Das Universum in einem Staubkorn - Joseph Scheppach - E-Book

Das Universum in einem Staubkorn E-Book

Joseph Scheppach

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Beschreibung

Winzige, unscheinbare Phänomene wie die Wollmaus unter dem Sofa verbinden sich mit kosmischen Dimensionen. Ein ganzes Universum eröffnet sich dem interessierten Laien, betrachtet man den Staub mal völlig frei vom Gefühl der Vergeblichkeit beim Putzen und Saugen. Die Spurensuche auf dieser einzigartigen Entdeckungsreise durch Raum und Zeit beginnt bei der Frage nach unserer »Personal Cloud«, der ganz persönlichen Staubwolke, die jeden von uns umgibt. Woher kommt der Staub? Nach welchen Gesetzen verbindet er sich? Und wie können wir uns diesen faszinierenden Stoff zunutze machen?

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Buch

Winzige, unscheinbare Phänomene wie die Wollmaus unter dem Sofa verbinden sich mit kosmischen Dimensionen. Ein ganzes Universum eröffnet sich dem interessierten Laien, betrachtet man den Staub mal völlig frei vom Gefühl der Vergeblichkeit beim Putzen und Saugen. Die Spurensuche auf dieser einzigartigen Entdeckungsreise durch Raum und Zeit beginnt bei der Frage nach unserer »Personal Cloud«, der ganz persönlichen Staubwolke, die jeden von uns umgibt. Woher kommt der Staub? Nach welchen Gesetzen verbindet er sich? Und wie können wir uns diesen faszinierenden Stoff zunutze machen?

Autor

Joseph Scheppach, geboren 1952, ist Wissenschaftsjournalist und Autor zahlreicher Bücher im Bereich Natur und Technik. Er schreibt unter anderem für die Magazine Natur, mare und Technology Review. 2020 erschien sein Buch über die Menschenrechtsaktivistin Asia Bibi. 2009 veröffentlichte er, noch vor dem Nature-Writing-Trend, das in mehrere Sprachen übersetzte Sachbuch »Das geheime Bewusstsein der Pflanzen: Botschaften aus einer unbekannten Welt«. Er lebt in Schäftlarn bei München.

JOSEPH SCHEPPACH

DAS UNIVERSUMIN EINEMSTAUBKORN

Eine kurze Geschichte des Staubs vom Wohnzimmer bis ins Weltall

Alle Ratschläge in diesem Buch wurden vom Autor und vom Verlag sorgfältig erwogen und geprüft. Eine Garantie kann dennoch nicht übernommen werden. Eine Haftung des Autors beziehungsweise des Verlags und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- und Vermögensschäden ist daher ausgeschlossen.

Wir haben uns bemüht, alle Rechteinhaber ausfindig zu machen, verlagsüblich zu nennen und zu honorieren. Sollte uns dies im Einzelfall aufgrund der schlechten Quellenlage bedauerlicherweise einmal nicht möglich gewesen sein, werden wir begründete Ansprüche selbstverständlich erfüllen.

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Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Originalausgabe August 2023

Copyright © 2023: Joseph Scheppach

Copyright Originalausgabe © 2023: Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Michael Meller Literary Agency GmbH, München

Umschlag: Uno Werbeagentur, München

Umschlagmotive: Staubwedel: GettyImages/The Image Bank/Steven Puetzer Erde, Weltall: Finepic, München

Redaktion: Hendrik Heisterberg

Satz und E-Book Produktion: Satzwerk Huber, Germering

GS ∙ CB

ISBN 978-3-641-30393-8V001

www.goldmann-verlag.de

Für Ingrid

INHALT

Einleitung

1. Am Anfang war der Staub

2. Staub – Grundstoff menschlicher Kulturen

3. Die große Staub-Rechnung

4. Mein Staub-Exposom und ich

5. Der staubige Mini-Zoo

6. Die DNA des Staubs

7. Blütenstaub – die kostbarste Verführung der Natur

8. Von Bücherskorpionen und Staub-Tagebüchern

9. Der Staub des Sisyphos

Extra: Das Feinstaub-ABC

10. Staub – Klimakiller oder Klimaretter?

11. Wie das Staub-Gedächtnis der Erde schwindet

12. Wüstenstaub bringt Leben, Tod und – Gold

13. Vulkane – Staub, der Geschichte schreibt

14. Die Staubhändler

15. Der Mann, der den Staub austrickste

16. Ein Staubkorn – Blick in den Kosmos

17. Die Jäger des Sternenstaubs

18. Schwarze Löcher – gigantische Staubmonster

19. Staub zu Staub

Danksagung

Literaturhinweise

Register

EINLEITUNG

Machen Sie bitte folgendes Experiment: Verdunkeln Sie Ihr Zimmer und lassen Sie durch Jalousie oder Vorhang nur einen einzigen Sonnenstrahl durchs Fenster fallen. Dann erleben Sie ein kapriziöses Ballett von Millionen winziger Tänzer. Staunend betrachte ich diesen Taumel: Staub, der unermüdlich wiederkehrt und unbesiegbar scheint.

