Das sowjetische Fieber - Manfred Zeller - E-Book

Das sowjetische Fieber E-Book

Manfred Zeller

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Beschreibung

Womit identifizierten sich Bürger der Sowjetunion? Wie grenzten sie sich voneinander ab? Destabilisierten Massenaufläufe die sowjetische Ordnung? Wie entstanden informelle Gruppierungen in einer Gesellschaft uniformer Konformität? Welchen Einfluss nahmen neue Medien und mediale Vernetzung auf die Entwicklung der multinationalen sowjetischen Gesellschaft? Was blieb, als nach dem Zusammenbruch der sowjetische Rahmen fiel? Manfred Zeller schreibt am Beispiel der Fans sowjetischer Fußballmannschaften aus Moskau (Spartak, Dynamo, ZSKA) und Kiew (Dynamo) eine Geschichte von Gemeinschaft und Gegnerschaft im poststalinistischen Vielvölkerreich. Er untersucht, zu welchen Gruppen sich sowjetische Bürger zusammenschlossen und gegen wen sie sich wandten. Seine Monographie handelt von komplexen Loyalitäten in der multinationalen Sowjetunion - und von der Hassliebe zwischen Kiew und Moskau. Zeller leistet einen wichtigen Beitrag zur Erforschung der sowjetischen Populärkultur nach Stalins Tod sowie zur aktuellen Debatte um Antagonismen im postsowjetischen Raum. „Moskau gegen Kiew“ war zu sowjetischer Zeit noch keine Frage von Krieg und Frieden, jedoch war es im Fußball damals schon eine Frage von Sieg und Niederlage sowie eines Gefühls von "Wir gegen die" im komplexen multinationalen Setting der Region.

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ibidem-Verlag, Stuttgart

Meiner Familie

Zellery – ėto jaZellery – ėto my

Inhaltsverzeichnis

Vorwort
1. Fußballfieber und sowjetische Geschichte
1.1 Gegenstand und Fragestellung: Fußballfieber in der Sowjetunion
1.2 Forschungsstand: Fußballfieber im Lichte aktueller Debatten
1.3 Methode: Fußballfieber in Quelle und Analyse
2 Räuber und GendarmDie Ursprünge der Spartak-, Dinamo- und CDKA-Fangemeinschaften in Moskau, 1930-1950er Jahre
2.1 Dazugehören: Spartak-Euphorie im Stalinismus
2.2 Siegertypen: Dinamo und CDKA in der sowjetischen Nachkriegszeit
2.3 In den Höfen: Gegner in der Stadt
2.4 Gemeinsamer Jubel: Die Nationalmannschaft als Identifikationsobjekt
3 Schlagt diese Scheusale. Stadiongewalt, behördliche Strategien und Medien, 1950-1960er Jahre
3.1 Legitimer Zorn: Gegner im Stadion
3.2 Sichern, Erziehen, Propagieren: Fußballfans als Problem sowjetischer Öffentlichkeit
4 Sowjetische Pantoffelhelden. Fußballfans vor dem Fernseher, 1960-1980er Jahre
4.1 Mattscheiben: Fernsehfußball und neue Zuschauerkultur
4.2 Vater, Mutter, Kind: Geschlechterrollen vor dem heimischen Fernseher
4.3 Privilegierte Standpunkte: Beschwerdebriefe im Medienzeitalter
5 Unsere Internationale.Patriotismus, Nationalität und transnationale Fangemeinschaften um Dinamo Kiev, 1960-1970er Jahre
5.1 „Sowjetisches Ukrainertum“: Dinamo-Kiev-Fans als republikanische Gemeinschaft
5.2 Mannschaft der Völker: Dinamo-Kiev-Fans als transnationale Gemeinschaft
6 Im Hunderitt zum Auswärtsspiel. Organisierte Fankultur und sowjetische Herrschaft, 1970-1980er Jahre
6.1 Sowjetisch, Männlich, Jung: Stadionkultur in Moskau und Kiev im Vergleich
6.2 Steil in rot-weiß: Spartak-Schals als soziokulturelle Marker
6.3 Trophäen: Organisierte Fans zwischen Autorität und Gegnerschaft
6.4 Die Katastrophe: Das Unglück im Moskauer Lenin-Stadion 1982
6.5 Fangewalt und Hierarchien – Gestern und Heute
Schlüsse: Fußballfieber, Herrschaft, Gesellschaft
Verstaubte Helden
Redaktioneller Hinweis
Quellenverzeichnis
Archive
Zeitungen und Zeitschriften
Filme
Internetquellen
Interviews
Literaturverzeichnis
Insbesondere Torhüter symbolisierten die Verteidigung des Vaterlandes neuer sowjetischer Menschen. Diverse Repräsentationen von Torhütern, wie auch die „Verteidigung von Sevastopol“ werden diskutiert in O'Mahony 2006, S. 139-50. Dem einen oder anderen mag auch bewusst gewesen sein, dass Spieler Dinamo Kievs im Kinofilm „Der Torhüter“ von 1936 anstelle der Schauspieler auf dem Platz zu sehen waren. Evstaf'eva 2012, S. 33. Zu Fußball und Kriegserinnern siehe auch Kapitel 2.2.

