Die Schampus-Verschwörung - Franz Hafermeyer - E-Book
SONDERANGEBOT

Die Schampus-Verschwörung E-Book

Franz Hafermeyer

0,0
6,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 6,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein Skelett im Augsburger Siebentischwald! Privatschnüffler Sven Schäfer stolpert ausgerechnet beim Joggen mit seiner Tochter darüber. Kriminaldirektor Jansenbrink gibt den Fall an Elsa Dorn, die nun endlich offiziell bei der Mordkommission ermittelt. Die ist überhaupt nicht erfreut, dass Schäfer sich schon wieder in einen ihrer Fälle einmischt.

Die Spur führt zu drei wohlhabenden und einflussreichen Bürgern der Stadt, der sogenannten Bazi-Schickeria. Jansenbrink spielt das mit aller Macht herunter. Warum nur? Schon bald geschehen neue Morde. Wieder einmal wird klar: Diesen Fall können Dorn und Schäfer nur gemeinsam lösen.

Der fünfte Augsburg-Krimi mit Schäfer und Dorn - für alle Fans von Regionalkrimis und coolen Ermittlerduos. Geschrieben von einem echten Kommissar!

Ebenfalls in der Reihe "Schäfer und Dorn" erschienen:

Tote lächeln nicht (Band 1)
Das Spätzle-Syndikat (Band 2)
Der Brezen-Trick (Kurzkrimi, Band 3)
Das Extrawurscht-Manöver (Band 4)

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 371

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



INHALT

CoverGrußwort des VerlagsÜber dieses BuchTitelKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Kapitel 38Kapitel 39Kapitel 40Kapitel 41Kapitel 42Kapitel 43Kapitel 44Kapitel 45Kapitel 46Kapitel 47Und zum Schluss ein Dankeschön …Lektüre zur Recherche:Über den AutorWeitere Titel der AutorinImpressum

Liebe Leserin, lieber Leser,

vielen Dank, dass du dich für ein Buch von beTHRILLED entschieden hast. Damit du mit jedem unserer Krimis und Thriller spannende Lesestunden genießen kannst, haben wir die Bücher in unserem Programm sorgfältig ausgewählt und lektoriert.

Wir freuen uns, wenn du Teil der beTHRILLED-Community werden und dich mit uns und anderen Krimi-Fans austauschen möchtest. Du findest uns unter be-thrilled.de oder auf Instagram und Facebook.

Du möchtest nie wieder neue Bücher aus unserem Programm, Gewinnspiele und Preis-Aktionen verpassen? Dann melde dich auf be-thrilled.de/newsletter für unseren kostenlosen Newsletter an.

Spannende Lesestunden und viel Spaß beim Miträtseln!

Dein beTHRILLED-Team

Melde dich hier für unseren Newsletter an:

Über dieses Buch

Ein Skelett im Augsburger Siebentischwald! Privatschnüffler Sven Schäfer stolpert ausgerechnet beim Joggen mit seiner Tochter darüber. Kriminaldirektor Jansenbrink gibt den Fall an Elsa Dorn, die nun endlich offiziell bei der Mordkommission ermittelt. Die ist überhaupt nicht erfreut, dass Schäfer sich schon wieder in einen ihrer Fälle einmischt. Die Spur führt zu drei wohlhabenden und einflussreichen Bürgern der Stadt, der sogenannten Bazi-Schickeria. Jansenbrink spielt das mit aller Macht herunter. Warum nur? Schon bald geschehen neue Morde. Wieder einmal wird klar: Diesen Fall können Dorn und Schäfer nur gemeinsam lösen.

FRANZ HAFERMEYER

Die Schampus Verschwörung

Schwabenkrimi

Kapitel 1

»Ich höre das Rauschen des Wassers«, stieß Sven Schäfer zwischen zwei Atemwölkchen aus. »Endlich!«, fügte er mit einem Seitenblick auf seine Tochter Hannah hinzu, die neben ihm joggte. Der Lech traf nicht weit von ihrer Position auf den Hochablass, ein Stauwehr an der Ostseite des Augsburger Siebentischwaldes. Wie Schäfer wusste, wurde dort Flusswasser abgezweigt, das anschließend in zahlreichen Kanälen durch die Altstadt floss, weshalb einige Bürger ihre Stadt Klein-Venedig nannten. Ein spöttischer Spitzname, denn Kähne und singende Gondolieri gab es in Augsburg nicht, dazu waren die Kanäle viel zu schmal.

In seinen Ohren klang das Getöse des Hochablasses wie Musik. Das erste Etappenziel schien in Reichweite: der Imbisswagen auf der anderen Seite des Lechs. Dort war Pause vereinbart. Pause von der Joggingrunde, zu der er sich von seiner Tochter hatte überreden lassen.

Hannah hatte behauptet, eine leichte Laufrunde schadete einem dreiundvierzigjährigen Mann nicht, und auf seine mangelnde Kondition hingewiesen. Was natürlich nicht stimmte. Er fühlte sich körperlich durchtrainiert und mit seinem regelmäßigen Boxtraining durchaus ausgelastet. Eine gemeinsame Laufeinheit mit Hannah erschien ihm aus anderen Gründen sinnvoll. Seit die Siebzehnjährige bei seiner Ex-Frau Claudia aus- und bei ihm eingezogen war, versuchte Schäfer seiner Vaterrolle besser gerecht zu werden. Und dazu gehörten seiner Meinung nach gemeinsame Vater-Tochter-Unternehmungen. Selbst wenn das schweißtreibenden Sport bedeutete, noch dazu bei erfrischenden sieben Grad an einem Oktobermorgen. Mit Schäfers Oldtimer, einem roten VW Käfer, waren sie zum Parkplatz am Zoo gefahren, hatten sich dort mit einigen Dehnübungen aufgewärmt und waren anschließend kreuz und quer durch den Siebentischwald gelaufen.

»Nicht mehr weit, Paps«, ermunterte ihn Hannah mit einem Lächeln im Gesicht.

Tatsächlich schafften es einzelne Sonnenstrahlen, den Nebel zu zerteilen. Durch die Bäume sah er das Wasser schäumen. Der von rechts langsam heranfließende Lech stürzte sich über das Stauwehr in einem brausenden Wasserfall nach unten. Eine Gischtwolke waberte über dem Wehr. Einzelne Spaziergänger liefen auf dem Fußweg über den Hochablass. Ein Radfahrer mit altmodischen Ohrenwärmern trat müde in die Pedale.

Schäfer verlangsamte das Tempo, blieb kurz stehen und beugte seinen Oberkörper vor, ließ die Arme baumeln. Er freute sich auf eine Currywurst mit Pommes und jede Menge Ketchup, diese Mahlzeit konnte er zu jeder Tages- und Nachtzeit vertilgen. Eine Stärkung käme gerade zur rechten Zeit. Hannah hatte auf eine Joggingrunde im morgendlichen Oktobernebel bestanden, was für sie acht Uhr bedeutete. Auf ein Frühstück hatte er als notorischer Spätaufsteher verzichtet, um diese Zeit brachte er keinen Bissen runter. Hoffentlich hatte der Imbissstand geöffnet, dachte er nach einem flüchtigen Blick auf seine Armbanduhr. Kurz nach neun.

»Hey, Paps, nicht auf den letzten Metern schlappmachen«, foppte ihn Hannah. Ihre langen dunklen Haare verbarg sie unter einer pinken Strickmütze. Eine einzelne Strähne schlängelte sich seitlich heraus und kräuselte sich um ihr linkes Ohrläppchen.

