionen weniger Kinder als zu der Zeit als ich geboren wurde. 1964 war der geburtenstärkste Jahrgang der Bundesrepublik. Das war eine Generation, wo es nicht einmal Lehrstellen gab. Heute sieht es eigentlich so aus, dass alle diese Kinder, also auch diese 80 Prozent der Abiturienten, die wir ja gerade ausgesponnen haben, eigentlich alle gebraucht werden. Und trotzdem tobt in der Mentalität der Menschen ein Verdrängungswettkampf, ein Darwinismus um den Platz, gutes Abitur, bester Zugang zur Universität, der eigentlich gar nicht mehr zeitgemäß ist, aber von denen diese Eltern glauben, es sei die Zukunft.“[35] Das von Precht angesprochene Bild ist schon Realität und gilt nicht nur für Abiturienten und Studenten. Wo sind die guten Handwerker, die nichts zu tun haben? Es gibt sie nicht. Die Auftragsbücher sind voll, aber es fehlt der Nachwuchs.

Ein anderes Indiz, das eher einen Mangel als einen Überschuss an Jugendlichen und Absolventen verrät: Wieso entwickeln Unternehmen ihre Mitarbeiter? Doch nicht, weil es an der nächsten Ecke Ersatz für sie gibt. Auch nicht, weil Unternehmen ihre Angestellten unbedingt ausbilden wollen. Sie tun es, weil sie die Arbeitskräfte, die sie brauchen, am Markt nicht finden. Damit Unternehmen in einer Wissens- oder Informationsgesellschaft wachsen können, muss aber auch die Zahl ihrer Wissensmitarbeiter wachsen. Beratungsdienstleister oder High-Tech-Unternehmen können nicht so schnell wachsen, wie sie es gerne würden, weil ihnen die Mitarbeiter fehlen. Absolventen von Elite-Universitäten werden von Unternehmensberatungen und Großbanken mit Einstiegsgehältern ab 165.000 Dollar pro Jahr gelockt. Wirtschaftskanzleien in Deutschland zahlen den besten 900 Absolventen Einstiegsgehälter, die jeden Familienvater, der als Krankenpfleger, Stationsarzt, Buchhalter oder Bankangestellter arbeitet, vor Wut kochen lassen müssten. Diese jungen Menschen sind gerade mal 25 Jahre alt und verdienen besser als Menschen, die seit Jahrzehnten ihren Beitrag für die Gesellschaft leisten. Aber das reicht noch nicht. Der Anspruch dieser Absolventen hört mit dem Geld nicht auf:[36]

„„Das Gehalt ist ein wichtiges, aber nicht das entscheidende Kriterium“, beobachtet Thorsten Reinhard, Personalpartner der Kanzlei Noerr. „Am Ende entscheidet – wie so viele Bewerber es formulieren – der Bauch.“ Kilian Helmreich, Gesellschaftsrechtler der Kanzlei Latham & Watkins, sagt es drastischer: „Einige tausend Euro mehr oder weniger geben nicht mehr den Ausschlag.“ Viel wichtiger sind in den vergangenen Jahren ganz andere Kriterien geworden, wie die Umfrage dieser Zeitung ergeben hat: eine gute Arbeitsatmosphäre in einem international ausgerichteten Umfeld, interessante Mandate, der gute Ruf einer Kanzlei, die Möglichkeit von Auslandsaufenthalten und Sabbaticals – und nicht zuletzt Angebote zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das betreffe sowohl die normalen Arbeitszeiten als auch störungsfreie Wochenenden, Urlaube oder Feierabende sowie die Flexibilität, von zu Hause arbeiten zu können, zählt Noerr auf. Einige Kanzleien bieten inzwischen Unterstützung bei der Kinderbetreuung an, entweder mit einem eigenen Kindergarten wie Clifford Chance oder durch eine Kooperation mit einer privaten Einrichtung wie Baker & McKenzie.” (Budras, FAZ online, 4.8.2013)“[37]

Unternehmen, die früher diese Gehälter wegen äußerst harter Arbeitsbedingungen gezahlt haben, sollen nun eine Arbeitsumgebung bieten, die eigentlich als normal angesehen werden könnte – und darüber hinaus diese Entlohnung zahlen. Das geht nur, wenn die Mitarbeiter um ein Vielfaches produktiver werden, als sie es bisher waren, oder?

