Das Universum in deiner Hand - Christophe Galfard - E-Book

Das Universum in deiner Hand E-Book

Christophe Galfard

0,0
14,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Das Universum in deiner Hand ist der perfekte Reiseführer für alle, die dunkle Energie nicht für einen neuen Schokoriegel halten und wissen wollen, warum Gott manchmal die Würfel dorthin wirft, wo sie nicht gesehen werden können, nämlich in ein Schwarzes Loch. Eine unglaubliche Reise durch die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Universums – und das alles, ohne vom Sofa aufzustehen. Ein Buch wie ein Popsong.
Christophe Galfard, ein Schüler von Stephen Hawking und der neue helle Stern am Himmel der Astrophysik, erklärt einige der wichtigsten und verblüffendsten Ideen unserer Zeit – Quantenmechanik, Relativität, Zeitreisen, parallele Realitäten und Multiversen – mit dem Versprechen, dass nur eine einzige Formel in diesem Buch vorkommt (Einsteins legendäres E = mc2) und niemand auf der Strecke bleibt. Ein Buch, das aus Wissenschaft wieder eine spannende, unterhaltsame Geschichte macht – als würde Hollywood sie erzählen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



CHRISTOPHE GALFARD

DASUNIVERSUMIN DEINERHAND

Die unglaubliche Reisedurch die Weiten von Raum und Zeitund zu den Dingen dahinter

Aus dem Englischenvon Jens Hagestedt und Ursula Held

C.H.Beck

Über den Autor

Dr. Christophe Galfard, geb. 1976, ist ein französischer Astrophysiker. Als Doktorand von Stephen Hawking hat er das sogenannte Informationsparadoxon schwarzer Löcher erforscht und gemeinsam mit ihm ein Jugendbuch verfasst. «Das Universum in deiner Hand» war ein Bestseller in Frankreich, den USA und Spanien.

Inhalt

Vorwort

Teil eins: Der Kosmos

1: Ein lautloser Knall

2: Der Mond

3: Die Sonne

4: Unsere kosmische Familie

5: Jenseits der Sonne

6: Ein kosmisches Monster

7: Die Milchstraße

8: Die erste Wand am Ende des Universums

Teil zwei: Das Weltall verstehen

1: Eherne Gesetze

2: Eine ärgerliche Kugel aus Felsgestein

3: 1915

4: Schichten von Vergangenheiten

5: Expansion

6: Die Schwerkraft spüren

7: Kosmologie

8: Jenseits unseres kosmischen Horizonts

9: Der schlagende Beweis für den Urknall

Teil drei: Schnell

1: Sich bereitmachen

2: Ein Traum der besonderen Art

3: Jeder hat seine eigene Zeit

4: Wie man nie alt wird

Teil vier: Eintauchen in die Quantenwelt

1: Ein Goldklumpen und ein Magnet

2: Wie ein Fisch im Meer

3: Eintritt ins Atom

4: Die komplizierte Elektronenwelt

5: Ein kurioses Gefängnis

6: Die letzte Kraft

Teil fünf: Zum Ursprung von Raum und Zeit

1: Nur Mut

2: Da ist nicht nichts

3: Antimaterie

4: Die Mauer hinter der Mauer

5: Überall fehlt etwas

Teil sechs: Rätsel tun sich auf

1: Das Universum

2: Quantenunendlichkeit

3: Sein und nicht sein

4: Schwarze Materie

5: Dunkle Energie

6: Singularitäten

7: Grau ist das neue Schwarz

Teil sieben: Einen Schritt weiter

1: Zurück zu den Anfängen

2: Der vielfache Urknall

3: Ein grenzenloses Universum

4: Unerforschte Realität

5: Eine Theorie aus Fäden

Epilog

Danksagung

Quellen

Abbildungsnachweis:

Fußnoten

Für Marius & Honoré

Vorwort

Zwei Versprechen vorab.

Erstens: Das Buch enthält nur eine einzige Gleichung. Hier ist sie:

Zweitens: Das Buch wird niemanden überfordern.

Du stehst vor einer Reise durch das Universum nach dem heutigen Erkenntnisstand der Naturwissenschaft. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass das jeder verstehen kann.

Diese Reise beginnt sehr weit von deinem Zuhause entfernt, auf der anderen Seite der Welt.

Teil eins

Der Kosmos

1

Ein lautloser Knall

Stell dir vor, du befindest dich in einer warmen, wolkenlosen Sommernacht auf einer fernen Vulkaninsel. Das Meer um die Insel herum ist so unbewegt wie ein See. Nur flache Wellen laufen auf den weißen Sand. Kein Geräusch ist zu hören. Du liegst am Strand und hast die Augen geschlossen. Der knochentrockene, sonnenwarme Sand heizt die mit süßen, exotischen Düften gesättigte Luft auf. Alles ist friedlich.

Plötzlich ein gellender Schrei in der Ferne. Du springst auf und starrst in die Dunkelheit.

Nichts. Was immer da aufschrie, ist jetzt still. Es gibt keinen Grund, sich zu fürchten. Vielleicht ist diese Insel für manche Geschöpfe gefährlich; für dich ist sie es nicht. Schließlich bist du ein Mensch, ein Individuum der mächtigsten Raubtierart. Nicht mehr lange, dann kommen deine Freunde, um dir bei einem Drink Gesellschaft zu leisten. Du bist im Urlaub, und so legst du dich wieder in den Sand, um dich Gedanken zuzuwenden, die deiner Spezies würdig sind.

Zahllose winzige Lichter flimmern am unermesslichen Nachthimmel: Sterne. Überall Sterne. Du kannst sie mit bloßem Auge erkennen. Und dir fallen Fragen aus deiner Kindheit ein: Was hat es auf sich mit diesen Sternen? Warum flimmern sie? Wie weit sind sie entfernt? Aber dann fragst du dich: Werden wir das jemals wissen? Achselzuckend entspannst du dich und schiebst die dummen Fragen beiseite. Du denkst: Warum sollte uns das interessieren?

Eine kleine Sternschnuppe streicht sanft über den Himmel, und gerade als du dir etwas wünschen möchtest, geschieht etwas höchst Ungewöhnliches: Wie um deine letzte Frage zu beantworten, sind im Nu fünf Milliarden Jahre vergangen. Du liegst nicht mehr an einem Strand, sondern gleitest im Weltall durch die Leere. Du kannst sehen, hören und fühlen, aber dein Körper ist verschwunden. Du bist ätherisch. Reiner Geist. Und du hast nicht einmal Zeit, dich zu fragen, was gerade geschehen ist, oder um Hilfe zu rufen, denn du befindest dich in der befremdlichsten Situation, die du dir vorstellen kannst.

Vor dir, ein paar hunderttausend Kilometer entfernt, schwebt vor einem Hintergrund aus kleinen, noch weiter entfernten Sternen ein kugelförmiges Gebilde. Es leuchtet dunkel orangefarben und kommt, sich drehend, auf dich zu. Du erkennst schnell, dass seine Oberfläche von geschmolzenen Gesteinsmassen bedeckt ist und dass es sich um einen Planeten handelt. Um einen geschmolzenen Planeten!

Du bist geschockt, und eine Frage kommt dir in den Sinn: Welche monströse Wärmequelle konnte ihn schmelzen?

Aber dann taucht rechts von dir ein gewaltiger Stern auf. Seine Größe ist, verglichen mit der des Planeten, einfach erstaunlich. Auch er dreht sich und fliegt durchs All. Und er scheint größer zu werden.

Obwohl er viel näher ist, wirkt der Planet jetzt wie die kleine orangefarbene Murmel eines Kindes neben einer gigantischen Kugel, die in erstaunlichem Tempo weiterwächst: Sie ist jetzt schon doppelt so groß wie vor einer Minute. Sie hat eine rote Färbung angenommen und spuckt wütend ellenlange Fäden von eine Million Grad heißem Plasma aus, die anscheinend fast mit Lichtgeschwindigkeit durchs All schießen.

Alles, was du siehst, ist von einer monströsen Schönheit. Du erlebst ja auch eines der gewaltigsten Ereignisse, die das Universum zu bieten hat. Und doch ist nichts zu hören. Alles ist still, denn Geräusche verbreiten sich nicht im luftleeren Raum des Weltalls.