»Du sollst mich nicht Paps nennen. Da fühle ich mich irgendwie …«

»… alt?« Hannah lachte aus vollem Hals. Auf einmal änderte sich ihr Gesichtsausdruck. Das Lachen verklang, die Augenbrauen zog sie grübelnd nach oben. Sie hob das Kinn und horchte.

»Was ist, Hannah?«

»Ich glaube, da hat jemand geschrien.«

»Das war mein Magen«, wiegelte er ab. »Der knurrt lauter als ein Säbelzahntiger.«

»Nein, nein! Ich bin mir sicher.«

Schäfer sah in die Richtung, auf die Hannah sich konzentrierte.

Sie presste die Augenlider zusammen und legte den Kopf schief, als könnte sie so besser Geräusche wahrnehmen. Plötzlich riss sie den Arm nach oben. »Da! Da war es wieder.«

»Ich hör nix.«

»Du wirst alt.«

»Nein, ich habe die Ohren eines Luchses.«

»Eines alten Luchses.«

»Hannah, ich habe wirklich Hunger.«

Sie beachtete ihn nicht mehr, hatte längst kehrtgemacht und joggte zurück.

»Oh Mann!« Er stöhnte auf, schüttelte den Kopf und stiefelte ihr widerwillig nach. Um nicht den Anschluss zu verlieren, verfiel er in einen lockeren Trab. Es ging um eine Biegung, dann nach links.

Hannah winkte ihm, schneller aufzuschließen.

»Zefix!«, fluchte er, als seine Tochter immer weiter lief. Sie benutzte nicht länger den Kiesweg, auf dem regelmäßig Jogger, Spaziergänger und Radfahrer unterwegs waren. Sie folgte einer anderen Strecke, die verlassener wirkte und tiefer in den Siebentischwald führte. Der Nebel wurde dichter und schob sich in Schwaden vor Schäfer. Hannahs Gestalt verschwand teilweise in dem Dunst. Eine Szene wie aus einem schlechten Horrorfilm.

»Was war das?« Schäfer blieb stehen.

»Hast du es endlich gehört?« Seine Tochter drehte sich um, kam zu ihm zurück und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Sogar durch seine Trainingsjacke spürte er sie frösteln. Nicht wegen der Kälte. Es war die Angst, die sie zittern ließ.

»Mhm«, brummte er und sah sich langsam um. In dieser Waschküche war allerdings so gut wie nichts auszumachen, außer den Umrissen einiger Bäume, die wie stumme Gespenster wirkten.

»Kommt irgendwo aus dem Wald«, vermutete Hannah und deutete mit dem Arm in eine unbestimmte Richtung. »Da führt bloß kein Weg rein.«

»Stimmt, das ist abseits, mitten zwischen den Bäumen. Irgendwo im Nirgendwo.« Er überlegte kurz, betrachtete den dürren, knorrigen Ast einer Birke am Wegesrand, der sich ihm wie ein mahnender Finger entgegenstreckte. Wie eine Warnung. Eine Warnung, nicht weiter in den Wald vorzudringen. Er schüttelte den Kopf und damit die bedrohlichen Gedanken ab. Schließlich fasste Schäfer einen Entschluss. »Du bleibst da!«, forderte er Hannah auf und schritt langsam auf die mahnende Birke zu.

»Ich komme mit«, widersprach sie und schickte sich an, ihm nachzuzockeln.

»Das war keine Bitte!«, sagte er lauter als gewollt und unterstrich die Aufforderung mit einer herrischen Geste.

Hannah blieb abrupt stehen, ließ die Schultern hängen und zog einen Schmollmund.

»Stell dich hinter die große Fichte dort.« Sein Ton war wieder leiser, sanfter. Er wollte sie nicht beunruhigen. »Dort finde ich dich.« Schäfer zwinkerte Hannah aufmunternd zu.

»Ist gut.« Sie nickte und schlang die Arme um den schmächtigen Körper.

Schäfer stapfte los, passierte den warnenden Ast, der aus der Nähe betrachtet nichts weiter war als ein verdorrtes Stück Holz. Leise fluchend zwängte er sich zwischen zwei Tannen hindurch, die wie Torwächter vor ihm aufragten. Das Moos unter seinen Schuhen gab nach. Zwei Dutzend Schritte später zertrat er einen Zweig. Schäfer zuckte zusammen. Das Geräusch klang unnatürlich laut in seinen Ohren. Ansonsten war es so still, als hätten Bäume und Nebel sämtliche Laute aufgesaugt. Er hielt für einen Moment an und atmete mehrmals ein und aus. Die Luft roch nach Fichtenzweigen, Tannennadeln und Moos.

»Hiiilfee!«

Schäfer wirbelte herum.

Der Ruf war deutlich zu hören, schien nicht weiter entfernt als fünfzig Meter. Allerdings konnte sich Schäfer täuschen wegen des Nebels, der Geräusche verschluckte und verfälschte. Von einer Sache war er allerdings überzeugt: Die Schreie stammten eindeutig von einer Frau.

Schäfer hetzte weiter, hielt Arme und Hände schützend vors Gesicht, als ihm erste Zweige entgegenpeitschten, und schmiss seinen massigen Körper durchs Unterholz. Er merkte, wie Stirn, Wangen und Lippen aufrissen, spürte das Blut auf der Haut, schmeckte den typisch metallenen Geschmack auf der Zunge. Er wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht und rückte seine Mütze zurecht. Ein Ast verhakte sich an seinem Jackenärmel und riss den Stoff auf, als Schäfer den Arm mit Wucht weiterzerrte. »Himmel, Arsch und Zwirn, was für eine verfickte Scheiße!«

»Hallooo! Hilfeee!«

Er stutzte. Diesmal schien der Ruf weiter weg. Wie konnte das sein? Bewegte sich Schäfer in die falsche Richtung? Er stoppte abrupt, drehte sich im Kreis und lauschte.

Erneut der Ruf.

Näher!

Die Frau rannte, wurde ihm klar.

Wieso?

Drohte Gefahr, gab es einen Verfolger?

Durch Schäfers Adern schoss das Adrenalin. Pumpte ihn zur Höchstleistung. Seine Atmung ging schnell, in seinem Kopf pochte es. Die Sinne schärften sich. Laut schnaubend wie ein Stier kämpfte er sich durch den Wald.

»Hierher!«, rief er. »Polizei«, fügte er hinzu, obwohl er gar kein Polizist mehr war, sondern Privatermittler. Aber er wollte Zuversicht verbreiten und einen möglichen Häscher abschrecken. Plötzlich stolperte er auf eine kleine Lichtung.

Rechts von ihm das Krachen von Zweigen und Ästen, als preschte ein Wildschwein durchs Unterholz. Was es aber nicht war, sondern ein rotfarbener Anorak, der mitsamt menschlichem Inhalt auf die Lichtung purzelte.

»Dem … dem Hi-himmel sei Dank«, stammelte die etwa Fünfzigjährige, die vor ihm kniete und Schäfer Hilfe suchend beide Arme entgegenstreckte. In der linken Hand hielt sie einen Korb voller Steinpilze und in der anderen …

»Was zur Hölle ist das für eine Schweinerei?«, presste Schäfer hervor und starrte abwechselnd in das angstverzerrte Gesicht der Pilzsucherin und auf das seltsame Etwas, das zwischen den Fingern ihrer rechten Hand hervorlugte.

Kapitel 2

Kriminalhauptkommissarin Elsa Dorn saß an ihrem Schreibtisch im Augsburger Polizeipräsidium und betrachtete die Kakteensammlung auf dem Fensterbrett. Sie liebte diese Exoten, die trotz oder gerade wegen Elsas fehlender Pflege so gut aussahen. Jedenfalls ihrer Meinung nach.