»Wenn man die Stäubchen nur festhalten könnte. Wie Schmetterlinge fixieren …«, wünschte sich der verstorbene Dichter Hans Magnus Enzensberger in seiner »Ballade vom Staub«. »Ach, sie sind so flüchtig und schweben so leicht!«

Ich habe mich gefragt, wie viel Staub es wohl gibt auf der Welt. Ich weiß nicht, wie es Ihnen beim Lesen des vierten Kapitels ergehen wird – für mich waren die Mengen schlichtweg unfassbar. Die rätselhafte Rolle, die dieser Staub beim Klima spielt (10. Kapitel), hat mich umso neugieriger gemacht, als ich auf Staubjäger stieß, die kosmische Partikel mit Raumsonden verfolgen (16. Kapitel) oder von Dächern kratzen (17. Kapitel).

Dass die chemischen Elemente in unserem Körper aus kosmischem Staub »gebacken« wurden, hat mich zu weiteren Fragen angeregt: Warum ist das Staubkorn so klein? Warum ist das Universum so groß? Die Antworten sind verwirrend und Ehrfurcht gebietend zugleich.

In Einschüben zwischen den Kapiteln habe ich versucht, Antworten auf weitere Fragen zu finden. Auf die philosophische Frage: Ist Staub gar keine Materie, sondern Energie? Auf die esoterische Frage: Haben Außer-irdische einen anderen Staub? Und auf die alltägliche Frage: Warum gibt es im Winter mehr Staub?

Sie können in diesem Buch mehr über Ihre persönliche Staubwolke erfahren und über die Gefahren von Feinstaub. Sie begegnen dem kostbarsten Staub der Natur – dem Blütenstaub –, und Sie treffen auf Menschen, denen Staub kostbar ist, weil sie damit Geld verdienen. Ohne diese Staub-Experten wäre auch dieses Buch nicht möglich, denn sie fabrizieren den unsichtbaren Trennmittelstaub auf dem Papier, das Sie gerade in Händen halten, sofern Sie kein E-Book lesen. Trennstaub? Mehr über diesen Staub, den Sie in der Pelle Ihrer Leberwurst genauso wiederfinden wie in der Windschutzscheibe Ihres Autos, erfahren Sie auf den folgenden Seiten.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen beim Lesen.

1. AM ANFANG WAR DER STAUB

Wo soll man beginnen mit der Milliarden Jahre alten Geschichte des Wichtigsten, was es im Weltall gibt? Fangen wir mit einer Erkenntnis an, über die sich der britische Kosmologe Fred Hoyle lustig machte. Im Jahr 1929 hatte der amerikanische Astronom Edwin Powell Hubble entdeckt, dass sich im Himmel alles auseinanderbewegt. Seine Kollegen folgerten logisch, dass irgendwann einmal alles in einem Punkt verbunden sein musste. Von dort wurde alles erzeugt. Als handle es sich um einen Silvesterkracher, sprach Hoyle spöttisch vom »Big Bang«. Er konnte nicht ahnen, dass seine ironische Metapher die Kosmologie des 20. Jahrhunderts prägen würde.

»Urknall« nennen Forschende das Phänomen, das vor rund 13,8 Milliarden Jahren zündete. Die Ursachen sind bis heute rätselhaft, der Ablauf aber ist genau bekannt: Die Formeln der Astrophysiker besagen, dass die Materie des Universums drei Minuten nach dem Big Bang aus 75 Prozent Wasserstoff und 25 Prozent Helium bestand, angereichert mit den Leichtmetallen Lithium und Beryllium. Diese Zusammensetzung wird im heutigen Universum beobachtet – eine Bestätigung der Urknalltheorie.

Am Anfang gab es keinen Staub, nur sogenanntes primordiales Gas. Es ist nicht leicht zu entzünden. So konnten sich Gasmassen schwerlich zu Sternen zusammenballen. Denn wenn sich Gas zusammenballt, heizt es sich auf, und dieser Hitze wirkt die Schwerkraft entgegen. »Erst als sich 100 Sonnenmassen oder mehr angesammelt hatten, war die Schwerkraft groß genug, um den Kern so stark zusammenzudrücken, dass die Kernfusion zündete: Nun war der Stern geboren«, schreiben Volker Bromm und seine Kollegen von der Universität Texas. »Unsere Simulationen zeigen, dass sich die Sterne der ersten Generation grundlegend von den heutigen Sternen unterschieden: Sie waren durchschnittlich einige Hundert Mal massereicher und mehrere Millionen Mal heller als unsere Sonne. Ihre energiereiche Strahlung durchdrang das umgebende Gas und heizte es auf. Ein einziger dieser Megasterne konnte um sich herum eine heiße Blase von bis zu 15 000 Lichtjahren Durchmesser erzeugen. Zum Vergleich: Unsere Milchstraße hat einen Durchmesser von 100 000 Lichtjahren.«

