Die Datschi-Connection - Franz Hafermeyer - E-Book

Die Datschi-Connection E-Book

Franz Hafermeyer

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  • Herausgeber: beTHRILLED
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2023
Beschreibung

Privatdetektiv Sven Schäfer rettet am Augsburger Hauptbahnhof eine Frau mit Kind vor zwei Schlägern - doch die Gerettete springt in einen Zug und lässt ihn mit der Kleinen am Bahnsteig zurück. "Beschütze das Mädchen!", ruft sie noch. Schäfer wendet sich an seine Vertraute bei der Polizei, Kommissarin Elsa Dorn. Doch die hat gerade anderes zu tun: Ein Mitglied der kriminellen Augsburger Datschi-Connection wurde ermordet - die Spuren deuten auf die italienische Mafia hin. Oder gibt es etwa einen Zusammenhang zu dem Kind?

Der sechste Augsburg-Krimi mit Schäfer und Dorn - für alle Fans von Regionalkrimis und coolen Ermittlerduos. Geschrieben von einem echten Kommissar!

Ebenfalls in der Reihe "Schäfer und Dorn" erschienen:

Tote lächeln nicht (Band 1)

Das Spätzle-Syndikat (Band 2)

Der Brezen-Trick (Kurzkrimi, Band 3)

Das Extrawurscht-Manöver (Band 4)

Die Schampus-Verschwörung (Band 5)

eBooks von beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung.



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INHALT

CoverGrußwortÜber dieses BuchTitelKapitel 1Kapitel 2Kapitel 3Kapitel 4Kapitel 5Kapitel 6Kapitel 7Kapitel 8Kapitel 9Kapitel 10Kapitel 11Kapitel 12Kapitel 13Kapitel 14Kapitel 15Kapitel 16Kapitel 17Kapitel 18Kapitel 19Kapitel 20Kapitel 21Kapitel 22Kapitel 23Kapitel 24Kapitel 25Kapitel 26Kapitel 27Kapitel 28Kapitel 29Kapitel 30Kapitel 31Kapitel 32Kapitel 33Kapitel 34Kapitel 35Kapitel 36Kapitel 37Und am Ende ein herzliches Dankeschön …Lektüre zur RechercheÜber den AutorWeitere Titel des AutorsImpressum

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Über dieses Buch

Privatdetektiv Sven Schäfer rettet am Augsburger Hauptbahnhof eine Frau mit Kind vor zwei Schlägern – doch die Gerettete springt in einen Zug und lässt ihn mit der Kleinen am Bahnsteig zurück. »Beschütze das Mädchen!«, ruft sie noch. Schäfer wendet sich an seine Vertraute bei der Polizei, Kommissarin Elsa Dorn. Doch die hat gerade anderes zu tun: Ein Mitglied der kriminellen Augsburger Datschi-Connection wurde ermordet – die Spuren deuten auf die italienische Mafia hin. Oder gibt es etwa einen Zusammenhang zu dem Kind?

FRANZ HAFERMEYER

Die Datschi-Connection

Schwabenkrimi

Kapitel 1

Sven Schäfer bemerkte die Kerle und wusste, dass es Ärger geben würde. Das sagte ihm sein Instinkt als Privatdetektiv. Vor einigen Jahren war er sogar mal Polizist gewesen, ein ziemlich guter, wie er fand. Aber das war Geschichte. Bei den Cops hatten sie ihn aufgrund des Komplotts eines korrupten Polizisten rausgeschmissen. Auch als Bulle hatte er ein verdammt gutes Bauchgefühl gehabt und Gschwerl kilometerweit gegen den Wind gerochen. Und jetzt stank es geradezu nach Gefahr.

Die Typen sahen zusammen wie fünfzig Jahre Knast aus. Bei dem einen fiel Schäfer sofort der krumme Zinken auf, der andere hatte rote Haare wie ein Kobold. Er taufte die Knilche insgeheim auf Adlernase und Pumuckl. An einem Fahrkartenautomaten lehnend hielten sie offenbar nach jemandem oder etwas auf dem Augsburger Hauptbahnhof Ausschau, denn sie musterten argwöhnisch die Passanten, die an ihnen vorbeigingen.

»Hey, Paps, was ist los?«, schnitten die Worte seiner Tochter durch Schäfers Gedanken.

»Ach, nichts«, wiegelte er mit einem letzten Blick auf die Typen ab und schob Hannah schnell weiter.

»Mein Zug fährt erst in zehn Minuten, wir müssen uns nicht beeilen«, protestierte sie.

»Ich will nicht, dass du zu spät zu deiner Klassenfahrt kommst«, antwortete er, während er misstrauische Blicke in seinem Rücken fühlte. Er hievte Hannahs Koffer auf das Gepäckförderband und stieg mit ihr die Stufen zum Personentunnel hinunter.

»Hat deine Privatschnüfflernase wieder was gerochen?«, zog ihn Hannah auf, deren gute Laune ansteckend war. Es war sonnenklar, dass sie sich auf die Klassenfahrt mit ihren Freundinnen freute. Eine Woche Rodelspaß in Österreich.

»Schon gut, Paps«, wehrte sie ab, als er den Koffer vom Band heben wollte. »Kann ich alleine.« Sie schleifte ihren Trolley hinter sich her, grinste bis über beide Ohren und lächelte ihn aus dunklen Mandelaugen an. Ihre Hosenbeine flatterten im Wind, der durch den Tunnel rauschte. »Sollen wir ein paar Ulkfotos machen?«, witzelte sie und deutete auf den Passfotoautomaten.

»Nach deiner Rückkehr, okay?«, wehrte er ab. Schäfer sah sich ungern auf Fotos.

