Das Spätzle-Syndikat - Franz Hafermeyer - E-Book
SONDERANGEBOT

Das Spätzle-Syndikat E-Book

Franz Hafermeyer

0,0
6,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Elsa Dorn ist frustriert: Statt ihr kriminalistisches Gespür auf der Suche nach Mördern einzusetzen, hat ihr Erzfeind Kriminaldirektor Jansenbrink dafür gesorgt, dass sie sich weiterhin als Kommissarin bei der Sitte rumschlagen muss. Ihr neuester Fall wird allerdings gerade zum Politikum, denn irgendjemand klaut der Augsburger Damenwelt reihenweise Dessous - ein direkter Angriff auf Sicherheit und Tugend der Bevölkerung! Doch es kommt noch schlimmer, als ein aufsehenerregender Mord passiert. Tatwerkzeug: ein Spitzen-BH ...

Der zweite Fall für Dorn und Schäfer - für alle Fans von Regionalkrimis und coolen Ermittlerduos. Geschrieben von einem echten Kommissar!

Ebenfalls in der Reihe "Schäfer und Dorn" erschienen:

Tote lächeln nicht (Band 1)

Der Brezen-Trick (Kurzkrimi, Band 2.5)

Das Extrawurscht-Manöver (Band 3)

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 476

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhalt

Cover

Weitere Titel des Autors

Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

KAPITEL 1

KAPITEL 2

KAPITEL 3

KAPITEL 4

KAPITEL 5

KAPITEL 6

KAPITEL 7

KAPITEL 8

KAPITEL 9

KAPITEL 10

KAPITEL 11

KAPITEL 12

KAPITEL 13

KAPITEL 14

KAPITEL 15

KAPITEL 16

KAPITEL 17

KAPITEL 18

KAPITEL 19

KAPITEL 20

KAPITEL 21

KAPITEL 22

KAPITEL 23

KAPITEL 24

KAPITEL 25

KAPITEL 26

KAPITEL 27

KAPITEL 28

KAPITEL 29

KAPITEL 30

KAPITEL 31

KAPITEL 32

KAPITEL 33

KAPITEL 34

UND WAS AUCH NOCH ZU SAGEN IST

Weitere Titel des Autors

Tote lächeln nicht (Band 1)

Der Brezen-Trick (Kurzkrimi, Band 2.5)

Das Extrawurscht-Manöver (Band 3)

Über dieses Buch

Elsa Dorn ist frustriert: Statt ihr kriminalistisches Gespür auf der Suche nach Mördern einzusetzen, hat ihr Erzfeind Kriminaldirektor Jansenbrink dafür gesorgt, dass sie sich weiterhin als Kommissarin bei der Sitte rumschlagen muss. Ihr neuester Fall wird allerdings gerade zum Politikum, denn irgendjemand klaut der Augsburger Damenwelt reihenweise Dessous – ein direkter Angriff auf Sicherheit und Tugend der Bevölkerung! Doch es kommt noch schlimmer, als ein aufsehenerregender Mord passiert. Tatwerkzeug: ein Spitzen-BH …

Über den Autor

Franz Hafermeyer heißt in Wirklichkeit gar nicht Franz Hafermeyer. Denn hauptberuflich jagt er selbst die bösen Jungs, und die sollen ja nicht erfahren, welche finsteren Abgründe der freundliche Kommissar hat, der ihnen da gegenübersitzt. Absolut wahr hingegen ist, dass er mit seiner Familie im bayrischen Schwaben ganz in der Nähe von Augsburg wohnt.

Franz Hafermeyer

DASSPÄTZLE-SYNDIKAT

SCHWABENKRIMI

beTHRILLED

Digitale Neuausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Agentur EDITIO DIALOG, Dr. Michael Wenzel.

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2020 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Stefanie Kruschandl

Covergestaltung: Mediabureau Di Stefano, Berlin unter Verwendung von Motiven © Getty-Images: skodonnell | H&C Studio | milanfoto | studiocasper | Mark Weiss © iStockphoto: billnoll | shuttertop

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-9830-4

www.luebbe.de

www.lesejury.de

KAPITEL 1

»Was für ein billiger Scheiß!« Elsa Dorn betrachtete den riesigen Haufen Reizwäsche und knabberte an ihren Fingernägeln. Ein weinrotes Latexhöschen lag ganz oben auf dem Stapel, der ungefähr die Ausmaße der Zugspitze hatte. Direkt daneben ein schwarzer BH, wobei man nicht wirklich von schwarz sprechen konnte, so durchsichtig, wie das Ding war. Darunter erblickte Elsa weitere aufreizende Teile in den verschiedensten Varianten: ultraknappe BHs, Corsagen und Stringtangas. Letztere bestanden deutlich mehr aus String als aus Tanga. Der ganze Kram schien direkt bei einem Onlineshop für Pornoschauspielerinnen bestellt worden zu sein.

Sie kniff die Augen zusammen und beäugte ein Paar Strapse. Auch ohne sie anzufassen war klar, wie kratzig und steif sich der Stoff anfühlen würde. Grauenvoll. Was veranlasste eigentlich eine Frau, sich in solche Dinger zu quälen? Elsa hielt sich nicht für prüde, und Mode hatte sie schon immer fasziniert. Ihr Job als Hauptkommissarin ermöglichte es ihr, sich ab und zu mal etwas Schönes zu gönnen. Wie zum Beispiel ihre heißgeliebten Leopardenpumps, die sie vor ein paar Wochen in einem noblen Onlineshop erworben hatte und heute trug. Sie waren eine wunderbare Ergänzung zu ihren Booties in derselben Raubtieroptik, die langsam zu abgetreten waren. Aber solche Sachen, die auf die allerbilligste Weise provozierten? Nein, die konnte sie sich definitiv nicht in ihrem Kleiderschrank vorstellen. Für wen hätte sie sich auch so anziehen sollen? Ihr Liebesleben war ungefähr so aufregend wie die jährliche Steuererklärung.

Sie blickte an sich hinab und musterte ihren nachtblauen Blazer, die weiße Bluse von Burberry Brit und die schlichte Tweed-Hose. Dann unterdrückte sie ein Seufzen. Ob es solche Erotikfummel überhaupt in Übergrößen gab? Vielleicht bei Rigby & Peller. Die hatten ja dafür gesorgt, dass auch Frauen mit Kleidergröße 42–46 nicht mehr rumlaufen mussten wie …

»Stehst du auf so was?«, riss eine unangenehme Stimme sie aus ihren Gedanken. »Wenn dir was davon gefällt, also ich habe nichts gesehen, wenn du zugreifen möchtest.«

Valentin Häuslers Zähne leuchteten in einem derart strahlenden Weiß, dass es kein Problem gewesen wäre, im Dunkeln neben ihm ein Kreuzworträtsel zu lösen. Hatte der Idiot ihr gerade ernsthaft vorgeschlagen, den Tatort zu verändern? Wie dieser Mann es bis zur Kripo geschafft hatte, war Elsa ein Rätsel.

Sie setzte ihr süßestes Lächeln auf. »Danke für das Angebot. Aber ich trage keine Unterwäsche. Niemals!« Sie ließ ihn stehen, verließ den begehbaren Kleiderschrank und trat ins Schlafzimmer, wo Kriminaloberkommissarin Carmen Holler gerade ihren Spurensicherungsbericht ins Diktiergerät sprach.

Die hübsche Blondine schaltete das Gerät ab und zog fragend die Augenbrauen hoch.

Elsa verdrehte die Augen und zischte: »Vollidiot!«

Carmen nickte, gab aber keinen Kommentar ab. Weibliche Solidarität benötigte keine Worte.

Elsa sah der Kriminaltechnikerin an, dass sie ihre Arbeit schnellstmöglich beenden wollte, um wieder zurück ins Polizeipräsidium zu fahren.

Wo Elsa eigentlich ebenfalls hinwollte, aber zuerst galt es, einige Fragen zu klären.

Der Kollege Häusler hatte Elsa vor einer knappen Stunde im Büro angerufen und sie zum Schauplatz eines Einbruchs gebeten. Ohne allerdings weitere Details am Telefon zu verraten. Nur, dass der Tatort für Elsa interessant sein könnte, hatte Häusler durchblicken lassen. Was mal wieder typisch für ihn war.

Elsa hatte Häusler innerlich verflucht. Aber letztendlich war ihr nichts anderes übrig geblieben, als sich auf Verdacht einen Dienstwagen zu schnappen und ins Lechviertel zu fahren, das sich in der Augsburger Altstadt befand. Dort hatte sie ihren Wagen auf dem Kopfsteinpflaster am Holbeinplatz geparkt, direkt neben einem der Lechkanäle, die durch die Stadt plätscherten und ein bisschen Venedig-Flair verströmten. Nachdem Elsa mit ihren Pumps auf dem hoppeligen Pflaster umgeknickt war, hatte sie ihren Kollegen mit ein paar weiteren Flüchen bedacht, um dann mühsam zu der von Häusler genannten Hausnummer zu humpeln. Die gesamte Fassade des Gebäudes war mit wildem Wein bewachsen. Im zweiten Stock führte sie ein grinsender Häusler durch die Wohnung des Opfers, bis zum Schlafzimmer und dem Wäscheberg. Bei dessen Anblick Elsa sofort wusste, dass sie einen neuen Fall an der Backe hatte.

Der Wäschemann hatte wieder zugeschlagen.

Die Presse hatte dem unbekannten Täter diesen Spitznamen verliehen, weil er seit Wochen die Augsburger Frauenwelt verunsicherte. Er stieg in Wohnungen und Häuser ein und hatte nur ein Ziel: in Dessous zu wühlen. Einige Stücke nahm er obendrein mit, um damit was auch immer zu tun. Wahrscheinlich lauter Dinge, die man sich lieber gar nicht erst vorstellen wollte.