Im Wettstreit der Kräfte hatte die Hitze gegenüber der Gravitation zunächst die Oberhand. Erst in Galaxien der zweiten Generation, wie der Milchstraßen-Galaxis, gab es Staub, der jene Hitze abführen konnte. Dieser Staub bestand aus schweren Elementen, die sich auch in unserem Körper wiederfinden. Sie entstanden bei der Explosion der Gasgiganten der ersten Generation und sind mit Grillanzündern vergleichbar: Sie brennen sehr schnell und heftig, geben viel Energie ab und verglühen rasch. Ist ihr Brennstoff aufgebraucht, stürzen sie in sich zusammen. Ihr Leben endet in einer ungeheuerlichen Explosion, einer Hypernova.

Dies alles klingt wie etwas, das vor langer Zeit und in weiter Ferne passiert ist – und für den Stoff, aus dem wir gemacht sind, war es das auch. Aber der Prozess ist immer noch im Gange: Ein vor wenigen Jahrzehnten verstorbener Stern in der Großen Magellanschen Wolke, nur eine Galaxie von der Milchstraße entfernt, lieferte Astronomen den Beweis dafür, dass sich alles so abgespielt hat, wie sie es in ihren Theorien beschrieben haben. Mit Hilfe der 64 zusammengeschalteten Antennen des ALMA-Teleskops (Atacama Large Millimeter/submillimeter Array), das sich in der Atacama-Wüste im Norden Chiles befindet, haben Astronomen eine Staubwolke analysiert, die sich nach einer gigantischen Supernova-Explosion zusammenbraute.

Die Geburt der Elemente

Diese kosmische Detonation wurde 1987 entdeckt – die erste mit bloßem Auge sichtbare Supernova, seit Johannes Kepler im Jahr 1604 ein solches Ereignis beobachtet hatte. Die Astronomen richteten ihre Teleskope auf den sterbenden Stern und beobachteten, wie der anfängliche Blitz verblasste und die Schockwelle der Explosion sich nach außen in einer Wolke ausbreitete. Von dieser Wolke erhofften sich die Astronomen die Antwort auf das alte astronomische Rätsel: Erzeugen Supernova-Explosionen wirklich Staub, der aus chemischen Elementen besteht? Wurden die meisten Elemente in unserem Körper, in der Luft, die wir atmen und im Gestein unter unseren Füßen tatsächlich im Inneren eines Sterns erzeugt?

Tatsächlich: Mit Hilfe des ALMA-Teleskops entdeckten die Astronomen endlich den Staub, den sie erwartet hatten. »Wirklich frühe Galaxien sind unglaublich staubig, und dieser Staub spielt eine wichtige Rolle bei der Entwicklung von Galaxien«, so Mikako Matsuura vom University College London in einer Presseerklärung. »Heute wissen wir, dass im frühen Universum der meiste Staub von Supernovae stammt. Endlich haben wir direkte Beweise, die diese Theorie stützen.«

Sie besagt, dass im Inneren gigantischer Sterne Wasserstoff und Helium zu Kohlenstoff fusionierte und so die ersten Staubkörner gebar. »Es waren winzige Partikel, kleiner als der Durchmesser eines Haares«, sagt Nye Evans von der britischen Keele University. »Obwohl so winzig, enthält jeder dieser Staubbälle aber Millionen von Kohlenstoff-Stäubchen.« Wie es dazu gekommen ist, versetzte sogar den Urknall-Skeptiker Fred Hoyle in Begeisterung: »Ein höherer Intellekt muss die Eigenschaften des Kohlenstoffatoms entworfen haben«, staunte er. »Wären nur die blinden Kräfte der Natur im Spiel, wären die Chancen, ein solches Atom zu finden, minimal.« Denn Kohlenstoff konnte sich nur bilden, weil sich zur Wasserstoff-Helium-Fusion noch ein kurzlebiges Atom dazugesellte: Beryllium-8. Es verschwand gleich wieder. Das Millisekunden genaue Timing zwischen Entstehung und Zerfall muss perfekt austariert sein, gleich einem Orchester, bei dem die Resonanzen der Instrumente aufs Allerfeinste harmonieren. Physikalisch ausgedrückt: Die Energieniveaus aller beteiligten Atomkerne mussten exakt dem des Kohlenstoffs entsprechen. Er ist – abgesehen vom Sauerstoff – das häufigste Element in jedem Organismus. Ohne Kohlenstoff kein Stoffwechsel. Ohne Kohlenstoff wären Sie und ich jetzt nicht hier. »Wir sind Sternenstaub, wir sind golden«, singt die US-Kult-Band Crosby, Stills, Nash & Young in ihrem Song »Woodstock«: »Wir sind Milliarden Jahre alter Kohlenstoff.«