Das optimierte Individuum. Das Topmanagement vieler Unternehmen steht vor einem Dilemma: Weil Unternehmen sich solche (Arbeits-)Bedingungen für ihre Mitarbeiter nur leisten können, wenn die Arbeit zu besseren Resultaten führt, müssen sie Change-Prozesse anstoßen, um noch mehr Leistung aus den Mitarbeitern herauszuholen. Versuche, dies zu tun, funktionieren anscheinend nicht. Die Frage lautet also, wie dies zu geschehen habe. Die klassischen Beratungsansätze dazu greifen in ihren Bemühungen zu kurz – obwohl sie ihre Ursprünge in der Gruppendynamik haben, mit Elementen des NLPs versehen, mit lösungsorientierten Ansätzen garniert und in den Dienstleistungsbereichen neuerdings sogar mit Aspekten des Lean Management angereichert sind. Sie bleiben stecken.

Ursache dafür ist die in unserem kollektiven Bewusstsein vorherrschende Meinung, dass das Individuum selbst besser werden muss und das möglichst innerhalb der bestehenden Prozesse und Rahmenbedingungen. Das beginnt bereits in der Schule, zieht sich durch die Ausbildungsbetriebe, Hochschulen und später durch die Unternehmen. Der Einzelne soll passend gemacht werden für Prozesse, die – weil sie eben nicht nach außen gerichtet sind – seine Arbeit ineffektiv machen. So ineffektiv und sinnentleert, dass der gerade 20 Jahre lang ausgebildete Hochschulabsolvent mit Erfahrungen im Ausland, drei Sprachen und zwei Praktika im internationalen Umfeld, mit zwei Abschlüssen und möglicherweise sogar einem Doktortitel seine Motivation verliert. Der Einzelne wird durch immer neue Prozesse vereinzelt. Das bedrückendste Beispiel dafür sind in Losmanns Film die Methoden der inszenierten spontanen Kommunikation: Mit dem Anspruch, hochkommunikative Mitarbeiter zu schaffen, müssen sich selbige mit „nonterritorialen“ Arbeitsplätzen begnügen. Doch die Realität sieht anders aus: Schweigend sitzen dort die Menschen nebeneinander und starren auf die Monitore ihrer Laptops. Selbst die Kaffeeküchen erinnern mehr an Designmuseen als an einen behaglichen Ort, an dem man sich gerne mit den Kollegen austauscht.[38]

Gerade die meisten jungen Menschen wollen sich einbringen und etwas bewegen. Sie wollen mit ihren Ideen ernst genommen werden. Würden sie nicht schon auf den ersten Metern von überbordender Bürokratie und endlosen Entscheidungswegen desillusioniert, ließe sich ein Großteil der teuren Motivations- und Anreizprogramme einsparen und gerade deswegen würde man bessere Ergebnisse erzielen. Wie schafft man es, dass diese hervorragend ausgebildeten Mitarbeiter ihre kreative Kraft freiwillig im Unternehmen einbringen? Wie kann diese Ausrichtung auf das gemeinsame Ziel – den Kunden – gelingen? Diese Fragen muss sich das Management in agilen Organisationen stellen. Unsere Antwort lautet: Wir brauchen ein neues Management, um die Brücke zwischen Individuum und Organisation zu bauen.[39]

Definition
Der Begriff „Management“

Wenn wir in diesem Buch vom „Management“ oder „den Managern“ sprechen, meinen wir damit in erster Linie die Führungskräfte der Aufbau- und Projektorganisation, wie etwa Team-, Abteilungs-, Gruppenleiter, Projekt- und Programmmanager.

Als Topmanager bezeichnen wir alle First-Level-Manager, zum Beispiel Geschäftsführer oder Chief Executive Officer (CFO, CEO, CTO, COO …) sowie in großen Organisationen den Vorstand.

Uns ist klar, dass ein Manager gleichzeitig auch eine Führungskraft ist. In unserem Zusammenhang bezeichnen wir den Manager aber dann als „Führungskraft“, wenn der Aspekt der Führung besonders herausgestellt werden soll. Im agilen Sinne ist auch ein ScrumMaster, ein Product Owner und sogar das Teammitglied selbst eine Führungskraft.

Die Geburt des heutigen Managements. Wer steht aber für die Organisation? Das Management ist der Repräsentant einer Organisation an erster Stelle.