Das Geräusch von rollenden Koffern auf Stein und Stimmengewirr wurden von den Wänden zurückgeworfen. Sie liefen bis zum Ende des Tunnels und stiefelten den Aufgang zu Gleis zwölf hoch. Dort empfing sie der typische Bahnhofsgeruch. Schäfer hatte mal gelesen, das komme von den Eisenbahnschwellen, die gegen die Feuchtigkeit mit Teerölen behandelt wurden. Ein Zug kam laut kreischend zum Stehen und spuckte Fahrgäste aus, die an ihnen vorbeiströmten, als wären Hannah und er eine Insel. Plötzlich wurden sie von einer Anzahl weiblicher Teenager umringt, Hannahs Klassenfreundinnen. Es begann ein Geschnatter wie auf einem Gänsemarkt. Nachdem der erste Schwall an aussteigenden Fahrgästen vorüber und die Begrüßung der Mädels zu Ende war, stieg seine Tochter ein. Schäfer reichte ihr den Koffer. Wenig später saßen Hannah und ihre Freundinnen im Zugabteil, seine Tochter drückte ihre Nase gegen das Fenster. Es war zu kalt, um es zu öffnen. Der Dezember hatte mit Minusgraden Einzug gehalten und die Stadt mit eisigen Klauen fest im Griff. Fehlte nur noch der Schnee. Hannah hauchte gegen die Scheibe und malte mit den Fingern ein Herz in den Dunst.

Schäfer drückte von außen seinen Daumen dagegen und zwinkerte Hannah zu, als das Signal zur Abfahrt ertönte. Er trat zurück und beobachtete, wie der Zug langsam anfuhr. Sie winkte ihm ein letztes Mal, dann steckten Hannah und ihre Klassenkameradinnen die Köpfe zusammen. Der Zug verschwand aus dem Hauptbahnhof und aus Schäfers Blickfeld.

Er seufzte leise und schlug den Kragen seiner Jacke hoch. Es war zugig auf dem Bahnhof, außerdem verdammt früh am Morgen, kurz nach neun Uhr. Schäfer hatte nichts gefrühstückt. Hannahs Abreise hatte ihm im Magen gelegen, er machte sich Sorgen um sie. Obwohl sie demnächst achtzehn Jahre alt werden würde, war sie für ihn immer noch die Kleine. Aber eine Klassenfahrt zum Rodeln war nun wirklich kein Grund zur Sorge. Sein Magen knurrte auf einmal lautstark. Schäfer beschloss, am nächsten Imbissstand eine Currywurst zu ergattern und dann schnellstens zu seinem Wagen zu gehen, der im Parkverbot stand. Nicht, dass ihm eine Zettelhexe von der Verkehrsüberwachung noch ein Knöllchen unter den Scheibenwischer klemmte.

»Komm, meine Süße, beeil dich, sie haben uns gefunden«, zischte eine Stimme in seiner Nähe. Aus Osteuropa, der Aussprache nach zu schließen. Der panische Unterton ließ ihn aufhorchen.

Eine junge Frau, höchstens Ende zwanzig, in einem grünen Anorak und weißer Strickmütze drückte ihren Rücken gegen einen Stand Bahnhofsschließfächer und linste um die Ecke zum Treppenaufgang. An ihre rechte Hand klammerte sich ein dunkelhaariges Mädchen, schätzungsweise zehn oder elf Jahre alt. Auf dem Rücken trug es einen rosaroten Rucksack, an die Brust hielt es einen Plüschgorilla gedrückt, der seine besten Tage hinter sich hatte. Der rechte Arm fehlte, und an der Nase war der Stoff eingerissen.

In diesem Moment stürmten Adlernase und Pumuckl aus dem Treppenschacht auf den Bahnsteig. Dort stoppten sie abrupt und ließen ihre Blicke schweifen. Dann nickten sie synchron. Nach ihrem zufriedenen Gesichtsausdruck zu urteilen, hatten sie gefunden, was sie gesucht hatten: die Frau im grünen Anorak und ihr Anhängsel. Pumuckl hob den Arm und deutete auf die Schließfächer, hinter denen sich die Frau glücklos versteckt hielt und den Arm schützend um das Mädchen legte. Adlernase nickte, klatschte seinem Kumpel anerkennend auf die Schulter und schritt mit bedrohlichem Gang auf sein Ziel zu.

»Los, komm!«, flüsterte die Frau dem Mädchen an ihrer Seite zu und zerrte es weiter. Gemeinsam hasteten sie an Schäfer vorbei, der rasch einen Schritt zur Seite trat.

Sein Instinkt hatte wieder mal recht behalten, der Ärger war da. Er blickte über die Schulter. Die Flüchtenden waren nicht weit gekommen, ein Wagen mit Gepäck versperrte ihnen den Weg. Außerdem war ein Teil des Bahnsteigs mit Warnbaken wegen einer Baustelle abgesperrt.

Sackgasse!

Links und rechts leere Gleise, da die Züge gerade erst abgefahren waren. Der nächste Zug kam laut Anzeige in sieben Minuten. Einen Moment glaubte Schäfer, die Frau würde vom Bahnsteig herunter und über die Gleise springen und dabei sich und das Mädchen in Lebensgefahr bringen.

Das tat sie allerdings nicht. Resigniert senkte sie die Schultern und nahm das Mädchen in die Arme. Hilflos starrte sie auf ihre Verfolger. Zwischen den zwei Parteien befanden sich jetzt nur noch ein Greis mit zwei Krücken, eine Rollstuhlfahrerin und … Schäfer.

Der Greis und die Rollstuhlfahrerin machten eingeschüchtert Platz.

Das letzte Hindernis war nun Schäfer.

Die Schläger fletschten die Zähne wie angriffslustige Raubtiere, in ihren Augen loderte die Lust auf Gewalt. Sie schwangen ihre Arme lässig wie zwei Cowboys auf dem Weg zum Saloon.

Zwei Möchtegerns auf Krawall gebürstet.

Verdammt, das Frühstück würde warten müssen. Schäfer hätte natürlich auch den Schwanz einziehen und die Kerle vorbeilassen können. Dann hätte er in zwei Minuten in eine Currywurst gebissen. Aber das wäre nicht richtig gewesen und außerdem gegen seine Natur. Er konnte es nicht ausstehen, wenn Stärkere auf Schwächere losgingen. Da schlug sofort sein Gerechtigkeitssinn an, der ihn zwang einzuschreiten.