»Er hat es wieder getan«, bemerkte Carmen.

»Was?«

»Eine Trophäe mitgehen lassen.«

»Es ist aber noch alles da«, dröhnte Häuslers Stimme dumpf von nebenan. Er streckte den Kopf aus dem Badezimmer, das durch eine Zwischentür mit dem Schlafraum verbunden war. »Schmuck, Geld, wie mir das Opfer, Frau Kunz, bestätigt hat.«

»Ja, aber ein lavendelfarbener Stringtanga fehlt und das dazu passende Oberteil ebenfalls«, korrigierte ihn Carmen Holler.

»Vielleicht wollte Frau Kunz dir das nicht sagen. Weil du … ein ungehobelter Klotz bist?«, ergänzte Elsa. Ihr Kollege vom Kommissariat Einbruch ging ihr mächtig auf die Nerven. Leider musste sie ihn erdulden, und das schon seit geraumer Zeit.

Der Wäschemann war in erster Linie Einbrecher. Deshalb wurden zuerst die Experten des darauf spezialisierten Kommissariats eingeschaltet, die sich mit diesen Delikten bestens auskannten. Häusler gehörte leider zu diesen Experten. Da es sich zugleich um einen Sexualtäter handelte, kam die Sitte hinzu, in diesem Fall Elsa, die vor knapp sechs Wochen den ersten Bericht zum Wäschemann auf ihrem Schreibtisch vorgefunden hatte. Seitdem hatte der Täter bereits ein halbes Dutzend Mal zugeschlagen, heute mit eingerechnet.

»Und?«, wandte sie sich wieder an Carmen. »Ist das hier unser Mann oder ein Trittbrettfahrer?«

»Das ist unser Mann. Im Gegensatz zum letzten Mal hat er hier leider keinen Fingerabdruck hinterlassen, aber …« Die Kollegin deutete auf den Teppichboden. »Ein paar Fasern habe ich sichern können. Sieht so aus, als hätte er sich wieder eines Teils seiner Kleidung entledigt.«

»Wie immer«, murmelte Elsa.

»Ja, wie immer«, bestätigte Carmen. »Mal sehen, ob die Fasern mit denen übereinstimmen, die ich an den anderen Tatorten gefunden habe.«

»Darauf wette ich«, erwiderte Elsa.

»Klärt mich hier vielleicht mal jemand auf?«, quasselte Häusler dazwischen.

»Der Typ durchwühlt die Schränke seiner Opfer, wirft ihre Wäsche auf einen Haufen und reißt sich seine Klamotten vom Leib. Was er dann tut, kann man sich ja denken. Ich gehe mal davon aus, dass er irgendein Ritual abspult, das ihn so richtig heißmacht. Eines ist jedenfalls sicher: Am Schluss sucht er sich irgendein Souvenir aus und haut dann damit ab. Das ist jedes Mal dieselbe Vorgehensweise.«

»Im Ernst?« Häusler kratzte sich am Kinn. »Das ist doch bekloppt.«

Elsa schüttelte den Kopf. »Schlimmer, für mich ist das pervers.«

»Und das macht er öfter? Seid ihr da sicher?«

»Wie du weißt, ist unsere Kriminaltechnik nicht von gestern. Und Carmen ist ein Profi. Sie hat an allen Tatorten etwas gefunden, das auf diese Vorgehensweise schließen lässt.«

»Hab ich gar nicht mitgekriegt.«

»Ich hänge es auch nicht an die große Glocke.«

»Und was ist mit mir?«, beklagte sich Häusler. »Wir vom Einbruch sollten schon Bescheid wissen, findest du nicht? Auch wenn es am Ende dein Fall ist, weil da so ein Sexkram dabei ist.« Er klang verschnupft.

»Jetzt weißt du es ja«, erklärte Elsa. »Das kommt eben davon, wenn man den Tatort überstürzt verlässt, sobald jemand anders die Sachbearbeitung übernommen hat.«

Häusler zog eine Schnute, fühlte sich anscheinend angegriffen. »Wieso macht dieser Typ das?«

»Keine Ahnung, sag’s du mir. Immerhin bist du ein Mann.« Elsa ging nicht davon aus, dass ihr Kollege irgendeine geistreiche Antwort parat hatte. Daher blickte sie zu Carmen. Die Unterhaltung mit dem Blödmann hatte eindeutig schon viel zu lange gedauert. Höchste Zeit, sich wieder einer Frau von Vernunft zuzuwenden. »Danke, dass du persönlich gekommen bist.«

»Ist doch klar.« Carmen zwinkerte Elsa verschwörerisch zu, beugte sich vor und flüsterte: »Wir Frauen müssen zusammenhalten, nicht wahr, Frau Hauptkommissarin?«

Elsa nickte, sie mochte ihre Kollegin sehr, arbeitete gerne mit ihr zusammen.

Carmen tippte sich kurz an die Stirn, packte dann den Spurensicherungskoffer und verließ die Wohnung.

Elsa sah ihr nach. Carmen war einunddreißig, also fünf Jahre jünger als sie, und arbeitete schon lange für den Erkennungsdienst der Augsburger Kripo. Nachdem Elsa selbst erst vor einem halben Jahr nach Augsburg versetzt worden war, schätzte sie Carmens Wissen umso mehr. Außerdem konnte sich die Kriminaltechnikerin besser als ihre männlichen Kollegen in die Opfer hineinversetzen. Was die Ermittlungen bisher leider auch nicht den entscheidenden Schritt vorangebracht hatte. Aber was nicht war, das konnte ja noch kommen, wie man so schön sagte.

»Ich sollte mich dann wohl auch mal auf den Weg machen.« Häusler kniff die Lippen zusammen. »Jetzt, wo du da bist und die Ermittlungen leitest. Dann kannst du alle deine Geheimnisse für dich behalten.«

Das mit dem Verdrücken war Häuslers bester Einfall bisher. Elsa verkniff sich dennoch den Kommentar, der ihr auf der Zunge lag, und verabschiedete sich stattdessen höflich. »Ja klar, bis dann. Zisch ab!«

»Ich schick dir noch meinen Bericht.«

»Ist recht.«

»Notfalls kann ich aber auch bleiben. Ich meine, nur für den Fall, dass du …«

»Verdammt, Valentin, was soll das? Das hier ist kein Schauplatz eines Kapitalverbrechens. Ich komme ganz gut alleine klar.«

»Bestimmt. Aber vielleicht könnte ich die Geschädigte für dich vernehmen. Dir etwas Arbeit abnehmen.«

»Du hast sie doch schon längst befragt, also schreib eine Aktennotiz, das reicht aus. Eine weitere Zeugenvernehmung braucht’s nicht. Ich rede selbst mit der Dame, wo ist sie überhaupt?«

»Im Wohnzimmer, sie ist ein bisschen durch den Wind. Kein Wunder, immerhin wurde bei ihr eingebrochen.«

»Ach, tatsächlich? Darauf wäre ich gar nicht gekommen«, erklärte Elsa. »Danke für den Hinweis. Und jetzt lass mich endlich meine Arbeit machen.«

»Möglicherweise wäre es besser, wenn ich mich ihrer annehmen würde.«

Elsa sah Häusler ins Gesicht. »Was ist an den Worten ›zisch ab‹ eigentlich so schwer zu verstehen?« Sie wurde misstrauisch. Normalerweise konnte sich der liebe Kollege nicht schnell genug vom Acker machen.

»Sind Sie fertig?«

Elsa drehte sich um und sah eine Frau, die lasziv in der Tür lehnte. Schlagartig wurde ihr bewusst, wieso Häusler solche Schwierigkeiten hatte, den Tatort zu verlassen, und unbedingt das Opfer persönlich vernehmen wollte. »Frau Kunz, nehme ich an?«

Die Sexbombe nickte.

Elsa schob Häusler aus dem Schlafzimmer hinaus in den Gang, was sich nicht ganz einfach gestaltete. Zum einen, weil ihr Kollege alles tat, um sich nicht von der Stelle zu rühren. Und zum anderen, weil die Tür nun mit einem Übermaß an Silikon ausgefüllt war. Tja, dachte Elsa. Hier war weibliche Polizeipräsenz gefragt, eine Vernehmung durch einen männlichen Kollegen absolut nutzlos. Denn wenn Häusler die Sache übernommen hätte, hätte er später allenfalls noch die Körbchengröße der Zeugin wiedergeben können. Wenn überhaupt.

Als sie kurz darauf Frau Kunz im Wohnzimmer gegenübersaß, musterte Elsa die Blondine genauer. Das Opfer sah aus, als hätte es soeben den Dreh für einen Pornofilm beendet. Die üppigen Brüste waren in ein enges Top geschnallt und drohten, es jeden Moment zu sprengen. Die blonden Haare hatte Frau Kunz zu einer Art Dutt hochgesteckt, der bei jedem ihrer Worte bedrohlich wackelte. Der kurze Rock taugte eher als Gürtel und deckte ungefähr genauso viel ab.

Die Sexbombe kaute gelangweilt auf einem Kaugummi und wirkte keineswegs wie ein zutiefst erschüttertes Opfer. An ihrer Mimik konnte Elsa jedenfalls keine Gefühlsregung ablesen, denn sämtliche Muskelbewegung wurde von einer zentimeterdicken Schminkschicht verborgen, die vermutlich mit einer Spritzpistole aufgetragen worden war.

»Hat er reingewichst?«

»Bitte?« Elsa verschluckte sich.