Ursache des Konfliktes zwischen Organisation und dem Einzelnen ist unser Bild vom Verhältnis zwischen Manager und Arbeiter, das am Anfang des industriellen Zeitalters entstanden ist. Die Unternehmer, die im Zuge der Industrierevolution die Grundsteine für weltumspannende Konzerne gelegt haben, waren Meister der Massenproduktion, die in der Automatisierung gipfelte. Dies war gut für die Gewinnlage der Hersteller von Industrierobotern, denn der Arbeiter am Band lässt sich auch durch viel leistungsfähigere und gewerkschaftsfreie Maschinen ersetzen.[40]

Das alles hätte nicht funktionieren können, so sieht es Gary Hamel, hätten diese Pioniere des modernen Unternehmertums nicht einen Primus inter Pares geschaffen. Aus der Menge der Arbeiter wurde eine neue Klasse von Arbeitern herausgehoben: Manager. Sie sollten die anderen dazu bringen, das zu tun, was getan werden musste.

Organisationen, wie wir sie heute kennen, sind ohne das Management nicht zu denken. Häufig meinen wir damit das mittlere Management, das ausführt, was im Topmanagement an Strategien erdacht wird. Das mittlere Management versucht, klare Arbeitsabläufe zu implementieren und Strukturen zu schaffen, die effizientes Arbeiten ermöglichen. Dieses Modell ist noch gar nicht so alt: Gerade einmal 120 Jahre ist es her, dass schlecht oder gar nicht ausgebildete Arbeiter – einstige Handwerker, Knechte, Mägde und Zimmermädchen – an die Fließbänder gestellt wurden. Henry Ford und Frederick Taylor nahmen jeden Arbeitsprozess so lange auseinander, bis er von ungelerntem Personal durchgeführt werden konnte. Ein hocheffektives System, wie Sargut und McGrath in ihrem Artikel Learning to Live with Complexity schreiben: „We have made [a] tremendous progress in our ability to operate complicated systems, even large ones; we’ve done this by studying breakdowns and adjusting accordingly.“ (Sargut, McGrath 2011, S. 76)[41]

Ford und Taylor glaubten mit ihrem Scientific Management, dass alles auf dieser Welt durch Naturgesetze mechanistisch erklärbar und dementsprechend optimierbar sei. Also bauten auch Arbeitsprozesse aufeinander auf. Dieses Weltbild der kausalen Verkettung von Ursache und Wirkung hält sich hartnäckiger, als uns manchmal bewusst ist, und nur langsam wird es aufgebrochen. Das Management eines Unternehmens war immer eine herausfordernde Aufgabe, allerdings stellt sie sich heute doch etwas anders dar. Den wesentlichen Unterschied macht der Grad an Komplexität, dem wir gegenüberstehen. Das Geschäftsleben habe immer mit dem Unvorhersehbaren, dem Überraschenden und Unerwarteten zurechtkommen müssen, schreiben Sargut und McGrath. Hohe Komplexität sei heute aber kein Phänomen großer Systeme mehr, sondern spiegle sich in unserer Zeit im Leben jedes einzelnen Menschen wider und natürlich auch in Organisationen aller Größenordnungen, um die Manager sich kümmern müssen. Diese potenzierte Komplexität sei paradoxerweise das Ergebnis der Informationstechnologie, die in den letzten Jahrzehnten eigentlich entwickelt wurde, um uns das Leben einfacher zu machen: „Systems that used to be separate are now interconnected and interdependent, which means that they are, by definition, more complex. Complex organizations are far more difficult to manage than merely complicated ones. It’s harder to predict what will happen, because complex systems interact in unexpected ways. It’s harder to make sense of things, because the degree of complexity may lie beyond our cognitive limits. And it’s harder to place bets, because the past behavior of a complex system may not predict its future behavior.“ (Sargut, McGrath 2011, S. 70)[42]

Komplexität entzieht sich jeglicher Vorhersagbarkeit und setzt dem Ansatz von Taylor und Ford ein Ende. Obwohl die Regeln, denen chaotische und komplexe Systeme folgen, sehr klar und einfach sind.

Am mechanistischen Weltbild simpler Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge festzuhalten, ist in einer Welt der chaotisch-komplexen Strukturen kaum noch erfolgversprechend. „Agilität“ ist ein Weg, dieser Komplexität zu begegnen.

1.3   Paten der agilen Organisation