Mit jeder neuen Fusionsreaktion im Inneren eines Sterns ging es im Periodensystem weiter nach oben. So wie man Mehl in Brot verwandelt, bildeten sich immer schwerere Elemente: Magnesium, Schwefel, Natrium, Silizium, Platin, Gold, Titan und Uran. Das ging so lange gut, bis der Grenzwert von 56 Nukleonen erreicht war, der Gesamtzahl der Protonen und Neutronen im Kern. Bei einem Element, das im stabilen Zustand 56 Protonen und Neutronen in seinem Kern hat, hört Fusion auf. Dieses Element ist Eisen.

Eisen ist der Stoff, aus dem rote Farbe gemacht wird, die billigste Farbe, die es gibt. Roter Ocker, Fe2O3, eignet sich bestens als Konservierungsmittel, etwa als Anstrich für große Flächen – deshalb sind so gut wie alle Scheunen im Norden der USA und in Skandinavien rot gestrichen. »Diese Farbe ist billig, weil sie reichlich vorhanden ist«, schreibt Yonatan Zunger von der Stanford University. »Und sie ist reichlich vorhanden, weil ihr Ausgangsmaterial – Eisen – in einer Unmenge in sterbenden Sternen entstanden ist.«

Am »Eisen-Punkt« hören die Fusionsreaktionen im Stern auf, und er kollabiert. Er bebt und schüttelt schockartig seine Gashüllen ab. Dieses letzte Höllenfeuer lässt ihn in kaleidoskopartigen Farben erstrahlen – so hell wie Milliarden Sterne. Das ist es, was wir als Supernova erblicken. Es ist ein kosmisches Recycling-Feuerwerk. Der Stern gibt jetzt sein Material in Form von Staub ans Universum zurück: Staub aus Silizium, ein kristallines, gesteinsbildendes Mineral; Staub aus Periklas, ein Magnesiumoxid, das in Marmor enthalten ist; Staub aus Korund, ein Aluminiumoxid, das man auf der Erde je nach Verunreinigung als Rubin oder Saphir kennt.

Solcher Staub jagte vor Milliarden Jahren nach einer Hypernova-Explosion in einer 50 000 Grad Celsius heißen Wolke ins All hinaus. Mit 10 000 Atomen pro Kubikzentimeter war das interstellare Medium von äußerst geringer Dichte – normale Raumluft ist billiardenfach dichter. Aber die Wolke war so unvorstellbar groß, dass sich dennoch ungeheuer viele Staubkörner darin befanden, die größten gerade mal so staubig wie Zigarettenrauch. Und doch wurde aus diesen winzigen Partikeln einmal unsere Sonne – und unsere Erde.

Planetare Embryos und Goldilocks

Dieser Planet ist rund 4,51 Milliarden Jahre alt, aber seine Geschichte begann viel früher als Staubkörnchen auf der rotierenden Scheibe um die junge Sonne. Wie sich dieser Staub nach und nach zu Klümpchen verband, bis diese schließlich zu Planeten heranwuchsen, gab Wissenschaftlern lange Zeit Rätsel auf. Erst Experimente in der Schwerelosigkeit brachten die Lösung. Sechs Minuten lang trug eine unbemannte Maser-8-Rakete eine Versuchsanordnung durch die Mikrogravitation. Die Akteure an Bord waren winzige Kügelchen aus Siliziumdioxid mit einem halben Mikrometer Durchmesser – ultrafeiner Staub. Mikroskop-Kameras zeichneten auf, wie die Körnchen sich miteinander verbanden und zu welchen Strukturen sie heranwuchsen. Verwundert erkannten die Forscher, dass die Schwerkraft dabei keine nennenswerte Rolle spielte. Erst Klumpen mit Durchmessern im Kilometerbereich ziehen sich über ihre Gravitation so stark an, dass es zu Kollisionen kommt. »Auf der Ebene von Mikrometern dominieren dagegen zufällige Wärmebewegungen, die auch auf der Erde für die Brown’sche Bewegung kleiner Teilchen verantwortlich sind«, erklärt Olaf Fritsche in Spektrum der Wissenschaft. »Stoßen zwei Körnchen zitternd zusammen, bilden sie mitunter schwache elektrostatische Anziehungskräfte zueinander. Diese sogenannten Van-der-Waals-Kräfte resultieren aus schnell wechselnden zufälligen Ungleichverteilungen der Elektronen im Staubkorn. Passen Nachbarn ihre Verteilungsschwankungen aneinander an, klammern sich die beiden Teilchen regelrecht aneinander.« Weitere Staubteilchen kommen hinzu, und ein stark verzweigtes Netz mit langgezogenen Ketten aus Staubpartikeln reift heran. So schnell, dass die Staub-Konglomerate bald zur Größe von Murmeln und diese zur Größe eines Golfballs heranwuchsen, dann zur Größe eines Fußballs und schließlich wurden sie haushoch. Erreichen Gebilde einen Kilometer Durchmesser, werden sie »Planetesimale« genannt.