Vorwort

Sport und Fans sind Phänomene der modernen Massenkultur. Sie gehören untrennbar zusammen, seit aktive körperliche Betätigung von Athleten und Spielern Interesse bei Betrachtern weckte. Doch so selbstverständlich Zuschauer zum Geschehen in und außerhalb moderner Stadien gehören unddasErscheinungsbild gegenwärtiger Gesellschaften prägen, so wenig haben sie Eingang in die historisch ausgerichteten Wissenschaften gefunden. Gewiss, Medien gewähren ihnen einen festen Platz in der Berichterstattung. Kulturphilosophen und Sozialwissenschaftler sehen im Zuschauersport ein Merkmal der Standardisierung und Kommerzialisierung der Kultur, der Freizeitgestaltung und einer neuartigen Soziabilität. Sind neuerdings Hooliganismus und Militanz im Spiel, melden sich auch politische Instanzen zu Wort. Doch woher kommt die Attraktivität des passiven Dabeiseins, des leidenschaftlichen Gruppenbewusstseins, der seriellen Vervielfältigung von Verhaltens-, Denk- und Gefühlsmustern oder des Strebens nach ewiger Jugend, die allesamt ohne Bezug zum Sport zwar nicht auskommen, diesen aber zunehmend als Bühne paralleler Selbstinszenierung und demonstrativer symbolischer Praktiken nutzen?

Die historische Studie von Manfred Zellerstellt sich diesen Fragenauf originelleWeise. Sie versteht sich ausdrücklich als Beitrag zur Allgemeinen Geschichte und legt den Grundstein für ein wenig erschlossenes Themenfeld, für das einschlägige Quellen anfangs schlicht nicht bekannt waren. Dieses ambitionierte Vorhaben erforderteKombinationsvermögen, Improvisationstalent, gestalterische Phantasie und kluge Anleihen aus unterschiedlichsten Bereichen historisch arbeitender Wissenschaften und der jüngeren kulturwissenschaftlichen Forschung. Es gewährt ungewohnte Einblicke in die Innenwelt spätsozialistischer Gesellschaften, die ohne aufwendige Zeitzeugen-Interviews kaum möglich gewesen wären. Darüber hinaus haben Recherchen in Moskauer und Kiever Archiven eine solide Materialbasis geschaffen, die durch die Auswertung einschlägiger Printerzeugnisse ergänzt wird.

Die ausgewählten Fußballfans sowjetischer Fußballmannschaften aus Moskau und Kiev zeigten zwar nach dem Zweiten Weltkrieg durchaus regionalspezifische Eigenarten. Zugleich aber stehen sie exemplarisch für transnationale und globale Wandlungsprozesse in Sport, Populärkultur und Massenmedien. Das empirische Material wird also in einer Weise erschlossen und befragt, die es für Vergleiche mit anderen regionalen und lokalen Entwicklungen öffnet. Deshalb sind wichtige Anstöße sowohl für die jüngere Geschichte des Sports als auch für die Zeitgeschichtsforschung insgesamt zu erwarten.

Erste Fan-Gemeinschaften entstanden bereits in der Sowjetunion der 1920er und 1930er Jahre. Sie wandelten sich im Zuge von Rivalitäten in der politischen Elite, der Terrorjahre, des Zweiten Weltkriegs und des Spätstalinismus, verloren aber nicht vollends ihre eigenweltliche Dynamik. Der multiethnische Charakter der sowjetischen Fußballliga erzeugte eine Spannung zwischen Anhängern der„zentralen“und der„regionalen“Mannschaften, was nicht zuletzt auch auf die Formen der Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit ausstrahlte. Der kulturelle Wettbewerb im Kalten Krieg machte dieses innere Konfliktpotential zu einer heiklen Hypothek.