Sicher, denkst du, wird der Stern nicht in diesem Tempo weiterwachsen. Und doch, er tut’s! Er hat jetzt eine Größe, die du dir nicht hättest vorstellen können, und der geschmolzene Planet, zerstört von Energien, denen er nicht standhalten konnte, zergeht in Nichts. Der Stern nimmt davon nicht einmal Notiz. Er wächst weiter, bis zum Hundertfachen seiner ursprünglichen Größe, und explodiert dann plötzlich, wobei er die ganze Materie, aus der er bestand, ins Weltall feuert.

Eine Schockwelle geht durch deine geisterhafte Gestalt, dann ist der Stern zu Staub geworden, der in alle Richtungen geblasen wird. Der Stern existiert nicht mehr. Er hat sich in eine eindrucksvolle farbenprächtige Wolke verwandelt, die sich jetzt in einer Geschwindigkeit, die Göttern Ehre machen würde, in die interstellare Leere hinein verteilt.

Langsam kommst du wieder zu Sinnen, und du begreifst, was gerade geschehen ist. Eine furchtbare Wahrheit ergreift von dir Besitz: Der Stern, der da gestorben ist, war kein x-beliebiger. Es war die Sonne. Unsere Sonne. Und der geschmolzene Planet, der in ihrer gleißenden Helle verschwand, war die Erde.

Unser Planet. Deine Heimat. Weg!

Du hast das Ende unserer Welt miterlebt. Kein spekulatives Ende, keine weithergeholte, angeblich auf die Mayas zurückgehende Phantasie. Nein, das wirkliche Ende. Ein Ende, von dem die Menschheit schon einige Zeit vor deiner Geburt, also fünf Milliarden Jahre vor dem, was du gerade gesehen hast, wusste, dass es eintreten würde.

Als du versuchst, deine Gedanken zu ordnen, wird dein Geist jäh in die Gegenwart zurückversetzt, in deinen am Strand liegenden Körper.

Dein Herz rast, du setzt dich auf und siehst dich um, als wärest du gerade aus einem seltsamen Traum erwacht. Die Bäume, der Sand, das Meer und der Wind sind noch da. Deine Freunde sind auf dem Weg, du kannst sie in der Ferne erkennen. Was ist geschehen? Warst du eingeschlafen? Hast du geträumt, was du gesehen hast? Ein unheimliches Gefühl kriecht in dir hoch, als dir andere Fragen in den Sinn kommen: Kann es sein, dass das real war? Wird die Sonne wirklich eines Tages explodieren? Und wenn, was wird dann aus der Menschheit? Kann irgendjemand eine solche Apokalypse überleben? Oder wird alles und jedes, auch die Erinnerung an unser Dasein, in kosmischer Vergessenheit versinken?

Du blickst wieder in den sternenklaren Himmel über dir und versuchst verzweifelt zu verstehen, was geschehen ist. In deinem tiefsten Innern weißt du, dass du das alles nicht nur geträumt hast. Obwohl dein Geist wieder auf dem Strand ist, wiedervereinigt mit deinem Körper, weißt du, dass du wirklich eine Zeitreise in eine ferne Zukunft getan und etwas gesehen hast, das niemand jemals sehen sollte.

Du atmest langsam ein und aus, um zur Ruhe zu kommen, als merkwürdige Geräusche an dein Ohr dringen, so als ob der Wind, die Wellen, die Vögel und die Sterne ein Lied flüsterten, das nur du allein hören kannst. Und plötzlich verstehst du, wovon sie singen. Es ist zugleich eine Warnung und eine Einladung. Egal, was die Zukunft bringen wird, murmeln sie, die Menschheit kann nur einen Weg beschreiten, um den unvermeidlichen Tod der Sonne und die meisten anderen Katastrophen zu überleben:

Den Weg des Wissens, der Wissenschaft. Auf einer Reise, die nur Menschen machen können.

Einer Reise, die du anzutreten im Begriff bist.

Wieder durchbohrt ein gellender Schrei die Nacht, aber diesmal hörst du ihn kaum. Als ginge schon ein Same auf, der gerade erst in deinen Geist gepflanzt wurde, verspürst du den Drang herauszufinden, was man weiß über das Universum.

Demütig richtest du den Blick wieder nach oben. Du betrachtest die Sterne jetzt mit den Augen eines Kindes.

Woraus besteht das Universum? Was liegt im Nahbereich der Erde? Und was weiter entfernt? Wie weit kann man sehen? Weiß man etwas über die Geschichte des Universums? Hat es überhaupt eine?

Als die Wellen sanft über den Strand streichen und du dich fragst, ob man jemals in der Lage sein wird, diese kosmischen Geheimnisse zu lüften, beginnt das Blinken der Sterne dich einzulullen, deinen Körper in einen halbbewussten Zustand zu versetzen. Du kannst hören, wie deine näher kommenden Freunde sich unterhalten, aber seltsam, du empfindest die Welt schon nicht mehr so wie noch vor einigen Minuten. Alles scheint irgendwie reicher, tiefer, so als wären dein Geist und dein Körper Teil von etwas, was viel, viel größer ist als alles, woran du je gedacht hast. Deine Hände, deine Beine, deine Haut … Die Materie … Die Zeit … Der Raum … Überall Kraftfelder um dich herum, die ineinandergreifen …

Ein Schleier, von dessen Existenz du nicht einmal wusstest, ist von der Welt gezogen worden und hat den Blick auf eine unerwartete geheimnisvolle Wirklichkeit freigegeben. Dein Geist verlangt danach, wieder unter den Sternen zu sein, und du fühlst, du wirst eine außergewöhnliche Reise machen, die dich weit weg führen wird von deiner heimischen Welt.

2

Der Mond

Wenn du dies liest, bist du schon fünf Milliarden Jahre in die Zukunft gereist. Ein guter Anfang! Du kannst also überzeugt sein, dass deine Phantasie funktioniert. Mehr wirst du auch nicht brauchen, um durch Raum und Zeit und Materie und Energie zu reisen und zu entdecken, was aus Sicht des frühen 21. Jahrhunderts bekannt ist über unsere Wirklichkeit.

Du hast gesehen, welches Schicksal die Menschheit, ja alle Erscheinungsformen des Lebens auf der Erde erwartet, wenn wir uns nicht bemühen zu verstehen, wie die Natur funktioniert. Wenn wir auf lange Sicht überleben wollen, statt von einer grimmigen, sterbenden Sonne verschlungen zu werden, haben wir nur eine Chance: Wir müssen lernen, unsere Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen. Dafür müssen wir die Naturgesetze entschlüsseln und lernen, sie uns zunutze zu machen. Vor uns liegt eine Menge Stoff, das solltest du wissen. Dafür wirst du aber auf den folgenden Seiten so gut wie alles erfahren, was bisher bekannt ist.

Auf deiner Reise durch unser Universum wirst du entdecken, was es mit der Schwerkraft auf sich hat und wie sowohl Atome als auch Elementarteilchen miteinander interagieren, ohne sich zu berühren. Du wirst erfahren, dass unser Universum zum größten Teil aus Geheimnissen besteht und dass man bei den Versuchen, sie zu entschlüsseln, auf vorher unbekannte Formen von Materie und Energie gestoßen ist.

Wenn du dann alles Bekannte gesehen hast, springst du hinein ins Unbekannte und erfährst, woran einige der klügsten Köpfe unter den Physikern der Gegenwart arbeiten, um die überaus merkwürdigen Wirklichkeiten zu erklären, deren Teil wir sind. Von Paralleluniversen, Multiversen und Extradimensionen wird die Rede sein. Danach werden deine Augen wahrscheinlich leuchten von dem Licht des Wissens, das die Menschheit in Jahrtausenden erworben hat. Du solltest aber auf einiges gefasst sein. Entdeckungen der letzten Jahrzehnte haben alles über den Haufen geworfen, was wir zu wissen glaubten: Demnach ist unser Universum nicht nur unermesslich viel größer als erwartet, es ist auch unendlich viel schöner, als unsere Vorfahren es sich hätten vorstellen können. Eine weitere gute Nachricht: Dass wir imstande waren, so viel herauszufinden, unterscheidet uns Menschen von allen anderen Erscheinungsformen des Lebens, die es je auf der Erde gegeben hat. Das kann uns zugutekommen, denn die meisten anderen Lebensformen sind ausgestorben. Die Dinosaurier etwa haben die Oberfläche unseres Planeten ungefähr 200 Millionen Jahre lang beherrscht, wir dagegen bis heute nur einige hunderttausend Jahre. Sie hatten jede Menge Zeit, ihre Umwelt zu befragen und das eine oder andere herauszufinden. Doch sie haben es nicht getan, und so sind sie gestorben. Wir Menschen könnten heute zumindest hoffen, einen uns bedrohlich nahe kommenden Asteroiden früh genug zu entdecken, um dann zu versuchen, ihn von seinem Kurs abzubringen. Wir können also schon einiges, was die Dinosaurier nicht konnten. Es ist vielleicht unfair, das zu sagen, aber im Rückblick können wir das Aussterben der Dinosaurier mit ihren mangelnden Kenntnissen in theoretischer Physik in Verbindung bringen.