Einige ihrer Kollegen rümpften beim Betreten des Büros die Nase und streiften die Stachelkrieger mit einem vernichtenden Blick. Das war ihr herzlich egal, sie war ein Fan dieser Pflanzen. Im Laufe der Zeit hatte sie es sich angewöhnt, mit ihnen zu reden. Der Kaktus in der Mitte war ein Mammillaria, ein Warzenkaktus, und hörte auf den Namen Jansenbrink. Zufällig hieß ihr Chef, der Leiter der Augsburger Kripo, auch so.

Nein, Zufall war das nicht. Der Leitende Kriminaldirektor Jansenbrink war ihr nicht gerade wohlgesonnen, seit Elsa letzten Winter ihren Dienst bei der Augsburger Sitte angetreten hatte. Privat war es eine Rückkehr gewesen, Augsburg war ihr Geburtsort. Ihre Mutter lebte allein in einem kleinen Haus im Stadtteil Haunstetten. Elsa war auf eigenen Wunsch aus München in die Fuggerstadt versetzt worden, hatte sich in der bayerischen Landeshauptstadt zuletzt nicht mehr wohlgefühlt. Genauer gesagt, hatte sie sich nicht mehr in der Nähe ihres Vorgesetzten und zugleich Lebensabschnittspartners wohlgefühlt. Dieser Vorgesetzte, dessen Namen Elsa partout nicht länger in den Mund nehmen wollte, war mit einer Kollegin fremdgegangen. Einer Kollegin, die in Kleidergröße 36 passte. Im Gegensatz zu Elsa, die schon froh war, wenn sie etwas in Größe 44 fand, in dem sie nicht aussah wie eine Presswurst. Dabei hatte sie gedacht, der Münchner, wie sie ihn fortan nannte, hätte an ihren inneren Werten Gefallen gefunden, denn natürlich wusste sie, dass sie keine Model-Figur besaß. Pustekuchen, von wegen innere Werte. Der Münchner fuhr lieber auf weniger kurvige Frauen ab. Zudem war der Seitensprung bedeutend jünger als Elsa, die bald ihren siebenunddreißigsten Geburtstag feierte. Angelo, ihr aktueller Freund, war da hoffentlich anders gepolt.

Aber zurück zu Jansenbrink. Mit ihm hatte es zahlreiche dienstliche Debatten gegeben, in denen sie den Kürzeren gezogen hatte. Diskutierte sie allerdings mit dem Kaktus-Jansenbrink, behielt Elsa immer die Oberhand, das tat verdammt gut.

Sie rollte den Stuhl zurück und griff nach ihrer Handtasche, aus der sie eine ihrer geliebten italienischen Pralinen zog. Cuneesi al cioccolato, schokolierte Mini-Baisers gefüllt mit feiner Schokocreme. Die gab es in einem ganz bestimmten Delikatessenladen in Augsburg und sonst nirgends. Laut Inhaber werden sie direkt aus Italien exklusiv in sein Geschäft geschickt. Nachdem Elsa die Folie abgewickelt hatte, steckte sie die Schokolade in den Mund und schloss die Augen. Mit der Zunge schob sie die Praline herum, bis sie komplett zerflossen war. Sie öffnete die Augen und schaute auf die Arbeitsplatte ihres Tischs. Dort herrschte penible Aufteilung, Ordner standen wie Soldaten beim Appell nebeneinander. Unterschriftsmappen lagen fein säuberlich übereinander.

Einen Fall hatte sie momentan nicht zu bearbeiten, aber das störte sie nicht. Irgendwann käme der Fall. Nämlich ihr erster Fall bei der Augsburger Mordkommission, bei der sie endlich gelandet war. Nach der Aufklärung mehrerer spektakulärer Morde vor knapp zwei Monaten in einem besonders heißen August hatte Jansenbrink sie zur Mordkommission abgeordnet. Zwar erst mal vorübergehend und auf Probe, aber immerhin. Genau der Jansenbrink, der ihrer Meinung nach nicht nur ein Frauenproblem, sondern ein Elsa-Dorn-Problem hatte. Nach der Lösung des Falles, der es unter der Schlagzeile Das Extrawurscht-Manöver in die bayerische Presse geschafft hatte, war das ihr Sprungbrett direkt in ihr Wunschkommissariat gewesen.

Zugegeben, ein gewisser Privatdetektiv namens Sven Schäfer hatte seinen Teil dazu beigetragen. Sie waren sogar ein richtig gutes Team geworden, musste sie zugeben, was sie nach ihrem ersten Kontakt gar nicht für möglich gehalten hätte. Der Schnüffler hatte außerdem Jansenbrink vor dem Tod durch eine Kohlenmonoxidvergiftung bewahrt. Als Dank dafür hatte ihm der Kriminaldirektor versprochen, sich für seine Wiedereinsetzung in den Polizeidienst starkzumachen, aus dem Schäfer vor Jahren rausgeschmissen worden war. Grund war seinerzeit das Komplott eines korrupten Polizisten namens Ludwig Zott gewesen.

In den letzten Wochen hatte Elsa zur Vorbereitung auf den anspruchsvollen Dienst in der Mordkommission mehrere Lehrgänge im polizeilichen Ausbildungszentrum in Ainring besucht. Außerdem einige Seminare beim Bayerischen Landeskriminalamt und eine Fortbildung in München beim dortigen Dezernat für Mordfälle. Seit Mitte letzter Woche war sie wieder täglich in ihrem Augsburger Büro. Jetzt fühlte sie sich bereit für die wirklich schweren Fälle. Aber so was von bereit. Sie wollte nicht länger Zuhälter und gewalttätige Freier befragen und sich im Rotlichtmilieu herumtreiben. Dass sie es mit skrupellosen Mördern aufnehmen konnte, hatte sie zuletzt mehr als überzeugend bewiesen.

Elsa zupfte ein paar Fussel von ihrer mintgrünen Tweedhose, dann stand sie auf, fuhr sich mit der Hand durch die braunen Haare und richtete ihren Pferdeschwanz. Langsam ging sie auf den Warzenkaktus zu, faltete die Hände vor der Brust und begann: »Lieber Höörrr Jansenbrink, was ich Ihnen immer schon sagen wollte …« Sie schüttelte den Kopf. »Nein, so doch nicht«, korrigierte sie sich, stemmte die Hände in die Hüften und fixierte den Kaktus. »Sehr geehrter Herr Kriminaldirektor Jansenbrink …«

»Warum so förmlich, Frau Dorn?«, hörte sie da in ihrem Rücken eine bekannte Stimme und wirbelte erschrocken herum.

Im Türrahmen stand der hochgewachsene Karl-Heinz Jansenbrink höchstpersönlich. Wie gewohnt in dunklem Anzug und Krawatte. Seine Glatze war umzingelt von einem blonden Haarkranz. Auf seiner Stirn glänzten die üblichen Schweißperlen. Der Kripochef hatte neben dem allgemeinen Frauenproblem und dem speziellen Elsa-Dorn-Problem auch ein Schwitzproblem. Nicht nur im Sommer, sondern sogar im Herbst und Winter.