Es gehört zu den zentralen Anliegen der Arbeit nachzuweisen, dass jene Teile der sowjetischen Gesellschaft, die leidenschaftlich einer Mannschaftanhingen, zugleich symbolische Verfahren entwickelten, „Gegnerschaft“ innerhalb des Systems zum Ausdruck zu bringen. Fanrituale scheinen wie rhythmischer Applaus sozial ansteckend zu sein. Sie unterlaufen staatlich postulierte „Gemeinschaften“ mit ihren restriktiven Verhaltenscodes ebenso wie die von schweigenden Mehrheiten ersehnte gesellschaftliche Homogenität, weil der populäre Fußballsport projektive Energien freisetzt, die nach alternativer Identität streben. Sie besitzen das Potential, das Verhalten von Massen zu synchronisieren und sie zur Selbstorganisation zu befähigen. Im Stadion, dem Versammlungsort eigenen Rechts und Entstehungsort neuartiger Leidenschaften, und bald auch in seinem Vorfeld und entlang des Streckennetzes der Reiserouten von Fans, die ihren Lieblingsclubs zu Auswärtsspielen folgen, entstanden Räume starker Emotionalität. Aversionen konnten gezeigt werden, ohne gleich den Rahmen systemkonformen Verhaltens zu sprengen. Allmählich zeigte sich indessen, dass die symbolische Integration in eine nicht durch die politische Sphäre definierte soziale Gruppe Sondermilieus hervorbrachte, deren Mitglieder dazu neigten, sich zu profilieren.

Mit dem Sport gewannen auch die Medien rasant an gesellschaftlichem Einfluss. Insbesondere das Fernsehen erlaubte eine neuartige Teilhabe an Ereignissen, bei denen der Betrachter selbst nicht anwesend war. In der virtuellen Masse der Zuschauer vor den Bildschirmen manifestierten sich „Einheiten“ (etwa bei Europa-Cup- oder Länder-Spielen), die unbestimmter verbunden waren als ihre sichtbaren Varianten im Stadion. Aus der Fanpost an Mannschaft, Trainer und Sportorganisation oder aus Leserbriefen an Sportzeitungen lässt sich herausfiltern, was der offiziellen Gemeinschaftsstiftung zuwiderlief oder sogar wie ein Antiseptikum gegen Vereinnahmung wirkte. Je mehr sich der Sportbetrieb internationalisierte und in der Television dupliziert wurde, desto stärker differenzierten sich individuelle und kollektive Ausdrucksformen der Gruppenzugehörigkeit. So standen unionsweit bekannte und beliebte Fußballclubs wie Dinamo Kiev für durchaus ambivalente Bekenntnisse. Sie waren multiethnisch zusammengesetzt, bezeugten also die Eignung des Sports als Medium gelingender Integration. Zugleich repräsentierten sie ein regionales bzw. peripheres („ukrainisches“) Gegengewicht gegen die Dominanz zentraler Moskauer Clubs. Mehr noch, Teile des sowjetischen Fernsehpublikums „fieberten“ für Spieler aus ihren Republiken, die gleichsam in die Rolle von Botschaftern schlüpften.

Diese Mehrdeutigkeit förderte schließlich auchdieEntstehung informell organisierter Fankultur im sowjetischen Fußballsport. Epidemisch breitete sich der Wunsch aus, die persönliche Zugehörigkeit schärfer zu kennzeichnen und sich radikaler von rivalisierenden Fangemeinschaften abzugrenzen. Die Gewaltbereitschaft nahm zu. In den zunächst formlosen Gruppen übernahmen Einzelne die Wortführerschaft, bestimmten durch frühzeitige akustische oder visuelle Zeichensetzung das kollektive Auftreten und setzten eine strenge Hierarchie durch. Sowjetischen Behörden gelang es in den frühen 1980er Jahren nicht mehr, moderate Kräfte zu stützen und eine Fankultur sowjetisch einzufangen, die in den folgenden Jahren ein Ort nationalistisch aufgeladener sozialer Aggression wurde, der vorwiegend männlich dominiert war. Der Sport verlor endgültig seine Unschuld, offenbarte, dass er niemals bloß friedliches Spiel gewesen war.