Du liegst am Strand und erinnerst dich lebhaft an die sterbende Sonne. Noch weißt du nicht viel, etwa von den flimmernden Punkten, die den Nachthimmel zieren und umgekehrt gar nichts von dir wissen. Das Leben und Sterben irdischer Spezies sind ihnen vollkommen schnuppe. Die Zeit scheint im Weltall Dimensionen zu haben, die dein Körper nicht fassen kann. Für so ferne leuchtende Götter wie diese Sterne währt das Leben einer ganzen Spezies auf Erden wahrscheinlich nicht länger als ein Fingerschnippen …

Vor dreihundert Jahren glaubte einer der berühmtesten und brillantesten Naturwissenschaftler aller Zeiten, der in Cambridge lehrende englische Physiker und Mathematiker Isaac Newton, dem wir die Kenntnis der Schwerkraft verdanken, es gebe zwei Arten von Zeit: die Zeit der Menschen, von uns allen gefühlt und mit unseren Uhren gemessen, und die stehende, nicht vergehende Zeit Gottes. Aus Sicht von Newtons Gott ist der endlose Strahl der menschlichen Zeit, der sich rückwärts und vorwärts bis ins Unendliche erstreckt, nur ein Augenblick. Dieser Gott erfasst alles mit einem einzigen Blick.

Aber du bist nicht Gott. Als du in den Sternenhimmel schaust und einer deiner Freunde dir einen Drink reicht, kommt dir die Unermesslichkeit der Aufgabe beängstigend vor. Das ist alles zu groß, zu weit weg, zu fremd … Wo beginnen? Du bist doch kein Physiker! Aber du bist auch nicht der Typ, der aufgibt. Du hast Augen im Kopf, und du bist neugierig. Also legst du dich in den Sand und machst einen Anfang, indem du dich auf das fokussierst, was du sehen kannst.

Du siehst den Himmel; der größte Teil ist dunkel. Und du siehst Sterne.

Du siehst aber noch etwas: Zwischen den Sternen erkennst du mit bloßem Auge einen schummrigen, blass weißlich leuchtenden Streifen.

Was immer dieses Leuchten ist, du weißt, dass der Streifen Milchstraße genannt wird. Sie scheint etwa zehnmal so breit wie ein Vollmond. Als du jünger warst, hast du oft zu ihr hinaufgeblickt. Sie ist so unübersehbar, dass du denkst, auch all deine Vorfahren müssten sie gekannt haben, und du hast recht. Männer und Frauen haben sogar jahrhundertelang zu ergründen versucht, was es mit diesem Streifen auf sich hat, und es liegt eine Ironie darin, dass wir heute die Antwort kennen – heute, da die Milchstraße aufgrund von Lichtverschmutzung von den meisten bewohnten Gebieten der Erde aus nicht mehr sichtbar ist.

Doch von deiner tropischen Insel aus ist sie überwältigend klar zu erkennen, wobei sie aufgrund der Erddrehung mit fortschreitender Nacht, wie die Sonne bei Tag, von Ost nach West zu wandern scheint.

Du fängst an zu glauben, dass die Zukunft der Menschheit irgendwo da draußen liegen könnte, jenseits des irdischen Himmels, und findest diese Möglichkeit faszinierend. Du fokussierst deinen Blick und fragst dich, ob es möglich ist, alles, was es gibt im Universum, mit bloßem Auge zu erkennen. Aber du schüttelst den Kopf. Du weißt, dass die Sonne, der Mond, Planeten wie die Venus, der Mars und der Jupiter, einige hundert Sterne[1] und dieser verschwommene Streifen weißlichen Staubs namens Milchstraße nicht alles sind. Dort oben, außer Sichtweite, zwischen den Sternen, verbergen sich Geheimnisse, die darauf warten, enthüllt zu werden … Wenn du das alles erforschen könntest, wie würdest du es anstellen? Du würdest natürlich mit dem Nahbereich der Erde beginnen, und dann – dann würdest du davonschießen, so weit wie möglich, und dann – dein Geist gehorcht!

So unglaublich es klingt, dein Geist fängt wirklich an, sich von deinem Körper zu entfernen – aufwärts, den Sternen entgegen.

Ein Schwindel befällt dich, alles dreht sich um dich, als dein Körper und die Insel, auf der er liegt, rasch unter dir zurückbleiben. Dein Geist, ein ätherisches Ich, fliegt auf- und ostwärts. Du hast keinen Schimmer, wie das möglich ist, aber du stehst jetzt höher als der höchste Berg. Ein tiefroter, über einem fernen Horizont hängender Mond taucht auf, und in Nullkommanichts befindest du dich außerhalb der Erdatmosphäre, durchfliegst die 380.000 Kilometer Leere, die unseren Planeten von unserem einzigen natürlichen Satelliten trennen. Vom All aus erscheint der Mond genauso weiß wie die Sonne.

Deine Reise durch die Welt des Wissens hat begonnen.

Du hast, wie nur ein Dutzend Menschen vor dir, den Mond erreicht. Dein Geistleib spaziert auf ihm herum. Die Erde ist unter dem Mondhorizont verschwunden. Du befindest dich auf der sogenannten Nachtseite des Mondes, von der aus unser Planet nicht zu sehen ist. Es gibt keinen blauen Himmel und auch keinen Wind, und die Sterne über dir – viel mehr, als du von irgendeinem Punkt der Erde aus sehen kannst – funkeln nicht. All das ist so, weil der Mond keine Atmosphäre hat. Auf dem Mond beginnt das Weltall einen Millimeter über dem Boden. Keine Witterung tilgt je die Schrunden, die seine Oberfläche zerklüften. Überall Krater, erstarrte Andenken an das, was einst diesen kargen Boden traf.

Als du dich zur erdzugewandten Seite des Mondes aufmachst, strömt die Geschichte seiner Geburt auf magische Weise in deinen wissbegierigen Geist, und du starrst sprachlos auf den Boden unter deinen Füßen.

Was für eine Urgewalt!

Vor ungefähr vier Milliarden Jahren wurde unser junger Planet von einem anderen Planeten – etwa von der Größe des Mars – getroffen, der ein riesiges Stück von ihm herausriss und ins All schleuderte. In den Jahrtausenden danach setzten sich die aus dieser Kollision stammenden Trümmer zu einer einzigen Kugel im Orbit der Erde zusammen. Der Mond, auf dem du jetzt stehst, war geboren.

Geschähe das heute, würde eine solche Kollision vollauf genügen, um alle Lebensformen auf der Erde auszulöschen. Damals jedoch war unsere Welt noch öde und leer, und es ist eine seltsame Vorstellung, dass wir ohne diesen katastrophalen Zusammenstoß weder einen Mond hätten, der unsere Nächte erhellt, noch nennenswerte Gezeiten und dass es auf unserem Planeten wahrscheinlich kein Leben gäbe, wie wir es kennen.

Jetzt taucht vor dir, über dem Mondhorizont, die blaue Erde auf, und du begreifst, dass katastrophale Ereignisse in kosmischem Maßstab auch ihr Gutes haben können.

Dein Heimatplanet, eine blaue, vor schwarzem, sternenübersätem Hintergrund schwebende Perle, ist von hier aus gesehen nur so groß wie vier Vollmonde.

Die wirkliche Größe unserer Erde im All ist ein Anblick, der demütig macht und immer machen wird.