Er machte sich kleiner, als er war, und beugte sich nach vorne. Schob die Wollmütze tief in die Stirn. So tief, dass sie sein Gesicht zur Hälfte verdeckte. Es war immer gut, unterschätzt zu werden. Er sah zu Boden und hielt die Arme eng an den Seiten. Jetzt wirkte er nicht mehr wie ein 1,90-Meter-Hüne. Die wuchtige Winterjacke täuschte zudem über seinen Körperbau hinweg. Einhundertzehn Kilo pure Muskelmasse verschwanden unter dem Stoff. So sah er nicht besonders gefährlich aus.

Als die Kampfhähne etwa drei Meter entfernt waren, hob Schäfer den Blick. »Stopp!«, schmetterte er ihnen mit erhobener Hand entgegen. Drohend wie ein spanischer Inquisitor.

Die Männer blieben unsicher stehen, offenbar überrascht über die scharfe Ansage.

Schäfer registrierte, wie Adlernase unter die Jacke griff. Die Klinge eines Messers blitzte auf.

»Aus dem Weg, du Arsch!«, herrschte ihn unterdessen Pumuckl an.

»Was wollt ihr von der Frau und dem Kind?«, zeigte sich Schäfer unbeeindruckt.

»Geht dich einen Scheiß an, und jetzt troll dich!«, gab Adlernase zurück und zog das Messer so weit hervor, dass es deutlich zu sehen war. »Sonst schlitz ich dich von oben bis unten auf. Du willst bestimmt nicht, dass dein Gedärm den Bahnsteig verschandelt.«

Schäfer grinste, ließ aber Adlernase und dessen Waffe keine Sekunde aus den Augen.

»Bist du schwerhörig?«, bellte der und machte einen Schritt auf ihn zu.

War ein Messer im Spiel, gab es kein Vorgeplänkel, kein Abtasten. Wenn man diese Situation unbeschadet überstehen wollte, musste man zum Angriff übergehen. Sofort und gnadenlos. Sonst war man verratzt. Schäfer wusste das und trat Adlernase deshalb ohne Vorwarnung mit dem Stiefel zwischen die Beine. Aus dem Gesicht des Kerls schwand jede Regung, er ließ den Griff des Messers los, das auf den Boden fiel, und sank auf die Knie. Ein Wimmern und Stöhnen folgte, das Schäfer ignorierte.

Pumuckl hingegen gaffte mit offenem Mund seinen Kumpel an.

Diese Sekunde der Unaufmerksamkeit genügte Schäfer, er rammte dem Kobold die Faust in den Magen. Pumuckl ging erwartungsgemäß mit dem Kopf nach unten, wo ihn Schäfers hochschnellendes Knie erwartete. Der hörte, wie die Nase brach. Blut spritzte auf Brust und Oberschenkel des Schlägers, der neben Adlernase auf die Knie fiel und sich mit den Ellenbogen auf dem Boden abstützte. Dort rutschte er stöhnend im Kreis, bis er Schäfer Rücken und Hintern zudrehte. Sein Blick streifte die beiden Schuhsohlen, die der Kerl ihm entgegenstreckte. Dort prangte jeweils ein goldenes Emblem, offensichtlich das Markenzeichen des Schuhherstellers. Schnell sah er sich um. Allem Anschein nach hatte kaum jemand etwas von der Auseinandersetzung mitbekommen, so schnell, wie der Kampf vorüber war. Es waren höchstens drei Sekunden vergangen, bis er die Raufbolde umgenietet hatte. Nicht schlecht für einen alten Mann Mitte vierzig, hätte seine Tochter trocken kommentiert. Schäfer lächelte in sich hinein und lockerte die Fäuste, machte ein paar Fingerübungen für den Fall, dass die Proleten Lust auf eine zweite Runde bekämen.

Bekamen sie nicht. Sie krümmten sich vor Schmerzen auf dem Asphalt und robbten zu einer Sitzbank, an der zogen sie sich hoch, um ihre Wunden zu lecken.

»Respekt!«, lobte der Greis, der sich wieder in die Nähe traute. Er hob eine Krücke und deutete auf Schäfer. »Ich erkenne einen erfahrenen Boxer, wenn ich ihn sehe.«

»Ich habe ein paar Mal gegen einen Sandsack gedroschen«, wiegelte Schäfer ab.

»Soso, ein paar Mal?« Der Greis grinste und stützte seine Ellenbogen in den Krücken ab. »Verdient haben es diese Drecksäcke.« Er kicherte und humpelte weiter. Ein Windhauch zerzauste seine weißen Haare. »Schönen Tag noch!«, rief er Schäfer zu.

Der spürte ein Zupfen an seiner Jacke und sah nach unten.

Das Mädchen mit dem Plüschgorilla hatte den Kopf in den Nacken gelegt und musterte ihn neugierig und ohne jede Spur von Angst. Der Affe baumelte an ihrer rechten Hand. Von ihrer Aufpasserin fehlte jede Spur.

Schäfer drehte sich suchend im Kreis, bis er die junge Frau fand. Sie stand am übernächsten Gleis und sah zu ihnen herüber. Er las Dankbarkeit in ihrem Gesicht. Ihre linke Hand umfasste den Türgriff des dort wartenden Zuges. Anscheinend war sie tatsächlich über die Gleise gesprungen. Ein Wahnsinn, der sie das Leben hätte kosten können. Noch beunruhigender war, dass sie die Kleine einfach zurückgelassen hatte.

»Was zum Teufel soll das?«, fragte er sich halblaut.

Der Schaffner wies die Frau an einzusteigen, damit er das Signal zum Abfahren geben konnte.

Sie schaute ein letztes Mal zu ihnen herüber, öffnete die Tür und verschwand im Inneren.

Fassungslos starrte Schäfer auf den abgeplatzten Lack der geschlossenen Waggontür. Sein Mund formte Worte, aber außer einigen Atemwölkchen kam nichts über seine Lippen. Sein Blick wanderte immer wieder von dem Mädchen an seiner Seite zu dem Zug, der sich langsam in Bewegung setzte.

Da wurde im Waggon plötzlich ein Fenster geöffnet, ein grüner Anorak kam zum Vorschein, dann die dazugehörige weiße Strickmütze. Die Frau nahm die Kopfbedeckung ab, lange blonde Haare hatten sich darunter verborgen. Sie formte die Hände zu einem Trichter und rief mit ihrem osteuropäischen Akzent: »Du sein starker Mann, beschütze das Mädchen!«

Dann beschleunigte der Zug, die Waggons ruckelten. Die Frau hob flehentlich die Hände, legte sie aneinander, als wollte sie beten. Ihre blonden Haare flatterten im Fahrtwind.