Ein leichtes Grunzen erregte Elsas Aufmerksamkeit. Ein Grunzproblem hatte Jansenbrink nicht, dieses kam von Alf, einem Mops mit faltiger Haut und schmutzig braunem Fell, der jetzt am Kriminaldirektor vorbeiwatschelte und auf Elsa zulief. Mit dunklen Kulleraugen himmelte er sie an, das kleine Schwänzchen wackelte vor Freude. In dem besagten Extrawurscht-Manöver war dem Mops eine wichtige Rolle zugefallen. Zwischenzeitlich hatten sowohl Sven Schäfer als auch sie selbst den Hund unter ihre Fittiche genommen. Schlussendlich war es ausgerechnet Jansenbrink, der an Alf einen Narren gefressen und ihn adoptiert hatte. Sogar einen Hundekorb hatte der sonst so griesgrämige Kripochef in sein Büro liefern lassen. Jeden Tag brachte er Alf mit zum Dienst. Zwischendurch spazierte Jansenbrink mit dem Mops durch die Gänge der Kripo. Dass der Hund an Flatulenz litt und mitunter eine strenge Duftfahne in den Polizeikorridoren schwebte, nahmen die Mitarbeiter mehr oder weniger stillschweigend hin. Seine dringenden Geschäfte verrichtete Alf im Hof des Präsidiums auf einem Grünstreifen. Der Kriminaldirektor sah sich als Vorbild und verwendete natürlich eine Kacktüte, um die Hinterlassenschaften seines Schützlings aufzusammeln. Die Tüte mit dem stinkenden Inhalt trug er wie eine Monstranz vor seinem ausladenden Bauch her, bis er die Ausscheidungen im polizeieigenen Müllcontainer entsorgte.

Elsa gab zu, Jansenbrinks Sinneswandel ihr gegenüber und seine neu ausgelebte Hundeliebe machten ihn zunehmend sympathisch. Kaum zu glauben, noch vor Kurzem hätte sie ihren Chef am liebsten auf den Mond gewünscht.

»Nun, Frau Dorn«, holte Jansenbrink sie aus ihren Gedanken zurück. Er wippte auf den Fersen, während Alf wie verrückt mit dem Schwanz wedelte.

Elsa bückte sich und tätschelte dem Mops den Kopf, dann kraulte sie ihn hinter den Ohren. Zufrieden tapste er zurück zu seinem Herrchen, pflanzte sich neben ihn hin und betrachtete abwechselnd Elsa und Jansenbrink. Mops und Kripochef gaben ein seltsames Paar ab.

»Nun«, wiederholte Jansenbrink.

Elsa sah den Kriminaldirektor aufmerksam an und bemerkte aus dem Augenwinkel, wie Alf seinerseits sie fixierte.

»Sie sind wunschgemäß bei der Mordkommission«, sprach Jansenbrink das Offensichtliche an. »Schon eingelebt?«, schob er nach, als wäre Elsa den ersten Tag in Augsburg. In Wirklichkeit hatte sie nicht mal das Büro gewechselt.

Was druckste Jansenbrink so rum? War was im Busch?

Ihr Chef trat ans Fenster, gefolgt von Alf, der sich auf den Hintern setzte und zu seinem Herrchen … oder wie Elsa es still formulierte … Chefchen aufsah. Das Chefchen streifte die Kakteen mit einem befremdeten Blick und deutete mit dem Kinn nach draußen in Richtung Himmel.

»Schöner Tag, nicht wahr. Die Sonne hat den Nebel endlich vertrieben. Es ist Montag, der Start in eine neue Woche. Wie geschaffen für Ihren ersten Fall.« Er drehte sich um und sah ihr in die Augen.

»Mein … erster Fall?«, echote sie. Wieso tat er so förmlich? Hier stimmt was nicht, warnte ihre innere Stimme sie. Elsa blinzelte und kniff die Augen zusammen. »Wieso kommen dann Sie zu mir und nicht der Leiter der Mordkommission?«, fragte Elsa misstrauisch.

Jansenbrink winkte ab. »Kriminalhauptkommissar Gronau hat viel zu tun. Sie wissen ja, wie das ist als Führungsbeamter. Ähm … nein, das wissen Sie eher nicht.« Ein Lächeln umspielte seine Lippen.

Da war er wieder, der alte Jansenbrink. Er konnte die Sticheleien einfach nicht lassen.

»Immerhin habe ich …« Er tippte sich auf die Brust. »… Sie, meine liebe Frau Dorn, in die Mordkommission gesteckt. Auf Probe sozusagen. Da ist es für mich sonnenklar, dass selbstverständlich ich höchstpersönlich den ersten Fall … ähm … überreiche … also übergebe … zur Sachbearbeitung, meine ich«, stammelte er. »Es geht da um so einen … Fall … geht es. Im Wald. Könnte was sein, könnte nichts sein«, schwabulierte er. »Sie werden das bestimmt herausfinden, gell. Alles Nähere erfahren Sie vom Kollegen Lanzl, der Sie begleiten wird.«

Ehe Elsa etwas erwidern konnte, eilte Jansenbrink aus dem Büro. Mops Alf tappte hinter ihm her und legte dabei ein Tempo an den Tag, das ihm Elsa gar nicht zugetraut hätte.

*

Eine halbe Stunde später rutschte Elsa auf dem Beifahrersitz eines unauffälligen zivilen BMW herum. Michael Lanzl, ein älterer Hauptkommissar, der stramm auf die Pension zumarschierte, steuerte den Wagen zu ihrem Ziel.

»Ein Routineeinsatz«, erwiderte er, als sie ihn auf den gemeinsamen Fall ansprach. »Schnell erledigt. Irgendso a Knochenfund, vermutlich aus dem Mittelalter. Wahrscheinlich was für einen Archäologen. Wenn wir Glück ham, sind es Knochen eines Viechs, vielleicht von einer Wildsau.« Er schaute auf die Uhr. »Dann wären wir bis zum Mittagessen zurück in der Kantine. Isch immerhin fascht halb elf«, schwäbelte er.

»Mhm«, murmelte Elsa. So hatte sie sich ihren ersten Mordfall nicht vorgestellt. Ein angeschossenes Wildschwein, das im Unterholz verendet ist und dessen Überreste Monate oder Jahre später gefunden werden. Kam immer wieder vor, war aber alles andere als ein Fall für die Mordkommission. Deshalb hatte Jansenbrink ihr Honig ums Maul geschmiert. Irgendjemand hatte einen vergammelten Knochen im Wald entdeckt, der entweder versteinert war oder von einem Wildtier stammte. Überprüfen musste man das natürlich. Wer wäre besser geeignet als die Neue im Team und jemand, der kurz vor der Pension stand? Hätte sie sich eigentlich denken können. Nur weil der Kripochef ihrem Wunsch nach Versetzung entsprochen hatte, änderte er nicht gleich komplett seinen miesen Charakter. Jansenbrink, der Mistkerl!

Lanzl parkte den Wagen auf dem Parkplatz des Kuhsees und stieg mit einem Ächzen aus. »Das Equipment liegt hinten«, rief er ihr über die Schulter zu und ging voraus.

Elsa griff sich wütend eine Schreibkladde und den Fotoapparat vom Rücksitz und folgte dem Kollegen, der außer seiner Wampe nichts trug. Die Sonne schien auf den Lech, dessen Wasser glitzerte. Mit einem Rauschen stieß der Fluss auf den Hochablass. Elsa bemerkte einen Streifenwagen neben einem Imbissstand. An der Motorhaube lehnten zwei Uniformierte, beide bissen herzhaft in eine Leberkässemmel. Von der Imbissbude strömte der Geruch von Pommes und Bratwurst in ihre Nase.

»Die Kollegin vom Erkennungsdienst ist bereits am Fundort«, sagte der ältere Uniformierte kauend. Senf lief ihm aus dem Mund aufs Kinn. Er hob die Leberkässemmel und deutete auf die andere Seite des Stauwehrs.