Als du weitergehst, siehst du, wie die Erde am Mondhimmel aufgeht; alles scheint ruhig und friedlich. Aber du weißt bereits, diesem scheinbaren Frieden ist nicht zu trauen. Zeit hat hier eine andere Bedeutung, und wenn du an die Äonen denkst, die noch kommen werden, dann scheint die Gewaltsamkeit des Universums unvermeidlich. Die Krater, die den Mond entstellen, erinnern daran. Hunderttausende im All treibende Felsbrocken von der Größe eines Berges müssen seine Oberfläche im Laufe der Zeiten zerstampft haben. Auch die Erde muss getroffen worden sein – aber die Wunden unseres Planeten sind verheilt, weil unsere Welt lebt und ihre Vergangenheit tief unter ihrer sich ständig verändernden Oberfläche verbirgt.

Dennoch wird dir plötzlich klar, dass deine heimische Welt, trotz ihrer Fähigkeit, ihre Wunden zu heilen, in einem solchen Universum fast schutzlos ist …

Fast.

Nicht ganz. Denn sie hat jetzt uns. Sie hat dich.

Kollisionen wie die, die zur Geburt des Mondes geführt hat, gehören zum größten Teil der Vergangenheit an. Gegenwärtig gibt es keine verirrten Planeten, die unsere Welt bedrohen, nur Asteroide und Kometen – und der Mond schützt uns zum Teil vor solchen Gefahren. Doch Gefahren lauern überall, und als du das bläuliche, am dunklen Himmel hängende Bild der Erde betrachtest, steigt hinter dir plötzlich ein ungemein heller Lichtball auf.

Du drehst dich um und erblickst einen Stern. Er ist das hellste und gewalttätigste Objekt, das sich in der Nähe unseres Heimatplaneten befindet.

Wir haben ihm den Namen Sonne gegeben.

Diese Sonne ist 150 Millionen Kilometer von unserer Erde entfernt.

Sie ist die Quelle all unserer Macht.

Überwältigt von der schieren Lichtmenge, die von dieser außergewöhnlichen kosmischen Lampe ausgeht, lässt du den Mond hinter dir, um zu ihr hinzufliegen, zu unserem Stern, der Sonne, und um herauszufinden, warum sie leuchtet, warum sie «scheint».

3

Die Sonne

Wenn die Menschheit die Energie speichern könnte, die die Sonne in einer Sekunde abstrahlt, würde diese Menge genügen, um den Energiebedarf der ganzen Welt für eine halbe Milliarde Jahre zu decken. Doch während du unserem Stern immer näher kommst, wird dir klar, dass die Sonne nicht so groß ist, wie du sie auf deiner Zeitreise fünf Milliarden Jahre später, als sie ihr Ende erreichte, gesehen hast. Natürlich ist sie groß. Um die Relation deutlich zu machen: Hätte die Sonne den Umfang einer Wassermelone, so wäre die kleine Erde gut 43 Meter von ihr entfernt – und du bräuchtest eine Lupe, um sie zu erkennen.

Du befindest dich jetzt ein paar tausend Kilometer oberhalb der Sonne. Die Erde hinter dir ist nur ein heller Punkt. Vor dir füllt die Sonne den halben Himmel. Überall brechen Plasmablasen hervor. Unmittelbar vor deinen Augen werden Milliarden Tonnen ultraheißer Materie ausgestoßen; sie schießen durch deinen ätherischen Leib, während sich im Magnetfeld der Sonne riesige Schleifen von scheinbar zufälliger Gestalt bilden. Die Szenerie ist grandios, um das Mindeste zu sagen, und erregt fragst du dich, was die Sonne im Vergleich zur Erde so besonders macht. Was macht einen Stern zu dem, was er ist? Woher hat er seine Energie? Und warum um Himmels willen muss er eines Tages sterben?

Um das herauszufinden, stürzt du dich in die ungemütlichste Umgebung, die sich denken lässt: ins Herz der Sonne, das mehr als eine halbe Million Kilometer unter ihrer Oberfläche liegt. Zum Vergleich: Die Oberfläche der Erde ist etwa 6500 Kilometer von ihrem Zentrum entfernt.

Als du kopfüber in den gleißend hellen Glutofen springst, erinnerst du dich, dass alle Materie, die wir ein- und ausatmen, sehen oder berühren – auch die Materie, die dein wirklicher Körper enthält –, aus Atomen besteht. Atome sind die Bausteine von allem und jedem. Sie sind, wenn du so willst, die Legosteine, aus denen deine Umwelt zusammengesetzt ist. Im Unterschied zu Legosteinen sind Atome allerdings nicht rechteckig, sondern meistens rund, und sie bestehen aus einem dichten, kugelförmigen Kern, den in relativ großer Entfernung kleine Elektronen umschwirren. Ebenso wie Legosteine kann man Atome jedoch nach ihrer Größe klassifizieren. Das kleinste Atom ist das Wasserstoff-, das zweitkleinste das Heliumatom. Diese beiden machen ungefähr 98 Prozent aller bekannten Materie im bekannten Universum aus. Das ist eine Menge, aber es ist weniger, als es einmal war. Vor ungefähr 13,8 Milliarden Jahren, so glaubt man heute zu wissen, machten diese beiden Atome fast 100 Prozent aller bekannten Materie aus. Heute gibt es ja außer Wasserstoff und Helium zum Beispiel Stickstoff, Kohlenstoff, Sauerstoff und Silber. Diese Atome müssen also später entstanden sein. Wie? Du bist dabei, es herauszufinden.

Du tauchst tiefer und tiefer in die Sonne ein; die Temperatur steigt und wird irre heiß. Im Zentrum unseres Sterns beträgt sie 16 Millionen Grad Celsius. Vielleicht sogar mehr. In diesem Zentrum befinden sich jede Menge Wasserstoffatome, allerdings ohne die sie normalerweise umgebende Energie: Ihre Elektronen sind frei, die Kerne liegen nackt. Der Druck ist so hoch, diese Kerne sind so dicht gepackt infolge des Gewichts, mit dem der Stern auf seinem Zentrum lastet, dass sie sich kaum bewegen können, sondern gezwungen sind, miteinander zu größeren Kernen zu verschmelzen. Das, die Erschaffung großer Atomkerne aus kleineren – wir bezeichnen sie als Kernfusionsreaktion –, geschieht direkt vor deinen Augen.

Wenn sie fertig sind und den Glutofen verlassen, dem sie ihre Geburt verdanken, tun sich diese schweren Kerne mit den einsamen, frei beweglichen Elektronen zusammen, die von den Wasserstoffkernen abgestreift worden waren. Auf diese Weise entstehen neue, schwerere Atome: Stickstoff, Kohlenstoff, Sauerstoff, Silber und so weiter.

Damit eine Kernfusionsreaktion zustande kommt, ist eine gewaltige Menge Energie nötig, und diese Energie wird hier von der erdrückenden Schwerkraft der Sonne zur Verfügung gestellt, die Richtung Zentrum wirkt und alles ungeheuer komprimiert. Auf (oder in) der Erde ist eine solche Reaktion unter natürlichen Bedingungen nicht möglich, weil unser Planet dafür nicht groß und nicht dicht genug ist: weil seine Schwerkraft die nötige Temperatur und den nötigen Druck im Erdkern nicht erzeugen kann. Das ist auch der Hauptunterschied zwischen Planeten und Sternen: Sowohl diese als auch jene sind mehr oder minder runde kosmische Objekte, aber während Planeten klein sind und einen Kern aus Gestein haben, der manchmal von Gas umgeben ist, sind Sterne sozusagen gewaltige Kernfusionsreaktoren: Ihre Gravitationsenergie ist so groß, dass sie von Natur aus nicht anders können, als in ihrem Zentrum Materie zu schmieden. All die schweren Atome, aus denen die Erde besteht, all die Atome, ohne die es kein Leben gibt – also auch die Atome, die dein Körper enthält –, wurden einst im Zentrum eines Sterns geschmiedet. Wenn du atmest, atmest du welche ein. Wenn du deine Haut berührst oder die Haut eines anderen Menschen, berührst du Sternenstaub. Du hast dich gefragt, warum Sterne wie die Sonne sterben und explodieren müssen. Hier ist die Antwort: Sie müssen sterben, weil es sonst im ganzen All nur Wasserstoff und Helium gäbe. Weil die Materie, aus der wir bestehen, für immer in ewigen Sternen eingeschlossen und die Erde nicht entstanden wäre. Weil es Leben, wie wir es kennen, schlicht und einfach nicht gäbe.