Innerhalb von mehreren Millionen Jahren rotierten Hunderte dieser »planetaren Embryos« im inneren Sonnensystem. Sie wurden im Lauf einiger Millionen Jahre mehrere Kilometer groß. Je weiter dieser Prozess voranschritt, desto stärker kam die Gravitation ins Spiel und umso gravierender wurden die Folgen von Zusammenstößen. Nur die größten Planetesimale überlebten, indem sie sich die kleineren schnappten und mit ihnen verschmolzen. Irgendwann blieb nur noch eine Handvoll Megaobjekte übrig: die vier kleinen, felsigen Planeten, die der Sonne am nächsten sind: Merkur, Venus, Mars und Erde. Im Außenbereich hielten sich die heutigen Gasriesen auf: Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun.

Doch einzig die Erde zog ihre Bahnen in der »habitablen Zone« des Sonnensystems, der bewohnbaren Zone, in der Wasser weder kocht noch gefriert. »Goldilocks« wird diese Zone genannt. Der eigenartige Name ist inspiriert von dem Märchen, in dem eine Frau Namens »Goldlöckchen« aus drei Schüsseln unterschiedlich heißen Brei probiert und schließlich nur denjenigen isst, der genau die richtige Temperatur hat. So wie unsere Erde, die sich pro Jahr einmal um unser Zentralgestirn dreht. Sie ist weder zu nahe an der Sonne dran, wo es zu heiß ist, wie etwa auf der Venus, noch zu weit weg und damit viel zu kalt, wie bei Jupiter oder Saturn.

Wie für Menschen gemacht

Halte ich mir all dies vor Augen und beziehe es auf mich selbst, komme ich aus dem Staunen nicht heraus: Ich, Sie, alle Menschen können nur leben, weil es die Sonne gibt. Sie entstand aus einer gigantischen umherwirbelnden Wolke aus Gasen und Staub. Die Sonne strahlt Energie ab. Auf der Erde machen Pflanzen daraus mit Hilfe eines besonderen Staubs – Blütenstaub – Nährstoffe. Zugleich wärmt das Licht die Erde und macht sie hell. Warum gibt es das Licht? Weil irgendeine Instanz, die wir nicht kennen, Naturgesetze schuf, die den Gasball Sonne genauso beherrschen wie jedes einzelne Staubkorn.

Als ob es ausgeklügelt wäre: Der Druck im Sonneninnern ist gerade groß genug, um den Wasserstoff-Verschmelzungsofen in Gang zu halten, aber nicht zu schnell brennen zu lassen. Die Energie, die bei der Verschmelzung frei wird, erzeugt Druck nach außen. Dieser balanciert die nach innen gerichtete Gravitationswirkung aus, was die Konstruktion auf einfache Weise im Gleichgewicht hält. Abgerundet wird das Ganze durch eine wundersame Fabrik in den äußeren Gasschichten. Die macht aus der bei der Kernfusion erzeugten tödlichen Gammastrahlung lebensfreundliches, sichtbares Licht.

Und dann das größte Wunder: Die Sonnenenergie kann übertragen werden, durch einen mit kosmischem Staub gefüllten Raum hindurch. Würde man ihn mit dem Auto durchqueren und die Hand aus dem Fenster strecken, wäre sie kohlrabenschwarz. Durch diesen Staub rasen die Sonnenstrahlen, über 160 Millionen Kilometer weit. Die Erde hält genügend Sicherheitsabstand von der Sonne und wird dennoch von ihr »ernährt«. Ihr Aderlass ist erheblich: Jede Sekunde verliert sie von ihrer Materie etwa eine Million Tonnen.