Schäfer sah ihr nach, bis der Zug so weit entfernt war, dass der Haarschopf nur noch als kleiner blonder Stecknadelkopf zu erkennen war.

Kapitel 2

»Ein Schuss zwischen die Beine und jeweils einer ins Auge. Das war eine eiskalte Hinrichtung«, folgerte Kriminalhauptkommissarin Elsa Dorn, die aus sicherer Entfernung den Leuten des Erkennungsdienstes bei der Spurensicherung zusah. Sie war zusammen mit Niklas Gronau, dem Leiter der Augsburger Mordkommission, vor einer knappen Stunde in dem Stadthaus in der Nibelungenstraße eingetroffen, eine Seitenstraße entfernt vom stark befahrenen Klinkerberg.

Die erste Meldung der Streifenbesatzung hatte Schlimmes erahnen lassen, deshalb war sofort das Fachkommissariat verständigt worden. Normalerweise kam zunächst der KDD, der Kriminaldauerdienst, um erste Ermittlungen anzustellen. Die Schilderungen des Streifenpolizisten hatten den Leiter der Einsatzzentrale jedoch veranlasst, sofort Niklas Gronau mit ins Boot zu holen. Und der war in Elsas Büro marschiert, um sie mit an den Tatort zu nehmen.

Dass er zunächst zu ihr gekommen war, hatte Elsa gefreut, immerhin war sie noch nicht lange Beamtin in der Mordkommission. Zuvor war sie bei der Sitte gewesen. Aber in den letzten Monaten hatte sie an einer Reihe von spektakulären Fällen mitgewirkt, was ihr die Berufung zu den Experten für Kapitaldelikte eingebracht hatte.

Zugegeben, ein gewisser Privatdetektiv namens Sven Schäfer hatte seinen Teil dazu beigetragen. Elsa und er waren sogar ein richtig gutes Team geworden, was sie anfangs gar nicht für möglich gehalten hätte. Selbst ihren ersten Fall in der Mordkommission konnte sie vor Kurzem mit tatkräftiger Hilfe des Schnüfflers lösen. Die Bazi-Morde, wie es in der Presse hieß, hatten sie gemeinsam aufgeklärt. Schäfer hatte den Fall lapidar Die Schampus-Verschwörung getauft. Elsas Ruf war im gesamten Polizeiapparat gestiegen, sogar Schäfer war nicht mehr das schwarze Schaf von einst. Leider blieb ihm ein Wiedereinstieg in den Polizeiberuf dennoch verwehrt. Aber dafür machte er seinen Job als Privatdetektiv verdammt gut.

Als Elsa den Schlamassel aus nächster Nähe begutachtete, war klar, dass es sich um kein gewöhnliches Tötungsdelikt handelte. Wobei, was war daran gewöhnlich, wenn ein Mensch umgebracht wurde? Allerdings hatte die Brutalität dieses Mordes Gronau veranlasst, sofort den gesamten Wanderzirkus der Kripo antanzen zu lassen. Zuerst war Carmen Holler, die Leiterin des Erkennungsdienstes, eingetroffen, im Schlepptau zur Unterstützung zwei Kollegen. Dann trudelten nach und nach weitere Beamte der Mordkommission ein. Einer von ihnen war Michael Lanzl, mit dem Elsa öfters im Zweierteam ermittelte. Ein Augsburger durch und durch, dem man ansah, dass er bayrische Hausmannskost liebte, und der im nächsten Jahr in Pension ginge.

Mittlerweile hatten die Erkennungsdienstler die obligatorischen Einwegoveralls, Plastikhauben und Schuhüberzieher angezogen und sicherten akribisch Spuren, machten Fotos und Videoaufnahmen, während Gronau die ersten Ermittlungsaufträge erteilte und mit den Erstzugriffskräften sprach.

»Der Tote heißt Kai Winitzki«, meldete einer der Uniformierten Niklas Gronau. Der Leiter der Mordkommission war locker gekleidet mit Jeans, beigefarbenem Sakko und einem schwarzen Rollkragenpullover. Den Wintermantel hatte er sich einfach über die Schulter gelegt, es war für ihn zu warm in dem Raum.

Im Gegensatz zu Elsa, die sich in ihrem Steppmantel pudelwohl fühlte. Lediglich ihre Strickmütze und die Winterhandschuhe hatte sie ausgezogen und in die Seitentasche gestopft.

Gronau war Anfang fünfzig, hatte blonde Haare, militärisch kurz geschnitten. Außerdem besaß er die drahtige Figur eines Langstreckenläufers.

»Wer hat die Leiche wann und unter welchen Umständen aufgefunden?«, löcherte er den Streifenbeamten.

»Tja, das ist nicht ganz geklärt.«

»Wie bitte? Es muss doch jemand die Polizei gerufen haben?«

Der Polizist kratzte sich unschlüssig an der Nase. »Stimmt, das war die Putzfrau, eine Frau Reincke, aber gefunden hat ihn wohl jemand anders, zwei seiner … wie soll ich sie nennen … Mitarbeiter?«, grübelte der Beamte.

»Wo sind diese Mitarbeiter? Und was ist so seltsam an denen?«

»Nicht mehr da.«

»Werden wohl einen Grund gehabt haben, zu verduften, immerhin ist der Tote einer von der Datschi-Connection«, rief Carmen zu ihnen herüber. Aufgrund des Mundschutzes klang ihre Stimme leicht verwaschen.

Gronau pfiff durch die Zähne.

»Oha«, machte Elsa, der jetzt klar wurde, was den Begriff Mitarbeiter so besonders machte.

»Ihr wusstet nicht, dass Kai Winitzki der Anführer dieser Gang ist … ähm war?« Carmen warf ihnen einen skeptischen Blick zu, der sogar unter Haube und Gesichtsmaske eindeutig zu erkennen war.