»Na ja, wenn er reingewichst hat, ziehe ich die Sachen nicht mehr an, ansonsten schon. Brauch die Klamotten, die sind scheißteuer. Außerdem muss ich heute Abend in den Club. So kann ich nicht hingehen.« Die Sexbombe hob ihre Hände wie ein Prediger und zeigte schließlich mit beiden Zeigefingern auf … Ja, auf was eigentlich? Auf ihren Rock beziehungsweise Gürtel? Oder auf ihre Brustwarzen, die gerade in diesem Augenblick aus dem Top sprangen, als wären sie zwei Ertrinkende, die endlich an die Wasseroberfläche gelangten.

Elsa fragte sich unwillkürlich, ob die Frau ihre Kleidung tatsächlich für zu konservativ hielt, um damit heute Abend auszugehen. Aber das war doch kaum möglich. Weniger als … nichts konnte man eigentlich nicht anziehen.

Frau Kunz folgte Elsas Blicken, stieß ein »Upps« aus und rückte ihre Brüste gerade, während sie eine Kaugummiblase platzen ließ. Dann wiederholte sie ihre vorherige Frage. »Hat er nun reingewichst oder nicht?«

»Ja. Nein, meine ich.« Elsa schüttelte den Kopf. »Hat er nicht. Sonst müssten wir die Wäsche mitnehmen, zwecks DNA-Analyse und so. Wie es aussieht, hat er nur die von Ihnen beschriebenen Stücke aus Ihrer … Ihrer Sammlung mitgehen lassen. Den Rest hat er nicht angerührt. Aber was er mit den entwendeten Kleidungsstücken vorhat …« Sie zuckte die Schultern.

»Immerhin etwas«, stellte die Sexbombe sichtlich erleichtert fest. »Na ja, dann steckt er seinen Schwanz halt in das Höschen, das er mitgenommen hat. Wenn er Spaß daran hat, von mir aus. Solange ich dabei nicht zusehen muss. Obwohl, wenn ich wüsste, wie dieser Typ aussieht …« Sie kniff den Mund zusammen und schien ernsthaft zu überlegen.

»Haben Sie einen Verdacht?«, wagte sich Elsa vor.

»Nö. Wieso auch. Meine Freunde müssen mich nur fragen, dann können sie alles von mir haben, sogar getragene Wäsche. Einbrechen muss deswegen keiner.«

Elsa überlegte, was Frau Kunz denn genau mit dem Ausdruck »Freunde« meinte. Liebhaber? Oder Bekannte, mit denen sie Kniffel spielte? Nach einer geschlagenen halben Stunde und endlosen Nachfragens gab Elsa schließlich auf. Eine weitere Befragung schien keinen Sinn zu ergeben. Die Sexbombe konnte ihr wenig bis gar keine Hinweise auf den Täter geben.

KAPITEL 2

Der Mann vor dem Haus starb zuerst, durchsiebt von einer Maschinenpistolensalve. Die Ziegelwand hinter ihm war gesprenkelt mit roten Flecken und sah aus wie ein makabres Gemälde. Er fiel auf die Knie, sein Gesichtsausdruck zeigte Ungläubigkeit, bevor das Licht des Lebens erlosch und er mit dem Kopf auf den Asphalt knallte. Eine dunkle Lache breitete sich unter seinem Körper aus.

Danach war sein Partner im Auto an der Reihe. Die Kugeln pflügten durch das Wagenblech des Geländewagens, bevor der Fahrer nach seiner Pistole greifen konnte. Blut und Gehirnmasse spritzten über den Fahrzeugsitz. Das Schlachten hatte allerdings gerade erst begonnen. Männer in Sturmmasken und Kampfmontur stürmten über die Straße und mähten alles nieder, was ihnen in den Weg kam.

Die beiden Erschossenen waren nicht alleine erschienen, doch ihre Begleiter in den anderen Fahrzeugen hatten nicht den Hauch einer Chance. Entweder wurden sie noch im Inneren des jeweiligen Wagens von den Kugeln getötet, oder sie starben bei dem Versuch zu flüchten. Der Boden färbte sich rot vom Blut der Toten. Verletzte stöhnten und wimmerten. Das Stakkato der vollautomatischen Waffen unterbrach das Lied sterbender Menschen, bis es verebbte.

Sven Schäfer betrachtete das Gemetzel eine Weile, bis ihm der Geduldsfaden riss und er es nötig befand, endlich einzugreifen, um dem blutigen Treiben ein Ende zu bereiten.

»Hey, was soll das?«, protestierte das Mädchen vor dem Fernseher, als er die Fernbedienung schnappte und auf ein Programm mit weniger Blutvergießen umschaltete.

»Das ist wohl kaum die geeignete Fernsehunterhaltung für ein Kind, noch dazu meine Tochter.«

»Ich bin fast siebzehn.« Sie seufzte.

»Eben!«

»Und schon lange kein Kind mehr.«

»Aber vom Erwachsensein mindestens ein halbes Universum entfernt.« Schäfer tippte auf seine billige Armbanduhr. »Was ist das überhaupt für eine Scheiße! Nicht einmal fünf Uhr nachmittags und so ein Müll im Fernsehen.«

»Das ist eine DVD.«

»Macht das einen Unterschied? Von wem hast du diesen Dreck?«

»Von dir.«

»Von mir?« Er kratzte sich am Ohr.

Hannah nickte. »Als ich letztes Mal bei dir war, da hast du mir gesagt, ich soll mir was aus deiner DVD-Sammlung aussuchen und mit nach Hause nehmen. Erinnerst du dich?«

Er nickte langsam. Natürlich hatte er keinen blassen Schimmer.

»Mag sein«, gab er widerwillig zu. »Einen Zeichentrickfilm vielleicht, deinem Alter angemessen, aber nicht so was.«

»Papa, du hattest keine Zeichentrickfilme in deiner Sammlung, die hattest du noch nie.«

»Bestimmt habe ich die.«

»Nein, nur Gewalt und … na ja, Schmuddelfilme.«

Schäfer räusperte sich. »Du hättest mich fragen sollen, bevor du diesen Gewaltschinken mitnimmst.«

»Papa, das habe ich.«

»Das wüsste ich ja wohl.«

»Aber Papa.«

»Hannah, Schluss jetzt! Du schaust dir solch ein Zeug nicht an.«

Seine Tochter ließ sich schmollend in die Couch sinken, ihre Pinguinohrringe klimperten leise. Sie wickelte eine Strähne ihres braunen Haares um den Finger und zog eine Schnute.

»Was soll deine Mutter denken, wenn du solchen Gewaltkram von mir ausleihst?« Unwillkürlich senkte Schäfer die Stimme. »Außerdem gibt es Wichtigeres zu besprechen. Deine Mutter hat mir …«

Wie aufs Stichwort marschierte seine Exfrau Claudia ins Zimmer, nahm geistesabwesend die Fernbedienung und schaltete zurück auf das Gemetzelprogramm.

Hannah grinste, vermied aber direkten Augenkontakt mit ihrem Vater.

Schäfer ballte die Fäuste. »Wie zu besten Ehezeiten«, murmelte er, lief zum Fernseher und zog den Stecker aus der Wand.

»Papa!«

»Sveeeheeen!« Claudia starrte ihn so böse an, als hätte er seine Tochter aufgefordert, ein Praktikum auf einer Ölplattform zu absolvieren.

Schäfer sah in zwei Gesichter, die vorwurfsvoller nicht hätten sein können. Frauen auf dem Kriegspfad. Mutter und Tochter in seltener Einigkeit. Aber ein Sven Schäfer gab sich so schnell nicht geschlagen.

»Das ist mein Fernseher.« Seine Ex funkelte ihn an.

»Wenn ich mich recht erinnere, war dieser ultramoderne und sauteure Plasmafernseher eine Anschaffung von mir«, widersprach er.

»Als wir noch zusammengewohnt haben, meinst du wohl. Aber das war in einem anderen Leben, in einer anderen Welt, auf einem anderen Planeten. Jetzt ist dieser Kasten nicht mehr halb so modern, wie du dir einbildest.« Sie schüttelte den Kopf wie ein zorniges zweijähriges Mädchen.

»Für dich langt es schon noch.«

»Und das ist meine Wohnung.«

»In die du mich gerufen hast, weil unsere gemeinsame Tochter ein Problem hat, wenn ich dich erinnern darf.«

»Meine Güte, Sven, davon war nie die Rede. Ich habe dir nur mitgeteilt, dass deine Tochter eventuell einen Verehrer hat. Eventuell«, Claudia malte mit den Fingern Anführungszeichen in die Luft, »möchte ich betonen. Deshalb brauchst du doch nicht innerhalb der nächsten zehn Minuten hier aufzutauchen. Meine Güte, Sven, seit wann bist du denn so fürsorglich? Das sind ganz neue Seiten. Ich wollte dir nur berichten, dass deine Tochter erwachsen wird. Allzu oft siehst du sie ja nicht.«

»Woran du nicht ganz unschuldig bist.«

»Wie auch immer: Es war keinesfalls der Plan, dass du hier aufkreuzt und unseren gesamten Tagesablauf völlig durcheinanderbringst.« Claudia ging auf seinen Vorwurf gar nicht erst ein. »Wir haben eine Struktur in unserem Leben. Denk bitte daran, wenn Hannah in den Pfingstferien bei dir wohnt. Und mach dir keinen Kopf wegen eines nervigen Bewunderers. Es gibt für ein junges Mädchen schlimmere Dinge als einen Verehrer.«

»Verehrer? Einen gottverdammten Stalker nennst du einen Verehrer?« Er riss die Arme hoch. »Weißt du, wie viele Irre da draußen rumlaufen?« Mit dem Daumen deutete er über die Schulter in eine unbestimmte Richtung. »Man kann gar nicht genug aufpassen.«

»Ja, und einer dieser Irren ist hier eingebrochen.«

Schäfer blieb die Spucke weg. »Verdammte Hölle, was sagst du da? Der Stalker war in eurer Wohnung?«

»Der Stalker?« Claudia runzelte die Stirn. »Wohl kaum. Nein, ein Perversling. Und er war in meinem Schlafzimmer, um genau zu sein. Das hatte mit Hannahs Verehrer nichts, aber auch gar nichts zu tun.«

»Woher willst du das denn wissen? Wer ist hier der Cop, du oder ich?«

»Also, soviel ich weiß, bist du schon eine geraume Zeit kein Polizist mehr. Oder? Eher ein ziemlich erfolgloser Schnüffler, wie mir scheint.« Sie lächelte süffisant und musterte eingehend seine abgetragene Lederjacke und die ausgeblichene Cargohose.