Angesichts solcher Zusammenhänge fällt es dem US-Physiker Freeman Dyson schwer, wissenschaftlich nüchtern zu bleiben: »Wenn wir ins Universum hinausblicken und erkennen, wie viele Zufälle in Physik und Astronomie zu unserem Wohl zusammengearbeitet haben, dann scheint es fast, als habe das Universum in gewissem Sinn gewusst, dass wir kommen.«

Wir sind Wesen, die zum größten Teil aus ganz normalem Wasser bestehen, H2O. »Wasser setzt sich aus in Sternen erzeugtem Sauerstoff und Wasserstoff aus dem Urknall zusammen«, schreibt Anna Frebel in ihrem Buch Auf der Suche nach den ältesten Sternen. »Da ein Sauerstoffatom ca. 16-mal so schwer ist wie ein Wasserstoffatom, ist das Verhältnis der Masse von Wasserstoff zu Sauerstoff in einem Wassermolekül eins zu acht«, rechnet die Astrophysikerin vor. »Da unser Körpergewicht zu ca. 65 Prozent aus Wasser besteht, heißt das, dass wir zu acht Prozent (also einem Zwölftel) aus Wasserstoff bestehen. Voilà: Wir sind selbst ein Teil des Urknalls in dem Sinne, dass der Wasserstoff in uns aus den ersten Minuten nach dem Urknall stammt. Jemand, der 75 Kilogramm wiegt, trägt also ca. sechs Kilogramm ›Urknall-Wasserstoff‹ mit sich herum.« Dieses Element konsumieren wir zum Beispiel jedes Mal, wenn wir einen Schluck Wasser trinken.

Neben Wasserstoff und Sauerstoff besteht unser Körpergewicht aus weiteren Elementen kosmischen Staubs: zu 18,5 Prozent aus Kohlenstoff; zu 3,2 Prozent Stickstoff, der als Baumaterial für unsere Gene dient; außerdem 1,5 Prozent Calcium für unsere Zähne und jede Menge Eisen fürs Blut. Dazu Eiweiße, Fette und Mineralstoffe, Spuren von Chlor, Phosphor, Kalium, Schwefel, Natrium und Magnesium. All diese Substanzklassen setzen sich wiederum aus chemischen Elementen zusammen, die aus der Asche sterbender Sterne stammen.

Wenn Sie 75 Kilo wiegen, bestehen Sie aus genug Kohlenstoff-Staub, um 25 Pfund Holzkohle herzustellen, genug staubfeine Salzpartikel, um einen Salzstreuer zu füllen, genug Chlorteilchen, um mehrere Schwimmbäder zu desinfizieren, und genug winzigste Eisenstäube, um einen 7,5 Zentimeter langen Nagel zu schmieden.

Diese Elemente bleiben nicht ein Leben lang in unserem Körper. Über 90 Prozent der Stoffe, aus denen wir bestehen, werden im Laufe eines Jahres durch neue ersetzt. Unsere Magenschleimhaut wird über einen Zeitraum von fünf Tagen komplett ausgetauscht, die Darmdrüsen alle drei bis vier Tage, Osteoklasten im Knochenmark alle zwei Wochen. Auch Knochen und Muskeln befinden sich in einem ständigen Erneuerungsprozess. Etwa alle zwölf bis fünfzehn Jahre haben sie sich einmal runderneuert.

»Wenn diese Moleküle in die Biosphäre zurückkommen, verteilen sie sich durch Luft- und Wasserströmungen leicht über den ganzen Erdball«, schreibt der US-Ökonom Jeremy Rifkin in seinem Buch Das Zeitalter der Resilienz. »Da sich in jedem menschlichen Körper mehr als 4·1027 Wasserstoffatome und 2·1027 Sauerstoffatome befinden, können wir sicher sein, dass sich viele dieser Atome irgendwann im Körper von anderen Menschen oder Lebewesen befanden, die vor uns lebten.« Jeder Mensch trägt zum Beispiel ein Stückchen von Kleopatra in sich – und das nicht nur im übertragenen Sinne, sondern ganz real.

»Jedes der chemischen Elemente, die diese Moleküle aufbauen, aus denen wir bestehen, ist also weit älter als die Jahre, die seit unserer Geburt vergangen sind«, schreibt Forscherin Frebe. »Im Falle von Wasserstoff sind es fast 14 Milliarden Jahre, bei den anderen Elementen sind es mindestens fünf Milliarden Jahre.« Der Astrophysiker Günther Hasinger, Wissenschaftsdirektor der Europäischen Weltraumagentur ESA, ergänzt: »Dabei muss jedes Atom in uns schon mehr als einmal durch den Magen eines Sterns gegangen sein.« Der Dichter Ernesto Cardenal (1925–2020) drückt es so aus: »Wir sind aus dem Staub von Sternen gemacht, die explodierten, und wir werden wieder Sterne und Planeten sein, einmal.«

Staub verbindet die Sterne mit allem anderen, mit allen Planeten, mit allen Lebewesen auf der Erde.

STAUBRÄTSEL (GELÜFTET)

Was hat Gott sich bloß beim Staub gedacht?

Ein Staubkorn kann so winzig sein, dass zehntausend nebeneinandergelegt nicht mal die Länge von einem Zentimeter erreichen. Andererseits: Von der Erde bis zum nächsten Stern sind es vierzig Billionen Kilometer. Warum sind Staubkörner so klein? Warum ist das Universum so groß? Ist die riesige Spanne Zufall? Eine Laune Gottes? Oder unvermeidlich? Hätten die Größenverhältnisse überhaupt anders ausfallen können?