»Wir sind von der Mordkommission, liebe Carmen, und keine Rauschgiftfahnder«, nahm Elsa sich und ihren Chef in Schutz. »Natürlich wissen wir Bescheid über die Datschi-Connection und deren Verstrickungen in den Rauschgifthandel. Diese Leute sind ja bei der Polizei zuletzt in aller Munde gewesen. Aber woher sollen wir die Namen und Gesichter von denen kennen?«

Carmen zuckte die Schultern. »Ich kenne sie jedenfalls.«

»Ja, weil du auch für die Rauschgiftfahnder Spuren sicherst und über deren Klienten Bescheid weißt. Was kannst du uns über diesen Winitzki sagen?«

Carmen machte zwei Schritte auf sie zu und schob die Gesichtsmaske nach unten aufs Kinn. Ihre Wangen waren durch die Anstrengung leicht gerötet, Schweiß glitzerte auf ihrer Stirn. »Er ist Mitte dreißig, geschieden und offiziell arbeitssuchend, was mich stutzig macht angesichts …« Sie vollführte eine ausladende Handbewegung. »… seiner Art zu leben. Ein Stadthaus hinter dem Klinkerberg ist nicht gerade billig. Und schau dir mal die Einrichtung an.« Sie spitzte die Lippen. »Teure Gemälde, edle Teppiche und geschmackvolle Antiquitäten. Da weiß jemand, wie man schön wohnt«, urteilte Carmen und schnalzte mit der Zunge. »Woher hat er das Geld für diesen Lebensstil?«

»Reich geerbt?«, warf Elsa ein.

»Unwahrscheinlich, die Eltern leben noch. Sein Vater ist Rentner, hat früher bei den Stadtwerken gearbeitet, die Mutter ist Arzthelferin. Reiche Tanten und Onkels sind keine bekannt.«

»Möglicherweise hat er im Lotto gewonnen«, mutmaßte Gronau. »Nicht jeder Drogendealer verdient mit seinen kriminellen Geschäften ein Vermögen.«

»Das werdet ihr sicher bald ermitteln«, gab Carmen zurück und zuckte die Schultern. »Ich bin bloß die …«

»… blonde Spurensicherin«, ergänzte Elsa und lächelte.

Carmen grinste.

Ein kleines Wortgeplänkel am Schauplatz eines Kapitalverbrechens. Möglicherweise seltsam klingend für Außenstehende. Aber für Elsa und die Kollegen eine der wenigen Möglichkeiten, etwas Abstand zu den schrecklichen Taten zu wahren, mit denen sie tagtäglich konfrontiert wurden.

»Zurück zu den Mitarbeitern von Winitzki«, sagte Gronau.

»Eventuell auch seine Mörder?«, warf Elsa eine Theorie in den Raum.

Gronau knetete mit den Fingern sein Kinn. »Kann, muss aber nicht sein. Die Kollegen von der Schutzpolizei sagen, diese Kerle sind der Putzfrau in die Arme gelaufen und haben ihr befohlen, sofort die Polizei zu rufen. Welche Mörder machen das? Außerdem hätten sie dann wohl auch die Putzfrau umgelegt«, gab er zu bedenken.

Elsa nickte zustimmend und kaute nachdenklich an ihren Fingernägeln. »Der Tote liegt im Esszimmer, der Tisch ist gedeckt, offensichtlich war das Opfer gerade beim Frühstücken.« Eine angebissene Semmel lag auf einem Teller, mit Marmelade beschmiert. Ein Korb mit Brot und Semmeln, eine Schüssel mit vier Eiern, dazu Salz, Käse, Honig, ein Marmeladenglas, ein Kännchen Milch und eine Glaskanne mit Kaffee standen auf dem Tisch. »Es ist für drei Personen gedeckt«, stellte sie fest.

»Richtig«, stimmte Gronau zu.

»Sind die Gedecke vielleicht doch für die flüchtigen Typen?«, wollte Elsa wissen. »Gab es Streit?«

»Der mit einer Pistole gelöst wurde?«, zweifelte Gronau. »Außerdem … trinken Killer aus einer Affentasse? Carmen, was ist in der Tasse, die aussieht wie ein Gorilla?«

»Moment, ich schau gleich nach.« Carmen erhob sich. Sie hatte gerade Klebestreifen von der Leiche abgezogen, um mögliche Textilfasern zu sichern. Sie nahm die Tasse, hob sie an die Nase und schnupperte. »Das riecht nach Kakao. Und sieht auch so aus.«

»Ein Killer, der aus einer Gorillatasse Kakao trinkt?«, wandte sich Gronau an Elsa.

»Eher unwahrscheinlich«, gab sie zu. »Aber wo ist dann das Kind, das vermutlich an diesem Tisch gesessen hat?«

»Wieder alle versammelt, sehr schön. Servus allerseits«, grüßte eine fröhliche Stimme, die alle herumfahren ließ und erst einmal Elsas Frage verdrängte.

Im Flur stand der Münchner Rechtsmediziner Dr. Sinz, der bereits – von wem auch immer – an den Tatort gerufen worden war. Sinz oder Sinzei, wie ihn manche seiner Mitarbeiter ehrfurchtsvoll nannten, eine Ableitung vom japanischen Sensei, der Anrede im Kampfsport für Lehrer oder Meister. Denn ihm eilte der Ruf voraus, einer der besten Rechtsmediziner des Landes zu sein. Sinzei hatte wieder einen gewöhnungsbedürftigen Look. Er trug einen orangenen Anorak und eine knallenge schwarze Lederhose. Auf dem Kopf saß ein Cowboyhut, der ihm das Aussehen von Crocodile Dundee verpasste. Die braunen Cowboystiefel rundeten den Draufgängerstil passend ab. Er schob die Krempe des Crocodile-Dundee-Hutes nach oben und schenkte Elsa ein jungenhaftes Lächeln. Silbergraues Haar blitzte unter dem Hut hervor.

An seiner Seite wie üblich Assistentin Eileen. Ihre auffallend langen Zöpfe schauten unter einer weißen Mütze heraus und fielen ihr über die Brust nach vorne auf ein Klemmbrett, das sie umklammerte.