Und da wir nicht nur aus Wasserstoff und Helium bestehen, sondern unsere Körper und alle anderen Dinge um uns herum auch Atome wie Kohlenstoff und Sauerstoff enthalten, wissen wir, dass unsere Sonne ein Stern zweiter oder gar dritter Generation ist. Eine oder zwei Generationen Sterne mussten explodieren, damit ihr Staub zu unserer Sonne, zur Erde und zu uns werden konnte. Was also ist es, was zu ihrem Tod geführt hat? Warum sind Sterne dazu verurteilt, ihr glanzvolles Leben in einer spektakulären Explosion zu beenden?

Eine der verblüffenden Eigenschaften einer Kernfusionsreaktion ist es, dass sie, auch wenn noch so viel Energie dafür nötig war – das Gewicht eines ganzen Sterns! –, noch mehr Energie freisetzt.

Der Grund dafür mag seltsam erscheinen, aber da eine solche Reaktion direkt vor deinen Augen geschieht, bleibt dir gar nichts anderes übrig, als ihn zu akzeptieren: Wenn zwei Atomkerne zu einem größeren verschmelzen, verschwindet ein Teil ihrer Masse. Der aus der Verschmelzung hervorgegangene Kern hat weniger Masse als die beiden, die ihn erschaffen haben, zusammen besaßen. Es ist, als wenn das Vermischen von einem Kilo Vanilleeis mit einem anderen Kilo Vanilleeis nicht zwei Kilo Vanilleeis ergäbe, sondern weniger.

Was in unserer Lebenswelt nicht geschehen würde, geschieht in der Welt der Atome ständig. Doch zu unserem Glück geht die Masse nicht verloren. Sie wird in Energie umgewandelt, und Einsteins berühmte Gleichung E = mc2 gibt dafür den Wechselkurs an.[2]

In unserer Lebenswelt sind wir mehr an Wechselkurse zwischen Währungen gewöhnt als an solche zwischen Masse und Energie. Stell dir also, um zu sehen, ob die Natur mit E = mc2 ein gutes Geschäft macht, vor, derselbe Wechselkurs würde dir am John F. Kennedy Airport angeboten, um Euro (die Masse, die du hast und gibst) gegen US-Dollar (die Energie, die du dafür erhältst) einzutauschen. Der Wechselkurs wäre dann c2, wobei ‹c› für die Lichtgeschwindigkeit stünde und ‹c2› für die mit sich selbst multiplizierte Lichtgeschwindigkeit. Für einen Euro würdest du 90 Millionen Milliarden Dollar erhalten. Nicht schlecht, würde ich sagen! Das ist der beste Wechselkurs, den es in der Natur gibt.

Natürlich ist die Masse, die nach jeder einzelnen Kernfusionsreaktion fehlt, ziemlich klein. Doch werden in jeder Sekunde so viele Atome im Herzen der Sonne miteinander verschmolzen, dass die freigesetzte Energie gewaltig ist und irgendwohin muss. Sie verlässt das Zentrum des Sterns und geht ins All, in alle Richtungen. Dadurch wirkt die aus dieser Kernfusion stammende Energie als Gegenkraft gegen die Schwerkraft, die alles ins Zentrum hinabdrückt, und stabilisiert so die Größe unseres Sterns. Wäre die Schwerkraft die einzige Kraft, würde die Sonne schrumpfen.

Bei Kernfusionen werden ungeheure Mengen Licht und Elementarteilchen emittiert, die alles um sie herum in sogenanntes Plasma, eine strahlende Suppe aus Atomkernen und Elektronen, verwandeln.

Diese Eruptionen von Licht, Hitze und Energie sorgen dafür, dass Sterne leuchten.

Als Stern ist die Sonne kein großer Feuerball, denn Feuer benötigt Sauerstoff, und obwohl die Sonne neben anderen schweren Elementen auch ihn erschafft, gibt es im Weltall nicht genügend freien Sauerstoff, der irgendein Feuer unterhalten könnte. Ein angerissenes Streichholz würde sich im Weltall nicht entzünden. Wie alle Sterne am Himmel ist die Sonne nur ein heller Ball aus leuchtendem Plasma, eine heiße Mischung aus freien Elektronen, aus Atomen, die einige ihrer Elektronen verloren haben (solche Atome werden Ionen genannt), und aus Atomen, die all ihre Elektronen verloren haben, aus nackten Atomkernen also.

Solange im Zentrum der Sonne ausreichend kleine Atomkerne vorhanden sind, die die Schwerkraft zusammendrücken kann, werden diese und die Fusionsenergie im Gleichgewicht bleiben. Wir haben das Glück, in der Nähe eines Sterns zu leben, der sich in einem solchen Zustand befindet.

Aber in Wirklichkeit hat das mit Glück natürlich nichts zu tun.

Befände unsere Sonne sich nicht in einem solchen Zustand, so gäbe es uns nicht.

Und wie du inzwischen weißt, wird die Sonne nicht ewig in diesem Zustand des Gleichgewichts bleiben: Eines Tages wird unserem Stern der atomare Brennstoff ausgehen. An diesem Tag wird es keine vom Zentrum ausstrahlende, nach außen drängende Kraft mehr geben, die es mit der Schwerkraft aufnehmen könnte. Die Schwerkraft wird übermächtig sein und den letzten Lebensabschnitt unseres Sterns einleiten: Die Sonne wird schrumpfen und an Dichte zunehmen, bis wieder eine Kernfusionsreaktion ausgelöst wird, aber nicht mehr im Zentrum, sondern näher an der Oberfläche. Diese neuerliche Fusionsreaktion wird nicht nur gleich stark sein wie die Schwerkraft, sondern stärker, so dass die Oberfläche der Sonne nach außen getrieben wird. Unser Stern wird größer werden – auf deiner Reise in die Zukunft hast du gesehen, wie das geschieht. Eine letzte Eruption von Energie wird dann den Tod ankündigen, den du miterlebt hast. Sie wird alle Atome, die die Sonne in ihrem Leben geschmiedet hat, ins Universum jagen und einige weitere erschaffen – die schwersten, zum Beispiel Gold. Schließlich werden sich diese Atome mit den Überresten anderer gestorbener Sterne in der Nähe vermengen und riesige Wolken Sternenstaub bilden, aus denen vielleicht in ferner Zukunft neue Planeten entstehen werden.

Aufgrund von Schätzungen der im Zentrum unseres Sterns noch vorhandenen Menge an Wasserstoff können die Wissenschaftler überschlagen, wann es zur Explosion kommen wird. Ihre Prognose: Die Sonne wird in ungefähr fünf Milliarden Jahren zerbersten – an einem Donnerstag oder bis zu drei Tage früher oder später.

4

Unsere kosmische Familie

Was du bisher über die Sonne erfahren hast, ist mehr, als irgendjemand vor der Mitte des 20. Jahrhunderts wusste. Alles Licht, das sich Tag für Tag über deinen Körper ergießt, stammt aus Atomen, die im Zentrum unseres Sterns geschmiedet, aus Teilen ihrer Masse, die in Energie umgewandelt werden. Die Erde ist jedoch nicht das einzige Objekt am Himmel, das von der Energie der Sonne profitiert.

In Nullkommanichts ist dein Geist zurück auf der brodelnden, heißen Oberfläche der Sonne, und du siehst dich mit Adleraugen um. Vor einem scheinbar unveränderlichen Hintergrund aus weit entfernten Sternen bewegen sich acht helle Punkte. Es sind Planeten: Kugeln aus Materie, die zu klein sind, um auch nur davon träumen zu können, eines Tages zum Stern zu werden. Die vier, die der Sonne am nächsten sind, sind klein und felsig. Dagegen bestehen die vier am weitesten entfernten Planeten zum größten Teil aus Gas. Verglichen mit der Sonne sind sie immer noch klein, aber verglichen mit der Erde, dem größten der vier kleinen, felsigen Planeten, sind sie Giganten. Abgesehen von der Erde jedoch ist keiner dieser Planeten und keiner ihrer mehreren hundert Monde eine mögliche Zuflucht für die Zukunft der Menschheit, obwohl sie alle derselben Staubwolke vor langer Zeit gestorbener Sterne entstammen. Sie alle unterliegen der Schwerkraft der Sonne und werden mit dem letzten Knall unseres Sterns dahin sein. Eine Zuflucht, wenn sich denn eine finden lässt, muss noch weiter entfernt liegen.