Elsa warf einen Blick auf den Lech, als sie über das Wehr schritt. Sie spürte Beklemmung in der Brust, sie hatte panische Angst vor Wasser, seit sie in ihrer Kindheit beinahe ertrunken wäre. Erst als sie den Hochablass hinter sich wusste, entspannte sie sich. Sie trafen auf einen weiteren Polizeibeamten, diesmal war es ein Kradfahrer. Sein Helm ruhte auf dem Sitz des Motorrads. Er rauchte eine Zigarette und begrüßte sie mit einem Nicken. Wortlos deutete er die Richtung an, in die sie mussten. Elsa und Kollege Lanzl gingen stumm nebeneinander. Als sie um eine Biegung traten, sah sie zwei Personen. Ein Hüne mit Schultern wie Kanonenkugeln, gekleidet in einen nachtblauen Trainingsanzug und mit schwarzer Strickmütze, kehrte ihnen den Rücken zu. Daneben stand Carmen Holler, die Chefin des Erkennungsdienstes, zuständig für die Spurensicherung. Elsa kannte und schätzte die hübsche Blondine.

Als Carmen sie bemerkte, schlich sich ein Lächeln auf deren Gesicht. »Ah, Elsa. Hat Jansenbrink also dich geschickt?«

Die Antwort blieb ihr im Halse stecken, als sich der Muskelberg zu ihr umdrehte.

Kapitel 3

»Servus, Elsa, hat der alte Jansenbrink doch tatsächlich dich zum Knochenlesen auserkoren«, begrüßte Schäfer die kleine Hauptkommissarin, die ihm kaum bis zur Brust reichte.

Ihre grünen Augen funkelten erst überrascht, dann belustigt, als sie ihn erkannte. »Schäfer, was machst du an meinem Einsatzort?«

»Ich war es, der den Notruf gewählt hat. Hat dir das niemand gezwitschert?«

»Das hat Jansenbrink anscheinend vergessen zu erwähnen«, gab sie mit einem Augenzwinkern zu. »Oder aber, mein lieber Schäfer, und das ist wahrscheinlicher: Dein Name ist gar nicht erst bis zu ihm durchgedrungen. Wieso auch?«

Er zuckte lediglich mit den Achseln und vergrub die Hände in den Taschen seiner Trainingsjacke.

»Was ist eigentlich mit deinem Gesicht passiert?«, fragte Elsa.

»Habe mit ein paar Dornensträuchern und störrischen Zweigen Bekanntschaft gemacht«, brummte er.

Die Kommissarin musterte ihn. »Soso.« Dann wandte sie sich an Carmen Holler. »Also gut, was haben wir?«

Die Kriminaltechnikerin deutete auf den Boden. Dort lag im Kies in einer durchsichtigen Plastiktüte eine skelettierte Hand. Moosreste und Erdkrümel hingen an den Knochen. Ein Etikett mit Datum, Uhrzeit und Carmens Signatur klebte auf dem Beutel.

Elsa bückte sich, ihr linkes Knie knackte so laut, als hätte sie eine Walnuss zertreten.

Schäfer lächelte, als er Elsas verkniffenen Gesichtsausdruck bemerkte.

»Ist es das, was ich denke?«, fragte die knackende Kommissarin.

»Wenn du denkst, dass diese Knochenhand keinem Augsburger Ritter von anno dazumal gehört, liegst du richtig«, antwortete Carmen, an sie war die Frage schließlich gerichtet. Deshalb blieb Schäfer stumm und schob mit der Schuhspitze ein paar Kiesel zur Seite.

»Zumindest meiner vorgefassten Meinung nach«, ergänzte die Kriminaltechnikerin.

»Die Hand ist also …?«

»… höchstens ein paar Jahre alt.«

»Männlich?«

»Keine Ahnung, Elsa. Ich bin bloß die Spurensicherin, nicht der …«

»… Rechtsmediziner«, beendete Elsa den Satz und richtete sich auf. Diesmal ohne zu knacken. »Ich schätze, du hast die Münchner Rechtsmedizin informiert.«

»Korrekt.« Carmen studierte ihre Armbanduhr. »In Kürze dürfte jemand von denen bei uns aufschlagen. Muss ein Neuer sein, der Name sagt mir nichts. Sinz oder so ähnlich. Soll aber eine ziemliche Koryphäe sein auf seinem Gebiet. Immerhin hat ihn mir die Dame am Telefon als einen ihrer Besten angepriesen.«

»Schaun mer mal«, kommentierte Elsa.

»Willst du den Rest sehen?«, fragte Carmen.

»Es gibt mehr Knochen?«

Schäfer grinste Elsa an. »Jep, gibt es.« Er nahm die Hände aus den Taschen und seine Mütze ab. Kratzte sich den Kahlschädel und deutete in den Wald. »Dort drüben ist mir auf einer Lichtung eine Pilzsammlerin vor die Füße gefallen. Sie hat im Wald nach Steinpilzen gesucht und ist dabei über eine Wurzel gestolpert. Dachte sie zuerst, denn die Wurzel entpuppte sich als ein Stück Skelett. Die Pilzfreundin griff nach dem vermeintlichen Pilz, und schwupps, hielt sie eine Knochenhand in den Fingern. Da bekam die holde Maid Panik und rannte mit dem ollen Ding durch den Wald. Bis sie mich getroffen hat.«

Elsa schüttelte den Kopf und beäugte ihn mit misstrauischem Gesichtsausdruck. »Schäfer, mein erster Fall bei der Mordkommission, und ausgerechnet du tauchst am Tatort auf. Soll das ein schlechter Witz sein?«

»Leichenfundort«, verbesserte er sie.

»Okay, Leichenfundort«, korrigierte Elsa sich zähneknirschend. »Mein Leichenfundort«, fügte sie mit hochgezogener Augenbraue hinzu. »Was treibst du überhaupt hier?«

»Joggen.«

»Joggen?«

»Mit Hannah.«

»Und wo ist Hannah jetzt?«, wollte Elsa wissen und schaute sich suchend um.

Dass sie nach seiner Tochter fragte, lag nahe. Die beiden verstanden sich prächtig.

»Habe ihr ein Taxi gerufen und sie nach Hause geschickt.«

»Kümmert sich jemand um sie? Muss aufregend gewesen sein. Vielleicht braucht sie Betreuung.«

»Übertreib mal nicht, Mutter Teresa. Hannah kommt zurecht, ist schließlich meine Tochter. Außerdem fahre ich später nach Hause, wenn du mich nicht mehr brauchst.«

»Das wird ziemlich bald sein. Einen Privatschnüffler benötige ich heute nicht wirklich an meiner Seite. Die Pilzsammlerin, wo ist die jetzt?«

»Ich habe ihre Daten«, antwortete Carmen. »Du kannst sie später in Ruhe befragen, vorhin war nicht viel aus ihr rauszukriegen. Für die Frau habe ich den Kriseninterventionsdienst gerufen, die kümmern sich um deine Zeugin.«

»Gut gemacht«, lobte Elsa die Kriminaltechnikerin.

Schäfer musterte die Kommissarin. Sie stand mit den Händen in der Hüfte vor ihm und dachte angestrengt nach, wie er anhand ihrer krausgezogenen Nase vermutete. Elsa trug einen langen Steppmantel mit Kapuze, die sie allerdings nicht über den Kopf gezogen hatte. Dazu Boots mit Leopardenmuster. Um den Hals war ein blauer Wollschal geschlungen. Die braunen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden. Über Elsas linker Schulter hing eine Damenhandtasche, auf der anderen Seite baumelte eine Kamera an einem Gurt. Mit beiden Händen umklammerte sie eine Schreibkladde.

Erst jetzt beschäftigte sich Schäfer mit dem Kerl neben ihr, der bislang kein Wort gesprochen hatte und ihn seit geraumer Zeit mit offenem Mund anstarrte. Michael Lanzl, ein altes Schlachtross der Mordkommission. Er kannte Lanzl, immerhin war Schäfer bis zu seinem Rausschmiss jahrelang Fahnder bei der Kripo gewesen und hatte hin und wieder mit dem Dicken zu tun gehabt. Ein anständiger Kerl, der seine Arbeit machte, dem man allerdings die nahende Pension anmerkte. Motivation sah anders aus.