»Das ist doch jetzt egal. Du weißt, was ich meine. Ich bin hier der Profi.«

»Trotzdem kann der Einbruch nichts mit Hannah zu tun haben.«

»Sagt wer?«

»Sage ich.«

»Bist du jetzt die Schwester von Miss Marple oder was?«

»Muss ich das sein, um das Offensichtliche zu sehen? Außerdem …«, sie hob eine Augenbraue, »Miss Marple war doch über siebzig, ich bin eine straffe Enddreißigerin.«

»Hattest du nicht bereits letztes Jahr deinen Vierzigsten?«

»Auf einmal erinnerst du dich wieder an meinen Geburtstag.« Sie kniff den Mund zusammen. »Während unserer Ehe warst du in dieser Hinsicht ziemlich vergesslich, lieber Sven.«

»Lass uns einfach beim Thema bleiben. Zurück zum Stalker.«

»Welcher Stalker?«

»Dein Einbrecher.«

»Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.«

»Herrschaftszeiten, wieso denn nicht?« Schäfer holte tief Luft. Seine Exfrau schaffte es immer wieder, ihn innerhalb kürzester Zeit auf Höchsttemperatur zu bringen.

»Weil der Einbrecher in meinem Schlafzimmer war, und nicht in Hannahs. Und er hat in meinen Dessous rumgewühlt, die von Hannah haben ihn nicht interessiert.«

»Meine Tochter trägt Reizwäsche?« Schäfer schloss für einen Moment die Augen.

»Nicht das, was du denkst, ihrem Alter angemessene Kleidung würde ich es nennen. Aber es geht hier um meine Wäsche, wie kann ich die je wieder tragen?« Claudia rümpfte die Nase. »Igitt, ich muss alles wegschmeißen und mir neue Sachen kaufen. Außerdem fehlt meine Lieblingsgarnitur, die hat mir Carsten geschenkt, war bestimmt nicht billig. Carsten kennt meinen Geschmack eben, während dich das früher nicht im Mindesten interessiert hat.«

Schäfer klatschte sich an die Stirn. »Halleluja! Das ist dein ganzes Problem?«

Claudia sah ihn mit ihren großen himmelblauen Augen an, das blonde Haar fiel ihr über die Schultern. »Natürlich, das ist eine Katastrophe, jetzt habe ich nichts mehr für drunter. Und morgen Abend ist doch das«, sie zögerte, »d-d-das Konzert, auf das mich Carsten eingeladen hat.«

»Seit wann bist du kulturell interessiert?« Schäfer hatte ihr kurzes Stammeln durchaus bemerkt, winkte aber ab. »Egal, das Dreckskonzert ist mir so was von wurscht. Mir geht es um Hannah, seit wann stellt ihr dieser Arsch nach?«

»Keine Ahnung, wie lange sie ihren Verehrer hat, frag sie doch selbst.«

»Also«, wandte Schäfer sich an seine Tochter und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich höre.«

»Mama hat es doch schon gesagt. Es ist nicht so wild, ehrlich.«

»Das entscheide ich. Also, was hat es mit dieser Stalkerei auf sich?«

»Ich krieg manchmal Nachrichten. Auf meinem Handy. Und im Briefkasten.«

»Was für Nachrichten?«, hakte Schäfer nach.

»Na, so Nachrichten halt, nichts Schlimmes. Und Briefe.«

»Genauer bitte.« Er wippte auf den Fußballen. Langsam ging ihm die Geduld aus, die er sowieso nur in sehr beschränktem Maße besaß.

Hannah zögerte, offenbar war ihr nicht ganz wohl bei der Sache. »Dass ich hübsch bin, ein nettes Gesicht habe und so. Nichts Besonderes.«

»Sag ich doch«, mischte sich Claudia ein, »nichts, worüber du dich derart aufregen müsstest. Bloß jemand, dem unsere Tochter gefällt. Eigentlich eine schöne Sache, findest du nicht?«

»Und morgen landen Aliens auf dem Rathausplatz. Ich will die SMS lesen, die dir geschickt wurden. Alle.« Schäfer nahm seine Tochter ins Visier.

»Habe ich gelöscht.«

»Und die Briefe?«

»Weggeschmissen.«

»Wenn du auf Bulle machen willst, dann kümmere dich um meinen Wäschedieb«, quengelte Claudia.

»Dieb, wieso Dieb, hat er was mitgenommen?«

Claudia nickte. »Hab ich doch gerade gesagt, hörst du mir eigentlich nicht zu? Aus dem Wäschekorb im Bad, einen BH und ein Höschen, und zwar meine Lieblingsstücke. Die habe ich immer an, wenn, also …«, sie stockte, stülpte die Unterlippe vor. »Das gehört jetzt wirklich nicht hierher. Ist Privatsache, geht dich nichts mehr an. Wenn du dich nützlich machen möchtest, dann sprich doch mit deinen Ex-Kollegen, damit die den Typen schnappen, der meine Dessous geklaut hat.«

»Bei der Polizei gibt es nicht viele, die sich über mein Auftauchen freuen. Und noch weniger, die mir helfen würden.«

»Tja, woher das wohl kommt?« Claudia verdrehte die Augen.

Er überging die verbale Spitze. »Bin ich eigentlich der Einzige hier, der sich Sorgen um Hannah macht? Habt ihr die Zeitungen nicht gelesen? So wie ich das hier sehe, ist dein Einbrecher ein verdammter Sittenstrolch, der seit geraumer Weile in Augsburg sein Unwesen treibt. Der Typ aus deinem Schlafzimmer hat sogar einen Namen. In der Presse nennen sie ihn den ›Wäschemann‹.«

»Mir egal, wie er heißt. Verhaften sollen sie ihn.«

»Wann ist er bei dir eingestiegen?«

Claudia überlegte kurz. »Vor vier Wochen ungefähr.«

»Und das erfahre ich erst heute? Blutsakrament!« Schäfer trat mit dem Schuh gegen die Couch.

»Ich wusste gar nicht, dass dir an mir noch so viel liegt.« Claudia grinste herausfordernd.

»An dir weniger, an meiner Tochter umso mehr.«

»Ich habe dir doch gesagt, der Einbrecher wollte nichts von Hannah.«

»Oh Herr, schmeiß Hirn vom Himmel«, flehte Schäfer. Vielleicht begriff da oben jemand, wie dringlich die Situation war. Denn eines war klar: Seine Ex peilte mal wieder gar nichts. »Was wäre, wenn Hannah während des Einbruchs zuhause gewesen wäre, hast du dir darüber Gedanken gemacht?«

»Sie war aber nicht daheim, sondern auf einem Klassenausflug.«

Ihr Gesichtsausdruck verriet Schäfer, dass Claudia nicht verstehen wollte. Er ballte die Hände zu Fäusten und zählte innerlich bis zehn, um einen Wutausbruch möglichst lange hinauszuzögern und bestenfalls ganz zu verhindern. Er seufzte, versuchte sich zu entspannen und fuhr sich über seinen Kopf, die kurzen Haarstoppeln piekten in seiner Handfläche. Dann steckte er seine Hände in die Taschen seiner Cargohose. Vielleicht nahm er das Ganze wirklich zu ernst und sollte eine Stufe zurückschalten. Einfach runterfahren, die ganze Geschichte gelassen angehen. Das wäre besser für die Gesundheit.

Das Ticken einer Wanduhr vermischte sich mit dem Pfeifen der Vögel, deren munteres Trällern durch das geöffnete Fenster drang. Das Leben konnte so friedlich sein. Er atmete tief durch, nahm die Hände wieder aus den Hosentaschen und faltete sie vor dem Bauch wie zum Gebet. »Du hättest es mir sagen sollen«, wisperte er so sanft wie ein Priester bei der Abnahme der Beichte.

»Was?«

»Das mit dem Einbruch.«

»Ich habe es Carsten gesagt, er hat versprochen, sich darum zu kümmern.«

Schäfers Blutdruck stieg enorm an. Von wegen Runterfahren, friedliche Welt und so. In seinem Inneren brodelte es. Der Vulkan, der Pompeji vernichtet hatte, war gegen ihn ein harmloses Tischfeuerwerk. »Diesem … diesem milchgesichtigen Staatsanwalt?« Er hasste Carsten Henningsen, den neuen Partner von Claudia. Allerdings nicht, weil er der neue Mann an ihrer Seite war. Dafür hätte man dem Typen eigentlich einen Tapferkeitsorden verleihen müssen. Schäfer war es scheißegal, mit wem seine Ex ins Bett hüpfte. Dieser Vertreter der Staatsgewalt war allerdings an Arroganz nicht zu überbieten. Schäfer hatte noch zu seiner aktiven Polizeizeit mit dem Jungschnösel seine Schwierigkeiten gehabt und war ein ums andere Mal mit ihm aneinandergeraten. Nein, Freunde würden er und Carsten Henningsen nicht mehr werden. Jedenfalls nicht in diesem Leben. Und im nächsten und übernächsten vermutlich auch nicht.