Es ist Zufall, dass im Universum kosmischer Staub entstand, der sich zu Sternen zusammenballte und zu Sonnen mit Planeten herum. Dass auf einem dieser Planeten Leben entstand, ist Zufall. Dass aus diesem Leben der bewusste Mensch hervorging und nun die Schöpfung betrachten kann, ist ebenfalls Zufall. Das sagen die Naturwissenschaftler.

Einige von ihnen aber tasten sich in den letzten Jahrzehnten immerhin an das verbotene »Wozu« heran. Sie fragen sich: Wie muss ein Weltall aussehen, das einen Stoff wie den Staub hervorbringen kann, aus dem sich Lebewesen wie der Mensch entwickeln?

Verblüffendes Gesamtergebnis: Es ist kein solches Weltall denkbar – außer dem unseren. »Eine Schlüsselrolle zum Verständnis dieser verwunderlichen Tatsache spielen die physikalischen Konstanten, die überall im Universum denselben Wert haben«, erklärt der britische Physiker Paul Davies. »So unglaublich es klingt: An diesen Konstanten hängen alle Größenverhältnisse im Universum!« Weicht auch nur eine Naturkonstante – etwa die Stärke der Gravitation – von dem tatsächlich gemessenen Wert ab, ist die Entstehung von Staub nicht möglich. Jedenfalls nicht von Staub, aus dem sich riesige Galaxien genauso bilden konnten wie winziger Blütenstaub. Diese Wissenschaftler, deren Arbeiten unter dem Stichwort »anthropisches Prinzip« bekannt geworden sind, sagen nicht etwa: Es gibt das Weltall, damit es Menschen geben kann. Wohl aber sagen sie: Das Weltall muss genau so sein, wie es ist, sonst hätte der Mensch nicht entstehen können.

»Wir Menschen liegen auf der Skala der Dimensionen irgendwo in der Mitte zwischen Atom und Universum. Das Universum ist ungefähr um denselben Faktor größer als ein Planet, wie ein Planet größer ist als ein Atom. Der Mensch wiederum überragt das Atom um etwa denselben Faktor wie ein Planet den Menschen«, erklärt Paul Davies. Und die Dimension eines durchschnittlichen Staubkorns liegt ziemlich genau in der Mitte zwischen subatomaren Teilchen und dem Erdball.

Die Größenskalen von Staub, Menschen, Planeten und Sonnen sind nicht einfach Zufall, sondern Konsequenz aus der Tatsache, dass sie in der physikalischen Welt auf denselben physikalischen Konstanten aufbauen. Die Existenz des Menschen ist also notwendig, um einige Eigenschaften der Welt zu erklären.

Dass wir in einem Universum mit deutlich veränderten Konstanten nicht existieren könnten, halten manche Wissenschaftler für bedeutungslos. Andere schließen daraus, dass eine Vielzahl von Universen mit leicht veränderten Konstanten möglich ist. Die kühnen Wissenschaftler des anthropischen Prinzips folgen weder dem einen noch dem anderen Weg. Sie meinen, es sei die Bestimmung des Universums, Lebewesen mit Bewusstsein hervorzubringen. Falls sie recht haben, ist die Antwort auf die eingangs gestellten Fragen einfach. Warum sind Staubkörner so winzig? Warum ist das Universum so riesig? Einfach – weil wir existieren.

2. STAUB – GRUNDSTOFF MENSCHLICHER KULTUREN

Aus einem einzigen Staubkorn lässt sich »lesen«, wie Menschen vor Jahrtausenden ihren Alltag verbrachten. Urzeit-Höhlenstaub als Zeitmaschine – klingt nach Science-Fiction, ist Forschern aber gelungen.

In winzigen und uralten Staubspuren vom Boden einer Höhle fanden Paläoanthropologen molekulare Hinterlassenschaften von Neandertalern und anderen Frühmenschen – und konnten daraus genetisches Erbgut extrahieren. Mit dieser neuen Methode sind sie künftig nicht mehr auf Knochen und andere versteinerte Überbleibsel der Frühzeit angewiesen. Knochen und Werkzeuge waren bislang für Anthropologen die einzigen Wegweiser in die Vergangenheit. Jetzt sind es Mineralienstäube, an die sich Schweiß, Blut und Urin dauerhaft angeheftet haben. Aus diesem Staubgemisch konnte ein internationales Forscherteam um Matthias Meyer vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig menschliche DNA extrahieren. »Ich glaube, dies wird ein Standardwerkzeug der Archäologie«, sagt Nobelpreisträger Svante Pääbo. »Anhand von DNA-Spuren im Sediment können wir nun an Fundorten und in Gebieten die Anwesenheit von Urmenschen nachweisen, wo dies mit anderen Methoden nicht möglich ist«, so der Direktor am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, der ebenfalls an der Studie beteiligt war.