Manfred Zeller hat die Wegmarken dieses Wandlungsprozesses freigelegt und plausibel gedeutet. Seine eindrucksvolle Arbeit ist überaus lesenswert und verdient größten Respekt. Er scheut nicht die schwierige Auseinandersetzung mit dem Affektiven in der Geschichte. Über das Innenleben von Fangruppen, geteilte Leidenschaften in engen Räumen, das fragile Gemeinschaftserlebnis im Stadion oder das Rituelle und Nicht-Hinterfragte alltäglicher oder außerordentlicher Verhaltensweisen weiß er eine Fülle Neues zu sagen. Erstmals wird der Fußballsport im sowjetischen Kontext so eindringlich als Quelle von Inbrunst und Ekstase, Euphorie und Massenhingabe, Bekenntnis und Neigung beschrieben. In den Fetischen der Fans erkennen wir Gegensymbole zu den Devotionalien der offiziellen Kultur. Sie entfalten eine subversive Dynamik. „Fußballfieber“ ist Indiz für ein modernes „Leiden“: So sehr diejenigen, die ihm verfallen, ihren Idolen Anerkennung zollen, so ausgiebig feiern sie sich und ihr Gemeinschaftsgefühl selbst.

Nikolaus Katzer

Moskau/Hamburg im Oktober 2014

1.Fußballfieber und sowjetische Geschichte

Eisig kalt war es an jenem Abend, alsSpartak Moskauim heimischen Lenin-Stadionin Lužnikiauf das niederländische HFC Haarlemtraf.Der späteAustragungstermin, es war der 20. Oktober 1982,warfür europäische Fußballwettbewerbe nicht ungewöhnlich, aber in MoskauwarSchnee gefallen und die Tribünenwurdennur unzureichend geräumt.Nach Anpfiffdes UEFA-PokalspielshisstenFans von Spartak MoskauFlaggenund begannen zu skandieren. Die Milizreagierte, dennkoordinierte Mannschaftsunterstützungwarbei Fußballspielen in Moskau und anderen sowjetischen Städtenzu diesem Zeitpunktuntersagt.[1]Augenzeugen und Ermittlungsbericht beschreiben übereinstimmend,dass ein„Schneeballhagel“der Fans die Milizzeitweise zum Rückzug zwang, ehees zuersten Festnahmenkam.VieleZuschauerder„oberen Sektoren“wolltendie Tribünekurz vor Spielende, Spartak führtezu diesem Zeitpunktmit 1:0,über den Ausgangstunnel zwischen„der ersten und zweiten Etage“verlassen.[2]Jurij Michailov,[3]der ebenfalls bereits auf dem Weg nach Hause war,drang nicht bis zum Ausgang vor. Als das 2:0 für Spartak fielerreichteer gerade erst die Treppe. Dortstandermitten in einer Menschenmenge, von hinten drängten Menschen nach, nach unten ging es nicht weiter.Jurij Michailovbefand sich in einem„stehenden Menschenfluss“.Eswurdeenger,und bald, so war ihm klar,würdeessoweitsein, bald würde er keine Luft mehr bekommen.[4]

Im Treppenhaus von Lužnikistarben an diesem Abendmindestens 67Fußballfans.[5]Die meisten vonihnenwarenjugendliche Anhänger Spartak Moskaus.Die Katastrophekönnenurverstehen, da ist sich Jurij sicher, wer um die gegenseitigen Provokationen zwischender damals jungen informellen Spartak-Fanbewegung (fanatskoe dviženie)und der Milizwisse. Denn unten am Ausgang hätten Milizionäre von drei möglichen Ausgängen nur einen geöffnet, der zudem noch mit einem Ausziehgitter so verkleinert worden sei, dass nur„drei Menschen gleichzeitig hindurchgehen konnten“[6]. Moskauer Jugendund sowjetische Milizbilden in Jurij Michailovs Erinnerung, aber auch in den meisten anderen Narrativen zur Tragödie in Lužniki,einen deutlichen Gegensatz.[7]