Dr. Sinz warf kurz einen Blick ins Esszimmer auf die Leiche, hob eine Augenbraue und murmelte ein »Interessant!«, bevor er seine antiquierte Ledertasche auf die Dielen im Flur stellte. Als er sich einen ersten Überblick verschafft hatte, bückte er sich und nahm ein Diktiergerät aus der Tasche. Er räusperte sich laut und lange und sprach erste Informationen der Auffindesituation hinein. Nachdem er sich bei Gronau über die Schließverhältnisse der Fenster und Türen erkundigt hatte, nahm er ein digitales Thermometer und maß die Raumtemperatur. Das diente als Anhaltspunkt für die Bestimmung der Todeszeit. Später würde er noch die Rektaltemperatur des Toten messen.

Carmen Holler trat zu ihnen hinaus auf den Gang. Ihr Anzug knisterte bei jeder ihrer Bewegungen. »Die Leiche gehört Ihnen, Doktor. Wir sind mit der Spurensicherung so weit durch.« Sie deutete mit dem Daumen über die Schulter. »Jedenfalls in dem Raum da, den Rest des Hauses knöpfen wir uns jetzt vor. Jungs, geht schon mal vor«, schickte sie die beiden Kollegen weiter, die ihr zunickten und das Esszimmer auf der anderen Seite durch eine hölzerne Schiebetür verließen. Dahinter lag anscheinend die Küche, wie Elsa erkannte.

»Danke, Frau Holler, schön, sehr schön«, sagte Sinz, der gerade sein Crocodile-Dundee-Outfit gegen einen Astronautenanzug tauschte. Eileen sah ebenfalls aus wie jemand, der auf eine Marsexpedition ging. Nur Elsa und ihre Kollegen trugen noch Zivil, allerdings waren sie vom ursprünglichen Tatort ausreichend weit entfernt. Der Gang von der Haustür bis zum Esszimmer war als sogenannter Trampelpfad eingerichtet worden. Der Weg, den die Polizei- und Rettungskräfte nehmen mussten, um keine Spuren zu vernichten.

Dr. Sinz und Assistentin näherten sich der Leiche.

Kai Winitzki war zu Lebzeiten ein attraktiver Mann gewesen. Dunkles Haar, Dreitagebart, sportliche Figur. Er trug eine hellblaue Trainingshose und einen schwarzen Rollkragenpullover, außerdem dunkle Socken. Eine Narbe zierte seine rechte Wange, im Tod bloß ein blasser Strich. Der Tote lag neben dem Tisch auf dem Boden, eine Blutlache hatte sich unter ihm gebildet. Ein Holzstuhl war umgekippt.

»Das Opfer hat auf diesem Stuhl gesessen, als der erste Schuss traf«, rekonstruierte Dr. Sinz. »Ich gehe davon aus, in eins der Augen. Durch die Wucht des Aufpralls ist Winitzki nach hinten gekippt und hat den Stuhl umgerissen. Ein Treffer im Kleinhirn, er war sofort tot. Die Kugel ist an der hinteren Schädelwand ausgetreten und hat Knochensplitter und Gehirnmasse auf der Wand verteilt. Dort ist auch die Kugel eingedrungen. Man sieht deutlich das Loch in der Wand.« Sinz umrundete den Toten. »Ah ja, zuerst hat der Täter ins linke Auge geschossen, das war ein relativer Nahschuss. Ich vermute mal, aus circa ein bis zwei Meter Entfernung.« Sinz drehte sich um und machte zwei Schritte rückwärts. »Dann müsste der Mörder ungefähr hier gestanden haben. Ja, ich denke, an dieser Stelle war der Schussabgabeort.« Der Doktor hob die rechte Hand und ahmte mit ihr eine Pistole nach. »Peng!«, rief er und war im nächsten Augenblick wieder bei dem Toten. Dort richtete er den rechten Arm mit dem ausgestreckten Zeigefinger auf das rechte Auge der Leiche und beugte sich vor. »Und jetzt ein absoluter Nahschuss. Peng!«, machte er. »Zwar nicht aufgesetzt, dafür fehlt die typische Stanzmarke, aber ziemlich dicht über dem Auge. Zu erkennen an dem schwarz-grau verfärbten Wundkanal und der Einschussplatzwunde. Außerdem ist die Wunde stark verschmaucht.« Er zeigte mit dem Finger auf die entsprechenden Stellen. »Zum Schluss …« Sinz seufzte theatralisch. »Mitten ins Heiligtum. Ebenfalls aus nächster Nähe.«

»Wie schrecklich!«, kommentierte Eileen und schlug eine Hand vor den Mund. »Gut, dass er da schon hinüber war.«

»Ganz recht, Eileen«, sagte der Doktor. »Gespürt hat er seine Umwandlung zum Eunuchen nicht mehr.«

Elsa schluckte, als sie den dunklen Fleck auf der hellen Trainingshose musterte. Wie grausam!

»Können Sie was über den Todeszeitpunkt sagen?«, stellte Gronau eine der wichtigsten Fragen.

»Das Blut ist noch nicht geronnen.« Der Rechtsmediziner bückte sich und knöpfte das Hemd der Leiche auf. »Die Totenflecken sind die ersten sicheren Todeszeichen«, dozierte er und deutete auf den Hals von Winitzki. »Die Flecken treten zuerst an den seitlichen Halspartien und am Nacken auf.«

Elsa schob den Kopf vor, um besser sehen zu können. Winitzki lag ungefähr drei Meter von ihrem Standpunkt entfernt auf dem Rücken.

»Sehen Sie?« Dr. Sinz deutete mit dem Zeigefinger auf die betreffenden Stellen.

»Ja«, antwortete Elsa, als sie die typisch blauvioletten Stellen betrachtete.

»Diese sind in der Regel ungefähr zwanzig bis dreißig Minuten post mortem als einzelne Flecken zu sehen. Ein bis zwei Stunden nach dem Tod konfluieren sie. Auf Deutsch: Sie fließen ineinander. Ebenfalls hier gut erkennbar.« Sinz entkleidete die Leiche weiter, zog ihr Hemd und Hose aus und reichte diese seiner Assistentin.

Eileen legte ihr Klemmbrett zur Seite und verpackte die Kleidungsstücke einzeln in Plastiktüten, die sie mit einem Filzschreiber beschriftete.