Daher drängt es deinen Geist, loszujagen und so weit wie möglich zu fliegen, um einen Blick auf das zu werfen, was außerhalb der Einflusssphäre der Sonne liegt. Unterwegs wirst du bei den vier entfernten Cousins unseres Planeten, den Giganten unserer kosmischen Familie, vorbeischauen.

Du bist jetzt ungefähr dreimal so weit von der Sonne entfernt wie die Erde. Merkur, Venus, Erde und Mars, die vier kleinen, felsigen Planeten, die der Sonne am nächsten sind, hast du hinter dir gelassen. Unseren Stern siehst du als leuchtenden Punkt von der halben Größe einer auf Armlänge entfernt gehaltenen Centmünze. Ein Julitag in Deutschland, der heißeste Tag des Jahres, wäre kälter als der kälteste Winter in der Antarktis, wenn die Erde sich hier befände.[3]

Das Sonnenlicht wird schwächer und schwächer, während du dich von unserem Stern entfernst.

Du schießt an einigen Felsbrocken vorbei, Überbleibseln aus den frühen Tagen der Entstehung unseres Planeten. Die meisten sind kartoffelförmige Asteroide, die zusammen den von den Astronomen so genannten Asteroidengürtel bilden, einen gewaltigen Ring von Felsbrocken, der die Sonne umgibt und die vier kleinen, terrestrischen Planeten von einer Welt aus Giganten trennt. Die Felsbrocken selbst sind ziemlich weit voneinander entfernt; während du den Gürtel durchfliegst, merkst du, dass die Wahrscheinlichkeit, mit einem von ihnen zusammenzustoßen, minimal ist. Viele Satelliten von Menschenhand sind unfallfrei zwischen ihnen hindurchgeflogen.

Nachdem du den Asteroidengürtel hinter dir gelassen hast, fliegst du am Jupiter, am Saturn, am Uranus und am Neptun vorbei, an den Gasgiganten, riesigen Planeten mit relativ kleinen, felsigen Kernbereichen, die tief unter gewaltigen turbulenten Atmosphären verborgen sind. All diese Planeten scheinen mit einem großartigen Ringsystem gesegnet, wobei das des Saturn weit größer und schöner ist als die der anderen zusammen.

Du fliegst an diesen Giganten vorbei und betrachtest sie dabei mit dem Respekt, den sie verdienen, auch wenn es auf ihnen kein Leben geben kann.

Wenn du erwartet hast, jenseits des Neptun, jenes Planeten, der die Sonne in der größten Entfernung umkreist, nichts mehr zu sehen, dann hast du dich getäuscht. Du stößt auf einen weiteren Gürtel! Er besteht aus schmutzigen Schneebällen aller Arten und Größen, die wahrscheinlich ebenfalls Nebenprodukte der Geburt unseres Sonnensystems sind, also aus der Zeit stammen, als sich seine gegenwärtigen Mitglieder aus dem Staub längst dahingegangener, explodierter Sterne zusammensetzten. Dieser Gürtel ist der sogenannte Kuipergürtel. Die Sonne ist von hier aus gesehen so groß wie ein Stecknadelkopf und nur noch ein Stern unter anderen. Wärme ist in diesen fernen Bereichen des Weltalls kaum noch spürbar, aber es tut sich etwas.

Von Zeit zu Zeit gerät einer dieser schmutzigen Schneebälle aufgrund einer Kollision oder anderen Erschütterung aus seiner stillen, fernen Bahn um die Sonne und wird unserem Stern zugetrieben. Er rast also auf die Sonnenstrahlung zu, kommt dadurch langsam in wärmere Gefilde und fängt an zu schmelzen. Dabei zieht er lange Schwänze aus kleinen eisigen Felsbrocken hinter sich her, die in der Dunkelheit leuchten: Er wird zu einem jener Wunder am Himmel, die wir als Kometen bezeichnen. Auf einem von ihnen landete im November 2014 Philae, der robuste Roboter der Europäischen Weltraumorganisation ESA, mit dem Auftrag, seine Oberfläche zu untersuchen. Die Raumsonde Rosetta, die ihn dorthin gebracht hatte, folgt dem Kometen gegenwärtig auf seinem Weg Richtung Sonne, um zu beobachten, wie sich seine äußersten Schichten in Gas verwandeln.

Der arme Pluto, der seinen Planetenrang vor kurzem verloren hat und zu einem Zwergplaneten herabgestuft wurde, ist ebenfalls Teil dieses eisigen Gürtels, zusammen mit (mindestens) zwei weiteren Zwergen namens Haumea und Makemake. Es ist eine komische Vorstellung, dass Pluto mit seinem Mond Charon so weit von der Sonne entfernt ist und für einen einzigen Umlauf um sie eine so große Strecke zurücklegen muss, dass zwischen dem Zeitpunkt, da er entdeckt und als Planet eingestuft wurde, und dem Zeitpunkt, da er, 76 Erdenjahre später, diesen Rang wieder verloren hat, weniger als eines seiner eigenen Jahre vergangen war. Die Astronomen hatten Jahrzehnte gebraucht, um zu erkennen, dass er nur ein Viertel Mal so groß ist wie unser Mond. Natürlich hat die Degradierung den schmutzigbraunen Pluto, an dem du jetzt vorbeifliegst, nicht im Mindesten berührt. Während du dich weiter aus dem sicheren Schutz unseres leuchtenden Sterns entfernst,[4] kreuzen noch mehr Zwerge und Kometen deinen Weg, und du siehst gefrorene Planeten, die noch kein Mensch entdeckt hat. Aber dann gilt deine ganze Aufmerksamkeit einer gigantischen Sphäre, die alles in den Schatten stellt, was du bisher gesehen hast.

Alle Planeten, Zwergplaneten, Asteroiden und Kometen, die du gesehen hast, liegen mehr oder minder auf einer Scheibe mit der Sonne im Zentrum. Für das, was du jetzt siehst, gilt das nicht. Milliarden und Abermilliarden potentieller Kometen bilden eine gewaltige kugelförmige Wolke – die sogenannte Oort‘sche Wolke –, die den ganzen Raum zwischen der Sonne und dem Bereich, in dem es andere Sterne gibt, einzunehmen scheint.

Die Größe dieser Wolke ist atemberaubend.

Sie markiert die Grenze der Einflusssphäre unseres Sterns, die alle Mitglieder unserer kosmischen Familie enthält, einer Familie, die als Sonnensystem bezeichnet wird.

Jenseits davon trittst du in unerforschte Bereiche ein und näherst dich jenem Stern, von dem du glaubst, er liege dem unseren am nächsten. Er wurde 1915 entdeckt, also vor gut hundert Jahren, als wir anfingen, unser Universum zu verstehen. Der Name dieses Sterns ist Proxima Centauri.

5

Jenseits der Sonne

Dein Körper liegt noch immer an einem Strand irgendwo auf unserem Planeten, aber dein Geist ist jetzt so weit von der Erde entfernt, wie es nur je ein Objekt von Menschenhand gewesen ist.[5] Als du den Rand der Oort‘schen Wolke überschritten hast, hast du das Sonnensystem verlassen und bist in den Einflussbereich eines anderen Sterns eingetreten. Beim Überqueren dieser unscharfen Linie hast du gesehen, dass einige Kometen am äußersten Rand des Sonnensystems, wie um dir zu verstehen zu geben, was diese Grenze bedeutet, die Umlaufbahn wechselten: Aus einer weiten Bahn um die Sonne wurde eine weite Bahn um einen anderen Stern, auf den du jetzt zusteuerst: Proxima Centauri.

Proxima Centauri gehört zu einer Familie von Sternen, die als rote Zwerge bezeichnet werden. Er hat nur ungefähr ein Siebtel des Umfangs und der Masse der Sonne und – daher sein Familienname – eine tiefrote Färbung. Rote Zwerge gibt es wie Sand am Meer; die Wissenschaftler glauben, dass die meisten Sterne am Himmel zu dieser Familie gehören.