Dass dieser schleimige Typ sich jetzt anschickte, eine Art Ersatzvater für Hannah zu werden, das ging Schäfer gegen den Strich. »Der Junge ist Staatsanwalt für Verkehrsrecht, der kann mit Einbruchsermittlungen ungefähr so viel anfangen wie du mit einem Staubsauger.«

Claudia rümpfte die Nase. »Bei mir ist es aber sauber. Im Gegensatz zu deiner Wohnung.«

»Weil du von meinem Geld die Putzfrau bezahlst und ich keine Kohle mehr habe für eine eigene.«

»Dein Geld? Hah! Das ist der Unterhalt für deine Tochter. Soll sie in einer verdreckten Wohnung leben?«

»Du könntest selbst sauber machen.«

»Ich?« Claudia hob erschrocken die Hände.

»Nein, Dschingis Khan.«

»Willst du noch lange deine blöden Sprüche reißen? Hast du nicht irgendeinen untreuen Ehemann zu überwachen? Oder fängst du gerade Ladendiebe?« Sie setzte sich neben ihre Tochter auf die Couch und schlug die Beine übereinander.

Ihr Minirock war eine Sünde, die solariumgebräunten Oberschenkel und Waden durch jahrelanges Fitnesstraining bestens in Schuss.

»Von mir aus bleib noch eine Weile«, sagte sie großzügig. »Vielleicht möchtest du später mit Carsten über die Einhaltung von Verkehrsregeln diskutieren. Da kann er dir bestimmt behilflich sein.« Sie grinste. »Als Verkehrsstaatsanwalt versteht sich. Er kommt nämlich gleich.«

Sauber, dachte Schäfer. Das fehlte ihm gerade noch. Auf ein Zusammentreffen mit Henningsen hatte er überhaupt keine Lust. »Kannst du mir wenigstens sagen, welcher Kriponese die Ermittlungen bei deinem Einbruch führt?« Zeit, die Sache zu beenden und die Düse zu machen. Schäfer hatte sein Pulver verschossen.

»Eine Kriponesin war das.«

»Häh?«

»Eine Frau. Die von der Kripo war eine Frau. Eine ziemlich kräftige, sie hieß Horn oder Korn. Nein, ich glaube Born, wie der aus diesem amerikanischen Actionfilm.«

»Dorn meinst du wohl. Elsa Dorn.« Er kratzte sich an der Nase. Elsa bearbeitete also immer noch Sexualdelikte. Oder war sie gar zum Kommissariat 2 für Einbruchdelikte versetzt worden? Er und die kleine Hauptkommissarin hatten letzten Winter bei einem aufsehenerregenden Kapitalverbrechen zusammengearbeitet. Ein Killer, der von der Augsburger Presse der Engelmörder genannt worden war, hatte mehrere Menschen auf grausame Weise ermordet. Elsa Dorn hatte sich zwar als nervige Zeitgenossin entpuppt, ihm aber immerhin das Leben gerettet, was keine Kleinigkeit war. Soweit er wusste, hatte die ehrgeizige Elsa das Ziel verfolgt, zur Mordkommission zu kommen. Aber offenbar war sie bei diesem Versuch gescheitert.

»Genau. So hieß sie. Dorn. Den Vornamen weiß ich nicht. Sie hat mir eine Visitenkarte gegeben, aber die habe ich verlegt.«

»Ich kümmere mich drum.«

»Tu, was du nicht lassen kannst.«

»Übrigens, es ist sicherer, wenn Hannah vorübergehend zu mir zieht. Wieso bis zu den Ferien warten?«

»Willst du das wirklich?«

»Solange dieser Perverse nicht geschnappt wurde, möchte ich lieber auf Nummer sicher gehen.« Aus dem Augenwinkel sah er, wie Hannah heftig nickte. Das schien ihr zu gefallen.

»Mein lieber Sven«, entgegnete Claudia. »Übertreibst du nicht ein bisschen? Das ist schließlich kein Mörder, sondern nur jemand, der für Hannah schwärmt. Wahrscheinlich irgendein Junge aus der Oberstufe. Aber bitte, wenn du meinst, du bist deiner Tochter gewachsen«, sagte sie gönnerhaft. »Ich wette, nach einer Woche hast du die Schnauze voll. Länger hältst du es mit ihr sicher nicht aus.«

»Okay, Hannah, pack deine Sachen.«

»Ähm, Paps, ich bin nachher bei Moni eingeladen, meiner besten Freundin. Mädelsabend.«

»Wo wohnt diese Moni?«

»Gleich nebenan.«

»Gut, aber nach eurem Treffen gehst du sofort nach Hause. Monis Vater soll dich begleiten, wenn es schon dunkel ist. Außerdem …«

»Mensch, Sven«, schaltete sich Claudia ein.

Schäfer brachte seine Ex mit einer barschen Handbewegung zum Schweigen. »Morgen nach der Schule hole ich dich ab«, wandte er sich an Hannah, die ihm begeistert den Daumen entgegenreckte.

Unten auf der Straße parkte der rote VW Käfer, den Schäfer seit einiger Zeit leihweise fuhr. Insgeheim hatte er die Möhre auf den Namen Klaus getauft. Eigentlich gehörte die Karre der alten Dame, die in der Wohnung über ihm wohnte. Schäfer hatte ihr Wohn- und Esszimmer gestrichen. Als Lohn dafür hatte er einen Hexenschuss bekommen und die zeitlich begrenzte Erlaubnis, diese alte Klapperkiste zum schnelleren Fortkommen zu benutzen. Einen fahrbaren Untersatz benötigte er als Privatermittler, sonst konnte er gleich Hartz IV beantragen. Nachdem sein ganzer Stolz, ein knallgelber Ford Mustang, bei einer Verfolgungsfahrt im letzten Winter in seine Einzelteile zerlegt worden war, hatte Schäfer wohl oder übel auf die Forderung von Frau Kümmel eingehen müssen, wenn er den Käfer fahren wollte. Den Wagen hatte die alte Dame für ihren Enkel vorgesehen, doch der fuhr lieber einen aufgemotzten Golf GTI. Zum Glück für Schäfer.

Er genoss einen Moment die warme Frühlingsluft, legte den Kopf in den Nacken und beobachtete eine Wolke, die über den blauen Himmel wanderte. Nach dem langen und eiskalten Winter empfand er diese warmen Tage Anfang Mai als besondere Genugtuung. Vor allem nach dem wochenlangen Regen im April, der nicht nur die Augsburger Flüsse zu reißenden Strömen hatte anschwellen lassen, sondern auch auf das Gemüt gedrückt hatte.

Quietschende Reifen störten die Idylle, stirnrunzelnd betrachtete er den schwarzen Audi Q7, der direkt vor seinem roten Leihwagen am Straßenrand parkte. Typischer Angeberwagen, dachte Schäfer.

»Scheiße!«, zischte er, als er die Gestalt erkannte, die aus dem Audi stieg. Hektisch duckte er sich hinter den roten Käfer und beobachtete den blonden Mann mit den akkurat gescheitelten Haaren, der Lederjacke mit aufgenähten Fliegersymbolen und der Ray-Ban-Sonnenbrille. Der Typ sah aus, als würde er zum Casting für die Neuverfilmung von Top Gun vorsprechen.

Schäfer blies erleichtert die Backen auf, als die Tür des Mehrfamilienhauses hinter Staatsanwalt Henningsen ins Schloss fiel. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Schäfer den Hauseingang, obwohl Henningsen schon lange Zeit dahinter verschwunden war.

Das käme diesem Trottel gerade recht, sich in die Belange seiner Tochter einzumischen. Nix da, dachte Schäfer. Dieser Stalker war seine Sache, nicht die eines idiotischen Staatsanwalts. Er wusste, was er jetzt zu tun hatte. Sein nächstes Ziel war das Polizeipräsidium an der Gögginger Straße. Genauer gesagt Kriminalhauptkommissarin Elsa Dorn.

Dieser Frau würde er einen Besuch abstatten. Vielleicht konnte sie ihm bei seinem Stalkerproblem helfen. Immerhin arbeitete sie bei der Sitte, außerdem hatte er noch was gut bei ihr, da durfte die Kommissarin sich schon ein bisschen für ihn anstrengen. Eigentlich war ihr letztes Zusammentreffen sowieso schon viel zu lange her. Es wurde höchste Zeit, dies zu ändern und Elsa Dorn eine weitere Zusammenarbeit anzubieten.

Aber davor hatte er noch etwas anderes zu erledigen. Er holte seinen Fahrzeugschlüssel aus der Tasche und sah vom Schlüssel zu Henningsens Geländewagen und wieder zurück. Im spiegelnden Fahrzeuglack von Klaus, dem VW Käfer, beobachtete er, wie sich ein diabolisches Grinsen auf sein Gesicht schlich. Ein Grinsen, das Jack Nickolson alle Ehre gemacht hätte, wie Schäfer fand.

KAPITEL 3

Elsa grübelte in ihrem Büro im Polizeipräsidium über den Akten der bisherigen Fälle. Sie suchte nach einer Gemeinsamkeit, die ihr half, den Täter zu ermitteln. Gedankenverloren zupfte sie an ihrer Bluse und trank einen Schluck Kaffee aus einer Tasse mit Blümchenmuster. Schwarz, ohne Zucker. Sie brauchte einen Energieschub für ihre Konzentration. Und für ihren Magen etwas aus Italien. Pizza.

Mittlerweile verfluchte Elsa diese Einbruchsserie.

Eigentlich sollte sie Morde aufklären; ihr berufliches Ziel war immer gewesen, als Mordermittlerin zu arbeiten. Vor allem, nachdem sie vor einigen Monaten den Engelmörder zur Strecke gebracht hatte. Ein Platz in der neu geplanten Mordkommission schien ihr danach eine sichere Sache zu sein. Eine engagierte Mordermittlerin hatte doch sicher jeder gerne im Team.