»Kannst den Mund zumachen, Michi«, forderte er ihn flapsig auf.

Tatsächlich folgte Lanzl dem Rat. Nur um ihn gleich darauf für eine Erwiderung zu öffnen. »Habe die Ehre, Sven«, rang er sich eine Begrüßung ab.

Bevor es peinlich werden konnte, sorgte ein Ruf für Abwechslung.

»Hallooo? Wo sind Sie denn? Ah, gefunden«, hörte Schäfer eine männliche Stimme.

Er und die anderen wandten sich um und sahen zwei Zivilisten näher kommen. Zwei Wanderer in voller Montur, den gewaltigen Rucksäcken nach zu urteilen, die sie auf dem Rücken mitschleppten. Der Mann trug einen größeren, seine weibliche Begleitung einen nur unwesentlich kleineren Rucksack.

»Mein Name ist Sinz«, grüßte der Wanderer. »Doktor Sinz, Rechtsmedizin München«, fügte er hinzu und streckte die Hand aus.

Als Ermittlungsleiterin ergriff Elsa als Erstes die Hand des Neuankömmlings. Carmen und Lanzl taten es ihr nach. Schäfer übersah die ausgestreckte Rechte und nickte lediglich einen kurzen Männergruß. Das musste reichen, er hasste Händeschütteln.

Dr. Sinz deutete auf die junge Dame an seiner Seite. »Meine Assistentin Eileen.«

Eileen nickte und nestelte am Tragegurt ihres Rucksacks.

»Sie benötigen professionelle Hilfe, wie ich gehört habe«, sprach der Doktor weiter. »Nun gut, ich bin da. Sie haben möglicherweise einen interessanten Fall.« Doktor Sinz lächelte breit und zeigte dabei blendend weiße Zähne. Der weiße Hai wäre neidisch geworden.

Elsa wedelte mit der Beweismitteltüte vor dem Kopf des Doktors herum. Das Plastik knisterte bei der hektischen Bewegung.

Sinz griff nach der Tüte und betrachtete den Inhalt. »Ist das alles?«, fragte er enttäuscht. Sein Lächeln verschwand.

»Nein«, entgegnete Carmen. »Es gibt mehr. Wenn Sie mir bitte folgen wollen. Sind ja jetzt alle wichtigen Personen anwesend. Ich habe einen Trampelpfad bis zur Fundstelle angelegt.«

»Einer muss hierbleiben und Schaulustige abhalten, ich mache das«, meldete sich der dicke Lanzl zu Wort und hob die Hand wie ein Schüler. »Geht ihr zur Leiche, ich hab genügend Tote gesehen. Vielleicht komm ich bis zur Pension im nächschten Jahr ohne aus.«

Im Gänsemarsch liefen sie durch den Wald, Carmen als Führerin an der Spitze. Links und rechts flankiert von einer rot-weißen Flatterleine mit der Aufschrift Polizeiabsperrung, die den sogenannten Trampelpfad markierte. Ein Weg, der von den Ermittlern und sonstigen Berechtigten ausschließlich zu benutzen war, um nicht durch unnötiges Herumlaufen irgendwelche Spuren zu vernichten. Hinter ihr folgten Elsa, Dr. Sinz und Eileen. Schäfer bildete die Nachhut.

Kurze Zeit später starrten alle gebannt auf den Waldboden, aus dem Knochenteile ragten. Wäre er ein Laie gewesen, hätte Schäfer gesagt, es handle sich um Unterarmknochen. Elle und Speiche, wenn er richtiglag. Es herrschte eine gespenstische Stille. Schäfer hörte nichts außer einem Specht, der irgendwo gegen einen Baum hämmerte. Sie befanden sich tief im Siebentischwald, weit abseits jedes befestigten Weges. Wie bei einer Wagenburg waren sie von Fichten umzingelt, in deren Mitte das vermeintliche Grab lag. Dass es sich tatsächlich um ein Grab handelte, bestätigte Dr. Sinz mit den nächsten Sätzen.

»Der Bewuchs rund um die Fundstelle lässt vermuten, dass hier mehr liegt, als wir sehen.« Dr. Sinz beugte sich vor. »Viel mehr. Wahrscheinlich ein komplettes Skelett.«

»Ein Hellseher«, murmelte Schäfer.

»Erfahrung«, entgegnete der Doktor, der über ein beachtliches Gehör zu verfügen schien.

Schäfer musterte den Rücken des Rechtsmediziners, als sich der plötzlich umdrehte und ihn aus eisblauen Augen fixierte.

»Anders ausgedrückt: Was man sieht, ist nicht das, was man hat!«

Was für eine kryptische Scheiße!, dachte Schäfer, sagte stattdessen: »Hochinteressant.«

»Eileen, du hast hoffentlich an alles gedacht?«, fragte der Doktor seine Assistentin. »Fotoapparat, Vergrößerungsglas, Schaufel, Kehrbesen, et cetera p.p.«

»Habe ich«, gab die Assistentin zurück. »Die schweren Sachen sind in deinem Rucksack, die anderen in meinem«, erklärte sie und hievte ihren von den Schultern.

Schäfer registrierte mit seinem Privatschnüfflersinn die Vertrautheit zwischen Doktor und Assistentin, die ihren deutlich älteren Chef duzte.

Sinz hatte eine schwer definierbare Haarfarbe. Grau, blond oder irgendwas dazwischen. Dazu einige Silberlocken, die unter einer grau-weiß karierten Schiebermütze hervorlugten. Der Doktor war glatt rasiert und … ja wie eigentlich gekleidet? Passend zur Mütze hatte er eine karierte Tweedjacke an, mit dunkelbraunen Ellbogenschonern. Schäfer hatte gedacht, diese Dinger seien längst aus der Mode. Waren sie vielleicht sogar, aber Sinz hatte es möglicherweise nicht mitbekommen. Die beige Cargohose mit den zahlreichen Taschen schien allerdings nicht wirklich zur Jacke zu passen. Auffallend waren die schwarzen und glänzenden Reitstiefel. Hatte der Anruf den Doktor im Reitstall erreicht? Eine Gerte suchte Schäfer jedoch vergebens.

Eileen war sportlich schlank, trug eine Stoffhose, dazu einen kanariengelben Anorak. Das blonde Haar hatte sie zu zwei Zöpfen geflochten, die ihr über die Schulter nach vorn fast bis zum Bauchnabel reichten. Schäfer schätzte sie auf Mitte zwanzig, bei dem Doktor war er sich nicht sicher. Er konnte von Mitte dreißig bis Ende vierzig alles sein.

»Wenn man es genau nehmen will, brauchen Sie keinen Rechtsmediziner«, dozierte der Doktor, als er auf allen vieren um die Fundstelle robbte.

»Was dann, einen Orthopäden?«, fragte Schäfer nicht ganz ernst gemeint.

»Einen forensischen Anthropologen.«

»Einen Knochendoktor«, stellte Schäfer fest.

»Ähm, so in etwa. Ich hätte es zwar nicht so ausgedrückt, aber in Ihrer … rudimentären Sprache kommt es der Sache nahe.«

»Taucht der Knochendoc noch auf?«, wollte Schäfer wissen.

»Ich grabe das Skelett aus, lasse es in die Rechtsmedizin transportieren, und dort werde ich mit dem … Knochendoktor … Rücksprache halten«, informierte ihn Dr. Sinz über seine Vorgehensweise. Er musterte den Unterarm eine ganze Weile.