Während du Proxima immer näher kommst, siehst du dramatische Veränderungen seiner Helligkeit und gewaltige Mengen glühend heißer Materie, die er in unvorhersehbarer Weise ausstößt.

Gibt es Planeten um diesen cholerischen roten Zwerg herum?

Du siehst keine. Also anscheinend nicht.

Das ist eine Schande. Denn obwohl es sehr schwer wäre, auf einem Planeten, der Proxima umkreist, ein angenehmes Leben zu führen, könnte eine hier entstehende Zivilisation für eine sehr, sehr lange Zukunft planen. Wenn unser Stern, die Sonne, explodiert, wird sich Proxima noch kein bisschen verändert haben. Soweit wir wissen, wird er mit seiner jetzigen Leuchtkraft etwa 300-mal so lange leuchten, wie das Universum heute alt ist. Eine lange Zeit!

Aber warum dieses lange Leben?

Nun, da Proxima kleiner ist als die Sonne, verschmelzen die winzigen Atomkerne, die ihn ausmachen, sehr viel langsamer zu größeren als im Zentrum unseres Sterns. Bei Sternen kommt es durchaus auf die Größe an: je größer der Stern, umso kürzer sein Leben. Für die Planeten hingegen, die die Sterne umkreisen, ist Entfernung entscheidend. Ein Planet kann nur dann flüssiges Wasser auf seiner Oberfläche haben und damit Leben, wie wir es kennen, ermöglichen, wenn er nicht zu kalt und nicht zu heiß ist. Und dafür darf er dem Stern, den er umkreist, weder zu nah noch zu fern sein. Die Zone um einen Stern herum, in der es permanent flüssiges Wasser auf der Oberfläche eines Planeten geben kann, wird als habitable Zone bezeichnet. Was wäre also, wenn du einen roten Zwerg fändest, den ein der freundlichen Erde ähnlicher Planet in der richtigen Entfernung umkreist? Dann könnte dieser Planet fast in alle Ewigkeit bestehen …

Da du dich ein bisschen schuldig fühlst, diesen Gedanken gedacht zu haben, möchtest du einen Blick auf dein heimisches Sonnensystem, auf deine heimische Welt werfen und drehst dich um – in der Erwartung, dass die Sonne alle anderen hellen Punkte am Himmel überstrahlen werde. Aber sie tut es nicht, und mit einem Schlag wird dir die schiere Dimension der kosmischen Entfernungen klar.

Wenn du nicht reiner Geist wärest, sondern ein Astronaut aus Fleisch und Blut: Wie lange würde dann, fragst du dich, ein Signal von hier nach Hause unterwegs sein?

Hättest du ein interstellares Handy bei dir, so könntest du versucht haben, auf jeder deiner Stationen Freunde anzurufen, um ihnen von deinen Entdeckungen zu erzählen. Handys wandeln die menschliche Stimme in Signale um, die mit Lichtgeschwindigkeit dahinsausen und so den Anschein erwecken, Telekommunikation sei auf der Erde ohne jede Zeitverzögerung möglich. Doch im Weltall sind dafür in der Regel die Entfernungen zu groß. Vom Mond aus benötigt Licht ungefähr eine Sekunde bis zur Erde und eine weitere für den Weg zurück. Hättest du, als du auf unserem Trabanten warst, einen Freund auf der Erde gefragt, ob er dich mit einem Fernglas sehen könne, dann hätte dich seine Antwort zwei Sekunden später erreicht.

Nicht so auf der Sonne. Licht benötigt ungefähr acht Minuten und zwanzig Sekunden für den Weg von der Sonne zur Erde. Gespräche würden also schwierig werden, weil man nach einer Frage mehr als sechzehn Minuten auf die Antwort warten müsste. Aber in kosmischen Maßstäben liegt die Sonne immer noch nebenan. Ein Anruf von dort, wo du jetzt bist, nahe Proxima Centauri, würde zunächst ein Signal senden, das ein Telefon auf der Erde erst vier Jahre und zwei Monate später klingeln ließe. Eine Antwort auf eine Frage würde dich also nach sage und schreibe acht Jahren und vier Monaten erreichen!

Du bist erst bis zu dem Stern gekommen, der – nach der Sonne – der Erde am zweitnächsten ist, aber du hast das Gefühl, schon sehr weit weg zu sein von Zuhause. Um nicht verloren zu gehen, suchst du nach etwas, woran du dich orientieren kannst.

Du erinnerst dich an die schöne Milchstraße, die du vom Strand auf deiner tropischen Insel aus gesehen hast, und blickst dich nach ihr um. Wo mag dieser diffuse weiße Lichtfleck jetzt liegen? Du erkennst ihn sofort, aber zu deiner großen Überraschung stellt er sich nicht mehr als breite gerade Linie dar, sondern als verkanteter Ring, bei dem einige Bereiche heller sind als andere. Du selbst befindest dich irgendwo in seinem Innern, und dir wird klar, dass die Milchstraße von der Erde aus nur deshalb streifenförmig aussah, weil die Erde unter deinen Füßen den größten Teil von ihr verbarg.

Ohne weiter darüber nachzudenken, steuerst du, nachdem du keinen Planeten im Umkreis von Proxima Centauri gesichtet hast, direkt den hellsten Bereich der Milchstraße an.

Was du noch nicht weißt: Du reist jetzt ins Zentrum einer Ansammlung von etwa 300 Milliarden Sternen, die als Galaxie bezeichnet wird.

6

Ein kosmisches Monster

Im Zentrum einer 300 Milliarden Sterne umfassenden Ansammlung, das dürfte dir klar sein, muss etwas ganz Besonderes liegen. Denk an die Erde: Ihr Zentrum ist der dichteste, heißeste und ungemütlichste Bereich in ihr. Denk an das Sonnensystem: Sein Zentrum, die Sonne, ist der dichteste, heißeste und ungemütlichste Bereich in ihm. Vielleicht beweist das nichts, aber es deutet darauf hin, dass es wahrscheinlich auch mit dem Zentrum einer Galaxie etwas Besonderes auf sich hat. Etwas ganz Besonderes.

Du fliegst in Gedankenschnelle an Zigmillionen Sternen vorbei. Einige sind viel größer als die Sonne und werden daher noch eher sterben müssen als sie, andere sind winzig und werden deshalb unvorstellbar lange leuchten. Du fliegst auch durch stellare Kinderstuben, Staubwolken, die aus den Überresten Hunderter explodierter Sterne bestehen, und durch stellare Friedhöfe, die darauf warten, sich zu vereinigen und zu stellaren Kinderstuben zu werden. Dann bist du plötzlich da, nahe dem galaktischen Zentrum, was immer darunter zu verstehen ist, und machst Halt. Unmittelbar vor dir befindet sich wieder ein Ring. Ein sich drehender, farbenprächtiger Ring aus verstreuter Materie. Bei näherem Hinsehen erkennst du, dass er aus Gas und aus Milliarden von Felsbrocken und Kometen besteht, die sich alle um eine dicke, Donut-förmige Quelle hellen, energiereichen Lichts bewegen.

Was ist hier los? Was sind das für Fels- und Eisbrocken? Du lässt deinen Blick etwas weiter schweifen und denkst plötzlich: Das kann nicht wahr sein! Nicht nur lose Felsbrocken kreisen da, sondern auch Sterne. Ganze Sterne. Nicht Planeten, nein Sterne! Und sie bewegen sich schnell.

Einer von ihnen gilt heute als das schnellste bekannte Objekt im Universum. Sein Name: S2 oder Source 2. Von der Erde aus haben Wissenschaftler festgestellt, dass er für einen vollständigen Umlauf um den Donut nur fünfzehneinhalb Jahre benötigt. Bei der Strecke, die er dafür zurücklegen muss, bedeutet das, dass er mit einer Geschwindigkeit von erstaunlichen 17,7 Millionen Kilometern pro Stunde unterwegs ist. Wie ist das möglich? Welche Bestie hat genug Schwerkraft, um ein solches blitzschnelles Objekt an sich zu binden? Ist es überhaupt möglich, eine solche Kraft zu entwickeln?