Aber sie hatte die Rechnung ohne Karl-Heinz Jansenbrink gemacht. Der Chef der Augsburger Kriminalpolizei hatte ihre Versetzung zur Mordkommission erfolgreich verhindert, ihre Bewerbung war abgelehnt worden. Deshalb versauerte sie nun weiter bei der Sitte und musste Lustmolchen hinterherjagen statt Mördern und Totschlägern. Über diese Ungerechtigkeit war sie noch immer nicht hinweg; der Ärger knabberte an ihren Eingeweiden wie ein Totenkopfäffchen an einer Banane.

Apropos Affe. Der Leitende Kriminaldirektor Jansenbrink war mit dem schleppenden Verlauf der Ermittlungen übrigens nicht zufrieden. Das hatte er Elsa durch einen Kollegen ausrichten lassen. Tja, dachte sie. Auf diese Weise war es ihr immerhin erspart geblieben, einen weiteren Auftritt Jansenbrinks miterleben zu müssen. Wobei, genau betrachtet, trat der Alte nicht einfach auf, nein, das wäre viel zu profan. Jansenbrink erschien. Fehlte eigentlich bloß noch der Trommelwirbel, der ihn ankündigte.

Elsa biss ein großes Stück von ihrer Pizza ab. Im selben Moment öffnete sich die Tür. Wenn man vom Teufel sprach …

»Mahlzeit, Frau Dorn«, begrüßte sie der Kriminaldirektor.

»Mmm … zeit«, brabbelte Elsa zwischen zwei Bissen.

»Fastenzeit endlich vorbei?«, stichelte Jansenbrink.

»Fasten wird überschätzt«, entgegnete sie und wischte sich mit dem Taschentuch über den Mund.

»Und, gibt es was Neues?«

»Bitte?«

Jansenbrink wippte ungeduldig auf den Fußballen, die Hände hinter dem Rücken verschränkt wie ein Oberlehrer, der einen Schüler zur Tafel gerufen hat. »Die neue Sache, die von heute. Der Wäschemann. Klingelt es da bei Ihnen?« Er schüttelte den Kopf.

Elsa wollte gerade fragen, was ihn das anging. Immerhin war Jansenbrink nicht ihr Kommissariatsleiter. Aber im letzten Augenblick hielt sie sich zurück. Denn dieser Mann war leider mehr. Er war der Boss der Bosse. Der Pate der Augsburger Kriminalinspektion. Einfach ausgedrückt, ihr oberster Chef, wenn sie den Innenminister ausschloss. Selbstverständlich durfte Jansenbrink jederzeit und überall Erkundigungen nach dem Fortgang der Ermittlungen einziehen. Aber, dachte Elsa, wieso musste er das ausgerechnet bei ihr machen? Gab es keine wichtigeren Fälle, in die er seine neugierige Nase stecken konnte? Raub, Totschlag oder Mord zum Beispiel?

»Nein«, antwortete sie knapp. Das Pizzabrötchen lag ihr schwer im Magen. Käsegeruch lag in der Luft. »Nix Neues.«

Jansenbrink hob eine Augenbraue und musterte sie mit einem Gesicht, das aussah wie ein Gewittersturm. »Geht’s a bisserl genauer, Frau Kollegin? Schließlich sitzt mir die Presse im Nacken, nicht Ihnen. Vielleicht sollte ich mit Ihrem direkten Vorgesetzten sprechen; es könnte immerhin sein, dass Sie überfordert sind mit dieser Arbeit, nicht wahr.«

»Überfordert? Ich?«

Jansenbrink sah sich demonstrativ im Raum um, drehte den Kopf von links nach rechts und wieder nach links, dann sah er zur Decke. »Sonst noch jemand anwesend?«

Elsa unterdrückte ein gereiztes Knurren. Glücklicherweise musste sie diesen Idioten nicht mehr lange ertragen. Ein knappes halbes Jahr noch, dann würde er seine Pension antreten. Das Wort wohlverdient kam ihr dabei nicht in den Sinn.

»Eigentlich sollte ich bald meine wohlverdiente Pension genießen«, erklärte Jansenbrink prompt.

Eigentlich? Elsa unterdrückte ein Stöhnen.

»Ich habe beim Innenministerium einen Antrag gestellt, meine Arbeitszeit um ein Jahr zu verlängern. Vorerst einmal.«

Arbeitszeit um ein Jahr verlängern? Vorerst? In Elsas Kopf hüpften Zwerge herum und schlugen mit Keulen auf ihre Gehirnwände ein. Sie musste sich verhört haben. »Sie … Sie beehren uns ein weiteres Jahr mit Ihrer, ähm, Anwesenheit?«

»Vorerst, wie gesagt. Insgesamt kann ich bis zu fünf Jahre verlängern. Bei Spitzenbeamten kann es sich das Innenministerium schließlich nicht leisten, sie einfach so zu verlieren.« Er schnippte mit den Fingern. »Und ich bin ein Spitzenbeamter.«

»Vorerst ein Jahr«, wiederholte Elsa fassungslos.

»Richtig. Schließlich muss ich das Ansehen der Augsburger Kripo wieder auf Vordermann bringen. Außerdem …« Elsa hörte den Rest des Monologs nicht mehr. Sie musste Jansenbrinks Worte verdauen. Ein weiteres Jahr. Das waren schreckliche Aussichten. Und womöglich würde er sogar noch verlängern.

»… was ist jetzt mit dem Wäschemann?«

»Was? Ach, der?« Sie blies Luft nach oben, ihr Pony flatterte. »Ja, was ist mit ihm? Nichts! Er kommt aus dem Nichts und verschwindet wieder dorthin. Auch bei der Sex …, ähm, dem letzten Opfer, dieser Frau Kunz, war es das gleiche Lied.«

»Und Sie haben wirklich Erfahrung in solchen Dingen? Ich meine, Sie waren in München bei der Sitte, das weiß ich, schon klar. Aber dieser Fall, hmm, er schlägt Wellen, verstehen Sie. Verdammt hohe mittlerweile. Zwar nicht so hoch wie bei diesem Serienmörder damals. Aber immerhin. Die Augsburger sind beunruhigt, und, ehrlich gesagt, ich auch. Seit dem Fall mit dem Engelmörder sind die Bürger, und vor allem die Presse, nun ja, leicht nervös. Vielleicht sollte ein anderer Beamter«, Jansenbrink betonte genüsslich das männliche »r« ganz besonders intensiv, »den Fall …«

»Sie können mich stattdessen in die Mordkommission stecken, dann bearbeitet jemand anders diesen Fall weiter«, fauchte Elsa.

Auf Jansenbrinks Glatze bildeten sich Schweißperlen. Wie immer, wenn er auf das kleinste Anzeichen von Widerspruch traf. »In die Mordkommission, Sie? Gott bewahre, nach der Schweinerei vom letzten Mal? Nein, ich denke, Sie sind bei der Sitte ganz gut aufgehoben. Nur über die Auswahl Ihrer Fälle sollte man meiner Meinung nach nachdenken.«

»Schweinerei?« Am liebsten hätte Elsa dem Kriminaldirektor den Briefbeschwerer vor die Stirn geknallt. »Ich habe den Fall geklärt.«

Jansenbrinks Stirn legte sich in Falten. Dunkle Flecken bildeten sich unter seinen Achseln. »Geklärt ist wohl ein ganz klein wenig übertrieben.« Er hob die Hand, Daumen und Zeigefinger berührten sich. »Sie haben Ihren bescheidenen Anteil zu diesem Fall beigetragen, das gebe ich gerne zu, aber der Erfolg ist eher meiner Erfahrung zu verdanken.«

Elsa biss sich auf die Lippen, eine Erwiderung konnte sie teuer zu stehen kommen. Denn wie es wirklich zur Lösung dieses Falls gekommen war, und welche Rolle der Ex-Polizist Sven Schäfer dabei gespielt hatte, durfte Jansenbrink auf keinen Fall erfahren. Also ließ sie seine Tirade über sich ergehen.

»Aber das ist Schnee von gestern, zurück zum Thema.« Er sah sie von oben herab an.

Verdammt, wie sie es hasste, dass er sich in ihrem Büro niemals setzte und sie zu ihm aufsehen musste. Aber aufstehen würde sie deswegen nicht. Das käme einer Kapitulation gleich. Sie lehnte sich zurück, verschränkte die Arme.

»Jetzt, wo die Presse mit im Boot ist und unangenehme Fragen stellt«, fuhr er fort, »wäre es besser, die Last der Ermittlungen auf mehrere Schultern zu verteilen.«

»Das ist mein Fall.«

»Genaugenommen sind es«, er legte die Fingerspitzen an die Stirn, »fünf Fälle, habe ich recht?«

»Seit heute sechs.«

Um Jansenbrinks Lippen spielte ein höhnisches Lächeln. »Sechs Straftaten des Wäschemanns, aber Sie haben noch immer keinen Schimmer, wer dieser Übeltäter ist. Ich als Behördenleiter muss mir da leider die Frage stellen, ob Sie alles richtig machen.«

»Ich gebe mein Bestes«, fauchte Elsa zurück.