»Eileen, hilf mir mal, die Leiche auf die Seite zu drehen«, bat der Doktor.

Gemeinsam schoben Sinz und Eileen die behandschuhten Finger unter den Toten und stemmten ihn auf die Seite. »Bei Rückenlage findet man die Totenflecken naturgemäß auf dem Rücken und an den Seiten«, erklärte der Doktor. »Logisch, denn die Schwerkraft ist fürs Absinken des Blutes verantwortlich. Auch hier sehen wir ineinanderfließende Totenflecken, wir Rechtsmediziner sagen übrigens Livores dazu.« Sinz nahm ein Thermometer und steckte es dem toten Winitzki in den After. »Dachte ich mir«, sagte er, als er es nach kurzer Zeit herauszog und die Anzeige musterte. »Die Temperatur ist kaum merklich gesunken. Wenn ich diesen Umstand und die ineinanderfließenden Totenflecken bedenke, dann hat das Opfer noch nicht lange seine Reise ins Jenseits angetreten.« Er musterte einen Moment das vorbereitete Frühstück auf dem Tisch. »Eileen, wie spät ist es?«

»Kurz vor elf«, antwortete sie nach einem Blick auf ihre Armbanduhr.

»Wann wurde der Tote entdeckt?«, wandte sich Sinz an Elsa.

»Die Mitteilung über Notruf ging um 8.33 Uhr heute Morgen ein«, berichtete Gronau an ihrer Stelle. »Die Leiche wurde vermutlich nur wenige Minuten vor dem Anruf bei der Polizei aufgefunden.«

»Dann gehen Sie mal von einem Todeszeitpunkt zwischen 7.00 Uhr und 8.30 Uhr aus. Genaueres kann ich nach der Obduktion sagen, aber als grober Anhalt sollte das fürs Erste genügen.«

»Ja, das hilft uns schon mal weiter«, sagte Gronau.

»Wurde die ursprüngliche Lage der Leiche verändert?«, fragte Dr. Sinz.

»Jedenfalls nicht durch die Streifenbeamten«, entgegnete Gronau.

»Wir haben alle Türen und Fenster überprüft«, berichtete Carmen. »Alles geschlossen. Kein Wunder, bei der Kälte. Außerdem keinerlei Einbruchsspuren. Entweder hat Winitzki seinen Mörder gekannt, oder er ist ins Gebäude eingedrungen, ohne Spuren zu verursachen.«

»Wir brauchen dringend die Personalien der zwei Kerle, die ihn gefunden haben. Elsa, darum kümmerst du dich«, ordnete Gronau an. »Die zwei sind mindestens wichtige Zeugen, vielleicht mehr. Ich will mit ihnen sprechen. Noch heute.«

»Okay, ich frag mal die Reinigungskraft, Frau Reincke«, antwortete sie. »Vielleicht weiß die was. Vater und Mutter von Winitzki müssen noch benachrichtigt werden.«

»Das übernimmt der Lanzl Michael«, bestimmte Gronau. »Außerdem will ich alles über die Datschi-Connection wissen.«

»Datschi-Connection?«, meldete sich Dr. Sinz zu Wort. »Ist das so was wie die French Connection?«

»Was soll das sein?« Elsa runzelte die Stirn.

»Schauen Sie keine alten Filme?«, zeigte sich Sinz erstaunt.

»Nein, ich höre lieber Musik«, antwortete sie.

»French Connection ist ein Klassiker …«

»Die Datschi-Connection hat sich tatsächlich danach benannt, wie man so hört«, fiel Carmen dem Doktor ins Wort. »Anfangs nannten sie sich Datschiburg-Connection, aber der Name war ihnen wohl mit der Zeit zu sperrig oder zu lang, was weiß ich.«

»Datschi…was?«

»…burg. Ein typisch schwäbischer Begriff«, klärte ihn Carmen auf. »Augsburg wird auch Datschiburg genannt, weil hier angeblich der Zwetschgendatschi erfunden wurde.«

»Interessant«, sagte Dr. Sinz.

»Ich mag Zwetschgendatschi«, bemerkte Eileen.

»Ich auch«, meinte der Rechtsmediziner. »Den gibt es auch in München.«

»Jedenfalls hat sich die Bande so genannt«, ergänzte Carmen.

»Wahrscheinlich wollten sie besonders cool klingen«, vermutete Elsa.

»Zurück zum Mord«, brachte Gronau sie wieder aufs Wesentliche. »Du hast recht, Elsa. Das war tatsächlich eine Hinrichtung«, murmelte er.

Irgendjemand der Anwesenden flüsterte: »Mafia!«

»Wer hat was von Mafia gesagt?«, donnerte eine Elsa wohlbekannte Stimme.

Kapitel 3

»Willst du mir nicht endlich deinen Namen verraten?«, tastete sich Schäfer behutsam vor und stellte eine Tasse heißen Kakao auf den Küchentisch.

Das Mädchen drückte seinen Plüschaffen gegen die Brust und schüttelte den Kopf.

Nach dem Vorfall am Hauptbahnhof war Schäfer kurz davor gewesen, die Polizei zu rufen. Aber sein Bauchgefühl hatte ihm davon abgeraten. Er wäre das Kind im Nu los, die Bullen würden es sofort dem Jugendamt übergeben. Aber wäre es dort wirklich in Sicherheit? Nein, wenn er an die Warnung der Frau aus dem Zug dachte.

Beschütze das Mädchen!

Vor wem oder was beschützen? Vor den zwei Knalltüten? Aber die Kerle waren doch hinter der Frau her, oder etwa nicht? Sonst hätte sie das Mädchen doch nicht einfach zurückgelassen. Außerdem hatten die Arschlöcher ihre Lektion erhalten, von denen drohte keine Gefahr mehr.

»Was mache ich nur mit dir?«, murmelte er.