Stell dir eine Murmel und eine Salatschüssel vor.

Wenn du die Murmel zu langsam an der Innenwand der Salatschüssel entlanglaufen lässt, liegt sie wenig später auf deren Boden. Wenn du sie zu schnell laufen lässt, schraubt sie sich empor, verlässt die Schüssel und macht, wenn du Pech hast, in deiner Küche etwas kaputt. Wenn du sie aber mit der richtigen Geschwindigkeit laufen lässt, dreht sie zwischen Rand und Boden einige Runden, bis die Reibung zu viel von ihrer Geschwindigkeit in Wärme umwandelt und ihren Lauf verlangsamt.

Jetzt stell dir vor, die Murmel sei der superschnelle Stern S2 und es gebe eine unsichtbare Schüssel, die ihn in der Umlaufbahn um das hält, was im Innern des hellen Donut liegt. Im Weltall gibt es keine Reibung, also auch keinen Grund, warum der Stern irgendetwas von seiner Energie verlieren sollte.[6] Wir können daher aus der Geschwindigkeit von S2 auf die Form der Schüssel schließen und auf die Masse, die auf ihrem Boden liegt.

Diese ziemlich einfache Rechnung ist von Wissenschaftlern viele Male gemacht worden, und sie hat immer zu einem unglaublichen Ergebnis geführt: Um ein Gravitationsfeld zu schaffen, das stark genug ist zu verhindern, dass S2 ins Weltall geschleudert wird, ist die Masse von mehr als 4 Millionen Sonnen nötig. Das wäre ein gigantischer Stern!

Aber es gibt da ein Problem: Im Zentrum der Umlaufbahn von S2 ist kein Stern zu entdecken. Du kannst noch so genau hinsehen, du wirst keinen finden.

Um herauszubekommen, was dieses Objekt mit der Masse von 4 Millionen Sonnen ist, das S2 am Davonfliegen hindert, haben Wissenschaftler Teleskope entwickelt, die besondere, für das menschliche Auge unsichtbare Formen von Licht registrieren können, nämlich UV-Licht, und, um ein eindrucksvolleres Bild zu erhalten, Röntgenstrahlen, die nach den Gammastrahlen energiereichste Form von Licht, die wir kennen. Auch mit einem solchen Teleskop können sie kein Objekt sehen, wohl aber energiereiche Eruptionen von Licht, die von einem winzigen Ort innerhalb des Rings ausgehen. Was S2 am Davonschießen hindert, ist also nicht nur kein Stern, es ist auch nicht entfernt so groß, wie zu erwarten wäre. Daher haben die Wissenschaftler nur eine Antwort auf die Frage, was sich dort verbergen mag: ein schwarzes Loch. Und zwar ein supermassereiches.

Die Wissenschaftler bezeichnen es als Sagittarius A (sprich: Sagittarius A Stern). Leider können sie es von der Erde aus nicht präzise erforschen, da die Sterne und die Unmengen Staub und Gas, die zwischen ihm und unserem Planeten liegen, den Blick auf seine Umgebung verstellen.[7]

Du aber bist direkt vor Ort, und wenn du dich fragst, was diese Eruptionen energiereichen Lichts auslöst, die von Teleskopen auf der Erde entdeckt werden können, dann bist du kurz davor, es herauszufinden.

Doch fühlst du dich in unmittelbarer Nähe eines unsichtbaren Monsters verständlicherweise nicht sehr sicher. Wer weiß, wozu ein schwarzes Loch imstande wäre? Könnte es deinen Geist verschlingen, so dass er stecken bliebe in diesem Loch und, statt sich irgendwann mit deinem Körper wieder zu vereinigen, alles hinter sich lassen müsste, was dir vertraut ist? Oder könnte es einen verborgenen Durchgang geben, eine Tür, die zu einem anderen Universum, einer anderen Wirklichkeit führt, von der du manchmal Leute hast sprechen hören?

Da du nicht weißt, was du tun sollst, starrst du auf die Milliarden winziger Staubpartikel und kleiner Gesteinsbrocken, aus denen der helle Ring besteht.

Keine Minute später fliegt ein riesiger kartoffelförmiger Asteroid mit einer Geschwindigkeit von 1 Million Kilometern pro Stunde an dir vorbei. Du beobachtest ihn genau. Während er durch den Ring rast, siehst du, wie er infolge der vom Staub des Rings verursachten Reibung verglüht und sich in winzige Flocken geschmolzener Materie auflöst. Wie ein kleiner Felsbrocken, der in die Erdatmosphäre eintritt, zu einer Sternschnuppe werden und gänzlich verglühen kann, ohne die Oberfläche unseres Planeten zu erreichen, so verschwindet der Asteroid, lange bevor er erreichen konnte, was im Zentrum des Donuts liegt.

Als du dich wieder umdrehst, um zu sehen, was noch so geschieht, kommt wieder etwas auf dich zu, aber diesmal mehr als nur ein großes Stück Gestein: ein Stern! Ein großer, leuchtender, grimmiger Stern. Wie S2. Aber noch größer. Wird auch er verglühen, oder kommt er durch? Du siehst ihn in sein Schicksal eintauchen und den Donut schräg durchfliegen. Er befindet sich jetzt innerhalb des Rings und außer Sichtweite, erscheint aber sofort, nach einer halben Umrundung, wieder, wenn auch seltsam entstellt. Er fliegt weiter hinab und scheint dabei unter gewaltigen Spannungen zu stehen. Planetengroße Stücke werden aus ihm herausgerissen. Du versuchst, ruhig zu bleiben, und betest, dass nichts zu befürchten ist, aber du kannst nicht verhindern, dass deine Gedanken plötzlich matt und schwer werden und sich vorbereiten auf eine Katastrophe von unvorstellbaren Ausmaßen …

Bisher warst du ätherisch, reiner Geist, und hast die Kräfte, die das Universum beherrschen, nicht wahrgenommen. Das ist jetzt anders. Beladen mit schweren Gedanken, bist du der Schwerkraft unterworfen und befindest dich im Machtbereich ihres Gebieters. Du wirst gegen deinen Willen nach innen gezogen, wirst eingesogen, als glittest du einen unsichtbaren glatten Abhang hinab. Du durchquerst den Ring aus erhitzter Materie und gelangst in die Nähe des stürzenden, jetzt in Stücke gerissenen Sterns, der zu einer gleißenden Schwinge aus weiß glühendem Plasma zerplatzt. Die schraubt sich nach unten und reißt dich mit sich hinab, auf das noch immer unsichtbare schwarze Loch zu.

Natürlich sind all deine Ängste berechtigt. Hunderte von Milliarden und Abermilliarden Tonnen Plasma stürzen mit dir in die Tiefe. Dein Herz schlägt wie wild, während du dich schneller und immer schneller hinabschraubst, bis – bis eine ungeheure Kraft dich wieder hinauswirbelt. Was übrig geblieben ist von dem Stern, seine Materie, wird in reine Energie, in zwei Strahlen von außerordentlicher Kraft umgewandelt. Verwirrt fragst du dich, ob du eben in eine Parallelwelt gerutscht warst, die sich in dem schwarzen Loch befindet, erkennst aber rasch, dass das nicht der Fall war und dass du dich entfernst von dem Monster, ausgestoßen oder verstoßen vom Gebieter der Masse. In weiter Entfernung ist jetzt wieder der gigantische Ring der Milchstraße sichtbar.

Wie jene Murmel, die zu schnell an der Wand einer Salatschüssel entlanglief, bist du – wie auch der Staub des zerfallenen Sterns – vor dem Erreichen dessen, woraus das schwarze Loch besteht, hinausgeschleudert worden. Du bist mit zu großer Geschwindigkeit hineingestürzt und daher hinauskatapultiert worden, bevor du das unsichtbare Monster erreichen konntest, und genauso ist es dem Stern geschehen, dessen Materie dabei in zwei Strahlen der energiereichsten Formen von Licht, die die Menschheit kennt, nämlich Röntgenstrahlen und Gammastrahlen, umgewandelt wurde. Der eine schießt hinauf, der andere hinab, wie die Lichter zweier Leuchtfeuer, die nicht nur die gähnende Leere zwischen den Sternen der Milchstraße, sondern noch größere leere Räume weiter draußen erreichen sollen.