»Bestimmt, aber ob ihr Bestes gut genug ist, das muss sich erst herausstellen. Das letzte Wort darüber ist noch nicht gesprochen.«

Bevor sie darauf antworten konnte, war Jansenbrink bereits verschwunden. Natürlich ohne die Türe zu schließen. Elsa starrte auf die Wand im Gang. Ein feiner Riss zog sich von oben bis unten. Sie stand auf, warf einen Blick hinaus und schloss die Bürotür. Dann ging sie zum Fenster und öffnete es, nachdem sie ihre Kakteensammlung auf dem Fensterbrett zur Seite geschoben hatte. Sie lehnte ihren Oberkörper nach vorne und genoss die warme Mailuft, während ihr Blick über den Innenhof des Präsidiums glitt. Streifenwagen reihte sich an Streifenwagen. Gegenüber in der offenen Waschhalle sah sie den Wagenpfleger eines der uniformierten Fahrzeuge mit einem Hochdruckreiniger abspritzen. Zwei Hundeführer gingen mit ihren Schäferhunden zu ihren Polizeikombis und ließen ihre vierbeinigen Partner in die Hundebox im Kofferraum springen. Das Hoftor glitt quietschend auf und ein Funkwagen rollte herein und parkte. Zwei Polizeihauptmeister stiegen aus und gingen lachend ins Gebäude.

Elsa fuhr sich mit der Hand durch die braunen Haare und richtete ihren Pferdeschwanz. Sie blickte sehnsüchtig auf die Uhr, eigentlich hatte sie bereits Dienstschluss. Doch nach dem Anschiss von eben war sie entschlossen, jetzt erst recht weiterzuarbeiten. Sie schloss das Fenster, dann stellte sie es in Kippstellung, damit die Luft in ihrem Büro nicht zu stickig wurde. Als sie ihre Kakteen wieder in Reih und Glied aufstellte, stach sie sich an einem ihrer besonders stacheligen Exemplare, dem Warzenkaktus. Sie betrachtete den Kaktus und beschloss, ihn nach Jansenbrink zu benennen.

Dann setzte sie sich wieder, schob den Stuhl zurück und griff nach ihrer Handtasche, aus der sie eine ihrer geliebten italienischen Pralinen zog. Nachdem sie die Folie abgewickelt hatte, schob Elsa die Schokolade in den Mund und schloss die Augen. Wieder und wieder ging sie den Modus Operandi des Wäschemanns durch, suchte nach Verbindungen zwischen den Opfern, fand aber keine. Es waren allesamt Frauen gewesen, die der Täter heimsuchte, nicht immer hübsch, nicht immer jung, sie hatten unterschiedliche Berufe, manche waren Single, andere hatten einen Partner. Auf den ersten Blick wahllos ausgesucht.

Aber waren sie das wirklich?

Zufällige Opfer?

Über ihr Liebesleben hatte Elsa diese Frauen bereits ausgefragt, aber nur ausweichende Antworten erhalten. War das vielleicht die Verbindung, nach der sie suchte? Hatte sie nicht tief genug gebohrt, nicht ausreichend nachgehakt? Jansenbrink wollte sie verunsichern, aber hatte er das auch geschafft?

Sie horchte in sich hinein.

Ja, der alte Glatzkopf war erfolgreich gewesen.

Verdammt!

Sie richtete sich auf. Hatte Jansenbrink vielleicht recht, war sie mit dem Fall überfordert? Bestimmt nicht, aber konnte es sein, dass sie abgelenkt war, mit den Gedanken woanders? Ihr fiel wieder ein, wie sie bei der Einberufung der neuen Mordkommission übergangen worden war. Es stimmte natürlich, darüber war sie mächtig sauer gewesen. Aber hatte sie deshalb ihre Arbeit vernachlässigt? Sie hatte zwar kurzzeitig darüber nachgedacht, sich bei Europol in Den Haag zu bewerben; dort suchten sie Ermittlungsbeamte für eine neu aufgestellte Einheit im Kampf gegen das organisierte Verbrechen. Zudem war Holland weit genug weg von Jansenbrink. Letztendlich hatte sie die Ausschreibungsunterlagen aber doch in den Papierkorb geworfen, so schnell wollte sie in Augsburg nicht aufgeben.

Sie schaute auf die Arbeitsplatte ihres Tischs. Dort herrschte penible Ordnung, Aktenordner standen wie Soldaten beim Morgenappell nebeneinander, rote Mappen lagen fein säuberlich übereinander. Elsa nahm einen der Ordner zur Hand, der Bilder von bekannten Augsburger Sexualtätern enthielt, die im Moment nicht im Gefängnis saßen. Sie hatte mit ihren Kollegen alle infrage kommenden Personen bereits überprüft, aber keinen Tatverdächtigen herausfiltern können. Niemand passte zu dem Fingerabdruck, den sie an einem der Tatorte gefunden hatte. Und das war leider auch schon die einzige Spur, die der Wäschemann hinterlassen hatte. Wenn sie denn von ihm stammte, was nicht hundertprozentig bewiesen war. Außerdem war es nur ein ziemlich verwischter Teilabdruck. Auf einem Dildo, den das Opfer unter dem Kopfkissen aufbewahrt hatte.

Die Visagen der Sexualtäter ekelten Elsa an, bei dem Anblick zweier Typen hielt sie jedoch inne; ihr kam fast die Galle hoch, diese beiden waren ganz besondere Früchtchen.

Vielleicht sollte sie den beiden einen erneuten Besuch abstatten. Wenn sie gegen diese Typen auch nichts in der Hand hatte, Unschuldslämmer waren sie keinesfalls. Kein Baum fällt bekanntlich beim ersten Hieb, ihnen ein weiteres Mal auf die Finger zu klopfen, war bestimmt kein Fehler. Und möglich war es immerhin, dass diese Burschen zwischenzeitlich interessante Dinge aus der Unterwelt erfahren hatten. Freiwillig würden sie diese Infos sicherlich nicht rausgeben. Es lag also an ihr, diese Mistkerle so lange zu kitzeln, bis sie ein Liedchen sangen, das ihr gefiel. Sie griff zum Telefon. Unmöglich konnte sie dort alleine auftauchen. Sie brauchte einen Kollegen, zur Not auch eine Kollegin.

Leider blieb Elsa erfolglos, egal, welches Büro sie anwählte. Sie war die Einzige von der Sitte, die noch im Dienst war. Elsa grübelte, die Kollegen von der Kripo wollte sie nicht belästigen. Der Kriminaldauerdienst war bestimmt ausgebucht. Einen uniformierten Kollegen vielleicht? Oder einen der Zivilfahnder der im Präsidium beheimateten Polizeiinspektion?

Wen konnte sie nur als Begleitung auswählen? Das Telefon schellte, es war der Beamte an der Hauptpforte, er kündigte Besuch an. »Auch das noch«, stöhnte Elsa, als sie den Namen der Person hörte, die zu ihr wollte.

KAPITEL 4

»Was machst du denn hier?«, protestierte Elsa und beobachtete mit knirschenden Zähnen, wie ihr Besuch ungefragt auf dem Stuhl ihr gegenüber Platz nahm und einen Weidenkorb abstellte. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. »Und was ist mit Anklopfen?«

»Ich bin deine Mutter«, entgegnete Martha Dorn.

»Und da ist Anklopfen nicht nötig?«

»Klopfe ich daheim an, wenn ich in dein Zimmer will?«

»Nein«, musste Elsa ihrer Mutter recht geben. »Leider nicht.«

»Siehst du, wieso also hier?«, entgegnete Martha offenbar ohne jedes Unrechtsbewusstsein.

»Du schuldest mir noch die Antwort auf meine erste Frage.«

»Welche war das? Entschuldige, Liebes, aber mein Gedächtnis, du weißt schon.«

»Was willst du hier, Mama? Ich arbeite.«

Martha Dorn schaute sie ungläubig an. »Das nennst du arbeiten? Du sitzt in deinem Büro und machst … Ja, was eigentlich? Du hast aus dem Fenster geschaut, als ich reingekommen bin, und Kaffee getrunken.«

»Na und? Ich bin bei der Kripo. Da muss man nachdenken. Nachdenken ist auch Arbeit.«

»Wirklich?«

»Wirklich«, bestätigte Elsa und schob die Unterlippe vor. »Was glaubst du, wie viele Menschen mit Nachdenken Geld verdienen!«

»Ach ja, welche denn?«

»Zum Beispiel, ähm, zum Beispiel …«

»Jaah?«

»Sei halt nicht so ungeduldig.« Jetzt musste Elsa tatsächlich nachdenken. »Zum Beispiel Romanautoren. Oder Lektoren, Politiker auch.«

Ihre Mutter schaute sie streng an.

»Okay«, ruderte sie zurück. »Streich den Politiker, aber die anderen beiden schon.«

»Aha«, war das einzige, was ihrer Mutter dazu einfiel.

Elsa holte tief Luft. Es reichte offenbar nicht, dass ihre Mutter ihr zuhause auf die Nerven ging. Nein, jetzt musste sie auch noch bei der Arbeit aufkreuzen. Wenn das einer der Kollegen mitbekam. Oder schlimmer: Jansenbrink! Dann wäre sie das Gespött der Kollegenschaft. »Ich warte auf deine Antwort, warum bist du hier?«

»Ach, Elsalein, ich kenne doch deine langen Arbeitszeiten. Wer weiß, wann du heute nach Hause gekommen wärst.«

Elsa setzte sich kerzengerade auf. »Du hast doch nicht? Nein! Bitte, sag, dass das nicht wahr ist. Hast du was zum Essen mitgebracht?« Sie starrte auf den Korb ihrer Mutter, der mit einem Geschirrtuch abgedeckt war.

Martha Dorn folgte ihrem Blick. »Oh, hast du Hunger?«

»Nein, ich habe keinen Hunger.«

»Gut, ich habe nämlich nichts dabei.«

Elsa sank erleichtert zurück. Das hätte gerade noch gefehlt, dass ihre Mutter ihr das Essen wie einem kleinen Mädchen nachgetragen hätte.