Assistentin Eileen reichte ihm eine Lupe, mit der Sinz den Fund genau betrachtete und immer wieder ein »Ah, mhm, interessant«, ausstieß, was Schäfer zunehmend ungeduldig werden ließ.

Der Doktor nahm eine kleine Schaufel und fing vorsichtig zu graben an. »Wir müssen sehr behutsam vorgehen«, erklärte er, und in der Tat dauerte es eine kleine Ewigkeit, bis er den Kopf freizulegen begann.

»Was können Sie uns über den Schädel sagen?«, fragte Schäfer.

Elsa trat ihm gegen das Schienbein.

»Aua, verflixt!«

»Mein Fall, schon vergessen?«, zischte sie ihm zu. »Du Schnüffler, ich Polizei«, klärte sie ihn unnötigerweise auf.

»Frauen und Männer unterscheiden sich voneinander«, sagte Sinz.

»Kann man wohl sagen«, brummte Schäfer.

»Ich meine nicht das, was Sie gerade denken.« Dr. Sinz hatte anscheinend Elsas Tritt mitbekommen.

»Was meinen Sie denn?«, mischte sich Elsa ein und übernahm das Kommando.

Schäfer nickte ihr versöhnlich zu, was sie mit einem Verdrehen der Augen quittierte.

»Das menschliche Skelett gibt dem Fachmann Hinweise. Am geeignetsten ist ein Beckenknochen.«

»Das ist aber ein Schädel«, korrigierte ihn Schäfer.

»Lass ihn ausreden!«, ermahnte Elsa ihn.

Dr. Sinz nickte Elsa dankbar zu und fuhr fort: »Den Kopf und den Rest der Leiche graben Eileen und ich später aus. Das wird bis in den Abend hinein dauern. Aber da Sie ein klein wenig ungeduldig sind und mehr wissen wollen, muss ich für meine erste Analyse mit dem Kopf vorliebnehmen. Fürs Erste. Der Schädel einer Frau hat meistens weichere Kanten als ein männlicher, vor allem am Unterkiefer.« Sinz deutete mit dem Zeigefinger auf eine bestimmte Stelle. »Sehen Sie.«

»Ja«, antwortete Schäfer, obwohl er keinen blassen Schimmer hatte.

»Super, das ist toll«, rief Sinz erfreut. »Man muss auf die Details achten. Wie auf die Wulst über den Augen zum Beispiel. Die ist bei einer Frau schwächer ausgebildet. Wie Sie hier eindeutig erkennen.« Der Doktor blickte zu ihnen auf.

Elsa nickte, wie Schäfer aus dem Augenwinkel bemerkte. »Mhm«, machte er und vermutete, dass die Kommissarin genauso wenig wie er kapierte, was der Experte meinte.

Sinz kroch um den Schädel herum, begutachtete alle Seiten, betrachtete die Augenhöhlen eingehend und seufzte schließlich laut auf. »Der stammt mit ziemlicher Sicherheit von einer Frau. Von einer relativ jungen Frau.«

»Für die Kripo ist natürlich die Liegezeit der Toten maßgeblich. Liegt sie länger als fünfzig Jahre an dieser Stelle, dann ist das kein Fall mehr für die Polizei.«

»Fünfzig Jahre, Frau Dorn, Sie machen Witze.«

»Mehr als fünfzig Jahre, vielleicht sogar Hunderte? Sagen Sie bloß, wir haben einen weiblichen Ötzi vor uns?« Elsas Stimme klang beinahe traurig.

»Was? Nein, ganz im Gegenteil. Meiner Schätzung nach liegt die Leiche nicht länger als zwei, höchstens drei Jahre hier.«

»Interessant«, bemerkte Schäfer. »Eine junge Frau, die seit zwei bis drei Jahren als vermisst gilt. Da fällt mir auf Anhieb jemand ein. Sabrina Blume, so hieß sie, glaube ich.«

»Wieso erinnerst du dich ausgerechnet an diese Frau? In Augsburg laufen jede Woche wahrscheinlich ein Dutzend Teenager weg.«

»Sie war kein Teenager«, entgegnete er mürrisch. »Sabrina war mindestens Anfang zwanzig, da ist man kein Teenager mehr. Hannah mit ihren siebzehn Jahren, das ist ein Teenager.«

»Okay, trotzdem verschwinden in einer Großstadt wie Augsburg laufend Menschen.«

»Ich erinnere mich deshalb so genau, weil irgendwelche Arschgeigen mich in der Woche, als die Vermisstenmeldung einging, aus dem Polizeidienst geschmissen haben.«

»Das erklärt dein Erinnerungsvermögen«, stimmte ihm Elsa zu. »Ein Zusammentreffen zweier Ereignisse verbindet diese fürs Leben, wenn eines davon traumatischer Natur ist. Das heißt aber nicht, dass eine Übereinstimmung besteht. Genauso gut könnte die Frauenleiche irgendwo aus dem restlichen Bayern stammen. Vielleicht sogar aus anderen Bundesländern. Verdammt, Schäfer, die Unbekannte könnte selbst aus Grenzländern kommen. Tschechien, Österreich oder der Schweiz. Denk beispielsweise an eine misslungene Entführung, an deren Ende man die Tote zufällig in Augsburg verscharrt hat. Oder es war eine Zwangsprostituierte, die lästig geworden und deshalb von ihrem Zuhälter einfach entsorgt worden ist.«

»Ich habe so ein Drücken in der Leistengegend.«

»Dann geh zum Arzt, Sven.«

»Sehr witzig, Elsa. Schon mal dran gedacht, Komikerin zu werden? Das Drücken in meiner Leiste deutet ein Gefühl an, und das sagt mir, dort liegt Sabrina Blume.«

»Du mischst dich in meinen Fall ein.«

»Das nennt man helfen.«

»Ich komm allein zurecht, bin erwachsen«, moserte die Kommissarin weiter.

Sie ging ihm langsam auf den Zeiger. »Okay, dann sieh zu, wie du alleine klarkommst. Anscheinend bin ich hier nicht erwünscht.«

Grummelnd stiefelte er davon.

Kapitel 4

Elsa schlenderte Händchen haltend mit Angelo über die Augsburger Herbstdult. Ihr italienischer Freund war überraschend nach Feierabend vor dem Polizeipräsidium aufgetaucht und hatte sie zu diesem Spaziergang eingeladen. Also hatte sie ihren Wagen in der Tiefgarage des Präsidiums stehen lassen und war stattdessen zu Angelo in dessen Fiat 500 gestiegen. In den letzten Monaten waren Elsa und er sich nähergekommen, es hatte sich eine Romanze entwickelt. Immer öfter übernachtete sie in Angelos Wohnung, die sich über seinem Restaurant in der Innenstadt befand.

Doch ihre Gedanken waren in diesem Moment nicht bei ihm, sondern bei dem Knochenfund vom Morgen im Siebentischwald. Der Duft von gebrannten Mandeln, Bratwürsten und Krautschupfnudeln lag in der Luft. Ihr Magen rumorte und lenkte sie ab. Die Erinnerungen an die skelettierte Leiche verflüchtigten sich wie ein Oktobernebel in der Sonne. Ihr letztes Essen war eine Gemüsepizza am frühen Nachmittag in der Polizeikantine gewesen. Eine ziemlich kleine Pizza. Elsa hielt nach einem Bratwurststand Ausschau.

»Schnuffel, ich wollte mit dir etwas besprechen«, nannte Angelo sie bei dem Spitznamen, den er kürzlich für sie ersonnen hatte.