Drei Jahrzehntezuvorsaß eine Familie mit ihren Gästen im Moskauer Umland vor dem Schwarzweißfernseher. Es war der 21. August 1955. Der Fußballweltmeister aus Deutschland war zum Freundschaftsspiel nach Moskau gekommen und lieferte sich mit der sowjetischen Nationalmannschafteine packende Partie. Gemeinsam mit den Fans im Stadion hielt die kleine Fernsehrunde den Atem an, als diesowjetischeMannschaft durch ein Tor des Kölner Spielers Hans Schäfermit 1:2 inRückstand geriet.[8]Doch nach dem Ausgleich ihrer Nationalmannschaftund erst recht nach dem erlösenden Siegtreffer zum 3:2 kannte ihre Begeisterung keine Grenzen mehr. Der Gastgeber umfasste mit beiden Händen den Kopf des Jungen, der mit seinen Großeltern zu Besuch war. Er„packte und zerrte daran“und riss dem Jungen dabei„fast die Ohren ab.“Dieser glaubt sich ein halbes Jahrhundert später, im Interview, an jenen denkwürdigen Satz des Gastgebers zu erinnern:„Jetzt haben sie den Deutschen ihr zweites Stalingrad gezeigt.“[9]Sowjetische Bürger imaginieren sich und ihr Land in diesem Erinnerungsbild als symbolische Einheit gegendenäußeren Gegner schlechthin.

Dochdabei blieb es nicht.Ein Jahr später,am4. September 1956,stürmten bei der PartieDinamoKievs gegen Torpedo MoskauTeile desKiever Publikums„in hoher Anzahl“und„scharfer Empörung“den Platz, nachdem der Schiedsrichter„grobe Regelverstöße“zugunsten der Moskauer Mannschafteinfach„durchgehen lassen“habe.[10]1960fand dieser Vorfall seineEntsprechungin Moskau,alsempörte Zuschauer den Rasen des Lenin-Stadions in Lužnikistürmten und etwa zwanzig Minuten vor Ende der Partie zwischen CSKA MoskauundDinamoKievbegannen, denbaltischenSchiedsrichterzu verprügeln. Sieunterstelltenihm ihrerseits, die Gäste ausKievzu bevorteilen.[11]Physisch agierende sowjetische Massenpositioniertensich unter nationalen Vorzeichen gegen die gegnerische Mannschaft und den Schiedsrichterundstellten sich in einer Zeit inOpposition zueinander, in der Fans noch keine Mannschaftsfarben trugen, sich nicht in Blöcken gegenüberstanden und sich auch angesichts großer Entfernungen innerhalbder Sowjetunion selten trafen.

DieseeinführendenBeispiele weisen dem sowjetischen Fußball ganz unterschiedliche Bedeutungen zu. Die Anekdote des„zweiten Stalingrads“rückt denFußballin die Nähe desKriegserinnerns.Er bieteteiner zerrütteten und traumatisierten Bevölkerung über die Abgrenzung nach Außen die Möglichkeit, sich„zur sowjetischen Ordnung zu bekennen“, der doch so viele in der Generationihrer Eltern und Großeltern die„Knechtung zu verdanken hatten“.[12]In den anderen Bildern scheinen Gegensätze zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen des multiethnischen Imperiums auf,und auch zwischen Teilen der Bevölkerung und sowjetischen Offiziellenwiebei der Stadionkatastrophe1982 in Lužniki. Fangemeinschaften konstituieren sichaus der Perspektive postsowjetischer Erinnerungenund sowjetischer Archivquellenin Abgrenzung von einem äußeren Antagonisten (Moskau 1955), sie richteten sich gegen innere Gegner (Kiev1956 und Moskau 1960) und gegen sowjetische Autoritäten(Moskau 1982).[13]

Ich möchtesolche Narrative über den sowjetischenFußballzum Anlass nehmen, am Beispiel der Fußballfans sowjetischer Mannschaften ausKiev(Dinamo) und Moskau (Spartak, CSKA,Dinamo) eine Geschichte von Gemeinschaft und Gegnerschaft im poststalinistischen Vielvölkerreich zuschreiben. Angesichts dreier Jahrzehnte der Gewalt,angesichts von Weltkrieg, Revolution, Bürgerkrieg, Hungersnöten, Terror, erneutem Weltkrieg und einerOrdnung,welche dieBevölkerung brachial mobilisierte und massakrierte,stellte sich nach dem Ende des Stalinismusdie Frage, was überhaupt bliebaußer dem Gegensatz der Bevölkerungsgruppen und Völker imautoritär strukturiertenVielvölkerreich.[14]Häufig wird auf die integrative Bedeutung des Sieges im„Großen Vaterländischen Krieg“hingewiesen.[15]Doch als die Sowjetunion nachdem Tod Iosif Vissarionovič Stalins (1878-1953)aus einer langen Epoche der„Gewaltverbreitung“in eine Phase der„Gewalteinhegung“eintrat[16]entwickelte sich gerade der Sport, und dabei insbesondere das multinationale Medi

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