Ein leises Klacken ließ Schäfer aufhorchen, er linste ins angrenzende Wohnzimmer. Die Katzenklappe in der Balkontür öffnete sich einen Spalt, und Kater Crockett schlüpfte ins Innere. Kurz darauf folgte Tubbs, der andere Kater. Schäfer hatte es einen gehörigen Aufwand und einen teuren Glasermeister gekostet, in die Scheibe der Balkontür die Klappe einbauen zu lassen. Aber für seine Katzen war es ihm das Theater wert, da scheute er weder Kosten noch Mühen. So konnten die Samtpfoten kommen und gehen, wann sie wollten. Sie tappten mit erhobenen Schwänzen in die Küche wie zwei Könige. Crockett hatte cremefarbenes Fell, das von Tubbs war schwarz-weiß. Sie schnupperten kurz mit ihren Nasen in die Luft und warfen beiläufig einen Blick auf das Mädchen. Offenbar fanden sie, dass von ihr keine Gefahr drohte, denn die Schwänze blieben erhoben. Die Katzen liefen Richtung Fressnäpfe und warfen Schäfer missbilligende Blicke zu. Dann miauten beide synchron ihr altbekanntes Klagelied: Wir haben Hunger!

Schäfer seufzte, stand auf und holte aus dem Hängeschrank Nassfutter, das er mit einem Löffel in zwei Näpfe schaufelte.

Gierig fraßen die beiden und schmatzten dabei laut.

Die Fressgeräusche entlockten dem Mädchen ein Glucksen. Sie hatte sich umgedreht und schaute Crockett und Tubbs zu. In einer Hand hielt sie den Affen, und mit der anderen tastete sie geistesabwesend nach der Tasse. Sie trank ein paar Schlucke und beobachtete die Tiere.

Wofür Katzen doch gut waren, dachte Schäfer. Wozu ein Mensch mit bestens gemeinten Tipps und Ratschlägen nicht in der Lage war, gelang zwei Samtpfoten innerhalb kürzester Zeit.

»Wie ist denn dein Nachname?«, versuchte Schäfer daraus gleich Profit zu schlagen.

Das Mädchen schlürfte den Kakao, schwieg aber.

»Hast du kein Handy, mit dem ich jemanden verständigen kann? Deine Eltern zum Beispiel, Oma und Opa. Irgendwen vielleicht. Hast du einen großen Bruder?«

»Handy habe ich verloren«, gab sie Auskunft.

»Telefonnummer deiner Eltern, wo wohnst du?«, versuchte er es weiter.

Sie leckte mit der Zunge Kakaoschaum von der Oberlippe und ignorierte ihn.

Schäfer schielte auf die Küchenuhr in Form einer Katze. Hannah hatte sie ihm vor Jahren zum Geburtstag geschenkt. Es ging auf halb elf zu. Er überlegte, wen er um Hilfe bitten könnte, um die Kleine zum Sprechen zu bringen. Seine Ex-Frau Claudia fiel ihm ein, nur um sie sofort von der Liste zu streichen. Am Ende käme sie mit ihrem neuen Lover, dem Schnösel-Staatsanwalt Carsten Henningsen, angebraust. Nein! Die beiden wollte er am wenigsten in seiner Wohnung haben. Seine Bekannte, die Barbesitzerin Angie, eine ehemalige Straßenprostituierte, war ein herzensguter Mensch, aber ob sie die Richtige war?

Blieb Elsa Dorn, die kernige Hauptkommissarin der Kripo, wieso rief er sie nicht an und bat um Hilfe? Sie war zwar keine Mutter, und ob sie wirklich mit Kindern konnte, wusste er auch nicht so genau. Allerdings waren Elsa und er im letzten Jahr ein gutes Team geworden. Trotz einiger größerer und kleinerer Differenzen hin und wieder. Aber bei der Zusammenarbeit mit einer Polizistin und einem Privatdetektiv kam es einfach zu gewissen Meinungsverschiedenheiten. Das lag in der Natur der Sache. Auf der einen Seite Elsa, das Gesetz und auf der anderen Seite er: Sven Schäfer, ein Privatermittler, der manchmal am Rande des Gesetzes wandelte, dieses sogar überstrapazierte. Nichtsdestotrotz, wenn ihm jemand bei der Kleinen weiterhelfen konnte, dann war es Elsa Dorn.

»Josie.«

»Bitte?« Schäfer horchte auf, seine Gedanken an Elsa waren auf einmal in weite Ferne gerückt. »Hast du was gesagt?«

»Mein Name ist Josie«, hauchte das Mädchen, dem brauner Kakaoschaum auf der Oberlippe klebte. »Das ist die Kurzform von Josefine, aber so nennt mich niemand.« Sie stellte die Tasse unbeholfen auf dem Tisch ab und lächelte ihn an.

Ihm wurde warm ums Herz. Das Mädchen erinnerte ihn stark an seine Tochter. Hannah hatte auch dieses besondere Lächeln. Schäfer konnte es an dem alten Kinderbild sehen, das auf dem Fensterbrett stand. Ein Stich ging durch seine Brust. Auf einmal dachte er an Hannahs Kindheit. Wie oft hatte es Streit zwischen ihm und seiner Ex gegeben, weil er während seiner Zeit bei der Polizei oft nicht zu Hause war und Nachtschicht bei der Fahndung geschoben hatte. Unzählige Observationen waren ihm wichtiger gewesen, als seine eigene Tochter abends ins Bett zu bringen. Er schloss die Augen und schüttelte die negative Energie ab, die durch seinen Körper floss. Als er wieder aufsah, starrte ihn Josie an. Um das Eis zu brechen, deutete er auf den ramponierten Plüschaffen.

»Deinem Gorilla fehlt ein Arm«, stellte er fest. »Sollen wir ihn verarzten?«

Josie legte den Kopf schief und schien zu überlegen. Sie nahm den Affen und hielt ihn vor ihr Gesicht. »Was denkst du, Louis?« Josie horchte einen Augenblick, dann nickte sie. »Okay, einverstanden«, wandte sie sich an Schäfer. »Hast du Verbandszeug?«

Schäfer nickte. »Ich hole schnell was, und dann verbinde ich deinen Louis.«

»Nein!«, widersprach Josie hastig und umklammerte den Affen mit beiden Händen, als wäre er ihr größter Schatz. »Das mache ich selbst.«

»Einverstanden. Und übrigens, ich bin der Sven.«

Josie musterte ihn von oben bis unten. »Ben?«

»Nein, Sven.«

»Du siehst aus wie Ben der Riese.«

»Ben wer?«