»Mhm«, erwiderte sie, ohne genau hinzuhören. Durch den Duft von Essen vergaß sie wie eine Schlafwandlerin völlig die Welt um sich herum. Sie ließ sich mit der Masse treiben und hatte keinen Blick mehr übrig für die zahlreichen Verkaufsstände mit Schmuck, Keramikfiguren und Winterschals. Wenn sie erst eine Kleinigkeit verputzt hätte, würde sie es genießen, zu erkunden, was die Markthändler präsentierten. Die Herbstdult fand jedes Jahr Anfang Oktober statt und zog sich zwischen Jakober- und Vogeltor an der Jakobermauer entlang. Das war Shopping unter freiem Himmel, Elsa liebte dieses Einkaufserlebnis. Vor allem bei diesem Wetter. Es war halb sechs, die warme Oktobersonne streichelte zärtlich ihr Gesicht.

»Elsa?«

Sie zuckte zusammen. Das war nicht die Sonne, sondern Angelos Hand auf ihrer Wange.

»Amore mio, hast du gehört, was ich gesagt habe?«

»Ja, schon«, erwiderte sie und steuerte den Stand mit der Riesenbosna an, einer Augsburger Bratwurst-Spezialität. Sie hörte Angelo aufstöhnen, aber ihr knurrender Magen übernahm das Kommando. Erst als sie die Bratwurst mit der extralangen Semmel in der Hand hielt, den köstlichen Geruch einatmete und den ersten Bissen im Mund kostete, ging es ihr besser. Extrascharf und mit viel Zwiebeln. Sie kaute genüsslich. Das Knutschen nachher mit Angelo würde für ihn eine echte Bewährungsprobe werden. Aber der heißblütige Italiener aß selbst gerne Knoblauch, deshalb sollte er ein bisschen Zwiebelaroma ertragen.

»Also, liebe Elsa«, begann Angelo von Neuem. »Mein Schnuffel, mia cara.«

Anscheinend lag ihm etwas auf der Seele, so wie er vor ihr rumhampelte. Er trat von einem Fuß auf den anderen.

»Findest du nicht, dass wir … also … dass es an der Zeit ist …« Er holte tief Luft. »Ich meine, wir kennen uns und mögen uns.«

Elsa nickte und schloss die Augen. Die Bosna schmeckte köstlich.

»Seit zwei Monaten kann man die Sache zwischen uns als ziemlich ernst bezeichnen.«

»Sache?«, murmelte sie und biss erneut in die Semmel.

»Unsere Liebesgeschichte.«

»Ja, das ist sehr schön, finde ich.«

»Elsa, ich möchte, dass du bei mir einziehst.«

Einziehen? Bei Angelo? Sie verschluckte sich, hustete heftig, riss die Augen auf und starrte den Italiener an.

Angelo klopfte ihr auf den Rücken, bis der Hustenanfall abgeklungen war.

»Du willst … dass ich …?«

»Meine Wohnung ist groß genug. Einen Versuch wäre es wert.«

Elsa biss ein Stück Bratwurst ab und sah in die Ferne. Das Geschehen um sie herum blendete sie aus. Der Lärm der Marktleute, das Lachen der Menschen, alles klang leiser, entrückter. Mit einem Mann zusammenziehen, wollte sie das wirklich? Das letzte Beziehungsdesaster war nicht allzu lange her. Sie öffnete die Augen und musterte Angelo, seine schwarz gelockten Haare, die dunklen Augen. Attraktiv war er, außerdem konnte er als Restaurantbesitzer gut kochen. Er war charmant und zuvorkommend. Sie fühlte sich glücklich wie lange nicht mehr.

»Lass uns später darüber reden«, antwortete sie, um sich Bedenkzeit zu verschaffen. »Heute ist ein besonderer Tag. Ich hab meinen ersten Fall in der Mordkommission«, erzählte sie, um Angelo abzulenken. Sie berichtete von dem Skelettfund und den Ausführungen des Rechtsmediziners. »Unsere Spurensicherung und das Team von Dr. Sinz …«

»Wer ist das?«

»Der Rechtsmediziner.«

»Aha.«

»Was heißt ›Aha‹?«

»Deine Augen haben geleuchtet, als du seinen Namen genannt hast.«

»Ich habe von seiner Arbeit erzählt, und die ist äußerst spannend.« Reagierte Angelo eifersüchtig auf Dr. Sinz? Das kommt früh, dachte Elsa. Noch war sie gar nicht bei ihm eingezogen. Ohne weiter darauf einzugehen, fuhr sie fort: »Alle haben den ganzen Tag über an der Fundstelle gearbeitet. Tatsächlich lag da ein komplettes Skelett verbuddelt …«

»Madonna, warst du die ganze Zeit dort?«

»Nein, Carmen Holler und ihre Kollegen blieben am Einsatzort. Was hätte ich dort gesollt? Meine Arbeit geht los, wenn Doktor Si…, also wenn sich die Rechtsmedizin meldet und etwas über die Identität der Toten weiß. In den nächsten Tagen wird das Skelett von einem forensischen Anthropologen genauer untersucht. DNA-Analyse, Zahnstatus und so weiter.«

»Klingt wirklich spannend«, heuchelte Angelo Interesse. Seine Augen erzählten eine andere Geschichte.

»Schäfer hat die Knochen übrigens gefunden.«

»DER Schäfer?«, schnappte er. »Mamma mia, il diavolo in persona!«

»Ganz genau dieser«, gab sie zurück. Angelo und Schäfer verstanden sich nicht gerade gut. Elsa konnte sich den Grund dafür nicht erklären. Vielleicht war Angelo als Italiener auf jeden Mann in ihrer Nähe eifersüchtig, wie er gerade bei Dr. Sinz angedeutet hatte. Schäfer war ihr in den letzten Monaten öfters nahegekommen. Allerdings nicht so, dass Angelo eifersüchtig werden müsste. Ganz im Gegenteil.

Elsa und Schäfer hatten zuletzt zwar gut zusammengearbeitet. Soweit man das von einem Privatdetektiv und einer Kriminalhauptkommissarin behaupten konnte. Auf emotionaler Ebene lief dagegen nichts zwischen ihr und dem Raubein. Ihrer Meinung nach war der Schnüffler zu sehr von sich überzeugt. Hatte er heute schließlich am Leichenfundort wieder bewiesen. Das waren immerhin ihre Ermittlungen, trotzdem mischte Schäfer sich ein, weil er es einfach nicht lassen konnte. Ihren ersten Fall wollte sie bestimmt nicht zusammen mit dem Privatdetektiv lösen. Auch wenn Schäfer früher Polizist war, hatte er da nichts zu melden, Punkt!

Elsas Telefon klingelte. »Moment«, entschuldigte sie sich bei Angelo und zog sich zwischen zwei Marktbuden zurück. Sie presste das Handy ans Ohr. Laut Anruferkennung war es ihre Mutter.

»Elsa, meine Liebe«, säuselte Martha Dorn.

»Mama, was gibt es?«, antwortete sie kurz angebunden. Ihre Mutter hatte ihr gerade noch gefehlt.

»Wann kommst du nach Hause? Ich habe Kartoffelsalat gemacht.«

»Ich übernachte bei Angelo.«

»Bei dem Italiener?«

»Richtig, bei dem Italiener.« Ihre Mutter mochte Angelo nicht, im Gegensatz zu Schäfer, den Martha Dorn ins Herz geschlossen hatte.

»Das hast du gar nicht erwähnt heute früh.«

»Muss ich nicht, bin nämlich erwachsen.«

»Wenn du meinst.« Martha Dorn klang pikiert.

Kurze Stille in der Leitung.

»Was wird jetzt aus dem Kartoffelsalat?«, gab ihre Mutter nicht klein bei.

»Keine Ahnung, habe gerade eine Bosna gegessen, bin satt. Außerdem komme ich eh nicht heim.«

»Kindchen, in letzter Zeit bist du viel außer Haus.«