»Aber wenn ich dich so anschaue, dann hätte ich es liebend gern getan. Mei, mager schaust wieder aus, mager.« Ihre Mutter schüttelte den Kopf. »Ich mach dir heute Abend was Anständiges. Eine saftige Pizza vielleicht, oder Spaghetti Bolognese, das isst du doch so gerne.« Martha legte die Hände flach auf die Tischplatte und beugte sich vor. Dann schaute sie nach links und rechts, als ob die Gefahr bestünde, belauscht zu werden. Sie kniff ein Auge zusammen und flüsterte: »Die Energien im Universum haben sich verschoben.«

»Wie bitte?« Elsa musste sie falsch verstanden haben. Was hatten Energien mit Pizza und Spaghetti zu tun? Oder handelte es sich um einen der berüchtigten abrupten Themenwechsel ihrer Mutter?

»Die Energien im Universum haben sich verschoben!«, wiederholte Martha Dorn. »Und wie sie das haben.«

»Aha.« Doch nicht verhört.

»Das war es, was ich dir sagen wollte, einfach sagen musste. Du verstehst sicher, da konnte ich unmöglich auf deinen Feierabend warten. Na, was meinst du dazu?« Martha Dorn nahm ihre Brille ab, die wie immer an einer Kette baumelte. Während sie Elsa ansah, spielte sie mit den Kettengliedern und wickelte diese um ihren Zeigefinger.

Elsa sah zur Decke, zum Fenster, an die Wand. Sie blies die Backen auf, ließ Luft entweichen, trommelte mit den Fingern auf den Tisch, nahm einen Bleistift und drehte ihn in den Fingern, legte ihn auf den Aktenordner vor ihr. »Ja mei, das macht mich jetzt sprachlos.« Sie nahm erneut den Bleistift, öffnete eine Schublade ihres Rollcontainers und warf den Stift hinein, dann blickte sie ihrer Mutter ins erwartungsvolle Gesicht. »Was soll ich dazu auch sagen?«

»Spannend, gell.«

»Und wie.«

»Ich spüre es schon den ganzen Tag und konnte kaum erwarten, es dir mitzuteilen. Dem Papa kann ich es ja leider nicht mehr sagen, Gott hab ihn selig.« Martha Dorn bekreuzigte sich eilig.

Elsas Vater war vor über einem Jahr gestorben, deshalb war sie der erste Ansprechpartner ihrer Mutter, wenn Neuigkeiten in der Familie weitergetratscht werden mussten. Sehr zum Leidwesen Elsas. Manchmal bedauerte sie, dass ihre Schwester in Barcelona lebte und dort weitgehend von Marthas Anwandlungen verschont blieb. Momentan hatte Martha einen Hang zum Esoterischen. Elsa hoffte, dieser Spleen würde bald vorübergehen.

»Spürst du es nicht auch?«

»Was denn?«, fragte Elsa, immer noch in Gedanken versunken.

»Na, das Universum und seine Energien.«

Tja, dachte Elsa. Es bestand wohl kein Zweifel daran, dass die Frau vor ihr in einer ganz anderen Galaxie lebte. Aber sonst? »Nö, ich spür nix.« Sie schüttelte den Kopf. »Rein gar nix.«

»Das ist seltsam, ich fühle es sehr stark.«

»Schön, Mama, aber ich muss arbeiten. Wirklich, ich habe grad keinerlei Zeit fürs Universum. Das muss im Moment ohne mich auskommen.«

»Und die Energien?«

»Mei, Mama, die müssen sich ohne mich verschieben.«

»Meinst du?«

»Ja, Mama, meine ich. Ganz bestimmt.«

»Frau Elisabeth ist sicher, da braut sich was zusammen.«

»Frau …?«

»… Elisabeth, die Heilerin. Erinnerst du dich nicht? Ich habe dir gestern von ihr erzählt.«

Elsa hatte keinen blassen Schimmer und sagte daher eilig: »Ach die. Klar doch. Die Elisabeth, natürlich. Jetzt, wo du es sagst, fällt es mir wieder ein.« Wer war verdammt noch mal diese Frau?

»Du solltest auch zu ihr gehen. Die hilft dir bei deinen ganzen Beschwerden.«

»Welche Beschwerden? Mir geht es gut.«

»Na, deine ähm, also die, diese …«, Martha senkte die Stimme, »Männerbeschwerden.«

»Mama, es ist wirklich gut.«

»Aber, Elsa, dein Männerproblem.«

»Ich habe kein Männerproblem.«

»Nein, du hast nämlich gar keinen Mann.«

»Stimmt, folglich auch keine Probleme.«

»Elsa, du weißt, wie ich es meine. Elisabeth kann dir helfen, sie ist Expertin im Handauflegen.«

»Hand …?«

»… auflegen. Dein ganzer Schmerz ist im Nu verflogen.«

»Ist recht, Mama, aber für solch einen Schmarrn habe ich gar keine Zeit im Moment. Ich habe echt viel zu tun, weißt du.«

»Meinst du diesen Sexkram?«

»Mama, ich habe dir schon hundert Mal gesagt, das ist geheim, was ich bei der Arbeit mache.«

Ihre Mutter riss die Augen auf. »Anschreien brauchst mich deswegen aber nicht. Wo es die Presse doch schreibt, da darf ich es ja wohl auch sagen. Ist schließlich kein Geheimnis mehr.«

»Ich schrei doch gar nicht, Mama«, behauptete Elsa schnell, um zu überspielen, dass sie in der Tat etwas lauter geworden war. Das letzte, was sie jetzt brauchte, war eine beleidigte Mutter. Denn erstens wollte sie keinen Streit. Und zweitens würde dann der Haussegen wochenlang schiefhängen.

»Die Sach mit dem Wäschemann, das ist doch bestimmt dein Fall, nicht?«

Erleichtert atmete Elsa auf. Die Neugier ihrer Mutter hatte anscheinend über persönliche Befindlichkeiten wie Beleidigtsein die Oberhand behalten.

»Du bist doch bei der Sitte, das muss deine Sach sein, nicht wahr?«

»Mama.«

»Geh zur Heilerin, die kann dir bestimmt auch dabei helfen. Bei deinen Ermittlungen, meine ich.«

»Mama, ich glaube kaum, dass die Aussage deiner, deiner …« Sie suchte nach dem passenden Ausdruck, fand keinen und fuhr seufzend fort: »… deiner Heilerin beweiskräftig ist.«

»Meinst du?«

»Ja, Mama, das meine ich. Mein Chef wäre bestimmt überhaupt nicht begeistert, wenn ich damit ankäme.« Elsa dachte an Jansenbrink und wusste nicht, ob das stimmte. Sie traute dem Kriminaldirektor durchaus eine esoterische Ader zu.

»Kann es nicht sein, dass die verschobenen Energien mit deinem Fall zu tun haben?«

Genug war genug, beschloss Elsa. Sie stand auf, nahm ihre Mutter beim Arm und zog sie sanft hoch. Dann tätschelte sie ihr den Rücken und schob sie aus dem Büro. »Mama, ich habe gleich eine wichtige Besprechung mit meinem Chef. Du willst doch nicht, dass ich Probleme kriege, weil ich schlecht vorbereitet bin.«

»Nein, aber was ist mit …?«

»Mama, vergiss nicht, was du sagen wolltest. Das erzählst du mir dann heute Abend. Da werde ich ganz Ohr sein, versprochen«, log sie. »Aber du brauchst nicht aufbleiben deswegen. Wenn du müde bist, geh ins Bett. Bei mir wird’s bestimmt später. Und du brauchst nicht zu kochen, gell. Ich geh zum Angelo, meinem Lieblingsitaliener. Bis dann.«

»Papperlapapp, Angelo und Lieblingsitaliener. Das Essen dort schlägt dir nur wieder auf deinen Magen. Du weißt doch, wie empfindlich du reagierst, Kind. Denk an das viele weiße Mehl und das Glutamat.«

»Das mit dem Glutamat, das war beim Chinesen, Mama.«

»Chinese oder Italiener, das ist doch egal, am Ende ist immer das gleiche drin.«

»Mama, es langt jetzt, ich muss wirklich arbeiten.«

»Gut, wie du meinst.« Martha schüttelte energisch den Kopf. »Aber das mit dem Italiener, das kommt überhaupt nicht infrage, italienisch kann ich viel besser. Und was diese Männergeschichte angeht, lass dir das von der Heilerin einmal auspendeln. Du wirst staunen, was die mit ihrem Pendel alles rauskriegt. Staunen wirst du.«

»Ja, Mama, das mit dem Pendeln, das machen wir ein anderes Mal.« Elsa schloss energisch die Tür, lehnte sich für einen Moment mit dem Rücken dagegen, bevor es klopfte und die Tür mit Gewalt einen Zentimeter aufgeschoben wurde.

»Spaghetti Bolognese, ist das in Ordnung«, rief Martha Dorn durch den Türschlitz. »Mit veganer Sauce natürlich. Und Salat, ganz frisch vom Bauernmarkt heute.«

»Ja, Mama, Spaghetti sind super. Aber aufbleiben lohnt sich trotzdem nicht. Stell das Essen auf den Herd, ich mach es warm, wenn ich heimkomm.« Elsa drückte die Tür sanft ins Schloss, um einen weiteren Wortschwall ihrer Mutter zu unterbinden, und ging zurück zu ihrem Stuhl. Mit zusammengekniffenem Mund musterte sie ihren Tisch, als die Tür aufflog. Elsa ließ resigniert ihr Kinn auf die Brust fallen und sagte, ohne aufzuschauen: »Mama, bitte, geh nach Hause. Ich flehe dich an.«

»Servus, Elsa, aber ich bin nicht deine Mama.«

Sie sah überrascht auf. Am Türrahmen lehnte Sven Schäfer, der bullige Privatermittler. Er grinste sie an und trat ungefragt ein. Noch bevor sie ihn begrüßen konnte, lümmelte er sich auf den Stuhl, der kurz zuvor ihre Mutter beherbergt hatte.