In einem Teelöffel voll Staub kann man Billionen Erbgutfragmente finden – und zum Beispiel Genaueres über einen der wichtigsten Entwicklungsschritte des Frühmenschen erfahren: die Fähigkeit, Feuer zu beherrschen. Dies gelang erst, als Steinzeitmenschen Staub zu Hilfe nahmen. Um Feuer zu machen, genügt es nicht, einfach zwei Feuersteine aneinanderzuschlagen. Zum gewünschten Ergebnis führt erst die Kombination aus Feuerstein und einem zweiten Stein: eisenhaltigem Pyrit, auch als Katzengold bekannt. Nur wenn man beide Steine zusammenschlägt, entspringen aus den Staubsplittern sichtbare Funken. Das kombinatorische Grundprinzip nutzen wir noch heute bei Feuerzeugen: Ein Rädchen aus kohlenstoffhaltigem Stahl schlägt auf einen kleinen Flintstein.

Ohne Staub gäbe es auch weder Höhlenmalerei noch Schminke für rituelle Bemalungen. Unsere Vorfahren begannen schon vor 50 000 Jahren damit, einfache Bilder und Symbole an Höhlenwände zu malen. Das zeigt die Datierung der Wandgemälde in elf Höhlen in Nordspanien. Die ältesten Wandgemälde stammen von Neandertalern, die dafür Gesteinspulver mit einem hohen Anteil des rötlichen Eisenminerals Hämatit verwendeten. Funde belegen zudem, dass die Neandertaler Schminke zu rituellen Zwecken herstellten – aus gelblichen Pigmenten eines Eisenminerals, das später auch von den alten Ägyptern als Schminke benutzt wurde.

Besonders eng mit Staub ist auch die Welt der Schrift verbunden. Die ersten Zeichen wurden mit Staub gemalt oder in Staub festgehalten. Von Archimedes berichten die antiken Chronisten, dass er in jeden Staub hinkritzelte – ob in Ofenstaub oder Staub am Wegesrand. Als sich einmal ein römischer Soldat vor ihm aufbaute und Schatten auf eine Zeichnung warf, grummelte Archimedes: »Störe meine Kreise nicht.« Der Legionär zog das Schwert – und der 75-jährige Gelehrte sank tot in den Staub.

Auch die Geschichte der Zahlen hängt unmittelbar mit Staub zusammen. Cicero spricht vom »gelehrten Staub« (»pulvis eruditus«) und maßregelte seine Schüler: »Du hast nie gelehrten Staub berührt« (»numquam eruditum illum pulverem attigitis«). Er meinte damit wohl, dass der Eleve eine mathematische Aufgabe nicht lösen konnte.

Die Null und die Staubzahlen

Aufs engste mit Staub verbunden ist die Erfindung der Null. Diese Zahl gab es nämlich nicht immer. Ihr Ursprung beginnt mit dem ältesten technischen Rechenhilfsmittel, dessen Bezeichnung aus dem Griechischen stammt: abax, der Abakus. Dies wiederum geht auf das semitische abq (»Staub«) zurück und bedeutet so viel wie »mit Sand oder Staub bestreutes Brett«. Auch die Babylonier und Römer bestreuten ihr Rechenbrett mit Sand, ebenso die Inder, deren Wort für höheres Rechnen »dhuli-kharma« auf Deutsch »Sandwerk« bedeutet.

Warum man Staub auf das Rechenbrett streute, erklärt Robert Kaplan, Mathematik-Professor an der amerikanischen Harvard-Universität so: »Am plausibelsten erscheint mir, dass der Sand eine Gedächtnisstütze war«, schreibt er in seinem Buch Die Geschichte der Null. »Man sieht die Spuren der Zahlen, mit denen man gerechnet hat, nachdem man fertig ist, und kann sie so kontrollieren.« Ohne Sandstaub lassen sich Flüchtigkeitsfehler im Nachhinein nicht mehr erkennen. Auch eine vorsätzliche Mogelei ist dann nicht mehr nachweisbar.

In diesem »Rechen-Staub« entstand die Null aus dem Abdruck, den ein runder Rechenstein im Sand hinterließ. Wurde der Stein entfernt, der die Null ergänzte, blieb ein runder Abdruck zurück. Der hohle Kreis hat indische Mathematiker auf die Idee der Null gebracht. Zuvor, so Kaplan, »betrachteten die Leute die Ziffern von eins bis neun als Zahlen und die Null als eine Art Marker – bis hinduistische Mathematiker im 5., 6. oder 7. Jahrhundert unserer Zeitrechnung sahen, dass man mit der Null rechnen kann wie mit allen anderen Zahlen auch«.